beef.beten.boxen

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BOXEN
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BETEN
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BEEF
BEEF.
BETEN.
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N
E
X
BO
— Herausgeber
Hyun-Kyung Yi, Milan Lugerth,
Elena Zay, Olivia Kuderewski &
Kevin Kuhn
Entstanden im Rahmen des
Seminars „Die Anatomie des
Lebens. Recherchieren.
Sezieren. Hinausgehen“, im
Wintersemester 2014/15 an
der Universität Hildesheim
— Design
Nell May (www.nellmay.com)
— Verlag
Digitales Paechterhaus | Edition
Paechterhaus, Hildesheim 2015
— Unser Dank gilt
Schwester Debora Decker vom Kloster
Marienrode, den Verantwortlichen
der Pferderennbahn Neue Bult
in Langenhagen, dem VW-Werk
Wolfsburg, Wolf Menninger von der
Kampfsportschule MMA Berlin (Mixed
Martial Arts), Lars Bode und seinen
Mitarbeitern der Bode Lars Fleischerei
in Bockenem, Fritz Handerer für die
Organisation der Exkursionen, dem
Pankra-Gym, dass sie uns ihre Sporthalle
für die Lesung zur Verfügung stellten, und
allen anderen, die unsere Erkundungen
unterstützt haben. Wir danken zudem
dem Institut für Literarisches Schreiben
und Literaturwissenschaft der Universität
Hildesheim für die Ermöglichung der
Exkursionen und Publikation.
Die Rechte an den Texten verbleiben
bei den Autorinnen und Autoren.
01 / 55
Inhalt
BOXEN
.
Inhalt
03
Kontext
31
Rachel Bleiber
Vaterland
05
Livia Hott
Körperanalytische Notate
34
Max Schäffer
Selig sind die Sanftmütigen
Sophie Steinbeck
Von Kunst, Magie und Dönerbuden
38
Imke Bachmann
Wie eine Umarmung
Hyun-Kyung Yi
Heiße Luft
40
Gesche Herkert
Life as it should be
Tim Schauenberg
Haben ≥ Sollen
44
Sirka Elspaß
Über das Jockey-Sein
Milan Lugerth
Schweine schlachten
46
Elena Zay
Ready?
Olivia Kuderewski
Dienstags
48
Kontext
07
09
.
18
20
BEEF
.
BETEN
22
26
Mareike Köhler
Fremdbeten
50
Kevin Kuhn
Nachwort
29
Paula Hauch
Zeig mir deinen Hund und
ich sag dir, wer du bist
52
Autorinnen und Autoren
54
Quellen
02 / 55
Kontext
.
Kontext
1
9
BOXEN
13
5
.
10
2
14
3
7
11
8
12
.
BETEN
6
BEEF
4
15
03 / 55
Kontext
16
26
20
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BOXEN
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Kontext
17
23
27
BETEN
12
21
24
.
18
BEEF
19
22
25
28
04 / 55
Kontext
Livia Hott
Die Nonnen
29
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BOXEN
.
Körperanalytische
Notate
BETEN
32
30
.
33
BEEF
31
Eine Ansammlung Leiber, die Leib nicht mehr sein wollen. Dünn, die Stimmen, kein Volumen unter dichtem
Stoff, kein Resonanzkörper, keine Klarheit über Gesänge, Gesichter. Die Krankheit sitzt mit im Kirchenschiff,
Schnäuzen. Frauen sind das, auch wenn der Leib (der
gebenedeite!) später abgeworfen wird. Wer wirft die
Leiber hierher? Wer unter-wirft sich hier? Litaneien,
Verbeugungen, sitzen. Da liegt ein Rhythmus in der
Luft. Dann ein abruptes Ende. Es ballt sich vor dem Altar, Rücken werden gebeugt – ein letztes Mal, ein erstes
Mal – ein Gehstock, Rascheln. Die Leiber in Zweierreihen, Blicke, neutral, freundlich, unfreundlich, tragen
sich zum Seitenschiff hinaus. Eine Hellbeschleierte sortiert Flyer, hat ihre Bewegungen bereits ihren schwarzen
Schwestern angepasst, leicht, behäbig, bedacht, probt
schon für den Leibabwurf.
Wir sind zu fremd hier, treten aus der Kirche,
in der die Lichter ausgehen, nach draußen, wo noch
keine Sonne steht. Hinter uns kracht das Portal zu,
wummert, oder bewegt sich nur sehr sanft, von einer
unbedingten Frauenhand geschoben, ich weiß es schon
Momente später nicht mehr. Es ist sehr früh.
34
05 / 55
Livia Hott
Das Labyrinth
Schwester Debora
Hier geht kein Leib verloren. Eingelassen in den Boden ein paar Pflastersteine, man kann sich unterwerfen,
aber warum? Es wird zum Spiel. Auf der Pilgerreise gen
Kern formatieren sich die Abläufe immer wieder neu. Im
stummen Tanz, ein Weg rein, einer raus, derselbe, da ist
man chancenlos. Der erste Leib erreicht die Mitte, steht
kurz, bricht dann mit dem Labyrinth und stapft im geraden Radius über unsichtbare Wälle hinweg. Langsam
geht die Sonne auf. Die Möglichkeit, meinen eigenen
Körper ins Spiel zu werfen, alle anderen Leiber, Läufer
sind längst fort. Das Labyrinth muss geprüft werden,
muss gestärkt oder vernichtet werden. Kälte greift den
Körper an. Beim Betreten fällt als erstes auf: Im Schleier
der Nacht wurde hier ein Samen zertreten. Grashalme,
schwach, da November, nur wenig von der Saat gekeimt,
nun zertreten in stummer Meditation. Dazu haben sie
uns vorher eingeladen, die Schwestern. Aufgewühlte
Erde, ich gehe gewaltsam, alle gingen stumpfen Fußes,
dachten an Meditation, an innere Ruhe, bauten fremde
Wälle auf und traten den Samen mit Füßen und ich, ich
auch. Wer jetzt sät, ist selber schuld. Tut gut, so ein Gewaltakt, gut gegen Kälte, wie wahrscheinlich ist es, jetzt
eine Zehe zu verlieren?
Fliegt sie schon. Oder stoßweise Lacher, das Verknüpfen
und Lösen der Hände. Der Gesichtsausdruck in ständigem Strahlen, Neon. H-hauchlastige Stimme, einfach
kein Resonanzkörper, wie vorher schon festgestellt.
Spricht, aber die Körpersprache widerspricht: Erstens.
Die Füße. Fußspitzen ragen, besonders bei überschlagenen Beinen Richtung Himmel oder Tür (zeigt Unwohlsein). Zweitens. Die Hände. Ungebetliches Ineinanderfalten, krampfen in den schwarzen Stoff der
verrutschten Schürze. Drittens. Augen-Mund-Mimik.
Große Differenzen. Eben erwähnter kühler Neonblick
(Hochziehen der unteren Augenlider bleibt häufiger
aus) in Verbindung mit einem Lächeln (Zur-Seite-ziehen der Mundwinkel statt in Richtung der Augen zu
ziehen), dann wieder ein echtes Lächeln, wärmend (reger Gebrauch der Augen und Mundwinkel bei offenem
Blick). Nicht ambivalent, widerläufig. Körperhaltung.
Ungewiss, zu viel Stoff im Weg. Kopfbewegungen. Nicken, dann ruckartiges Rückziehen des Kinns um ca.
einen Zentimeter, häufig in Verbindung mit plötzlich
hervorbrechenden Lachern. Nickt beim Zuhören, beim
Antworten: Sanftes Rucken des Kopfes nach links (unbewusstes Kopfschütteln). Auffällig auch seltenes Berühren des Schleiers (wo das Haar sein sollte, also fast
völliges Abgewöhnen der Verlegenheitsgesten Richtung
Kopf und Haar, die kompensiert werden durch vorher
genannte Verhalten).
BEEF
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BETEN
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BOXEN
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Körperanalytische Notate
06 / 55
Von Kunst, Magie &
Dönerbuden
.
Natürlich bin ich Türke. Ich bin in Deutschland aufgewachsen, klar. Aber ich hab einen türkischen Namen,
und so sehe ich aus, und so bin ich erzogen worden.
Meine Muttersprache ist Türkisch und ja, das bin ich.
Ich bin Géza.
In Deutschland wächst das Geld nicht auf den
Bäumen und es liegt nicht auf den Straßen. Man muss
dafür arbeiten, das weiß man. Ich rieche wie mein Beruf – du riechst es hier drin. Man riecht es in meinen
Kleidern, wenn ich nach Hause komme. Man riecht es
an meiner Haut. Es ist Fett und es ist Schweiß. Ich rieche
nach Arbeit. Es ist ein guter Geruch. Géza, sagt meine
Frau, Géza, du riechst wie ein Mann, der arbeitet.
Ahmet sagt, dass die Schale mit den Zwiebeln
immer die vollste ist am Ende des Tages. Wer weiß. Jeder kann seinen Döner essen, wie er das mag, oder? Ich
esse meinen immer mit Zwiebel.
Ahmet und ich haben das Geschäft vor sechs Jahren von
unseren Vätern übernommen. Wir sind bei weitem nicht
die einzige Dönerbude in Hildesheim. Aber hier sind wir
– seit zwölf Jahren. Es läuft ganz gut. Mal mehr, mal weniger. Die Studenten, die gehen zu Mr. Lecker am Bahnhof, wo die Bars sind und die Kufa. Aber wir haben auch
unsere Stammgäste. Sam zum Beispiel. Sam kommt jeden Donnerstag um acht und holt Döner für drei. Einmal
BEEF
BETEN
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BOXEN
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Sophie Steinbeck
07 / 55
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BOXEN
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BETEN
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BEEF
Von Kunst, Magie und Dönerbuden
Sophie Steinbeck
mit extra viel Soße und scharf für Sam, ohne Zwiebel
mit Joghurt für die Frau und einen kleinen für den Kleinen. Wir trinken ein Bier, schimpfen über die Arbeit und
das Wetter und die Frauen. Donnerstag um acht, seit fast
fünf Jahren schon. Sam gehört praktisch zur Familie.
Hier, sein Geburtsdatum habe ich am linken
Arm. Am rechten ist Lisa. 10.2.2012. So bald, so bald!
Was ich ihr schenken soll? Sie hat doch schon alles. Ein
ganzes Zimmer voll Spielsachen. My little Pony. Da
ist sie ganz verrückt nach. Und alles, was glitzert und
schimmert. Eine richtige Prinzessin, meine Kleine. Da
kommt sie ganz nach der Mama.
Mein Sohn – er findet hier Magie. Baba, sagt er, Baba,
was ist in der Mitte von dem Döner? Ich sage dann
nicht »ein Stab«. Ich sage: Kevin, da drin ist Magie. Jeder Kunde, jeder Freund, der den Laden betritt, hilft
mir, näher zum Geheimnis zu gelangen, das da versteckt
ist. Alleine kommt man nicht dahin. Man braucht immer die Hilfe von Freunden. Er macht große Augen.
Ich darf es dir nicht verraten, was da drin ist. Ich weiß,
ruft er, da drin ist das leckerste Fleisch der Welt! Ich
lache, neinnein. Weil, das Fleisch da drin, das ist nicht
das beste, nur das älteste, und eigentlich kommt man da
nie hin. Man darf den Stab ja nicht ewig da halten. Bis
zum Schluss kommt man da nicht. Ich weiß, sagt er, ein
Diamant, so groß wie mein Kopf! Vielleicht, sage ich
ihm. Wer weiß, vielleicht ist da wirklich ein Diamant
drin versteckt, und niemand kriegt ihn je zu sehen. Der
landet im Müll. Wir kriegen die ja fertig geliefert. Die
werden industriell hergestellt, das macht niemand mehr
selbst. Natürlich wissen wir, was da drin ist, das mein
ich jetzt nicht damit. Aber so ein wenig Zauber kann
da schon drin sein. Zwischen den letzten Fleischstreifen
und dem Stab. Oder er sagt, Baba, wie ist das, mit dieser Maschine, wenn man die Streifen abschneidet? Es ist
wie Rasieren, sage ich dann, oder wie Haareschneiden.
Weil Rasieren kennt er ja noch nicht wirklich.
Der Preisdruck steigt mit jedem neuen Laden. Alles
für einen Euro, so wird das jetzt verkauft. Das ist dann
aber auch nicht gut. Ich sag’s dir, einmal isst du das, und
dann nie wieder. Wir setzen mehr auf Qualität. Frische Zutaten und saubere Arbeitsplätze und die richtige Zusammensetzung natürlich. Das schmeckt man. Ich
meine, geht man zu großen Fast-Food-Ketten wie Mac
Donald’s, dann braucht man mindestens 10 Euro, um
richtig satt zu werden. Bei Döner ist es anders, man zahlt
4,50 Euro pro Döner und fast jeder wird allein von einem Döner satt. Es gibt nur sehr wenige Menschen, die
zwei Döner nacheinander schaffen.
Meine Eltern sind hierher gekommen, weil sie
wollten, dass ihre Kinder mal ein besseres Leben haben. Beklagen kann ich mich nicht. Hier ist alles, was
wir brauchen.
Jeden Monat schicke ich meinen Verwandten
in der Türkei Geld. Sie haben Familienprobleme. Ihr
Grundstück liegt an einem Hügel. Die Nachbarn graben daran. Sie wollen sich da ein Haus bauen. Ihr Sohn
schickt ihnen das Geld dafür aus Deutschland. Und unser Grundstück, das sackt jetzt ab. Irgendwann, wenn
ich das Geld zusammen gespart habe und die Kinder
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BOXEN
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BETEN
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BEEF
Von Kunst, Magie und Dönerbuden
Hyun-Kyung Yi
groß sind, fahren Aylin und ich zurück und bauen uns
da unser Traumhaus. Jedes Zimmer in einer anderen
Farbe, Kronleuchter im Esszimmer, mit großem Garten und einer Garage für das Auto. Ein deutsches Auto.
Als Erinnerung, sozusagen. Dafür muss das Grundstück da bleiben.
Heiße Luft
Ich stehe um acht Uhr auf. Dann wird erst einmal eingekauft. Salat und Tomaten und alles, die muss man immer
frisch kaufen. Wir öffnen erst um elf, haben dann aber
bis Mitternacht offen. Und dann noch eine Stunde Putzen. Am besten läuft es ab acht. Da macht man sicher
siebzig Prozent vom Umsatz.
Letztens, da kam noch einer, kurz vor Schluss.
Kunst ist das, was ihr hier macht, schrie er, Kunst! Ich erkenne das, auch wenn niemand das sieht. Es ist eben so,
hat er geraunt, an die Glas-Theke gelehnt, wo die Schälchen mit den Beilagen dahinter sind. Damit man sich ansehen kann, was ich da in den Döner packe. Ich mache
auch Kunst, hat er gesagt. Ich mache mit dem Monatsblut meiner Freundin Kunst, ich sammle das, ich male
damit Bilder. Das hat eine Ausdruckskraft, das glaubst
du gar nicht! Das ist der Schmerz der Frau und die Kraft
des Lebens, und diese Gegensätze prallen in meinen Bildern aufeinander. Große Kunst ist das. Ich und du, hat er
gerufen, ich und du machen Kunst aus dem Leben, mit
Blut und mit Fleisch! Dann hat er sich an das vordere
Klapptischchen gesetzt und eine Cola getrunken.
Verrückt war der.
Cheville greift in ihr Dekolleté und zieht das Kabel durch
die Bluse. Dann wird das Mikrophon an ihren weißen
Kragen geklippt. Ein sehr jung aussehendes Bühnenpersonal mit einer schmalen Nase, deren kleine Flügel
zittern, ruft: »He! Wo ist das scheiß Kreppband?!«
Cheville atmet aus. Weiteres Personal kommt
auf sie zugelaufen. Bevor man ihr die Nase pudert, wird
sie angelächelt. Cheville lächelt nicht zurück.
»Tesa? Ja, ist mir egal. Hauptsache, es klebt.«
Bevor sie fertig gepudert ist, drängt sich ein anderer vor ihr Gesicht und reicht ihr einen Tesastreifen.
»Entschuldigung, aber es wäre besser, du klebst dir das
Kabel an den Bauch.«
Sie nickt und klebt es direkt auf die Linie, die
ihre Bauchmuskeln vertikal trennt. Sie sieht über den
Pinsel, der sich über ihre Nase hermacht, wie Thornton aus Exit 2 den Backstage betritt. Über seinen Anzug hat er sich ein Satintuch gehängt. Jemand setzt vor
ihm einen Hocker ab, stellt sich drauf und sprüht von
einem sicheren Abstand seine Frisur ein. Dichtes, welliges, graumeliertes Haar. Kurz darauf zieht jemand von
hinten in einer gleißenden Bewegung den Satinumhang
weg. Thornton blättert durch einen kleinen Stapel zusammen getackerter Seiten und bittet um eine Cola.
Während er die Bitte noch ausspricht, wird sie ihm gebracht. Er bedankt sich und blickt von seinen Papieren
auf. Ihre Blicke treffen sich. Er dreht sich etwas zur Seite und zwinkert ihr zu, dabei zeigt er ihr den Daumen
09 / 55
.
BOXEN
.
BETEN
.
BEEF
Heiße Luft
Hyun-Kyung Yi
hoch. Cheville senkt etwas den Kopf, lässt ihn nicht aus
den Augen. Sie hebt kurz ihre Hand zur Begrüßung. Sie
wird an ihrer Schulter berührt.
»Hi. Ich bin Louis. Der Produzent.«
»Hi, Louis«, sagt Cheville.
»Du siehst toll aus. So im Hosenanzug kennt
man dich ja gar nicht. Weißt du, die Leute –«
»Danke.«
Sie späht zu Thornton, der seine Schultern
kreisen lässt. Alle Kameras werden auf Position gebracht und die Band beginnt zu spielen. Neben sich hat
Cheville ein kleines Display auf einem Stativ stehen,
das die Bühne zeigt. Darauf kann sie beobachten, wie
Thornton die Bühne betritt. Ohne zu blinzeln, misst
Cheville seine Bewegungen mit Blicken. Er macht große
Schritte. Er scheint langsam zu atmen. Er ist einen Kopf
größer als sie selbst. Das Publikum klatscht und johlt.
Er streicht sich seelenruhig über seine violette Seidenkrawatte. Cheville weiß, dass im Flutlicht plötzlich alle
noch so kleinen Muskeln zum Leben erweckt werden.
Er bewegt sich nicht zu langsam, nicht zu schnell. Er
kennt diese quadratische Bühne wie seine Westentasche.
Er breitet unter tosendem Applaus die Arme aus und
begrüßt sein Publikum. Dabei lächelt er und lässt die
Leute ausklatschen. Dann fängt er an, sich warmzureden, flirtet mit dem Publikum, das hinter dem Lichtkegel im Dunkeln sitzt und lacht und raunt und murmelt.
