AL T! 260 SEITEN DER ULTIMATIVE GUIDE FÜR KLASSISCHE SPIELE SONDERHEFT DIE BESTEN SPEZIAL 1/2015 Deutschland € 14,95 RETROSPIELE Über 70 der wichtigsten Retro-Games ausführlich vorgestellt MARIO KART Shigeru Miyamotos Klempner am Steuer: Die gesamte Serie Österreich € 16,90 Schweiz SFR 25,80 ARCADE | ATARI | COMMODORE | MSX | NEO GEO | NINTENDO | SCHNEIDER | SEGA | SINCLAIR | SONY Anatol Locker Jörg Langer Heinrich Lenhardt Michael Hengst Mick Schnelle Knut Gollert Winnie Forster WILLKOMMEN ZU DIESEM SONDERHEFT! Wer es trotz größerer Dicke (und etwas höherem Preis) nicht sofort gemerkt hat: Ihr haltet hier kein reguläres Retro Gamer-Heft in den Händen, sondern eine Spezialausgabe. Darin stellen wir euch einige der besten Retro Games aller Zeiten vor, dazu einige „einfach nur gute“ – und zwar liebevoll von der deutschen Redaktion ausgewählt und nach Genres unterteilt. Wir haben uns dazu kräftig aus den bisherigen deutschen Retro Gamer-Heften bedient, die wir ja immerhin seit 2012 machen. Zusätzlich gibt’s diverse ganz neue Artikel, die ihr in keiner vergangenen oder zukünftigen Ausgabe des deutschen Retro Gamer finden werdet. Etwa zu Final Fantasy VII – dem wohl besten Serienteil überhaupt –, zu Legend of Zelda: Ocarina of Time, zu Mario Kart, zu Maniac Mansion oder zu Sid Meier’s Pirates. Um nur einige zu nennen. Mehr als 70 einzelne Spiele (wobei wir die Serien-Artikel nicht mal mitzählen, sonst kämen wir deutlich über 100) stecken in dieser Sonderausgabe! Und keines davon wird auf weniger als zwei Seiten beschrieben. Aufgrund der Vielfalt von Kategorien und Untergenres haben wir die Genres recht breit gefasst. So finden sich Adventures & Action-Adventures im selben Genre wieder, in Action & Arcade (unserem größten Bereich in diesem Heft) werdet ihr von Geschicklichkeitsspielen über Seitwärtsscroller bis zu 3D-Spielen viel Unterschiedliches entde- cken – nur keine Ego-Shooter, die hatten wir erst im vorigen regulären Retro Gamer. Wir haben uns vor allem bei Heimcomputern und frühen Spielekonsolen (bis ungefähr N64) bedient, neuere Retro Games sowie reine AutomatenSpiele waren uns weniger wichtig. Natürlich erhebt unsere Auswahl sowieso keinen Anspruch auf Vollständigkeit, auch wenn wir auf dem Titel mutig „Die besten Retro Games“ schreiben: Trotz seiner gewaltigen 260 Seiten kann dieses Heft nur einen Bruchteil der interessanten alten Spiele vorstellen, es gibt noch viele, viele mehr. Dennoch sind wir sicher, mit dieser geballten Ladung jedem Retro-Fan Lesespaß für mehrere Wochen zu kredenzen. Und wir würden uns freuen, wenn ihr uns per E-Mail an [email protected] mitteilt, wie euch dieses Sonderheft gefällt. Wünscht ihr euch weitere solcher Genre-Hefte, habt ihr andere Ideen für zukünftige Spezialausgaben? Je mehr Feedback wir bekommen, desto besser können wir uns nach euren Wünschen richten. Nun aber viel Spaß mit diesem ersten Retro Gamer-Sonderheft! Das nächste reguläre findet ihr übrigens ab 23. Mai am Kiosk eures Vertrauens. Euer Retro Gamer-Team SPEZIAL 1/2015 SONDERHEFT ADVENTURES & ACTION-ADVENTURES 006 Einleitung und Meilensteine Von 2-Wort-Parsern und Infocom, LucasArts‘ Point-and-Click-Revolution 008 Legend of Zelda: Ocarina of Time Der wohl beste Serienteil der Kultserie 016 Maniac Mansion Das erste vieler Spitzen-Adventures 018 The Pawn Das Gesellenstück von Magnetic Scrolls 020 Kyrandia 2: Lure of the Tempress Westwood auf den Spuren von LucasArts 022 Borrowed Time Krimi-Adventure mit Maussteuerung 024 Shenmue Action, Abenteuer & Open World 030 Sid Meier’s Pirates! Genremix machte uns zu Seeräubern 032 Fairlight 1 & 2 Isometrie-Abenteuer für ZX, CPC & C64 036 Frankie Goes to Hollywood Das seltsamste Abenteuer der 80er ROLLENSPIELE 038 Einleitung & Meilensteine Aus Rogue und Temple of Apshai entstanden die 2D-, Iso- und 3D-RPGs 040 Final Fantasy 7 Für uns das genialste JRPG von allen! 048 Rogue Wie aus Buchstaben Monster werden 050 Bard’s Tale Hinab in die Tiefen von Skara Brae 006 4 | RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 052 Eye of the Beholder 2 Westwoods Antwort auf Dungeon Master 054 Wizardry 4 Die Kultserie in ihrem vielleicht stärksten Teil 056 Wasteland 2D-Weltkarte, aber Kämpfe à la Bard’s Tale 058 Ultima 5 Das letzte „Kachel-Ultima“ ist für viele das beste 060 Elder Scrolls Arena In Egoperspektive durch das riesige Tamriel 062 Planescape Torment Textmassen und ungewöhnliches Szenario DIE BESTEN O R T E R SPIELE 094 Starfox Tierische Raumpiloten-Kämpfe 100 Arkanoid Das Breakout der 80er Jahre 102 Spindizzy Marble Madness mit Kreisel 104 Archon Fantasy-Schach und Action-Kämpfe 106 Airborne Ranger Hinter den feindlichen Linien 108 Spy vs. Spy Splitscreen-Spaß mit den MAD-Spionen ACTION & ARCADE PLATTFORM-SPIELE 068 Einleitung & Meilensteine 112 Einleitung & Meilensteine Wir spannen den Bogen von 1-Screen-Action über Seitwärts-Scroller bis zu den 3D-Titeln 070 Turrican Wie der deutsche Action-Hit entstand 076 Defender Eugene Jarvis’ epochales Meisterwerk 078 Missile Command Die Entstehung des Automaten 082 River Raid Der lange indizierte Vertikalscroller 084 Nemesis Konamis fantastisches Shoot-em-up 086 Uridium Carrier-Knacken mit Braybrook 088 Axelay Waffen gegen Level-Fortschritt 090 R-Type Delta Irems vierter Serienteil haut rein 092 Descent Hektische 3D-Bombenentschärfung 038 Die Jump-and-run-Geschichte beginnt 1980 mit einem Spiel, in dem gar nichts hüpft 114 Mr. Mario Die Jump-and-run-Karriere der Hüpf-Ikone 122 Monty on the Run Ein Maulwurf lässt sich nicht alles bieten! 124 Super Metroid Samus Arans erster 16-Bit-Auftritt 130 Castlevania Das erste Abenteuer von Belmont 132 Castlevania IV So entstand der actionreiche SNES-Ableger 138 Psycho Fox Ein Fuchs mit Verwandlungsgabe 140 Impossible Mission „Stay a while. Stay forever!“ 146 Super Mario 64 Mario zeigte es wieder allen – nun in 3D 148 Burger Time Die Jagd nach den richtigen Zutaten 068 STRATEGIE 150 Einleitung & Meilensteine 150 210 190 Yie Ar Kung-Fu 230 ATV Simulator Erst waren es noch „Brettspiele mit KI“, doch dann mauserte sich das Genre 152 Die Civilization-Serie Wie Sid Meier die Zivilisation neu erfand 158 M.U.L.E. Dan Buntons geniales Wirtschaftsspiel 160 Populous Peter Molyneux erschuf die Götterspiele 162 Dungeon Keeper Als Verlies-Chef kämpfen wir gegen das Gute 164 Battle Isle Wie die deutsche Taktikserie entstand 170 Alpha Centauri Im Civilization-Stil eine fremde Welt erobern 172 Die Siedler 2 Blue Bytes meisterliches Aufbauspiel 174 Command & Conquer Der erste König der Echtzeit-Strategie 176 Warsong Japano-Rundentaktik mit vielen Dialogen 178 Panzer General Dank SSI waren Militär-Strategiespiele mit einem Mal en vogue PRÜGELSPIELE 180 Einleitung & Meilensteine Prügelspiele, Fighting Games, Beat-emups, Brawler, Wettkampf-Prügler und Co. 182 Tekken Vier Buttons für ein Halleluja 112 Elf Gegner, elf Waffen 192 Altered Beast Kultiger Seitwärts-Scroller 196 Strider Kampfkünstler gegen Grandmaster 202 Pit Fighter Die ersten digitalisierten Gegner 206 Streets of Rage Mit Tritten und Waffenhieben Über Stock und Stein auf dem Sattel eines Quads 232 Road Rash Das Motorradspiel für die ganz harten Biker 234 Die Lotus-Serie Alle Details zu einer der wegweisenden Rennspiel-Serien 240 Emlyn Hughes International Soccer Als Fußballspiele begannen, realistisch zu werden SPORT- & RENNSPIELE SIMULATIONEN 210 Einleitung & Meilensteine Sommerspiele und Joystick-Killer, Fun Racer und Renn-Simulationen 212 Mario Kart Auch auf dem Asphalt ein Hit – Blick zurück auf die gesamte Serie 220 Winter Games Der beste Zeitvertreib an kalten Tagen für bis zu acht Spieler 222 Ridge Racer Dieses Rennspiel brachte Automatenfeeling ins Wohnzimmer 224 NBA Jam So entstand die seinerzeit beliebteste Basketball-Umsetzung 228 Speedball 2 Futuristisches Handball in einer Brutalo-Variante fast ohne Regeln 180 242 Einleitung & Meilensteine Schon der erste Flight Simulator war ein Hardware-Fresser – das setzte den Trend 244 Carrier Command Strategie trifft SF-Simulation 250 F-15II Strike Eagle Sid Meier ließ Polygone fliegen 252 Comanche Novalogics kultiger Helikopter 254 Silent Service U-Boot-Krieg im Pazifik 256 Battlehawks 1942 Die erste LucasArts-Flugsim RUBRIKEN 003 Editorial 258 Vorschau 242 RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 | 5 I >>> S. 38 ROLLENSPIELE ADVENTURES & ACTION-ADVENTURES INHALT 008 Legend of Zelda: Ocarina of Time Der wohl beste Serienteil der Kultserie 016 Maniac Mansion Das erste vieler Spitzen-Adventures 018 The Pawn Das Gesellenstück von Magnetic Scrolls 020 Kyrandia 2: Lure of the Tempress Westwood auf den Spuren LucasArts 022 Borrowed Time Krimi-Adventure mit Maussteuerung 024 Shenmue Action, Abenteuer & Open World 030 Sid Meier’s Pirates! Genremix machte uns zu Seeräubern 032 Fairlight 1 & 2 Isometrie-Abenteuer für ZX, CPC & C64 036 Frankie Goes to Hollywood Das seltsamste Abenteuer der 80er 6 | RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 MEILENSTEINE DES GENRES Open mailbox, take leaflet, go south: Wer das Spiel nicht