Ambulant vor stationär? Das Hanauer Modell

K L I N I K U M H AN A U
Spitzenmedizin nah am Menschen
Ambulant vor stationär?
Das Hanauer Modell
Thomas Schillen
KLINIKUM HANAU
Spitzenmedizin nah am Menschen
Thomas Schillen
vor stationär? Das Hanauer
Modell LApK Hessen 11.05.2015
Thomas Schillen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
KlinikumAmbulant
Hanau www.klinikum-hanau.de
[email protected]
Psychiatrie-Reform in Deutschland
seit Jahren stehen geblieben
 Schwer und chronisch psychisch Kranke haben immer
noch die höchsten Hürden beim Zugang zu qualifizierten,
evidenzbasierten Therapien.
 Assertive Community Treatment, Home-Treatment oder
Krisenteams sind weder nach BPflV noch nach PEPP
finanziert.
 Zugang zu Psychotherapie bei Psychosen ist
verschwindend gering.
 Evidenzen für Effizienz und Effektivität einer sektorübergreifenden Versorgung finden keinen Eingang in das
Entgeltsystem.
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Spitzenmedizin nah am Menschen
Thomas Schillen Ambulant vor stationär? Das Hanauer Modell LApK Hessen 11.05.2015
Reform psychiatrisch-psychotherapeutischer
Versorgungskonzepte dringend erforderlich
 Seit Jahren steigende Patientenzahlen und
Versorgungsdefizite
 Fragmentierung des Gesamtsystems nach
 Behandlungssektoren und
 Zuständigkeiten verschiedener Sozialgesetzbücher
 schlechtere Behandlungsqualität, zusätzliche Kosten
 Reformbemühungen einer neuen jahresbezogenen
Entgeltentwicklung im stationären Sektor (PEPP)
können diese zentralen Mängel nicht beseitigen.
 Eine grundlegende Verbesserung von Behandlung und
Ressourcenallokation erfordert die Integration ambulanter
und stationäre Behandlungssektoren.
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Thomas Schillen Ambulant vor stationär? Das Hanauer Modell LApK Hessen 11.05.2015
180
250
Klinik
Tagesklinik
1
0,25
[min / d]
PIA
Klinik
Vergütung
Therapiebedarf
BPflV, PEPP: Patient muss der Budgetbindung
an das stationäre Bett folgen.
2
KV
0,50
[€ / d]
Symptomschwere
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Thomas Schillen Ambulant vor stationär? Das Hanauer Modell LApK Hessen 11.05.2015
180
Hanauer
Modell
Klinik
250
Stationsäquivalente
Akutbehandlung
1
0,25
[min / d]
Tagesklinik
KV
PIA
Vergütung
Therapiebedarf
Hanauer Modell: Sektorübergreifendes Budget
folgt dem Behandlungssektor des Patienten.
2
0,50
[€ / d]
Symptomschwere
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Thomas Schillen Ambulant vor stationär? Das Hanauer Modell LApK Hessen 11.05.2015
Hanauer Modell –
Umsetzung im §140a-Vertrag mit AOK HE & TK
 06.2011 IV-Vertrag mit AOK HE und TK
 09.2011 Schließung von 6 Betten auf 3 Stationen.
Mentoring der PIA auf den Stationen,
Fallmanagement, Krisenpläne, Hausbesuche, …
 06.2012 Schließung von 25 Betten, Ablösung durch
Stationsäquivalente Ambulante Akutbehandlung
AAB = Ambulante Akutbehandlung
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Hanauer Modell –
Umsetzung als §64b-Vertrag mit allen Kassen
 09.2013 Erstes §64b-Modellvorhaben in Deutschland
 Für alle 3800 gesetzlich versicherten Patienten
der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Hanau
 Behandlungssektor nach dem Bedarf des Patienten
ambulant – teilstationär – stationär
 10.2014 Schließung weiterer 15 Betten,
10 Betten ohne geschlossene Stationstür,
Störungsspezifische Erweiterung der
stationsäquivalenten ambulanten Akutbehandlung
ST
TS
AM: AAB
AM: PIA
= Stationäre Behandlung
= Teilstationäre Behandlung
= Ambulante Akutbehandlung
= Psychiatrische Institutsambulanz
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Stationsäquivalente
Ambulante Akutbehandlung
 Ambulante Versorgung bei stationärer Behandlungsindikation des bisherigen Versorgungssystems
 Ambulante Akutbehandlung an 7 Tagen / Woche
Personalressourcen einer Station ohne Nachtwachen
 Störungsspezifische Behandlung nach individuellem
Bedarf (need-adapted-treatment, assertive community treatment,
systemische Therapie, Hausbesuche, home treatment,
Krisenteam).
