TITELTHEMA Ergänzungstechnik zwischen CI und Hörgerät Ein neuartiges, nur reiskorngroßes Hörimplantat für hochgradig hörgeschädigte Menschen, für die ein CI noch nicht indiziert ist, ist in der Entwicklung. Es will den operativen Eingriff minimalinvasiv ermöglichen. Es ist dafür gedacht, über den Gehörgang direkt am runden Fenster platziert zu werden, einer Membran, die Mittel- und Innenohr voneinander abgrenzt. Bei leichter bis schwerer Innenohrschwerhörigkeit sind die Haarzellen nur zum Teil beschädigt. In diesen Fällen sind konventionelle Hörgeräte für einen Hörerfolg oftmals ausreichend. Es gibt allerdings Patienten, die zwar theoretisch mit einem Hörgerät versorgt werden können, „dieses aber aus bestimmten Gründen doch nicht die optimale Lösung ist“, so Prof. Dr. Hans-Peter Zenner von der UniversitätsHNO-Klinik Tübingen. Aus diesen Überlegungen heraus entstand bereits im Jahr 1998 die Idee zu einem vollimplantierbaren Hörgerät (TICA LZ 3001), das die Störschallunterdrückung sowie die auditorische Raumorientierung mittels des äußeren Gehörgangs im Vergleich zu einem Hörgerät deutlich besser ausschöpft. Dass dieser Ansatz seinerzeit nicht zur Marktreife gelangte, hatte mehrere Gründe. Vor allem war die Operationstechnik noch immer zu aufwendig. 2007 wurde das Konzept erneut aufgegriffen und weiterentwickelt. Dieses Mal holte der Direktor der Universitäts-HNO-Klinik Tübingen und Vater der Idee, Hans-Peter Zenner, mehrere Partner ins Boot: allen voran das Naturwissenschaftliche und Medizinische Institut an der Universität Tübingen (NMI), das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) sowie Auric Hörsysteme, eines von vier beteiligten Unternehmen auf Industrieseite. Minimalinvasiv und weniger belastend Wie schon vor 17 Jahren war der treibende Motor der Idee, die bestehende Operations-Technik für Implantate am Ohr zu vereinfachen und gleichzeitig das Sprachverstehen, aber auch das Empfinden von Musik, vor allem bei Störlärm, um ein Vielfaches zu verbessern. Zielgruppe für das neuartige Rundfenster-Implantat sind Patienten, die mit einem klassischen Hörgerät unzufrieden sind, aber die invasive Implantation eines Cochlea-Implantats (CI) wegen des Risikos für ihr vorhandenes Resthörvermögen scheuen. „Unsere Idee versteht sich als Ergänzung zwischen Cochlea-Implantat und Hörgerät“, erklärt Dipl.-Ing. Dominik Kaltenbacher vom IPA. Das neuartige Mittelohrimplantat besteht aus drei Teilen: dem externen Gehäuse mit einem Mikrofon, der drahtlosen Verbindung zwischen Außen- und Mittelohr sowie einem winzigen Schallwandler von der Größe eines Reiskorns, das Herzstück der Neuentwicklung. Dieser Mikroaktor mit einem Durchmesser zwischen 1 und 1,5 Millimetern erzeugt Schallschwingungen im hörbaren Frequenzbereich und kann diese in die Gehörschnecke einkoppeln. Bei den übrigen Implantaten am Ohr muss im Schädel zunächst ein künstlicher Zugang zum Mittelohr geschaffen werden, parallel zum Gehörgang. Ein aufwendiger Eingriff, der bei diesem Rundfensterimplantat nicht notwendig ist. „Es wird bevorzugt direkt am runden Fenster platziert, der Membran, die Mittel- und 16 | Schnecke 87 | März 2015 Innenohr verbindet“, erläutert Zenner. So wird der akustische Reiz durch Schwingungen ausgelöst und nicht, wie bei einem CI, durch eine Elektrode an den Hörnerv weitergegeben. Die Funktionsweise im Einzelnen Ein konventionelles Hörgerät ist an seinem Schlauch-Ende, das in den Gehörgang hineinragt, mit einer Infrarot-Leuchtdiode ausgestattet. Diese sitzt vor dem Trommelfell und sendet Licht an eine Fotozelle, die hinter dem Trommelfell platziert ist. Die photovoltaische Empfangseinheit wandelt das Licht in elektrischen Strom um und aktiviert die eigentliche Schnittstelle des Mini-Implantats: den Mikroaktor. Über diesen ist das Implantat am runden Fenster zum Innenohr direkt an die Innenohrflüssigkeit gekoppelt und die elektrischen Signale werden unmittelbar in Schwingungen übersetzt. „Diese Technik macht es möglich, das winzige Implantat direkt über den Gehörgang zu implantieren. Die Operation ist damit deutlich einfacher, nicht so zeitintensiv und damit kostengünstiger“, erklärt Dominik Kaltenbacher. Denn der Zugang zum Mittelohr muss nicht erst gebohrt werden. Das Risiko, den Gesichtsnerv oder die Blutgefäße zu verletzten, besteht nicht. Ob ein solches Verfahren sogar ambulant durchführbar wäre, ist nicht ausgeschlossen. Prof. Zenner: „Unser Ziel ist nicht in erster Linie, dass der Eingriff ambulant oder stationär erfolgt. Unser Ziel ist vielmehr ein deutlich vereinfachtes und wenig belastendes Verfahren.