NEWSLETTER Gesundheitspolitik EDITORIAL Entwurf zur Krankenhausreform enttäuschend Der Personalmangel an deutschen Krankenhäusern ist dramatisch. Doch die konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der Personalausstattung, die das Bundesgesundheitsministerium in seinem Referentenentwurf zu einer neuerlichen Krankenhausreform nun vorgelegt hat, sind enttäuschend. Viele Krankenhäuser haben inzwischen erhebliche Probleme, qualifizierten Nachwuchs für den ärztlichen wie den pflegerischen Bereich zu gewinnen und – im Rahmen des DRG-Systems – zu finanzieren. Insgesamt fehlen 162.000 Beschäftigte in deutschen Krankenhäusern, um gute Arbeit zu leisten – allein rund 70.000 davon in der Pflege. Vor allem in der Nacht ist eine sichere Versorgung nicht mehr gewährleistet. In einer bundesweit erhobenen Stichprobe im März 2015 hatte ver.di in 225 Krankenhäusern die Beschäftigten im Nachtdienst befragt. Auf knapp 57 Prozent der Editorial p Entwurf zur Krankenhausreform enttäuschend Nachrichten p Krankenhausreform: ver.di fordert Expertenkommission p Pflegereform: Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff so schnell wie möglich p Pflege-TÜV: Weiterentwicklung der Pflegenoten notwendig p Sozialer Dialog: Muskel-Skelett-Erkrankungen vorbeugen p Saarbrücken: 1. Gesundheitskongress Termine p ver.di-Tagung: Betriebliche Interessenvertretungen aus der Altenpflege p ver.di-Aktion: 162.000 für 162.000 Lesetipp p Gesundheitsreformen in Deutschland p Die Rückkehr des Sozialen in die Politik 1 Stationen arbeitete eine Fachkraft alleine. In über 28 Prozent dieser Fälle versorgte sie 30 und mehr Patient/innen und auf fünf Prozent der Stationen pflegte eine Fachkraft allein 40 und mehr Patient/innen. Auf zehn Stationen versorgte lediglich eine Hilfskraft die Patient/innen. Selbst auf Intensivstationen ist die Situation nicht besser. Dort werden die Pflegekräfte zum Teil mit mehr als sechs Schwerkranken konfrontiert. Im Schnitt muss eine Pflegekraft 3,3 Patient/innen versorgen. Diese lückenhafte Besetzung kann unmittelbar gesundheitliche Folgen haben. »Eine sichere Behandlung ist letztendlich nur dort möglich, wo das ärztliche und pflegerische Personal nicht über Gebühr belastet wird«, heißt es in dem Entwurf einleitend. Doch obwohl zunehmend das Patientenwohl gefährdet ist, wird auch in diesem Entwurf darauf verzichtet, mit verbindlichen Personalvorgaben für Sicherheit und Entlastung zu sorgen. ver.di fordert entscheidende Weichenstellungen, um die Situation nachhaltig zu verbessern: Gebraucht wird eine gesetzliche Personalbemessung. Ein erster Schritt kann eine verbesserte finanzielle Ausstattung sein. Mittelfristig müssen zur Behebung der prekären Personalausstattung rund 8 Milliarden Euro aufgewendet werden. Rund die Hälfte davon ist durch die überfällige Anhebung der Investitionsquote der Länder auf 9 Prozent vom Umsatz abzudecken. Diese Investitionen müssen die Länder – so ist es gesetzlich vorgesehen – finanzieren. Derzeit zahlen sie weniger als die Hälfte der erforderlichen Investitionen und zwingen so die Krankenhäuser, aus den Erlösen der Krankenversorgung Investitionsmittel abzuzweigen. In einer Zeit anhaltend hoher Steuereinnahmen muss und kann aber eine Aufstockung der Fördermittel erfolgen. Die Stellungnahme von ver.di zur Krankenhausreform gibt es hier. NEWSLETTER Gesundheitspolitik · 01/2015 · 22. Mai 2015 NEWSLETTER Gesundheitspolitik NACHRICHTEN Krankenhausreform: ver.di fordert Expertenkommission Zur inhaltlichen Begleitung der vom Gesetzgeber geplanten Krankenhausreform fordert ver.di zeitnah die Einrichtung einer Expertenkommission. Es müsse noch vor dem Sommer eine Kommission beim Bundesministerium für Gesundheit zur Abbildung und Finanzierung des Personalbedarfs in den Krankenhäusern eingerichtet werden, um nicht weitere Sicherheitslücken in der Personalausstattung entstehen zu lassen, forderte Sylvia Bühler, zuständiges Mitglied im ver.di-Bundesvorstand. Deren Bericht müsste dann samt Gesetzesvorschlägen noch in dieser Legislaturperiode vorgelegt werden. Wichtig sei dabei, dass die Lösungen alle Berufsgruppen im Krankenhaus erfassten, damit das Personalproblem nicht einfach nur verschoben werde. ver.di geht von 162.000 fehlenden Stellen in den deutschen Kliniken aus. Der Personalmangel habe einen alarmierenden Umfang erreicht. Mehr zum Thema hier. Pflegereform: Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff so schnell wie möglich ver.di sieht für Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz einen erheblichen Reformbedarf. Somatisch, kognitiv und psychisch beeinträchtigte Pflegebedürftige haben bislang nicht den gleichen Leistungsanspruch wie körperlich beeinträchtigte Pflegebedürftige. Daher fordert die Gewerkschaft die Bundesregierung auf, jetzt endlich die Weichen für den seit neun Jahren diskutierten neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff zu stellen und ihn spätestens zum 1. Januar 2017 wirksam werden zu lassen. Hierbei darf aber aus ver.di-Sicht kein Pflegebedürftiger zum heutigen Recht schlechter gestellt werden – worauf jedoch ein kürzlich veröffentlichtes Gutachten Hinweise gibt. Die Reform wird mit Kosten verbunden sein. Gegen die mit dem Pflegestärkungsgesetz I eingeführte Demografiereserve – jährlich etwa 1,2 Milliarden Euro bis 2035 – hatte ver.di bereits protestiert. Diese Mittel werden schon heute benötigt, zudem droht Wertverlust. Auch mahnen ver.di und das Bündnis für Gute Pflege, dass die für das Pflegestärkungsgesetz II veranschlagten 2,4 Milliarden Euro jährlich nicht ausreichen werden. Die schleichende Entwertung der Pflegeversicherung durch die unzureichende Dynamisierung der Leistungen müsse gestoppt werden. Die Altenpflege ist von hoher Arbeitsverdichtung geprägt – und der Bedarf an Pflegekräften wird steigen. Bereits Ende 2016 fehlen voraussichtlich knapp 19.000 examinierte Altenpflegefachkräfte, heißt es bei der Bundesagentur für Arbeit. ver.di fordert daher eine bundeseinheitliche Personalbemessung in der Altenpflege, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, eine Erhöhung der Ausbildungsplätze sowie die Abschaffung des teils noch üblichen Schulgeldes. Die Stellungnahme von ver.di zum Pflegebedürftigkeitsbegriff ist hier abrufbar. ZITAT DES MONATS: »Überbelastung und Unterbezahlung werden den Personalmangel in der Altenpflege künftig deutlich verschärfen. Es ist davon auszugehen, dass später rund 152.000 Fachkräfte fehlen.« So SoVD-Präsident Adolf Bauer anlässlich des Internationalen Tages der Pflege am 12. Mai. 2 NEWSLETTER Gesundheitspolitik · 01/2015 · 22. Mai 2015 NEWSLETTER Gesundheitspolitik Pflege-TÜV: Weiterentwicklung der Pflegenoten notwendig ver.di begrüßt es, dass sich die Bundestagsfraktionen für eine grundlegende Reform des sogenannten Pflege-TÜVs einsetzen. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass notwendige Vergleichskriterien der Leistungserbringer ausgesetzt werden. Es muss vielmehr eine Weiterentwicklung hin zu einer wirklichen Vergleichbarkeit von ambulanten Diensten und Pflegeeinrichtungen geben. Im Mittelpunkt müssen dabei die Interessen der Pflegebedürftigen und ihre bedarfsgerechte Versorgung stehen. ver.di unterstützt deshalb die Forderung nach mehr Unabhängigkeit in der Festlegung sinnvoller Kriterien und ihrer Gewichtung. Dies könne durch ein multidisziplinär besetztes Institut für Qualität in der Pflege geleistet werden. Ohne die Einbindung von Pflegebedürftigen, ihrer Angehö- rigen und den beruflich Pflegenden in die Weiterentwicklung des Qualitätsprüfungsprozesses lässt sich keine Transparenz erreichen. Die Qualität der Pflege selbst lässt sich nur durch gute Arbeitsbedingungen verbessern. Die Lage der Beschäftigten in der ambulanten und stationären Pflege jedoch ist wegen geringer Entlohnung und Personalmangels prekär. Ziel von ver.di ist, dass eine qualifizierte Altenpflegerin mindestens 3.000 Euro im Monat verdient. Ein Zwischenschritt ist ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag. Damit ausreichend viel Personal vorgehalten wird, das sich am Bedarf der Pflegebedürftigen ausrichtet, braucht es bundeseinheitliche gesetzliche Vorgaben. Die Stellungnahme von ver.di zur Reform des Pflege-TÜVs gibt es hier. Sozialer Dialog: Muskel-Skelett-Erkrankungen vorbeugen Im sozialen Dialog Krankenhäuser gehen der Europäische Gewerkschaftsverband für den öffentlichen Dienst (EGÖD) und der Arbeitgeberverband HOSPEEM das Problem der Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) an. Im Mittelpunkt stehen dabei Maßnahmen und gute Beispiele, die Muskel-Skelett-Erkrankungen vorbeugen. In Europa zählen diese zu den häufigsten Berufskrankheiten. Auch gibt es umfangreiche Erkenntnisse zur Prävention. Dennoch werden präventive Maßnahmen sowohl von Management als auch