 Autonomie und Ressourcen
des Patienten und seines sozialen Systems
 Freiwillige Entscheidung des Patienten,
kein Zwang, kaum aggressive Reaktionen
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Fallvignetten 1
 Stationsverkürzend
44♂, Schizophrenie, Polytoxikomanie
Beziehungswahn, akustische Halluzinationen, aggressiv, Suchtdruck.
6 Tage stationär, dann AAB: mehrere Kontakte täglich,
Mutter eng einbezogen, Medikamenteneinnahme konnte erreicht werden,
Patient bei akuten Krisen zu Hause abgeholt.
Zunehmende Besserung, Kontaktfrequenz reduziert.
Nach 4 Wochen AAB Überleitung in PIA.
 Stationsäquivalent
38♂, Schizoaffektive Störung, Alkohol, Benzodiazepine, Suizidalität
21 teil/stationäre Aufenthalte 1997 – 2012, davon 14 seit 2011.
08/2012 AAB: Beziehungsaufbau. Im Wechsel Phasen hoher und niedriger
Behandlungsintensität. Dauer reduzierter Behandlungsdichte ausgeweitet.
Kurz nach AAB-Aufnahme noch einmal 4 Tage stationär,
seit über 2 Jahren nicht mehr stationär.
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Fallvignetten 2
 Home-Treatment
79♀, Delir bei Parkinson, Anpassungsstörung, OSH-Fraktur.
Massive Unruhe, nächtliche Verwirrtheit, Halluzinationen, Ängste.
4 Wochen Home-Treatment im Altenheim + Coaching Pflegeteam
Gute Remission, keine stationäre Aufnahme.
 Langzeitbehandlung
50♀, chronische Psychose, rezidivierende Fremdaggression im sozialen
Umfeld. Regelmäßig stationäre Unterbringung durch die Polizei, keine
medikamentöse Adhärenz, Behandlungsabbruch bald nach Entlassung.
07/2012 AAB: Längerfristig tragfähige therapeutische Beziehung. Die
Patientin kommt bei Teilremission der Psychose freiwillig alle 2 Wochen
zur Depotmedikation.
Seitdem keine Zwangseinweisung mehr.
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Ambulante Akutbehandlung durch die Klinik
 ist ausschließlich für Patienten, deren Erkrankungsschwere sonst
eine stationäre Behandlungsindikation darstellen würde.
 ist stationsäquivalent.
 ist multiprofessionelle Komplexleistung eines Behandlungsteams wie
auf einer Station.
 hat einen Behandlungsumfang mit Wochenplan wie auf einer Station.
 ist Station ohne Bett.
 behandelt keine anderen Patienten, sondern behandelt die
gleichen Patienten sektorübergreifend anders.
 wird aus dem unveränderten Klinikbudget finanziert.
 hat keine Überschneidung mit KV-ärztlichen ambulanten Leistungen.