Er tastet es ab, passt sich seinem Atem an. Er zähmt es
jede Woche aufs Neue. Cheville beobachtet ihn bei seiner Routine auf dem Screen. Sie kann sich gut vorstellen, wie Thornton sich von Freunden und Verwandten
sagen lässt, dass er auf der Bühne wie verwandelt sei.
Ein ganz anderer Mensch. Vermutlich haben sie keine
Ahnung. Er ist auf der Bühne anders als sonst, sagen sie,
also verstellt er sich auf der Bühne. Aber die meisten
Menschen ziehen naive Trugschlüsse. Boxer nicht. Sie
hat noch nie einen naiven Boxer getroffen.
Cheville wird von hinten ein Satinumhang umgelegt. Ein Hocker wird vor ihr abgestellt. Jemand steigt
drauf und ihre Haare werden von sicherer Entfernung
eingesprüht.
»Siehst du die Leuchte da oben, Cheville?
Wenn die rot blinkt, gehst du los. Einfach den Gang
durch, ok?«
»Ok.«
Cheville wendet sich wieder dem Screen zu.
THORNTON
[zum Publikum]
Wurden Sie schon einmal von einer Frau verprügelt? Nein, im Ernst. Ja? Nein?
[Das Publikum ruft durcheinander.]
Ich wurde noch nie von einer Frau verprügelt.
Ich fänd es nicht schlimm... Was gibt es da zu
lachen? Ich fänd es wirklich nicht schlimm.
Aber... es kommt halt auf die Frau an. Da gibt
es zum Beispiel die Harmlosen: Jennifer
Aniston, Emma Watson... Justin Bieber.
[Gelassen kassiert Thornton die Lacher
des Publikums. Er zwinkert in eine der
Kameras.]
10 / 55
Heiße Luft
Hyun-Kyung Yi
.
THORNTON
Und dann gibt es andere Kaliber... Lara
THORNTON
Cheville! Wow...
Croft, Black Mamba und neuerdings noch jemand
[Das Publikum klatscht und johlt.]
anderen...
THORNTON
CHEVILLE S.
Danke. Schön, hier sein zu dürfen.
[Es ist zu laut, um fortzufahren.
Chevilles und Thorntons Blicke treffen
sich. Thornton macht eine Handbewegung und
das Klatschen lässt nach.]
.
BOXEN
Es ist toll, dich hier bei uns zu haben.
Vom jungen Bühnenpersonal, das eben nach Kreppband
gerufen hat, wird ihr gesagt: »Noch eine halbe Minute,
Cheville.« Sie schaut noch einmal auf die filigrane Nase,
nickt und sieht wieder auf den Screen. Das Publikum
ist still. Thornton schlägt hinter dem Moderationstisch
langsam seine Beine übereinander und tut, als würde er
nachdenklich werden.
THORNTON
THORNTON
Cheville, am 25. Januar trittst du gegen die
Sie werden sie alle kennen. Der Shooting Star
Titelverteidigerin Leona Kühne aus Deutschland
der diesjährigen WBO-Championship für Frauen
an.
BETEN
im Superfedergewicht, der am 25. Januar die
CHEVILLE S.
Titelverteidigerin Leona Kühne aus Deutschland
im Finale herausfordern wird.
Korrekt.
[Als die ersten aus dem Publikum schon
THORNTON
zu Klatschen anfangen, beeilt er sich
.
auszurufen.]
Übt es nicht einen enormen Druck auf dich als
Ladies und Gentlemen, bitte einen Riesenap-
Newcomerin aus, gegen die große Titelverteidi-
plaus für meinen heutigen Gast: Cheville S.!
gerin anzutreten? Ich meine, du bist ja noch
[Die rote Leuchte blinkt. Cheville tritt
sehr jung. Darf ich fragen, wie alt du bist?
über den Gang ins Licht. Sie und Thornton
CHEVILLE S.
geben sich die Hand.]
21.
BEEF
[Einige im Publikum klatschen.]
11 / 55
Heiße Luft
Hyun-Kyung Yi
.
THORNTON
Oh, fast so alt wie ich also. Wie schön.
THORNTON
Klar.
[Lacher.]
CHEVILLE S.
CHEVILLE S.
BOXEN
Klar fühle ich Druck. Aber im positiven Sinne.
Dann sind dir bestimmt auch die Augen der
Kämpfer aufgefallen. Sie sind leer.
Ich habe alle Kämpfe von Leona verfolgt. Sie
THORNTON
war ein großes Vorbild für mich, als ich noch
klein war. Ich freue mich auf diesen Kampf. Er
War das eine Antwort auf meine Frage?
wird hart werden und trotzdem freue ich mich,
CHEVILLE S.
dass ich in den Ring darf mit ihr. Ich will
diesen Kampf mit Leona. Ich kann es ihr geben,
Du musst dir einen Kreis vorstellen, in dem
wenn sie heiß ist.
ein kleinerer Kreis ist und darin ein noch
.
kleinerer. So geht es weiter bis zur Mitte.
THORNTON
Na, das ist mal eine Ansage.
[Das Publikum klatscht.]
Dort ist ein Punkt. Du kämpfst dich also vor.
Vom äußersten Ring bis zum Punkt. Du stehst
direkt im Punkt. Was soll da schon sein?
Du bist zwar erst seit dieser Saison ProfiboTHORNTON
BETEN
xerin, hast aber schon relativ früh angefangen
und hast eine gewisse Routine, wenn du in den
Keine Ahnung. Sag’ du es mir, Cheville. Eine
Ring gehst, nehme ich an.
Büroklammer? Ein schwules Einhorn?
CHEVILLE S.
CHEVILLE S.
Nichts.
Ja.
THORNTON
.
THORNTON
Was geht in einem vor, wenn man im Ring steht?
CHEVILLE S.
BEEF
Poetisch.
CHEVILLE S.
Du hast doch schon einmal einen Boxkampf gese-
Geht so. Es gibt nur diesen Gedanken: Ich will
hen, Thornton?
dich kalt machen. Sonst ist da nichts.
12 / 55
Heiße Luft
Hyun-Kyung Yi
CHEVILLE S.
.
THORNTON
Das ist wirklich alles? Ein Boxer muss doch im
Seit der High School nicht mehr benutzt, das
Bruchteil einer Sekunde viel entscheiden. Es
Wort.
muss doch wahnsinnig viel in ihm vorgehen.
THORNTON
BOXEN
CHEVILLE S.
Schon auch.
THORNTON
So ganz verstehen muss ich das nicht, oder?
CHEVILLE S.
Nein, ich erwarte es auch nicht von dir.
Aber du weißt, was es heißt?
[Einige im Publikum glucksen vergnügt.]
CHEVILLE S.
Das ist nicht nett von dir, Thornton.
THORNTON
[wendet sich zum Publikum und zuckt mit
.
den Schultern.]
THORNTON
Sorry, Cheville.
Das ist aber nicht nett.
[Cheville zuckt mit den Schultern.]
CHEVILLE S.
Boxen, eine Metapher für’s Leben? Nein, es ist
BETEN
THORNTON
umgekehrt. Weißt du, die meisten Menschen sind
Cheville, ich habe öfter von begeisterten Box-
naiv, sie ziehen ständig Trugschlüsse. Sie
fans gehört, dass Boxen eine Metapher für’s
denken: Ah, das Boxen ist so wie das Leben. Es
Leben sei. Stimmt das?
gibt einen Anfang, einen Kampf und ein Ende.
Aber es ist umgekehrt. Das Leben ist eine
CHEVILLE S.
Eine was?
Metapher für’s Boxen. Das, was du jeden Tag
tust... das ist eine Metapher.
THORNTON
.
THORNTON
Eine Metapher.
Sicher, dass du weißt, was Metapher bedeutet?
BEEF
[Sie lachen.]
13 / 55
Heiße Luft
.
CHEVILLE S.
F*** dich, Thornton.
THORNTON
BOXEN
Du weißt schon, dass das jetzt gemutet wird?
CHEVILLE S.
Ja.
THORNTON
Ganz schön aggressiv, Cheville. Muss man auch
außerhalb des Rings Angst vor dir haben?
.
CHEVILLE S.
Hyun-Kyung Yi
austreten. Im Ring trägt man wenigstens keinen Hosenanzug mit Schulterpolstern.
»Ganz schön heiß, was?«, fragt Thornton.
»Ziemlich.«
Thornton hat eine große, gerade Nase und Cheville fällt
auf, dass das Make-Up einzelne Sommersprossen nicht
verdecken kann. Durch die schlitzartigen Nasenlöcher
sieht sie ihn noch immer langsam, aber mittlerweile
schwerer atmen. Er fährt sich mit einer breiten, haarigen
Hand über die Krawatte und prüft, ob die Nadel sitzt.
Jemand hat ihr mal erzählt, Thornton hätte als Kabelträger beim Fernsehen angefangen, mit 19 Jahren.
Sie trinken schweigend ihr Glas aus bis gerufen
wird: »Noch 30 Sekunden!«
Ich bin ja nicht gewalttätig. Ich mochte Gewalt noch nie.
THORNTON
BETEN
THORNTON
Cheville, wir haben den 10. Januar heute. Das
Na, dann bin ich ja in der Werbepause vor dir
ist der letzte Tag, an dem man dich für ein
sicher.
Interview buchen kann, laut deinem Manager. Am
[Er wendet sich zum Publikum.]
25. Januar ist der große Tag des Finales und
Schalten Sie nicht weg, meine Damen und Her-
er erzählte mir, dass du zwei Wochen vor einem
ren, denn gleich geht’s friedlich weiter mit
wichtigen Kampf mit niemandem mehr reden wür-
Cheville S.
dest. Du würdest das Haus nur verlassen, um zu
BEEF
.
trainieren. Stimmt das?
Cheville und Thornton greifen zu ihren Wassergläsern.
Die Mikros werden gecheckt, das Make-Up nachgebessert und gefragt, ob alles in Ordnung ist. Der Schweiß
wird mit weißen Handtüchern abgetupft. Die Hitze im
Studio lässt Chevilles Sportlerschweiß am ganzen Körper
CHEVILLE S.
Ja, stimmt.
THORNTON
Erzähl uns doch ein bisschen etwas darüber.
14 / 55
.
Heiße Luft
Ist das normal? Machen das alle Boxer so?
Hyun-Kyung Yi
Gegnerin gemacht. Darf ich dich fragen, was
deine Devise im Kampf gegen sie ist?
CHEVILLE S.
CHEVILLE S.
Nein.
Ich will nicht zu viel verraten.
BOXEN
THORNTON Aber? Was machst du in den zwei Wochen?
THORNTON
Komm schon, Cheville. Nur ein kleines Detail.
CHEVILLE S.
Ich trainiere. Ich habe nichts anderes im
CHEVILLE S.
Kopf. Ich denke daran, wenn ich herumlaufe,
Ich versuche, die Nasenspitze meiner Gegnerin
wenn ich rede, immer.
zu treffen. Ich will ihr das Nasenbein ins Ge-
.
hirn treiben.
THORNTON Du redest also doch?
CHEVILLE S.
Schon. Aber nur das Nötigste.
[Einige im Publikum stehen auf und
klatschen.]
THORNTON
Das könnte schwierig werden. Leona ist flink.
BETEN
Trotz ihres Alters leistet sie erstaunliche
THORNTON
Beinarbeit.
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, huh?
CHEVILLE S.
CHEVILLE S.
Sicher, aber sie landet nicht viele K.O.s.
Nein, Schweigen ist Silber, Boxen ist Gold.
THORNTON
.
THORNTON
Der geht an dich, Cheville.
Ja, seit du Profiboxerin bist, wurdest du noch
nie K.O. geschlagen.
[Sie nickt.]
CHEVILLE S.
THORNTON
BEEF
Du hast eben schon eine starke Ansage an deine
Weil ich es nicht wollte. Das ist Boxen. Der
Wille entscheidet. Wenn du nicht genug willst,
15 / 55
Hyun-Kyung Yi
.
Heiße Luft
CHEVILLE S.
machst du Fehler. Und jeder Fehler wird bestraft. Ich werde hellwach in den Ring gehen.
Wir machen Kinder, wir sterben, unsere nackten
Ich hoffe für Leona, dass sie das auch tut.
Körper... das ist doch primitiv.
[Applaus.]
THORNTON
BOXEN
THORNTON
Wie kommt ein junges, hübsches Mädchen wie du
Schon, aber Geburt, Sex, Tod... das ist alles
notwendig. Ist Boxen notwendig?
auf die Idee, ausgerechnet so einen Sport zu
CHEVILLE S.
betreiben?
Weißt du, wenn man deinen Kopf aufschneidet,
CHEVILLE S.
Warum nicht?
kann es sein, dass man darin ein Gehirn findet. Es kann... sein.
THORNTON
.
THORNTON
Ich meine, findest du Boxen nicht...
Superwitzig.
CHEVILLE S.
CHEVILLE S.
Aber wenn du meinen aufschneidest, wirst du
Was?
BETEN
Boxhandschuhe finden. Für mich ist alles außer
THORNTON
Boxen langweilig.
Primitiv?
THORNTON
[Cheville runzelt die Stirn und mustert
ihn abschätzig.]
War das schon immer so?
CHEVILLE S.
THORNTON
.
Kennst du das Wort nicht? Wahrscheinlich wurde
Nein.
es dir aus dem Hirn geboxt.
THORNTON
CHEVILLE S.
Sehr witzig.
Wann hat deine Faszination fürs Boxen
angefangen?
BEEF
[Das Publikum lacht.]
16 / 55
Hyun-Kyung Yi
Heiße Luft
.
CHEVILLE S.
THORNTON
Zum ersten Mal habe ich einen Boxkampf mit
Aber wenn ich dir heute richtig zugehört habe,
meinen Brüdern gesehen, da war ich 8 oder 9.
Cheville, dann ist Boxen Krieg. Oder?
Es hat mich erwischt. Aber ich hatte das
BOXEN
Gefühl, dass es für Frauen keinen Platz gibt
CHEVILLE S.
im Boxen. Gerade deswegen wollte ich es
Andere Sportarten werden gespielt. Fußball,
selbst machen.
Tennis... Aber Boxen hat nichts Spielerisches.
Du hast also fast Recht, Thornton.
THORNTON
Fühlst du Wut gegen Männer? Oder sogar
THORNTON
Warum nur fast?
Abscheu?
[Cheville lacht.]
CHEVILLE S.
.
CHEVILLE S.
Ich verabscheue niemanden. Aber manchmal bin
[Thornton lehnt sich zurück und lächelt
ich neidisch auf sie.
sie an.]
THORNTON
Neidisch auf Männer? Warum?
BETEN
Krieg ist Boxen.
THORNTON
Cheville... Es war reizend, dich heute Abend
bei uns zu haben. Vielen Dank.
CHEVILLE S.
Ihre Natur, ihre Aggressivität. Wenn ich
wirklich große Boxkämpfe von Männern gu-
CHEVILLE S.
Danke, dass ich hier sein durfte.
cke... denke ich: Die machen das schon seit
Jahrtausenden.
THORNTON
Ladies and Gentlemen. Einen großen Applaus
.
JEMAND AUS DEM PUBLIKUM
für Cheville S.!
[schreit.]
Neidisch auf Männer? Wir Männer müssen in den
BEEF
Krieg!
Sie stehen auf und geben sich die Hand. Thornton hat
große, schwitzende Hände. Sie macht einen Schritt auf
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ihn zu und zieht ihn an sich. Er stockt, erwidert dann
fest ihre Umarmung. Sie fühlt, wie auch sein Anzug
klamm ist.
.
BETEN
.
BOXEN
.
Heiße Luft
Anmerkung:
Der Dialog besteht zum Großteil aus Zitaten
weltberühmter Boxer, die ich dem Essay »Über
BEEF
Boxen« von Joyce Carol Oates entnommen habe.
Tim Schauenberg
Haben ≥ Sollen
»Ihr seid das Volk und wir bauen den Wagen« strahlt über
ihren Köpfen. Am Ende des Tunnels, der die U-Bahn
mit dem eingezäunten Betriebsgelände verbindet, hat
der Scanner bereits 20.000 Mal grün aufgeleuchtet.
20.000 Mal Drehkreuz. Umkleidekabinen für 57.000.
57.000 gelbe Schränkchen aus Metall, durchnummeriert. Nummer 5300 – 20.000, Schicht 2B. Butterbrot
ins Fach, Schluck Kaffee aus dem Pappbecher. An jedem Schrank ein Zettel: Eure Gewerkschaft, Standort
erhalten, Kündigungen begrenzt zu verkraften, nachdenken, alle mit anpacken, gemeinsam stark, Zusammenhalt,
Verantwortung, Wettbewerb, international, standhalten,
Deutschland, sozial, gesamte Region, Wolfsburg, Tradition,
Familien und Kinder, Sicherheit, nicht aufgeben, Lösungen
suchen, Wir, müssen den Blick nach vorne richten. Blicke
rechts, Blicke links, Augenpaare treffen sich im wortlosen Raum. Zettel ins Fach zur Tupperdose, alle spät
dran. Gemeinsam betritt man die Fläche, süßer Benzingeruch schlägt ihnen entgegen, der Lärm vertraut. Alle
strömen aus, durch A, durch B, durch G3, T2, durch
C4. Mit Chipkarte Schichtbeginn am Standort bestätigen. Grünes Licht, Smiley und gehobener Daumen
auf dem Bildschirm. Die hole Stimme des Automaten
wünscht einen guten Morgen und erinnert daran, den
Rücken während der Schicht durchzustrecken. Die Statistik sagt 11% Bandscheibenvorfall, wenn männlich
und älter als 40. Zu viel.Gerät aufnehmen, nochmal bestätigen. Dann Arbeit.
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BOXEN
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BETEN
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BEEF
Haben ≥ Sollen
Tim Schauenberg
Drei, zwei, eins, (...)! Das Gewinde der Schraubenzieher-Pistole dockt an, der Zeigefinger drückt den
Abzug. Vierzehn Umdrehungen in weniger als null
Komma fünf Sekunden. Setzt ab, fährt mit der Hand
zehn Komma drei Zentimeter weiter nach rechts, dockt
an, drückt ab, setzt ab. Fährt weiter, dockt an, drückt
ab, setzt ab. 20 Sekunden warten. Im Rollwagen hinter
ihm noch 1084 Schrauben, die darauf warten, in Hohlraum vier der linken Tür des Golf Sportsvan geschossen
zu werden. Über ihm pendeln graue Gehäuse-Rohlinge
an einer Zahnrad betriebenen Transportvorrichtung in
Halle drei. Er schnäuzt sich und verstaut das karierte
Taschentuch in seiner schwarz-grauen Bundhose. Diese
Hose gibt es nur für Mitarbeiter. Unter das Hämmern
und Zischen mischt sich die Stimme von Eros Ramazotti, der irgendwas von Amore singt. Unter ihm, er könnte
es durch das Gitter seiner Plattform sehen, fahren fertige
Radachsen zur Montage an den Unterbau. Es steigen die
Dünste von scharfem Lack und heißem Schmelzband
herauf. Er steht an Montage-Insel EZK-721v zwischen
drei orangefarbenen Roboterarmen, Marke »Kuka«.
