04 Problemkonstellationen Täterschaft-FINAL

Vorlesung „ Lehren des Strafrecht AT und
Delikte gegen die Person“
Professor Dr. Felix Herzog
Sommersemester 2015
Problemkonstellationen der Täterschaft
Themenüberblick

Täterschaft und Teilnahme: allgemeine
Probleme
 Besonderheiten bei eigenhändigen Delikten
 strafrechtliche Haftung von Kollektiven?
(Strafbarkeit von juristischen Personen)

Mittelbare Täterschaft – qualifikationslos
doloses Werkzeug
Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
 Eigenhändige Delikte: Täter kann nur sein, wer die
Tathandlung eigenhändig ausführt, weil der besondere
Verhaltensunwert nur auf diese Weise zu realisieren ist
 Mittelbare Täterschaft ist ausgeschlossen!
 Jeder andere Beteiligte, der die Tathandlung nicht selbst
vornimmt, kann – unabhängig vom Grad seiner Tatbeherrschung – nur Teilnehmer sein
Beispiele
 Aussagedelikte (§§ 153, 154)
 Trunkenheit im Verkehr (§ 316) – str.
 Rechtsbeugung (§ 339)
Lästiges Kind-Fall
M lebt mit seiner Lebensgefährtin L und deren
siebenjähriger Tochter T, die aus einer früheren Ehe
stammt, zusammen. M möchte das Leben mit L genießen
und empfindet die kindgerechte Lebensgestaltung als
lästig. L möchte ihre Tochter aber auf keinen Fall in die
Hände des leiblichen Vaters geben. Um T aus dem Hause
zu „ekeln“, schmiedet M folgenden Plan: Sein Kumpel K ruft
immer wieder zu verabredeten Zeiten zu Hause an, wenn L
gerade nicht da ist. M lässt T ans Telefon gehen. K redet
dann auf T ein und erzeugt gezielt mit erfundenen
„Horrormeldungen“ bei dem Kind schwere Angstgefühle. T
gerät derart in ein seelisches Ungleichgewicht, dass L (die
von den Hintergründen nichts weiß) zu dem Schluss
kommt, T sei wohl doch besser bei ihrem leiblichen Vater
aufgehoben.
Mittelbare Täterschaft
bei qualifikationslos dolosem Werkzeug (1)
... am Fallbeispiel
 K ist Extraneus und kann nicht Täter des § 225 I – hier:
begangen in der Tatmodalität des Quälens – sein
 M kann nicht Anstifter zu der Tat sein, da gar keine
(von K begangene) Haupttat vorliegt
 ein „klassischer“ Fall der mittelbaren Täterschaft liegt
nicht vor, da eine überlegene Stellung des „Hintermannes“
(M) weder durch Irrtum noch durch Nötigung noch durch
Organisationsherrschaft begründet wird
Beachte: Bei anderen Tatmodalitäten des § 225 I tritt das
Problem nicht auf, da der Extraneus sich gem. § 223
(=Allgemeindelikt) strafbar macht.
Mittelbare Täterschaft
bei qualifikationslos dolosem Werkzeug (2)
Lösungsvorschläge
 mittelbare
Täterschaft
infolge
normativer
Tatherrschaft: Delikt kann nicht ohne Mitwirkung des
Intraneus begangen werden
 unmittelbare Täterschaft infolge eines anderen Täterbegriffs: statt Tatherrschaft Innehabung der tatbestandlichen Täterqualifikation
 Täterschaft
aus
dem
Gesichtspunkt
garantenpflichtwidrigen (§ 13) Unterlassens
des
dazu: Stratenwerth/Kuhlen § 12 Rn. 38-41
Lederspray-Fall (1)
Die E-GmbH stellt Lederspray zur Pflege von Schuhen
und Lederkonfektion her. Bei einigen Verbrauchern
treten im Zusammenhang mit der Verwendung dieser
Sprays
schwere
Atemnot
und
andere
behandlungsbedürftige Symptome auf. Nachdem diese
Nachricht die Geschäftsführung der E-GmbH erreicht
hat, beschließen die vier Geschäftsführer A, B, C und
D, ein toxikologisches Gutachten über die Inhaltsstoffe