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Ablösung stationärer Behandlungstage durch
AAB-Leistungen pro Jahr kumuliert
2011
2012
2013
2014
0
–6
-2.000
-4.000
-6.000
-8.000
– 25
– 40
-10.000
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Leistungen nach Behandlungssektor pro Jahr
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Diagnosen stationsäquivalent vs. stationär
BT AAB / Diagnose
BT ST / Diagnose
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Stationäre Berechnungstage
25
20,8
pro Fall
20
17,3
15
16,2
10
9,7
9,9
5
14,5
13,1
0
pro Patient
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
35
30
25
20
15
10
5
0
Spitzenmedizin nah am Menschen
2012
2013
25,9
25,1
2012
2013
2014
30,2
2004
KLINIKUM HANAU
2011
2005
2006
2007
2008
2009
§140a AOK HE & TK
2010
2011
22,4
2014
§64b GKV
Thomas Schillen Ambulant vor stationär? Das Hanauer Modell LApK Hessen 11.05.2015
Hanauer Modell
2011
2014
BMZ 0,47
BMZ 0,28
119
83
100
60
40
20
20
Station
Station AAB PTK PIA
PTK PIA
AAB Stationsäquivalente
Ambulante AkutBehandlung
PTK Psychiatrische TagesKlinik
PIA Psychiatrische InstitutsAmbulanz
5
Behandlung zu Hause
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Thomas Schillen Ambulant vor stationär? Das Hanauer Modell LApK Hessen 11.05.2015
Schnittstellenproblem SGB XII
Eingliederungshilfe, Wohnheime, betreutes Wohnen, Tagesstätten
 Gesetzliche Vorgabe einer regionalen Pflichtversorgung fehlt.
 Der regionale und überregionale Sozialhilfeträger stellen
unzureichende Kapazitäten bereit, verzögert den Ausbau regionaler
Kapazitäten.
 Inakzeptable Platzierung einzelner Patienten
irgendwo in Deutschland
Gerade schwer kranke Patienten mit beschützter Unterbringung müssen
ohne Rücksicht auf soziale Bindungen irgendwohin in Deutschland
entlassen werden, wo ein geeigneter Heimplatz gefunden werden kann.
 Die Prozessgeschwindigkeit der SGB XII Leistungserbringer passt
noch nicht zur Prozessgeschwindigkeit der Klinik.
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Thomas Schillen Ambulant vor stationär? Das Hanauer Modell LApK Hessen 11.05.2015
Schnittstellenproblem KV
 Versorgung durch niedergelassene Psychiater bricht zusammen
 Von jährlich 7000 neu approbierten Ärzten entscheiden sich noch
40 für eine Weiterbildung zum Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie.
 Wachsende Zahl von Notfallpatienten in der Psychiatrischen
Institutsambulanz
 Die KV rechnet sich die Versorgungskatastrophe schön.
 Die WHO bezeichnet die psychischen Störungen als die
Herausforderung des 21. Jahrhunderts.
Die KV stellt sich dieser Herausforderung mit einer Flat-RatePsychiatrie für 10 – 15 € / Monat / Patient
 KV Planwirtschaft mit 40 € pro Patient und Quartal KANN nur eine
unzureichendem Leistungsumfang bieten.
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Thomas Schillen Ambulant vor stationär? Das Hanauer Modell LApK Hessen 11.05.2015
Ausweitung von Modellprojekten wird blockiert
 Eine ganze Reihe von Kliniken würden das Hanauer Modell gerne
übernehmen.
 Nach Bundesland unterschiedliche Krankenkassen suchen die
Ausweitung von Modellvorhaben zu verhindern.
 Einige Kassen propagieren sehr entschieden das PEPP-System,
weil sie darauf spekulieren, mit ihrem Patientenspektrum PEPPGewinner im Wettbewerb der Kassen zu sein.
 Andere Kassen setzten auf KV-Verträge, um ihre stationären
Psychiatriekosten zu reduzieren.
 Klinikkonzerne setzen im PEPP-System auf eine Strategie der
Mengenausweitung mit zurzeit steigenden Bettenzahlen.
 Ein neues Entgeltsystem für einzelne Komponenten des Versorgungssystems führt zwangsläufig dazu, dass Kostenträger und Leistungserbringer sich partikular betriebswirtschaftlich in genau diesem
Segment anpassen.