Kuka-Kumpel werden sie hier genannt. Internationale
Spitzenklasse der Robotertechnik, made in Germany:
Intelligent, lernfähig, leistungsstark, sicher, menschliches Versagen ausgeschlossen, wettbewerbsfähig, Produktivität gesteigert, Aktionäre zufrieden, immer mehr
Kukas in Zukunft. Sie tanzen um ihn herum und schwingen die Türen mit ihren Greifarmen und Saugnäpfen
agil und präzise, schnell wie ein Schwertkämpfer durch
die Luft, drehen sie einmal um die eigene Achse, leicht
wie eine Briefmarke, und verpassen ihnen die exakten
Schnittstellen. Wer mit diesen Hightech-Geräten arbeitet, darf ein bisschen stolz sein. Immer noch Amore von
Ramazotti. Ein Lämpchen leuchtet auf seinem Display.
Kuka ist fertig. Der Countdown zählt von drei, jede Zahl
ein Piep! Neben den Ziffern lächelt der gelbe Smiley. Er
beugt sich kurz vor, tippt kurz auf das Display, gehobener grüner Daumen. Dockt an, drückt den Abzug, setzt
ab. Drei Mal. 20 Sekunden warten, bis die nächste Tür
vom Kuka-Kumpel gereicht wird. Noch drei Stunden 28
Minuten bis zu seiner Mittagspause oder 498 Schrauben.
Heute gibt es Kartoffeln mit Grünkohl und Kasseler in
der Kantine, das hat er beim Reingehen gelesen. Dazu
ein Päckchen mittelscharfer Senf. 20.0000 kleine gelbe
Päckchen mittelscharfen Senfs zum ausquetschen. Es ist
8:02. Eine Anzeige über den Köpfen seiner Sektion sagt,
sie sind im »Soll«, das ist gut. Auf einer Leuchttafel über
seinem Kopf blinkt in orangefarbener Leuchtschrift die
Sektion 423 in einem Muster aus roten Linien, das dem
Grundriss einer Wohnung ähnelt. Die andere Sektion
liegt zurück. Wenn 423 nicht aufholt, kommt sie eben
später zu Kartoffeln mit Grünkohl und Kasseler, denn
Haben ≥ Soll ist sehr wichtig, weil: konkurrenzfähig,
international, die Zukunft, im Vergleich. Billiglohnländer, die oder wir, Tasten auf dem Klavier. Prognosen,
Finanzmarkt, Bilanzen unter Druck. Da oben, kein
Verlass, hier unten, nichts in der Hand. Disziplin, morgens bis abends, auch nachts, Schweigen. Drei, zwei,
eins, Blicke nach vorne, Hände ohne Hirn. Smiley nicht
vergessen, andocken, Abzug, absetzen. Für Geschichte,
Tradition, gesamte Region. Für Familie, Kinder, Oma,
Pflegestation. Für Haus, Urlaub, Auto, Rente sicher.
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BEEF
Haben ≥ Sollen
Milan Lugerth
So lange, wie alles im Takt, der Lärm ein Wiegenlied und ihr das Volk und ihr den Wagen.
Schweine schlachten
Die Zigarette und der Kaffee drehen meinen Magen um.
Aus der Metzgerei dringt der Geruch von abgehangenem Fleisch, wie Eisen mit einer Prise Salz und einem
Hauch Desinfektionsmittel. Mir kommt die Galle hoch.
Ich schlucke, halte meinen Bauch, konzentriere meinen
Blick auf die Salami, die im Schaufenster vor den weißen
Fliesen baumelt.
Ich werde nach hinten geführt, durch das
geschäftige Treiben. Dort hinein, wo das Fleisch herkommt. Ich soll mir einen weißen Overall anziehen,
ein weißes Haarnetz, weiße Schuhüberzüge, aus hygienischen Gründen, sagen sie, aber vor allem, denke ich, damit meine Kleidung nicht mit Blut voll gespritzt wird. Wir hören den Laster kommen und gehen
hinaus. Die gepflasterte Einfahrt ist umgeben von
Fachwerkhäusern.
Sie wird aus dem Anhänger getrieben. Sie trippelt mit den kleinen Beinen zur metallenen Schiebetür.
Ich höre das Klacken der Hufe, ansonsten gibt sie keinen Ton von sich. Den Kopf hat sie gesenkt, sodass die
Schnauze fast den Boden berührt. Frisch vom Bauernhof. Eine sieben Monate alte Jungsau.
Ihr Kopf wird mit der großen Zange eingeklemmt. Starr durch den Strom kippt sie zur Seite. Die
Zange klemmt weiter. Die Tür wird aufgeschoben. Ihr
wird eine Kette um eins ihrer Hinterbeine geschlungen.
Daran wird sie über die Steine geschleift und in die Höhe
gezogen, sodass sie im weiß gefliesten Raum hängt. Erst
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BEEF
Schweine schlachten
Milan Lugerth
wenn ihr Körper erschlafft, nehmen sie ihr die Zange
vom Kopf.
Sie, mit den weißen Gummischürzen und den
weißen Gummistiefeln, stehen vor der Sau. Der eine
hält eine Plastikschüssel unter ihre Schnauze. Der Andere zieht das Messer aus dem Gürtel. Unter der Kehle dringt die dünne, scharfe Klinge durch die weiche
Haut, direkt durch die Schlagadern tief bis ins Herz.
Ich streiche mir über den Hals. Es geht ganz schnell.
Ohne Widerstand. Sie ziehen das Messer raus. Aus dem
kleinen Schlitz quillt in einem dicken Strahl das Blut
direkt in die Plastikschale. Es spritzt daneben auf die
weißen Fliesen. Die dickflüssige Pfütze breitet sich aus,
um meine weißen Schuhüberzüge. Ich weiche zurück,
hinterlasse rote Abdrücke auf dem Boden. Die Pfütze
dampft. Im ganzen Raum ist Dampf. Ich atme den Geruch von warmem Eisen ein.
An einem Bein hängt die Sau, das andere Bein
zuckt. Das Zucken geht durch den ganzen Körper. Das
Herz pumpt das Blut immer weiter. Aus den Adern läuft
das Leben Richtung Plastik.
Sie, mit den weißen Gummischürzen und den
weißen Gummistiefeln, tragen keine Handschuhe. Die
Sau liegt auf einem Stahltisch. Mit einer Zange ziehen
sie die Hufe ab. Ein Ruck mit voller Kraft. Sie stechen
eiserne Haken unter die Sehnen am Knöchel, sodass
sie sich vom Knochen weg dehnen. Sie ziehen die Sau
wieder kopfüber in die Luft. Sie hängt da, entblößt, mit
gespreizten Beinen. Die Haut ist so gespannt, dass sie
reißen müsste.
Sie, mit den weißen Gummischürzen und den
weißen Gummistiefeln, stechen mit der scharfen, dünnen
Klinge durch die gespannte Haut und ziehen das Messer
bis hinunter zur Brust. Sie greifen ohne Handschuhe hinein, hinter die Innereien. Der Schlitz weitet sich. Die
Gedärme quellen hervor und klatschen auf den Boden,
jegliche Form verloren, als wollten sie weg fließen.
Sie beginnen mit der Stichsäge zwischen den
gespreizten Beinen. Das Rattern übertönt das Zerteilen von Fleisch und Knochen. Durch den aufgeschlitzten Bauch entlang bis zum Kopf. Dort stoppen
sie und nehmen das Fleischerbeil, weil die Zähne zu
hart sind für die Säge. Das fast durchtrennte Schwein
hängt vor ihnen. Mit zwei Schlägen zerteilen sie den
Kopf, schneiden die Kopfhälften vom Körper und werfen sie vor mich auf den Stahltisch. Die Schnauze zerteilt, schauen die Augen in verschiedene Richtungen.
Neben mir hängen die ausgeschabten Schweinehälften.
Die Muskeln sind von oben bis unten durchtrennt und
zucken noch. Sie zucken und das soll noch den halben
Tag dauern.
Sie, mit den weißen Gummischürzen und den
weißen Gummistiefeln, arbeiten parallel. Drei Schweine
gleichzeitig. Während aus dem einen Schwein noch das
Blut in einem dicken Strahl quillt, betäuben sie schon
das nächste. Die Zange führt sie über zum Stich und dahinter klatschen ihre Gedärme unförmig auf den Boden.
Mit einem Ruck voller Kraft ziehen sie ihnen die Hufe
ab. Die Zähne zerschlagen sie mit dem Beil. In einem dicken Strahl fließt das Blut. Die Zange führt sie über zum
Stich. Mit einem Ruck ziehen sie die Hufe. Sie zerschlagen mit dem Beil. Sie klemmen mit der Zange. Ziehen
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Schweine schlachten
Olivia Kuderewski
mit einem Ruck. Schlagen mit dem Beil. Klemmen. Ziehen. Schlagen.
Sie treiben das Schwein aus dem Anhänger. Es
trippelt zur Schiebetür. Den Kopf hat es gesenkt. Es
kippt starr zur Seite. Die Tür wird aufgeschoben. An
der Kette wird es in den weiß gefliesten Raum gezogen.
Der Plastikgriff des Messers fühlt sich zu klein
an, deswegen steche ich mir mit den Fingernägeln in
den Handballen. Victor klopft mir beruhigend auf die
Schulter. Mit der anderen Hand hält er die Plastikschale.
Ich schaue an dem nacktem Bauch, der vor mir hängt,
hinunter. Victor zeigt nochmal auf die Stelle unter der
Kehle. Ich lege meinen Zeigefinger auf die weiche Haut.
Hinter mir höre ich Markus ein anderes Schwein in
Hälften sägen. Ich steche zu. Mit aller Kraft, haben sie
vorher gesagt. Sieht leichter aus, als es ist.
Ich, mit der weißen Gummischürze und den
weißen Gummistiefeln, stehe vor dem Schwein.
Es zuckt, blutet aus. Es war nur eine kurze
Handbewegung, als würde ich einen Nagel mit einem
Schlag ins Brett hauen, denke ich, als ich an mir hinunter gucke. Meine weiße Gummischürze ist mit Blut
bespritzt. Es riecht nach Eisen. Alles ist voller Blut, obwohl wir immer wieder mit einem Schlauch Wasser über
die weißen Fliesen spritzen. Wir hieven das Leblose auf
den Stahltisch. Wir ziehen ihm die Hufe ab. Wir drehen
uns um. Wir ziehen den nächsten Körper an der Kette
in den Raum. Wir stechen zu. Wir hieven es auf den
Tisch. Wir drehen uns um. Wir ziehen das nächste Stück
Fleisch in den Raum. Stechen zu. Auf den Tisch. In den
Raum. Stechen zu. Auf den Tisch. In den Raum.
Dienstags
Sein Stammplatz ist direkt am Tresen. Sechs bis sieben
Pinot Grigio, je nach Tagesform. Oskar kommt mindestens zwei Mal die Woche und auf jeden Fall dienstags –
nichts los, leise Musik, keine nervigen Veranstaltungen.
Wie immer kraxelt er umständlich auf den Barhocker,
die dürren Arme im Flanellhemd auf die Holztheke aufgestützt. Ich erkenne an seinem Blick, dass er sich freut.
Auf unser Ritual. Sobald ich ihm die rote Cocktailserviette hingewischt, und das randvolle Weinglas draufgesetzt habe, fängt er an mit der fleckigen Hand herumzuwedeln, die sagt: He, he, he, da fehlt was. Er wedelt hin
zum Stapel Bierdeckel. Aber so leicht mache ich es ihm
nicht. Ich nehme einen Deckel, hebe ihn auf Sichthöhe
und ziehe fragend die Augenbrauen hoch. Er grapscht
gierig danach, wie ein kleiner Junge, obwohl bestimmt
schon über 60. Ich ziehe ihn weg. Dreimal ziehe ich ihm
den Deckel vor der Nase weg, immer drei Mal, und Oskar grinst, schon bevor das Spiel vorbei ist. Jedes Mal
machen wir das und jedes Mal macht es ihm Spaß. Auch
ohne Worte.
Ich lasse Oskar allein, muss noch eine Runde
drehen. Heute ist der Raucherraum fast leer, an den meisten Tischen brennen die Teelichter ohne Publikum runter. Die Stamm-Taxifahrerin auf der 3 hat anscheinend
ihren freien Abend, kippt zügig Bitburger und raucht
Kette. In der Ecke, auf der 9, sechs Studenten, die nichts
bestellen. Halten sich vier Stunden an der kleinen Cola
fest und schaffen es nicht, die Aschenbecher zu treffen.
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BOXEN
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Dienstags
Olivia Kuderewski
Wenn die später abhauen, darf ich zerfetzte Bierdeckel,
vollgesogene Servietten und Tortilla-Chips-Schweinereien wegmachen. Die essen den Dip gern vom Tisch
und tunken zerknüllte Gauloise-Schachteln rein.
Fett-verschmierte Gläser mit abgekauten Zitronen, ein neuer Aschenbecher für die Taxifahrerin und
ich kann wieder zurück. Oskar erledigt gerade seinen
Pinot. Legt beim letzten Schluck den Kopf in den Nacken – auf seinem unnatürlich dünnen Hals die ausgefranste Operationsnarbe. Dann schiebt er das Glas zum
Nachfüllen so weit an den Rand, dass es fast vom Tresen
fällt und grinst mich an. Bei ihm vergesse ich schon mal
was in die Kasse zu tippen. Sobald das Glas wieder voll
ist, legt er blitzschnell den Bierdeckel drauf. Ich habe
ihn nie gefragt, warum er das macht. Aber sieht nach
Keimparanoia aus.
Die Eingangstür quietscht – drei neue Gäste.
Touristen oder Theaterbesucher, wie sie mit schnieken
Mänteln und toupierten Frisuren die Handschuhe abstreifen, unschlüssig die niedrige Gewölbedecke mustern. Auf jeden Fall Verirrte ohne Talent zur Kneipenwahl. Sie steuern die 7 an, direkt neben dem Klavier,
einer greift nach der lieblos zusammengeklebten Karte.
Sicher Rotweintrinker.
Um sie zu bedienen, muss ich an Manfred vorbei. Das eierköpfige Riesenbaby setzt sich immer an den
Platz direkt neben der Schwingtür, damit man ihn ja
bemerkt. Dabei hat ihm die Chefin mit Hausverbot gedroht, falls er nochmal das Personal belästigt. Ich versuche, mit größtmöglichem Abstand seine Bestellung aufzunehmen, wegen seiner schwitzigen Wurstfinger. Aber
er hat eine widerliche Mausstimme, zu der man sich
runterbeugen muss, irgendwo im Fett geht die Lautstärke verloren. Seit Manfred sie bei mir bestellt, finde ich
Fanta abstoßend. Aber wenn man ihm ohne zu fragen
ein Glas hinstellt, will das Ekel plötzlich einen Cappuccino mit Amaretto oder »was zu vernaschen.« »Wir haben Salzbrezeln«, sage ich. »Neiiiiin, das mein ich doch
nicht«, er versucht zu zwinkern, »eine Blondine wär
nett.« Heute zeige ich auf die Taxifahrerin, die versucht
sich mit Make-Up zu konservieren, und sage: »Die passt
doch zu dir.« Er glubscht weiter auf meine Haare.
Für die Touris, dreimal Caipirinha – eins der
Alibigetränke auf der Karte. Seit einem halben Jahr
hat das keiner mehr bestellt und wahrscheinlich sind
sie längst wieder weg, bis ich den massiven Klumpen
braunen Zucker wieder körnig geklopft kriege. Eigentlich hätte ich ihnen abraten sollen, so wie die Limetten
im Kühlschrank aussehen. Aber der Alkohol retuschiert
das. Während ich Caipis rühre – eine größere Sauerei
machen nur die verdammten »Sahnecocktails« – guckt
Oskar interessiert zu. Seine Brillengläser machen die
Augen froschig und der Ballonkopf sitzt viel zu wackelig auf dem Hals. Auf mein »Wie geht`s uns heute?« holt
er seinen Schreibblock und den Bleistiftstummel aus der
Hemdtasche. »War heut beim Doc. 1 x Erdnüsse bitte«
steht auf dem Notizzettel. »Was hat er gesagt?«, frage
ich und gehe Erdnüsse holen.
Als ich aus der Küche komme – die zweite Ohrfeige des Abends, nach Riesenbaby Manfred. Jack ‘Jackie’
Daniels. Als er und sein Schnapskumpel das letzte Mal
hier waren, musste mein Kollege den einen aus der Tür
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Dienstags
Olivia Kuderewski
schubsen, den anderen rausschleifen. Aber heute bin ich
allein. Bevor sie sich setzen, suche ich die anwesenden
Gäste auf einen ab, der mit ihnen fertig werden könnte.
Mein Blick bleibt nur an Manfreds Fleischglatze hängen.
Jackie hievt sich auf den Barhocker, seine Lederjacke knautscht, als er die aufgepumpten Arme auf
dem Tresen ablegt. Er beugt sich erstmal rüber zu Oskar, zeigt auf seine Narbe und lacht grunzend. »Was
hast’n da, Opa?« Oskar zieht sein Weinglas näher zu
sich ran. »Lasst ihn in Ruhe«, sage ich und im gleichen
Atemzug »Was wollt ihr trinken?« Bei der Frage vergessen die meisten Betrunkenen alles, was vorher war.
Jetzt glotzt Jackie mich an, blinzelt mit den
besoffenen Lidern. Man kann dem Groschen beim Fallen zusehen. Er zieht Rotz hoch, die Frage kommt im
Gehirn an und er bestellt »eine Flasche Jackie und ne
Cola.« Kleine Spucketropfen auf dem Tresen.
Ich sage, dass ich ihnen leider keine ganzen
Flaschen verkaufen kann und Jackies Saufkumpel grinst
dazu wie ein Trottel, so schwabbelig und apathisch, dass
ich mir nicht sicher bin, ob bei ihm noch was ankommt.
Aber Jackie holt in Zeitlupe seinen Geldbeutel aus der
Arschtasche, durchblättert die Scheine und nimmt siebzig Euro raus: »Klar kannste.«
Ich schüttle den Kopf. Er lacht dreckig. Oskar drückt seinen Bierdeckel fest aufs Weinglas. Jackie
nimmt noch einen Zwanziger dazu und lehnt sich so weit
über den Tresen, dass ich einen Schritt zurück mache.