erkennt, ist kein Adventure-Fan der ersten Stunde! Populär wurde das von Infocom, Scott Adams und Sierra geprägte Genre durch LucasArts, Ende der 80er. Damals begannen auch die verwandten Action-Adventures ihren Siegeszug. ZORK I D er Informatiker William Crowther schrieb 1975 auf einem DEC PDP-10 ein Programm namens Colossal Cave (das als Adventure bekannt wurde), in dem man im Wesentlichen von Raum zu Raum wanderte – so wollte der Hobby-Höhlenforscher ein Tropfsteinhöhlen-System in Kentucky nachbilden. Bis 1976 erweiterte er es um Spielelemente, denen der Student Don Wood ab 1977 weitere Features hinzufügte, insbesondere ein Spielziel: Sammle alle Schätze ein! Daraus entwickelten im selben Jahr Marc Blank und Dave Lebling Zork für einen Großrechner, gründeten Infocom und brachten das in drei Einzeltitel aufgeteilte, polierte Spiel 1979 für diverse Heimcomputer heraus. Die drei englischen Anweisungen im Artikel-Intro sind die Anfangszüge von Zork I. Zwei- und Mehrwort-Parser In den 80ern wurden unzählige Adventures veröffentlicht, da ihre Programmierung nicht sehr schwer war: Die Spielwelt konnte dadurch kreiert werden, dass man jedem Raum eine Nummer und vier RichtungsVariablen zuordnete, die entweder 0 enthielten oder aber die Nummer eines angrenzenden Raums. So beschrieb beispielsweise „2,Waldmitte,3,0,1,0“ die Lokation Nummer 2, die im Norden an Raum 3 (zum Beispiel Hütte) und im Süden an Raum 1 (zum Beispiel Waldrand) angrenzte. Nun musste man nur noch auf die Eingabe „Norden“ hin prüfen, ob die Nord-Variable eine Raumnummer enthielt, den Spieler dorthin versetzen und ihm den neuen Raum beschreiben. Ebenso ließ sich Objekten ein Raum oder eben das Spieler-Inventar zuteilen. Auf dieses Prinzip bauen sämtliche Text- und viele Grafikadventures auf. Ein einfacher Parser zur Interpretation der Spieler-Eingaben war ebenfalls schnell geschrieben. Viele Adventures beschränkten sich auf Ein- und ZweiWort-Befehle, wobei der Spieler meist raten musste, welche Vokabeln jenseits von „North“, „look“ und „get X“ überhaupt möglich waren. Die InfocomAdventures zeichneten sich dadurch aus, dass sie auch komplexere englische Sätze „parsen“ konnten und zwischen Subjekt, Verb, Objekt, Präposition und indirektem Objekt unterschieden. Knapp geschlagen wurde der Infocom-Parser dann von dem der Firma Magnetic Scrolls, die zudem ihre Adventures wie The Pawn mit schönen Grafiken ausstatteten. Bereits früh gab es Versuche, Räume in Adventures auch per Bild zu zeigen. Oft wurden die simplen Grafiken vor den Augen des Betrachters gemalt, weil solche Zeichenanweisungen weniger Speicher benötigten als fertige Bilder – etwa in den Adventures des Briten Scott Adams (etwa Adventureland) oder Twin Kingdoms Valley (1983) – Letzteres animierte diese Grafiken sogar. Sierra erregte 1984 Aufsehen mit einer neuen Darstellung: Per Cursortasten bewegte man in King’s Quest seinen Helden als Sprite über den Screen (tippte aber immer noch Befehle ein). Keine Frage: Grafik-Adventures kamen an, und es war nur eine Frage der Zeit, bis Spiele wie Borrowed Times (Interplay, 1985) auf Maussteuerung setzten. Einen wahren Popularitätsschub gab dann LucasArts dem Genre: Ihre Adventures wie Maniac Mansion (1987) und Secret of Monkey Island kombinierten schöne Grafik, komfortable Steuerung, knifflige Rätsel und viel Humor zu massentauglichem Denksport. QViele Stunden oder gar Tage dauerte es, bis man in Zork I alle 19 Schätze gefunden und zur anfänglichen Hütte gebracht hatte, zumal ein Dieb im Great Underground Empire herumspukte. In Zork II knallte der Magier Frobozz uns mit „F“ beginnende Zaubersprüche (Fear, Float, …) vor den Latz. Und dann gab es noch in jedem stockfinsteren Raum einen Grue … Aufstieg der Action-Adventures Interessanterweise hatte das erste Action-Adventure den gleichen Namen wie das erste (Text-)Abenteuer: Das 1979 von Atari veröffentlichte Adventure. Anders als im Namensvetter steuerte man hier eine Figur durch 2D-Räume, sammelte Schlüssel ein und löste Rätsel. Eben dieses Rätsellösen blieb dann auch die größte Gemeinsamkeit zwischen Adventures und Action-Adventures. Aber längst nicht die einzige, denn auch die Wichtigkeit der Story ähnelt sich in beiden Genres. Was zudem oft vergessen wird: Nicht wenige Adventures boten ihre eigene Form von „Action“, etwa in Form herumlaufender Gegner wie dem Zauberer oder dem Dieb in der Zork-Serie. Oder als hitpoint- und waffenbasierte Kämpfe wie in Twin Kingdom Valley oder King‘s Quest. Oder es gab „Zeitdruck mit Todesdrohung“ wie in den fünf EinzelAdventures von Eureka!. Action-Adventures wechselten bald von der 2D- (zum Beispiel Legend of Zelda, Sabre Wulf) in die isometrische Perspektive (zum Beispiel Fairlight, Last Ninja), bevor sie, etwa in Ocarina of Time, echtes 3D für sich entdeckten. Yu Suzukis Shenmue versetzte uns gar in eine „Lebenssimulation“ in einer modernen Stadt, und bot uns neben Kampf und Erkundung viele Minispiele. Nicht zuletzt diese Vielfalt an Gameplay-Mechanismen heben Action-Adventures von normalen Adventures, aber auch von Rollenspielen oder Plattform-Spielen ab. Deshalb scheint uns auch der Action-Strategie-Handel-Schatzsuche-FechtenMix Sid Meier’s Pirates! am besten in diese Kategorie zu passen. LEGEND OF ZELDA QShigeru Miyamoto erfand mit Prinzessin Zelda und dem Jüngling Link eines der großen (asexuellen) Paare der Spielegeschichte: Immerzu musste Letzterer Erstere retten. Bereits im ersten Spiel begründete Nintendo zahlreiche Serien- und Genrestandards, etwa Item-Erwerb und -einsatz, Rätsel, Kämpfe und Oberwelt. MANIAC MANSION QEs war weder das erste Adventure mit Grafik oder animierten Figuren, noch das erste per Maus beziehungsweise Joystick gesteuerte, noch das erste mit viel Humor. Doch wie Ron Gilbert 1987 in Maniac Mansion diese Elemente kombinierte und um pfiffige Ideen erweiterte (so wählte man drei aus sieben einzigartigen Spielfiguren), war sensationell. RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 | 7 8 | RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 Auch mehrere Verschiebungen und kleine Gameplay-Schwächen konnten nicht verhindern, dass dieses Spiel die Herzen der Fans im Sturm eroberte. Dank gut konserviertem N64 oder Gamecube (Master-Quest-Edition) oder aber der modernen 3DS-Fassung steht es auch heute noch hoch in der Gunst der Videospieler. Retro Gamer geht der Magie des ersten 3D-Zeldas auf den Grund. W enn nach all den Widrigkeiten in einem Spiel dann schließlich der Abspann läuft, ist der Moment gekommen, in dem man nochmals in sich geht und die Reise der letzten Tage oder Wochen Revue passieren lasst. War es all die investierten Stunden wirklich wert? Da kann das Gameplay noch so überzeugend sein – auf Dauer erinnern wir uns doch vorrangig an die Spiele zurück, die uns voll und ganz in ihre Geschichte zogen und uns eine tragende Rolle spielen ließen. Nicht immer waren wir mit dem Handlungsverlauf einverstanden, insbesondere, wenn ins Herz geschlossene Charaktere plötzlich das Zeitliche segneten. Umso größer war dann aber auch die Befriedigung, wenn wir am Ende den Oberbösewicht zur Strecke brachten – als wir beispielsweise Pauline aus Donkey Kongs Fängen retteten oder Diablo erstmals in die Knie zwangen. Solche Momente sind es, die für viele die Faszination an Videospielen ausma- chen – Erinnerungen, die für immer in unserem Gedächtnis bleiben. Ein Spiel, das bestens in diese Aufzählung passt, ist The Legend of Zelda – Ocarina of Time. Mit seinen zahlreichen denkwürdigen Momenten wurde das erste Zelda für den N64 aus dem Nichts zum bis heute wohl beliebtesten Ableger der gesamten Reihe. Für manche Fans ist es sogar das beste Videospiel überhaupt. Und das, obwohl sich Nintendo zumindest bei der Rahmenhandlung erneut an seiner bekannten Formel für Jung und Alt orientierte: Ihr seid der Held, schlagt euch mit vielen Gegnern und löst viele Rätsel, bekämpft den Bösewicht, rettet die Prinzessin – und ganz nebenbei bringt ihr den Frieden ins Land zurück und werdet zur Legende. Technische Freiheiten Keine Frage: Das 2D-Action-Adventure The Legend of Zelda war bei seiner Veröffentlichung im Jahr 1986 ein Meilenstein in der Geschichte der Videospiele. Darauf bezogen, was Serienschöpfer Shigeru Miyamoto mit Link, Zelda, Ganon und dem Land Hyrule noch alles vorhatte, war es aber nur eine schwache Vorahnung. Erst mit Ocarina of Time, so gab Miyamoto nach dessen Veröffentlichung zu Protokoll, habe er seine damalige Vision umsetzen und Hyrule auch durch den Wechsel zu 3D-Grafik echtes Leben einhauchen können. 