Exkursionsbericht VOEST

Linz, 14.April 2015
Exkursionsbericht
VOEST Exkursion
ZWANGSARBEIT IN DEN HERMANN
GÖRING WERKEN
(NS-Zeit)
Lehrveranstaltung:Exkursionen und GeoEvents und Publikationen
ANL2GW3EXE
SS 2015
Seminargruppe: N-4-D
vorgelegt von
Anna Stürzl
Matrikelnr.: 1391632
eingereicht bei
Mag. Prof. Koller Alfons
Mag.phil. Prof. Kuschnigg Wolfgang
Inhaltsverzeichnis
Einleitung .................................................................................................................................................................................... 4
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Die Reichswerke Linz ................................................................................................................................................... 5
1.1.
Die Besonderheiten am Standort................................................................................................................... 6
1.2.
Einsatz von Zwangsarbeitern.......................................................................................................................... 6
Belegschaft........................................................................................................................................................................ 8
2.1.
Deutsche “Herrenmenschen” .......................................................................................................................... 8
2.2.
Vorfall in Gendarmerie-Dienststelle............................................................................................................. 9
2.3.
Aus Werbung zum Zwang ................................................................................................................................. 9
2.4.
Entwicklung der Belegschaft ......................................................................................................................... 10
2.5.
Polenerlasse ......................................................................................................................................................... 10
Arbeitserziehungslager Schörgenhub ................................................................................................................. 12
3.1.
Die Häftlinge im “KZ der Gestapo” .............................................................................................................. 12
3.2.
Reglementierung des Arbeitseinsatzes ..................................................................................................... 13
WERKSCHUTZ ............................................................................................................................................................... 15
4.1.
Widerstand und Sabotage............................................................................................................................... 15
4.2.
Aufgaben des Werkschutzes .......................................................................................................................... 15
4.3.
Zusammensetzung des Werkschutzes....................................................................................................... 16
Unterkunft, Einstufung und Hygiene ................................................................................................................... 17
5.1.
Einstufungsgefälle.............................................................................................................................................. 17
5.2.
Hygiene in Lagern .............................................................................................................................................. 17
5.3.
Unterkunft und Kenntlichmachung ............................................................................................................ 18
5.4.
“Baracken-Stadt” Linz ...................................................................................................................................... 19
Nationen in den Hermann Göring Werken........................................................................................................ 20
6.1.
Franzosen .............................................................................................................................................................. 20
6.2.
Italiener .................................................................................................................................................................. 20
6.3.
Tschechen .............................................................................................................................................................. 21
6.4.
Volksdeutsche...................................................................................................................................................... 23
6.5.
Griechen ................................................................................................................................................................. 23
6.6.
Ostarbeiter und Kennzeichnung .................................................................................................................. 24
6.6.1.
6.7.
7.
Ostarbeitererlasse .................................................................................................................................... 25
Arbeitsalltag und Freizeit ............................................................................................................................... 26
Arbeiterinnen in den Werken – Frauengesundheit, Schwangerschaft und Abtreibungspolitik . 27
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7.1.
„Fremdvölkische Schwangere“ ..................................................................................................................... 27
7.2.
Abtreibung als Akt der Willkür..................................................................................................................... 27
7.3.
Säuglingsheim ...................................................................................................................................................... 28
7.4.
Prostitution und Bordelle ............................................................................................................................... 29
Zusammenfassung ................................................................................................................................................................ 30
Literaturverzeichnis ............................................................................................................................................................. 31
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EINLEITUNG
Ich nahm im Herbst 2014 an der, von Herrn Kranzlmüller organisierten,
Lehrerfortbildung [Veranstaltungstitel: Die Entwicklung der VÖEST 19382014 (mit Stahlwelt und Werkstour)]in die VOEST teil. Dort hatten wir eine
Werkstour, lernten die Geschichte des Unternehmens kennen und durften
eine Führung durch die Zeitgeschichteausstellung 1938 – 1945 erfahren.
Darausentwickelte sich auch meine Idee zum Thema des
Exkursionsberichtes, da es bei der Zeitgeschichteausstellung der VOEST
Stahlwelt vor allem um die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus
allen möglichen Ländern ging, die zur Arbeit in den damaligen Hermann
Göring Werken verpflichtet wurden. Nach Absprache mit Herrn Koller
beschäftigt sich mein Exkursionsbericht jetzt unter anderem mit der
Situation der Zwangsarbeiterschaft in den Hermann Göring Werken sowie
den Nationalitäten, den Anwerbeaktionen und der weiblichen Belegschaft.
Der Bericht baut auf der Führung und dem Vortrag von Frau Michaela
Schober auf, die als Betriebshistorikerin für die corporate history and
documentation der voestalpine AG verantwortlich ist. Literaturhinweise
werden zwar weitere angeführt im Literaturverzeichnis, doch die Hauptquelle
bezieht sich auf den Vortrag von Fr. Schober.
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1. DIE REICHSWERKE LINZ
Seit der Fusion im Jahre 1939 mit der Alpine Montan AG hieß das neue
Reichswerke-Unternehmen Alpine Montan AG “Hermann Göring” Linz - der
Sitz wurde von Wien nach Linz verlegt, was den Standort massiv aufwertete.
In Linz waren nun fünf unterschiedlich große Betriebe vereint: Die
Hauptverwaltung als Muttergesellschaft aller österreichischen ReichswerkeStandorte sowie die Hütte Linz, die Stahlbau GmbH Linz - als Engineeringund Montagebetrieb zum Bau der Werke-, die Eisenwerke Oberdonau und
die Versorgungsbetriebe der Hütte Linz. Generaldirektor wurde GöringIntimus Paul Pleiger, der auch den Mutterkonzern in Berlin leitete. Zudem
wurden von Linz aus folgende Standorte geführt: Wien, Ternberg, Traisen,
Radmer, Neuberg, Gloggnitz, Eisenerz, Seegraben. Krieglach, Kindberg,
Donawitz, Leoben, Fohnsdorf, Judenburg, Zeltweg, Köflach, Graz,
Hüttenberg und Ferlach (vgl. Schober 2014, Vortrag).