»Und Trinkgeld kriegste auch.« Der Schnaps
grinst in seinem Gesicht und ich muss jetzt diplomatisch handeln. Nehme zwei Cuba-Libre-Gläser aus dem
Regal, lächle und halte sie auf seine Augenhöhe. Die
größten, die wir haben, um ihn abzuregen. Aber Jackie
fühlt sich verarscht vom Longdrinkglas 0,4. Rückt noch
weiter vor und liegt jetzt auf dem Tresen. Besoffene sind
unberechenbar.
»Ich hab gesagt, ich will…« in doppelter Lautstärke und die Touris drehen sich um. Jetzt wacht sogar
der Kumpel aus seinem Schnapskoma auf, packt Jackie
endlich die Pranke auf die Schulter und zieht ihn zurück. »Lass doch gut sein, Alter. Lass mal schön gemütlich ’n paar Gläschen, ne?« Seine in die Länge gelallten
Vokale beruhigen Jackie. Er setzt sich wieder hin und
zischt nochmal böse, um wenigstens einen kleinen Sieg
davonzutragen: »Aber fifty-fifty-Mischung« .
Solche Gäste lange warten zu lassen, ist nicht
ratsam. Ich schaufle viel zu viele Eiswürfel in die Drinks,
um den Whisky zu verdünnen. Er sieht kritisch zu, wie
ich den Jack Daniels eingieße, »EY!« , und seine Hand
versucht den Alkoholpegel in die Höhe zu treiben.
Als ich die Drinks auf den Tresen stelle, sehe
ich, dass Oskars Zettel noch da liegt. Jackie nimmt einen Schluck, stellt das Glas so heftig ab, dass was raus
schwappt und ruft: »Nochmal zwei.« Anscheinend will
er mir eins reindrücken. Der Arsch.
»Mach uns nochmal zwei!«, sagt Jackie laut
und ich sage »Ihr seid nicht die einzigen Gäste« zu den
zerstampften Limetten. Aggressiven Hunden sieht man
nicht in die Augen, sonst beißen sie. Bevor Jackie wieder
bellen kann, verschwinde ich mit den Caipis auf dem
Tablett durch die Schwingtür. Manfred schmiert ein
»Hi...« in meine Richtung. Ich stell die siffigen Cocktails
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BOXEN
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BETEN
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Dienstags
Olivia Kuderewski
mit einem breiten Servicegrinsen am Touristentisch ab.
Noch eine Runde im Raucherraum, hastig.
Die Studenten nuckeln brav an ihren Bieren, haben ihre
Tischkunst fast vervollständigt. Die Taxifahrerin winkt
lahm nach dem nächsten Bitburger. Manfred wedelt von
weitem, mit beiden Armen, wie ein Schiffbrüchiger,
obwohl ich sowieso gleich wieder an ihm vorbei muss.
Dem bringe ich heute nichts mehr.
Als ich zurückkomme – Jackie hat Oskar seinen Bierdeckel weggenommen und versucht dasselbe mit
dem Weinglas. Oskar hält es noch trotzig fest, zieht die
Stirn angestrengt in Falten, versucht den anderen mit
grantigen Blicken einzuschüchtern. Der Wein schwappt
raus. Über Oskars Zettel. Jackie lacht in großen Brocken.
Der andere grunzt, mit den Lidern auf Halbmast. Ich
fauche Jackie an, »lass ihn in Ruhe«, aber der lacht. Das
Weinglas, aus Oskars Hand gerissen, rutscht über den
Tresen, an mir vorbei, zerbricht auf dem Boden. Einer
der Touris steht auf, viel zu unentschlossen. Jackie beugt
sich über Oskars Zettel, hindert ihn, das nasse Stück Papier zu verstecken und liest vor, »Meeeeeetaaa...«, als ich
ihnen die Gläser wegnehme. Er ist sofort still. Ich muss
mich zwingen, Autorität in die Stimme zu legen. »Ihr
geht jetzt nach Hause«, sage ich und schütte die Drinks
in den Abflusstrichter, »sonst ruf ich die Polizei.«
Jackie lacht seine Brocken. »Mach uns nochmal
zwei!«, lallt er wie ein aufgezogenes Spielzeug. Ich zieh
mein Smartphone aus der Tasche und tippe. Er sieht,
wie ich es ans Ohr halte und diesmal fällt der Groschen
schneller. Wehrt mit den Händen ab, »musst ja nicht
gleich so zickig werden!« Ich halt das Telefon weiter
ans Ohr. »Es tutet« und er »Hey!« setzt sich endlich in
Bewegung. Rutscht vom Hocker auf die Wackelbeine.
Ich tippe, so, als würde ich einen Anruf beenden, Jackie
sieht auf meine Hand aus den Augenwinkeln, während
er Oskar zum Abschied ein ekliges Grinsen hinschmiert.
»Wir hatten doch Spaß miteinander, Opi, hm?« und Oskar, der drückt sich weg, windet sich aus dem Kumpelgriff. »Komm, wir gehen. Das Personal is heute schlecht
gelaunt«, drückt er mir noch rein, so laut, dass es alle
hören. Dann trotten sie zur Tür, extra lässig, ein letzter
fieser Blick zurück und sie fällt zu. Unbezahlte Getränke, überschwemmte Theke, Scherben. Das Herz klopft
noch in der Kehle.
Oskar, der alte dünne Oskar, ist aufgestanden.
Will sich vergewissern, dass sie nicht wiederkommen.
Er schüttelt mitleidig den Ballonkopf, zückt dann den
Geldbeutel. »Du kannst nächstes Mal zahlen, Oskar.
Schon gut«, sage ich, weil ich gerade keinen Nerv für
Kopfrechnen habe. Er denkt nach, verneint dann heftig und hält mir einen Zwanziger hin. Ich krame nach
dem Rückgeld, aber als ich es ihm geben will, ist er verschwunden. 8,20 Trinkgeld.
Ich wische den Tresen ab, kehre Scherben und
schmeiße Bierdeckel weg. Oskars aufgeweichter Zettel.
Kurz bevor ich ihn in den Mülleimer klatschen lasse, fällt
mein Blick auf seine Antwort. Oskars zackige Schrift,
die seine Zunge ersetzt. »Metastasen sind zurück, muss
morgen ins Krankenhaus. Aber der Pinot schmeckt heute sehr gut :) «
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Mareike Köhler
Fremdbeten
Vielleicht hätte sie heute einfach zuhause bleiben sollen. Soray vergrub die Finger in ihrer Manteltasche, als
sie in die breite, leere Straße einbogen, vorbei an den
vereinzelten Plastikflaschen und leeren Tabakdosen auf
dem grün bewachsenen Randstreifen und vorbei am
Restaurant »Zur Haltestelle«, in welches sich höchstens
hin und wieder einmal Arbeiter des nahe gelegenen Industriegebiets verirrten. Den ganzen Tag schon hatte
sie sich nicht gut gefühlt, hatte die Gedanken an ihn hin
und her geschoben, sie hinuntergeschluckt und wieder
ins Bewusstsein gewürgt. Sie hätte Naba einfach sagen
können, dass sie krank sei. So ungewöhnlich wäre das zu
dieser Jahreszeit nicht.
Aber Naba schloss ihren kleinen Laden freitags
immer schon mittags, um pünktlich losfahren zu können; sie war extra bei Soray vorbeigekommen und hatte
sie abgeholt. Und Soray fuhr gern mit Naba diese Strecke; sie konnten sich über so gut wie alles unterhalten.
Normalerweise. Heute blieb Soray ungewöhnlich still.
Naba blickte sie im Rückspiegel an und hob die Augenbrauen: »Na was ist heute los mit dir, Mäuschen? Rück
mal raus damit!«
Naba war etwa zehn Jahre älter als Soray und
schien damit zu rechtfertigen, sie wie ein Kind behandeln zu dürfen. Soray zwang sich zu einem Lächeln und
erklärte, dass sie ihre Tage habe und einfach ein bisschen schlecht drauf sei. Das war noch nicht einmal gelogen. Und Naba schien sich damit zufrieden zu geben.
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BEEF
Fremdbeten
Mareike Köhler
»Ach Schätzchen, mein Armes…«, sagte sie nur, um
dann noch hinzuzufügen, dass sie sich davon doch nicht
so runterziehen lassen solle – schon gar nicht an einem
Freitag – und dann drehte sie das Radio noch etwas lauter. Soray war das ganz recht; so konnte sie sich wieder
ihren eigenen Gedanken zuwenden.
Eigentlich war Soray die Letzte, die sich erlauben würde, nicht zu einer der Veranstaltungen ihrer Gemeinschaft zu gehen. An kaum einem anderen Ort fühlte
sie sich so wohl, wie in dieser Moschee. Jeden Mittwoch
traf sich der Frauenkreis, dessen Mitglied sie war, und
mit den meisten der Frauen war sie gut befreundet. Sie
liebte es, Geschichten von den Taten des Heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) zu hören, auch
wenn sie einen Großteil davon bereits kannte. Die Religion gehörte fest zu ihrem Leben. Sie verrichtete fünf
Mal am Tag das Pflichtgebet und – wenn sie die Zeit
fand – sogar noch das ein oder andere Freiwilligengebet
zwischendurch.
Soray zog nervös an einer Haarsträhne, die unter dem Kopftuch hervorlugte. Ja, sie hatte immer versucht, sich an alle Regeln zu halten; hatte das Fasten im
Ramadan eingehalten; hatte ihr Leben Gott anvertraut.
Allah hatte immer den wichtigsten Platz in ihrem Herzen und ihren Gedanken eingenommen. Umso mehr
schämte sie sich jetzt, dass sie es überhaupt in Erwägung
gezogen hatte, nicht zum Freitagsgebet zu gehen.
Angestrengt schaute sie aus dem Fenster. Über
der blickdichten hohen Absperrung auf der rechten Seite stieg Rauch auf und verschmolz mit den Wolken zu
einer grauen wabernden Masse. Sie fuhren vorbei an den
kleinen, hoch eingezäunten Einfamilienhäusern – die
mit den automatischen elektrischen Toren, bei denen
Soray immer das Gefühl hatte, sie würden sich genau in
dem Moment schließen, wenn sie vorbeikam.
Ganz am Ende der Straße dann, auf der linken
Seite, das große, quadratische, weiße Gebäude mit den
schmalen, länglichen Fenstern. Auf dem flachen Dach
die kleine, charakteristische Kuppel, die Kubba, und das
nach oben hin spitz zulaufende Türmchen, das Minarett, welches jedoch keiner nutzte. Sorays Blick blieb etwas länger als sonst an dem blauen Schild an der Fassade
hängen: »Niemand ist anbetungswürdig außer Allah und
Mohammed ist sein Prophet.«
Der gepflegte Vorplatz war bereits gut mit Autos gefüllt, als sie ankamen; doch das mit dunkelgrauen Steinen in sonst helles Pflaster gesetzte »Welcome«
war noch frei und so parkte Naba das Auto darauf. Drei
Männer standen vor dem Eingang und rauchten. Soray
beobachtete sie aus den Augenwinkeln. War er auch dabei? Natürlich nicht. Ein Imam raucht nicht. Und er war
wohl längst im Gebetsraum.
Sie hatte sie schon öfter hier gesehen, aber sie
hätte nicht sagen können, wer genau diese Männer waren, die regelmäßig die Freitagsgebete besuchten so wie
sie. Sie redete eigentlich nie mit ihnen. In der Moschee
war es ihnen untersagt, dem jeweils anderen Geschlecht
in die Augen zu sehen oder ihnen die Hand zu geben.
Naba sah sie noch einmal kurz mit prüfendem Blick an
und verschwand dann im Gebäude. Soray folgte ihr.
Als sie nach dem Schuhe-Ausziehen den Gebetsraum der Frauen betrat und den weichen, bequemen
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Mareike Köhler
Teppich unter ihren Füßen spürte, freute sie sich zum
ersten Mal an diesem Tag. Es war gut, die Anderen wiederzusehen und die Vertrautheit der Gemeinschaft um
sich zu haben. Das Licht war gedimmt und die warme
Luft roch angenehm süßlich. Dieser Raum schaffte es
wie kaum ein anderer Ort, sie zu beruhigen. Viele Frauen
hatten mit ihren Kindern schon auf dem Teppich Platz
genommen. Gerade wollte Soray mit Naba herumgehen,
um ihnen wie sonst einzeln die Hand zu geben. Doch zu
mehr als einem schnell in die Runde gemurmelten »Salaam aleikum« kamen sie nicht, denn in diesem Moment
tönte Gesang aus den Lautsprechern. Soray zuckte kurz
zusammen und setzte sich auf einen der Stühle zu den älteren und den unreinen, menstruierenden Frauen, während die Jüngeren mit den Kindern auf dem blau-golden
gemusterten Teppich standen und dem Gesang lauschten. Soray hielt sich am Polster fest, erleichtert, dass die
Frauen ihr den Rücken zukehrten und ihre Verwirrung
nicht sehen konnten. Sie erkannte seine Stimme sofort.
Diese weiche, angenehm tiefe Stimme, so beruhigend. Sie
konnte nicht anders, als sich ihn vorzustellen, wie er da
stand, eine Etage unter ihr, der junge, groß gewachsene
Mann, ganz in schwarz, den dunklen Bart sorgfältig gepflegt, in der hellblauen Gebetsnische, die sie nur von Bildern aus dem Internet kannte (selbst durfte sie den Raum
nicht betreten), von goldenen Ornamenten umrandet –
so als sei er selbst der Gegenstand ihrer Anbetung.
Wie gern säße sie jetzt dort unten bei ihm.
Der Imam verstummte kurz – und sie klammerte sich noch fester an ihren Stuhl, als sie erkannte,
was sie da gerade gedacht hatte.
Sie ärgerte sich über sich selbst! Was machte
sie da? Warum konnte sie diesen einen Augenblick nicht
vergessen?
Auch wenn sie hin und wieder einmal an dem
Sinn der Geschlechtertrennung gezweifelt hatte – jetzt
erschien es ihr so plausibel wie nie. Jegliche Ablenkungen sollten vermieden werden. In der Moschee sollte die
Aufmerksamkeit einzig und allein Allah gelten. Und darum hatte auch die Regel einen Sinn, dass die Frauen
dem Imam nicht begegnen sollten.
Der Imam hatte inzwischen den Gesang beendet und begann, vom Heiligen Propheten Mohammed
(Friede sei mit ihm) zu erzählen und seine Taten zu erklären. Soray versuchte, ihm zu folgen, doch immer wieder lenkten sie der Klang seiner Stimme und der Gedanke an seine Augen ab. Ob er sich noch an den Moment
erinnerte? Hatte er sie überhaupt richtig angesehen? Ja,
doch, zumindest kurz, da war sie sich sicher. Sie glaubte,
in seinem Blick Erstaunen gesehen zu haben. Er musste
sich einfach daran erinnern!
Sie konnte nicht sagen, wieso, doch dieser kurze Augenblick hatte sich gefährlich und provokant in ihr
Gedächtnis eingebrannt und es gelang ihr nicht, die Erinnerung daran auszulöschen. Wie ein Stromschlag, der
sie durchzuckt hatte und nun seine Folgen hinterließ.
Meidet die Versündigung der Augen.
Da war so etwas in diesem Blick gewesen, was
sie nicht deuten konnte. War da nur Überraschung, ein
Erschrecken? Oder war es mehr als das?
Die Anderen waren jetzt auf die Knie gegangen, um das Gebet zu beginnen. Soray konnte jetzt einen
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Fremdbeten
Paula Hauch
Blick auf alle Anwesenden erhaschen. Vorn in der ersten
Reihe drehte sich eine der Frauen kurz nach ihr um und
lächelte ihr zu. Es war Zaina, die Frau des Imams. Etwas
in Soray zersplitterte.
Dann schloss sie die Augen und kniete sich in
Gedanken dazu, um mit den Anderen zu beten. Sie bat
Allah um seine Barmherzigkeit und dankte ihm, denn
sie wusste, dass er einem Menschen nie eine größere
Aufgabe stellte, als er ihm zu bewältigen zutraute – so
hatte es der Imam gesagt.
Zeig mir deinen Hund
und ich sag dir,
wer du bist
Der Hundeartikel ging an mich. Ich war nur froh, dass
ich nicht über die Diamanthochzeit von Rosa und Helmut
Weger schreiben musste, bei den Wegers war ich letzten
Monat als Frau Weger einen Preis für den bestgedeckten Apfelkuchen erhalten hatte. Niemals werde ich den
Geruch in diesem lavendelfarbenen Albtraum von Wohnzimmer vergessen. Es roch nach braun und gelb gefärbten
Seiten, nach fleischfarbenen Thrombosestrümpfen, nach
goldenen Zähnen und nach Ringen, die nur unter heißem
Wasser und heftigem Schrubben von den Fingern genommen werden können. Mit Sprachschätzen über Schützenfeste und Schwimmbaderöffnungen habe ich mir meinen
Weg geebnet und habe es zum Hundeplatz geschafft.
Jetzt sitze ich über meinen Notizen. Nicht trinken, nicht übertreiben, kein Zynismus: die drei goldenen Regeln des Lokaljournalismus. So schwer kann das
doch nicht sein:
Auf dem Hundeplatz hat keiner einen Nachnamen, außer
Herr Schmidt, der Rauhaardackel von Günther.
Roland ist mit seinem neuen BMW gekommen.
Er schimpft, weil seine Tochter auf dem Beifahrersitz einen Softdrink verschüttet hat. Auf den Knien seiner Jeans
hat Roland Schmutzflecken. Seit drei Wochen versucht er,
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Zeig mir deinen Hund und ich sag dir, wer du bist
Paula Hauch
seinen Retrieverwelpen Maja davon zu überzeugen, durch
einen blauen Plastiktunnel zu kriechen. Obwohl Therese,
die Hundetrainerin, ihm offiziell verboten hat, durch den
Tunnel zu kriechen: »Die muss das schon selber machen, die
Maja.« Doch Roland ist nicht der Einzige. Wenn Therese
den anderen Hundebesitzern den Rücken zudreht, habe ich
manch einen durch einen Gummireifen klettern oder über
eine Hürde springen sehen. Nicht ohne sich danach stolz und
auffordernd seinem Hund zuzuwenden.
Marianne ist seit drei Monaten im Ruhestand.