Belegschaften nicht an- genommen. HOSPEEM und EGÖD haben am 25. Februar in Paris eine Fachtagung mit Expert/innen aus Betrieben, Gewerkschaften, Vertreter/innen der Arbeitgeber und Wissenschaft durchgeführt, um ein gemeinsames Verständnis über die Herausforderungen zu erreichen und auf dieser Grundlage mögliche Lösungsansätze zu entwickeln. Diese sollen dann in den neuen strategischen Rahmen der EU für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit eingebracht werden. Mehr Informationen gibt es hier. Saarbrücken: 1. Gesundheitskongress ver.di war auf dem 1. Saarbrücker Gesundheitswirtschaftskongress am 6./7. Mai vertreten. Mehr als 500 Teilnehmer/innen besuchten über 130 Vorträge und Foren, die sich u.a. um die Themen Gestaltungsverantwortung im Gesundheitswesen, Gesundheitsprävention für Mitarbeiter/innen und Mitspracherechte von Patient/innen drehten. Vertreten waren Kliniken und Gesundheitsnetze, Me- 3 dizin und Pflege, Wissenschaftler/innen und Gesundheitsunternehmer/innen. Stark besucht waren die Veranstaltungen zur Gesundheitsprävention von Beschäftigten. ver.di war an einer Veranstaltung zur betrieblichen Gesundheitsförderung und am Dialog mit Auszubildenden und Studierenden aus Gesundheitsberufen beteiligt. Der nächste Kongress ist für den 14. bis 16. April 2016 geplant. NEWSLETTER Gesundheitspolitik · 01/2015 · 22. Mai 2015 NEWSLETTER Gesundheitspolitik TERMINE ver.di-Tagung: Betriebliche Interessenvertretungen aus der Altenpflege ver.di-Aktion: 162.000 für 162.000 29.–30. Juni 2015 / Kassel Die Fachtagung für Interessenvertretungen in der Altenpflege will Kolleginnen und Kollegen bundesweit vernetzen und das Thema gesetzliche Personalbemessung diskutieren. Die Teilnehmer/innen erwarten spannende Vorträge und Diskussionen und eine Auswahl an handlungsorientierten Workshops zu betrieblichen Fragestellungen. Zum Anmeldeformular geht es hier. LESETIPP Gesundheitsreformen in Deutschland In diesem Buch haben die Autoren Franz Knieps und Hartmut Reiners ihre nunmehr 30-jährige Erfahrung in der Gesundheitspolitik verarbeitet. Das Buch schildert den ökonomischen und rechtlichen Rahmen von Gesundheitsreformen, die Entwicklung der GKV von einer Lohnersatzkasse zur Finanzierungsgrundlage der größten Dienstleis- IMPRESSUM Herausgeber: ver.di Bundesvorstand Bereich Gesundheitspolitik verantwortlich: Herbert Weisbrod-Frey Redaktion: Dietmar Erdmeier, Dr. Margret Steffen Uta von Schrenk, Herbert Weisbrod-Frey Leserbriefe/Kontakt: [email protected] Fax: 030 / 69 56 - 34 20 Erscheint als: E-Mail Internet: www.gesundheitspolitik.verdi.de Links zu weiterführenden Inhalten im Internet sind im Text blau gekennzeichnet. 4 24. Juni 2015 / bundesweit Mit der Aktion »162.000 für 162.000« will ver.di am 24. Juni auf den bundesweiten Personalmangel in Krankenhäusern aufmerksam machen. Es fehlen 162.000 Stellen, davon allein 70.000 in der Pflege. Dies soll der Öffentlichkeit vor Augen geführt werden. ver.di hat dazu 162.000 Nummernschilder an Krankenhäuser versandt. Jede Karte entspricht einer fehlenden Stelle. Wie die Aktion genau abläuft, erfährt man hier. tungsbranche unserer Volkswirtschaft sowie die Abläufe von Reformen der GKV seit 1988. Knieps, heute Vorstand des BKK-Dachverbandes, ist unter anderem Berater für die WHO, EU, die Bundesregierung und die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit. Reiners war als Referatsleiter der Gesundheitsministerien Brandenburg und Nordrhein-Westfalen an der Erarbeitung aller GKV-Reformgesetze seit 1988 beteiligt. F. Knieps / H. Reiners: Gesundheitsreformen in Deutschland. Verlag Hans Huber 2015. 400 Seiten, 29,95 Euro. Die Rückkehr des Sozialen in die Politik Auf Einladung der Diakonie Deutschland, von ver.di, Hans-Böckler-Stiftung und Evangelischer Kirche in Deutschland haben sich Expert/innen der Themenfelder Armut, Gesundheit, Pflege, Inklusion und Jugend über die gegenwärtige soziale Lage in Deutschland sowie sozialpolitische Herausforderungen der Zukunft ausgetauscht. Die Ergebnisse dieses intensiven Prozesses, die Ideen und Lösungsvorschläge wurden mit Gästen aus Politik und Gesellschaft in den sozialpolitischen Dialog gebracht. Die Dokumentation der Veranstaltung gibt es auf der Seite der Hans-Böckler-Stiftung. Mehr zur Veranstaltungsreihe hier. NEWSLETTER Gesundheitspolitik · 01/2015 · 22. Mai 2015
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