46 | MOTOR W E LT A M S O N N TAG N R . 2 9 Junge Männer fahren langsam 200 1 1/2 100 250 300 km/h 50 0 Es ist furchtbar: Zum Erwachsenwerden gehört heute nicht mehr das rituelle Überschreiten von Tempolimits Weil ich eine Tochter im wir sahen an der Art, wie sie kiTeenageralter habe, ist das Fern- cherten, wenn wir vorbeiflogen, sehgerät in meinem Haus meistens dass sie uns dafür liebten. Sie dachauf einen Musikvideosender einge- ten, wir wären echte Männer, also stellt, auf dem zornige junge Män- fuhren wir noch schneller. ner zu sehen sind. In den Videos Die Höchstgeschwindigkeit eikommen viele Autos vor, aber die nes Autos war alles. Jeder hatte eiKerle in ihren Schlabberhosen fah- nen Kumpel namens Kevin, dessen ren unglaublich langsam herum – Fiesta 150 Meilen schnell fuhr. Wir eine verstörende Entwicklung. alle konnten Geschichten erzählen, Es gab noch keine Musikvideos, wie wir einen Porsche 911 Turbo auf als ich heranwuchs, aber ich bin der Ringautobahn abgehängt ziemlich sicher, falls Led hatten. Und Ampeln waZeppelin Videos gedreht ren nicht nur Hilfsmittel, hätte und sie Autos hätdie den Strom der Pendten zeigen wollen – was ler regulierten. Sie waunwahrscheinlich ist –, ren Startsignale. Rot: wären sie nicht nur mit Leicht Gas geben. Gelb: 20 km/h durch die GeMehr Gas geben. Grün: gend getrödelt. Die Kupplung wegTOP GEAR Andere Rockstars dieschnalzen lassen. von Jeremy ser Kategorie, also solBeim ersten Mal, als Clarkson che, die auch ein Instruich wegen zu schnellen ment spielen können, Fahrens von der Polizei hatten Ferraris, die sie in angehalten wurde, war absurden Geschwindigkeiten fuh- es mir peinlich, dass es nur 88 Meiren – gewöhnlich mitten hinein in len waren. Ich erzählte meinen einen Swimmingpool. Filmstars Freunden etwas von Tempo 118. Sie ebenso: James Dean stieß nicht bei waren nicht beeindruckt, denn sie Tempo 20 mit Mr Turnupseed zu- hatten ja alle einen Kumpel namens sammen. Steve McQueen bummel- Kevin, dessen Fiesta 150 schaffte. te nicht um San Francisco herum in Jetzt erwarten Sie wahrscheinseinem Mustang. Er flog. Tempo lich von mir, dass ich die jungen war gut, Tempo funktionierte. Leute aufrufe, ihre Fahrradhelme Als ich jung war, wollten wir alle und ihre weithin sichtbaren Sicherschnell fahren. Außerdem wollten heitswesten wegzuwerfen und verwir Kurvendriften mit angezogener dammt noch mal loszurasen. Aber Handbremse und die Räder durch- ich fürchte, das bringt absolut drehen lassen beim Ampelstart. nichts. Weil es unmöglich ist. Nichts davon hat sich als besonders Nicht der Gedanke an Gesundnützlich erwiesen, um das Herz ei- heit und Sicherheit bremst sie ein. nes Mädchens zu gewinnen. Aber Und es liegt nicht an den Vorbil- 150 Ich geb’ Gas, ich will Spaß – aber eine Tankfüllung kostet ein Vermögen FLORENCE BOUCHAIN dern auf MTV. Es geht auch nicht um den gnadenlosen Kampf der Regierung gegen die Raser oder um Hans Müsli, der herumrennt und jedem erzählt, dass die Polkappen schmelzen. Nein. Der wahre Grund dafür, dass Kinder in Musikvideos – und im normalen Leben – nicht mehr wirklich schnell fahren, ist, dass es bei einem Preis von sechs Pfund pro Gallone einfach zu teuer geworden ist. Und es sind ja nicht nur die Kinder. Formel-1-Fahrer machen langsam – sagen sie –, um ihre Reifen zu schonen. Das ist Unsinn: McLarenSponsor Vodafone kann sich nur die Spritrechung nicht mehr leisten. Ich weiß genug über Wirtschaft, um zu erkennen, dass es so etwas wie Inflation gibt. Aber Inflation ist nicht die Ursache dafür, dass es früher drei Pfund kostete, meinen Tank zu füllen