Die Samstagsreportage Vom entzündeten Auge und dem noch immer verfilzten Fell mal abgesehen: Die zwei Mädels – Penny, die Tricolor-Katze, und Tiger Smokey – sehen schon jetzt ein bisschen nach Postkartenmotiv aus. Perserkatzen zählen zu den ältesten Rassekatzen. Nummer 78 · Samstag, 4. April 2015 25 Die Dreherhof-Mitarbeiterinnen Petra Albrecht, Andrea Klotzbücher und Martina Kaasen wünschen ihren Schützlingen ein gutes Daheim. 13 Perser und eine Frage Im Tierheim des Ostalbkreises gab es jüngst ungewöhnlichen Zuwachs Bei den Jungs ist’s nicht so schlimm. Sie hatten ein Mindestmaß an Kontakt und Ansprache; zum Teil genießen sie es bereits, sich irgendwo anschmiegen zu können und gestreichelt zu werden. Anders die Mädchen. Einige haben sich am Anfang eingenässt vor Angst, wenn Menschen zu nahe kamen. Von Birgit Trinkle SCHWÄBISCH GMÜND / OSTALBKREIS. 13 reinrassige Perserkatzen wurden am 12. März befreit – ein anderes Wort gibt es nicht dafür – und ins Tierheim Dreherhof gebracht. Sie waren laut Protokoll unterernährt, dehydriert, die meisten hatten irgendwelche kleinere Wunden und sie waren ungekämmt. Wer nun verständnislos den Kopf schüttelt, „na und“, zählt zu den garantiert über 90 Prozent der Bevölkerung, die von Langhaarkatzen keine Ahnung haben. Auch die RZ-Frau erfährt erst Auge in Auge mit „Socke“, der grauweißen verwahrlosten Jüngsten im Perser-Bund, dass eine Perser-Katze am besten täglich gekämmt wird. Bei der Kätzin kommt kein Kamm an gegen den Filz; wer’s versucht, rupft büschelweise Fell aus dem ohnehin völlig verstörten Tier. Vom Überlebenskünstler Charly abgesehen, werden fast alle Katzen, die für die Kastration vorgemerkt sind, während der OP auch noch geschoren. Charly sieht schon wieder ganz gut aus; Smokey, der nicht mal mehr den Kopf drehen konnte vor lauter schmutzstarrem Filz, war so froh am Gerupfe, das ihn von der scheußlichen Last befreite, dass er mittlerweile wieder einen seidenweichen Hals und Nacken hat. Bei Penny gelang es, einen männerfaustgroßen Klumpen Plastik, Kot und Filzfell vom Hinterteil zu schneiden. Ansonsten können sie einem noch immer leid tun, die Bewohner der Quarantänestation. Sie fauchen, und sie drücken sich in die Ecken, und nur ganz vereinzelt wird deutlich, wie nett sie es fänden, ein bisschen gestreichelt zu werden. Noch ist die Katzenfamilie zu mager, zu schwach für größere Eingriffe, überhaupt ist durch die Inzucht zu befürchten, dass die ohnehin schwachen Herzen der Perserkatzen noch mehr in Mitleidenschaft gezogen wurden: „Wir hoffen so, dass sie wieder aufwachen aus der Narkose“, ist immer wieder zu hören dieser Tage. Das Thema Operation steht zudem erst seit einer Woche an: Davor waren die Rassekatzen Gäste; erst jetzt, nach eingehender Prüfung der Sachlage, wurden sie dem Tierheim übereignet. Keine Gefahr mehr, dass sie zurückmüssen in ihren Kerker. Alles andere wäre für die DreherhofLeute auch undenkbar. Schwerer als die körperlichen Schädigungen, die medizinischen Aspekte, wiegt für sie die Vernachlässigung, die Angst der Katzen, ihre unübersehbare Verstörtheit. „Bei Menschen würde man vom KasparHauser-Syndrom sprechen“, sagt Martina Kaasen. lebt heute bei den Besitzern eines Stuttgarter Schönheitssalons und hat sogar einen richtigen Job: Jeden Tag geht er mit seinen Menschen zur Arbeit. Oder der sollte sich nicht wundern, wenn sich Nachwuchs einstellt, wenn der Nachwuchs dann wieder Junge zur Welt bringt: Wenn Mutter mit Sohn zusammenkommt, Tante mit Cousin und so weiter. Nun waren die beiden Katzenhalter offenbar völlig damit überfordert, das eigene Leben zu gestalten; es gab richtig schlimme Probleme. Aber Leidtragende waren nun mal die Katzen. Irgend- Nicht allen Züchtern geht’s ums Tier Das Thema Zucht in Verbindung mit Tierheim ist immer schwierig – selten bis nie eine gute Geschichte. Wie denn auch, wenn irgendwo im Osten gezüchtete Rassehunde vom Kofferraum aus verkauft und die „Restposten“ dann entsorgt werden wie ein Karton voller Altpapier. Oder wenn heimische Profitler beschließen, im Keller so genannte Kampfhunde zu „reproduzieren“, um dann richtig Geld zu machen mit ihnen. Die RZ hat vor zwei Jahren den unglaublich liebebedürftigen jungen Pitbullterrier Don vorgestellt, der nicht nur äußerst stümperhaft kupiert, sprich an Ohren und Schwanz verstümmelt war, sondern auch chronisch arthrosekrank – Charly ist bereits kastriert und der einzige, aus dessen Fell der Filz gekämmt wurde. Von allen 13 Brüdern, Nichten, Onkel weshalb er auf Umwegen und Schwestern sucht er am meisten die Nähe zu den Menschen. beim Dreherhof-Chef Hans Wagner landete. Was niemand für