An „Bäumen“ aus Holz können die Korallen in der geschützten Umgebung der Coral Restoration Foundation wachsen, bis sie groß genug sind, um an einem der Riffe von Bonaire ausgesetzt zu werden AKTUELL Nachwuchs-Sorgen Korallenriffe bieten Lebensraum für Hunderttausende Tierarten, sind die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen – und werden in Rekordgeschwindigkeit zerstört. Auf der Karibik-Insel Bonaire werden jetzt Babykorallen gezüchtet und ausgesetzt. Ein mühsamer Versuch zu verhindern, dass der „Regenwald der Meere“ in den nächsten Jahren stirbt TEXT STEFANIE WILL PL ANET ERDE 1 | Korallen-Nanny Francesca bei der täg lichen Kontrolle ihrer Schützlinge. 2 | Im seichten Wasser vor der Küste von Bonaire werden die Minis gezüchtet. 3 | Ordnung muss sein: Jedes Korallenkind bekommt eine Nummer. 4 | In kleinen Gruppen bildet Francesca engagierte Helfer aus 2 3 1 FOTOS: FEDERICO CABELLO (2), ISTOCKPHOTO (2), PR A us der Luft sehen sie wie türkise Farbkleckse aus, scheinbar künstlerisch auf die tiefblaue Leinwand der Weltmeere getupft. So schön, so geschützt, möchte man meinen. Aber weit gefehlt. Ein Blick unter die glitzernde Wasseroberfläche zeigt: Korallenriffe werden in noch rasanterem Tempo zerstört als der Regenwald. In den letzten 30 Jahren ging ihre weltweite Fläche von etwa 300.000 Quadratkilometern um rund 30 Prozent zurück. „Bis 2030 wird ein Verlust von 60 Prozent prognostiziert“, sagt Dr. Kim Cornelius Detloff vom Naturschutzbund Deutschland. „Die weitere Entwicklung hängt davon ab, ob es gelingt, die Klimaerwärmung zu stoppen.“ Die ist neben Umweltverschmutzung und Überfischung hauptverantwortlich für das Sterben eines unentbehrlichen Ökosystems. Man muss sich das so vorstellen: Korallen, koloniebildende Nesseltierchen, leben in einer Art Wohngemeinschaft mit Zooxanthellen. Das sind einzellige Mikroalgen, die mit dem Kohlendioxid der Koralle Photosynthese betreiben. Dadurch erhält diese ihre Farbe und wird mit Nährstoffen versorgt. Erwärmt sich jedoch das Wasser über eine bestimmte Temperatur hinaus, produzieren die Algen Toxine. Die Koralle wird sauer, wirft die Mitbewohner raus, verblasst und verhungert – die sogenannte Korallenbleiche, die weitreichende Folgen hat: Mit der bunten Unterwasserwelt stirbt der Bade- und Tauchtourismus. Ohne die vielen Fischarten, die von und mit den Korallen leben, bricht die Fischerei-Industrie zusammen. Und durch den fehlenden Schutz der Riffe werden Strände überschwemmt, ganze Inseln können im Meer versinken. Die Existenzen vieler Millionen Menschen stehen auf dem Spiel. Eine von ihnen ist die auf Bonaire lebende Meeresbiologin Francesca Virdis. Sie fürchtet: „Wenn wir nicht schnell handeln, dann wird es in Schon gewusst? Korallenriffe haben sich im Laufe der letzten 25 Millionen Jahre entwickelt und dienen einem Viertel aller Meeres tiere als Wohnraum. Werden sie beschädigt, dauert es Jahr zehnte, bis sie sich wieder erholen – vorausgesetzt, sie werden nicht weiter zerstört. 25 Jahren keine Riffe mehr geben.“ Ihr Beitrag im Kampf gegen dieses Horror-Szenario: 2012 gründete die 37-Jährige auf der Antillen-Insel die Coral Restoration Foundation (crfbonaire.org) zur Wiederherstellung gesunder Bestände. Ein Korallenkindergarten, wie Francesca ihre NonProfit-Organisation nennt. Sie selbst ist die Super-Nanny, Hüterin einer ganzen Kinderschar 4 von Elchgeweih- und Staghorn-Korallen, die an ihrer geweihartigen Form zu erkennen sind. An Holzkonstrukten gedeihen sie im seichten Wasser vor der Insel. 100 bis 160 Korallenfragmente kann jeder „Baum“ tragen. Fragmente deshalb, weil die Korallen in kleine Teile zerbrochen werden, sobald sie groß genug sind, um den Bestand zu erweitern. „Stellen Sie sich das wie eine Hand vor, der die Finger abgebrochen werden“, erklärt Francesca. „Sie wachsen aber nach. Und wenn sie groß genug sind, werden sie wieder zerteilt oder im Ganzen ausgesetzt.“ Mit System: Beide Arten werden in unmittel barer Nähe voneinander gepflanzt, um Kreuzungen zu provozieren, die den heutigen Umweltund Klimabedingungen besser angepasst sind. Von anfangs 200 Schützlingen hat sich die Zahl mitterweile auf rund 1700 erhöht. „Zudem haben wir schon gut 1500 Korallen ausgesetzt“, so Francesca. Kein Wunder, so rasant wie die Kleinen gedeihen: Bis zu einen Meter legen sie pro Jahr an Größe zu. In freier Wildbahn wären es um die 20 Zentimeter. „Je weniger gestresst sie sind, desto schneller wachsen sie“, erklärt die Nanny. „Wir schützen sie vor Fressfeinden wie Wasserschlangen und reinigen sie von Makro algen, die Stoffwechselgifte abgeben.“ Eine Sisyphusarbeit, die ohne Hilfe kaum zu meistern ist. „Ich gebe Korallenpflegekurse für Taucher“, sagt Francesca. „Jeder, der mag, ist herzlich eingeladen, mich zu unterstützen!“ Juni 2015 Lonely Planet Traveller 23
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