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DG15-Lyrik
17.08.2007 11:25 Uhr
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AGLV, DAS GEDICHT 15, »LIEBE MIT ALLEN SINNEN«, 4. Lauf
I . LYRIK
VORSPIEL
Meine Lippen auf ihre süßen Lippen gedrückt, so habe
ich Antigones Haut mit der meinen berührt
Marcus Argentarius
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AGLV, DAS GEDICHT 15, »LIEBE MIT ALLEN SINNEN«, 4. Lauf
NIKLAS HOLZBERG UND ISABELLA WIEGAND
»Götter, ich wusste nicht, dass
nackt Aphrodite hier badet«
SINNENLUST IN GRIECHISCHEN EPIGRAMMEN DER ANTIKE
Wer in der Literatur des klassischen Altertums nach Gedichten über amouröse Freuden sucht, die beim Liebesspiel durch Fühlen, Riechen, Hören und andere sinnliche
Erfahrungen hervorgerufen werden, findet
wenig dergleichen. Für die griechisch-römische Liebespoesie von den archaischen Anfängen des 7. Jahrhunderts v. Chr. bis in die
Spätantike ist charakteristisch, dass ein vom
sprechenden Ich geäußertes erotisches Begehren meist unerfüllt bleibt. Folglich bilden
Gedichte über Sinnenlust die Ausnahme.
Typische Sprechsituation ist das Moment
der Enttäuschung des bzw. der Liebenden
über Zurückweisung des Begehrens durch
den geliebten Menschen oder seine Untreue; das lyrische Ich reagiert darauf mit
erneutem Werben, Klage oder der (nicht
selten später widerrufenen) Abschiedserklärung.
Aus der geringen Anzahl von Gedichten, die
thematisch gut in den Kontext der vorliegenden Anthologie passen, wurden bereits
einige im Sammelband Applaus für Venus.
Die 100 schönsten Liebesgedichte der
Antike (München 2004) und weitere in DAS
GEDICHT, Bd. 12 (mit dem Thema Nackt.
Leibes- und Liebesgedichte) publiziert (dort
S. 76 – 85).
Bei den folgenden Texten handelt sich um
erotische Epigramme, die Buch 5 und 12
der im Mittelalter in Byzanz zusammengestellten »Griechischen Anthologie« (Anthologia Graeca) entnommen sind. Die ältesten stammen noch aus dem Zeitalter des
Hellenismus (323 – 31 v. Chr.), die jüngsten
aus der Regierungszeit des oströmischen
Kaisers Justinian (527 – 565). Sie sind, wie
die Texte in DAS GEDICHT 12, möglichst
wörtlich übersetzt, weshalb die elegischen
Distichen der Originale nicht immer ein
ganzes Gedicht hindurch streng nach den
Regeln der klassizistischen deutschen Metrik nachgeahmt werden konnten. Wir haben uns aber bemüht, durch Beibehaltung
der Zeilenanordnung und rhythmisierte
Wiedergabe (auch der metrisch nicht exakt
wiederzugebenden Verse) einen weitgehend
authentischen Eindruck von der äußeren
Form der Originale zu vermitteln.
Die Texte sind chronologisch angeordnet,
der Name des Dichters steht jeweils am
Anfang; Überschriften hatten antike Gedichte nicht.
Quellennachweis:
Die Originaltexte aller Gedichte sind abgedruckt in: Anthologia Graeca. Herausgegeben von Herrmann
Beckby. München 1965 – 1967; im Einzelnen sind es die Nummern 5.210; 55; 56; 12.133; 5.32; 104; 128;
73; 241; 244; 246; 255. Für wertvolle Hinweise sind wir Regina Höschele zu Dank verpflichtet.
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Asklepiades von Samos
(um 285 v. Chr.)
Mit ihrer Jugend hat mich Didyme ganz ergriffen – oh weh,
ich schmelze wie Wachs am Feuer, seh ich die schöne Gestalt.