Jetzt möchte sie ihre neue Freiheit genießen: abends gemütlich ein Rotweinchen trinken und morgens auch mal bis
neun Uhr schlafen. Filius, ihr Berner Sennenhund, ist kein
Freund der neugewonnen Gemütlichkeit. Morgens wacht
Marianne mit einem merkwürdigen Gefühl auf und schaut
in große Hundeaugen. Pünktlich um sechs Uhr dreißig steht
Filius am Bettrand. Abends um halb zehn steht er auf der
Treppe und schaut erwartungsvoll über die Schulter, bis Marianne ihm ins Schlafzimmer folgt.
Drei Dinge sind des Menschen Heiligste. Drei
Dinge, die du unter keinen Umständen kritisieren darfst:
sein Kind, seine Inneneinrichtung und seinen Hund.
Wenn der Tommi dich mit der Schippe haut,
wenn der Anblick der dreitausend Monchichis dich noch in
den Träumen verfolgt und Rotweiler Rosi dir mit gefletschten Zähnen den Weg versperrt, dann hast du entweder was
falsch verstanden oder überhaupt keine Ahnung oder es
nicht besser verdient.
Jeder Hundebesitzer ist auch ausgewiesener Hundeexperte: Nicht kastrieren, nur vegetarische Kost, Zähne putzen ja, Mundspray nein, einmal im Monat den Anus ausspülen
lassen, mindestens. Das ist nicht anders als bei Kindern. Also
natürlich ohne die Kastration und die Anussache. Fragen wie:
Nutella ja, nein, Waffen ja, nein, musikalische Früherziehung
ja, nein, können ähnliche ideologische Glaubenskriege auslösen. Und es soll Menschen geben, die ihren Hunden Mozart
vorspielen, wenn Gewitter droht.
Man hat es nicht immer leicht als Hundebesitzer,
zumindest wenn man einen Hund hat, der auch als Hund
durchgeht und nicht als Meerschweinchen. Apropos Meerschweinchen, jeder Hundebesitzer hat wohl diese eine Geschichte über seinen Hund, die er lieber nicht erzählen will.
Manchmal betrifft es eben das Meerschweinchen des Nachbarkindes, hin und wieder auch das Nachbarkind selbst,
manchmal die gefüllten Windbeutel auf der Geburtstagsfeier
oder den neuen Teppich von Oma. Aber mit Kindern ist das
eben nicht anders. Teppiche, andere Kinder, Windbeutel und
Meerschweinchen sollten sich ebenso vor Kindern in Acht
nehmen wie vor Hunden. Und wenn dein Hund wieder ein
Kleinkind auf dem Spielplatz umschubst, ein Mauseloch
ausgräbt, fremden Menschen im Schritt schnüffelt, dann bedenke: Du kannst immer noch behaupten, es wäre nicht dein
Hund mit den vier Beinen und dem einen Arm.
Außer du siehst deinem Hund schon so ähnlich,
dass du es nicht mehr bestreiten kannst. Seit meiner Kindheit läuft jeden Morgen an unserem Küchenfenster eine
Frau mit ihren beiden Hunden vorbei: zwei weiße Königspudel. Die Dame hat weißes Haar, hochtoupiert, sie trägt
einen weißen Mantel im Winter und Herbst, eine weiße
Steppjacke im Frühling und Sommer. Mit der Zeit ist ihr
Haar dünner geworden und ihr Schritt langsamer. Letzte
Woche hatte sie nur noch einen Königspudel dabei.
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Zeig mir deinen Hund und ich sag dir, wer du bist
Rachel Bleiber
Wenn Herrchen und Frauchen zu Tränen gerührt
oder geführt, loben, schreien, dann erscheinen mir die Hundeplätze dieser Welt als psychologische Anstalten. Ein Aufmerksamkeitssyndrom kommt selten allein. Der hibbelige Terrier, der der doppelt so großen Dogge unaufhörlich am Maul
rumschleckt, unterscheidet sich nicht wesentlich von seinem
hysterischen Frauchen.
Seine Familie kann man sich nicht aussuchen. Seine
Freunde und Haustiere schon, umso erstaunlicher, wen oder
was sich manch einer aussucht. Wenn der Kanarienvogel als
Begleiter das Symbol für Einsamkeit ist und die Katze für leidiges Ledigsein im hohen Alter, dann ist der Hund das Symbol
für Familie. Oder hat schon mal einer etwas von einem Trennungsgoldfisch gehört? Damit es nicht so weit kommt, schafft
man sich einen Hund an. Und wenn sich die kleine Tochter ein
Brüderchen wünscht, dann bekommt sie einen Welpen.
Schön ist auch immer wieder die Enttäuschung
der Hundebesitzer, wenn Fifi und Fufi so treu sind wie muskelbepackte Gouverneure, eierfixierte Titanen, Tennisstars,
Golfstars, Fußballer... Im einen Moment scheinen sie noch
mit großen Augen zu sagen »Ich liebe dich, aufrichtig und
so« und im nächsten sitzen sie in einem fremden Auto neben
einem fremden Menschen mit einem fremden Leberwurstbrot
im Maul.
»Wo ist eigentlich Roland?«
»Der knackt im Plastiktunnel.«
So, jetzt nur noch die Übertreibungen und die zynischen Passagen raus streichen und die Bierflaschen
wegräumen.
Vaterland
Maik feuert mich an. »Schluck, schluck, schluck!« und
ich schluck, schluck, schluck bis sich nichts als weißer
Schaum dickflüssig durch den Flaschenhals schiebt. Ich
lasse ihn auf den Boden tropfen, auch wenn das eigentlich nicht erlaubt ist in der S-Bahn, die Leute gucken
auch schon ganz komisch. Aber Maik hat gesagt, dass
nur Kapitalisten ein Bier ganz auftrinken, weil die so
gierig sind und das bin ich natürlich nicht. Ich stecke
die Flasche in meinen Rucksack. »Du darfst keine Angst
haben, das sehen die gleich in deinen Augen, das nutzen die aus, die Schweine!«, hat Maik mir gesagt und
so haben wir abgemacht, dass jeder von uns einen Sixer
Bier mitbringt. Maik ist schon oft auf Demos gewesen,
»den Nazis zeigen, wo der Hammer hängt«, sagt er immer. »Nächster Halt: Hannover Hauptbahnhof«, ertönt
die blecherne Stimme aus den Lautsprechern und zum
ersten Mal habe ich keine Angst, dass Maik mein Herz
schlagen hören könnte.
»Die Alten da neben uns, das waren bestimmt
auch so Scheiß-Faschos, Altnazis, so sahen die aus, als
würden die ´ne Kaffeefahrt machen. ´Ne Kaffeefahrt zur
Nazi-Demo, stell dir das mal vor! Völlig abgefuckt, alles hier in Deutschland!«, sagt Maik, während wir die
Bahnhofsstraße entlang gehen und ich stimme ihm zu.
Der kennt sich echt aus mit solchen Dingen. Im Gegensatz zu den Idioten aus meiner Klasse kann ich mit Maik
auch über Politik und so was reden. Naja, auf jeden Fall
erklärt er mir das alles ziemlich genau.
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Vaterland
Rachel Bleiber
Auch in der Facebook-Gruppe, als wir uns
kennengelernt haben, da hatte Maik immer für alles eine
Erklärung. Als ich geschrieben habe, dass meine Eltern
mir wieder Hausarrest gegeben haben, wegen nichts, da
antwortete er, dass die Erwachsenen uns ja nur klein halten wollen. Dass die nicht wollen, dass wir ´ne eigene
Meinung haben und wir das nicht mit uns machen lassen
sollen. »Macht kaputt, was euch kaputt macht!«, hat er
gesagt. Wir haben uns dann echt viel unterhalten, auch
über seinen Vater, der unterdrückt ihn immer und beschneidet ihn in seiner persönlichen Freiheit, sagt Maik.
So ein Arschloch, der Vater. Und dann hat Maik mich zu
dieser Facebook-Veranstaltung eingeladen, diese Demo
eben und ich hab natürlich zugesagt, denn ich konnte es
kaum abwarten, ihn mal richtig kennenzulernen. Seit der
Einladung gab es dann fast kein anderes Thema mehr.
Maik hat mir gesagt, was ich anziehen soll, nämlich alles in schwarz, und was ich mitbringen soll zur Demo
und wir haben über das Bier gesprochen und wo wir uns
treffen wollen. Ich hatte ja die Idee, dass er mich Zuhause abholen könnte, aber das fand er nicht so gut. Maik
glaubt nämlich, dass sein Vater ihm hinterher spioniert
und er will mich da auf keinen Fall mit reinziehen, sagt
er. Also haben wir uns an der S-Bahnstation getroffen,
ich hab ihn gleich erkannt, hab ja das Foto auf seiner
Seite gesehen. Zur Begrüßung hat er mich umarmt, das
war echt verrückt, ich meine, wir kannten uns ja kaum,
aber trotzdem hat sich das nicht komisch angefühlt.
Wir verlassen den Bahnhof Richtung Innenstadt, der Ernst-August-Platz ist zum Glück hell erleuchtet, aber dann biegen wir rechts auf die Luisenstraße ab
und das gefällt mir gar nicht. Viel lieber wäre ich die Bahnhofsstraße entlang gegangen, dort, wo es viele Schaufenster gibt und viel Licht. Aber das ist verseuchtes Gebiet,
sagt Maik, alles voller Shopping-Zombies. »Wir sind bald
da, zieh‘ schon mal den Schal hoch« und ich ziehe den
Schal hoch über meinen Mund und meine Nase. Ich frage
mich, wie ich so überhaupt Luft bekommen soll, da zieht
sich Maik eine schwarze Mütze auf. »Wo ist deine?«, er
sieht mich fragend an, aber ich schüttle nur den Kopf. Er
seufzt. »Wie gut, dass ich an alles denke.« Das war mir
jetzt schon etwas unangenehm, schließlich hatte er mir
ja gesagt, dass ich die Mütze nicht vergessen darf, wegen
der Bullen, die dürfen mich nicht erkennen, sonst gäb’s
Ärger. Aber zu Hause habe ich nur eine, auf der YOLO
steht und die kann ich ja nicht zur Demo anziehen.
»Die steht dir wirklich gut«, sagt Maik, während er mir die Mütze über den Kopf zieht. Mir wird
plötzlich ganz warm im Gesicht. Hoffentlich merkt er
das nicht. Und dann sehe ich auch schon die ersten Polizisten, so viele, auf Pferden oder zu Fuß, aber einen
Knüppel haben sie alle und Helme und eine Schutzausrüstung. Die sehen wirklich aus wie im Fernsehen, nur
dass sie jetzt echt sind und irgendwie unheimlich. Wir
umkreisen ein altes Gebäude, es sieht fast so aus wie das
Museum, in dem ich mal mit meinem Opa war, da konnte man alles ausprobieren, das war gar nicht so langweilig wie sonst im Museum. Aber hier stehen überall Zäune und Polizisten und mein Herz, das schlägt jetzt noch
viel schneller als vorhin.
»BRD, Bullenstaat, wir haben dich zum Kotzen
satt!« Ein Lächeln huscht über Maiks Gesicht. »Das sind
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meine Leute!« Ich frage mich, wer jetzt genau seine Leute sind. Hier sind ja viele und ich kann mich nicht daran
erinnern, dass wir uns noch mit wem anders verabredet
hätten, aber da beginnt Maik dann mitzugrölen und ich
muss mich echt konzentrieren, um überhaupt irgendwas
zu verstehen. Neben mir singt eine Gruppe von jungen
Leuten, aber das Lied kenne ich nicht. Maik stößt mich
an. »Los, mach doch mit! Ist doch nicht schwer« und ich
versuche mich wieder auf den Sprechchor zu konzentrieren. »Alerta! Alerta! Antifaschista!«, das kann ich wenigstens mitsingen, auch wenn ich kein Spanisch kann
und bei »Stein für Stein! – macht sie platt!« wird es noch
einfacher. Das ist einprägsam, das ist deutsch und beim
Rest bewege ich einfach nur meine Lippen und ab und
zu hebe ich meine Faust, wenn es die anderen auch tun.
»Schießt den Nazis in die Hoden – deutsches Blut auf
deutschem Boden!« Ich verkneife mir ein Kichern und
frage mich, ob es auch Sprüche für Nazi-Frauen gibt.
Einmal hat mir die Jana im Sportunterricht aus Versehen
auf die Brüste gehauen, Mann, das tat weh. Ich suche
die Masse gegenüber nach Frauen mit Glatzen ab, aber
nein, das ist ja Quatsch, sicher haben die keine Glatzen.
Aber wie soll ich die dann hier erkennen?
»Es geht los! Komm, wir wollen das Nazi-Pack
doch abfangen!« und langsam bewegt sich die Masse die
Straße hinunter. Ich fühle mich jetzt schon sicherer, ich
kann schon fast alle Texte mitsingen und Maik ist sicher
stolz, weil ich so schnell lerne. Ich meine, ich verstehe
ja nicht immer alles, was die sagen, aber das hat schon
eine enorme Wucht, wenn alle so zusammen singen. Ich
höre dann auch jemanden sagen, dass auf dem Platz
der Weltanschauung wohl gleich einige Weltanschauungen aufeinander treffen werden, aber so richtig verstehe ich das nicht. »Wir sind die Mauer, das Volk muss
weg!« Ich folge Maik in die Mitte des Gedränges. Von
außen sind wir eingeschlossen von zwei mal zwei Reihen
vermummter Polizisten. »Deutsche Polizisten schützen
die Faschisten!« Maiks Lippen bewegen sich jetzt auf
und ab. Ich kann gar nicht mehr richtig denken. »Was
hast du gesagt?«, schreie ich ihm ins Ohr. »Argument,
Argument, bis der ganze Laden brennt!« Maik sagt mir,
dass es jetzt erst richtig los geht und ich will ihn fragen,
was das denn heißen soll, aber hier kann man sich ja eh
nicht unterhalten. »Ob Süd, ob Nord – Nazis töten ist
kein Mord!« Ich sehe Flaschen durch die Luft fliegen und
es raucht jetzt auch ziemlich, das zieht hier rüber, über
die Polizisten-Mauer. »Wir sind friedlich, was seid ihr?«
Ich wünschte, Maik wäre jetzt ein Polizist und würde
mit seiner Schutzausrüstung neben mir stehen und mich
mitnehmen, mich hier rausholen. »Deutschland ist scheiße, ihr seid die Beweise!« Die Frau neben mir mit den
Piercings im Gesicht schiebt jetzt ganz schön, die schiebt
mich von Maik weg, aber ich schiebe zurück. Jetzt drängt
auch noch die ganze Masse nach außen, ich weiß gar
nicht wohin, ich werde mitgezerrt. »Jetzt ist Schluss mit
tralala – Bock auf Boxen, Antifa!« Ich sehe Maik nicht
mehr. »Pfeffer!« Ich verstehe das nicht, was ist denn mit
dem Pfeffer? »Pfeffer!« Dann links von mir eine junge
Frau, die wird mitgeschleppt von ihrem Freund, die
kann irgendwie nicht mehr richtig gehen. »Haut ab!
Haut ab! Haut ab!« Wo ist Maik denn nur? »Nie, nie, nie
wieder Deutschland!« Und dann sehe ich ihn. Sein Kopf
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Max Schäffer
umgriffen von einer schwarzen Hand, ein Polizist drückt
ihn runter, dreht ihm seine Arme auf den Rücken, die
wollen ihm doch alle Knochen brechen, die wollen ihn
unten sehen. Aber Maik geht nicht zu Boden, Maik nicht.
Er strampelt und wehrt sich, brüllt irgendwas, schafft es
eine Hand loszubekommen, schlägt dem Polizisten gegen das Reverse, sodass es aufspringt und irgendwie…
Nur für einen kurzen Moment denke ich, dass die beiden
sich ähnlich sehen. »Wenn die Bullen mich kriegen, dann
musst du weglaufen! Ist okay, wirklich, da musst du dann
nur an dich denken«, hat Maik gesagt.
Selig sind die
Sanftmütigen
Ich gehe die Bahnhofsstraße entlang. Rechts von mir
spielt ein Straßenmusiker auf seinem Saxofon. Ich kenne
das Lied nicht, irgendwas Klassisches bestimmt, aber es
klingt schön. Ich bleibe eine Weile stehen und setze mich
auf die Bordsteinkante. Es hat geregnet heute Nachmittag, ich merke, wie die Feuchtigkeit langsam durch
meine Hose sickert, aber ich stehe nicht auf. »Alles okay
bei dir?« Ich zögere etwas, nicke dem Straßenmusiker
dann zu, sogar ein Lächeln zwinge ich auf meine Lippen. Hinter mir noch immer die Parolen, dahinter das
Surren von fahrenden Autos, das Saxofon, Schritte. Ein
Polizeiwagen fährt an mir vorbei und ich versuche durch
die Scheiben ins Auto zu sehen, aber da ist nur mein verzerrtes Spiegelbild. »Schönen Abend noch!« Ich stelle
dem Saxofon-Spieler mein letztes Bier hin und mache
mich auf den Heimweg.
Der Himmel war ein bläuliches Grau, das sich nirgendwo besonders absetzte und in seiner Deckkraft an jeder
Stelle gleich zu sein schien, als hätte jemand vergessen,
den Hintergrund einzufügen. Die Position der aufgehenden Sonne war so nicht zu bestimmen. Trotzdem
wurde es kontinuierlich heller.
Heute war er früher gekommen als beim letzten Mal. Und ohne Edith. Sie waren noch bei der Laudes, als er ankam, deshalb setzte er sich leise in eine der
leeren Bankreihen und hörte zu. Das monotone Gebet
der Nonnen wurde durch den Wandlautsprecher an der
Steinsäule elektronisch verstärkt. Die Schwestern sangen unisono, sodass sich ihre dünnen Stimmen zu einem
sirrenden Oberton verdichteten, der ihre Worte überlagerte. Das helle Summen schwebte wie Nebel in der
Halle aus nacktem Stein, gelegentlich unterbrochen vom
Schnäuzen einer älteren Schwester, die sich die rot angelaufene Nase putzte. Nach der Messe waren die Schwestern im Gänsemarsch hinter den Säulen des Querschiffs verschwunden, die Köpfe konzentriert zum Boden geneigt. Als sie
ihn wenig später draußen vor dem Portal abholte, wich
sie seinem Blick schnell aus, wenn sie sich in die Augen
sahen. Schweigend waren sie zur Holzbank gelaufen und
hatten auf das Wasser gestarrt. Er konnte nicht sagen,
wie viele Minuten schon verstrichen waren.
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Max Schäffer
»Ist schon was anderes, so früh am Morgen.«
Seine Stimme klang heiser, es war der erste gesprochene
Satz des Tages. Der Steg am anderen Ufer ließ ihn an
einen alten Witz denken. Spaziert ein Pfarrer den See
entlang und erwischt drei nackte Nonnen beim Baden.