Die Reichswerke AG mit Sitz in Berlin war von Anfang an ein zentraler Faktor
der deutschen Rüstungsindustrie, der mit der Eroberungspolitik des NSStaates in unmittelbarer Verbindung stand. In den von den deutschen
Armeen besetzten Ländern übernahm der Reichswerke-Konzern wichtige
Schlüsselindustrien. Das gigantische Firmengeflecht vereinte ehemals
tschechische, französische, polnische, rumänische und sowjetische Industrieund Rüstungsbetriebe. Im Gebiet zwischen Dnjepr und Donets in der
heutigen Ukraine etwa brachte der Konzern 20 Rüstungswerke unter seine
Kontrolle. 1943/44 zählte der Reichswerke-Komplex 260 Unternehmen mit
über drei Millionen Beschäftigten, davon 1,6 Millionen Zwangsarbeiterinnen
und Zwangsarbeiter (ohne Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge).
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1.1.
DIE BESONDERHEITEN AM STANDORT
Das hohe Ausmaß der NS-Zwangsarbeit in Linz hatte Gründe - die
“Führerstadt” war kein gewachsener Industriestandort. Der neue Standort
der Hermann Göring Werke hatte keine Stammarbeiterschaft. Zudem
wurden immer mehr heimische Arbeiter zum Kriegsdienst verpflichtet. Die
Lösung für den Arbeitskräftemangel sahen die NS-Verantwortlichen im
massiven Einsatz ausländischer Arbeitskräfte. Die Linzer Reichswerke
zählten zu den ersten Großbetrieben in der damaligen Ostmark, in denen
massenhaft ausländische Arbeitskräfte eingesetzt wurden. Gemessen an der
großen Zahl an Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern war die Zahl der
Bewacher relativ klein, das ist ein Anzeichen dafür, dass in Linz die
Bedingungen ziemlich rigoros waren. Zudem waren in Linz relativ viele
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus den unteren hierarchischen
Gruppen, also Polen, Ostarbeiter, KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene, im
Einsatz(vgl. Schober 2014, Vortrag).
1.2.
EINSATZ VON ZWANGSARBEITERN
Beim Einsatz von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern nahm der
Konzern eine Vorreiterrolle ein und hatte auch eine “privilegierte” Stellung
gegenüber privaten Industriebetrieben, was die Zuteilung von
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern betraf. Die Reichswerke nehmen
somit schon zu Beginn eine besondere Stellung in der NSBeschäftigungspolitik ein. Die “Deutsche Arbeitsfront”, die 1933 anstelle der
verbotenen Gewerkschaften als Einheitsverband der Arbeiterschaft
gegründet worden war, war für deren Organisation und politischideologische Prägung verantwortlich. Die Reichswerke boten nun den
inländischen Arbeitern Privilegien und Aufstiegsmöglichkeiten im Rahmen der
“Volksgemeinschaft”, bei gleichzeitiger Unterdrückung und Ausbeutung der
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sogenannten fremdvölkischen Arbeitskräfte.Ohne Zwangsarbeit hätte der
Linzer Standort der Hermann Göring Werke nicht gebaut, geschweige denn
betrieben werden können, zu groß war der Arbeitskräftemangel. Das
Unternehmen und das Deutsche Reich als Eigentümer profitierten in weiterer
Folge von Zwangsarbeit: Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden
geringer entlohnt als heimische Arbeitskräfte. Frauen bekamen noch
weniger. Kriegsgefangene bzw. KZ-Häftlinge erhielten gar keinen Lohn, die
Linzer Reichswerke mussten für sie einen Betrag an die Wehrmacht bzw. die
SS entrichten. Darüber hinaus hatten die Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter zum Teil Sonderabgaben zu leisten. Aufgrund mangelnder
Qualifikationen und schlechter Lebens- und Arbeitsbedingungen blieb die
Produktivität von Zwangsarbeit hinter den Erwartungen des NS-Regimes
zurück.
Zur Durchsetzung des Zwangssystems in der NS-Wirtschaft setzte man auf
Repression und militärische Befehlsstrukturen. Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter durften weder kündigen noch ihren Arbeitsplatz selbständig
verlassen. Unerlaubtes Fernbleiben, “Blaumachen”, wurde besonders streng
bestraft. Je nach Schwere der Verfehlung gab es unterschiedliche
Maßnahmen wie Verwarnung, strenge Verwarnung, Geldbuße, Entzug der
Lebensmittelkarten, Haft, Arbeitserziehungslager oder KZ. Für die
Verhängung der einzelnen Sanktionen waren verschiedene Sicherheitsorgane
zuständig. Befehle und Repressionen erfuhren die Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter durch Werkschutz, Lagerbewachung, Arbeitswache,
Arbeitsämter, Schnellgerichte, Schutzpolizei, SS (Schutzstaffel) und Gestapo
(Geheime Staatspolizei). In Kooperation mit den Arbeitsämtern verwaltete
diese eine spezielle “Ausländer-Kartei”(vgl. Schober 2014, Vortrag).
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2. BELEGSCHAFT
Je aussichtsloser die Kriegslage wurde, desto rigoroser wurden die Strafen.
Im Oktober 1943 forderte die Reichsvereinigung Eisen eine “straffe,
anständige und gerechte Behandlung der Zwangsarbeiter”. Gleichzeitig
stellte man fest, dass “Verfehlungen streng und konsequent geahndet
werden müssen”. Neben Abmahnungen bedeutete das in der Praxis auch
körperliche Misshandlungen sowie Einweisungen in ein
Arbeitserziehungslager oder KZ. Erste Anzeichen von Repressionen bekamen
tschechische Arbeiter bereits im Jahre 1939 zu spüren, die extra aus den
Steyr-Werken auf das Linzer Werksgelände der Hermann Göring Werke
gebracht wurden, um ihre “Arbeitsunlust” zu brechen. Wenn nötig,sollte die
Gestapo zu “brutalen Methoden” greifen. Den Hintergrund für diese frühen
Vorfälle bildete der alte tschechisch-deutsche Nationalitätenkonflikt. Im
Gegensatz dazu lobte man die Arbeitsleistungen der zu diesem Zeitpunkt
noch verbündeten Italiener und Slowaken.
2.1.
DEUTSCHE “HERRENMENSCHEN”
Deutsche wurden von der NS-Propaganda als “Herrenmenschen” stilisiert.