KLINIKUM HANAU
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Thomas Schillen Ambulant vor stationär? Das Hanauer Modell LApK Hessen 11.05.2015
Krankenhauskosten F0 – F9 in Deutschland:
BPflV, PEPP vs. Hanauer Modell
BPflV / PEPP
10
9
8
7
6
5
4
3
2
1
0
Modell
+ 0,98 G€
Betten für 90%
7,4
G€
ST
TS
8,8
G€
ST
TS
4,4
G€
ST
TS
100%
4,4
G€
AM
100%
2002
2004
2006
2008
2010
2012
ST : Stationär, TS : Teilstationär, AM: Ambulant
2014
Quelle: destatis
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Thomas Schillen Ambulant vor stationär? Das Hanauer Modell LApK Hessen 11.05.2015
Hanauer Modell – Fazit 1
 Sektorübergreifendes Gesamtbudget Voraussetzung
für Flexibilisierung der patientenorientierten Versorgung
 Weitreichende Veränderung der Versorgungskonzepte
 Relevantes Finanzvolumen zur Ambulantisierung aus
bestehendem Klinikbudget, statt IV-Zusatzfinanzierung
 Ambulantisierung ändert die Qualität der
psychiatrischen Versorgung von Grund auf:





Begleitung selbstbestimmter Patienten anstatt Zwangsbehandlung
Verhandeln statt behandeln (UN-Menschrechtskonvention)
Reduzierung aggressiver Reaktion
Therapeutische Beziehung mehr zentraler Faktor der Behandlung
Psychotherapie erhält gleichwertig Raum neben einer ggfs.
indizierten Psychopharmakotherapie
KLINIKUM HANAU
Spitzenmedizin nah am Menschen
Thomas Schillen Ambulant vor stationär? Das Hanauer Modell LApK Hessen 11.05.2015
Hanauer Modell – Fazit 2
 Wir müssen Inhalte und Ziele der Psychiatrie-Enquête für
den betroffenen Menschen wieder in den Blick nehmen.
 Wir sollten die Entwicklung der psychiatrischen
Versorgung nicht dem strategischen Marktverhalten
einzelner Krankenkassen und Klinikkonzerne
überlassen.
 Die Zeit drängt: Neue Bettenhäuser werden die nächsten
20 Jahre mit stationären Patienten belegt sein.
 Projekte wie das Hanauer Modell bieten die Chance einer
weitreichenden Veränderung der Kliniken zu einer
sektorübergreifenden patientenorientierten Psychiatrie
auch in Deutschland.
KLINIKUM HANAU
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Thomas Schillen Ambulant vor stationär? Das Hanauer Modell LApK Hessen 11.05.2015
Hanauer Modell – Fazit 3
 Die sektorübergreifende Versorgung passt die Klinik dem
Patienten an und nicht den Patienten der Klinik.
 Die hohe Kompetenz der Klinik für die komplexe
Begleitung gerade der schwer und chronisch
Kranken mit den Mitteln des Krankenhauses wird
damit unabhängig vom stationären Bett.
 Diese Entwicklung kann den Menschen und sein
soziales System als Ganzes in den Blick nehmen.
 Netzwerk vieler Modellprojekte, die diese Entwicklung
evidenzbasiert und nach best practice vorantreiben.
KLINIKUM HANAU
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Hanauer Modell – Fazit 4
 Politik: Fehlentwicklung des PEPP-Systems
beseitigen. Stationsäquivalente ambulante
Akutbehandlung durch Krankenhaus ohne Bett als
Regelversorgung gesetzlich festlegen.
 Politik: Kein gesetzlicher Anspruch auf stationäre
Betten ohne Ausschöpfung stationsäquivalenter
ambulanter Akutbehandlung durch das Krankenhaus.
 Politik: Regionale Pflichtversorgung durch
Sozialhilfeträger nach SGB XII gesetzlich festlegen.
 Politik: Fehlentwicklung des Systems der
Kassenärztlichen Vereinigung angehen.
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Nationaler Aktionsplan
Psychiatrie
 Expertenkommission
 Erst die Ziele der psychiatrischen
Versorgung in Deutschland festlegen,
 dann das dafür geeignete
Entgeltsystem.
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Thomas Schillen Ambulant vor stationär? Das Hanauer Modell LApK Hessen 11.05.2015
Kerbe 2 2014 Themenschwerpunkt
Schillen T, Thiex-Kreye M
Das Hanauer Modell
Perspektiven für die psychiatrische Versorgung in
Deutschland.
Kerbe 2014, 2: 11 – 15
www.klinikum-hanau.de/
kliniken-fachbereiche-und-zentren/
kliniken/
klinik-fuer-psychiatrie-und-psychotherapie/
hanauer-modell/index.html
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