»Geht ihr manchmal auch schwimmen?«, fragte er und
sah sie an. Sie kicherte kurz auf. »Für solche Dinge haben wir nur wenig Zeit. Aber wenn der See im Sommer so schön funkelt, dann…«, sie hielt kurz inne und
sprach die übrigen Worte langsamer, wie ein Kind, dem
es zum ersten Mal gelingt, ein Gedicht fehlerfrei aufzusagen, »…reicht auch der Anblick, um das Herz mit
Freude zu erfüllen und der Herrlichkeit Gottes gewahr
zu werden.« Sie lächelte immer so lange, wie sie erzählte,
danach wirkte ihr Blick verunsichert und suchend. Ihre
Finger klammerten sich fest ineinander. Er zündete sich
eine Zigarette an und sah wieder auf den See.
Er hatte sie beim Singen genau beobachtet, sie
hatte neben der Nonne mit dem leichten Buckel gestanden. Er konnte nicht klar ausmachen, ob sie wirklich
mitmachte oder nur die Lippenbewegungen imitierte.
Trotzdem musste er sich widerwillig eingestehen, dass
sie sich gut in das Bild einfügte. Wenn er seine Augen
unscharf stellte, konnte er seine Mutter nur noch am
weißen Schleier erkennen, der sie inmitten der schwarzen Kutten als Novizin auswies. Vor einem halben Jahr
hatte sie noch lächerlich in dieser Verkleidung gewirkt.
Edith war es noch unangenehmer gewesen als ihm, sie
war schon nach zehn Minuten wieder nach draußen gegangen. Diesmal war es anders. Er suchte nach einem
Wort, das ihren Gesichtsausdruck am besten beschrieb,
und entschied sich für »selig«. Ein »seliges« Lächeln.
Mitten im See stand eine Trauerweide, deren
Stämme wie Arme aussahen, die ein Ungeheuer zum
Angriff hebt. Er stellte sich vor, wie sie im Gegenlicht
der aufgehenden Sonne aussehen musste. Das letzte Mal
hatte es geregnet. Der See war ein Nagelbrett gewesen,
das peitschende Wasser hatte dem Baum alle Kontur genommen. Jetzt stand es still.
»Wir sind fusioniert, bei uns in der Firma.
Mit einem Unternehmen aus Seoul.« Sie hörte ihm aufmerksam lächelnd zu, erwiderte aber nichts. »Das ist
in Südkorea. Einer von uns sollte vor Ort sein.« Seinen
Blick ließ er mit Absicht auf den See gerichtet, doch
aus den Augenwinkeln konnte er ihr regloses Gesicht
erkennen. Er zog an seiner Zigarette, die schon bis zum
Filter heruntergebrannt war. »Jedenfalls hab ich mich
gemeldet. Für drei Jahre. Am Freitag geht der Flieger«,
sagte er und drückte die Zigarette an der Bank aus. Im
selben Moment kam ihm das aufgesetzt vor. Sie lächelte immer noch, genau wie vorhin, genau wie die ganze Zeit schon. »Ich werde dann erst einmal eine Weile
nicht mehr zu Besuch kommen«, sagte er und es fühlte
sich an, als würde er einen Witz erklären. Er sah weder
Überraschung noch Trauer in ihrem seligen Lächeln,
stattdessen schien sie auf etwas hinter ihm zu starren
und beinahe hätte er sich umgedreht. Doch dann fiel
ihm ein, dass sie bei seinem letzten Besuch auch schon
so gewesen war. Er wusste selbst nicht, welche Reaktion
er sich gewünscht hatte. Ihre Hände waren immer noch
ineinander vertäut. Die dünne Haut spannte sich über
ihre Knöchel wie Papier.
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Max Schäffer
»Wie schön«, brachte sie endlich heraus, wieder
in diesem naiven Ton. »So eine Reise bringt viel Gutes.«
Sie sah in den Himmel. Sie suchte wohl nach einem passenden Bibelzitat, während ihr Lächeln an beiden Enden
ihre rosigen Wangen verdickte. Eine Farbe, wie er sie in
ihrem Gesicht sonst nur in Verbindung mit einer Flasche
Gin und dem alten Badmintonschläger kannte. Sie hatte
ihn damit gejagt, durchs ganze Haus, Edith war damals
noch zu klein.
Komm her, ich hab gesagt, du sollst herkommen.
Es war wie Räuber und Gendarm, würde sie ihr danach
erklären. Komm her, du kleiner Mistsack, dir werd ich‘s
schon zeigen. Aber eigentlich war es nicht lustig und tat
richtig weh. Stell dich nicht so an. Wenn du wüsstest, wie
das damals bei uns war.
Die Flecken gingen manchmal erst nach einer Woche weg. Als seine Schwester und er dann groß
genug waren, um den Badmintonschläger in der Luft
abzufangen, musste ihr das wie eine Niederlage vorgekommen sein. Sie hatte das Spiel verloren. Die Besuche
beim Arbeitsamt, die stundenlangen Gespräche und
dieser vertraute, süßliche Gestank, der ihr Zimmer erfüllte, wenn sie zu Besuch kamen. Sie hatte begonnen,
sich in der Opferrolle wohl zu fühlen. Ich krieg das nicht
hin, hatte sie immer wieder geweint, manchmal lallend,
ständig um Verzeihung bittend, bis sie in ihren Armen
zusammenbrach. Er begann, sie dafür zu hassen, dass
es ihr immer wieder leidtat. Aber je mehr er sie hasste,
desto öfter kam er zu ihr. Und er konnte ihr das nicht
sagen, denn dann hätte sie wieder geweint und sich ihm
in die Arme geworfen und ihn um Verzeihung gebeten
und er hätte sie noch mehr hassen müssen.
Noch immer sah sie in das Grau über ihren
Köpfen. Zum Nachdenken hatte sie ihre Zungenspitze
wenige Millimeter aus dem Mund gestreckt. »Wenn der
Fluss kein Bett hat, fließt er nicht mehr, sondern wird
zum Sumpf«, sprach sie Wort für Wort behutsam aus
und strahlte ihn an. Nicht einmal das fiebrige Glänzen
von früher war noch in ihren Augen, stattdessen eine
Leere, die alles verschluckte. Er musste den Blick abwenden. Eine Mischung aus Ekel und Wut stieg in ihm
auf, als er diese Leere in sich selbst größer werden spürte. Wie eine undurchdringliche Schicht spiegelte sich das
Grau des Himmels auf der Oberfläche des Sees.
»Aber was, wenn da einer ertrinkt«, murmelte
er leise vor sich hin. Sie hörte ihn erst, als er den Satz
wiederholte, diesmal lauter. »Was, wenn da einer ertrinkt? Dürft ihr dann schwimmen?« Ihr Lächeln war
schwächer geworden, dafür zuckten jetzt ihre Mundwinkel, ihre Augen suchten wieder unruhig nach Halt.
»Könnt ihr denn überhaupt schwimmen? Also wenigstens eine von euch. Ich meine, ihr wohnt immerhin an
einem riesigen See. Auch wenn ihr da selbst nie reinsteigt. Angenommen, ihr seid gerade am Blumengießen
oder Liederauswendiglernen und dann genießt ihr den
Anblick und werdet der Herrlichkeit Gottes gewahr und
plötzlich seht ihr ein paar wild fuchtelnde Hände und
ein Gesicht, das nach Hilfe ruft – wer von euch reißt sich
dann die Kutte runter und springt rein?«
Sie hatte den Blick gesenkt, starr sah sie auf das
matte Wasser. Seine Finger hatten sich in der vordersten Planke der Bank festgekrallt. Als er sich dazu zwang,
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Max Schäffer
sie zu lösen, fielen ihm die kleinen Kerben auf, die seine
Nägel ins Holz gebohrt hatten. Dann verschmolzen die
Spuren mit der Maserung.
Es war Edith gewesen, die sie in der Entzugsklinik besucht hatte. »Sie trinkt nicht mehr«, hatte sie
nur gesagt, aber das Beben in ihrer Stimme konnte sie
nicht unterdrücken. Ihre glasigen Augen wanderten unruhig im Raum umher, sie zündete sich eine Zigarette
an und zog doppelt so lang wie sonst. Ihr dünner Arm
zitterte wie eine Fahnenstange im Wind, als sie sich am
Tisch abstützte. Ein paar Minuten wehrte sie sich gegen
seine Umarmung, bis die Tränen kamen. Seitdem kannte er den Unterschied zwischen Niederlage und Verlust.
Ein paar Vögel hatten schon die ganze Zeit gezwitschert,
jetzt stimmten immer mehr in den Gesang ein, der wie
eine Ouvertüre vor dem Vorhang des matten Himmels
zu hören war. Die Sonne war immer noch nicht zu sehen. Doch er konzentrierte sich auf die Richtung, in
der sie aufgehen musste, bis er tatsächlich einen gelblichen Schimmer zu erkennen glaubte. »Du hast schön
gesungen vorhin«, sagte er, den Blick auf das graue Gelb
gerichtet. »Obwohl ich eigentlich kein Wort verstanden
habe. Nur einen einzigen hohen Oberton. Aber es war
bestimmt schön.« Er war sich fast schon sicher, Licht zu
sehen. »Und ihr singt ja nicht für mich.« Sie lächelte.
Sein Gesicht streifte den weißen Saum ihres
Schleiers, als er sie zum Abschied küsste. Er hatte mit
einem weiteren Zitat gerechnet, doch sie wünschte ihm
nur alles Gute und bat ihn, zu schreiben. Auf dem Rückweg kam er am Turm vorbei. Er war ungefähr sechs
Meter hoch und stand mitten auf dem Klostergelände.
Beim ersten Mal hatte er die Fenster gesehen und gedacht, es würde sich um einen Speicher handeln, doch
als er nachsah, waren da bloß ein paar Fahrräder und
kein Weg nach oben. Er hatte zumindest eine Leiter erwartet, stattdessen fand er nur Spinnweben im Gebälk,
durchsetzt von Fliegenkadavern. Drei Treppenstufen,
die ins Leere liefen, eine von Sträuchern bewachsene
Kuhle, die ohne erkennbare Funktion in den Boden gehauen war. »FREIES KLOSTER NOVO EXCITATIO«
auf einem hellblau bemalten Holzschild, das Bild einer
Blumen gießenden Nonne neben dem Schriftzug.
Ein mechanisches Brummen drang von weitem an sein Ohr und wurde immer lauter. Am anderen
Ende des Geländes zwängte sich ein orangefarbener
Laster vorsichtig durch die enge Einfahrt. Es war die
Müllabfuhr.
Seine Schwester klang müde, als sie telefonierten, vielleicht war ihre Stimme auch nur durch den
Lautsprecher verzerrt. Die Morgenluft pfiff kalt durch
den kleinen Schlitz im Fenster, dem er den Rauch entgegen blies. »Wie ist es gelaufen?«, fragte sie. Die Sonne war aufgegangen, als er den Wagen ausgeparkt hatte.
Er hätte den See und die Weide gern im Licht gesehen,
doch eine Steinmauer trennte seinen Blick vom Gelände.
Jetzt schien ihm die Sonne mitten ins Gesicht. Die Hand
mit der Zigarette am Lenkrad, klappte er mit der anderen die Blende herunter. »Wir werden sie nicht mehr
besuchen müssen.«
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Imke Bachmann
Wie eine Umarmung
Das Quietschen und Rumpeln draußen hört abrupt auf.
Die Pflastersteine schweigen. Das Fahrzeug, es muss ein
großes sein, ist stehen geblieben.
Warm unter der Bettdecke. Arti mit dem Rücken zu mir. Die hellblaue Decke ist verrutscht. Seine
nackte Rückseite. Meine Finger streicheln die Schulterblätter. Meine Fingerspitzen drücken in die Haut, keine
dicke Schicht, gleich darunter der massive Knochen. Das
Blatt ist so groß wie meine Hand. Ich lege meinen Zeigefinger an die untere Kante, fast kann ich ihn darunter
schieben. Mit der Fingerspitze meines Mittelfingers ziehe ich jede Wirbelwelle vom Hals abwärts bis hinunter
zum Steißbein nach.
Das Fahrzeug rangiert unter dem Fenster. Arti
dreht sich auf den Rücken. Ich schiebe mich zur Bettkante, stehe auf und schlinge die Bettdecke fest um meinen nackten Körper. Vom Fenster aus kann ich gerade
noch erkennen, wie ein weißer hoher Anhänger von einem dunkelblauen Mercedes in das Einfahrtstor direkt
unter uns geschoben wird. Das Auto bleibt stehen. Es
schaut nur noch ein kleiner Teil der Motorhaube hervor.
Das Brummen des Motors klingt ab. Die Morgendämmerung ist fast vorbei.
»Heute werden bei uns Rinder geschlachtet.«
Ich höre wie Arti aufsteht. Ein paar Schritte und zwei
kräftige Arme umschlingen mich von hinten. »Mein
Vater macht das. Mit zwei Kollegen. Hinten im Hof.«
Ich drücke seine Arme noch fester um meinen Körper
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Wie eine Umarmung
Imke Bachmann
und atme seinen Geruch ein, wie an jenem Abend.
Ich war mit meiner Freundin auf einem Dorffest. Schlechte Musik, spärliches Licht, billiges Bier. Gut
genug, dass irgendwann Menschen auf der Tanzfläche
zappelten, mein Körper unabhängig von meinen Gedanken in der Masse pulsierte und auf Arti traf. Er roch
eigenartig süß, beißend. Mein Magen rumorte, mein
Kopf wurde schwerer und fiel auf seine Brust. Meine
Nase sog sein intensives Aroma ein, mit jedem Atemzug
wurde ich schwächer und Artis Griff stärker. Alles war
weiß und ich nur noch unbelebte Masse. Das ist jetzt
eine Woche her.
»Darf ich zusehen?« Ich sehe direkt in Artis
dunkelbraune Augen. »Wir können’s vom Badezimmerfenster sehen. Im Hof stehen die Rinder in der Falle und
werden mit der Bolze betäubt.« Ich nicke. »Weißt du,
was das bedeutet?« Ich schüttle den Kopf. Nackt geht
Arti zur Zimmertür hinaus. Ich folge ihm über den Flur
ins Bad. Er lässt mich zum Fenster vortreten, nimmt
mir die Decke ab und schwingt sie um uns beide. Von
dem Luftzug bildet sich Gänsehaut auf meinem Körper.
Arti schmiegt sich eng an mich. Ich spüre sein schlaffes
Glied an meinem Steißbein. Wir schauen hinunter. Ein
Metallgerüst, darin ein Rind. »Das nennt man Falle.«
Vorne schaut der gehörnte Kopf heraus. Drei Männer
sind im Hof. »Der ohne die weiße Gummischürze, das
ist mein Vater. Er gibt den Viechern eigentlich nur den
Schuss.« Arti öffnet das Fenster, kippt es an. Und jetzt
kann ich ihn riechen. Diesen süßen, beißenden Geruch.
Arti. Er dringt von draußen zu uns ins Zimmer. Meine
Beine geben nach. »Alles okay?« Ich nicke. Sein Vater
nimmt sich einen Bolzen, die zwei anderen Männer fixieren mit einem Seil das Rind in der Falle. Es wird unruhig. Der Vater steht jetzt mit dem Bolzen direkt vor
dem Tier, hebt die Arme. Der Bulle brüllt und schmeißt
seinen Kopf umher. »Papa wartet jetzt auf den richtigen
Moment.« Die zwei Männer ziehen fester am Strick. Das
Tier wendet seinen Kopf Richtung Bolzen. Das Gerät
wird angesetzt und entladen. Das Rind jault auf. Artis Vater lädt die Pistole nach, selbe Stelle, ein zweiter,
ein dritter Schuss und endlich hängt der Kopf schlaff.
Im Einschussloch wird ein Haken mit Metallseil eingehängt, dann lassen die beiden beschürzten Männer den
Strick los, die Falle öffnet sich und das Rind fällt auf
den Hof. Es zuckt, tritt mit den Beinen. »Das sind nur
noch Nervenreaktionen.« Ein Metalltor wird geöffnet.
Ich kann in eine weiß geflieste Halle sehen, in der Mitte
eine Abfluss­rinne. Von der Decke hängt eine elektrische
Säge. Links und rechts Metallschränke, darauf Messer,
Bügelsägen, ein Waschbecken. An einer Kettenschnur
wird das betäubte Rind an der Stirn in die Halle gezogen. Die Vorderbeine schlagen gegen den Rahmen des
Tores. »Der bekommt gleich einen Kehlschnitt und dann
blutet der aus. Dann ziehen sie ihm die Haut ab. Kopf
ab, Mägen raus, Füße ab, und dann wird’s geviertelt.«
Einer der Männer mit Schürze beugt sich mit einem
Messer über den Kopf des Tieres. Artis Vater schließt
das Tor. Der dritte bleibt im Hof. Er schiebt ein neues
Rind in die Falle. Das Tier brüllt und windet sich, aber
er drückt es mit der Metallwand immer weiter vor. »In
der Falle können sich die Viecher beruhigen. Das entspannt sie irgendwie. Wie eine Umarmung.«
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Wie eine Umarmung
Gesche Herkert
»Mir ist schwindelig.« Arti dreht mich zu sich
um. Die Decke umhüllt uns. Seine Lippen berühren
sanft meine Stirn. Er küsst mich dreimal auf dieselbe
Stelle »Komm, wir gehen wieder ins Bett.« Arti überlässt
mir die Decke. Mit der einen Hand halte ich sie fest, an
der anderen zieht er mich hinter sich her ins Schlafzimmer. Dort hebt er mich aufs Bett. Schließt die Tür.
Life as it should be
Wenn man nur hindurchfährt, nicht so genau hinguckt,
eigentlich nur verträumt aus dem Fenster schaut, sieht
es dort schön aus. Ordentlich, hell, etwas verschlafen.
Eine Plansiedlung, genau durchdacht, mit dem Lineal
getrimmt, vorausschauend auf zukünftige Bewohner
angepasst. Neben dem Schild, das Besucher willkommen
heißt, kann man auf einer übersichtlichen Tafel sehen,
wo welches Haus steht und wie viel Raum es einnimmt.
Auch ein Park ist eingezeichnet, aber in der realen Nachbildung nicht zu finden. Ein roter Punkt gibt an: Sie sind
hier. Aber wo sind die anderen? Kein Mensch ist auf der
Straße zu sehen. Der Wind tobt über den Bürgersteig
und lässt Äste rascheln. Die glattgebügelten Wege lenken durch die Siedlung, eine Dauerschleife von gleichgemachten Häusern, cremeweiß gestrichen mit braunen
Fensterbänken. Nur die Türen sind bunt, vielleicht,
damit man sie unterscheiden kann. Abzweigung nach
links. Eine zweite Reihe aus grauen Backsteinen, Großfamiliengröße, vor keinem der Fenster Vorhänge, man
kann vorne durch ein Fenster hineinschauen und durch
ein anderes weiter hinten wieder hinaus.
