Organstreitverfahren - Die Linke. im Bundestag

Prof. Dr. Matthias Bäcker
Mannheim, den 19. Mai 2015
Waldparkstraße 6
68163 Mannheim
Bundesverfassungsgericht
Schlossbezirk 3
76131 Karlsruhe
Organstreitverfahren
1. der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag,
vertreten durch die Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und
Dr. Anton Hofreiter,
Platz der Republik 1, 11011 Berlin,
2. der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag,
vertreten durch den Fraktionsvorsitzenden Dr. Gregor Gysi,
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
– Antragstellerinnen –
gegen
die Bundesregierung,
vertreten durch die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel,
Bundeskanzleramt, Willy-Brandt-Straße 1, 10557 Berlin
– Antragsgegnerin –
-2Namens und in beigefügter Vollmacht (Anlage 1) der Antragstellerinnen beantrage ich
I.
festzustellen, dass die Antragsgegnerin die Antragstellerin zu 1 und den
Deutschen Bundestag durch die Antwort vom 24. November 2014 (BTDrs. 18/3259, S. 8 f.) auf Frage 2. a) der Kleinen Anfrage vom 8. Oktober 2014 (BT-Drs. 18/3117, S. 3) in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1
Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt hat,
II.
festzustellen, dass die Antragsgegnerin die Antragstellerin zu 2 und den
Deutschen Bundestag durch die Antworten vom 9. Februar 2015 (BTDrs. 18/3985, S. 5, 6 und 7) auf die Fragen 14-16, 19-25 und 28-31 der
Kleinen Anfrage vom 21. Januar 2015 (BT-Drs. 18/3810, S. 3 f.) in ihren
Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt
hat.
Hilfsweise für den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht den Antrag zu I
hinsichtlich der Antragstellerin zu 2 und den Antrag zu II hinsichtlich der Antragstellerin zu 1 für unzulässig hält, erkläre ich
hinsichtlich des Antrags zu I für die Antragstellerin zu 2 den Beitritt
(§ 65 Abs. 1 BVerfGG) zu der Antragstellerin zu 1,
hinsichtlich des Antrags zu II für die Antragstellerin zu 1 den Beitritt
(§ 65 Abs. 1 BVerfGG) zu der Antragstellerin zu 2.
-3Gliederung
A. Sachverhalt ............................................................................................................ 5
I. Hintergrund der Kleinen Anfragen ........................................................................ 5
II. Die Kleine Anfrage der Antragstellerin zu 1 (Antrag zu I) .................................... 7
III. Die Kleine Anfrage der Antragstellerin zu 2 (Antrag zu II) .................................. 9
B. Zulässigkeit der Anträge....................................................................................... 15
I. Rügen hinsichtlich der von den Antragstellerinnen jeweils selbst gestellten Kleinen
Anfragen ............................................................................................................... 15
II. Rügen hinsichtlich der von der jeweils anderen Antragstellerin gestellten Kleinen
Anfragen ............................................................................................................... 16
C. Begründetheit der Anträge ................................................................................... 19
I. Verfassungsrechtliche Maßstäbe ....................................................................... 19
1. Grundsätzliches Informationsrecht des Bundestages.................................... 19
2. Grenzen des parlamentarischen Informationsrechts ..................................... 21
a) Staatswohl als möglicher gegenläufiger Belang ........................................ 21
aa) Gefährdung der sicherheitsbehördlichen Aufgabenerfüllung ............... 23
(1) Einzelfallübergreifende Rückschlüsse auf die Tätigkeit der
Sicherheitsbehörden ............................................................................... 23
(2) Informationen über die sicherheitsbehördliche Tätigkeit im Einzelfall 25
bb) Konkordanz von
parlamentarischem
Informationsrecht
und
Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden .............................................. 26
b) Grundrechte als mögliche gegenläufige Belange ...................................... 29
c) Keine Relevanz des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung ........... 31
3. Begründung einer Auskunftsverweigerung .................................................... 33
II. Verletzung des parlamentarischen Informationsrechts durch die Antragsgegnerin
.............................................................................................................................. 34
1. Die Kleine Anfrage der Antragstellerin zu 1 (Antrag zu I) .............................. 34
a) Unzureichende Begründung der Antwortverweigerung ............................. 34
b) Kein ersichtliches Geheimhaltungsinteresse ............................................. 36
c) Überwiegendes parlamentarisches Informationsinteresse ......................... 37
2. Die Kleine Anfrage der Antragstellerin zu 2 (Antrag zu II) ............................. 39
-4a) Kein ersichtliches Geheimhaltungsinteresse ............................................. 39
aa) Fragen zu Quellenmeldungen von Nachrichtendiensten (Fragen 14-16
und 19-21) .................................................................................................. 40
bb) Fragen zu V-Leuten von Nachrichtendiensten in der Wehrsportgruppe
Hoffmann (Fragen 22-25 und 28-31) .......................................................... 41
b) Überwiegendes parlamentarisches Informationsinteresse ........................ 43
Anlagen .................................................................................................................... 44
-5A. Sachverhalt
Die beiden hier zusammengefassten Anträge richten sich jeweils gegen die
Weigerung der Antragsgegnerin, eine parlamentarische Kleine Anfrage vollständig zu beantworten. Beide Anfragen zielten auf Erkenntnisse deutscher
Sicherheitsbehörden über den Anschlag auf das Münchner Oktoberfest vom
26. September 1980 sowie auf eine mögliche Verbindung von Vertrauensleuten (V-Leuten) dieser Behörden zu dem Anschlag.
Im Folgenden wird zunächst der tatsächliche Hintergrund der beiden Kleinen
Anfragen skizziert (unten I). Anschließend werden die Kleinen Anfragen und
die Antworten der Antragsgegnerin geschildert, soweit sie Gegenstand der Anträge sind (unten II und III).
I. Hintergrund der Kleinen Anfragen
Am 26. September 1980 explodierte nahe dem Haupteingang des Münchner
Oktoberfests eine Rohrbombe. Die Explosion tötete 13 Menschen und verletzte 211 Menschen. Als Bombenleger wurde der 1959 geborene Gundolf
Köhler ermittelt, der selbst bei der Explosion starb. Der Generalbundesanwalt
kam am Ende der Ermittlungen im November 1982 zu dem Schluss, dass Köhler aufgrund persönlicher Probleme als Einzeltäter gehandelt hatte.
Diese Einzeltäterthese wird verschiedentlich in Frage gestellt. Gegen sie werden mehrere Indizien angeführt. So sagten Zeugen aus, sie hätten kurz vor
der Explosion weitere Personen zusammen mit Gundolf Köhler gesehen. Außerdem werden Anhaltspunkte für einen rechtsextremistischen Hintergrund
des Anschlags gesehen:
Gundolf Köhler hatte mit der sogenannten Wehrsportgruppe Hoffmann in Verbindung gestanden, einer neonazistischen Gruppierung, die der Bundesinnenminister Anfang 1980 verboten hatte. Nach Zeugenaussagen soll Köhler am
Tatort mit Männern gesprochen haben, deren Beschreibung auf andere Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann passte. Zwei Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann sollen behauptet haben, die Gruppe sei in den Anschlag involviert gewesen,
zusammenfassend zu den Indizien, die für eine Verstrickung der
Wehrsportgruppe Hoffmann in das Oktoberfestattentat angeführt
werden, Fromm, Die „Wehrsportgruppe Hoffmann“: Darstellung,
Analyse und Einordnung, 1998, S. 331 ff.; Chaussy, Oktoberfest –
Das Attentat, 2014, S. 35 ff.
-6Zum Zeitpunkt ihres Verbots soll die Wehrsportgruppe Hoffmann nach verbreiteter Schätzung etwa 400 Mitglieder gehabt haben,
vgl. Fromm, a.a.O., S. 11, m.w.N.; näher zu den Schwierigkeiten
einer Schätzung Lecorte, Oktoberfest-Attentat 1980 – Eine Revision, 2014, S. 109 ff., der zu einer deutlich niedrigeren Mitgliederzahl zum Verbotszeitpunkt gelangt.
Zumindest eines dieser Mitglieder, Walter Ulrich Behle, war nach eigenen Angaben V-Mann des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes. Behle war
zudem eines der beiden Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann, die eine
Beteiligung an dem Attentat zugegeben haben sollen,
vgl. zu Behle und kritisch zur Vertrauenswürdigkeit seiner Selbstbezichtigung Lecorte, a.a.O., S. 149 ff.
Nach Medienberichten aus jüngster Zeit sollen starke Indizien dafür sprechen,
dass bundesdeutsche Sicherheitsbehörden noch weitere Informanten in den
Reihen der Wehrsportgruppe Hoffmann führten. Bei einer Auswertung der einschlägigen Unterlagen falle auf, dass diese Spuren nicht weiterverfolgt worden
seien,
so das Fazit bei http://www.zeit.de/zeit-magazin/2015/09/oktoberfest-attentat-1980-pruefung (Abruf am 19. Mai 2015).
Einen Tag nach dem Attentat gaben zwei inhaftierte Rechtsextremisten an,
der niedersächsische Neonazi Heinz Lembke lagere zahlreiche Waffen, es
könne ein Zusammenhang zu dem Anschlag bestehen. Auch Lembke stand
mit der Wehrsportgruppe Hoffmann in Kontakt. Nachdem Ermittlungen gegen
Lembke zunächst nichts ergeben hatten, stellte sich im Herbst 1981 heraus,
dass Lembke in der Tat zahlreiche Lagerstätten mit Waffen und Sprengstoff in
großen Mengen unterhielt. Teilweise wird vermutet, möglicherweise sei für die
Oktoberfestbombe Material verwendet worden, das von Lembke stammte. Am
1. November 1981 erhängte sich Lembke in der Untersuchungshaft,
vgl. zu Lembke Chaussy, a.a.O., S. 213 ff., der zu dem Schluss
gelangt, ein Bindeglied zwischen Lembkes Sprengstoffvorräten und
der Münchner Bombe sei nicht gefunden worden.
Teils wird zudem vermutet, Heinz Lembke habe auch Verbindungen zu deutschen Sicherheitsbehörden unterhalten. Als Indiz hierfür wird unter anderem
ein Vermerk in den Spurenakten zum Oktoberfestattentat angeführt, nach dem
Erkenntnisse über Lembke nur zum Teil gerichtsverwertbar seien,
-7vgl. zu diesem Vermerk und seiner unklaren Bedeutung BT-Drs.
18/3259, S. 9.
Wegen der Zweifel an der Alleintäterschaft von Gundolf Köhler wurde von verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Akteuren im Laufe der Jahre
mehrfach gefordert, die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat wieder aufzunehmen. Zu den erhobenen Forderungen zählte auch, umfassend aufzuklären, ob V-Leute deutscher Sicherheitsbehörden in dem Anschlag verstrickt waren und ob Sicherheitsbehörden zum Schutz ihrer Quellen die Ermittlungen
behindert hatten. Schließlich ordnete der Generalbundesanwalt auf Antrag von
Rechtsanwalt Werner Dietrich, der mehrere Opfer des Anschlags vertritt, am
11. Dezember 2014 die Wiederaufnahme der Ermittlungen an,
vgl. zu den jüngsten Entwicklungen etwa http://www.sueddeutsche.de/muenchen/oktoberfest-attentat-neue-zweifel-an-der-einzeltaeter-these-1.2118985;
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/oktoberfest-attentat-1980-neubewertung-des-alten-grauens13316322.html; http://www.tagesspiegel.de/politik/35-jahre-nachoktoberfest-attentat-in-muenchen-ermittlungen-zu-wiesn-attentatwerden-neu-aufgerollt/11622646.html (Abrufe am 19. Mai 2015).
II. Die Kleine Anfrage der Antragstellerin zu 1 (Antrag zu I)
Anfang Oktober 2014 richtete die Antragstellerin zu 1 eine Kleine Anfrage an
die Antragsgegnerin unter der Überschrift „Oktoberfest-Attentat – Wiederaufnahme der Ermittlungen zu Nazi-Hintermännern“. Anlass dieser Anfrage war
der Antrag von Rechtsanwalt Dietrich, die Ermittlungen zu dem Anschlag wiederaufzunehmen.
Die Anfrage enthielt unter anderem mehrere Fragen zu der Rolle von Heinz
Lembke. Mit ihrer Frage 2. a) fragte die Antragstellerin zu 1:
„War Lembke ein V-Mann einer (gegebenenfalls welcher) Sicherheitsbehörde des Bundes oder – nach Kenntnis der Bundesregierung – eines Landes?“
BT-Drs. 18/3117, S. 3, Anlage 2.
Die Antragsgegnerin weigerte sich, diese Frage inhaltlich zu beantworten. Zur
Begründung führte sie aus:
„Der Informationsanspruch des Parlaments findet eine Grenze bei
geheimhaltungsbedürftigen Informationen, deren Bekanntwerden
das Wohl des Bundes oder eines Landes gefährden kann.