1986 waren es vor allem die technischen Grenzen, die Miyamoto in seinem Schaffen einschränkten. Er musste sich auf die Kernthemen konzentrieren: drei zentrale Charaktere, das Triforce, Hyrule, das Gefühl der Freiheit – und natürlich die Dungeons. Bereits mit dem ersten Nachfolger nur ein Jahr später wurde jedoch klar, dass er sich damit nicht zufriedengeben wollte. The Adventure of Link wird zwar häufig als das schwarze Schaf der Zelda-Reihe bezeichnet, weist aber dennoch einige Ähnlichkeiten zu Ocarina of Time auf. Durch die Plattform-Sequenzen aus der seitlichen Perspektive sahen die Spieler Hyrule RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 | 9 » [N64] Ocarina of Time war anfangs als First-Person-Spiel geplant. Im fertigen Spiel war nur noch der Zielmodus in der Egoperspektive. » [N64] Die Okarina ist ein wichtiges Spielelement. Link lernt immer mehr Lieder, die ihm bei Rätseln helfen oder die Zeit verbiegen. aus einem anderen Blickwinkel. Auf diese Weise schuf Miyamoto Dörfer mit unzähligen Einwohnern, mit denen Link interagieren und sich auf seinen Reisen unterhalten konnte. Spieler wurden dadurch nicht nur tiefer in die Spielwelt gezogen, sondern hatten auch eine größere Last auf ihren Schultern zu tragen. Der zweite Teil legte zudem mehr Wert auf Action. Link konnte nun wie später auch in Ocarina of Time Zaubersprüche wirken (dort gab es zusätzlich sogar eine Magieanzeige, über die Spezialangriffe ausgelöst werden konnten), und durch Erfahrungspunkte verstärkte er seine Angriffe. Während das Levelsystem daraufhin aber wieder verworfen wurde, spielte der allgemeine Aspekt der Charakterentwicklung auch in Ocarina of Time eine große Rolle. Umgesetzt wurde diese jedoch vorrangig durch neue Gadgets für euren Hauptcharakter, Items, zusätzliche Herzcontainer sowie zunehmend stärkere Waffen. Obwohl Ocarina of Time stark von The Adventure of Link inspiriert war, lieh es sich auch aus den anderen Ablegern populäre Elemente. Die titelgebenden Okarina-Flöten beispielsweise gab es vorher schon in Link’s Awakening für den Game Boy. Die Licht- und Schattenwelt aus A Link to the Past für das SNES wurde ebenfalls in abgewandelter Form umgesetzt: Während des Spielverlaufs könnt ihr mit der richtigen OcarinaMelodie zwischen Link im Alter von 16 Jahren und Link als Kind hin und her wechseln. Die Arbeit beginnt Erstmals vorgestellt wurde Ocarina of Time auf der damaligen Nintendo-Hausmesse Space World im Dezember 1995. Die anwesenden Besucher »Als die Arbeiten an dem Projekt starteten, waren etwa 15 Mitarbeiter involviert. Kurz vor der Fertigstellung wuchs ihre Zahl auf 50.« 10 | RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 waren von Anfang an begeistert. Besondere Freude verursachte die Ankündigung, dass es als Launchtitel für den Nachfolger des SNES erscheinen sollte. Das klappte allerdings nicht: Das N64 kam bereits im folgenden Jahr auf den Markt, weshalb sich die anfängliche Zeitangabe für Ocarina of Time als zu ambitioniert erwies. Das erste N64-Zelda, das auf einer stark überarbeiteten Version der Mario 64-Engine basierte, musste sogar gleich mehrmals verschoben werden und erschien letztendlich erst Ende 1998. Für die Entwicklung zeichnete Nintendo EAD verantwortlich, wobei das Studio in diverse Teams aufgeteilt wurde. Die eine Abteilung kümmerte sich um Skripts und Story, eine andere um die Steuerung von Link inklusive der Kamera, und wiederum ein anderes Team arbeitete an den vielen Items. Je weiter die Entwicklung schritt, desto mehr Teams kamen hinzu, beispielsweise für den Sound und Spezialeffekte. Auch Kensuke Tanabe, der Schreiber von A Link to the Past, fand zurück, um die von Shigeru Miyamoto und Yoshiaki Koizumi erdachte Story auszuarbeiten. Miyamoto war seinerseits als Produzent und Aufsicht tätig. Gleichzeitig sollte er den Überblick über die gesamte Entwicklung bewahren und die Zusammenführung der einzelnen Spielinhalte koordinieren. Die Leiter der einzelnen Abteilungen versorgte er darüber hinaus mit neuen Ideen. In vollem Umfang konnte sich Miyamoto Ocarina of Time aber erst nach der Fertigstellung und Veröffentlichung von Mario 64 widmen. Waren anfangs nur etwa 15 Mitarbeiter an dem Spiel beteiligt, wuchs ihre Zahl später auf 50. Die Gründe für die Verzögerungen waren vielseitig. So plante Nintendo zwischendurch, Ocarina of Time als Launchtitel für das N64Add-on 64DD (Disk Drive) zu veröffentlichen. Ebenso dachte Miyamoto zu Beginn lange darüber nach, das Spielgeschehen komplett aus der Egoperspektive zu zeigen, um eine noch größere Immersion zu erreichen. Diese Idee wurde erst wieder verworfen, als man sich dazu entschied, sowohl als junger als auch THE LEGEND OF ZELDA: OCARINA OF TIME Magische Momente Wir erinnern uns an unsere Lieblingsmomente in Ocarina of Time. Kokiri-Wald als erwachsener Link zu spielen – in der Egoperspektive wäre dieser Effekt wahrscheinlich komplett untergegangen. Überraschenderweise wurde aber auch die Geschichte erst sehr spät in das vorhandene Spieldesign eingearbeitet und finalisiert. Weil die Kamera dabei helfen sollte, die Immersion zu verstärken und die Spielwelt adäquat darzustellen, verlangte Miyamoto, dass nicht Link und seine Handlungen, sondern Hyrule im Fokus der Kamera steht. Da es sich bei Ocarina of Time um ein Action-Adventure mit Rollenspiel-Aspekten handelte, erschien dieser Weg logisch: Beim 3D-Hüpfspiel Mario 64 stand die Spielfigur im Mittelpunkt, wodurch man stets einen guten Überblick über die Sprünge und Gegner hatte. In Zelda kam es jedoch weniger auf millimetergenaue Sprünge und ähnliche Aktionen an. Seit der Veröffentlichung von The Legend of Zelda lag es Miyamoto am Herzen, dass die Spieler das Gefühl haben, sich wirklich in Hyrule zu befinden. Das N64 bot nun endlich die nötige Hardware-Power, doch neben der Technik spielte hierfür ein weiterer Punkt eine große Rolle: die Steuerung. Wir übertreiben nicht, wenn wir sagen, dass es damals keinen 3D-Titel gab, dessen Steuerung besser auf das Spielerlebnis abgestimmt war. Der N64-Controller inklusive aller Tasten wurde von Ocarina of Time perfekt ausgenutzt – Link ließ sich wunderbar flüssig durch Hyrule navigieren. Dass sich das Team hierbei viele Gedanken gemacht hatte, sah man etwa daran, dass der Hauptcharakter sprang, sobald er sich der Kante einer Plattform näherte. Die A-Taste hingegen war kontextsensitiv: Mit einem Schwert in der Hand schlug Link zu, sonst öffnete DAS SPIEL BEGINNT in Links Heimatdorf im Kokiri-Wald. Alleine hier könnt ihr schon Unmengen an Zeit mit der Erkundung verbringen. Gleichzeitig dient dieses Spielgebiet auch als eine Art Tutorial, in dem ihr euch euer Schwert und den Deku-Schild besorgen müsst. Danach dürft ihr das erste Mal den Deku-Baum und damit den ersten Dungeon betreten. Habt ihr diesen abgeschlossen, warnt euch der Baum noch vor den bösen Absichten Ganondorfs. Ihr erhaltet den ersten heiligen Stein und sollt euch nun zu Prinzessin Zelda aufmachen. Hylianische Steppe AN DIESEN MOMENT werden sich die meisten ZeldaFans noch mit großer Sicherheit erinnern. Erstmals verlasst ihr das Dorf und den zugehörigen Dungeon und befindet euch plötzlich auf einem großen, freien Feld. Die hylianische Steppe dient hier als Hublevel, der von diversen anderen Gebieten Hyrules umgeben wird. Der erste Ritt Richtung Schloss Hyrule demonstriert euch dann eindrucksvoll den Tag- und Nachtwechsel inklusive wunderschönem Sonnenuntergang. Treffen mit der Prinzessin NACH EINEM Stealth-Abschnitt im Metal Gear-Stil, in dem ihr mit Link den patrouillierenden Wachen im Schloss ausweichen müsst, trefft ihr zum ersten Mal Prinzessin Zelda. Sie klärt Link umgehend über ihre Befürchtungen auf, dass Ganondorf auf der Suche nach dem Triforce ist, um über Hyrule zu herrschen. Sie bittet euch daher darum, die zwei übrigen heiligen Steine zu finden und vor Ganondorf das Triforce zu sichern. Wer kann einer Prinzessin schon einen Wunsch abschlagen? Lord Jabu-Jabu IN OCARINA OF TIME warten gleich mehrere exzellent designte Dungeons darauf, von euch gemeistert zu werden. Einer der ausgefalleneren Sorte befindet sich im Bauch von Lord Jabu-Jabu. Nachdem ihr von der riesigen Wal-ähnlichen Kreatur verschluckt werdet, müsst ihr euch in seinem Riesenmagen auf die Suche nach Ruto, der Prinzessin der Zora-Rasse, begeben. Nur sie kann euch dabei helfen, den letzten heiligen Stein zu ergattern. Die Okarina MUSIK SPIELT IN Ocarina of Time eine wichtige Rolle – wie auch kaum anders zu erwarten von einem Spiel mit einem Instrument im Namen. Die musikalische Untermalung während eurer Abenteuer passt sich dynamisch dem Geschehen an, zudem haben die Spielgebiete eigene Musikstücke. Durch die Okarinas zieht sich das Musikthema bis in die Story und die Quests. Eure erste Okarina erhaltet ihr von Salia, sobald ihr den Kokiri-Wald verlasst. Im Verlauf des Spiels erlernt ihr immer weitere Lieder, die euch bei euren Abenteuern unterstützen: Mal öffnet eine Melodie Türen, mal ruft sie nach Hilfe. Epona MITTEN IN DER hylianischen Steppe findet er die Lon Lon Farm. Als Kind begegnet Link dort Malon, die Tochter des Besitzers. Das Mädchen bringt euch ein Lied auf der Okarina bei, mit dem ihr Epona besänftigt. Sieben Jahre später kehrt Link auf die Farm zurück, sie gehört nun dem ehemaligen Handlanger Basil. Mit Hilfe der Okarina kann Link Epona erneut für sich gewinnen. Erwachsen werden A LINK TO THE PAST führte erstmals die Mechanik der Licht- und Schattenwelt ein, Ocarina of Time nutzt dieselbe Idee für zwei