Aber – in einem der Häuser brennt Licht. Auf der Wäscheleine im Garten flackert ein Blumentischtuch im
Wind, Hosen und Shirts plustern sich auf. Connor läuft
auf die Veranda, wirft einen Blick Richtung Himmel und
ruft hinein: Es sieht wirklich nach Regen aus, wollen wir
nicht…? Und dann hängen er und Sophie gemeinsam die
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Life as it should be
Gesche Herkert
noch halbnasse Wäsche ab und breiten sie über den Möbeln und dem Treppengeländer aus. Der Wäscheständer
ist zwischen den Kartons verschwunden, irgendwann ist
ihnen die Lust am Auspacken vergangen. Weiter hinten
im Garten baut der zehnjährige Michael Sandschlösser,
die im Regen aufweichen und ihre Form verlieren. Die
Mutter ruft ihn herein und er sieht vom Küchenfenster
aus, wie die Bauten langsam in sich zusammensacken.
Vor dem Essen Hände waschen, wird er ermahnt.
»Life as it should be« stand im Katalog, aus denen ihr
Traumhaus glänzte. Wie ruhig es hier ist, hatte Sophie
erstaunt gesagt, als sie mit der Maklerin im Haus umhergingen und »Was wäre wenn« spielten. Stolz hatte
die Maklerin genickt, eine wirklich fabelhafte Gegend,
genau richtig um Kinder groß zu ziehen. Und wenn erst
die Geschäfte kommen, Cafés, Fitness Center, was da
alles geplant ist! Man müsste die Stadt nie wieder verlassen. Was es hier nicht gibt, das finden sie nirgendwo! Sie ließen sich von der Begeisterung der Maklerin
anstecken, sagten: das oder keines! Dort das Sofa, hier
die Stehlampe, die Küche vielleicht grün streichen. Sie
konnten es kaum erwarten, dieses neue Leben.
Wochen später sind die anderen Häuser noch immer unbewohnt. Sophie läuft die Straße entlang an ihnen vorbei,
in federnden, gleichmäßigen Schritten, ihr Atem kommt
stoßweise. 30 Minuten Joggen, ihr tägliches Training,
bevor sie sich an ihren Schreibtisch setzt. Sie versucht
starr nach vorn zu blicken, nicht auf die vom Regen verklumpten Telefonbücher, die in den Auffahrten liegen,
die weißen Aufkleber in den Fenstern oder die zerschlissenen Werbeaufsteller. Nur auf das Atmen konzentrieren, auf die Schritte. Die feuchte Luft legt sich ihr in den
Nacken, lässt ihr Haare krausen. Auf einer Zaunspitze
aufgespießt ist ein einsamer Handschuh zum Gruß gespreizt, den sie ebenfalls ignoriert. Am Himmel zieht ein
dunkler Vogelschwarm seine Kreise, sie hört entfernte
schrille Schreie, ist kurz abgelenkt und stolpert über einen Ast. Fluchend reibt sie sich den schmerzenden Knöchel. Als sie wieder aufblickt, registriert sie einen Schatten auf dem verschmierten Fenster in einem der Häuser
und fährt herum. Jim, der zweimal am Tag mit einem
leeren Bus hier ankommt, steht vor ihr, sein speckiges
Gesicht zu einem Grinsen verzogen, prostet ihr grüßend
mit seiner Zigarette zu. Sie lächelt zurück, versucht
sich den Schreck nicht anmerken zu lassen, bemerkt im
Plauderton, wie schön das Wetter ist. Er wünscht ihr einen guten Tag, läuft die Straße hinunter zur Haltestelle
und mit einem Brummen bewegt sich der zweistöckige
Bus außer Sichtweite. Sophie bleibt zurück und stellt
sich vor, sie wäre ebenfalls eingestiegen und würde die
hohlen Häuser vorbeiziehen sehen. Sie schaut die Straße hinunter und hinauf und hat das Gefühl, die Häuser
starren aus blinden Augen zurück. Ein hoher Ton liegt
ihr plötzlich im Ohr, ein dringendes Zischen, leise nur,
doch jagt es sie die Straße hinunter, zurück in ihr Haus,
wo sie vor sich hin lärmt, um ihm zu entkommen. Aber
es folgt ihr überallhin, mal dumpfer, mal pochend, immer da. Sie stellt sich vor, dass eine riesige Karawane von
Umzugswagen die Straße hinaufkommt, ihre Nachbarn,
die sie mit einem schüchternen Lächeln grüßen – fast
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als wollten sie sich für die kleine Verspätung entschuldigen. Man hatte sich nur verfahren. Nach dem Duschen
steckt sie ihre langen, blondierten Haare gekonnt hoch
und schminkt sich dezent. Man muss immer auf alles
vorbereitet sein, hat ihre Mutter oft gesagt. Sie schickt
Michael zum Spielen raus, damit sie ungestört an ihrer
Übersetzung arbeiten kann, ruft stattdessen ihre Kollegin an, bespricht das Projekt noch einmal mit ihr, fragt
sie, wie es den Kindern geht und ob sie schon Urlaubspläne hat. (Gut, danke. Nein, mal schauen.) Fragt und
fragt und ärgert sich, weil sie nicht zurückgefragt wird.
Fängt unaufgefordert an zu erzählen, bis die Kollegin
ihre Belanglosigkeiten unhöflich unterbricht und auflegt. Sie lässt das Radio durchs Haus dröhnen, schaltet
zwischen unruhigem Jazz und Popsongs hin und her.
Während sie den französischen Text laut vor sich hin
spricht und versucht, englische Worte zu finden, die den
gleichen warmen Klang haben, unterbricht die Musik
und eine vertraute Stimme verkündet die Nachrichten.
Schwerer Unfall auf der… Unwetterwarnungen in…
kein Vorankommen in den Verhandlungen…
Zu Beginn sind noch Freunde zu Besuch gekommen,
die beim Tee erklärten: Wirklich, es sei schön hier. Aber
doch etwas ruhig, sie selber würden vielleicht die Geschäftigkeit der Stadt vermissen. Und dann auflachten,
als hätten sie unbeherrscht etwas Dummes gesagt. Sophie verteidigte das Haus sofort. Jeden Zweifel löste
sie auf, indem sie von den Vorteilen sprach, die es mit
sich brachte, außerhalb der Stadt zu wohnen. Weniger
Schmutz, weniger Lärm, weniger... So lange sie es sich
laut sagen hörte, klang es wirklich überzeugend, vernünftig, erwachsen. Du musst Geduld haben, versucht
Connor sie ständig zu beruhigen, die anderen werden
schon noch kommen. Sophie denkt, dass es leicht für
ihn ist, das zu sagen. Schließlich verbringt er den ganzen Tag in der Stadt, zwischen den anderen. Sie schaut
sich in dem länglichen Spiegel im Esszimmer an, der den
Raum optisch vergrößert, so dass es wirkt, als stehe sie
viel weiter von ihrem Spiegelbild entfernt. Sie ist ganz
zufrieden mit dem, was sie sieht, lächelt, mit geschlossenen Lippen, dann strahlender, als hätte jemand gerade
eine amüsante Bemerkung gemacht, spöttisch mit hochgezogenen Augenbrauen. Ihr Lächeln steht ihr hervorragend. Sie hat noch einige gute Jahre vor sich, sagt sie
sich. Sie geht ein wenig im Zimmer umher, kramt in den
Kartons, stellt Bilderrahmen auf den Kaminsims, rückt
Vasen und Kerzenständer zurecht und immer wieder
schaut sie verstohlen zum Spiegel zurück.
Draußen läuft Michael in Richtung der Bauruinen, eine
Gruppe angefangener Fundamente mit angedeuteten
Wänden, manchmal noch bis zum nächsten Stockwerk
hochgezogen, rauer farbloser Stein. Ein löchriger Bauzaun grenzt das Gelände von den fertigen Häuserreihen ab, er schlüpft zwischen den Stäben hindurch. Die
Steine sind mit einer grünen, faserigen Schicht überzogen, überall liegt Bauschutt herum. Auf der Erde liegt
ein vergessener Hammer. Eine Zeit lang haut er damit
auf Holzlatten und Metallstangen herum, es knallt und
dröhnt, dann lässt er ihn wieder fallen und klettert zurück auf die fertige Seite der Stadt. Michael fordert sich
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Gesche Herkert
selbst zur Mutprobe heraus. Er steht mit einem Stein in
der rechten Hand in einem herrenlosen Schlammgarten
zwischen wilden Gräsern, die ihn im Ohr und am Hals
kitzeln. Ihm ist schwindelig vor Aufregung. Jetzt, sagt er
sich und holt aus. Noch bevor es klirrt ist er ganz starr,
erschrocken über sich selbst. Ohne sein Werk recht zu
besehen, rennt er los, er ist sicher, das Klirren ist ihm
voraus durch die ganze Stadt geschallt. Schuldbewusst
klopft er an die Haustür und die Mutter öffnet, hektisch,
ihr Auflauf muss in den Ofen geschoben werden. Doch
in ihrem Blick ist keine Wut, die allwissende Mutter, sie
weiß es nicht. Wasch dir die Hände, sagt sie und Michael
schrubbt sich die Erde von den Fingern, bis sie ganz rot
sind und jucken.
Connor kommt abends nach Hause, bringt Geschichten
mit, die er am Tisch als Beilage zum Essen serviert. Anfangs ist Sophie froh, dass er die Stille füllt. Dann ärgert sie sich über seinen unaufhaltsamen Wortfluss, hat
das Gefühl, dass er absichtlich übertreibt, sich Dinge
ausdenkt. Wie viel kann ein Mensch an einem normalen Tag erleben? Sophie beginnt, von dem Autounfall
aus den Nachrichten zu erzählen, kann sich aber nicht
mehr ganz an die Details erinnern, unkontrolliert stolpern die Worte aus ihr hinaus, brechen hervor. Connor
hat aufmerksam zugehört und berichtigt sie jetzt, nein,
es waren drei Autos, auch bei den Toten irre sie sich,
die Beifahrer seien zwar schwer verletzt, aber würden
durchkommen. Beleidigt funkelt sie ihn an und behauptet, sie sei sich ganz sicher, dass im Radio von fünf Toten gesprochen wurde. Beide über die Dickköpfigkeit
des anderen schweigend, essen sie weiter. Michael kratzt
abwesend mit der Gabel über den Teller, bei dem Geräusch verkrampft Sophies Kiefer sich und sie zieht ihn
sachte am Arm. Er hat den Streit kaum mitbekommen.
Auch Connor ist jetzt in Gedanken versunken. Die zwei
Falten über seiner Nase bilden steile Linien, er erzählt,
dass er draußen Terry getroffen habe, der für diese Sicherheitsfirma arbeitet – wie heißt sie noch? – und hier
regelmäßig zur Kontrolle die Straßen abfährt. In einem
der Häuser ist vermutlich eingebrochen worden, sagt er,
vielleicht waren es aber auch randalierende Teenager aus
der Umgebung, jedenfalls haben sie ein Fenster eingeschmissen. Vermutlich kein Grund zur Beunruhigung,
aber sie sollten ein wenig achtgeben, man wisse ja nie.
Besorgt blickt Sophie zu Michael, der weiter auf seinen Teller starrt. Dieser kleine, zarte Junge mit dem
verträumten Blick. Er sieht blass aus, seine Augen sind
ängstlich geweitet und sie ärgert sich, dass Connor das
Thema überhaupt vor ihm angeschnitten hat. Sie blickt
aus dem Fenster in die Dunkelheit, beinahe in Erwartung, dass dort eine irre Fratze auftaucht. Aber draußen
herrscht vollkommene Dunkelheit. Die Straßenlaternen sind nicht installiert, daher sieht sie nur ihre eigene
verschwommene Spiegelung. Lange nachdem Connor
die Nachttischlampe ausgeschaltet und ihre Hüfte mit
einem Arm umschlungen hat, liegt sie noch wach und
horcht angespannt auf fremde Geräusche im Haus. Etwas wird passieren, sie fühlt es. Sie versucht ihre unregelmäßigen Atemzüge unter Kontrolle zu bringen.
Einatmen, ausatmen. Der Sekundenzeiger des Weckers
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Sirka Elspaß
knackt laut. Sie denkt an den Autounfall, stellt sich eine
regennasse Straße vor, Glassplitter, die zwischen den deformierten, verkeilten Autos liegen. Schreie, Tränen und
schweißbedeckte Gesichter, Menschen die sich fassungslos umschlungen halten. Das Zischen im Kopf ist wieder
da, wird greller, sie wünscht sich, dass Michael davon
aufwacht, möchte ihm am liebsten den Ellbogen in die
Magengegend stoßen. Ihr eigener warmer Atem prallt
vom Kissen ab, zurück in ihren Mund. Sie stellt sich
vor, brutale Schreie von draußen zu hören, betrunkenes
Gelächter. Stellt sich vor, wie eine der Schattengestalten
einen Stein wirft, wie unten im Haus Möbel umgestoßen
werden, Flaschen zersplittern. Die Fremden würden
rauchen, die Glut würde auf den Alkohol treffen und ein
Feuer verursachen, das die Meute verscheucht. Dann
die Erleichterung, gemischt mit Verzweiflung, wenn sie,
Michaels zittrigen Kinderkörper im Arm und kraftlos
an Connor gelehnt, die tänzelnden Flammen beobachtet, die das Haus verschlingen. Ein prickelnder Schauer
durchläuft ihren Körper, während sie den Bericht der
Nacht für Freunde und Bekannte probt.
Über das Jockey-Sein
Radrennfahrer sind Jockeys, die strampeln. Wenn du
Jockey werden willst, musst du schrumpfen. Du musst
O-Beine kriegen. Du musst im Supermarkt übersehen
werden.
Vielleicht hast du eine Essstörung, weil du deine 54kg nicht überschreiten darfst, vielleicht hast du
ein Kokain-Problem, aber das sind selbstverständlich
Klischees. Du hast gelernt, den großen Menschen nicht
einmal auf die Brusthaare zu schauen, du schaust einfach durch sie hindurch. Irgendwo in Asien hat jemand
dein glänzendes Seiden-Trikot zusammengenäht, wenn
du Pech hast, klebt dir ein pinker Stern auf dem Rücken, aber wenn du damit viel Geld gewinnst, kann dir
das egal sein. Es ist dein verdammter Job. Du schwingst
dich auf irgendein teures Pferd, das nie gelernt hat, einfach nur zu gehen, wie jedes andere Pferd auch. Eigentlich wirst du drauf geworfen, während das Pferd nicht
still halten kann und du siehst von weitem aus wie ein
Zehnjähriger. Alle Zehnjährigen, die dir zusehen, wollen
plötzlich Jockey werden, bis sie 14 sind und längst nicht
mehr deine Maße haben.
Auf Mrs. Robinson wird eine Menge gewettet, weil das
Publikum besondere Sympathien für den Namen entwickelt. Die, die Simon and Garfunkel nie leiden konnten,
setzen lieber auf Iraklion, weil sie denken, es lohnt sich
an der griechischen Mythologie festzuhalten. Wenn das
kleine Mädchen ihren Vater fragt, ob es auch mal wetten
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Über das Jockey-Sein
Sirka Elspaß
darf, setzt der Vater natürlich auf Wirbelwind. Wirbelwind ist absolut kindgerecht, so heißen auch die Shettys
auf dem Ponyhof. Jedes Pferd hat seine Zielgruppe. Du
kannst dir das nicht aussuchen. Du bist Pferde geritten,
vor deren Namen du dich nicht retten konntest. Wenn du
reitest, sagen sie nicht deinen Namen, sondern den des
Pferdes. Es gibt Pferde, die einfach Schwarzgelb heißen.
Ein Pferd, das Nadelwald heißt, wird auch komisch angeguckt. Pferde mit Namen wie Betsy Princess, Pretty
Highness oder Sugar Love fügen sich nahtlos ein in die
Reihen von Chantals und Jeremy-Pascals dieser Welt.
Und weil Frauen nicht kräftig genug peitschen
können, wirst du auf das Pferd geworfen, du bist Mitte 40, du bist Jockey und für anderthalb Minuten bist
du Sugar Love. Du trägst ein schlecht verarbeitetes Seiden-Trikot und am besten denkst du nicht daran, wie es
wäre, wenn du jetzt runterfällst – genau an dem Punkt,
an dem du die Mitte des wütenden Mobs erreicht hast,
wenn dein Pferd sich nach vorne drängt und jemand auf
der Tribüne sein Opernglas zückt. Trampelnde, stampfende Pferdehufe rasen an der Zuschauerbande vorbei
und alle bekommen Dreck ins Gesicht und schaffen es
nicht schnell genug, den Auslöser ihrer Kameras zu drücken. Ein verwackeltes Bild von zerstörtem Gras. Du
weißt, wie die Erdbrocken hinter deinem Pferd in die
Luft fliegen, immer, wenn ein Huf brutal vom Rasen
abhebt. Hufe von Pferden, deren Muskeln sich anfühlen
wie ein Tastspiel für Blinde. Du bist Teil eines Donnerns
auf einem Volksfest für die gehobene Mittelklasse. Kein
Rennrad kann dieses Donnern leisten. Kein Rennrad ist
nach anderthalb Minuten so nah am Exitus, wie dein
Rennpferd, das gerade 10 Kilo auf 1700m verloren hat.
Radrennfahrer sind Jockeys, die strampeln. Schon dein
Großvater hat gemeint, dass das höchst albern ist.
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Elena Zay
Ready?
Babyface schlägt die Augen auf. Blassblau, helle Wimpern, die nur sichtbar sind, weil Schweiß drin hängt. Das
Haar aschblond, die Milchhaut tropft und trieft. Muskeln in der Brust, im Arm. Am Rücken wachsen Pickel.
Alles ist weiß im Hallenlicht – auch das andere knochige
Gesicht, dessen Wangen sind ausgebrochen. Der Kopf
ist beinah kahl.
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Die Blicke auf der Haut des Anderen.
Schwarze Shorts und Brust sind Uniform. Die Hände
Skarabäen in harter Schale. Des Mentors letzter Rat
zieht Bahnen durch den Kopf: Sieh in die Augen, nicht
auf Fäuste. Die eigenen groß und rund, die fremden
eng beieinander, Pupillen schwarz und weit für Licht
und Sicht.
Darin steht wie Schrift die Angst vorm ersten Mal.
Ihr Oktagon ist ausgeleuchtet, die Gitter sind aus Gummi. Auf beiden Seiten Ausstiege im Cage, der keiner ist.
Gehen geht jetzt trotzdem nicht. Ready? Ready?