Die nationalsozialistische Führung leitete daraus das Recht ab, “niedrigere
Rassen” zu beherrschen. Inländische Beschäftigte standen deshalb
hierarchisch, in jedem Fall, über den ausländischen Arbeitskräften. Diese
Machtposition führte nicht selten zu Repression, physischer und psychischer
Gewalt. Mit Fortdauer des Krieges reduzierte sich die einheimische
Belegschaft. Im Gegensatz dazu stieg die Anzahl der ausländischen
Arbeitskräfte weiter an. In der Schlussphase des NS-Regimes führten die
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Angst vor Rache und die vage Hoffnung auf den “Endsieg” zu teilweise
exzessiver Gewaltanwendung(vgl. Schober 2014, Vortrag).
2.2.
VORFALL IN GENDARMERIE-DIENSTSTELLE
Unter dem Betreff “Verkehr mit Kriegsgefangenen und sonstigen
Angehörigen der polnischen Nation” wurde am 21. September 1940 ein
Erlass veröffentlicht, der das Mitleidsbekunden von Herrenmenschen zu
ausländischen Kräften untersagte. Ein Vorfall soll sich bei der
Personendurchsuchung eines polnischen Arbeiters ereignet haben: Ein
Gendarm äußerte sich während der Untersuchung wohlwohlend und mitleidig
mit den Worten “Bist eh ein armer Kerl” und bekundete so offen sein Mitleid
und seinen Zweifel daran, dass der Arbeiter irgendetwas Verbotenes mit sich
führte. Dieser Vorfall wurde gemeldet und mit einer Verwarnung des
Beamten, ging der Erlass ein Hand, das jegliche Mitleidsbekundung fehl am
Platz sei. Sie passe nicht in die nationalsozialistische Weltanschauung und
sei geradezu ein Verbrechen gegen die vielen tausenden deutschen Männern
und Frauen, die im Kampf gegen Polen gefallen sind oder ermordet wurden.
2.3.
AUS WERBUNG ZUM ZWANG
Trotz massiver Propaganda meldeten sich nur wenige Freiwillige für den
Arbeitseinsatz im Großdeutschen Reich. Die Anwerbeaktionen in den
besetzten Gebieten organisierten die NS-Arbeitsämter. 1944 schätzte man
die Zahl der Freiwilligen auf weniger als 200.000. Dem gegenüber standen
rund 5 Millionen “fremdvölkische Arbeitskräfte”. Meldeten sich nach einer
Werbeaktion zu wenige Freiwillige, setzten die NS-Behörden auf Druck und
Drohungen. Nutzte auch das nichts, wurden regelrechte Menschenjagden
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veranstaltet. Die Durchführung erfolgte durch lokale Sicherheitskräfte,
Wehrmacht und SS(vgl. Schober 2014, Vortrag).
2.4.
ENTWICKLUNG DER BELEGSCHAFT
Am 3. August 1938 trafen die ersten ausländischen Arbeitskräfte in den
Hermann Göring Werken in Linz ein. Weil es nach dem Beginn des
Russlandfeldzuges zu wenige Freiwilligen-Meldungen gab, setzten die NSBehörden verstärkt auf Zwangsrekrutierungen. Zwischen 1942 und 1943
konnte die Belegschaft damit um 8.000 Personen erhöht werden. Im
Zeitraum von 1941 bis 1944 wurde die Arbeitskräfteanzahl sogar verdoppelt.
2.5.
POLENERLASSE
Für Polen entwickelte die NS-Verwaltung Richtlinien für die Rekrutierung und
Zwangsarbeit der ansässigen Bevölkerung, die Polenerlasse. Dahinter stand
die nationalsozialistische Ideologie der Ungleichheit der Rassen.
Dementsprechend hingen die Lebens- und Arbeitsbedingungen der
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter von ihrer nationalen Zugehörigkeit
ab. Am unteren Ende der Skala rangierten die Polen und die Bewohner der
ehemaligen Sowjetunion. In den Hermann Göring Werken kamen
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sowie Kriegsgefangene ab Herbst
1940 zum Einsatz. Parallel dazu wurde die inländische Belegschaft, durch
Einberufungsbefehle, immer weiter reduziert. Ab Ende 1942 wurden auch
männliche KZ-Häftlinge eingesetzt. Zwei Außenlager des KZ Mauthausen
befanden sich direkt auf dem Werkgelände. Je länger der Krieg dauerte
desto mehr verschlechterten sich die Arbeitsbedingungen für alle
Beschäftigten.
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Es wurden sogar Merkblätter zum Umgang mit fremdvölkischen
Arbeitskräften erstellt. Dort wurde vor den Arbeiterinnen und Arbeitern
gewarnt. Die Herrenmenschen sollten Abstand zu den Zwangsarbeiterinnen
und Zwangsarbeitern halten, da sie sich ihrer Identität als vorherrschende
deutsche Rasse bewusst sein sollten und ansonsten harte Strafen drohten
(vgl. Schober 2014, Vortrag).
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3. ARBEITSERZIEHUNGSLAGER SCHÖRGENHUB
Schwere Verfehlungen am Arbeitsplatz oder Flucht wurden mit der
Einweisung in ein Arbeitserziehungslager (AEL) geahndet. Im Unterschied zu
Konzentrationslagern (KZs) war die Aufenthaltsdauer im AEL mit maximal 8
Wochen begrenzt. Durch harte Arbeit, Gewaltanwendung und
unzureichender Ernährung sollten die Häftlinge rasch “gebrochen” werden.
Wer Schörgenhub überlebte, kehrte nach dem Lageraufenthalt an seinen
Arbeitsplatz zurück. Viele ehemalige Internierte bewerten die AEL als “KZs
der Gestapo”.
3.1.
DIE HÄFTLINGE IM “KZ DER GESTAPO”
Ab 1943 wurden männliche ausländische Arbeiter und politische Häftlinge später auch Frauen - in das neue Arbeitserziehungslager (AEL) Schörgenhub
eingewiesen. Davor, 1942, wurden nur fallweise aus der Polizeihaft in Linz
Einweisungen in das AEL Oberlanzendorf in der Nähe von Wien
vorgenommen. Die durchschnittlichen Inhaftiertenzahlen im AEL
Schörgenhub lagen zwischen 300 und 500 Personen. Während der letzten
Kriegsmonate stieg die Belegung auf bis zu 1.000 Gefangene an. Insgesamt
durchliefen rund 6.000 - 7.000 Menschen das Lager. Das Ziel dieser
Einrichtung der Gestapo war “die Disziplinierung der inländischen und
insbesondere ausländischen Arbeitskräfte”. Tatsächlich herrschten brutale
Gewalt und Willkür durch die Wachmannschaften. “Arbeitsvertragsbrüchige”
aus den Hermann Göring Werken Linz zählten zu den am weitaus stärksten
im AEL vertretenen Gruppen. Die mit rund 1,8 Hektar relativ kleine Anlage
war das einzige AEL im Gau Oberdonau(vgl. Schober 2014, Vortrag).
