„Lohndumping im eigenen Haus“

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ABENDZEITUNG
DIENSTAG, 17. 3. 2015
MÜNCHEN
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Ein DHL-Mitarbeiter belädt seinen Truck: Wenn der Zustellerwagen derart voll ist, bahnt sich ein harter Arbeitstag an. Die Post will ihren Angestellten künftig trotzdem weniger zahlen.
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Foto: dpa
„Lohndumping im eigenen Haus“
Gleiche Arbeit für
weniger Lohn: Die Post
DHL lagert ihre Zusteller
in Subunternehmen aus.
Die Gewerkschaften
sind empört
Von Sophie Anfang
E
s gab Zeiten, da war Michael N. motiviert. Da
schob der befristet angestellte Paketzusteller in Aschheim Überstunden, arbeitete
hart. Manchmal, wenn besonders viel los war, stapelten sich
die Umschläge und Päckchen
sogar bis auf den Beifahrersitz.
„Ich hab’ gedacht: Das bringt
mir was – eine Festanstellung.“
Inzwischen ist er bitter enttäuscht. Denn ab 1. April wird
er den lang ersehnten Festvertrag zwar bekommen, leider
aber ganz anders als gedacht.
Die Deutsche Post DHL hat ein
Subunternehmen gegründet, in
das die befristet angestellten
Paketzusteller übernommen
werden sollen. Das Problem:
Unterm Strich verdienen sie
dort weniger. Die Gewerkschaft nennt das „Lohndumping im eigenen Haus.“
DHL Delivery GmbH heißen
die neu gegründeten Regionalgesellschaften, in der die bislang befristet beschäftigten Zusteller künftig arbeiten sollen.
Schaut man ins Handelsregister, sind die neuen Gesellschaften bereits in 46 Städten präsent, in Bayern unter anderem
in Augsburg, Nürnberg, Straubing – und eben auch in München und Freising.
Auf den ersten
Blick wirkt alles
sehr positiv
Zusteller, die bislang einen
befristeten Vertrag bei der Post
AG haben, werden in den Regionalgesellschaften „bevorzugt eingestellt“, heißt es in
Mitteilungen des Bonner Konzerns. Dort lockt ein unbefristeter Vollzeitvertrag.
Auf den ersten Blick wirkt
das sehr positiv. Die Post verkauft es auch entsprechend:
„Die neuen Arbeitsplätze werden sichere, unbefristete Jobs
in einer Wachstumsbranche
sein“, sagt Post-Sprecher Dieter
Nawrath. Bundesweit wolle
man bis zu 10 000 Stellen
schaffen.
Auch Paketzusteller Michael
N., der eigentlich anders heißt,
hat den Vertrag mit der DHL
Delivery vor kurzem unterschrieben. Eigentlich dürfte er
sich öffentlich gar nicht äußern, aber sein Frust ist groß.
Seit gut zwei Jahren arbeitet
der Mitte 30-Jährige in Aschheim bei der Post. Sein befristeter Vertrag läuft Ende März
aus. Danach wird er einer der
über 240 unbefristeten Neuangestellten der GmbH sein, die
das Subunternehmen in München und Freising bereits angeworben hat. Für N. ist das kein
Grund, glücklich zu sein.
Unterm Strich sind
das 1000 Euro weniger
im Jahr – netto
Für die Beschäftigten der
DHL Delivery liegt der Haken
im Detail. Bislang galt für die
Befristeten bundesweit der
Haustarifvertrag: 1970 brutto
hieß das im Monat, plus zahlreiche Zulagen. In den neuen
Gesellschaften gilt das nicht
mehr. Dort werden die Beschäftigten nach den Bestimmungen der Speditions- und
Logistikbranche bezahlt. Die
Gewerkschaft Verdi hat diese
für unterschiedliche Regionen
ausgehandelt. Jeweils in ver-
schiedener Höhe. „In Bayern
gehen wir von einem Lohnverlust von etwa zehn Prozent aus,
in anderen Bundesländern
kann es sogar noch mehr sein“,
sagt Edwin Then von der Gewerkschaft DPVKomm. „Unterm Strich gehen den bayerischen Beschäftigten rund 1000
Euro netto pro Jahr verloren.“
Und das, obwohl sich weder
an ihrer Tätigkeit, noch an ihrer
Arbeitsbelastung etwas ändert.
Am Grundlohn liegt die Kürzung ebenfalls nicht: Der steigt
in Bayern von 1970 Euro brutto
auf die von Verdi ausgehandelten 2067 Euro. Das Urlaubsgeld
steigt ebenfalls von pauschal
332,34 Euro auf pauschal
17 Euro pro Urlaubstag. Auch
hier klingt auf den ersten Blick
alles positiv.