Zeitebenen, zwischen der ihr mit Hilfe der namensgebenden Okarina wechselt. Durch Veränderungen in der Vergangenheit könnt ihr die Zukunft verändern und so Rätsel lösen oder Wege öffnen. RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 | 11 Links spätere Abenteuer Auf Ocarina of Time folgten zahlreiche weitere Ableger für Nintendos Konsolen und Handhelds. The Legend Of Zelda: Majora’s Mask The Legend Of Zelda: Oracle of Seasons The Legend of Zelda: Oracle of Ages QPLATTFORM: N64 QJAHR: 2000 QPLATTFORM: GAME BOY COLOR QJAHR: 2001 QPLATTFORM: GAME BOY COLOR QJAHR: 2001 Auch das zweite N64-Zelda fand seine Fans – obwohl es ganz anders als Ocarina of Time aufgebaut war. In Majora's Mask bleiben Link nur drei Tage Zeit, die Welt zu retten. Dank eurer Okarina erlebt ihr diese immer wieder von vorn und kommt mit der Hilfe diverser Zaubermasken sowie Gadgets bei jedem Durchgang ein wenig weiter als zuvor. Anfang 2015 erschien ein gelungenes 3D-Remake für den 3DS. Oracle of Seasons entstand bei Capcom in Zusammenarbeit mit Nintendo EAD. Die Besonderheit war, dass man es über ein Passwort mit dem gleichzeitig erschienenen Oracle of Ages verbinden konnte. In diesem Abenteuer musste Link die Jahreszeiten manipulieren, um Puzzles zu lösen. Es kommt nicht an die Qualität von Link's Awakening heran, ist aber trotzdem ein gutes Spiel. Das Gegenstück zu Oracle of Seasons hat einige Ähnlichkeiten mit Majora's Mask. Dieses Mal musste Link die Zeit beeinflussen. Es war ein wirklich toller Handheld-Ableger, der in gewisser Weise sogar an A Link to the Past erinnerte. Capcom bewies hiermit jedenfalls, dass sie der Zelda-Marke den gleichen Respekt wie Nintendo entgegenbrachten. The Legend Of Zelda: The Minish Cap The Legend Of Zelda: Twilight Princess QPLATTFORM: GAME BOY ADVANCE QJAHR: 2004 QPLATTFORM: GAMECUBE/WII QJAHR: 2006 The Legend Of Zelda: Phantom Hourglass The Minish Cap ist ein weiterer von Capcom entwickelter Nachfolger, der sich bestens in die Ereignisse aus Four Swords und Four Swords Adventures einfügte. Mit einem plappernden Vogel als Hut erhielt Link einen neuen Sidekick. Der Kniff war jedoch, dass Link als kleinere Version in der bekannten (nun natürlich riesigen) Spielwelt ganz andere Stellen erreichen kann. So gut Twilight Princess auch war, im Prinzip war es eher eine Erneuerung im Stile von Ocarina of Time als ein komplett neues Spiel. Die Wii-Version wurde an die neue Bewegungssteuerung der Wii angepasst – Link führt aus diesem Grund sein Schwert auch erstmals mit der rechten Hand. Allerdings ist die Steuerung nicht präzise, die GameCube-Fassung hat in dieser Hinsicht Vorteile. er mit demselben Button Türen, bewegte Objekte, erklomm Plattformen oder unterhielt sich mit den unzähligen NPCs von Hyrule. Ähnlich gut wurden die gelben C-Buttons eingesetzt, die in der Third-Person-Perspektive als Schnellzugriff für Items dienten. In der Egoansicht (beim Schießen) kamen dieselben Tasten jedoch für die Steuerung der Kamera zum Einsatz, sodass sich auch Steinschleuder oder Bumerang bestens bedienen ließen. Das Kampfsystem von Ocarina of Time war sehr intuitiv. Dank eines automatischen Zielsystems für die Projektilwaffen waren selbst hektischere Begegnungen mit Feinden kein unlösbares Problem. Diese Hilfsfunktion fand daraufhin zu Recht auch ihren Weg in viele andere Spiele unterschiedlichster Genres. Zusätzlich wurde den » [N64] Bevor ihr das erste Mal Zelda trefft, müsst ihr euch an Wachen vorbei zu ihr schleichen. 12 | RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 QPLATTFORM: DS QJAHR: 2007 Wie Wind Waker zuvor vertraute auch Phantom Hourglass wieder auf Cel-Shading-Grafik, dieses Mal allerdings aus der Vogelperspektive. Ansonsten setzte es voll und ganz auf die Kernthemen der Reihe. Dank vieler umfangreicher Dungeons und toller Puzzles war man mit dem Handheld-Zelda eine lange Zeit beschäftigt. Spielern mit Fee Navi ein kleiner Helfer zur Seite gestellt. Sie weicht während des gesamten Abenteuers nicht von Links Seite und versorgt euch mit diversen Infos sowie meistens nützlichen (aber keinesfalls das eigene Nachdenken erübrigenden) Hinweisen. Großen Anteil am packenden Spielgefühl hatte auch die titelgebende Okarina. Schon früh im Spiel lernt Link die ersten Lieder für das ungewöhnliche Blasinstrument. Auf diese Weise gewinnt er beispielsweise Eponas Herz für sich, auf der er fortan durch die Spielwelt reitet. Aber auch bei den Rätseln seid ihr immer wieder auf eure musikalischen Fähigkeiten angewiesen. So könnt ihr durch das Abspielen einer bestimmten Melodie das Wetter verändern oder den Tag- und Nachtrhythmus beeinflussen. Außerdem reist ihr mit der Okarina durch die Zeit oder teleportiert euch an einen bestimmten Punkt in der Spielwelt. Die Umsetzung im Spiel hätte hierfür kaum besser sein können: Jede verfügbare Aktion ist an eine The Legend Of Zelda: A Link To The Past & Four Swords The Legend Of Zelda: The Wind Waker The Legend of Zelda: Four Swords Adventures QPLATTFORM: GAME BOY ADVANCE QJAHR: 2002 QPLATTFORM: GAMECUBE QJAHR: 2002 QPLATTFORM: GAMECUBE QJAHR: 2004 A Link to the Past war zwar eigentlich kein neues Spiel, doch führte es gleichzeitig den Mehrspieler-Part Four Swords für bis zu vier Spieler ein. Capcom gab sich erneut viel Mühe, indem sie etwa die Rätsel mit Koop-Elementen garnierten, die für den späteren GameCube-Release nochmals erweitert wurden. A Link to the Past wurde nur wenig angepasst. Viele Fans ließen sich bei Wind Waker von der ungewöhnlichen Cel-Shading-Grafik abschrecken. Doch das war ein Fehler, denn durch die Optik konnte Miyamoto auf ganz neue Weise Emotionen in den Gesichtern der Charaktere zum Ausdruck bringen. Die vielen Reisen auf dem Ozean gefielen ebenfalls nicht jedem. Ende 2013 erschien eine HD-Auflage für die Wii U. Der zweite GameCube-Ableger verzichtete auf eine große Solokampagne und legte stattdessen viel Wert auf Multiplayer-Elemente. In einem der zwei Modi musstet ihr sowohl kooperativ als auch gegeneinander Kristalle sammeln, in einem anderen ausschließlich gegeneinander spielen. The Legend Of Zelda: Spirit Tracks The Legend of Zelda: Skyward Sword The Legend of Zelda: A Link between Worlds QPLATTFORM: DS QJAHR: 2009 QPLATTFORM: WII QJAHR: 2011 QPLATTFORM: 3DS QJAHR: 2013 Obwohl auch Spirit Tracks noch viel Spaß bereitete, ging der altbekannten Formel nun erstmals ein wenig die Luft aus. Die Abschnitte mit dem Zug waren zu simpel gestrickt und fast schon monoton, auch die Dungeons erschienen weniger originell als in den Vorgängern. Verglichen mit anderen Spielen hatte Spirit Tracks aber immer noch eine hohe Qualität. Mit dem zweiten Zelda für die Wii ging Nintendo weiter als je zuvor in der Reihe in der Zeit zurück: Zelda ist noch keine Prinzessin, auch Links Schwert ist noch nicht geschmiedet. Anders als bei Twilight Princess profitierte dieses Spiel von der Wii-Steuerung, die dank Wiimote-Plus-Erweiterung deutlich präziser ausfiel. Der erste Auftritt von Link auf dem 3DS begeisterte seine Fans von der ersten Ankündigung an: Nie zuvor erinnerte ein Zelda derart stark an den immer noch beliebten SNES-Klassiker A Link to the Past. Auch die Neuerungen konnten überzeugen: Der 3D-Effekt wurde clever eingesetzt, zudem konnte sich euer Held in den Rätseln als 2D-Schatten an Wänden entlang fortbewegen. Melodie aus bis zu fünf Tönen gekoppelt, die ihr wiederum über die Aktionstasten des Controllers nachspielt. Ob Kamera, Steuerung oder Okarina: Jeder Aspekt in Ocarina of Time fühlte sich gut durchdacht an. Miyamoto und sein Team taten wirklich alles dafür, dass ihr euren Aufenthalt in Hyrule genießen konntet – natürlich in der Hoffnung, dass ihr euren Freunden davon erzählt und nach Abschluss der Story gleich einen zweiten Anlauf startet. »Jeder Aspekt in Ocarina of Time fühlte sich gut durchdacht an. Miyamoto und sein Team taten alles dafür, dass ihr euren Aufenthalt in Hyrule genießen konntet.« Der Weg zur Legende Die Geschichte von Ocarina of Time setzt noch vor den Ereignissen der ersten vier Spiele an und vertraut dem klassischen Zelda-Schema: Link muss sich durch mehrere Dungeons voller Gegner kämpfen, dort jeweils ein bestimmtes Objekt aufspüren und danach einen gewaltigen Boss besiegen, der den Ausgang blockiert. Jedes Objekt eröffnet ihm dann weitere spielerische Möglichkeiten und auch meist neue Wege in der eigentlich schon bekannten Spielwelt. Wie A Link to the Past besteht Ocarina of Time aus zwei Spielhälften: Anfangs ist Hyrule noch ein hübsches und lebhaftes Königreich. Link ist ein kleiner Junge, der im Auftrag von Prinzessin Zelda drei heilige Steine beschaffen soll. Mit diesen wiederum erlangt er Zugang zum Heiligen Reich, wo sich das Triforce befindet. Allein um es bis hierhin zu schaffen, sind Spieler bereits viele Stunden beschäftigt – zumal Nebenquests für weiteren Zeitvertreib sorgen. Doch geht das Abenteuer erst danach richtig los: Sobald das Heilige Reich geöffnet wird, greift sich nämlich Fiesling RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 | 13 » [N64] Mit eurem Pferd Epona überwindet ihr auch größere Distanzen in kurzer Zeit. » [N64] Für die Musik war wie in vielen anderen Zelda-Spielen Koji Kondo verantwortlich. »Nintendo erschuf eine der bezauberndsten und perfektesten Spielwelten, an der sich alle 3D-Spiele dieser Art lange Zeit messen lassen mussten.