Ist sie auch schwarz – ja und? Auch Kohlen sind’s. Wenn aber jene
brennen, leuchten sie auf wie an der Rose der Kelch.
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Dioskorides
(um 225 v. Chr.)
Doris, die mit den rosigen Bäckchen, legte ich quer übers Bett,
und in der knospenden Blüte bin ich unsterblich geworden.
Denn die herrlichen Schenkel mir um die Mitte gelegt,
durchmaß sie beharrlich die Bahn Aphrodites,
mit verhangenem Blick; doch die Augen, wie Blätter im Winde
flackerten flammend bei jedem Erbeben,
bis wir die weiße Kraft endlich verströmt hatten beide
und Doris hingegossen lag mit ermattetem Leib.
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Rasend machen mich die rosenfarbigen, plaudernden Lippen;
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die Seele schmelzen sie mir, Schloss des nektarischen Mundes,
und unter dichten Brauen die Augen, sie blitzen,
Netze und Schlingen für mein Herz,
und weiß wie Milch, ein Zwillingspaar, Verlangen weckend – die Brüste,
schöngewachsen, lieblicher noch als jede Blume ...
Doch was zeig ich den Hunden die Knochen? Es kann ja bezeugen,
was ein Mund ohne Schloss bewirkt, bei Midas das Schilf.
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Meleager von Gadara
(ca. 130 – 60 v. Chr.)
Als ich durstig küsste im Sommer den seidigen Knaben
und vom brennenden Durst ganz mich befreit hatte, sprach ich:
»Vater Zeus, du trinkst Ganymeds nektarische Küsse:
Schenkt denn auch den Wein er mit den Lippen dir ein?
Denn als ich den schönen unter den Jünglingen küsste,
da, Antiochos, trank ich den süßen Honig seiner Seele.«
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Marcus Argentarius
(um 20 v. Chr.)
Melissa, in allem tust du die Werke der blumenliebenden Biene;
Frau, ich weiß es wohl, und denke in meinem Herzen:
Honig lässt, wenn süß du mich küsst, von deinen Lippen du rinnen;
aber forderst du Geld, trifft unverdient mich dein Stachel.
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Lege ab dies Schleiergewand, und nicht, du Flaneuse, mit Absicht
Wiege beim Gehn, Lysidike, die Hüften.
Nicht umschließt dich ja ganz das dünne Gewand mit den Falten:
Alles an dir sieht man nackt, dann wieder sieht man es nicht.
Scheint dir das reizvoll – ich hätt da ganz ähnlich
mit dem Schleier bedeckt, etwas Steifes an mir.
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Leib an Leib und meine Brust an die Brust ihr schmiegend,
meine Lippen auf ihre süßen Lippen gedrückt, so habe
ich Antigones Haut mit der meinen berührt – was noch folgte,
sage ich nicht; als Zeugin wurde die Lampe vermerkt.
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Rufinos
(1. Jh. n. Chr.)
Götter, ich wusste nicht, dass nackt Aphrodite hier badet
und mit der Hand sich löst die über den Nacken fallenden Locken.
Gnädig sei mir, Herrin, und niemals sei meinen Augen
zornig gesinnt, weil sie sahen die Göttergestalt.
Jetzt merk ich: Rhodokleia, nicht Kypris ist es. Woher denn
hast du die Schönheit? Du stahlst, glaub ich, der Göttin Gewand.
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Paulus Silentarius
(ca. 520 – 575)
»Lebe wohl!«, will ich sagen, zur Umkehr jedoch meine Worte
zwing ich, und wiederum bleibe ich nahe bei dir.
Denn die furchtbare Trennung von dir – ganz wie vor der bittren
Nacht an dem Unterweltsfluss scheue ich mich vor ihr.
Denn dein Licht, es ist wie das des Tages. Doch hat dies
keine Stimme. Du aber schenkst mir Geplauder, und süßer
klingt es als der Gesang der Sirenen, und daran hängt doch
jede Hoffnung, die meine Seele bewegt.