-8Nachrichtendienste sammeln im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags Informationen und werten diese aus. Die Führung von V-Leuten gehört zu den wichtigsten nachrichtendienstlichen Mitteln, die
den Verfassungsschutzbehörden und dem Bundesnachrichtendienst zur Informationsbeschaffung zur Verfügung stehen. Würden
Einzelheiten hierzu oder Namen einzelner V-Leute bekannt, könnten dadurch Rückschlüsse auf den Einsatz von V-Leuten und die
Arbeitsweise der Nachrichtendienste gezogen werden. Es entstünde die Gefahr, dass Fähigkeiten, Methoden und Informationsquellen der Nachrichtendienste bekannt würden und damit ihre
Funktionsfähigkeit nachhaltig beeinträchtigt wäre.
Zudem ist zu beachten, dass sich V-Leute regelmäßig in einem extremistischen und gewaltbereiten Umfeld bewegen. Die Aufdeckung ihrer Identität könnte dazu führen, dass das Grundrecht auf
Leben und körperliche Unversehrtheit der jeweiligen betroffenen
Personen gefährdet wäre. Aufgrund der Hochrangigkeit dieser
Rechtsgüter, der möglichen Irreversibilität und der erhöhten Wahrscheinlichkeit ihrer Beeinträchtigung muss jede noch so geringe
Möglichkeit des Bekanntwerdens zu Fragen des Einsatzes von
V-Leuten ausgeschlossen werden. Die Auskunft muss auch dann
verweigert werden, wenn die betreffende Person kein V-Mann ist
oder war oder der Vorgang zeitlich weit zurückliegt, da ansonsten
in allen übrigen Fällen aus der Antwortverweigerung auf das Vorliegen eines V-Leute-Einsatzes geschlossen werden könnte.
Aus der Abwägung der verfassungsrechtlich garantierten Informationsrechte des Deutschen Bundestages und seiner Abgeordneten
mit den negativen Folgen für die künftige Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste sowie den daraus resultierenden Beeinträchtigungen der Sicherheit der Bundesrepublik
Deutschland und der Gefährdung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Nachrichtendienste sowie der V-Leute folgt, dass auch
eine Beantwortung unter VS-Einstufung ausscheidet. Im Hinblick
auf den Verfassungsgrundsatz der wehrhaften Demokratie und der
[sic] Bedeutung der betroffenen Grundrechtspositionen hält die
Bundesregierung die Informationen der angefragten Art für so sensibel, dass selbst ein geringfügiges Risiko des Bekanntwerdens unter keinen Umständen hingenommen werden kann.“
BT-Drs. 18/3259, S. 8 f., Anlage 3.
-9Die Antwort der Antragsgegnerin wurde der Antragstellerin zu 1 mit Schreiben
vom 21. November 2014 zugeleitet, das ihr am selben Tag zuging.
Mit Schreiben vom 3. März 2015 ersuchte die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Antragstellerin zu 1 die Antragsgegnerin nochmals, die
Frage 2. a) der Kleinen Anfrage vollumfänglich zu beantworten. Zur Begründung führte sie aus, die von der Antragsgegnerin vorgebrachten Verweigerungsgründe liefen darauf hinaus, jedwede Information über die Tätigkeit von
V-Leuten zu verweigern. Dies sei angesichts der aktuellen rechtspolitischen
Diskussion um eine Regulierung des Einsatzes von V-Leuten nicht akzeptabel.
Diese Diskussion werde gerade auch geführt, weil V-Leute möglicherweise in
rechtsterroristische Straftaten wie das Oktoberfestattentat verstrickt gewesen
seien. Im vorliegenden historischen Fall könne zudem eine konkrete Beeinträchtigung der Arbeit der Sicherheitsbehörden nicht eintreten,
vgl. Schreiben vom 3. März 2015, Anlage 4.
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz antwortete hierauf namens der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 7. April 2015. Darin hielt
die Antragsgegnerin an ihrer Weigerung fest, die Frage der Antragstellerin zu 1
zu beantworten. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, einer Antwort auf die Frage der Antragstellerin zu 1 stehe der Schutz der Funktionsfähigkeit des Bundesamts für Verfassungsschutz als Belang des Staatswohls
entgegen. Die Werbung und die Führung von V-Leuten seien elementare
nachrichtendienstliche Mittel. Eine besondere Geheimhaltung müsse auch
dann gelten, wenn eine Person nicht als V-Person tätig gewesen sei oder der
Vorgang zeitlich weit zurückliege. Auch in einem solchen Fall könnten – gegebenenfalls durch einen Umkehrschluss aus einer Antwortverweigerung oder in
einer Gesamtschau der Antworten auf mehrere parlamentarische Anfragen –
Rückschlüsse auf die Arbeitsweisen, Strategien und Methoden der Nachrichtendienste für die Gegenwart gezogen werden. Damit könnte die künftige verdeckte Informationsbeschaffung empfindlich beeinträchtigt werden. In der Vergangenheit habe die Enttarnung von V-Leuten aus der rechtsextremistischen
Szene bereits zu Beeinträchtigungen geführt. Die Antragsgegnerin müsse daher selbst ein geringfügiges Risiko ausschließen, dass geheimhaltungsbedürftige Informationen zur Werbung und Führung von V-Leuten bekannt würden,
vgl. Schreiben vom 7. April 2015, Anlage 5.
III. Die Kleine Anfrage der Antragstellerin zu 2 (Antrag zu II)
Mitte Januar 2015 richtete die Antragstellerin zu 2 eine Kleine Anfrage an die
Antragsgegnerin unter der Überschrift „Mutmaßliche Aktenvernichtungen im
- 10 Zusammenhang mit dem Oktoberfestattentat und der Wehrsportgruppe Hoffmann bei deutschen Geheimdiensten“. Anlass der Anfrage war, dass sich
nach Wiederaufnahme der Ermittlungen zu dem Oktoberfestattentat herausgestellt hatte, dass bei dem Bundesamt für Verfassungsschutz lediglich sieben
Aktenordner zu dem Attentat vorhanden sind. Diese geringe Zahl legte nach
Ansicht der Antragstellerin zu 2 nahe, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz zwischenzeitlich Informationen zum Oktoberfestattentat und zur Wehrsportgruppe Hoffmann vernichtet hatte.
Die Antragstellerin zu 2 richtete an die Antragsgegnerin mehrere Fragen zu
den Erkenntnissen der deutschen Nachrichtendienste über das Oktoberfestattentat und die Wehrsportgruppe Hoffmann. Die hier umstrittenen Fragen lauteten:
„14. Wie viele Quellenmeldungen eigener Quellen liegen aus welchen Jahren im BfV zum Oktoberfestattentat vor (bitte unter Angabe
der jeweiligen Anzahl pro Jahr)?
15. Wie viele Quellenmeldungen von Quellen von Landesämtern für
Verfassungsschutz zum Oktoberfestattentat liegen im BfV aus welchen Jahren vor (bitte unter Angabe der jeweiligen Anzahl pro
Jahr)?
16. Wie viele Quellenmeldungen von Quellen des MAD zum Oktoberfestattentat liegen im BfV aus welchen Jahren vor (bitte unter
Angabe der jeweiligen Anzahl pro Jahr)?
[…]
19. Wie viele Quellenmeldungen eigener Quellen liegen aus welchen Jahren im BfV zur Wehrsportgruppe Hoffmann vor (bitte unter
Angabe der jeweiligen Anzahl pro Jahr)?
20. Wie viele Quellenmeldungen von Quellen von Landesämtern für
Verfassungsschutz zur Wehrsportgruppe Hoffmann liegen aus welchen Jahren im BfV vor (bitte unter Angabe der jeweiligen Anzahl
pro Jahr)?
21. Wie viele Quellenmeldungen von Quellen des MAD zur Wehrsportgruppe Hoffmann aus welchen Jahren liegen im BfV vor (bitte
unter Angabe der jeweiligen Anzahl pro Jahr)?
22. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass Mitglieder der
Wehrsportgruppe Hoffmann vor dem Oktoberfestattentat als
V-Leute für das BfV tätig waren?
- 11 23. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass Mitglieder der
Wehrsportgruppe Hoffmann nach dem Oktoberfestattentat als
V-Leute für das BfV tätig waren, und wenn nein, wie viele V-Leute
waren für das BfV tätig?
24. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass Mitglieder der
Wehrsportgruppe Hoffmann vor dem Oktoberfestattentat als
V-Leute für den BND tätig waren, und wenn nein, wie viele V-Leute
waren für den BND tätig?
25. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass Mitglieder der
Wehrsportgruppe Hoffmann nach dem Oktoberfestattentat als
V-Leute für den BND tätig waren, und wenn nein, wie viele V-Leute
waren für den BND tätig?
[…]
28. Kann die Bundesregierung nach ihrer Kenntnis ausschließen,
dass Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann vor dem Oktoberfestattentat als V-Leute für ein Landesamt für Verfassungsschutz
tätig waren, und wenn nein, wie viele V-Leute waren nach Kenntnis
der Bundesregierung für welche Landesämter für Verfassungsschutz tätig?
29. Kann die Bundesregierung nach ihrer Kenntnis ausschließen,
dass Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann nach dem Oktoberfestattentat als V-Leute für ein Landesamt für Verfassungsschutz
tätig waren, und wenn nein, wie viele V-Leute waren nach Kenntnis
der Bundesregierung für welche Landesämter für Verfassungsschutz tätig?
30. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, ob und ggf. wie viele
Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann vor dem Oktoberfestattentat als V-Leute für Landesämter für Verfassungsschutz tätig waren?
31. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, ob und ggf. wie viele
Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann nach dem Oktoberfestattentat als V-Leute für Landesämter für Verfassungsschutz tätig
waren?“
BT-Drs. 18/3810, S. 3 f., Anlage 6.
Die Antragsgegnerin teilte auf die Fragen 14-16 mit, ihr lägen zum Oktoberfestattentat insgesamt fünf Quellenmeldungen aus dem Zeitraum von 1980 bis
- 12 1985 vor. Auf die Fragen 19-21 teilte die Antragsgegnerin mit, nach vorläufigem Rechercheergebnis enthalte die Sachakte zur Wehrsportgruppe Hoffmann im Bundesamt für Verfassungsschutz 197 Quellenmeldungen aus dem
Zeitraum von 1974 bis 1985. Die von der Antragstellerin zu 2 begehrte nähere
Aufschlüsselung der Quellenmeldungen verweigerte die Antragsgegnerin. Auf
die Fragen 22-25 und 28-31 verweigerte die Antragsgegnerin jede Antwort,
vgl. BT-Drs. 18/3985, S. 5, 6 und 7, Anlage 7.
Zur Begründung verwies die Antragsgegnerin jeweils auf eine Vorbemerkung
zu ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage. Diese Vorbemerkung lautete:
„Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass eine Beantwortung der Fragen 14 bis 16, 19
bis 25 und 28 bis 31 nicht oder zumindest nicht vollständig erfolgen
kann. Der Informationsanspruch des Parlaments findet eine Grenze
bei geheimhaltungsbedürftigen Informationen, deren Bekanntwerden das Wohl des Bundes oder eines Landes gefährden kann. Die
Nachrichtendienste sammeln im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags die erforderlichen Informationen und werten diese aus. Die
Führung von Quellen gehört zu den wichtigsten nachrichtendienstlichen Mitteln, die den Nachrichtendiensten bei der Informationsbeschaffung zur Verfügung stehen. Würden Einzelheiten hierzu, auch
welche die quellenführende Stelle betreffend [sic] oder Namen einzelner Quellen bekannt, könnten dadurch Rückschlüsse auf den
Einsatz von Quellen und die Arbeitsweise der Nachrichtendienste
gezogen werden. Es entstünde die Gefahr, dass Fähigkeiten, Methoden und Informationsquellen der Nachrichtendienste bekannt
würden und damit ihre Funktionsfähigkeit nachhaltig beeinträchtigt
wäre.
Zudem ist zu beachten, dass sich Quellen hier in einem extremistischen und gewaltbereiten Umfeld bewegen. Die Aufdeckung ihrer
Identität könnte dazu führen, dass das Grundrecht auf Leben und
körperliche Unversehrtheit der jeweiligen betroffenen Personen gefährdet wäre. Aufgrund der Hochrangigkeit dieser Rechtsgüter, der
möglichen Irreversibilität und der erhöhten Wahrscheinlichkeit ihrer
Beeinträchtigung muss jede noch so geringe Möglichkeit des Bekanntwerdens zu Fragen des Einsatzes von Quellen ausgeschlossen werden. Die Auskunft muss auch dann verweigert werden,
wenn kein Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann eine Quelle ist
oder war oder der Vorgang zeitlich weit zurückliegt, da ansonsten
- 13 in allen übrigen Fällen aus der Antwortverweigerung auf das Vorliegen eines Einsatzes von Quellen geschlossen werden könnte.
Aus der Abwägung der verfassungsrechtlich garantierten Informationsrechte des Deutschen Bundestages und seiner Abgeordneten
mit den negativen Folgen für die künftige Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste sowie den daraus resultierenden Beeinträchtigungen der Sicherheit der Bundesrepublik
Deutschland und der Gefährdung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Nachrichtendienste sowie der Quellen folgt, dass auch
eine Beantwortung unter VS-Einstufung ausscheidet.