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3.2.
REGLEMENTIERUNG DES ARBEITSEINSATZES
Charakteristisch für die NS-Zwangsarbeit war, dass sich Regeln und
nationale Zuordnungen ständig änderten. Deutsche und Angehörige
verbündeter Staaten standen an der Spitze der Hierarchie. Darunter folgten,
in Abstufungen, alle anderen Ausländer. Für gleiche Arbeit bedeutete das
unterschiedliche Entlohnung und Verpflegung. Nach “rassischen”
Gesichtspunkten wurde auch die Freizeitgestaltung reglementiert. Die
Ungleichbehandlung zwischen den einzelnen Zwangsarbeitergruppen führte
zu einer starken Entsoldarisierung. Auf der untersten hierarchischen Ebene
befanden sich Polen und Russen. Besser erging es Tschechien und Italienern.
Nach der Kapitulation Italiens, im Herbst 1943, verschlechterte sich die
Situation der Italiener schlagartig. Je näher das Kriegsende rückte, desto
größer wurden Repression und zeitlicher Druck für die Beschäftigten. 1944
betrug die wöchentliche Arbeitszeit in den Hermann Göring Werken 72
Stunden, so viel wie in keinem anderen Industriekonzern des Deutschen
Reiches. Dazu kamen mangelnde Ernährung, katastrophale hygienische
Bedingungen und schlechte Unterkünfte.
Den Aufenthalt im AEL, das der Gestapo unterstand, empfangen viele
Häftlinge schlimmer als im KZ. Dafür verantwortlich waren unter anderem
mangelnde Rückzugsmöglichkeiten und eine äußerst brutale Behandlung
durch die deutschen und ukrainischen SS-Wachmannschaften. Mit der
Kriegsdauer erhöhte sich der Anteil der ukrainischen SS-Einheiten in
Schörgenhub. Durch Willkür und Brutalität - insbesondere gegenüber
“Ostarbeitern”, Polen und Protektoratsangehörigen - wollten die als “rassisch
minderwertig” geltenden Ukrainer die deutschen Wachmannschaften
beeindrucken. Dennoch stand die Gestapo dem Einsatz “Nicht-Deutscher”
reserviert gegenüber. Klar war hingegen, das ein Lager mit wenigen und
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“rassisch niedrigen” Wachleuten nur durch bedingungslose Härte zu führen
sei. Gegenüber deutschen Häftlingen, die nach Schörgenhub kamen, war
diese Härte aber abgemildert. Als Angehörige der “Herrenrasse” durften
ihnen “fremdvölkische” Aufseher keinerlei Befehle erteilen. Dafür waren
“deutsche” Wachmannschaften zuständig(vgl. Schober 2014, Vortrag).
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4. WERKSCHUTZ
4.1.
WIDERSTAND UND SABOTAGE
Die Grenzen zwischen Überlastung, schlechter Arbeitsqualität, körperlicher
Schwäche, absichtlicher Verzögerung und Sabotage waren fließend.
Störungen der Produktion wurden in den Hermann Göring Werken - als
kriegswichtiger Betrieb - drakonisch bestraft. Schon der Verdacht auf
Sabotage genügte. Trotz aller Repression förderte der NSUnterdrückungsapparat den passiven Widerstand. Dieser reichte vom
Unmutsäußerungen und vorgetäuschte Krankmeldungen, bis zur
“Bummelei”. Solidarität herrschte aber nur innerhalb der eigenen Gruppe.
Kontakte über die ethnischen Grenzen hinweg verhinderte die NSRassenhierarchie. Eine Zusammenarbeit zwischen widerständigen
Einheimischen und Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern ist deshalb
nicht bekannt.
4.2.
AUFGABEN DES WERKSCHUTZES
Der Werkschutz der Hermann Göring Werke zählte rund 350 Mann. Dazu
kamen ca. 400 Personen in zusätzlichen Sicherheits- und
Aufsichtsfunktionen. Die Zuständigkeit erstreckte sich auf das gesamte
Betriebsgelände. Ausgenommen war die Bewachung von KZ-Häftlingen und
Kriegsgefangenen. Der Werkschutz sollte Auffälligkeiten nachgehen,
Ermittlungen durchführen und im Verdachtsfall die Gestapo verständigen.
Bei “Gefahr im Verzug” wie zum Beispiel Flucht oder Sabotage durfte die
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Einheit auch selbst aktiv werden und physische Gewalt anwenden. Eine
weitere Aufgabe war die umfassende Vorbereitung von
Schnellgerichtsverfahren. Am 1. Jänner 1945 wurde der Werkschutz aller
Linzer Großbetriebe zu einem einheitlichen Verband zusammengefasst(vgl.
Schober 2014, Vortrag).
4.3.
ZUSAMMENSETZUNG DES WERKSCHUTZES
Nach den Vorgaben der NS-Verwaltung sollte der Werkschutz aus
männlichen Staatsbürgern des Deutschen Reiches bestehen. In der Praxis
der Hermann Göring Werke wurden aber häufig “Nicht-Deutsche” für
Sicherheits- und Kontrollaufgaben der unteren Ebene herangezogen. Dies
betraf das Sicherheitspersonal für die Wohnlager der Zwangsarbeiterinnen
und Zwangsarbeiter, das vor allem aus Italienern, Franzosen, Slowaken,
Ungarn, Russen, Ukrainern sowie Frauen bestand. Auch beim Werkschutz
selbst muss man unterscheiden, so wurden zwar fast alle
Werkschutzangehörigen als Deutsche geführt, doch war der Prozentsatz
sogenannter Volksdeutscher aus Rumänien, Polen und Jugoslawien nicht
unbedeutend. Allein aus dem Banat kamen 46 Werkschutzangehörige, was
rund 13% des gesamten Werkschutzes entspricht(vgl. Schober 2014, Vortrag).
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5. UNTERKUNFT, EINSTUFUNG UND HYGIENE
5.1.
EINSTUFUNGSGEFÄLLE
Gemäß der hierarchischen Einstufung erfolgte auch die Abstufung der Löhne.