« Ganondorf das Triforce und sperrt Link ein. Dieser Punkt leitet eine dramatische Wendung in der Story ein: Als Link wieder erwacht, sind volle sieben Jahre verstrichen – unser Held ist nun ein junger Erwachsener. Er trifft auf einen der sieben Weisen, deren eigentliche Aufgabe es ist, das Triforce zu beschützen. Von diesem erfährt er, dass Ganondorf den von ihm erbeuteten Teil des Triforce dazu eingesetzt hat, Hyrule in Finsternis zu hüllen. Die ganze Hoffnung des ehemals florierenden Königreichs liegt nun auf Link, der fünf weitere der Weisen in von Ganondorf verfluchten Tempeln erwecken muss. Nur mit Hilfe der sieben Weisen (Nummer 7 ist Prinzessin Zelda) kann er Ganondorf im Heiligen Reich gefangen nehmen und das Königreich von seiner Herrschaft befreien. 14 | RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 Einer der intensivsten Momente in Ocarina of Time ist zweifelsfrei die Szene, in der Link das erste Mal nach draußen tritt und sieht, was Ganondorf verbrochen hat. Hyrule wirkt nun plötzlich leblos und farblos, von dem einst so prächtigen Königreich ist nicht mehr viel zu erkennen. Es ist ein deprimierender Anblick. Doch Ocarina of Time gelingt es sofort, den Spieler wachzurütteln und ihn anzuspornen, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Dadurch, dass sieben Jahre seit euren letzten Reisen durch Hyrule vergangen sind, hat sich vieles verändert. Die Lon Lon Farm, in der ihr zu Beginn und auch jetzt euer treues Pferd Epona findet, gehört einem neuen Besitzer: Talon und seine Tochter wurden von Ganondorf aus ihrem Haus verjagt, stattdessen hat nun der hinterlistige Stallbursche Basil das Sagen. Diese und viele weitere Änderungen in der Spielwelt nehmen auf eurer Quest einen immer größeren Teil ein, da ihr auch stets mit den Auswirkungen eurer Handlungen in der Vergangenheit konfrontiert werdet beziehungsweise in der Zeit zurückreisen müsst, um Dinge in der Gegenwart zu verändern. Das Erbe von Zelda Trotz des mitten in der Entwicklung angedachten Plattform-Wechsels und des Schrittes hin zu echter 3D-Grafik übertraf Ocarina of Time weltweit alle Erwartungen. Langjährige Fans der Reihe zeigten sich rundum zufrieden. Aus ihrer Sicht übertraf das Spiel selbst das hoch gelobte A Link to the Past. Nintendo sprach mit dem Titel zudem eine ganz neue Zielgruppe an. Wie gut das Spiel bei der Presse ankam, zeigte die japanische Famitsu: Ocarina of Time war dort das erste Spiel überhaupt, das sich die volle Punktzahl von 40 Punkten sichern konnte. Die einzigen Nachfolger bekannter Spielereihen, die bis hierhin eine ähnliche Aufmerksamkeit erlangen konnten, waren Street Fighter 2 und Mario 64. Natürlich war auch Ocarina of Time nicht perfekt. Insbesondere aus heutiger Sicht wirken einige Elemente veraltet. An einigen Stellen wird zum Beispiel nicht ganz klar, was der Spieler als Nächstes machen soll. Hin und wieder sind auch die Voraussetzungen, um bestimmte Situationen auszulösen, alles andere als logisch – wenn ihr etwa zunächst einen ganzen Raum von Fledermäusen säubern sollt, bevor es weitergeht, oder ihr gleich zweimal kurz hintereinander mit einem NPC sprechen müsst. Von der Schwimmmechanik wollen wir gar nicht erst anfangen. Auch an den berüchtigten Wassertempel denken wir eher mit Schrecken zurück. Die Schwächen des Spiels waren aber schnell vergessen: Dank der opulenten, wunderschönen 3D-Grafik, der flüssigen Steu- THE LEGEND OF ZELDA: OCARINA OF TIME Die besten Momente aus Ocarina of Time Die Leser der englischen Retro Gamer teilen mit uns ihre Erinnerungen. theantmesiter Bei mir war es der Moment, als ich das Masterschwert herauszog – und die Möglichkeit, vom Erwachsenen zum Kind zu werden. Lied spielt – das beste Stück aller mich für das gesamte Spiel! Zeiten! Beeindruckend war auch StickHead die Szene, in der der Sensenmann auf dem Pferd aus dem Als ich auf dem Rücken von Gemälde herauskommt. Epona die Lon Lon Farm verließ, fühlte ich mich wie Steve sscott McQueen in Gesprengte Ketten. Das Beste war das Gefühl mrmarvelxiii der Freiheit, wenn man erstmals die Hylianische Steppe Ganz klar das Ende: Kein betritt. anderes Spiel berührte mich auf ähnliche Weise. Die MuThe Mask Seller sik, das Lagerfeuer an der Lon Lon Farm und die Schlussszene, Mich berührt jedes Mal der Abschied von Salia auf in der sich der junge Link und Zelda noch mal treffen … der Holzbrücke, kurz bevor Link den Kokiri-Wald verlässt und in Budley Moore sein Abenteuer aufbricht. Sie sind Ich erinnere mich noch an zwar beide nur Kinder, doch dieser einige der Rätsel zurück. Moment ist einfach toll umgesetzt. Trotz seiner matschigen Texturen, Wie sehr ich mir immer wieder den einfachen Charaktermodellen selber in den Hintern hätte treten können, wenn ich nach Stunden und dem puristischen Skript dann auf die eigentlich simple packte mich die Szene mehr als jede Full-Motion-Video-Zwischen- Lösung kam. Ein tolles Spiel! sequenz anderer Spiele dieser Zeit. Shinobi learnedrobb Ich kaufte mir Ocarina of Time gleich am Releasetag – es sollte aber zehn Jahre dauern, bis ich es tatsächlich beendete. Rückblickend war es aber wirklich meine beste Spielerfahrung. Ich alterte gemeinsam mit Link, und als es zu Ende war, musste ich fast weinen. Deswegen habe ich das Spiel danach nie wieder angerührt. ShadowMan Der Wassertempel! Wörter können gar nicht beschreiben, wie froh ich war, als ich diesen Dungeon endlich geschafft hatte. RetroMartin Wenn man das erste Mal Zelda trifft und sie Eponas Nur eine Szene? Unmöglich! Dann entscheide ich erung, der großartigen Story, dem Spieldesign und dem tollen Spieltempo war Ocarina of Time seinerzeit ein annähernd perfektes Spiel. Mittlerweile wurde das erste N64-Zelda gleich mehrere Male neu veröffentlicht. Für den GameCube erschien Ocarina of Time 2003 zum einen als Teil einer limitierten Collector’s Edition zusammen mit The Legend of Zelda, The Adventure of Link und Majoras Mask. Zum anderen lag der Limited Edition von Wind Waker die Master Quest-Variante mit alternativen und schwereren Dungeons bei. Besitzer einer Wii haben zudem über die Virtual Console Zugriff auf das Original. Die ultimative Neuauflage kam jedoch im Sommer 2011 für den 3DS auf den Markt. Nintendo passte hierfür nicht nur die Grafik für stereoskopisches 3D an, sondern verbesserte, wo nötig, auch das Gameplay. So wurde der frustige Wassertempel entschärft. Items wählt ihr auf dem Handheld etwa über den Touchbildschirm aus. Auch die Bewegungssteuerung wurde geschickt eingebaut. Wechselt das Spiel in die Egoperspektive, zielt ihr, indem ihr den 3DS in die Richtung des entsprechenden Feinds bewegt. Darüber hinaus enthält die Handheld-Fassung auch den Master Quest-Modus, der allerdings erst freigespielt werden muss. Solltet ihr danach noch immer nicht genug haben, legt ihr euch in einem weiteren Spielmodus gezielt mit den Bossen des Spiels an. vor dem Fernseher. Der Boss war so riesig! Der packende Kampf mit ihm ist einer meiner Favoriten. Was war ich froh, als ich die erste Stunde hinter mir hatte, in der mich die Entwickler noch an die Hand nahmen. Plötzlich konnte Zapper ich überall hingehen. Schon in der Hylianischen Steppe fühlt sich Die Atmosphäre von Ocarina of Time ist einfach alles so wunderbar offen an. Das großartig. Irgendwann hatte ich es war wohl der erste Schritt hin zu dem Genre, das wir heute als so lange gespielt, dass ein neuer Sandbox-Spiel kennen. Damals Durchgang zur Routine wurde. fühlte es sich aber noch neu und Also setzte ich mir das Ziel, es ohne zusätzlichen Herzcontainer unglaublich aufregend an. zu schaffen – und plötzlich hatte dste ich eine neue Herausforderung. Die Szene, in der ich mit Miketendo Link nach sieben Jahren den Tempel verlasse und erkenne, Es auf einen einzigen Mowelches Unheil Ganondorf mit all ment zu beschränken, ist viel zu schwierig. Es ist viel mehr die seiner Zerstörung angerichtet hat, Summe der vielen tollen Momente. werde ich nie in meinem Leben verOcarina of Time konnte ich erst gessen. Besser und beklemmender zur Seite legen, als ich es beendet hätte die zweite Hälfte des Spiels hatte – etwas Ähnliches erlebte nicht eingeführt werden können. ich seitdem nie mehr. Am meisten boggyb68 beeindruckte mich, dass es in der Spielwelt so viel zu erkunden gab. Ich war vom ersten Reglan Moment an gepackt. Ich erkundete in aller Ruhe das ganze Bei meiner ersten Begeg- FatTrucker nung mit König Dodongo Ich spielte Ocarina of Time Dorf, warf mit Felsen um mich und saß ich nur noch mit offenem Mund kurz nach seinem Release. feuerte Link dabei lautstark an… Z Mit Ocarina of Time erschuf Nintendo eine der bezauberndsten und perfektesten Spielwelten, an der sich alle 3D-Spiele dieser Art lange Zeit messen lassen mussten. Aus