und heute 120. Mal eben nach London und zurück mit meinem Mercedes, das macht mich um 50 Pfund ärmer. Um mir das nach Steuern leisten zu können, muss ich 100 Pfund verdienen. Das sind 500 in der Woche. Und 25 000 im Jahr – also mehr als der englische Durchschnittslohn. Das ist es also, warum die Kids langsam fahren. Auch wenn sie heute ihre Musik umsonst bekommen: Pickelcreme und Wodka kann Anzeige + man nirgends herunterladen, und es bleibt einfach nicht genug Geld übrig, um einfach mal eine Gallone beim Kavalierstart zu verbrennen. Wenn ich ehrlich bin, gilt das nicht nur für junge Fahrer, sondern auch für Rentner und Familienväter. Wirklich für jeden, außer für Elton John. Schnelles Fahren steht nicht länger für das Erwachsenwerden. Es ist ein Luxus, den sich nur wenige leisten können, und ich denke, es ist an der Zeit, dass Autohersteller darauf eine Antwort finden. Viele sagen, dass sie genau das schon tun. Mercedes arbeitet mit Renault und Nissan an einer neuen Kleinwagenreihe. In den Mini sind große Batterien hineingezwängt worden, und jeder beschäftigt sich mit der Entwicklung von Hybridfahrzeugen. Aber alle übersehen etwas: Sie setzen die Anschaffungskosten des Autos mit den Betriebskosten gleich, doch die gehen nicht immer Hand in Hand. Ich habe nichts dagegen, ein teures Auto zu kaufen, aber es stört mich zuzusehen, wie an der Tankstelle meine Kreditkarte belastet wird für etwas, das ich nicht mal sehen kann. Daher frage ich mich in diesen schwierigen Zeiten, ob vielleicht irgendjemand in der Autoindustrie sich den Renault 5 Monaco in Erinnerung rufen könnte. T T T 18. J U L I 2 010 Das war ein kleines und ökonomisches Auto. Aber innen war es ausgestattet mit elektrischen Fensterhebern – selten in jener Zeit –, Servolenkung, üppigen Ledersitzen und einem respektablen Soundsystem. Mit anderen Worten: Es war ein kleines Luxusauto. Kommt so etwas heute nicht mehr infrage? Wenn Autohersteller klein denken, dann denken sie billig. Darum statten sie Kleinwagen mit dürren Reifen aus, mit einer Federung aus Alufolie und mit Innenverkleidungen, die angeklipst sind statt geschraubt. Aber was wäre, wenn man einen Smart nach den Regeln der S-Klasse bauen würde? Wenn der Smart einen radargestützten Abstandsregeltempomaten hätte, ein Telefon mit Freisprecheinrichtung, eine Stereoanlage von Bang & Olufson und Sitze, die sich anfühlen, als säße man auf Beth Ditto, dann wäre er wohl sehr teuer. Und die Autohersteller würden sagen, dass niemand 40 000 Pfund für einen Smart ausgeben würde. Aber warum eigentlich nicht? Ich will gar kein großes Auto. Ich brauche keine große Fläche um mich herum, und ich mag die Spritrechnungen nicht. Aber ich will im Moment auch kein kleines Auto, weil sie alle sind wie die Cola der billigen Handelsmarken: schwache Imitationen des Echten. Was mir gefallen würde, und ich glaube, dass ich da nicht der Einzige bin, ist ein kleines, sparsames Auto, das gebaut und ausgestattet ist wie ein großes. Ein Phaeton im Golf-Kleid. Oder noch besser: Ein Fiat 500, der sich anfühlt wie ein Maserati Quattroporte. Ich glaube nicht, dass so etwas unmöglich wäre, und ich glaube, dass die Gewinnmargen der Autohersteller riesengroß wären. Sie verdienen ihr Geld, und ich spare es an der Zapfsäule. Wenn man wie ich gerade die 50 erreicht hat, dann kommt das einfach: Vision und Weisheit. Der Autor ist Chefmoderator der legendären BBC-Autosendung „Top Gear“, die jeden Samstag um 18.05 Uhr auf Kabel eins und dienstags um 21.05 Uhr im Bezahlsender Sky läuft.
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