Verschiedene Abzüge führten zu weiteren Lohnminderungen. Geld spielte im
Alltag aber nur eine untergeordnete Rolle, da sämtliche wichtigen Dinge
rationiert waren. Der Bezug von Waren erfolgte zum Beispiel über
Lebensmittel- oder Kleiderkarten. Einzelne Zwangsarbeitergruppen,
bestanden aus Nordeuropäern, Serben, Kroaten, Slowaken, bis 1943 auch
Italienern und Freiwillige aus dem Generalgouvernement und Galizien,
durften Geld an ihre Familien überweisen. Weniger streng überwachte
Ausländer, wie zum Beispiel Tschechen, nutzten ihre Einkünfte auch für
Freizeitaktivitäten. Weitere “Anlageformen” waren der Schwarzmarkt und
das Ansparen der Löhne. Zu Kriegsende verfügten die Hermann Göring
Werke über 55 Millionen Reichsmark an Sparguthaben ausländischer
Arbeitskräfte(vgl. Schober 2014, Vortrag).
5.2.
HYGIENE IN LAGERN
Einen Wohn-/Schlafsaal teilten sich bis zu 40 Personen. Im Sommer war es
in den Räumen glühend heiß, im Winter bitterkalt, da pro Zimmer nur ein
einziger Ofen zur Verfügung stand. WC-Anlagen gab es meist zu wenige manchmal in desolatem Zustand. Trotz der meist schweißtreibenden Arbeit
waren Duschen keine Selbstverständlichkeit. Gab es sie, stand meist nur
kaltes Wasser zur Verfügung. Andere Lagererfahrungen machten
privilegierte Zwangsarbeitergruppen. Neben Zweibettzimmern verfügten sie
über Duschen mit warmem Wasser, funktionierenden WCs und
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Zentralheizung. Dazu kamen ein Speisesaal und eine parkähnliche
Gestaltung des Lagers. Egal, ob einfache oder “Luxus”-Baracke, in allen
Unterkünften herrschte eine schreckliche Ungezieferplage.
5.3.
UNTERKUNFT UND KENNTLICHMACHUNG
Zwischen deutschen und ausländischen Arbeitskräften durfte es keine
Freundschaften geben. Mit besonderem Misstrauen beäugten die NSBehörden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus den “altsowjetischen
Gebieten” (“Ostarbeitern”) - man befürchtete die Ausbreitung der
kommunistischen Ideologie. Um unnötige Kontakte zu vermeiden, setzte das
Regime auf Propaganda, eingeschränkte Bewegungsfreiheit und bauliche
Abschottung. Die Unterkünfte von Deutschen und Ausländern an
Industriestandorten mussten “scharf getrennt” sein. In den Lagern wurden
die Menschen nach “Volkstumszugehörigkeit” aufgeteilt. In der Praxis
wurden bauliche Abschottung und Trennung jedoch nicht immer eingehalten.
Polen und “Ostarbeiter” wurden vor allem durch Kennzeichnung in Form von
Aufnähern an der Kleidung als solche ausgewiesen und von den übrigen
Arbeitskräften ferngehalten. Eine Standard-Baracke innerhalb eines Lagers
verfügte über fünf Schlafsäle mit Stockbetten. Die 40 x 8 Meter großen
Unterkünfte fassten 100 Menschen, manchmal wurde diese Zahl aber
deutlich überschritten. Für Frauen gab es eigene Baracken mit kleineren
Zimmern. Als Sanitäreinrichtungen standen pro Gebäude nur zwei
Waschzellen und zwei Toiletten zur Verfügung. Ein Pissoir befand sich an der
Außenwand der Baracke.
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5.4.
“BARACKEN-STADT” LINZ
Linz glich einer “Baracken-Stadt”. In 18 Lagern waren 14.000 Menschen
einquartiert. Die größten Baracken-Siedlungen befanden sich auf dem
Gelände des heutigen Wirtschaftsförderungsinstituts (WIFI), in Niedernhart,
am Lissfeld und am Werksgelände von St. Peter. Dazu kamen zwei Lager der
Eisenwerke Oberdonau sowie Vertragsfirmenlager, die sich auf dem Gelände
der Hermann Göring Werke befanden. Rund 25 - 30 % der Baracken
bewohnten Volks- und Reichsdeutsche. Deren Unterkünfte waren etwas
besser ausgestattet. Diese Lager prägten das Stadtbild von Linz bis weit in
die Nachkriegszeit hinein(vgl. Schober 2014, Vortrag).
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6. NATIONEN IN DEN HERMANN GÖRING WERKEN
6.1.
FRANZOSEN
Als “Westarbeiter” waren Franzosen besser gestellt als “Ostarbeiter” und
Polen. Im Mai 1942 erklärte der Generalbevollmächtigte für den
Arbeitseinsatz, Fritz Sauckel, sogar deren arbeitsrechtliche Gleichstellung.
Franzosen in den Hermann Göring Werken hatten meist ein schlechteres
Auskommen als ihre Landsleute im Kleingewerbe oder in der Landwirtschaft.
Tagebuchaufzeichnungen belegen, dass französische Zwangsarbeiterinnen
und Zwangsarbeiter beispielsweise im Lager 53 auf engstem Raum
zusammengepfercht waren. Ihr Urlaubsanspruch wurde wegen Fluchtgefahr
bald gestrichen. Die freien Sonntage standen vor allem gegen Kriegsende im
Zeichen von Aufräumungsarbeiten nach Bombenangriffen. Das wenige Essen
besserten sich die französischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter
durch Schwarzmarkthandel und selbst gejagte Tiere auf. Den Lageralltag
erschwerten zudem willkürliche Bestrafungen durch Werkschutz und
Gestapo. Trotz aller Widrigkeiten versuchte die NS-Bürokratie, den Anschein
“normaler” Beschäftigungsverhältnisse zu wahren.
6.2.