Im Hinblick auf den Verfassungsgrundsatz der wehrhaften Demokratie und der [sic] Bedeutung der betroffenen Grundrechtspositionen hält die Bundesregierung die Informationen der angefragten Art
für so sensibel, dass selbst ein geringfügiges Risiko des Bekanntwerdens unter keinen Umständen hingenommen werden kann.“
BT-Drs. 18/3985, S. 2.
Die Antwort der Antragsgegnerin wurde der Antragstellerin zu 2 mit Schreiben
vom 5. Februar 2015 zugeleitet, das ihr am selben Tag zuging.
Mit Schreiben vom 4. März 2015 ersuchte die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Antragstellerin zu 2 die Antragsgegnerin nochmals, die hier
umstrittenen Fragen vollständig zu beantworten. Sie verwies zur Relevanz der
Fragen auf die Schlussfolgerungen des NSU-Untersuchungsausschusses des
Deutschen Bundestages. Die vollständige Verweigerung einer Antwort auf die
Fragen 22-25 überzeuge überhaupt nicht. Die von der Antragsgegnerin genannten Gründe führten dazu, dass Informationen über die Tätigkeit von VLeuten nach Belieben verweigert werden könnten. Dies sei gerade im Fall des
Oktoberfestattentats und angesichts der Tatsache, dass mindestens ein Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann seine V-Mann-Eigenschaft schon vor
Jahren öffentlich gemacht habe, nicht hinzunehmen. Es bestehe die Möglichkeit, die Antworten nach der Geheimschutzordnung einzustufen,
vgl. Schreiben vom 4. März 2015, Anlage 8.
Das Bundesministerium des Innern antwortete hierauf für die Antragsgegnerin
mit Schreiben vom 19. März 2015. Darin hielt die Antragsgegnerin an ihrer
Weigerung fest, die Fragen der Antragstellerin zu 2 weitergehend zu beantworten. Teile der Begründung stimmen wörtlich mit Teilen des oben zusam-
- 14 mengefassten Schreibens an die Antragstellerin zu 1 vom 7. April 2015 überein. Darüber hinaus heißt es, eine nähere Aufgliederung der Quellenmeldungen würde dazu führen, dass taktische Verfahrensabläufe offenbar würden
und die künftige verdeckte Informationsbeschaffung empfindlich beeinträchtigt
wäre. Die Beantwortung der Fragen zu menschlichen Quellen der Sicherheitsbehörden könne zu einer Offenlegung von deren Identität und damit zu Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit dieser Personen führen,
vgl. Schreiben vom 19. März 2015, Anlage 9.
- 15 B. Zulässigkeit der Anträge
Die Anträge sind zulässig. Die Antragstellerinnen rügen hinsichtlich der jeweils
von ihnen selbst gestellten Kleinen Anfrage sowohl eine Verletzung eigener
Rechte als auch eine Verletzung von Rechten des Bundestages. Diese Verletzung liegt darin, dass die Antragsgegnerin die hier umstrittenen Fragen unzureichend beantwortet hat. Hinsichtlich der von der jeweils anderen Antragstellerin gestellten Kleinen Anfrage machen die Antragstellerinnen allein
Rechte des Bundestages geltend.
I. Rügen hinsichtlich der von den Antragstellerinnen jeweils selbst gestellten Kleinen Anfragen
Die Antragstellerinnen sind als Fraktionen des Deutschen Bundestages im Organstreitverfahren gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG parteifähig, da sie in der
Geschäftsordnung mit eigenen Rechten ausgestattet werden,
vgl. etwa BVerfGE 90, 286 (336); 124, 161 (187).
Die Weigerung der Antragsgegnerin, die hier umstrittenen Teile der Kleinen
Anfragen der Antragstellerinnen zu beantworten, ist tauglicher Antragsgegenstand im Organstreitverfahren. Dabei kommt es nicht darauf an, ob hierin ein
Tun oder ein Unterlassen zu sehen ist,
vgl. BVerfG, Urteil vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, Rn. 106.
Die Antragstellerinnen sind hinsichtlich der jeweils von ihnen selbst gestellten
Kleinen Anfrage in zweierlei Hinsicht antragsbefugt:
Erstens machen sie eigene Rechte geltend. Als Fraktionen des Deutschen
Bundestages steht ihnen gegenüber der Bundesregierung ein eigenes Informationsrecht zu, das sich aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 2 GG
herleitet und ihnen dazu dient, den für die parlamentarische Arbeit erforderlichen Informationsstand zu erhalten,
vgl. BVerfGE 124, 161 (187).
Zweitens rügen die Antragstellerinnen eine Verletzung der Rechte des Deutschen Bundestages. Eine unzureichende Antwort der Bundesregierung auf
eine parlamentarische Anfrage beeinträchtigt die Arbeitsfähigkeit des Parlaments insgesamt und verletzt daher ein eigenes Recht des Bundestages aus
Art. 20 Abs. 2 GG,
vgl. BVerfGE 124, 161 (187).
- 16 Die Antragstellerinnen sind zu einer Geltendmachung dieser Rechte als Teile
des Bundestages im Wege der Prozessstandschaft nach § 64 Abs. 1 BVerfGG
befugt.
Die Antragsfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG ist für beide Anträge gewahrt. Die
Antragstellerin zu 1 hat die Antwort der Antragsgegnerin auf ihre Kleine Anfrage am 21. November 2014 erhalten, so dass die Antragsfrist mit Ablauf des
21. Mai 2015 endet. Hinsichtlich der Kleinen Anfrage der Antragstellerin zu 2
endet die Frist mit Ablauf des 5. August 2015.
II. Rügen hinsichtlich der von der jeweils anderen Antragstellerin gestellten Kleinen Anfragen
Die Antragstellerinnen rügen hinsichtlich der Kleinen Anfragen der jeweils anderen Antragstellerin gemäß § 64 Abs. 1 BVerfGG eine Verletzung des Informationsrechts des Deutschen Bundestages, das sich aus Art. 20 Abs. 2 GG
ergibt.
Der Antragsbefugnis der Antragstellerinnen steht insoweit nicht entgegen,
dass sie an der jeweils anderen Kleinen Anfrage nicht beteiligt waren. Sie können in der Folge zwar nicht rügen, dass die Antragsgegnerin ihre eigenen
Rechte als Bundestagsfraktionen verletzt hat. Wohl aber können sie Rechte
des Bundestages prozessstandschaftlich geltend machen. Für die in § 64
Abs. 1 BVerfGG geregelte Prozessstandschaft kommt es auf die Frage, ob
auch ein eigenes Recht des Antragstellers verletzt sein kann, gerade nicht an,
vgl. BVerfGE 124, 78 (106).
Auch ein Rechtsschutzbedürfnis kann den Antragstellerinnen nicht deshalb
abgesprochen werden, weil sie sich an den Kleinen Anfragen der jeweils anderen Antragstellerin nicht beteiligt haben.
Wenn eine unzureichende Antwort auf eine parlamentarische Anfrage gerade
nicht nur die anfragenden Abgeordneten oder Fraktionen in ihren Rechten verletzt, sondern auch den Bundestag selbst, so muss es dem Bundestag möglich
sein, gegen diese Rechtsverletzung vorzugehen. Bereits ein denkbares Organstreitverfahren des gesamten Bundestages würde jedoch überwiegend
von Abgeordneten getragen, die an der umstrittenen Anfrage nicht beteiligt
waren. Denn parlamentarische Anfragen stammen in aller Regel von einer einzelnen Bundestagsfraktion oder von einzelnen Abgeordneten. Gleichwohl
könnte einem solchen Antrag des gesamten Bundestages nicht entgegengehalten werden, dass ein Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Denn Gegenstand des
- 17 Antrags wären Rechte des Bundestages und nicht Rechte der einzelnen Fraktionen oder Abgeordneten.
Nicht anders kann der vorliegende Fall beurteilt werden, in dem eine Fraktion
prozessstandschaftlich rügt, dass das Informationsrecht des Bundestags verletzt wurde. Eine gesetzlich vorgesehene Prozessstandschaft ermächtigt bestimmte Personen oder Stellen gerade dazu, bestimmte fremde Rechte gerichtlich geltend zu machen, ohne dass es auf ihre eigenen Interessen und
Motive ankäme. Die gesetzliche Regelung beruht vielmehr auf der Annahme,
dass eine solche Geltendmachung prinzipiell geeignet ist, das fremde Recht
wirksam durchzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat dementsprechend in anderen Zusammenhängen bereits entschieden, dass eine Bundestagsfraktion Rechte des Bundestages gegen eine Maßnahme der Bundesregierung auch dann im Organstreitverfahren verteidigen kann, wenn sie zuvor
nicht parlamentarisch tätig geworden ist, um die gerügte Rechtsverletzung abzuwenden,
vgl. BVerfGE 68, 1 (77 f.); 90, 286 (338 ff.).
Eine Ausnahme mag allenfalls dann angezeigt sein, wenn eine Bundestagsfraktion mit einem solchen Antrag gegen den Willen der Abgeordneten oder
Fraktionen handelt, an welche die gerügte Maßnahme der Bundesregierung
unmittelbar adressiert war,
vgl. zu der insoweit ansatzweise vergleichbaren verfassungsprozessualen Stellung der sogenannten Fraktion im Untersuchungsausschuss BVerfGE 105, 197 (220 f.); 124, 161 (107 f.).
Ein solcher Fall steht hier jedoch angesichts des gemeinsamen Vorgehens
beider Antragstellerinnen nicht in Rede.
Dass es widersinnig wäre, den Antragstellerinnen hinsichtlich der von der jeweils anderen Antragstellerin gestellten Kleinen Anfragen ein Rechtsschutzbedürfnis abzusprechen, zeigt sich an der Überlegung, was sie dann unternehmen könnten, um das Antwortverhalten der Antragsgegnerin vom Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen: Die Antragstellerinnen könnten
neue Kleine Anfragen an die Antragsgegnerin richten, in denen sie die Fragen
der jeweils anderen Antragstellerin wiederholten. Nach den hier umstrittenen
Antworten der Antragsgegnerin steht praktisch fest, dass auch diese Fragen
unbeantwortet bleiben würden. Hiergegen könnten die Antragstellerinnen
dann das Bundesverfassungsgericht anrufen. Es wäre bloßer Formalismus,
ihnen dies abzuverlangen,
- 18 vgl. zur Bedeutung verfahrensökonomischer Gesichtspunkte bei
der Beurteilung des Rechtsschutzbedürfnisses BVerfGE 68, 1 (78).
Lediglich hilfsweise für den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht gleichwohl die Anträge für unzulässig hält, soweit sie die Kleinen Anfragen der jeweils anderen Antragstellerin zum Gegenstand haben, treten die Antragstellerinnen den Anträgen der jeweils anderen Antragstellerin gemäß § 65 Abs. 1
BVerfGG bei. Die mit diesen Anträgen begehrten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind für die Abgrenzung der Zuständigkeiten der Antragstellerinnen von Bedeutung, da diese jederzeit die gleichen Fragen an die
Antragsgegnerin richten könnten und da beide Antragstellerinnen ein inhaltlich
gleichläufiges Interesse daran verbindet, dass die Hintergründe des Oktoberfestattentats und die Rolle der deutschen Sicherheitsbehörden aufgeklärt werden.
- 19 C. Begründetheit der Anträge
Die Anträge sind begründet, da die Weigerung der Antragsgegnerin, die beiden Kleinen Anfragen vollständig zu beantworten, die Antragstellerinnen und
den Deutschen Bundestag in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und
Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt. Aus diesen Normen ergibt sich für den Deutschen Bundestag und die darin vertretenen Fraktionen gegenüber der Bundesregierung ein Frage- und Informationsrecht, dem grundsätzlich eine Antwortpflicht der Bundesregierung entspricht. Die Antragsgegnerin hat sich gegenüber den beiden Kleinen Anfragen ohne hinreichende Begründung und
materiell zu Unrecht auf Ausnahmetatbestände von dieser Antwortpflicht berufen.
Im Folgenden werden zunächst die verfassungsrechtlichen Maßstäbe dargestellt, nach denen sich die Antragsgegnerin gegenüber den Kleinen Anfragen
richten musste (unten I). Anschließend wird dargelegt, dass die Antragsgegnerin nach diesen Maßstäben das Informationsrecht der Antragstellerinnen
und des Deutschen Bundestages verletzt hat, indem sie sich weigerte, die
Kleinen Anfragen zu beantworten (unten II).
I. Verfassungsrechtliche Maßstäbe
1. Grundsätzliches Informationsrecht des Bundestages
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht folgt aus
Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG ein Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages, dem grundsätzlich eine Antwortpflicht
der Bundesregierung entspricht. An diesem Informationsrecht haben die Fraktionen teil. Zur Begründung des Informationsrechts verweist das Bundesverfassungsgericht auf die Erforderlichkeit von Regierungsinformationen für eine
sachgerechte parlamentarische Arbeit, auf die Kontrollfunktion des Bundestages und auf die demokratische Legitimation der Regierung durch ihre Verantwortlichkeit gegenüber dem unmittelbar demokratisch legitimierten Parlament,
vgl. zuletzt BVerfG, Urteil vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -,
Rn. 130 ff.