heutiger Sicht gibt es zwar diverse kleinere Schwächen, und auch die Grafik ist nicht mehr zeitgemäß, doch darauf kam es bei einem Zelda noch nie an. Ocarina of Time begeisterte seine Spieler früher wie heute vor allem durch seine packende, emotionale Geschichte und seine zahlreichen unvergesslichen Momente. » [N64] In Ocarina of Time stellt sich Link immer wieder riesigen Bossgegnern. RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 | 15 Maniac Mansion » RETRO-REVIVAL NIE WIRD’S WAS MIT DER KETTENSÄGE. »PUBLISHER: LUCASFILM GAMES » ERSCHIENEN: 1987 »HARDWARE: C64 UND VIELE ANDERE Von Jörg Langer 1987 war ich fünfzehn und kannte zwei coole Leute. Cool fand ich sie, weil sie a) etwa doppelt so alt waren wie ich, sich b) dennoch mit mir abgaben und c) meine mit Abstand besten Raubkopien-Quellen waren. Der eine war Polizist, der andere arbeitete als Maschinenbauer oder so. Letzteren besuchte ich gerne mal in der Fabrikhalle, wo wir dann zu seinem Spind gingen und ich neue Ware bekam. An einem Herbstabend nahm er mich mit zu sich nach Hause, drei Kuhdörfer weiter, weil er etwas Neues hatte. Ein Adventure, das man mit dem Joystick steuerte! Nun kannte ich, erfahrener Spieleexperte, der ich war, natürlich Adventures, von den Scott-Adams-Zweiwort-Parsern bis zu den beinharten Infocoms, und auch King’s Quest oder das bombastgrafische Amazon schlummerten in meiner Sammlung. Aber ein richtiges Adventure, bei dem man die Sätze per Joystick zusammenklickte und zur Objekt- oder Zielauswahl ganz einfach die entsprechende Stelle anwählte? Will ich haben, hier sind die Leer-Disks! So verlief meine erste Begegnung mit Maniac Mansion, das ich dann am heimischen C64 vollends in mein Herz schloss: Drei Charaktere aus sieben wählen, alle paar Meter eine Anspielung übersehen (ich war fünfzehn, und mein Englisch noch ausbaufähig…), hirnzermarternde 16 | RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 Puzzles und nette Animationen, sogar einige der ersten Cutscenes der Spielegeschichte im Wortsinne – es war sonnenklar, dass ich es mit einem Meisterwerk zu tun hatte. Ein fieses Meisterwerk obendrein: Wer ständig vor verschlossenen Türen steht und in der Küche die Kettensäge hängen sieht, dem geht das Herz auf. Es fehlt ihr zwar das Benzin, eine typische Adventure-Komplikation, doch das wird doch wohl zu finden sein. In der Garage beispielsweise. Oder im Keller? Maniac Mansion war zwar längst nicht mein erstes Spiel von Lucasfilm Games, doch weder Ballblazer noch Rescue on Fractalus noch Labyrinth hatten mich derart geflasht. Maniac Mansion war anders, und es legte nicht nur den Grundstein für zahlreiche weitere Adventures aus dem Hause LucasArts, sondern definierte über Nacht den Genrestandard neu. Es ist kein Zufall, dass 1987 das letzte Jahr war, in dem der Genreprimus Infocom noch reine Textadventures herauszubringen wagte, ab Zork Zero versuchte man, auf den Grafik-Zug aufzuspringen. Doch wer Spiele wie Maniac Mansion oder die noch weit populäreren Nachfolger wie Secret of Monkey Island erstmal gespielt hatte, war nur noch schwer zum Tippen ganzer englischer Sätze zu bewegen: LucasArts-Spiele waren (beinahe) ebenso knifflig, aber schöner, witziger und komfortabler. Ach so, für die drei oder vier Leser, die es nicht wissen: Natürlich gibt es gar kein Benzin in der Maniac Mansion. Die Kettensäge war ein „Red Herring“. RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 | 17 The Pawn » RETRO-REVIVAL EINE HERRLICH SCHRÄGE PARODIE AUF KLASSISCHE FANTASYADVENTURES. »PUBLISHER: MAGNETIC SCROLLS » ERSCHIENEN: 1985 »HARDWARE: ATARI ST, AMIGA, PC, SINCLAIR QL, APPLE II, ATARI, C64, MACINTOSH, ZX SPECTRUM, SCHNEIDER CPC, ARCHIMEDES Von Mick Schnelle Wer wie ich im Jahr 1985 schon stolzer Besitzer eines Atari ST samt Farbmonitor war und Freunden die unschlagbaren Vorteile eines 16-Bit-Computers gegen deren ollen 8-Bit-Schleudern demonstrieren wollte, hatte ein Problem: Abgesehen vom mitgelieferten Shareware-Malprogramm Neochrome gab es absolut nichts, bei dem der Atari seine Muskeln spielen lassen konnte. Bis dann eine hübsche junge Frau aus England bei so ziemlich jedem Spielemagazin der Zeit auftauchte und ein Adventure präsentierte, das grafisch den Weg ins 16 Bit-Zeitalter wies. Die Dame hieß Anita Sinclair, ihr Spiel The Pawn. Dass The Pawn zuvor in England für den Sinclair QL komplett ohne Grafiken erschienen war, wusste hierzulande kaum jemand. Das spielte aber auch keine Rolle. Ich wage mal die Prognose: Ohne die wunderschönen Bilder wäre das Adventure wahrscheinlich komplett untergegangen. Dabei waren die Bilder tatsächlich nur Beiwerk und lediglich an das Textadventure angeflanscht. Das zeigt sich schon allein daran, dass man die Bilder gar nicht zu sehen bekommt, sofern man sie nicht per Maus wie ein Rollo von oben herab nach unten zieht. Dafür gibt es nicht mal einen Menüpunkt, das musste man schon wissen – oder man musste eine Fachzeitschrift gelesen haben. Das Spiel selbst war eine herrlich schräge Parodie auf klassische Fantasy-Adventures und die Leute, die sich mit sowas beschäftigten. Vordergründig 18 | RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 ging es zunächst nur darum, König Erik dabei zu helfen, die in seinem Reich Kerovnia drohende Revolte zu verhindern. Wurden doch just jene Zwerge des Landes verwiesen, die sich wegen ihres einzigartigen Whiskeys besonderer Beliebtheit erfreuten. Bemerkenswert war der von Miss Sinclair und ihren Mannen selbstgebastelte Parser, der recht komplexe Sätze zuließ und dabei die übermächtig scheinende Konkurrenz von Infocom und Co. locker abhängte. Dazu gab es noch weitere technische Schmankerl. Zum einen die schon erwähnte Rollo-Grafik, dazu frei mit Kommandos belegbaren F-Tasten, ein eingebautes Hilfesystem und die veränderbare Schriftgröße und Hintergrundfarbe. Kurz und gut: The Pawn bot fast alles, was sich Freunde des gepflegten Adventures wünschten. Zugegeben, das Rätseldesign war alles andere als ausgewogen. Manche Aufgaben waren kinderleicht, andere dafür fast unlösbar, wenn man nicht um drei Ecken dachte. Ich weiß nicht, wie viele Wochen ich daran herumgetüftelt habe, einen unbeweglich erscheinenden Fels beiseitezuschaffen. Aber genau das machte ja den Reiz solcher Spiele aus, über die man vor dem Einschlafen nachdachte und über die man dann in der Schule oder Uni mit Gleichgesinnten diskutierte. Der Erfolg von The Pawn sorgte dafür, dass Magnetic Scrolls ihr Adventure für so ziemlich jeden damals erhältlichen Computer umsetzten. Wer’s heute noch spielen will, ist bei der Amiga-Version am besten aufgehoben, die die ansonsten gleich gute Atari-ST-Version durch besseren Sound toppt. Bemerkenswert: Gemalt wurden die wunderschönen Grafiken mit just jenem Sharewareprogramm Neochrome, das dem Farbmonitor des ST 1985 als kostenlose Zugabe beilag… RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 | 19 K L A SSIK E R- CH ECK SPEEDBALL 2: BRUTAL DELUXE Kyrandia 2 The Hand of Fate W estwood gehörte seit dem ersten Erfolg mit Dune 2 zu den Herstellern, deren Spiele man praktisch blind kaufen konnte. Egal ob Echtzeitstrategie, Rollenspiel oder eben Adventure. Was Westwood anpackte, stand für Qualität. So auch die Kyrandia-Reihe, deren erster Teil noch ein zwar schöner, letztlich aber doch reichlich biederer King’s Quest-Klon war. Deutlich mehr Eigenständigkeit sollte das Team um Firmengründer Brett Sperry mit dem zweiten Teil erreichen. Kyrandia 2: The Hand of Fate ist noch heute ein Adventure, das jeder, der es einmal gespielt hat, auf den ersten Blick wiedererkennt. Schuld daran: Magierin Zanthia, das erste Pin-up-Girl der Computerspiel- 20 | RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 branche. Lange vor Lara Croft! Aber beginnen wir mal brav ganz vorn… Kyrandia ist in Gefahr. Stück für Stück verschwindet das Land, und nur Zanthia kann das Unglück abwenden. Bis zum Mittelpunkt der Welt soll die königliche Magierin auf der Suche nach einem geheimnisvollen Stein reisen. Klingt spannend, ist spannend und schon die ersten Schritte mit Zanthia im heimischen Sumpf ziehen den Spieler in die herrlich schräge Geschichte, die durch ihr märchenhaftes Flair einen eigenen Zauber entwickelt. Die kesse Zanthia vermag mit ihren flotten Sprüchen ebenso zu verzaubern wie durch den Einsatz ihres magischen Kessels. Wer die benötigten Zutaten findet und die richtigen Zauber einsetzt, findet den Weg durch die fünf Kapitel lange Geschichte. Das Problem dabei: Anders als bei den LucasArts-Adventures zeigt der Cursor nicht an, wenn ein untersuchbarer Gegenstand gefunden wurde. Und durchsichtige Flaschen findet man in der wunderschön gezeichneten Grafik ebenfalls nicht sehr leicht. Da es zudem recht wenige Hinweise gibt und die deutsche Übersetzung gelegentlich zu Fehlern neigt, gehört Hand of Fate zu den kniffligeren Vertretern des Genres. Aber, und hier zeigt sich die Kunst eleganter Spielentwicklung, das stört gar nicht. Gelegentliches Fluchen gehört zu einem guten Adventure dazu! Und wer verfällt der reizenden