ITALIENER
Als Bürger eines verbündeten Staates wurden den Zivilarbeitern Privilegien
versprochen, u.a. wollte man für diese qualitativ anspruchsvollere Quartiere
errichten, was letztlich nicht geschah. Trotz Massenquartieren konnte das
Bild vom “verbündeten Arbeitskameraden” lange Zeit aufrechterhalten
werden. So berichtete die NS-Propaganda groß über den Besuch des
italienischen Staatssekretärs Giuseppe Lombrassa in den HGW. Erst mit dem
Sturz Benito Mussolinis im Juli 1943 verloren die italienischen Arbeitskräfte
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alle Vorrechte. Von nun an waren sie Willkür und Unterdrückung ausgesetzt
- bei Fehlverhalten drohte die Einweisung in ein AEL. Begonnen hatte diese
Brutalisierung aber schon vor dem Sturz Mussolinis. Nach der deutschen
Besetzung Italiens im Herbst 1943 kam es zu Zwangsrekrutierungen unter
der Zivilbevölkerung. Weitere Arbeitskräfte stellten die 600.000 gefangenen
italienischen Soldaten. Im Sommer 1944 wurden sie als Militärinternierte
entlassen und als zivile Ausländer zur Arbeit gezwungen(vgl. Schober 2014,
Vortrag).
6.3.
TSCHECHEN
Nach der Niederlage gegen Preußen 1866 kämpfte das Habsburgerreich um
sein politisches Überleben. Der Ausgleich mit Ungarn 1867 sollte den
Vielvölkerstaat stabilisieren. In der Folge wurde die ungarische Reichshälfte
innenpolitisch unabhängig. Den Tschechen blieb dieser Status verwehrt. Als
Bürger “zweiter Klasse” sehnten deshalb viele ein Ende des “Völkerkerkers”
herbei. In den letzten Tagen des Ersten Weltkrieges wurde der
tschechoslowakische Staat ausgerufen - zwei Tage später folgte die Republik
Deutsch-Österreich. Die Siegermächte verwehrten der deutschsprachigen
Bevölkerung Böhmens und Mährens den ersehnten Anschluss an Österreich
und das Deutsche Reich. Nach jahrhundertelanger Dominanz waren die
Deutschen nun plötzlich in der Minderheit. Die neue Situation trieb viele in
die Arme der Sudetendeutschen Partei, die eng mit der NSDAP
zusammenarbeitete. Angebliche und tatsächliche Diskriminierungen der
deutschen Bevölkerung führten zur Unterzeichnung des Münchner
Abkommens am 30. September 1938 und zur Abtretung der
deutschsprachigen Gebiete an das Reich. Knapp ein halbes Jahr später
marschierte die Wehrmacht auch in die “Resttschechei” ein. Mit der
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Ausrufung des “Protektorates Böhmen und Mähren” am 16. März 1939
wurden die Bürger mit deutscher Muttersprache zu Staatsbürgern des
Deutschen Reiches. Die Tschechen standen als “Protektoratsangehörige”
hierarchisch unter ihren deutschen Mitbürgern.
Die Amtssprache der Habsburgermonarchie war Deutsch. 1938 konnten sich
deshalb noch viele Tschechen auf Deutsch verständigen. Die
Sprachkenntnisse brachten den Arbeitern gewisse Vorteile - vor Willkür und
Unterdrückung schützen sie allerdings nicht. Die ersten körperlichen
Repressionen gegenüber Tschechen gab es bereits 1939. Knapp ein Jahr
später beschloss die “Gefolgschaftsabteilung” der HGW ein vierstufiges
Melde- und Bestrafungssystem. Die Strafe “3 Wochen Gestapo-Schutzhaft,
dann Rückkehr auf den Arbeitsplatz” wurde als Erstes gegenüber
tschechischen Zivilarbeitern verhängt. In den letzten Kriegsmonaten
flüchteten immer mehr tschechische Arbeitskräfte nach Hause(vgl. Schober
2014, Vortrag).
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6.4.
VOLKSDEUTSCHE
Von den Flüchtlingsströmen des Zweiten Weltkrieges waren auch viele
„Volksdeutsche“ betroffen. Laut NS-Terminologie zählten dazu alle
deutschsprachigen Menschen Europas, die außerhalb der Reichsgrenzen
siedelten. Die Meisten lebten in den Nachfolgestaaten der ehemaligen
österreichisch-ungarischen Monarchie. Ihre Heimat mussten sie wegen des
„Hitler-Stalin-Paktes“ (Umsiedlung der Bessarabien-Deutschen) oder wegen
der vorrückenden Roten Armee verlassen. „Volksdeutsche“ kamen auch in
den Hermann Göring Werken zum Einsatz. In der betriebsinternen Hierarchie
standen sie über den ausländischen Arbeitskräften.
6.5.
GRIECHEN
Nach der Kapitulation Griechenlands im Mai 1941 starten die ersten
Anwerbeaktionen. Als Kriegsfolge kam es im Winter zu einer schweren
Hungersnot. Besonders betroffen war die Region Saloniki. Um zu überleben,
meldeten sich viele Griechen zum Arbeitseinsatz im Deutschen Reich. Im
Frühjahr 1942 trafen die ersten Freiwilligen in den Werken ein. Mit deren
Arbeitsleistungen war die NS-Verwaltung aber nicht zufrieden. So
unterstellte der Sicherheitsdienst der SS den Griechen „einen Rekord an
unentschuldigten Fehlstunden, Arbeitsunlust und Faulheit“. Hinter der
mangelnden Arbeitsleistung stand die Enttäuschung über gebrochene
Versprechen. Weder Unterkunft noch Entlohnung, Arbeitsbedingungen oder
Ernährung entsprachen den Versprechungen der Anwerbebüros. Dazu kamen
drakonische Strafen gegenüber den griechischen Freiwilligen. Um sich das
Überleben zu sichern, handelten viele Griechen auf dem Schwarzmarkt.
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Trotz aller Schwierigkeiten wurden die Anwerbeaktionen Ende 1943 noch
einmal verstärkt. Inzwischen hatte sich die Lage in Griechenland aber
verändert. Durch Hunger, Partisanenkampf, Säuberungsaktionen und
Bürgerkrieg war das Land schwer gezeichnet. Es meldeten sich deshalb fast
ausschließlich Halbverhungerte und Kranke, die dem Tod zu entrinnen
versuchten. Wegen mangelnder Transportmöglichkeiten konnten im Frühjahr
1944 nur noch wenige Menschen in das Reich transportiert werden. Der
griechische Anteil an den ausländischen Arbeitskräften in den Hermann
Göring Werken betrug knapp 5%(vgl. Schober 2014, Vortrag).
6.6.