Zudem steht das Informationsrecht des Bundestages in einem Funktionszusammenhang zu der Parlamentsöffentlichkeit, die Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG
vorsieht. Parlamentarische Fragen und gubernative Antworten eröffnen den
Bürgerinnen und Bürgern einen Einblick, wie der Bundestag seine Aufgabe
- 20 wahrnimmt, die Regierung zu kontrollieren. Sie ermöglichen so eine unmittelbare Kontrolle des Parlaments und eine mittelbare Kontrolle der Bundesregierung durch das Volk,
in diese Richtung BVerfG, Urteil vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11
-, Rn. 197, 201.
Schließlich trägt das Informationsrecht des Bundestages auch dazu bei, eine
demokratische Öffentlichkeit über Vorgänge im Verantwortungsbereich der
Bundesregierung herzustellen,
ähnlich Wolff, JZ 2010, S. 173 (175).
Denn da die Antworten der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen
grundsätzlich öffentlich ergehen, können sie der politischen Auseinandersetzung auch außerhalb des Parlaments Impulse geben. Insbesondere Fragen,
die mit kritischer Stoßrichtung gestellt werden, und die Antworten darauf können ein Gegengewicht zur amtlichen Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung bilden und alternative Perspektiven auf politisch bedeutsame Vorgänge
eröffnen. Fragen und Antworten können gesellschaftlichen Beteiligten der öffentlichen Auseinandersetzung wie den Massenmedien als Informationsquelle
und als Anlass zu eigenen Recherchen dienen.
Das Informationsrecht des Bundestages erstreckt sich dabei so weit wie der
Verantwortungsbereich der Bundesregierung reicht. Insbesondere zur Kontrolle der Landesregierungen und der ihnen nachgeordneten Landesbehörden
ist der Bundestag nicht berufen. Fragen zum Kenntnisstand der Bundesregierung über Vorgänge auf Landesebene betreffen hingegen den Verantwortungsbereich der Bundesregierung und sind vom Informationsrecht des Bundestages umfasst. Dies gilt insbesondere für die Kenntnisse der Bundesregierung über die Sicherheitsbehörden der Länder, weil das Bundeskriminalamt
und das Bundesamt für Verfassungsschutz die Zusammenarbeit von Bund
und Ländern in den Bereichen Kriminalpolizei und Verfassungsschutz koordinieren und so Bundes- und Landesebene miteinander verklammern,
vgl. zum Verfassungsschutz BVerfGE 124, 161 (196 f.).
Die Kleine Anfrage der Antragstellerin zu 1 unterfiel daher auch insoweit dem
Informationsrecht des Bundestages, als sie den Kenntnisstand der Bundesregierung darüber erfragte, ob Heinz Lembke V-Mann von Sicherheitsbehörden
der Länder war. Gleiches gilt für die Kleine Anfrage der Antragstellerin zu 2,
soweit sie sich in den Fragen 15, 20 und 28-31 auf Quellenmeldungen und
V-Leute der Landesämter für Verfassungsschutz richtete.
- 21 2. Grenzen des parlamentarischen Informationsrechts
Das parlamentarische Informationsrecht unterliegt Grenzen, die sich aus gegenläufigen Belangen von hinreichendem Gewicht ergeben. Für die vorliegenden Anträge sind zum einen der Schutz der Arbeitsfähigkeit der Sicherheitsbehörden als Bestandteil des Staatswohls, zum anderen grundrechtliche Abwehrrechte und Schutzpflichten bedeutsam. Irrelevant ist hier hingegen der
Schutz des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung, der aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz abgeleitet wird.
a) Staatswohl als möglicher gegenläufiger Belang
Eine Grenze des Informationsrechts des Bundestages bildet das Staatswohl,
das gefährdet sein kann, wenn geheimhaltungsbedürftige Informationen bekannt werden,
BVerfGE 67, 100 (134 ff.); 124, 78 (123); BVerfG, Urteil vom 21.
Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, Rn. 150.
Das Staatswohl umfasst die Arbeitsfähigkeit der Sicherheitsbehörden von
Bund und Ländern. Insbesondere kann das Staatswohl gefährdet sein, wenn
Informationen darüber nach außen dringen, welche Aufklärungsstrategien die
Sicherheitsbehörden ihrer Arbeit zugrunde legen, wie sie ihre Ermittlungsbefugnisse taktisch einsetzen und welche konkreten Ermittlungsziele im Einzelfall sie mit welchen Mitteln verfolgen. Denn wenn solche Informationen bekannt werden, kann dies dazu führen, dass sicherheitsbehördliche Ermittlungen im Einzelfall oder sogar generell erfolglos bleiben.
Die Ermittlungstätigkeit der Sicherheitsbehörden leidet jedoch nicht zwangsläufig und stets, wenn Informationen über diese Tätigkeit bekannt werden. Hier
wie auch sonst darf eine Gefährdung des Staatswohls nicht vorschnell angenommen werden; ansonsten drohte die gleichfalls zum Staatswohl zu zählende Funktionsfähigkeit des Bundestags ohne hinreichenden Grund beschränkt zu werden.
Ob ein Informationsbegehren die Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden
gefährden kann, kann vielmehr nur mit Blick auf die konkret begehrten Informationen beurteilt werden,
vgl. BVerfGE 124, 161 (193 f.).
Selbst wenn eine parlamentarische Anfrage auf Informationen zielt, deren Bekanntwerden die Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden beeinträchtigen
- 22 kann, ist damit zudem noch nicht gesagt, dass die Bundesregierung eine Antwort verweigern darf. In einem solchen Fall sind vielmehr das Informationsinteresse des Bundestages und das gegenläufige Geheimhaltungsinteresse der
Bundesregierung in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei ist zu
beachten, dass das Staatswohl nicht allein der Bundesregierung, sondern
auch dem Bundestag anvertraut ist,
vgl. BVerfGE 124, 78 (124); BVerfG, Urteil vom 21. Oktober 2014 2 BvE 5/11 -, Rn. 150.
Ob und inwieweit die Bundesregierung ausnahmsweise die Antwort auf eine
parlamentarische Anfrage über die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden wegen
einer möglichen Gefährdung des Staatswohls verweigern darf, richtet sich wiederum nach den Umständen des Einzelfalls,
vgl. BVerfGE 124, 161 (189, 195).
Damit besteht keine Bereichsausnahme von dem parlamentarischen Informationsrecht zugunsten der Sicherheitsbehörden. Auch eine abstrakt-generelle
Regel über die Reichweite des parlamentarischen Informationsrechts, wie sie
das Bundesverfassungsgericht kürzlich für Informationen über die Genehmigung von Rüstungsexporten aufgestellt hat,
vgl. BVerfG, Urteil vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, Rn. 158 ff.,
lässt sich hier nicht bilden.
Um zu untersuchen, ob und inwieweit die Bundesregierung ein parlamentarisches Informationsbegehren erfüllen muss, das die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden zum Gegenstand hat, ist vielmehr eine zweistufige Prüfung angezeigt, in die alle relevanten Umstände des Einzelfalls einzustellen sind.
Auf der ersten Prüfungsstufe ist zu untersuchen, ob überhaupt Anhaltspunkte
dafür bestehen, dass die Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden beeinträchtigt werden kann, wenn die begehrte Information bekannt wird.
Nur wenn eine Gefährdung des Staatswohls überhaupt vorliegt, sind auf der
zweiten Prüfungsstufe das parlamentarische Informationsinteresse und das
gegenläufige Interesse an einer effektiven Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden einander zuzuordnen.
Auf beiden Prüfungsstufen ist die Einschätzung der Bundesregierung gerichtlich voll überprüfbar, da sie anderenfalls über ihre verfassungsrechtliche Auskunftspflicht disponieren könnte,
Glauben, LKRZ 2015, S. 129 (133).
- 23 aa) Gefährdung der sicherheitsbehördlichen Aufgabenerfüllung
Auf der ersten Prüfungsstufe ist zu klären, ob an den Informationen, die mit
einer parlamentarischen Anfrage begehrt werden, ein Geheimhaltungsinteresse besteht, weil ihr Bekanntwerden die Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden beeinträchtigen kann. Trennscharfe Kriterien hierfür finden sich in
der Rechtsprechung bislang nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat für die
Nachrichtendienste eine Formulierung der Bundesregierung aufgegriffen und
auf Informationen über „Einzelheiten zu Arbeitsweisen, Strategien, Methoden
und Erkenntnisstand“ verwiesen, deren Offenlegung die „Arbeitsfähigkeit und
Aufgabenerfüllung gefährdete“,
BVerfGE 124, 161 (194).
Die vorliegenden Anträge bieten Anlass, diese Formulierung zu konkretisieren.
Hierzu können auf der Grundlage eines allgemeinen Prüfungsansatzes Fallgruppen gebildet werden, um präzisere Kriterien für die Sensibilität von Informationen über die Sicherheitsbehörden zu entwickeln.
Im Ausgangspunkt kommt es für die Prüfung darauf an, den möglichen Erkenntniswert der begehrten Informationen prognostisch zu beurteilen. An Informationen über die Sicherheitsbehörden besteht ein Geheimhaltungsinteresse, wenn Anhaltspunkte dafür sprechen, dass bestimmte Personen diese
Informationen zum Nachteil der Sicherheitsbehörden einsetzen können. Anders gewendet kommt es darauf an, ob sich durch die Informationen die Handlungsmöglichkeiten dieser Personen zum Nachteil der Sicherheitsbehörden
signifikant erweitern. Ein derartiger Erkenntniswert kann Informationen über
die Sicherheitsbehörden insbesondere in zwei Fallgruppen zukommen.
(1) Einzelfallübergreifende Rückschlüsse auf die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden
Erstens kann eine parlamentarische Anfrage auf Informationen gerichtet sein,
aus denen sich einzelfallübergreifende Rückschlüsse auf Aufklärungsstrategien und ermittlungstaktische Ansätze von Sicherheitsbehörden ziehen lassen. Die Aufklärungstätigkeit der Sicherheitsbehörden wird hierdurch dann gefährdet, wenn diese Rückschlüsse Zielpersonen ermöglichen können, sich der
Aufklärung zu entziehen.
Dies ist allerdings nicht automatisch immer dann zu besorgen, wenn ein parlamentarisches Informationsbegehren überhaupt auf die Arbeitsweise der Si-
- 24 cherheitsbehörden abzielt. In einem demokratischen Rechtsstaat kann vielmehr auch die verdeckte Aufklärungstätigkeit der Sicherheitsbehörden nicht
vollständig im Dunkeln bleiben.
Bestimmte Informationen über die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden müssen
ohnehin unabhängig von parlamentarischen Anfragen amtlich veröffentlicht
werden. Insbesondere müssen die Befugnisse der Sicherheitsbehörden zu
Grundrechtseingriffen in formellen Gesetzen geregelt werden, die dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz genügen müssen. Diese verfassungsrechtliche Vorgabe wird nicht etwa durch gegenläufige Geheimhaltungsinteressen relativiert. Vielmehr errichtet der Bestimmtheitsgrundsatz gerade an Ermittlungsermächtigungen für die Sicherheitsbehörden hohe Anforderungen,
vgl. etwa BVerfGE 110, 33 (53 ff.); 113, 348 (375 ff.); 120, 274
(316 f.).
Aus den gesetzlichen Ermächtigungen lassen sich allgemeine Rückschlüsse
darauf ziehen, welche Ermittlungsmethoden die Sicherheitsbehörden aus welchen Anlässen und zu welchen Zielen einsetzen können. Geht für die Zielpersonen der Sicherheitsbehörden der Erkenntniswert der Informationen, die mit
einer parlamentarischen Anfrage begehrt werden, nicht wesentlich darüber
hinaus, dass von den gesetzlichen Ermächtigungen tatsächlich Gebrauch gemacht wird, so besteht von vornherein kein Geheimhaltungsinteresse.
Andere Informationen über die Sicherheitsbehörden werden von gesellschaftlichen Stellen publik gemacht, die hierbei von grundrechtlich geschützten Freiheiten Gebrauch machen.
So gibt es wissenschaftliche Studien über verdeckte Informationserhebungen
bestimmter Sicherheitsbehörden; beispielhaft sei die kriminologische Forschung über den Einsatz von V-Leuten zur Aufklärung von Strukturen der organisierten Kriminalität genannt,
vgl. aus jüngerer Zeit etwa Doka, Die Kontrolle von Vertrauenspersonen im Strafprozess, 2008; Jahnes, Initiativermittlungen im Bereich der Organisierten Kriminalität, 2010.
Auch aus journalistischen Veröffentlichungen lassen sich Erkenntnisse über
Strategien und Methoden der verdeckten Informationserhebung gewinnen.
Zielt ein parlamentarisches Informationsbegehren lediglich auf Informationen,
die im Wesentlichen das bereits Bekannte nochmals wiederholen und bestätigen, so kann dies das Staatswohl zumindest in der Regel nicht (zusätzlich)
gefährden,
- 25 ansatzweise wie hier Wolff, JZ 2010, S. 173 (177).