Zanthia nicht, wenn sie aufgeregt durch die Gegend stapft und neben der Rettung der Welt auch immer auf ein stylishes Äußeres achtet? Zu den ganz großen Verkaufsrennern gehörte Hand of Fate trotz der innewohnenden Qualitäten nicht. Beim dritten Teil der Reihe war es dann aus mit der Frauenpower; es spielte wieder der aus Teil eins bekannte Hofnarr Malcolm die Hauptrolle. Trotz neuer Grafikengine und tollem Rätseldesign war Lenhardt auch Kyrandia 3 Von nichtHeinrich der erhoffte Erfolg. Westwood sollte nie wieder nach Kyrandia zurückkehren. Wahrscheinlich wartet Zanthia dort heute noch auf einen wagemutigen (und modebewussten) Kickstarter. Von Mick Schnelle » Mal im Hauskleid, mal lässig oder im Yeti-Style: die Modeschau der Zanthia DENK W ÜRDIGE Stylish auf Fingerschnipp Man muss nicht lange warten, bis Zanthia zum ersten Kostümwechsel ansetzt. Schließlich kann die Zauberin von Welt ja unmöglich im Hauskleid zur Weltenrettung antreten! Der geschmackvolle Schlammsumpflook muss dann für das gesamte erste Kapitel reichen, bevor nach einem rasanten Drachenflug der nächste Wechsel ansteht. Was am Anfang noch reichlich bieder wirkt, wird im Laufe des Spiels zu einem immer schnelleren Fashiontrip, in dem Ministrandkleidchen, knappe Shorts, Schneefraulook und sogar ein fliederfarbener Skianzug nicht fehlen dürfen. Highlight: das hautenge Yetikostüm. FAKTEN KLEINE NERVEREIEN ZAUBERHAFTE MAGIE Im Laufe des Spiels wächst einem die Zauberin Zanthia unweigerlich ans Herz. Das liegt nicht zuletzt an den Kommentaren, mit denen sie oft und ungefragt die jeweiligen Situationen kommentiert. Und ja, es liegt auch an den zahlreichen Outfits. Der Spieler ertappt sich des Öfteren dabei, wie er sich mehr Gedanken über Zanthias Garderobe macht als über die zu lösenden Rätsel. Dazu kommt das spaßige Ausprobieren immer neuer Zaubertränke und deren Auswirkungen auf Zanthia und andere Leute. Zusammen mit der auch für heutige Verhältnisse noch sehr schönen Märchengrafik entsteht eine einzigartige Atmosphäre. Ein Kessel Buntes PUBLISHER: VIRGIN ENTWICKLER: WESTWOOD VERÖFFENTLICHT: 1993 GENRE: GRAFIKADVENTURE Was die Presse sagte … Farbcode? Welcher Farbcode? Bei aller Freude, die es uns auch 2014 macht, mit Zanthia durch die Lande zu ziehen, hat das Team um Brett Sperry beim eigentlichen Rätseldesign ab und zu etwas geschlampt. So muss man sich den Farbcode von Glühwürmchen merken, um einen Schatz zu finden. Wer den Code danach für abgehakt hält und vergisst, wird später niemals den Weg ins Gasthaus finden. Denn die Rückkehr zu den Glühwürmchen ist ausgeschlossen! Richtig nervig: das Schalterrätsel, das den größten Teil des vierten Kapitels einnimmt – und das, nachdem man’s gelöst hat, von einer Trial-and-Error-Passage mit Zaubertränken abgelöst wird. DIE KAPITEL DIE ÜBERSETZUNG Ein wesentlicher Bestandteil im Rätseldesign von Hand of Fate sind die Zauberspüche, die intelligent eingesetzt werden wollen. Dazu findet Zanthia immer wieder verloren gegangene Seiten aus ihrem Zauberbuch. Doch die Rezepte wollen entschlüsselt werden: Wenn jeder Ritter in Schneemänner, Kristallstaub in einen Teddy verwandeln oder aus rotem Leder fliegende Schuhe machen könnte, wär’s ja einfach! Wer ein klein wenig aufpasst, entdeckt, dass der Zauberkessel zeitweilig ein Eigenleben besitzt. Dann fahren Schiffchen darauf herum oder ein Tentakel schlabbert über die Oberfläche. PLATTFORM: MSDOS Kröte mit Stuhlgang Beim Adventure unerlässlich: eine sehr gute Übersetzung, vor allem, wenn ein Werk immer wieder mit Wortspielen arbeitet. Leider hatte das Team bei Kyrandia 2 oft kein glückliches Händchen. So zum Beispiel die Sache mit der Kröte. Im Original wurde für das Mischen eines wichtigen Tranks ein „Toad’s Tool“ benötigt. Fand man dann später im Spiel eine Kröte und einen Hocker, erkannte der Engländer darin leicht „Toad Stool“ und somit den eigentlich gesuchten Gegenstand. Im Deutschen musste man leider raten, wo denn ein „giftiger Pilz“ zu finden war. Auch dass aus „Jack“ statt dem gemeinten „Wagenheber“ ein „Junge“ wurde, war wenig hilfreich. Kapitelweise neue Welten Hand of Fate gehört zu den Spielen, die in jedem Kapitel eine völlig neue Optik präsentieren. Am Anfang gibt’s den heimischen grün-braunen Sumpf, dann folgt das Festland mit gelben Ähren und einem lauschigen Seestädtchen. Danach geht’s ins lila-rote Volcania voller Lava. Schließlich reisen wir über die Wolken in eine weiß-blaue Schneewelt samt Yetihöhle. Und schließlich über einen kunterbunten Regenbogen zum großen Finale. Allerdings nimmt Zanthia immer wieder Kontakt zu ihrem Haustier auf, was zu herrlichen Gesprächen und einem zweigeteilten Bildschirm führt. Foto: kultboy.com Symbiose aus Heldin und Spiel MOMENTE DIE MODENSCHAU WIESO EIN KLASSIKER? SPEEDBALL 2: BRU TAL DELUXE Power Play 2/94: 79% »Die phantastische Geschichte und die professionelle Präsentation machen den Ausflug nach Kyrandia zu einer lohnenden und erholsamen Reise. Für Adventure-Profis wird es allerdings nur ein Kurztrip.« (Sönke Steffen) Was wir denken Hand of Fate verzaubert heute noch wie Anno 93. Es ist schon erstaunlich, wie gut die auf 256 Farben limitierte Grafik immer noch aussieht. Wer sich an den zugegebenermaßen pixeligen Look gewöhnt, hat heute noch genauso viel Spaß wie damals. RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 | 21 RETRO-REVIVAL BORROWED TIME KILLER AUS HEITEREM HIMMEL PUBLISHER: ACTIVISION ENTWICKLER: INTERPLAY ERSCHIENEN: 1985 GENRE: GRAFIKADVENTURE HARDWARE: AMIGA, APPLE II, ATARI ST, C 64, PCDOS, MACINTOSH PREISPROGNOSE: 60 EURO HISTORIE Von Anatol Locker Spieledesignern außerhalb des Roguelike-Genres gilt es als Todsünde, Spieler ohne Vorwarnung abzumurksen. Genau das machte Borrowed Time gleich zur freundlichen Einstimmung: Der Spieler schlüpft in die Rolle eines amerikanischen Privatdetektivs, der kein Geld, aber viele Fälle und Feinde hat. Kaum hat er sein Büro verlassen, steht er zwei schießwütigen Killern gegenüber. Wer auf der anschließenden, zehn Spielschritte dauernden Flucht auch nur einen falschen Zug macht, wird von Kugeln durchsiebt und lädt fluchend den letzten Spielstand (und das dauerte früher richtig lange!). Sprich: Borrowed Time war fies. Und zwar richtig. Allein die Anfangssequenz würde also ausreichen, es heutzutage in die Ecke zu pfeffern. Wieso erinnere ich mich dann trotzdem so gern daran? Ganz einfach: 1985 war man noch nicht verwöhnt, und Interplays Abenteuerspiel war für seine Zeit extrem gut aussehend. Wer ausgefeilte Geschichten mit knackigen Rätsel genießen wollte, griff zu Infocoms bildfreien Textabenteuern. Grafikabenteuer dagegen litten aufgrund der Speicherknappheit oft unter einer zu simplen Story und Spielmechanik. Ein „Illustrated Text Adventure“ wie Borrowed Time, das Augenpulver bei Bedarf von Diskette lud, war geradezu revolutionär; ein angenehmes Zwischending zwischen der spielerischen Tiefe eines Textadventures und den aufkommenden Grafikadventures (Maniac Mansion erschien erst zwei Jahre später). Die Grafiken waren sogar animiert! Da hüpft neckisch ein Telefonhörer auf der Gabel oder ein Killer schlägt eine Scheibe ein. Auch das Interface war seiner Zeit voraus: Klickbare Kompassrose, Wort- und Gegenstandliste und Mausbedienung (na ja – via Joystick). Legend Entertainment entwickelte dieses Interface mit der Spellcasting-Serie zur Perfektion – aber eben erst ab 1991. Sofern ich die Anfangshatz überlebte, musste ich als Privatdetektiv sieben fein konstruierte Minikrimis lösen. Und das in schönster Film-Noir-Manier: Hier hat Interplay kräftig, aber gekonnt bei Raymond Chandler, Rex Stout und Dashiell Hammett geklaut. Borrowed Time war nicht kompliziert („Gib dem Hund den Knochen“), bot aber schon auch ein paar knackigere Puzzles. Manchmal tauchte aus heiterem Himmel ein Killer auf, sodass man wieder fluchend den letzten Spielstand lud. Die nette Detektivgeschichte stammt übrigens von niemand Geringerem als Brian Fargo. Er hatte gerade Interplay gegründet und einen Deal mit Activision über drei Adventures abgeschlossen. Mindshadow war das erste Spiel, dann folgte Borrowed Time, und Tass Times in Tonetown beendete die Serie. Anschließend schrieben Brian Fargo und Kollegen mit Wasteland und The Bard’s Tale Spielegeschichte – das ist aber schon wieder eine andere Story. Die erzähle ich euch dann vielleicht ein andermal. 