OSTARBEITER UND KENNZEICHNUNG
Ostarbeiter mussten einen blauen Aufnäher mit dem weißen Schriftzug
„OST“ tragen. Über diese Form der Diskriminierung herrschte innerhalb der
NS-Elite weitgehende Einigkeit. Größere Meinungsverschiedenheiten gab es
hingegen bei der Frage des „richtigen Umgangs“. In den Augen von Polizei
und SS waren Ostarbeiter „bolschewistisch verseuchte, rassisch
minderwertige Fremdvölkische“.Unter Gewaltanwendung sollte das Letzte
aus ihnen herausgeholt werden, der Tod wurde in Kauf genommen. Einen
„gesellschaftlichen Aufstieg“ versuchte das NS-Regime auch durch die
Abschaffung des „Ost-Kennzeichens“ vorzutäuschen. Trotz dieser
Veränderung blieb die rassistische Hierarchie im NS-Staat bis zum
Kriegsende aufrecht, getragen von anderen Formen (z.B. neuen
Kennzeichen) der Ausgrenzung.
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6.6.1. OSTARBEITERERLASSE
Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten der Sowjetunion galten als
„rassisch minderwertig“ und „politisch gefährlich“. Nach dem Vorbild der
Polenerlasse beschloß die NS-Führung im Februar 1942 deshalb auch
Ostarbeitererlasse. Diese waren noch strenger formuliert. Rund drei
Millionen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter erfuhren dadurch
diskriminierende Sonderrechte. Wie streng die einzelnen Vorschriften
tatsächlich gehandhabt wurden, lag im Ermessen der Arbeitgeber, der
Gestapo kam lediglich eine Aufsichtsfunktion zu. Gegen Kriegsende setzte
die NS-Führung auf Zugeständnisse. So sollten Ostarbeiter nicht mehr „wie
Gefangene gehalten werden“(vgl. Schober 2014, Vortrag).
Die Ostarbeiter wurden vor allem in der Rüstungsindustrie, in der
Landwirtschaft und zum Bau von Behelfsunterkünften eingesetzt. In den
Hermann Göring Werken stellten Ukrainer die größte Anzahl der Ostarbeiter.
Jene Ukrainer, die sich 1941 und 1942 freiwillig zum Arbeitseinsatz
meldeten, wollten dem Hunger entfliehen. Aufgrund falscher
Anwerbeversprechen gingen die Zahlen stark zurück. Es folgten
Zwangsrekrutierungen – „Greifkommandos“ zwangen die Bevölkerung
ganzer Dörfer zur Arbeit. Wer für körperliche Arbeit geeignet schien, wurde
in das Reich deportiert. Als Ukrainer im „nationalsozialistischen Sinn“ galten
ausschließlich Personen, die aus dem „Generalgouvernement“ stammten. Bis
zum sowjetischen Angriff lebten sie auf polnischem Gebiet (Region
Lemberg). Weil diese Menschen nur zwei Jahre lang (1939 – 1941)
„kommunistischer Propaganda“ ausgesetzt waren, hatten sie ebenso wie die
Bewohner des 1941 eingerichteten NS-Distrikts Galizien die Möglichkeit, in
der Hierarchie der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aufzusteigen.
Wenn diese ihre Nichtzugehörigkeit zum polnischen Volkstum belegen
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konnten, wurden sie als „Schutzangehörige des Deutschen Reiches“
eingestuft und mussten keinerlei Kennzeichen tragen.
6.7.
ARBEITSALLTAG UND FREIZEIT
Der Arbeitsalltag war bestimmt von Regelungen und Sanktionen bei
unentschuldigtem Fernbleiben, Sabotage oder Arbeitsverweigerung. Die
Bewegungsfreiheit der Polen war in allen Bereichen stark eingeschränkt.
Vorgesehen war eine Unterbringung in räumlich von anderen
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern getrennten und bewachten
Lagern. Der Marsch dorthin hatte in geschlossenen Kolonnen zu erfolgen.
Eine zusätzliche Erschwernis lag im hohen Arbeitsdruck, in Verbindung mit
starker physischer Gewalt. Etwas besser hatten es jene Polen, die sich auf
Deutsch verständigen konnten. Einmal im Jahr konnte ein kurzer Urlaub für
Familienbesuche beantragt werden. Von dieser Regelung profitierte aber nur,
wer als zuverlässig galt. Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit und der hohe
Arbeitsdruck führten bei polnischen Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeitern zu einer völlig anderen Freizeitgestaltung als zum Beispiel
bei den Tschechen. Geschildert werden Aktivitäten wie Kartenspielen, sich
ausschlafen oder – im Sommer – sich-in-der-Donau-waschen(vgl. Schober
2014, Vortrag).
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7. ARBEITERINNEN IN DEN WERKEN – FRAUENGESUNDHEIT,
SCHWANGERSCHAFT UND ABTREIBUNGSPOLITIK
7.1.
„FREMDVÖLKISCHE SCHWANGERE“
Schwangere ausländische Arbeiterinnen und der damit verbundene
Arbeitsausfall waren vom NS-Regime nicht eingeplant. Anfänglich war
vorgesehen, Schwangere in ihre Heimatländer zurückzuschicken. Der
steigende Bedarf an Arbeitskräften veränderte diese Praxis. Ab Ende 1942
sollten Kinder am Einsatzort ihrer Mütter zur Welt kommen. Im selben Jahr
eröffnete die Frauenklinik des Reichsgaues Oberdonau eine „AusländerinnenAbteilung“: Diese benötigte man, weil Polinnen und „Ostarbeiterinnen“ ihre
Zimmer nicht mit Inländerinnen teilen durften. Im März 1943 wurde eine
Ostarbeiterinnen-Baracke im Anstaltsgarten der Frauenklinik errichtet. Um
sich vor Luftangriffen zu schützen, übersiedelte die Institution samt
„Ostarbeiterinnen-Baracke“ im Jahr 1944 nach Bad Hall. Die Regelungen für
schwangere ausländische Arbeiterinnen und vor allem für ihre hier
geborenen Kinder wurden erstmals im Gau Oberdonau erlassen und später
im ganzen Reich angewendet(vgl. Schober 2014, Vortrag).
7.2.
ABTREIBUNG ALS AKT DER WILLKÜR
Um schwangere Frauen möglichst rasch wieder in den Arbeitsalltag
einzugliedern, setzte das NS-Regime auf Abtreibungen. 1943 wurden die
rechtlichen Grundlagen für Polinnen und Ostarbeiterinnen geändert. Erlaubt
waren Eingriffe bis zum 5. später bis zum 7. Monat. Im Mai 1943 kam es zu
den ersten Schwangerschaftsabbrüchen in der Linzer Frauenklinik.