“ – Auch wenn der Vergleich hinkt: Eine Cochlea-Implantation dauert in der Regel mehrere Stunden. Die Methode, wie es das inter- Das neuartige Mittelohrimplantat: Der Schallwandler ist so klein, dass er minimalinvasiv über den Gehörgang eingeführt werden kann. Der Schallwandler des neuen Rundfensterimplantats im Größenvergleich zu einem Streichholz. Die Funktionsweise dieser Technik sehen Sie animiert auf unserem Youtube-Kanal unter http://youtu.be/u4pjRF8Fe0I Foto, Grafik und Animation: IPA disziplinäre Team um Dr. Zenner plant, soll „in 30 bis maximal 60 Minuten“ durchführbar sein. Wohlgemerkt: Diese Technik ist für Patienten gedacht, die über ein Resthörvermögen verfügen und für die eine Cochlea-Implantation nicht in Frage kommt, ein Hochleistungshörgerät aber nicht mehr ausreicht. Klinische Erprobung steht noch bevor „Auch wenn der Machbarkeitsnachweis – proof of concept – vorliegt, einige Herausforderungen bleiben“, unterstreicht Hans-Peter Zenner: „Zum einen die sogenannte Ankopplung, dass also die Übertragung des Ausgangssignals an das Hörsystem störungsfrei funktioniert.“ Ein Problem, das viele Hörgeräte-Träger haben, wenn die Signalübertragung auf das Hörsystem nicht zuverlässig ist. Zum anderen die Stabilität des Implantats selbst. „Wenn ein Hörgerät kaputt geht, kann es ersetzt werden. Bei einem Implantat, selbst dieser Größe, ist das schwieriger. Ein Implantat sollte mindestens zehn Jahre lang störungsfrei funktionieren und die Verträglichkeit der Außenhülle nachgewiesen sein“, gibt Zenner zu bedenken. Bis dato wurde das Rundfensterimplantat mithilfe von Lasern, mit denen man dessen Funktionalität überprüfen kann, getestet. Aber auch mittels der sogenannten Felsenbeinmethode. Dabei wurde die Operationstechnik am Felsenbein von Körperspendern untersucht, um verlässliche Aussagen darüber treffen zu können, ob die Implantation wie angedacht durchführbar ist oder nicht. Dazu muss man wissen, dass noch ein bis zwei Tage nach dem Tod eines Menschen die Signalübertragung seines Gehörs funktioniert. „Mit dieser Methode, die von der HNO-Abteilung der Uniklinik in Kooperation mit der Anatomie durchgeführt wurde, lässt sich relativ gut einschätzen, wie gut der Höreindruck eines Patienten wäre, weil sich messen lässt, wie stark die Schwingungen im Innenohr sind“, so Kaltenbacher. Noch gibt es nur Prototypen und zunächst muss ein Unternehmen gefunden werden, das die Technik vermarktet und die klinischen Tests mit dem Endprodukt durchführt. – Dazu liegen uns zum Redaktionsschluss keine näheren Informationen vor und es bleibt abzuwarten, ob sich die Idee eines minimalinvasiven und kostengünstigen Hörimplantats für Menschen mit einem Hörverlust bis 80 Dezibel durchsetzen und zur Marktreife gelangen wird. Ute Mai, Redaktion Schnecke/Schnecke-Online Prof. Dr. Hans Peter Zenner Ärztlicher Direktor HNO-Klinik Universtätsklinikum Tübingen Elfriede-Aulhorn-Str. 5 72070 Tübingen Erklärungen der Fachbegriffe im Glossar auf Seite 9 Projektbeteiligte und Förderung durch das BMBF Die Tübinger Universitäts-HNO-Klinik war für das Gesamtkonzept verantwortlich und entwickelte die optische Signal- und Leistungsübertragung. Den Schallwandler konzipierte das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA). Für die bioverträgliche Kapselung des Implantats zeichnete das Naturwissenschaftliche und Medizinische Institut an der Universität Tübingen (NMI) verantwortlich. Die externen Komponenten wie Mikrofon, Signalverarbeitung und Ansteuerung des optischen Senders lagen in der Verantwortung der Firma Auric. Bereits 2012 zeichnete das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das interdisziplinäre Projekt aus und förderte dessen Entwicklung mit 900 000 Euro. Schnecke 87 | März 2015 | 17
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