Eine solche Gefährdung ist vielmehr erst dann anzunehmen, wenn die begehrten Informationen spezifische neue Schlüsse auf die Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden ermöglichen, aus denen sich für die Zielpersonen dieser Behörden spezifische neue Vermeidungsmöglichkeiten ergeben. Die Vermeidungsmöglichkeiten müssen über allgemeine Vorsichtsmaßnahmen hinausgehen, die auch ohne besondere Kenntnisse über die Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden nahe lägen.
(2) Informationen über die sicherheitsbehördliche Tätigkeit im Einzelfall
Zweitens kann eine parlamentarische Anfrage Informationen über die Tätigkeit
einer oder mehrerer Sicherheitsbehörden in einem konkreten Einzelfall zum
Gegenstand haben. Werden solche Informationen bekannt, so kann dies insbesondere dazu führen, dass bestimmte Zielpersonen gewarnt werden und
eine (weitere) Aufklärung durch Gegenmaßnahmen vereiteln.
Jedoch besteht auch eine solche Verdunkelungsgefahr nicht ohne weiteres,
wenn Informationen über die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden im Einzelfall
bekannt werden. Vielmehr ist wiederum der Erkenntniswert der Informationen
zu würdigen, die Gegenstand des Informationsbegehrens sind. Bedeutsam ist
hierfür vor allem der Stand der betroffenen sicherheitsbehördlichen Aufklärungstätigkeit,
ansatzweise wie hier BVerfGE 124, 161 (194).
Zumindest in vielen Fällen sensibel sind Informationen über laufende sicherheitsbehördliche Verfahren. Parlamentarische Anfragen, die solche Informationen zum Gegenstand haben, werden daher oftmals Geheimhaltungsinteressen berühren.
Hingegen versteht sich ein Geheimhaltungsinteresse nicht von selbst, wenn
ein Informationsbegehren eine beendete sicherheitsbehördliche Aufklärungstätigkeit zum Gegenstand hat. Denn diese Tätigkeit kann nicht mehr behindert werden, wenn die begehrte Information bekannt wird,
vgl. BVerfGE 124, 161 (194), wonach sich „bei zeitlich weit zurückliegenden Vorgängen die Geheimhaltungsbedürftigkeit erheblich
vermindert oder gar vollständig verflüchtigt haben“ kann.
Ein denkbares Interesse der Sicherheitsbehörden, dass abgeschlossene
Sachverhalte als solche unbekannt bleiben – etwa weil ansonsten Fehleinschätzungen oder gar ein rechtswidriges Handeln zutage treten könnten –,
- 26 unterfällt nicht dem Staatswohl. Im Gegenteil besteht ein besonders gewichtiges parlamentarisches Informationsinteresse daran, Missstände im Verantwortungsbereich der Bundesregierung aufzuklären,
vgl. BVerfGE 124, 78 (123).
Allerdings ist möglich, dass sich aus Informationen über abgeschlossene Vorgänge Rückschlüsse auf laufende oder zukünftige sicherheitsbehördliche Verfahren ziehen lassen. In der Folge kann ein Geheimhaltungsinteresse bestehen, das mit dem Informationsinteresse des Bundestages kollidiert. Insoweit
lassen sich zwei Fallkonstellationen unterscheiden:
Zum einen können Ziel, Gegenstand oder Ergebnisse eines abgeschlossenen
Verfahrens für die Sicherheitsbehörden weiterhin bedeutsam sein. So kann an
bestimmten Personen oder Gruppierungen ein fortwirkendes Aufklärungsinteresse bestehen, oder bestimmte Informationsquellen sollen erhalten werden,
um sie später wieder nutzen zu können. Ein Geheimhaltungsinteresse besteht
jedoch nicht schon dann, wenn überhaupt möglich erscheint, dass irgendwann
einmal neue Ermittlungen an frühere Erkenntnisse anschließen könnten oder
dass das abgeschlossene Verfahren sonst irgendeinen Zusammenhang zu
zukünftigen Verfahren aufweist. Dies wäre allenfalls bei rein historischen
Sachverhalten auszuschließen, deren Beteiligte mittlerweile sämtlich verstorben sind. Vielmehr müssen im Zeitpunkt einer parlamentarischen Anfrage positive Anhaltspunkte darauf hindeuten, dass die begehrten Informationen zukünftige Aufklärungsinteressen der Sicherheitsbehörden berühren können, die
sich zumindest grob konturiert abzeichnen.
Zum anderen können sich aus Informationen über ein abgeschlossenes Verfahren Erkenntnisse allgemeiner Art über die Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden gewinnen lassen. Diese Fallkonstellation unterfällt der oben erörterten
ersten Fallgruppe, in der ein Geheimhaltungsinteresse bestehen kann. Zu fordern ist somit wiederum, dass sich aus den begehrten Informationen spezifische neue Vermeidungsmöglichkeiten für die Zielpersonen der Sicherheitsbehörden ergeben können.
bb) Konkordanz von parlamentarischem Informationsrecht und Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden
Soweit eine parlamentarische Anfrage sensible Informationen über die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden zum Gegenstand hat, ist durch eine Abwägung
zu klären, ob, in welchem Umfang und in welcher Weise die Bundesregierung
die Anfrage gleichwohl beantworten muss.
- 27 Diese Abwägung kann durchaus ergeben, dass die Bundesregierung Informationen, an denen ein Geheimhaltungsinteresse besteht, gleichwohl vollständig
veröffentlichen muss. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn hierdurch
die Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden nur in geringem Maße beeinträchtigt wird, gleichzeitig aber das Informationsinteresse des Bundestags
schwer wiegt und nur durch eine öffentliche Bekanntgabe befriedigt werden
kann,
vgl. etwa zum Gewicht des Informationsinteresses bei Anfragen
über eine Beobachtung von Bundestagsabgeordneten durch Nachrichtendienste BVerfGE 124, 161 (195); zum Aufklärungsinteresse
der Öffentlichkeit als Abwägungsfaktor Wolff, JZ 2010, S. 173 (177).
In vielen Fällen wird es hingegen angezeigt sein, eine praktische Konkordanz
zwischen dem Informationsinteresse des Bundestages und dem gegenläufigen Geheimhaltungsinteresse herzustellen. Nur ausnahmsweise darf die Bundesregierung eine Antwort vollständig verweigern. Denn das Staatswohl ist der
Bundesregierung und dem Bundestag gemeinsam anvertraut. Das Parlament
kann daher nicht als Außenstehender behandelt werden, vor dem Informationen zum Schutz des Staatswohls geheimzuhalten sind. Die Bundesregierung
kann sich vielmehr grundsätzlich nicht auf das Staatswohl berufen, um Informationen zurückzuhalten, wenn der Bundestag hinreichende Vorkehrungen
dagegen trifft, dass diese Informationen bekannt werden,
BVerfG, Urteil vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, Rn. 150; zu
parlamentarischen Untersuchungsausschüssen ebenso BVerfGE
67, 100 (135 ff.); 124, 78 (123 ff.).
Für parlamentarische Anfragen, die sich auf die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden beziehen und sensible Informationen zum Gegenstand haben, folgt
daraus, dass die Bundesregierung die Informationen in der Regel zumindest
als Verschlusssache zur Verfügung stellen muss,
vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 2 Satz 1 der Geheimschutzordnung
des Deutschen Bundestages (Anlage 3 zur Geschäftsordnung des
Deutschen Bundestages).
Für Anfragen, die sich auf die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden beziehen,
kann dieser Lösung nicht entgegengehalten werden, dass sie die Arbeits- und
Funktionsweise des Bundestages zu verändern droht und die Öffentlichkeitsfunktion des Parlaments ausblendet. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar
in seinem Urteil zu parlamentarischen Anfragen über Rüstungsexporte aus
diesen Gesichtspunkten gefolgert, dass eine Information des Bundestages
- 28 nach Maßgabe der Geheimschutzordnung den Interessenkonflikt zwischen
dem parlamentarischen Informationsinteresse und dem gegenläufigen exekutiven Geheimhaltungsinteresse nicht auszugleichen vermag,
BVerfG, Urteil vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, Rn. 198 ff.
Diese Erwägungen stehen jedoch in dem Kontext der abstrakt-generellen Regel über die Reichweite des parlamentarischen Informationsrechts, die das
Bundesverfassungsgericht in diesem Urteil errichtet hat. Infolge dieser Regel
ließe sich im Bereich der Rüstungsexporte vorab abstrakt-generell angeben,
welche Informationen der Bundestag nur unter Geheimhaltung erhält. Insoweit
würde die Öffentlichkeit systematisch und nicht nur im Einzelfall ausgeschlossen. Dies mag als Funktionsstörung anzusehen sein, deretwegen diese Lösung in diesem Sachbereich ausscheidet.
Für parlamentarische Anfragen, die sich auf die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden beziehen, lässt sich hingegen eine derartige abstrakt-generelle Regel,
wie oben ausgeführt, gerade nicht aufstellen. Hier kommt es vielmehr darauf
an, die einzelne Anfrage umfassend zu würdigen. Im Einzelfall wird aber eine
Antwort unter Einstufung dem Informationsinteresse des Bundestages allemal
besser Rechnung tragen als die vollständige Verweigerung einer Antwort.
Zudem hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zu den Rüstungsexporten auch darauf abgestellt, dass der Wert einer Information unter Einstufung davon abhängt, ob die Information zur Vorbereitung von legislativen Maßnahmen oder zur Kontrolle der Bundesregierung begehrt wird,
BVerfG, Urteil vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, Rn. 202.
Auch wenn sich die konkreten Ziele einer parlamentarischen Anfrage nicht immer trennscharf im Voraus angeben lassen, liegt bei Informationen über die
Tätigkeit der Sicherheitsbehörden zumindest nahe, dass sie weitaus häufiger
in Gesetzgebungsverfahren genutzt werden können als Informationen über
Rüstungsexporte. Denn das Sicherheitsrecht des Bundes befindet sich seit
längerer Zeit in fast permanenter Reform, so dass vielfach die Gelegenheit
besteht, solche Informationen fruchtbar zu machen,
vgl. beispielhaft zur Gesetzgebungstätigkeit des Bundes im Sicherheitsrecht zwischen 2001 und 2013 den Überblick in dem Bericht
der Regierungskommission zur Überprüfung der Sicherheitsgesetzgebung in Deutschland, 2013, S. 16 ff. Dass die parlamentarische
- 29 Kontrolle insbesondere im Bereich der Nachrichtendienste schlagkräftig genug sein muss, um der Opposition Änderungsvorschläge
zu ermöglichen, hebt hervor Wolff JZ 2010, S. 173 (176).
Für parlamentarische Anfragen, die sich auf die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden beziehen, bleibt daher auch nach dem Urteil zu den Rüstungsexporten
der parlamentarische Geheimschutz ein taugliches Instrument, um die gegenläufigen Informations- und Geheimhaltungsinteressen auszugleichen,
so im Ansatz auch BVerfG, Urteil vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE
5/11 -, Rn. 200, unter Verweis auf BVerfGE 67,100 (135); 70, 324
(359); 124, 78 (124 f.).
Es wäre daher nicht nachvollziehbar, wenn das Bundesverfassungsgericht die
Grundsätze, die es erst im Jahr 2009 gerade auch mit Blick auf Informationen
über die Nachrichtendienste bestätigt hat, nunmehr entsprechend dem Urteil
zu den Rüstungsexporten relativieren würde.
b) Grundrechte als mögliche gegenläufige Belange
Wenn die Bundesregierung eine parlamentarische Anfrage beantwortet, ist sie
ebenso wie der anfragende Bundestag gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden. Auch aus Grundrechten kann sich im Einzelfall eine Grenze
des Informationsrechts des Bundestages ergeben,
BVerfG, Urteil vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, Rn. 154; vgl.
zu parlamentarischen Untersuchungsausschüssen BVerfGE 67,
100 (142); 124, 78 (125).
Für Informationsbegehren, die sich auf die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden
beziehen, sind insbesondere zwei Grundrechte in unterschiedlichen Gewährleistungsdimensionen bedeutsam.
Erstens kann einer Antwort das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1
Abs. 1 GG gewährleistete Recht auf informationelle Selbstbestimmung in seiner Ausprägung als Eingriffsabwehrrecht entgegenstehen,
vgl. BVerfGE 124, 78 (125).
Eine Antwort der Bundesregierung greift in dieses Grundrecht ein, wenn sie
sich auf bestimmte oder zumindest bestimmbare Personen bezieht,
vgl. etwa BVerfGE 65, 1 (42); 128, 1 (43).