vierjährige Berner Sennenhund, der un- wann wurden einfach die Kater in einen möglich gehalten hatte: Der entstellte, ter äußerst unglücklichen Umständen Raum, die Kätzinnen in den anderen gekranke, teuer zu haltende Kampfhund den behinderten Sohn der Familie gebis- sperrt. Dort hausten sie unter unsäglifand jemanden, der in ihm das Seelchen sen hatte und ins Tierheim gebracht wur- chen hygienischen Bedingungen zwivon Tier sah, das er nun mal ist: Der Don de. Sein Züchter war einer von der Sorte, schen Müllbergen und verwahrlosten. die’s ernst meinen, wenn sie von Verant- Tag für Tag, Monat für Monat, wohl Jahr wortung sprechen. Viele Stunden ist er für Jahr – die jüngste der Unglückskatgefahren, um das kastrierte, zur Zucht zen ist vermutlich ein Jahr alt, der Ältesalso ungeeignete Tier abzuholen: „Keiner te etwa fünf. der Meinen endet im Tierheim.“ Vielleicht ist es so verlockend, sich mit solchen Geschichten aufzuhalten, weil es Nicht zulassen, dass Tiere furchtbar viele andere gibt. instrumentalisiert werden Auch das Menschenpaar, das das Perser-Elend verschuldet hat, fällt unter den Begriff Züchter. Wenn sie auch Züchter Sie sind so oft wütend. Die Haupt- und wider Willen waren. Obwohl: Wer Zucht- Ehrenamtlichen im Dreherhof ringen kater und Zuchtkatze zusammen sperrt, hart um Gelassenheit, vor allem wenn sie Noch sind die 13 Neuankömmlinge in Quarantäne – auch wenn jetzt sicher ist, dass sie gesund sind. Ver- Ganz allmählich kommt es zur Annäherung: Hin- und hergerissen zwischen „nimm mich, nimm stört, mehr oder weniger, sind sie alle. mich“ und „bleib mir ja vom Leib“. „Kampfhund“ Don Ende 2012 im Alter von einem Jahr. Nach dem schlimmsten Start hatte das Opfer skrupelloser Züchter richtig viel Glück. ja doch nichts ändern können an all dem Tierelend, das immer wieder neu über sie hereinbricht. Wieder werden heuer – aktuelles Beispiel – an Ostermärkten Häschen angeboten, weil sie sooo süß sind und sich so gut machen im Osternest. Lebende Häschen wohlgemerkt, die Schmerzen leiden, die Bedürfnisse haben und die eines ganz sicher nicht sind: Schmusetiere, die bei Nichtgefallen in die Ecke gestellt werden können. Aber genau das, weiß man im Dreherhof, wird passieren. Sie sprechen vom „Instrumentalisieren“ der Tiere. Ein Hase ist kein Ersatz für die Playstation. Und wenn Erwachsene kommen, die recht deutlich machen, dass sie eine Katze oder einen Hund als Partner- oder KindErsatz suchen, jemanden, dem sie all ihre Liebe geben können, macht Martina Kaasen recht taktvoll deutlich, dass der Dreherhof kein geeignetes Tier vorhält: „Wir geben keine Seelentröster aus, mit denen etwas kompensiert werden soll; ein Tier muss Tier sein dürfen.“ Perserkatzen sind offenbar gefragt – fürs Dreherhof-Team ist es gar keine Frage, dass es Interessenten geben wird. In Frage kommt freilich nur, wer bestimmte Bedingungen erfüllt. Wer eine Katze annimmt, übernimmt Verantwortung, nicht für zwei Monate, sondern unter Umständen 20 Jahre lang. Für die traumatisierten Neuankömmlinge kommt zudem nur ein ruhiger Haushalt ohne kleine Kinder und ohne Hund in Frage; sie werden zu zweit abgegeben, oder als Zweitkatze, an Menschen, die wissen oder lernen wollen, welche Bedürfnisse eine Langhaarkatze hat. Einfach wird’s nicht mit diesen verstörten Wesen. Aber wer ihnen Zeit lässt, wer auf sie eingeht, darf sich an Klasse-Katzen freuen, da ist man sich auf dem Dreherhof einig. Vielleicht ist ja auch für die wundersame Perser-Sippe ein Happy End möglich, wie bei Don und dem Berner Sennenhund? So ein bisschen Glück verdient haben sie ganz bestimmt. Info Das Tierheim Dreherhof � Der organisierte Tierschutz in der Region ist 60 Jahre alt - 1955 wurde erstmals ein Tierschutzverein gegründet. 1981 entstand dann das Tierheim Dreherhof in der Trägerschaft des Ostalbkreises. Betrieben wird es vom Tierschutzverein Ostalb e.V. Das Tierheim ist zuständig für die Unterbringung und Versorgung von Fund- und Abgabetieren im gesamten Landkreis. � Fast ununterbrochen ist der Dreherhof überbelegt – so wenig Katzen wie jetzt im Vorfrühling, rund 60, gab es lange nicht mehr. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern sich um die Tiere, die sie nach Möglichkeit in ein gutes Zuhause vermitteln. Weil viele Tiere nicht vermittelbar sind, soll auch die „Endstation Dreherhof“ ein Wohlfühlort sein. � Wer in irgendeiner Form dazu beitragen will, ist herzlich willkommen. Telefon 0 73 66 / 58 86. Fax: 0 73 66 / 92 17 14. Mail: [email protected] Öffnungszeiten März bis Oktober: Mo, Di, Do, Fr von 16 bis 18 Uhr, Samstag von 9 bis 12 Uhr
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