22 | RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 | 23 Making Of Ambitioniert, technisch verblüffend, unglaublich kostspielig und nie vollendet: Retro Gamer ergründet, wieso Shenmue trotzdem und selbst heute noch so viele treue Fans hat. E s gibt einige Spiele, die als Triumph des Spieldesigns, als Meilenstein des Fortschritts, als ungeheuer tief und gleichzeitig spielenswert gefeiert werden. Doch nur wenige dieser Ausnahmetitel waren gleichzeitig mit derartigen Problemen behaftet wie Shenmue. Und wenige andere Ausnahmespiele werden noch heute so von ihren Fans verehrt. Während seiner Entwicklung überlebte die Reihe zwei Konsolen, häufte enorme Produktionskosten an und baute sich eine treue Fanbasis auf, die nun schon mehr als eine Dekade überdauert. Wie viele Shenmue-Fans sicher wissen, basiert die Entstehung der Serie auf einer anderen Marke des internen Sega-Studios AM2. Geplant war das Spiel als RPG-Erweiterung im Virtua-Fighter-Universum auf dem Sega Saturn. Das zeigt sich nicht nur an den Charaktermodellen, sondern auch direkt im Quellcode. Yu Suzuki veranlasste sogar, dass die Bezeichnung im Code für Held Ryo, auch im fertigen Spiel, das Kürzel AKIR (als Kurzform von Akira, einer Figur aus Virtua Fighter 2) behält. Zwar ist es schwer zu sagen, wann genau aus dem Spin-off Shenmue wurde, der Zeitraum lässt sich aber auf die letzten Wochen der Entwicklung für das Saturn oder die Anfangszeit der Dreamcast-Entwicklung eingrenzen. In der Tat ist es nicht leicht, sich beim Anblick früher Bilder von Ryo ein Lächeln zu verkneifen – die Ähnlichkeit zu Akira ist immens. Auch in einem Video einer frühen Version des Spiels für den Saturn, das der Dreamcast-Veröffentlichung von Shenmue II beilag, lassen sich die Parallelen nicht leugnen. 24 | RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 Doch trotz des Fortschritts, den das Spiel in den zwei Jahren auf dem Saturn machte, konnte das Unheil nicht mehr abgewendet werden: In Nordamerika verkaufte sich das Saturn nur schleppend, die Entwickler taten sich mit der Hardware schwer und der Support von Sega of America versagte. Die Arbeiten an der Saturn-Version von Shenmue kamen ins Stocken. Eins war klar: Falls Shenmue jemals das Licht der Welt erblicken sollte, dann auf einer anderen Plattform. Zum Glück hatte Sega genau diese schon in der Hinterhand... Das war der Startschuss für Project Berkley, der Codename für Shenmue in der Frühphase vor dem DreamcastLaunch. Immer noch lassen sich viele Videos mit Techdemos zu Project Berkley im Internet finden. Besonders interessant ist das Alter der Demos, das darauf hindeutet, dass Shenmue eines der ersten Entwicklungsprojekte für die Dreamcast überhaupt war. Der Codename haftete für lange Zeit an dem Projekt. Sogar auf der Teaser-Disk, die dem japanischen Launchtitel Virtua Fighter 3tb beilag, war von Project Berkley die Rede. Es mag zwar verlockend sein, einen Großteil der horrenden Entwicklungskosten auf die Probleme während der Saturn-Phase und den anschließenden Hardware-Wechsel zu schieben – das wäre aber nur die halbe Wahrheit. Denn trotz des Wechsels auf die programmierfreundlichere Dreamcast gab es bei Sega keinen Grund zur Freude. Allein die Kosten für die Arbeitskräfte und die Organisation einer solchen Unternehmung sind gewaltig. Als wir den Lead Systems Programmer Tak Hirai zu seiner Rolle in der Entwicklungsphase von FAKTEN PUBLISHER: SEGA ENTWICKLER: SEGAAM2 PLATTFORM: DREAMCAST ERSCHIENEN: 1999 GENRE: ACTIONADVENTURE PREISPROGNOSE: 20 EURO Shenmue befragen, erläutert er: „Ich war für die Organisation eines Teams von 87 Programmierern verantwortlich. Zusätzlich hatte ich grundlegende Entscheidungen über die Eigenschaften des Spiels zu treffen. Ein derart großes Team zu managen ist ein Albtraum. Hätte ich mit jedem einzelnen Mitarbeiter nur zehn Minuten täglich sprechen wollen, hätte mich das jeden Tag 14,5 Stunden gekostet.“ Auch zu seinem eigenen Programmierpensum äußert sich Tak Hirai: „Ich wurde nicht nur mit dem Aufbau der Entwicklungsumgebung, sondern mit der Erstellung eines elementaren Grundgerüsts für die Systemprogrammierer beauftragt. Darüber hinaus war ich für das Charaktersystem, die Render-Pipeline, das Lichtmodell und die Performance-Optimierung zuständig. Ich habe mir meine Hände mit der Programmiersprache SH4 Assembly schmutzig gemacht, um wirklich alles aus der Dreamcast rauszuholen. In meiner Freizeit kümmerte ich mich dann noch um kleine Details in den Zwischensequenzen, wie zum Beispiel die physikalische Simulation von Telefonkabeln, die Ketten an den Handschellen im zweiten Kapitel oder den Lichtkegel von Autoscheinwerfern. Am Ende kamen ungefähr 200 der insgesamt mehr als 300 Quelldateien von mir.“ Aus heutiger Sicht ist es ein Wunder, dass das Projekt nach dem Motto „koste es, was es wolle“ durchgeprügelt und schließlich fertig wurde. Und obwohl es noch andere Spiele in dieser Ära gab, die eine ähnlich aufwendige Story hatten, fällt uns kein anderer Titel ein, der derart viele aufwendige Spielmechaniken in sich vereinte. Mit einem Team dieser MAKING OF... SHENMUE RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 | 25 Making Of SHENMUE Die Schlüsselfiguren in Ryos Abenteuer in Yokosuka Nozomi ist Ryos Freundin aus Kindheitstagen. Die gelegentliche „Jungfrau in Nöten“ ist für die Liebesgeschichte des Spiels zuständig. Obwohl ihre Eltern nach Kanada zogen, blieb sie in Japan. Gewöhnlich arbeitet sie im Blumenladen ihrer Großmutter. Von allen Charakteren ruft Ryo sie am häufigsten an. Fuku-san ist ein ehemaliger Schüler von Iwao Hazuki, in dessen Wohnung er seit jungen Jahren lebte. Im Spiel wird er oft als tollpatschig und sozial unbeholfen dargestellt, mitunter dient er auch als lustige Abwechslung. Trotz einiger weniger Fehltritte, die Ryo das Leben erschweren, ist er extrem loyal und wie ein Bruder für Ryo. Gui Zhang ist der Sohn und Schüler des Antiquitätenhändlers und Kampfkunst-Meisters Chen. Obwohl Ryo und Gui Zhang einen holprigen Start haben, werden sie zu engen, wenn auch unkonventionellen Freunden. Ihre wachsende Freundschaft stellt die stärkste Charakterentwicklung in Shenmue 1 dar. Mark ist ein Kollege Ryos am Hafen und für seine Gabelstapler-Fahrstunden zuständig. Eigentlich kam er zum Hafen, um dort seinem vermissten Bruder nachzuspüren. Das führt zu einigen sehr emotionalen Szenen mit Ryo. Zwar wurde er als Charakter oft übersehen, aber die dritte Disk (und damit Spielabschnitt 3) wäre ohne ihn nicht dieselbe. Lan Di ist der Antagonist der Serie. Er ist verantwortlich für den Tod von Iwao Hazuki und das Ziel von Ryu auf seiner Suche nach Rache. Im Laufe des ersten Shenmue bleibt er ein Mysterium. Außer seiner Verbindung zu den Chi You Men, seiner Gier nach den Spiegeln und seiner Brutalität ist nur wenig ist über ihn bekannt. 26 | RETRO GAMER SPEZIAL 1/2015 Größe, das auch noch mit diversen Unterprojekten beschäftigt war, bedurfte es einer geradezu märchenhaften Organisation – und zwar nicht nur bei der Einteilung der Mitarbeiter, sondern auch bei der Struktur des Programmcodes. Hirai verrät uns seine damalige Strategie: „Die Programmierabteilung war grob in zwei Bereiche aufgeteilt. Das erste war die Systemprogrammierung. Die anderen Gruppe erstellte die GameEvents, die durch die Skriptsprache ausgelöst wurden. Die Funktionen, die mit Ingame-Events verknüpft waren, legten wir klar fest, damit ein Update einer einzelnen Komponente keine negativen Auswirkungen auf die Programmstruktur hatte. Um die Effektivität in unserem großen Team zu erhöhen, arbeitete jeder von uns mit Objektdateien, die vom Quellcode unabhängig waren. Ich hielt es für lächerlich, dass 87 Leute ihre Zeit mit Kompilieren verschwenden müssen, sobald jemand eine Kleinigkeit am Quellcode änderte.“ Doch so hoch auch der Aufwand war, so wichtig war es auch, die hinter Shenmue beabsichtigte Vision zu verstehen: „Wir investierten unglaublich viel Zeit in Features, die für den Spieler unsichtbar sind“, führt Hirai fort. „Wenn das Spiel auf euch natürlich wirkte und nichts unrealistisch rüberkam, dann lag das daran, dass wir trotz der für damalige Verhältnisse begrenzten Hardware-Power viel Zeit für subtile Details aufwendeten. Gerade bei Wettereffekten kommt es auf Leistung an, daher war deren Optimierung besonders wichtig.“ Alle 300 NPC (Nicht-Spieler-Charaktere) wurden einzeln in der Spielwelt verteilt. Solange alles harmonierte, führte dass dazu, dass sich die Entwickler nicht um Kollisionen zwischen den NPCs kümmern mussten, und Rechenzeit sparten. Doch wenn der Spieler einem NPC in den Weg kam und dieser ausweichen musste, wurde plötzlich alles zunehmend komplizierter. Es war schier unmöglich, eine (in der echten Welt triviale) Situation aufzulösen, wie etwa einen „vom Weg abgedrängten“ NPC direkt vor eine Tür zu stellen. Gegenüber jüngeren Spielern ist es schwer zu erklären, wie großartig die Offene-Welt-Features von Shenmue zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung waren. Voller Ehrfurcht beobachteten wir die schwimmenden Fische im Koi-Teich oder Ryos Schatten, der seine Position passend zur Tageszeit änderte. Obwohl vieles von dieser Weltsimulation für den Spieler gar nicht zu sehen war, war sie doch zu spüren. Wir verbrachten beispielsweise Ryos Mittagspausen oft damit, Vögeln nachzulaufen. In jedem anderen Spiel wäre nichts weiter passiert, aber in Shenmue flogen sie realistischerweise weg, sobald wir uns ihnen näherten. Aber auch ein Epos wie Shenmue blieb während seiner Entwicklung nicht davon verschont, dass einige der » [Dreamcast] Ob ihr sie liebt oder hasst, QuickTime-Events hatten einen Stammplatz in der Shenmue-Reihe.
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