Ob sich konkrete Personen als Betroffene der Antwort bestimmen lassen,
hängt vom Kontext der Anfrage und von weiteren Informationsquellen ab, mit
- 30 denen sich die Antwort verknüpfen lässt. Um den Schutzbereich des Rechts
auf informationelle Selbstbestimmung nicht ausufern zu lassen, sollte allerdings die bloße theoretische Möglichkeit außer Betracht bleiben, dass die Antwort mit irgendwelchen anderen Informationen verkettet wird, über die irgendjemand verfügt. Würde auf diese Weise das gesamte Weltwissen herangezogen, um den Personenbezug zu bestimmen, so wäre annähernd jede Antwort
auf jede parlamentarische Anfrage personenbezogen. Angezeigt erscheint
vielmehr eine Risikoabschätzung. Danach ist für den Personenbezug bedeutsam, welche Verknüpfungsmöglichkeiten realistischerweise – wenn auch
eventuell nur mit geringer Wahrscheinlichkeit – bei Dritten zu erwarten sind,
die ein Interesse daran haben, einen Personenbezug herzustellen,
vgl. zu der Diskussion um den Personenbezug von Daten im einfachen Datenschutzrecht im Überblick Dammann, in: Simitis, BDSG,
8. Aufl. 2014, § 3 Rn. 23 ff.; Schild, in: Wolff/Brink, Datenschutzrecht
in Bund und Ländern, 2013, § 3 BDSG Rn. 19 ff.
Soweit die begehrten Informationen einen Personenbezug aufweisen und ihre
Kundgabe daher in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreift,
ist die (verbleibende) Reichweite des parlamentarischen Informationsrechts
durch eine Abwägung zu ermitteln. Diese Abwägung kann dazu führen, dass
das Interesse an einer öffentlichen Erörterung des Gegenstands der Anfrage
sich gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durchsetzt, so
dass auch personenbezogene Informationen unbeschränkt mitzuteilen sind.
Im Übrigen kann eine Antwort unter Einstufung ausreichen, um das Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen zu wahren,
vgl. zur Beweiserhebung von Untersuchungsausschüssen
BVerfGE 124, 78 (125 f.); zum Landesverfassungsrecht Glauben, LKRZ 2015, S. 129 (133).
Der Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung endet im Übrigen mit dem Tod des Betroffenen. Zugunsten Verstorbener kann lediglich das
aus Art. 1 Abs. 1 GG herzuleitende postmortale Persönlichkeitsrecht greifen,
das allerdings nur vor groben Herabwürdigungen und Entstellungen schützt,
die bei einer wahrheitsgemäßen Antwort auf eine parlamentarische Anfrage in
aller Regel nicht zu erwarten sind,
vgl. zu Herleitung und Schutzgehalt des postmortalen Persönlichkeitsrechts BVerfGE 30, 173 (194); aus der späteren Kammerrecht-
- 31 sprechung etwa BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 5. April 2001 - 1 BvR 932/94 -, Rn. 18 ff.; vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 1533/07 -, Rn. 8 f.
Zweitens kann die Bundesregierung aus Art. 2 Abs. 2 GG eine Pflicht zum
Schutz von Leib, Leben und Freiheit bestimmter Personen treffen, die einer
Antwort auf ein parlamentarisches Informationsbegehren entgegenstehen
kann. Insbesondere können Angaben über Bedienstete oder Informanten von
Sicherheitsbehörden vertraulich sein, wenn Gewalthandlungen von Zielpersonen der Sicherheitsbehörden gegen solche Personen zu besorgen sind,
Wolff, JZ 2010, S. 173 (177); Warg, NVwZ 2014, S. 1263 (1267).
Allerdings entsteht eine solche Schutzpflicht nur, wenn sich aus den begehrten
Informationen eine zumindest ansatzweise konturierte Gefährdungslage für
bestimmte Personen ergeben kann. Dies setzt in der Regel wiederum voraus,
dass sich die Informationen auf bestimmte Personen beziehen lassen. Insoweit gelten dieselben Grundsätze wie für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Bei Informationen, die sich unmittelbar auf bestimmte Personen beziehen,
rechtfertigt es die grundrechtliche Schutzpflicht in der Regel, diese Informationen vollständig zurückzuhalten, wenn ansonsten eine Gefahr für Leib, Leben
oder Freiheit bestünde,
Warg, NVwZ 2014, S. 1263 (1267).
Kann hingegen bloß nicht ausgeschlossen werden, dass sich bestimmte Informationen mit Zusatzwissen auf einzelne Personen beziehen lassen, so ist eine
einzelfallbezogene Abwägung mit dem Informationsinteresse des Bundestages erforderlich. Ein lediglich geringes Risiko einer Deanonymisierung kann
hinreichend abgeschirmt werden, indem die Informationen dem Bundestag unter Einstufung zur Verfügung gestellt werden.
c) Keine Relevanz des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung
Ohne Bedeutung als Grenze des parlamentarischen Informationsrechts ist hier
schließlich das Gewaltenteilungsprinzip mit dem daraus abgeleiteten Schutz
des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung. Dies gilt auch dann, wenn
mit der Antragsgegnerin davon ausgegangen wird, dass vollständige Antworten auf die Kleinen Anfragen Rückschlüsse auf die gegenwärtige Arbeitsweise
der Nachrichtendienste des Bundes ermöglicht hätten.
- 32 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bildet
der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung eine verfassungsrechtliche
Grenze des parlamentarischen Informationsrechts. Zu diesem Kernbereich
gehört vor allem die interne Willensbildung der Regierung. Eine Informationspflicht der Regierung besteht insbesondere nicht, wenn die Information zu einem „Mitregieren“ Dritter bei Entscheidungen führen kann, die in der alleinigen
Kompetenz der Regierung liegen,
BVerfGE 67, 100 (139); 110, 199 (214); 124, 78 (120); BVerfG, Urteil vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, Rn. 137.
Die Kleinen Anfragen bezogen sich hingegen auf die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder. Ihr unmittelbarer Gegenstand war damit die Verwaltung und nicht die Regierung. Eine vollständige Antwort hätte
über die Willensbildung der Regierung keinen Aufschluss gegeben. Allenfalls
mittelbar konnten sich die Anfragen auf diese Willensbildung auswirken, indem
sie etwa möglicherweise politischen Druck auf die Antragsgegnerin aufbauten,
nachgeordnete Behörden verstärkt zur Aufklärung des Oktoberfestattentats
anzuhalten oder den Einsatz von V-Leuten in rechtsextremistischen Kreisen
zu überdenken. Solche mittelbaren Auswirkungen parlamentarischer Anfragen
können den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung der Regierung nicht
berühren. Sie sind vielmehr legitime Ziele der parlamentarischen Kontrolle der
Regierung.
Nicht als Grenze des parlamentarischen Informationsrechts anzuerkennen ist
hingegen ein Schutz der exekutiven Eigenverantwortung von Verwaltungsbereichen, die wie die Sicherheitsbehörden des Bundes bestimmten Ressorts
der Bundesregierung nachgeordnet sind,
wie hier etwa Morlok, in: Dreier, GG, 2. Aufl. 2006, Art. 44 Rn. 27;
ähnlich für Art. 45 VvB blnVerfGH, Urteil vom 14. Juli 2010 - VerfGH
57/08 -, Rn. 100; implizit auch BVerfGE 124, 78 (140), wonach die
„administrativ-fachliche Aufbereitung sicherheitsrelevanter Themen“ nicht zum Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zählt.
Zwar gehört zur Exekutive neben der Regierung auch die Verwaltung. Parlamentarische Fragen, die an die Regierung gerichtet werden, können jedoch
die interne Willensbildung nachgeordneter Behörden nicht in vergleichbarer
Weise stören wie die Willensbildung der Regierung selbst. Denn diese Behörden sind dem Parlament – anders als die Regierung – nicht unmittelbar verantwortlich,
- 33 vgl. zur lediglich mittelbaren Kontrolle der Verwaltung durch das
Parlament etwa Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, 2. Aufl. 2012, § 6 Rn. 35
ff.
Parlamentarische Anfragen, welche unmittelbar Informationen über die Tätigkeit der Verwaltung zum Gegenstand haben, zielen vielmehr gleichwohl auf
die parlamentarische Verantwortung der Regierung als politischem Lenkungsorgan und Verwaltungsspitze. Könnte die Regierung die Antwort auf eine solche Anfrage mit der Begründung verweigern, die Anfrage berühre die exekutive Eigenverantwortung einer nachgeordneten Behörde, so könnte sie sich
ihrer parlamentarischen Verantwortung für diese Behörde weitgehend entziehen,
ähnlich Morlok, in: Dreier, GG, 2. Aufl. 2006, Art. 44 Rn. 27.
Zumindest sehr missverständlich war darum die Begründung einer Auskunftsverweigerung auf eine jüngere parlamentarische Anfrage, in der die Bundesregierung auf den Schutz eines „operativen Kernbereichs der Nachrichtendienste“ verwies,
BT-Drs. 18/2722, S. 3; ähnlich BT-Drs. 18/3984, S. 4.
Unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung ist ein solcher „operativer Kernbereich“, der parlamentarischen Informationsrechten generell entzogen wäre,
ebenso wenig anzuerkennen wie im Rahmen des Staatswohlvorbehalts. Die
Antragsgegnerin hat diese Formulierung – insoweit zu Recht – in ihren hier
umstrittenen Antworten nicht aufgegriffen. Sie hat sich auch ansonsten nicht
auf den Schutz des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung berufen.
3. Begründung einer Auskunftsverweigerung
Da die Bundesregierung grundsätzlich eine Informationspflicht trifft, muss sie
es begründen, wenn sie eine Antwort auf eine parlamentarische Anfrage verweigert. Die Begründung muss den Bundestag in die Lage versetzen, die Abwägung der betroffenen Belange nachzuvollziehen, die zu der Weigerung geführt hat,
BVerfGE 124, 161 (193); BVerfG, Urteil vom 21. Oktober 2014 - 2
BvE 5/11 -, Rn. 157.
Hierzu bedarf es in der Regel einzelfallbezogener Ausführungen, welche die
Geheimhaltungsgründe plausibel machen, die dem parlamentarischen Infor-
- 34 mationsbegehren konkret entgegenstehen. Eine lediglich pauschale und formelhafte Berufung auf solche Geheimhaltungsgründe genügt dem Begründungserfordernis nicht,
vgl. BVerfGE 124, 161 (194 f.); Warg, NVwZ 2014, S. 1263 (1264);
ferner aus der landesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung
etwa bayVerfGH, Entscheidung vom 6. Juni 2011 - Vf. 49-IVa-10 -,
NVwZ-RR 2011, S. 841 (843); hmbVerfG, Urteil vom 6. November
2013 - HVerfG 6/12 -, juris, Rn. 60; Urteil vom 28. November 2013
- HVerfG 1/13 -, unter B I 3 a.
Entbehrlich ist eine substanzhaltige Begründung der Antwortverweigerung nur
insoweit, als evident ist, dass bestimmte Informationen geheimhaltungsbedürftig sind,
BVerfGE 124, 161 (193); BVerfG, Urteil vom 21. Oktober 2014 - 2
BvE 5/11 -, Rn. 157.
II. Verletzung des parlamentarischen Informationsrechts durch die Antragsgegnerin
Nach diesen Maßstäben hat die Antragsgegnerin das Informationsrecht der
Antragstellerinnen und des Bundestages verletzt, indem sie die Antwort auf
die Kleinen Anfragen der Antragstellerinnen teilweise verweigert hat.
1. Die Kleine Anfrage der Antragstellerin zu 1 (Antrag zu I)
Die Bundesregierung hat die Antwort auf Frage 2. a) der Kleinen Anfrage der
Antragstellerin mit unzureichender Begründung verweigert. Eine solche Begründung war auch nicht entbehrlich, da für die begehrte Information kein evident überwiegendes Geheimhaltungsbedürfnis bestand. Vielmehr ist schon
nicht ersichtlich, dass das Bekanntwerden dieser Information überhaupt das
Staatswohl oder Grundrechte beeinträchtigen könnte. Jedenfalls wöge ein Geheimhaltungsinteresse nur gering und müsste in der gebotenen Abwägung
hinter das erhebliche Informationsinteresse des Bundestages zurücktreten.
a) Unzureichende Begründung der Antwortverweigerung
Die Begründung, mit der die Antragsgegnerin die Antwort auf Frage 2. a) der
Kleinen Anfrage verweigert hat, verfehlt die verfassungsrechtlichen Anforderungen. Es handelt sich um einen pauschalen Textbaustein, dem der gebotene
Einzelfallbezug fehlt.
Die Begründung ist zwar umfangreich, erschöpft sich aber in allgemeinen Formeln. Auf die konkrete Frage der Antragstellerin geht die Antragsgegnerin
- 35 praktisch nicht ein. In der Konsequenz ihrer Ausführungen sind vielmehr Informationen über die Ermittlungstätigkeit der Nachrichtendienste stets geheimhaltungsbedürftig und parlamentarische Anfragen hierzu nie zu beantworten.
Eine derartige Bereichsausnahme von dem parlamentarischen Informationsrecht zugunsten der Nachrichtendienste besteht jedoch gerade nicht.