des Sprays einzuholen. Der Gutachter kann sich die
geschilderten Symptome nicht erklären, will aber einen
ursächlichen
Zusammenhang
zwischen
der
Verwendung
des
Sprays
und
den
Krankheitssymptomen nicht ausschließen.
…
Lederspray-Fall (2)
A, B, C und D führen daraufhin einen Beschluss der
Geschäftsführung herbei; maßgeblich ist die einfache
Mehrheit. Einstimmig beschließen sie, die Produktion
fortzusetzen.
Später stellt sich heraus, dass ein ursächlicher
Zusammenhang besteht und weitere Verbraucher
geschädigt worden sind.
vgl. BGHSt 37, 106
Verantwortlichkeit von Kollektiven? (1)
 StGB = striktes Individualstrafrecht; eine
Täterschaft von Kollektiven kommt nicht in
Betracht
 Kollektive, auch juristische Personen, sind
weder handlungs- noch schuldfähig
 Zurechnung fremder Tatbeiträge (§ 25 I 2. Alt.,
§ 25 II) knüpft stets an individuelles Handeln an;
Handlungs- und Schuldfähigkeit müssen gegeben
sein
Verantwortlichkeit von Kollektiven? (2)
Lösungsvorschläge
(...am Fallbeispiel: Kollektiventscheidungen)
 bei vorsätzlichem Handeln:
Zurechnung des Abstimmungsverhaltens der anderen
Geschäftsführer
auf
der
Grundlage
eines
gemeinschaftlichen Tatentschlusses (§ 25 II)
 bei fahrlässigem Handeln:
Abwandlung der conditio sine qua non-Formel in Fällen
kumulativer Kausalität
vgl. BGHSt 37, 107; 48, 77
Verantwortlichkeit von Kollektiven? (3)
„Für die Beurteilung der Kausalität ... kommt es nicht
darauf an, welche Wirkung das Handeln gehabt hätte,
das jedem einzelnen ... geboten war. Vielmehr ist auf
das parallele Unterlassen aller derjenigen abzustellen,
die ebenso ... pflichtwidrig untätig geblieben sind, also
auf
die
Untätigkeit
aller
Mitglieder
des
(Entscheidungsgremiums) ... Deshalb bleibt es ohne
Bedeutung, daß jeder (einzelne) möglicherweise ... mit
der
ihm
gebotenen
Initiative
an
einer
entgegenstehenden Mehrheit gescheitert wäre. Kann
die zur Schadensabwendung erforderliche Maßnahme
nur durch das Zusammenwirken mehrerer Beteiligter
zustande kommen, …
Verantwortlichkeit von Kollektiven? (4)
…
so
setzt
jeder,
der
es
trotz
seiner
Mitwirkungskompetenz unterläßt, seinen Beitrag dazu
zu leisten, eine Ursache dafür, daß die Maßnahme
unterbleibt; innerhalb dieses Rahmens haftet er für die
sich daraus ergebenden tatbestandsmäßigen Folgen.
Dabei kann er sich nicht damit entlasten, daß sein
Bemühen,
die
gebotene
Kollegialentscheidung
herbeizuführen, erfolglos geblieben wäre, weil ihn die
anderen Beteiligten im Streitfalle überstimmt hätten.
Sonst könnte sich jeder Garant allein durch den
Hinweis auf die gleichartige und ebenso pflichtwidrige
Untätigkeit gleichgeordneter Garanten von jeder
strafrechtlichen Haftung freizeichnen“(BGHSt 37, 106, 131 f.).
aus: BGHSt 47, 77, im Anschluss an BGHSt 37, 106
Verantwortlichkeit von Kollektiven? (5)
Nach Art. 3 und Art. 4 des Zweiten Protokoll zum
Übereinkommen über den Schutz der finanziellen
Interessen der Europäischen Gemeinschaften vom 19.
06.
1997
sowie
nach
verschiedenen
EURahmenbeschlüssen ist die Bundesrepublik verpflichtet,
Regelungen zu schaffen, die es ermöglichen,
• juristische
Personen
(unter
bestimmten
Umständen) verantwortlich zu machen, wenn von
Leitungspersonen Straftaten begangen werden
• gegen
juristische
Personen
Sanktionen
festzusetzen, die wirksam, abschreckend und
angemessen sind