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Lange küsst Galateia und hörbar; weich küsst Demo,
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Doris beißt beim Kuss. Wer hat den größten Reiz?
Nicht soll richten das Ohr über Küsse; eh ich geschmeckt hab
einen schroffen Mund, geb ich mein Urteil nicht preis.
Herz, du hattest kein Ziel! Die weichen Küsse der Demo
kennst du, kennst den süßen Honig der tauigen Lippen.
Bleibe dabei! Sie hat unstreitig die Krone. Mag einer
andere lieben, er bringt niemals von Demo mich ab.
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Weich sind die Küsse der Sappho, und weich die schneeweißen Arme
schlingt sie um mich und weich sind ihre Glieder, jedoch
widerspenstiger Stahl ist das Herz in ihr. Denn alleine
meinem Mund schenkt sie Liebe und gibt sich ansonsten als Jungfrau.
Wer erträgt das? Vielleicht, ja vielleicht nur duldet es einer,
der des Tantalos Durst ganz ohne Mühe erträgt.
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Ich sah zwei Liebenden zu. In Raserei, die sie nicht mehr ertrugen,
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pressten die Lippen sie lang aneinander,
wurden von hemmungloser Lust nicht satt, ja wären am liebsten,
ließen’s die Götter nur zu, einander ins Herz getaucht,
suchten mit aller Gewalt unsägliche Qualen zu lindern,
indem sie die weichen Gewänder vertauschten.
Also war er ganz dem Achilleus ähnlich, wie jener
einst in Erscheinung trat in des Lykomedes Gemächern;
bis zu den weißen Knien gegürtet hatte das Mädchen
seinen Chiton und sah gänzlich der Artemis gleich.
Wieder pressten sie Lippen an Lippen, denn sie empfanden
alles verzehrenden Hunger nach endlos tobender Lust.
Leichter trennt man die Stämme von zwei verschlungenen Reben
aus dem langen Verbund, welcher die beiden verflocht,
als das küssende Paar, das fest in feuchter Berührung
beiderseits mit den Armen eng umfangen sich hielt.
Dreimal glücklich sind die, die solche Fesseln vereinen,
dreimal glücklich, Geliebte. Wir aber glühen getrennt.
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1. SEHEN UND SEHNEN
Du bist die Brezel, die ich begehr
Franz J. Herrmann
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AGLV, DAS GEDICHT 15, »LIEBE MIT ALLEN SINNEN«, 4. Lauf
Frantz Wittkamp
Wir wußten schon vom Hörensagen
daß Liebe eine Krankheit ist.
Sie wird durch Blicke übertragen,
bestätigt jetzt ein Internist.
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AGLV, DAS GEDICHT 15, »LIEBE MIT ALLEN SINNEN«, 4. Lauf
Siegfried Völlger
LIEBESZAUBER
ich hab ein wenig
liebeszauber gestreut
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man streut ihn
wie hühnerfutter
und ertappt sich
unvorsichtig geworden
auch selbst
auf den knien
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AGLV, DAS GEDICHT 15, »LIEBE MIT ALLEN SINNEN«, 4. Lauf
Jürgen Bulla
BLINDDATE
Setz den Körper ins Cafe
Den Ausgehanzug frischer Kragen
Schämst du dich für deinen
Aufwand Mutterworte vor
Die Stirn gestoßen wirst du
Denkst du hast du schon
Den Blick bemerkt der möglich
Ist durchs Fenster halb beschlagen
Mit den immer feuchteren Fingern
Einem Auge an der Wanduhr
Blätternd in den Seiten des Buches
Wird sie da sein weißt du
Nicht was Neugier was Angst ist was
Du erwartest Erleichterung blätternd
Draußen nur Männer finde mich und
Finde mich nicht bis du nicht mehr
Wagst aufzusehen steht sie auf dem
Scheitel das Gewicht ihrer Augen
Lässt du die Buchstaben zitternd los
Ihr Gesicht was liest du sagst du
Weiß ich nicht verlegen
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