Dass die Begründung, mit der die Antragsgegnerin eine Antwort verweigert
hat, keinerlei Einzelfallbezug aufweist, zeigt sich auch darin, dass die Antragsgegnerin praktisch wortlautgleiche Begründungen anderen parlamentarischen
Anfragen mit anderen Gegenständen entgegengehalten hat. Zu nennen ist zunächst die Kleine Anfrage der Antragstellerin zu 2, die Gegenstand des Antrags zu II ist. Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin auch eine Antwort auf
eine weitere Kleine Anfrage der Antragstellerin zu 2, die sich auf einen völlig
anderen Vorgang bezog (Ermittlungen gegen mutmaßliche rechtsterroristische Vereinigungen in den Jahren 2012 und 2013), mit praktisch derselben
Begründung verweigert,
vgl. BT-Drs. 18/4395, S. 5 f.
Darüber hinaus fällt gerade mit Blick auf die Kleine Anfrage der Antragstellerin
zu 1 auf, dass die Begründung teils nicht passt und teils unvollständig ist. Auch
hieran zeigt sich, dass die Antragsgegnerin den gebotenen Einzelfallbezug
nicht herstellt.
Die Begründung der Antragsgegnerin passt auf die Frage 2. a) insoweit nicht,
als die Antragsgegnerin das Erfordernis hervorhebt, Leben und körperliche
Unversehrtheit von V-Leuten der Nachrichtendienste zu schützen. Hierbei
handelt es sich zwar um einen Belang, der im Einzelfall einer Antwort auf eine
parlamentarische Anfrage entgegenstehen kann. Im vorliegenden Fall ist dieser Belang jedoch nicht berührt. Die Antragstellerin zu 1 hat ausschließlich
nach der V-Mann-Eigenschaft von Heinz Lembke gefragt, der bereits 1981
verstorben ist. Rückschlüsse auf noch lebende Personen hätten sich aus einer
Antwort nicht ziehen lassen. Auf eine allein denkbare Berührung des postmortalen Persönlichkeitsrechts von Heinz Lembke hat sich die Antragsgegnerin
nicht berufen; sie liegt auch fern.
Die Begründung, mit der die Antragsgegnerin die Antwort auf Frage 2. a) der
Kleinen Anfrage verweigert hat, ist darüber hinaus unvollständig. Die Antragstellerin zu 1 hat gefragt, ob Heinz Lembke nach Kenntnis der Antragsgegnerin
V-Mann einer Sicherheitsbehörde des Bundes oder eines Landes war. Diese
Frage umfasste auch Polizeibehörden, da insbesondere der polizeiliche
- 36 Staatsschutz bekanntermaßen in erheblichem Ausmaß auf V-Leute zurückgreift. Die Antragsgegnerin hat sich in ihrer Antwort demgegenüber allein auf
den Schutz der Arbeitsfähigkeit der Nachrichtendienste bezogen.
Ausführungen zu den Polizeibehörden waren auch nicht deshalb entbehrlich,
weil sie evident inhaltsgleich mit den Ausführungen zu den Nachrichtendiensten hätten ausfallen müssen. Es ist nicht offenkundig, dass die Arbeitsfähigkeit
von Polizeibehörden und von Nachrichtendiensten in der gleichen Weise und
im gleichen Ausmaß beeinträchtigt wird, wenn Informationen über ihre Ermittlungstätigkeit bekannt werden. Die Polizeibehörden haben im Vergleich mit
den Nachrichtendiensten enger begrenzte Aufgaben, denen engere und klarer
konturierte Ermittlungsinteressen und Ermittlungsermächtigungen entsprechen,
vgl. BVerfGE 133, 277 (324 ff.).
Es liegt darum zumindest nahe, dass sich einzelne Ermittlungsvorgänge von
Polizeibehörden präziser zuschneiden und abgrenzen lassen als dies bei
Nachrichtendiensten der Fall sein mag. Dementsprechend erscheint gerade
für die Polizeibehörden besonders begründungsbedürftig, warum eine punktuelle Information über einen einzelnen, lange zurückliegenden Vorgang die Arbeitsfähigkeit dieser Behörden für die Zukunft beeinträchtigen soll. Eine solche
Begründung hat die Antragsgegnerin nicht ansatzweise gegeben.
b) Kein ersichtliches Geheimhaltungsinteresse
Die formelhafte und unspezifische Begründung wäre verfassungsrechtlich nur
dann hinzunehmen, wenn Frage 2. a) der Kleinen Anfrage auf Informationen
gezielt hätte, die offenkundig geheimhaltungsbedürftig sind. Dies ist jedoch
nicht der Fall. Es liegt vielmehr nahe, dass die Frage das Staatswohl in seiner
Ausprägung als Schutz der Arbeitsfähigkeit der Sicherheitsbehörden überhaupt nicht berührte.
Eine Gefährdung der Ermittlungstätigkeit der Sicherheitsbehörden im konkreten Fall, also hinsichtlich des Oktoberfestattentats, liegt fern. Die Frage 2. a)
der Kleinen Anfrage zielte unmittelbar auf einen historischen Vorgang und auf
einen Verstorbenen. Selbst wenn deutsche Sicherheitsbehörden heute noch
oder wieder verdeckte Ermittlungen zu dem Anschlag durchführen sollten,
wäre nicht ersichtlich, inwieweit eine Enttarnung von Heinz Lembke als
V-Mann diese Ermittlungen gefährden könnte. Dass sich im Zusammenhang
mit dem Oktoberfestattentat auch Heinz Lembke und sein Umfeld im Blickfeld
der Sicherheitsbehörden befanden, ist seit langem bekannt. Die theoretische
- 37 Möglichkeit, dass eine Zielperson aktueller Ermittlungen diesen Umstand jahrelang ignoriert hat und erst durch eine Enttarnung von Heinz Lembke gewarnt
werden könnte, vermag ein Geheimhaltungsbedürfnis nicht zu begründen.
Denkbar wäre allenfalls, dass sich aus einer Antwort auf die Frage 2. a) der
Kleinen Anfrage Rückschlüsse allgemeiner Art auf die Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden ziehen ließen. Jedoch spricht auch unter diesem Gesichtspunkt nichts für eine Gefährdung des Staatswohls. Die Frage richtete sich
punktuell auf die V-Mann-Eigenschaft einer einzelnen Person. Aus einer negativen Antwort ließe sich schließen, dass die Sicherheitsbehörden kein Interesse daran hatten oder es ihnen nicht gelungen ist, Heinz Lembke als V-Mann
zu gewinnen. Allgemeinere Schlüsse auf die Ermittlungspraxis der Sicherheitsbehörden im Neonazimilieu der 1970er Jahre oder gar auf die heutige
Ermittlungspraxis wären nicht möglich. Einer positiven Antwort ließe sich möglicherweise über den einzelnen Vorgang hinaus entnehmen, dass deutsche
Sicherheitsbehörden in dieser Zeit V-Leute in diesem Milieu angeworben haben. Dass die Sicherheitsbehörden damals wie heute V-Leute in der Neonaziszene führen, ist jedoch ohnehin allgemein bekannt. Einen weitergehenden
einzelfallübergreifenden Informationswert, der konkrete Nachteile für die heutige Arbeit der Sicherheitsbehörden bewirken könnte, hätte eine Antwort der
Antragsgegnerin nicht gehabt.
c) Überwiegendes parlamentarisches Informationsinteresse
Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass den Sicherheitsbehörden aus der
Information, ob Heinz Lembke V-Mann war, für ihre zukünftige Arbeit überhaupt Nachteile entstehen können, könnte es sich allenfalls um geringfügige
Beeinträchtigungen handeln. Dem stünde ein gewichtiges Informationsinteresse der Antragstellerin zu 1 und des Bundestages gegenüber, das sich in
der gebotenen Abwägung durchsetzen müsste. Denn die parlamentarische
Bedeutung der begehrten Information ist – anders als das von ihr allenfalls
ausgehende geringe Risiko für das Staatswohl – hoch. Dies gilt sowohl für die
Kontrollfunktion als auch für die Öffentlichkeitsfunktion und die legislative
Funktion des parlamentarischen Informationsrechts.
Für den Bundestag ist es von überragender Bedeutung, Einblicke in die verdeckte Aufklärungstätigkeit der Sicherheitsbehörden zu erhalten, die ihm eine
politische Kontrolle dieser Tätigkeit und der Haltung der Bundesregierung
dazu ermöglichen. Zu einer solchen Kontrolle bestand gerade in jüngerer Zeit,
gerade für die Nachrichtendienste, gerade hinsichtlich des Einsatzes von
V-Leuten und gerade mit Blick auf die rechtsextremistische Szene Anlass.
- 38 So wird das Versagen der Sicherheitsbehörden im Fall des sogenannten NSU
allseits unter anderem auf eine unzureichende Kooperation der Sicherheitsbehörden zurückgeführt, deren Grund auch in einem überzogenen Quellenschutz insbesondere bei den Nachrichtendiensten gesehen wird,
vgl. etwa den – insoweit zwischen den beteiligten Fraktionen nicht
umstrittenen – Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drs. 17/14600, S. 856
ff.; vgl. hierzu auch die Regelungsvorschläge im Abschlussbericht
der Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus, 2013, S. 302 ff.
Die Kleine Anfrage der Antragstellerin zu 1 diente auch dazu, Verdachtsmomenten nachzugehen, dass im Fall des Oktoberfestattentats ebenfalls wegen
eines falsch verstandenen Quellenschutzes nicht alle Möglichkeiten genutzt
wurden, den Anschlag zu verhindern oder aufzuklären. Sollten sich diese Verdachtsmomente erhärten, so könnte hier möglicherweise ein über längere Zeit
wiederkehrendes Muster erkannt werden. Dies könnte (weiteren) Anlass bieten, auf die Bundesregierung parlamentarisch einzuwirken, um etwa eine dichtere Führung der Sicherheitsbehörden zu erreichen.
Zudem besteht an der Ermittlungspraxis der Sicherheitsbehörden gerade im
Neonazimilieu ein erhebliches öffentliches Informationsinteresse. Dieses Informationsinteresse betrifft sowohl die allgemeine Frage, ob in diesem Milieu
durchweg mit der gebotenen Durchschlagskraft ermittelt wird, als auch spektakuläre Einzelfälle, an denen sich diese Frage exemplarisch aufzeigen lässt.
Neben den Vorgängen um den NSU ist hier auch das Oktoberfestattentat bedeutsam, über das in den letzten Jahren immer wieder und in jüngerer Zeit
wieder verstärkt in Massenmedien berichtet wurde,
vgl. beispielhaft für viele die oben unter A I nachgewiesenen aktuellen Berichte.
Schließlich sind Informationen über eine mögliche Verbindung von V-Leuten
der Sicherheitsbehörden zu dem Oktoberfestattentat bedeutsam, um eine gesetzliche Regulierung des Einsatzes von V-Leuten in Parlament und Öffentlichkeit zu diskutieren. Über das Ob und das Wie einer solchen Regulierung
herrscht rechtspolitisch seit langem Streit,
vgl. beispielhaft die innerhalb der Kommission umstrittenen Vorschläge in dem Bericht der Regierungskommission zur Überprüfung
der Sicherheitsgesetzgebung in Deutschland, 2013, S. 255 ff.
- 39 Die Aktualität dieses Themas hat sich jüngst wieder gezeigt. Im April dieses
Jahres brachte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Änderung des
Bundesverfassungsschutzgesetzes ein,
BT-Drs. 18/4654.
Der Entwurf sieht in § 9b BVerfGG-E und § 3 BNDG-E erstmals detaillierte
gesetzliche Regelungen zum Einsatz von V-Leuten vor. Eine politische Bewertung dieses Entwurfs aus Sicht der parlamentarischen Opposition, eine Debatte darüber in der Öffentlichkeit und alternative Regelungsvorschläge setzen
voraus, dass Informationen über die Praxis des Einsatzes von V-Leuten und
eventuelle Missstände oder Fehleinschätzungen in der Vergangenheit verfügbar sind.
2. Die Kleine Anfrage der Antragstellerin zu 2 (Antrag zu II)
Die Antragsgegnerin hat auch die Antwort auf die hier umstrittenen Fragen der
Kleinen Anfrage der Antragstellerin zu 2 mit unzureichender Begründung verweigert. Sie hat hierzu weitgehend wortlautidentisch denselben formelhaften
und pauschalen Textbaustein wie in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der
Antragstellerin zu 1 verwendet.
Auch für die umstrittenen Fragen der Kleinen Anfrage der Antragstellerin zu 2
ist zudem kein evident überwiegendes Geheimhaltungsbedürfnis ersichtlich.