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Gleichzeitig verschärften die Machthaber die Abtreibungsstrafen für deutsche
Frauen. Nach der Übersiedlung der Frauenklinik nach Bad Hall wurden auch
im näher gelegenen AKH Linz Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt.
Neben den betroffenen Zwangsarbeiterinnen durften Ärzte und Betriebsleiter
Abtreibungsanträge einbringen. Die Einweisungen erfolgten durch die
Ärztekammer, die Kosten übernahm das zuständige Arbeitsamt. Im
November 1944 wurden 156 Frauen nach Bad Hall transportiert – bei 103
wurden Abtreibungen vorgenommen. Am Beispiel der „Ostarbeiterin“ Raissa
S. bei der innerhalb von zwei Jahren fünf Schwangerschaftsabbrüche
vorgenommen wurde, einer davon zwischen dem 5. und 6. Monat, wird
deutlich, dass angesichts der komplexen Zwangssituation, in der sich die
schwangeren Frauen befanden, jede Spekulation um Freiwilligkeit
verstummt.
7.3.
SÄUGLINGSHEIM
Bei den Überlegungen, wie mit den Kindern der Ostarbeiterinnen und
Polinnen umzugehen sei, fungierte Linz/Oberdonau als Versuchsstätte.
„Ostarbeiterinnen“ und Polinnen hatten einen theoretischen
„Mindestmutterschutz“ von zwei Wochen vor und sechs Wochen nach der
Geburt. Weil die Frauen möglichst rasch wieder arbeiten sollten, eröffnete im
März 1943 ein „Fremdvölkisches Säuglingsheim“ in Spital am Pyhrn. Es war
das erste seiner Art im Deutschen Reich und eines von 12 im Gau
Oberdonau. Deshalb wurden die Kinder ihren Müttern teilweise schon vor
dem Ende des „Mutterschutzes“ weggenommen. Das Pflegepersonal bestand
großteils aus unausgebildeten Ostarbeiterinnen. Auf Anweisung des
Landesernährungsamtes lagen die Essensrationen pro Tag und Säugling bei
nur einem halben Liter Milch und einem Stück Zucker. Die Kinder litten an
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Unterernährung, Krankheiten und Infektionen. Von den katastrophalen
Zuständen im „Säuglingsheim“ erfuhr die NS-Elite in Berlin. Reagiert wurde
mit einer Inspektion und der Entlassung des Heimleiters. Von 97 Kindern
starben 38, von sechs ist das Schicksal unbekannt. Bessere Bedingungen
herrschten in der „Kinderstube“ im Lager 57 der Hermann Göring Werke. In
dieser Einrichtung hatten Ostarbeiterinnen die Möglichkeit miteinander die
Betreuung der Neugeborenen in ihrer Freizeit zu organisieren. Das erhöhte
die Überlebenschance der Kinder erheblich(vgl. Schober 2014, Vortrag).
7.4.
PROSTITUTION UND BORDELLE
Unter massivem Druck sollte die „Reinhaltung des deutschen Blutes“
gewährleistet bleiben. In fast jeder größeren deutschen Stadt wurden ab
1941 Bordell für ausländische Arbeitskräfte geplant und auch teils realisiert.
Die Grundlage bildete eine Anordnung des Reichsführers SS und Chef der
Deutschen Polizei Heinrich Himmler. Bereits am 9.September 1939 forderte
er die Errichtung von Bordellen für „fremdvölkische Arbeiter“. Mit der
Umsetzung dieser Richtlinien wurden die Gauleiter Ende 1940 beauftragt.
Bereits im März 1941 eröffnete in der Wankmüllerhofstraße 39 ein erstes
Etablissement für slawische Arbeiter – die „Villa Nova“. Deutschen war der
Zutritt in Freudenhäuer mit „fremdvölkischen” Damen strengstens verboten.
Die Organisation des Bordellbetriebes in Oberdonau galt reichsweit als
vorbildlich. Der Plan, getrennte Etablissements für jede in den Hermann
Göring Werken beschäftigte Nationalität zu errichten wurde kriegsbedingt
nicht mehr realisiert. Durch die Verpflichtung von ausländischen
Prostituierten sollte der sexuelle Kontakt zur deutschen Bevölkerung, aber
auch zu anderen Nationalitäten, unterbunden warden (vgl. Schober 2014,
Vortrag).
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ZUSAMMENFASSUNG
Zusammenfassend ist also zu sagen, dass die Hermann Göring Werke in Linz
während der NS-Zeit nicht konkurrenzfähig bzw. Leistungsfähig gewesen
wären, ohne ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Durch
Anwerbeaktionen kamen viele Freiwillige nach Linz, die später aber
sanktioniert und festgehalten wurden. Neben Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeitern, die freiwillig kamen und nicht mehr gehen durften, gab es
auch jene, die aus ihren Dörfern bei Menschenjagden “geraubt” wurden oder
unter Drohungen zu den Göring Werken kamen. Mit Kriegsfortschritt
arbeiteten dort immer weniger Einheimische und so wurden auch
Kriegsgefangene und KZ-Häfltinge zur Arbeit in den Werken gebraucht. Die
Diversität der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter führte zu
unterschiedlichen Sanktionsmaßnahmen. Polen und Ostarbeiter standen
besonders schlecht in der hierarchischen Ordnung und mussten sich sogar
durch einen Aufnäher auf der Kleidung ausweisen. Nicht nur männliche
Arbeiter kamen zum Einsatz sondern auch weibliche, und so musste sich das
Deutsche Reich mit der Problematik der Schwangerschaften
auseinandersetzen, was zur Errichtung der berüchtigten Säuglingsheime
führte.
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LITERATURVERZEICHNIS
Fiereder, H. (1983). Reichswerke “Hermann Göring” in Österreich (19381945). Wien-Salzburg: Geyer Verlag.
Rathkolb, O. (Hrsg.). (2001). NS-Zwangsarbeit. Der Standort Linz der
Reichswerke Hermann Göring AG Berlin. 1938- 1945. Wien: Böhlau
Verlag.
Schober, M (2014). Zeitgeschichteausstellung 1938 -1945. Gewidmet den
NS-Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern am Standort Linz der
“Reichswerke Hermann Göring AG Berlin”. Vortrag am 19.11.2014.
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