Fight. Doch vor dem Kampf die Kreise. Männer, Jungen ziehen hektisch hüpfend über gelben Grund. Der
Ref schwirrt stets umher. Mit Blick auf beide Leben.
In die Augen, in die Augen. Die komm’ näher und die
Lider weit nach oben.
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Ready?
Das Herz schlägt als erstes zu.
Die draußen werfen Blicke in den Käfig, schmeißen
Schreie durch die Maschen. Das Kommando stürmt ins
Innere. Der gehört dir. Uppercut bricht durch die Deckung. Erste Rechte hart auf weißem Kinn – Blitz durch
Haut und Knochen. Adrenalin in Kopf und Körper:
Noch dann, als das Knie in die Hüfte kracht.
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Noch dann, als er in fremden Armen zu Boden geht.
Gegnerarsch auf seiner Lunge. Im Rhythmus setzen
Fäuste auf. Jap. Jap. Jap. Anzüge draußen nicken im
Takt. Baby keuchend, windend unterm Knochenkörper.
Von oben schlägt’s weiter, als Bauch und Beine spannen.
Bizeps, ein Bäumen, der Gegner rutscht vom roten Hals.
Atmen. Auf die Knie. Atmen.
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Eine Brust fällt auf die andere.
Nochmal Boden. Babyface oben. Knöchel drescht auf
Niere und Leber. Will Schmerzen in fremden Organen. Aus den Mündern pfeift es Ff. Ellenbogen. Brust.
Finger landen auf Nasenbeinen. Knacken in Knochen.
Haut platzt rot unter schwarzer Schale. Aber Ff. Ff. Ff.
Elena Zay
wie aus einer Brust. Blutbahnen verknoten. Im Körper
steht’s still. Guillotine denkt er noch. Dann vorbei, das
wissen beide.
Hände zittern auf nasser Haut.
Tap – Tap – T – nichts mehr drin im Babybody. Kein
ap. Kein Jap. Kaum Leben. Über ihnen schwebt noch
der Ref. Guckt und surrt und sieht nichts. Luft und Blut
verknappen. Schwärze rückt vors gelbe Licht.
Tief umschlungen stößt letzte Luft aus den Lungen.
Stimmen dringen ins Dunkel ein: Runde eins vorüber.
Körper fallen kraftlos auseinander und Luft hält Einzug
in die Brust. Das Blut hat wieder freie Bahn. Erschöpftes Krallen an Käfigmaschen. Dahinter regt sich der
Mentormund. Statt Worten aber rauscht Blut durch den
Kopf. Blut und die Sehnsucht nach Ruhe.
Ready? Nein. Ready? No.
Fight.
Solang sie stöhnen leben sie.
BEEF
Draußen tobt es: Mach ihn fertig. Drinnen klemmen
sich Körper ein. Schweiß verschwimmt in roten Strömen. Erster Arm um Babys Face. Zweiter rutscht unter die Achsel. Wangen drücken aneinander. Atmen
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Ich kann den Blick nicht von seiner Nase lassen. Ein
weißes Pflaster, einem Verband schon nah, klebt ihm
mittig im Gesicht. Er steht hinter einem einfachen
Schreibtisch, ein altes Faxgerät, Din-A-Zettel mit Namen, Zahlen, einen eigentümlichen Computer hat er vor
sich. Seine Haare sind graumeliert, ein feines Sakko über
einer roten Bundhose, eine Krawattenspange als dezentes Accessoire. An ihm kommt keiner vorbei.
Es ist ein enger Raum, eher einem Durchgang
gleich. An den Wänden hängen illustre Vollblüter, lächelt
ein Jockey mit Renngerte im Halbprofil. Die Haare hat sie
windschnittig nach hinten gebunden, ihr Dress wirkt wie
die umfunktionierte Fahne eines utopischen Inselstaats.
Um sich Jockey nennen zu dürfen, braucht der Rennreiter mindestens 50 Siege. Es gibt keine weibliche Form.
In der Tiefe des Raums öffnet sich eine Tür,
huschen die Jockeys hinaus und setzen sich auf einen
einfachen Plastikstuhl. Sie werden gewogen, sie flachsen
mit dem Herrn, der immer noch steht und abwechselnd
auf seine Listen, auf die Reiter schaut. Codes werden
durch den Raum geworfen und auf einer Tafel eingetragen. Ein geschäftiges Treiben, der Jockey steht auf – er
ist nicht größer als ein Schuljunge –, ein weiterer wartet
bereits ungeduldig mit Rennsattel, Satteldecke und die
Ausgleichsgewichte in der Hand.
Wir verstehen die Codes nicht, aber wir notieren. Wir stehen als Pulk inmitten dieses Durchgangs,
gerade noch können sie sich an uns vorbei nach draußen
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Nachwort
Kevin Kuhn
zwängen. Wir bewundern ihren Tunnelblick, an dessen
Rändern wir klanglos untergehen. Wir sind unsichtbar,
wir sind – unsichtbare Turffans. Zumindest strengen wir
uns an, welche zu sein.
Manchmal schwingt die Tür nach draußen auf,
dringt die Stimme des Stadionsprechers der Neuen Bult
zu uns hinein. Das Saisonfinale steht kurz bevor – der
Renntag der Gestüte. Ein Vibrieren, das sich von der
Herzkammer dieses Sports, dem Raum, in dem wir uns
befinden, auf die Rennbahn überträgt. Top-Gallopper
werden angekündigt, aus deutschen Landen gefährlich,
heißt es, Lady Liberty, die in einem prestigeträchtigen
Europagruppen-III-Listenrennen für 3-jährige und ältere Stuten (55.000 Euro, 2200 Meter) antritt. 10 weitere Rennen, ein Ausgleich I, sagen sie, ein kurzfristig aus
Baden-Baden übernommener Ausgleich II. Und immer
wieder hören wir den Namen eines Jockeys, und wir notieren ihn brav in unsere Bücher, denn wir wollen ja auch
wetten, und wir fragen uns, ob er es gerade ist, der da
mit angespannten Schultern, tippelnden Schritten, auf
dem Stuhl herumrutscht – Adrie de Vries.
In der Medizin, Zoologie oder Botanik betrachtet die Anatomie Gestalt, Lage und Struktur von
Körperteilen, Organen, Gewebe oder Zellen. Basierend
auf dem Seminar »Die Anatomie des Lebens. Recherchieren. Sezieren. Hinausgehen.«, das im Wintersemester 2014/2015 an der Universität Hildesheim stattfand,
führten uns Exkursionen zu eben jenen Herzkammern,
von denen Impulse für einen ganzen Organismus ausgehen. Wir recherchierten zu Milieus, deren Idiom und
Eigentümlichkeiten. Als läge das zu Erkundende wie
ein Körper vor uns, versuchten wir den inneren Aufbau
nachzuzeichnen, die einzelnen Organe zu lokalisieren,
Verbindungen herzustellen.
Wir forschten zu klösterlichem Leben, zu
Wettquoten, zur Pankration als Vorläufer des heutigen
populären MMA-Kampfes. Wir sahen Autos am Fließband, wir sahen Schweine am Fließband in wackeligen
Video-Aufnahmen. Wir gingen zu den Orten und nahmen hautnah daran Teil. Wir boxten nicht mit, aber wir
jubelten, als Treffer landeten. Oder wir wendeten uns
ab, wenn wir selbst getroffen waren.
BEEF. BETEN. BOXEN. sammelt Texte aus
diesen Seminar- und Einzelexkursionen, am eindrücklichsten aber aus den persönlichen Erfahrungen der Autoren-/innen. Erfahrungen, die wiederum in Textform
überführt und fiktionalisiert wurden. Mal sind sie nah,
aus der Perspektive der Beteiligten, mal schweben sie
kühl darüber. Mal sind die Orte nur Kulisse anderer
Konflikte, mal scheint der Ort selbst zu sprechen. Mal
sind sie noch vor Ort skizziert, mal unterliegen sie einer ausgeklügelten Dramaturgie. Was sie eint, ist eine
szenenhafte Nähe; Szenen aus Teilbereichen des Lebens,
die unserem Alltags-Tunnelblick entgehen.
Wir sitzen an unseren Tischen der Zuschauertribüne und haben einen prächtigen Blick über die weite
Rennbahn. Zerknüllte Wettscheine um uns herum, die
gewonnenen haben wir gleich eingelöst. Unser Adrie de
Vries hat doch glatt auf dem Victorious den Sieg davon
getragen. Manche von uns haben verloren, weil sie sich
Wirbelwind oder Suger Love notiert hatten. Namen, die
sich immerhin gut in Anthologien machen.
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Autorinnen und Autoren
Autorinnen und Autoren
Livia Anne Hott, geboren 1991 in Saarbrücken,
Milan Lugerth, geboren 1990, studiert seit
lebt in Brighton und studierte in Hildesheim
2013 in Hildesheim Kreatives Schreiben und
»Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus«.
Kulturjournalismus.
U.a. eingeladen zum Treffen Junger Autoren
*
BOXEN
Berlin 2010 und Teilnahme an der Jürgen-Ponto-Werkstatt 2013; seit Sommer 2014 Mither-
Olivia Kuderewski, 1989 geboren, in einer
ausgeberin der BELLAtriste. Ihr erster Roman
bayerischen Traumblase aufgewachsen, die in
erscheint im Herbst 2015.
Hildesheim geplatzt ist. Arbeitet gern dort,
wo andere trinken und studiert Literarisches
*
Schreiben.
Sophie Johanna Steinbeck, geboren 1994 in Rup-
.
perswil, aufgewachsen in Zürich, ausgezogen
*
nach Hildesheim, weil sie sich die Miete nicht
Mareike Köhler, geboren in Berlin 1994, Kind
mehr leisten konnte.
gewesen auf stinkenden Großstadt-Spielplätzen,
aufgewachsen im Thüringer Wald, Frischluft ge-
BETEN
*
atmet auf Baumwipfeln, gegraben durch Bücher-
Hyun-Kyung Yi ist 1989 in Hamburg geboren und
berge, Kultur lieben gelernt auf der Wartburg,
studiert seit dem Wintersemester 2014/2015
Provinzstädte lieben gelernt in der Stamm-Eck-
Literarisches Schreiben an der Universität
kneipe, erwachsen geworden in Ostfriesland,
Hildesheim.
mitgemacht auf Festivals, studiert Kulturwissenschaften im 2. Semester in Hildesheim.
*
*
.
Tim Schauenberg, 1988 geboren und in Münster
aufgewachsen, arbeitet als freier Journalist
Paula Hauch, geboren 1994, Wohnort: Hildes-
für Print und Hörfunk, studierte in Köln, Me-
heim, Beruf: Student, Familienstand: Hamster.
xiko und nun den Master Literarisches Schrei-
Preise: Vorlesewettbewerb 3. Klasse, Luftbal-
ben in Hildesheim.
lonwettbewerb 4. Klasse, Wallertheimer Wein-
BEEF
bergcross 2004.
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BOXEN
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Autorinnen und Autoren
Autorinnen und Autoren
Rachel Bleiber hat noch keine Bestseller ver-
Sirka ElspaSS, geboren 1995 in Oberhausen.
kauft, dafür aber mal in der Schule einen
Studiert derzeit Kreatives Schreiben und Kul-
Vorlesewettbewerb gewonnen. Das ist lange her.
turjournalismus in Hildesheim. Mitherausgebe-
Heute träumt sie von einem Leben in Hamburg
rin der BELLA triste seit Dezember 2014.
und von friedlichen Demos in ganz Deutschland.
www.fred-erika.de
*
*
Max Schäffer, gebürtiger Ulmer und rastlos Ge-
Elena Zay, geboren 1987, schreibt journalis-
triebener, Bademeister unter den Nichtschwim-
tisch und literarisch.
mern, professioneller Dilettant und Hüter des
gefährlichsten Halbwissens. Glaubt an die
Existenz des einen Satzes, der die Welt zusam-
.
menfassen kann und hofft, ihn durch Geschichten auszustanzen. So lange weitermalen, bis
das Bild voll ist, dann: Markieren, Rechtsklick, Auswahl umkehren
*
BETEN
Imke Bachmann, geboren 1992 in Bückeburg.
Wohnt in Braunschweig. Davor in Hildesheim.
Davor in Rudolstadt. Davor in Heeßen. Hinterließ dort überall theaterpädagogische und
kulturjournalistische Spuren.Studiert derzeit
Kulturwissenschaften und Ästhetische Praxis
mit den Fächerschwerpunkten Literatur und The-
.
ater in Hildesheim. Sieht auf Selfies immer
gut aus.
*
BEEF
Gesche Herkert, geboren 1992.
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BOXEN
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Quellen
11
canine-takeover
Napolean_70
CC BY-NC 2.0
2
Frankfurt am Main –
Anti-Fragida/Pegida protest
Picturepest
CC BY 2.0
12
Saida Zeinab interior cut mirror
mosaic walls with woman praying
carimachet
CC BY-NC-SA 2.0
22
Pub in Berlin-Neukölln
martin
CC BY-ND 2.0
3
Schlacht- und Viehhof Chemnitz
Uwe Kaufmann
CC BY 2.0
13
german tradition
Daniel Bammert
CC BY-NC-SA 2.0
23
Moschee
qiv
CC BY-SA 2.0
4
RJN0000BP0023
School of Veterinary Medicine and Science
University of Nottingham, UK
CC BY-NC-SA 2.0
14
Beim Training
solonaut
CC BY-NC-SA 2.0
24
VOLKSWAGEN_Kombi_factory-11x
MATEUS27_24&25
CC BY-NC-SA 2.0
15
Daddy come back home
York Berlin
CC BY-ND 2.0
25
Pizza Delivery
PINKÉ
CC BY-NC 2.0
16
Sultan-Moschee: Frau mit Katze
mmatting
CC BY-NC-SA 2.0
26
OKAL Musterhaus Mannheim
OKAL Haus GmbH
CC BY 2.0
17
Sam in der Hundeschule
Günter Hentschel
CC BY-ND 2.0
27
Islamischen Gebetskalender
für Halle (Saale)
gynti_46
CC BY-ND 2.0
5
Döner
Sascha Kohlmann
CC BY-SA 2.0
BETEN
7
VOLKSWAGEN_Kombi_factory-10x
MATEUS27_24&25
CC BY-NC-SA 2.0
.
8
Library for Muslim women
Michał Huniewicz
CC BY 2.0
9
Catholic nuns praying by candlelight
Meg Hunter-Kilmer
CC BY-NC-SA 2.0
10
Volkswagen Transparent Factory –
Dresden, Germany
Dave Pinter
CC BY-NC-ND 2.0
18
Pferderennen Neue Bult
Martin Knaack
CC BY-NC-SA 2.0
19
Pegida Frankfurt
opposition24.de
CC BY-ND 2.0
20
Volkswagen Transparent Factory –
Dresden, Germany
Dave Pinter
CC BY-NC-ND 2.0
31
© Marie-Lan Nguyen
Wikimedia Commons
21
Sides of beef at the McLean County
Locker in Calhoun, Kentucky
Nate Gray
CC BY-NC-SA 2.0
1
Neue Bult Langenhagen
Michael Radtke
CC BY-ND 2.0
6
DSC_0798
Paul Miles
CC BY-NC 2.0
BEEF
Quellen
32
A Nun During the Christmas Vigil Prayer
Government Press Office
CC BY-NC-SA 2.0
33
Blue Mosque, inside
Camil Tulcan
CC BY-NC-SA 2.0
34
Arnold Amateur Mixed Martial Arts
(MMA) Competition
fightlaunch
CC BY 2.0
35
Cloudy with a Chance of Dirt
John Lloyd
CC BY 2.0
36
MMA Fighter
MartialArtsNomad.com
CC BY 2.0
37
Städtischer Schlachthof
gato-gato-gato
CC BY-NC-ND 2.0
38
Volkswagen Phaeton Factory Dresden
Adam Singer
CC BY-ND 2.0
28
It wasn’t his day
Carsten Senkfeil
CC BY-NC-SA 2.0
39
Porkcamp 2011
lietz.photography
CC BY-NC-ND 2.0
29
–
txmx 2
CC BY-NC-ND 2.0
30
RJN0000BP0021
School of Veterinary Medicine and Science
University of Nottingham, UK
CC BY-NC-SA 2.0
40
06/03/2015 Week 8 Group B Match Morocco
Atlas Lions vs Cuba Domadores
WorldSeriesBoxing
CC BY-ND 2.0
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.
Quellen
41
© Kloster Marienrode
42
© Hyun-Kyung Yi
BOXEN
43
Pferderennen Neue Bult
Martin Knaack
CC BY-NC-SA 2.0
44
wackeldackel
[ I film]
CC BY-NC-SA 2.0
.
45
© Elena Zay
46
Edgbaston 2005 – Eng v Aus – Day 3 –
Girl in the Crowd – For Boxing Day 2010
Gareth Williams
CC BY 2.0
BETEN
47
Games!
Beth Rankin
CC BY 2.0
48
Carmelite nun praying in her cell-1904
ADiamondFellFromTheSky
CC BY-NC 2.0
49
Pferderennen Neue Bult
Martin Knaack
CC BY-NC-SA 2.0
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50
Frankfurt am Main – Pub –
“Let you get served some of the finest ...”
Picturepest
CC BY 2.0
BEEF
51
Lyle Hennebelle with home model
nouveaustar
CC BY-NC-ND 2.0
52
IMG_4740
Dirk Wiemer
CC BY-NC-SA 2.0
53
Gebetsraum im Islamischen
Kulturzentrum von Halle (Saale)
gynti_46
CC BY-ND 2.0
54
© Elena Zay
55
Wolfsburg – Inside the Volkswagen Plant
Roger
CC BY-SA 2.0
56
© Marie-Lan Nguyen /
Wikimedia Commons
57
Pferderennen Neue Bult
Martin Knaack
CC BY-NC-SA 2.0
Quellen
63
Islamische Gebetszeiten für Halle (Saale)
[2014-10-03]
gynti_46
CC BY-ND 2.0
64
Frankfurt am Main –
Anti-Fragida/Pegida protest
Picturepest
CC BY 2.0
65
VW Werk
Daniel Zimmermann
CC BY-NC-ND 2.0
66
© Kloster Marienrode
67
Inspektion Schlachterei der Produktion
Hamburg Hamm 1916 von Johann Hamann
68
Ursprüngliches Madeira 9.Tag
enbodenumer
CC BY-NC-SA 2.0
58
Egyptian Prayer
daniel marques
CC BY-NC-SA 2.0
59
Combat Sport Medics at AMA 7
MartialArtsNomad.com
CC BY 2.0
60
Döner
Hans-Jörg Aleff
CC BY-NC-SA 2.0
61
Columbiadamm, Berlin-Neukölln
onnola
CC BY-SA 2.0
62
© Kloster Marienrode
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