Vielmehr liegt wiederum nahe, dass anerkennenswerte Geheimhaltungsinteressen bereits nicht berührt sind und die Antragsgegnerin die Fragen der Antragstellerin zu 2 vollumfänglich hätte beantworten müssen. Zumindest aber
durfte sie wegen des erheblichen Informationsinteresses des Bundestages die
Antwort nicht so weitgehend verweigern, wie sie es getan hat.
a) Kein ersichtliches Geheimhaltungsinteresse
Die hier umstrittenen Fragen der Antragstellerin zu 2 lassen sich in zwei Fragenkomplexe aufteilen: Zum einen fragte die Antragstellerin zu 2 nach Quellenmeldungen von Nachrichtendiensten über das Oktoberfestattentat und
über die Wehrsportgruppe Hoffmann (Fragen 14-16 und 19-21 der Kleinen Anfrage). Diese Fragen hat die Antragsgegnerin nur teilweise beantwortet. Zum
anderen fragte die Antragstellerin zu 2 nach V-Leuten von Nachrichtendiensten in der Wehrsportgruppe Hoffmann (Fragen 22-25 und 28-31 der Kleinen
Anfrage). Eine Antwort auf diese Fragen hat die Antragsgegnerin vollständig
verweigert. Jedoch ist für beide Fragenkomplexe bereits nicht ersichtlich, dass
- 40 überhaupt ein Geheimhaltungsinteresse besteht, welches dem Informationsrecht des Bundestages und der Antragstellerin zu 2 entgegengehalten werden
könnte.
aa) Fragen zu Quellenmeldungen von Nachrichtendiensten (Fragen 1416 und 19-21)
Soweit die Antragstellerin zu 2 nach Quellenmeldungen über das Oktoberfestattentat und über die Wehrsportgruppe Hoffmann fragte, hätte die Antragsgegnerin die begehrte Aufschlüsselung nach Ursprungsbehörden und Jahren
nicht verweigern dürfen. Es ist nicht ersichtlich, dass aufgrund dieser Aufschlüsselung ein Schutzgut bedroht wäre, das eine Grenze des parlamentarischen Informationsrechts bilden kann.
Nicht erkennbar ist zunächst, inwieweit eine aufgeschlüsselte Antwort eine
denkbare gegenwärtige Aufklärungstätigkeit der Nachrichtendienste zu dem
Oktoberfestattentat beziehungsweise zu früheren Angehörigen der Wehrsportgruppe und ihrem Umfeld gefährden könnte. Dass die Nachrichtendienste im Zusammenhang mit dem Oktoberfestattentat und im Umfeld der
Wehrsportgruppe Hoffmann ermittelt haben, ist längst bekannt und ergibt sich
auch aus der Antwort der Antragsgegnerin. Gleiches gilt für die Information,
dass bei diesen Ermittlungen menschliche Quellen, insbesondere V-Leute eingesetzt wurden. Erkenntnisse über die gegenwärtige Arbeit der Nachrichtendienste in diesen Angelegenheiten hätten sich aus der begehrten Aufschlüsselung nicht ergeben. Die lange zurückliegenden Quellenmeldungen sagen
auch in aufgeschlüsselter Form nichts darüber aus, ob, wie intensiv und mit
welchen Mitteln die Nachrichtendienste derzeit im Zusammenhang mit dem
Oktoberfestattentat und der Wehrsportgruppe Hoffmann ermitteln.
Zudem ließen sich aus der begehrten Aufschlüsselung der Quellenmeldungen
keine hinreichend spezifischen Rückschlüsse allgemeiner Art auf die Arbeitsweise der Nachrichtendienste ziehen, welche die Arbeit dieser Behörden bedrohen könnten. Alle hier in Rede stehenden Nachrichtendienste – die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern sowie der Militärische Abschirmdienst – haben die gesetzliche Aufgabe, unter anderem Informationen über
rechtsextremistische Bestrebungen zu sammeln und auszuwerten,
vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG; § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MADG.
Um diese Aufgabe zu erfüllen, dürfen alle Nachrichtendienste V-Leute einsetzen. Dass sie diese Befugnis in der Praxis gerade auch gegenüber rechtsextremistischen Strukturen nutzen, ist allgemein bekannt. Angehörige rechtsex-
- 41 tremistischer Strukturen haben daher ohnehin Anlass, sich hierauf einzurichten. Es ist nicht nachvollziehbar, welche zusätzlichen, für die Nachrichtendienste nachteiligen Erkenntnisse sich aus der Information ergeben sollen,
welche Nachrichtendienste genau Quellenmeldungen über einen abgeschlossenen Sachverhalt erhalten haben und in welchen Jahren innerhalb eines
lange zurückliegenden Zeitraums dies geschehen ist. Rückschlüsse auf andere Beobachtungsvorgänge liegen bereits für die damalige Zeit und erst recht
für die heutige Tätigkeit der Nachrichtendienste fern.
Schließlich ist nicht ersichtlich, dass die begehrte Aufschlüsselung der Quellenmeldungen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung berühren oder
Leib, Leben oder Freiheit von Menschen gefährden könnte. Hierfür fehlt es an
dem erforderlichen Bezug auf bestimmte Personen. Nach den Namen einzelner Quellen oder nach den Meldungen bestimmter Quellen hat die Antragstellerin zu 2 nicht gefragt. Eine vollumfängliche Antwort auf ihre Fragen hätte –
ebenso wie die Teilantwort der Antragsgegnerin – lediglich aggregierte Angaben über alle Quellen der betroffenen Nachrichtendienste enthalten. Zwar mögen aufgrund der Angaben zu den Ursprungsbehörden und den Zeitpunkten
von Quellenmeldungen mit Hilfe von Zusatzwissen Rückschlüsse in persönlicher Hinsicht möglich sein, die sich allein aus der Gesamtzahl der Quellenmeldungen nicht ziehen ließen. Beispielsweise ist denkbar, dass auf dieser
Grundlage bestimmte Personen als Quellen ausgeschlossen werden können,
weil sie etwa in einem bestimmten Jahr der Szene noch nicht oder nicht mehr
angehörten oder bereits verstorben waren. Angesichts des erheblichen Umfangs der Ermittlungen zum Oktoberfestattentat und der großen Zahl der Angehörigen und Unterstützer der Wehrsportgruppe Hoffmann liegt aber sehr
fern, dass sich positiv ein Bezug zu bestimmten Personen herstellen ließe, die
dadurch bedroht sein könnten.
bb) Fragen zu V-Leuten von Nachrichtendiensten in der Wehrsportgruppe Hoffmann (Fragen 22-25 und 28-31)
Auch für die Fragen zu V-Leuten der Nachrichtendienste in der Wehrsportgruppe Hoffmann liegt nahe, dass schon kein Geheimhaltungsinteresse besteht.
Es ist nicht ersichtlich, dass eine Antwort auf diese Fragen gegenwärtige Ermittlungen der Nachrichtendienste gefährden könnte, die sich auf ehemalige
Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann oder ihr Umfeld beziehen. Zwar
liegt nahe, dass einzelne Personen aus diesem Kreis auch heute noch unter
Beobachtung stehen, da sie nach wie vor dem Neonazimilieu angehören. Aus
- 42 den begehrten Angaben über den damaligen Ermittlungsstand lassen sich jedoch keine relevanten Schlüsse mehr ziehen, auf deren Grundlage sich diese
Personen heute noch der Beobachtung entziehen könnten. Die Antragstellerin
zu 2 hat nicht nach den Namen oder nach sonstigen Identifikationsmerkmalen
einzelner V-Leute gefragt, sondern lediglich nach der Gesamtzahl der V-Leute
in der Wehrsportgruppe Hoffmann vor und (unmittelbar) nach dem Attentat.
Weit über 30 Jahre nach dem Verbot der Wehrsportgruppe Hoffmann sind
viele der damaligen Angehörigen dieser Gruppierung tot oder nicht mehr in der
Neonaziszene aktiv. Aus der begehrten bloßen Zahlenangabe ginge nicht hervor, inwieweit sie sich auf solche Personen bezöge. Selbst wenn nur die damals wie heute szeneangehörigen Personen in den Blick genommen werden,
kann aus einer Information über die Zahl der V-Leute im Umfeld der Wehrsportgruppe Hoffmann vor über 30 Jahren kaum etwas für die heutige Zahl
hergeleitet werden.
Aus den begehrten Informationen über V-Leute bei der Wehrsportgruppe lassen sich auch keine allgemeinen Rückschlüsse auf die Arbeitsweise der Nachrichtendienste ziehen, die deren Aufklärungstätigkeit gefährden könnten. Die
Antragstellerin zu 2 hat lediglich nach der Zahl der V-Leute in einer bestimmten
Gruppierung gefragt. Die begehrte Information hätte daher unmittelbar ermöglicht zu beurteilen, wie weitgehend die Wehrsportgruppe Hoffmann mit V-Leuten der Nachrichtendienste infiltriert war. In einer Zusammenschau mit der Antwort auf die Fragen zu den Quellenmeldungen hätte sich noch grob abschätzen lassen, in welchem Ausmaß diese V-Leute mit den Nachrichtendiensten
kooperierten. Wie diese Kooperation genau vonstattenging und welchen Nutzen sie erbrachte, hätte sich dem bereits nicht mehr entnehmen lassen. Noch
weniger ist ersichtlich, welche Erkenntnisse diese Informationen über den heutigen Einsatz von V-Leuten im Neonazimilieu erbringen sollen. Dass in diesem
Milieu V-Leute eingesetzt werden, ist allgemein bekannt. Darüber hinaus liegt
es fern, aus der V-Mann-Dichte und der Zahl der Meldungen über eine bestimmte extremistische Gruppierung ohne weiteres auf andere Gruppierungen
zu schließen. Dies gilt umso mehr angesichts des erheblichen Zeitablaufs.
Schließlich liegt fern, dass aufgrund der begehrten Informationen das Recht
auf informationelle Selbstbestimmung berührt oder Leib, Leben oder Freiheit
von Menschen gefährdet sein könnten. Die Fragen der Antragstellerin zielten
nicht auf Identifikationsmerkmale einzelner V-Leute, sondern lediglich auf eine
aggregierte Gesamtzahl. Selbst wenn diese Angabe mit Zusatzwissen verknüpft wird, ist ein Personenbezug nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere angesichts der großen Zahl der Mitglieder und Unterstützer der Wehrsportgruppe
- 43 Hoffmann, die grundsätzlich als nachrichtendienstliche Quellen in Betracht kamen.
b) Überwiegendes parlamentarisches Informationsinteresse
Auch wenn unterstellt wird, dass die hier umstrittenen Fragen der Antragstellerin zu 2 ein Geheimhaltungsinteresse berührten, hätte die Antragsgegnerin
die begehrten Informationen zumindest nicht vollständig verweigern dürfen.
Das Informationsinteresse des Bundestages und der Antragstellerin zu 2 wiegt
schwer. Oben wurde mit Blick auf die Kleine Anfrage der Antragstellerin zu 1
ausgeführt, dass an einer denkbaren Verbindung von V-Leuten deutscher Sicherheitsbehörden zu dem Oktoberfestattentat ein erhebliches parlamentarisches Informationsbedürfnis besteht. Eine umfassende Antwort auf die hier
umstrittenen Fragen der Antragstellerin zu 2 hätte die Informationslage zu der
Frage verdichten können, ob und in welchem Ausmaß deutsche Nachrichtendienste die neonazistischen Gruppierungen infiltriert hatten, die mit dem Oktoberfestattentat in Verbindung gebracht werden. Gerade Informationen hierzu
sind besonders bedeutsam, damit der Bundestag denkbare Defizite des
V-Leute-Einsatzes einschätzen und dieses nachrichtendienstliche Mittel gegebenenfalls neu regulieren kann.
Wegen des erheblichen Informationsinteresses des Parlaments wäre ein geringfügiges Risiko für das Staatswohl in seiner Ausprägung als Schutz der Arbeitsfähigkeit der Nachrichtendienste hier hinzunehmen gewesen. Eine größere Gefahr drohte hier keinesfalls. Aus Gründen des Staatswohls durfte die
Antragsgegnerin die begehrten Informationen daher nicht verweigern.
Als gegenläufiges Geheimhaltungsinteresse von Gewicht kommt hier nur der
Schutz von Leib und Leben in Betracht. Allerdings ist insoweit zu beachten,
dass die Wahrscheinlichkeit einer Enttarnung einzelner Quellen aufgrund der
Fragen der Antragstellerin zu 2 allenfalls sehr gering zu veranschlagen ist. Zudem steht – insbesondere wegen des Zeitablaufs – keineswegs fest, dass eine
solche Enttarnung mit Gefahren für die Betroffenen verbunden wäre. Das danach insgesamt allenfalls verbleibende Risiko hätte sich durch eine Einstufung
der Antworten oder einzelner Teile davon als Verschlusssache hinreichend
abschirmen lassen.
(Professor Dr. Matthias Bäcker)
- 44 Anlagen
1. Verfahrensvollmachten
2. BT-Drs. 18/3117 (Kleine Anfrage der Antragstellerin zu 1)
3. BT-Drs. 18/3259 (Antwort der Antragsgegnerin auf die Kleine Anfrage der
Antragstellerin zu 1)
4. Schreiben der Antragstellerin zu 1 an die Antragsgegnerin vom 3. März
2015
5. Schreiben der Antragsgegnerin an die Antragstellerin zu 1 vom 7. April
2015
6. BT-Drs. 18/3810 (Kleine Anfrage der Antragstellerin zu 2)
7. BT-Drs. 18/3985 (Antwort der Antragsgegnerin auf die Kleine Anfrage der
Antragstellerin zu 2)
8. Schreiben der Antragstellerin zu 2 an die Antragsgegnerin vom 4. März
2015
9. Schreiben der Antragsgegnerin an die Antragstellerin zu 2 vom 19. März
2015