Gekürzt wird an anderer Stelle. „In
der Post AG gab es Leistungsprämien bis zu 2500 Euro brutto im Jahr. In der GmbH sind es
nur noch maximal 650 Euro“,
kritisiert Then. Ein weiterer
Punkt ist das Weihnachtsgeld:
In den Regionalgesellschaften
gibt es nicht wie bei der Post
AG ein 13. Monatsgehalt. Das
Weihnachtsgeld ist gestaffelt:
Für Einsteiger gibt's 204 Euro,
dann maximal 807 Euro – aber
erst ab dem 10. Arbeitsjahr.
GLS
Altgediente
Mitarbeiter werden
jetzt zu „Springern“
„Für andere ist es noch
schlimmer“, erzählt er. Viele
seiner älteren, befristet beschäftigten Kollegen, die seit
Jahren dieselben Routen fahren, würden in den Regionalgesellschaften zu so genannten
„Springern“, Mitarbeiter, die
immer wieder andere Gebiete
beliefern. Der gute Kontakt zu
den Kunden, den die Zusteller
jahrelang aufgebaut hätten:
plötzlich wertlos.
Bei der Post hält man die DHL Delivery-Lösung trotz der Kritik
für eine gute Sache. Den Vorwurf der Gewerkschaft, Tarifflucht im eigenen Haus zu begehen, weist Post-Sprecher
Nawrath weit von sich: In den
neuen Gesellschaften werde
nach Verdi-Tarif gezahlt. „Wo
sollte hier ,Tarifflucht’ vorliegen?“, fragt Nawrath.
Andererseits: Dass die Post die
Löhne „anpassen“ will, gibt sie offen zu. „Wir haben seit Jahren
einen signifikanten Wettbewerbsnachteil, weil die Löhne
bei uns doppelt so hoch sind
wie beim Wettbewerb“, sagt
der Post-Sprecher. Der Haustarifvertrag der Post stamme in
seinen Strukturen noch aus
Zeiten, in denen die Post eine
Behörde war.
Gewerkschafter Then geht
das zu weit: „Die Post macht
Milliardengewinne.“ 2015 peilt
der Konzern an, den operativen
Gewinn auf bis zu 3,2 Milliarden Euro zu steigern. Gerade
hat das Unternehmen angekündigt, die Dividende von
0,80 auf 0,85 Euro zu erhöhen.
Michael N. ärgert auch das. Die
Aktionäre verdienten dazu,
während die Beschäftigten zurück stecken müssten: „Dabei
erwirtschaften wir ja den Gewinn.“ Doch sein Ärger weicht
der Resignation. Er weiß nicht,
was man gegen die Post-Pläne
tun könnte. „Wir sind eben nur
das kleine Rad am Wagen.“
Hermes
I
m Vergleich zur Konkurrenz steht die Post DHL
sogar noch gut dar. Bekanntes Beispiel für besonders harte Bedingungen ist GLS. Das zur
„Royal Mail“ gehörende Unternehmen hat den
Branchentarifvertrag nicht unterzeichnet. Es beschäftigt keinen einzigen eigenen Zusteller, Pakete werden nur von Subunternehmern ausgeliefert. Die zahlen offiziell den Mindestlohn von
8,50 Euro, Insider berichten jedoch von Stundenlöhnen unter 5 Euro. Dazu kommen harte und
lange Arbeitstage, die teilweise bis zu 14 Stunden dauern können.
Michael N. hat sich schon ausgerechnet, dass für ihn künftig
ein Minus beim Gehalt rauskommen wird. Für den Zusteller ist der neue Vertrag „ein
Schlag ins Gesicht.“ Doch er
weiß: Hätte er nicht unterschrieben, wäre er Ende des
Monats ohne Arbeit dagestanden. Zähneknirschend hat er
deshalb doch unterzeichnet.
D
DPD
as zur Otto Group gehörende Unternehmen
lässt rund 90 Prozent seiner Pakete von Subunternehmern ausliefern, die Hermes prüfen
lässt. Die Prüfer würden aber teilweise ausgetrickst, heißt es in der Dezember-Ausgabe von
Stiftung Warentest. „Wir streben Löhne von mindersten 1300 brutto an“, heißt es bei Hermes. In
einer vom Konzern selbst durchgeführten Umfrage bewerteten die Zusteller ihre Zufriedenheit
2013 trotzdem nur mit der Schulnote 3,7.
A
uch die „Dynamic Parcel Distribution“ arbeitet nur mit Subunternehmern. Diese werden
pro Paketlieferung bezahlt. Der Stückpreis wird
nach Faktoren wie Gebietsgröße und Zeitaufwand berechnet. Den Zusteller, die bei den Subunternehmern beschäftigt sind, müsste der Mindestlohn gezahlt werden. Ob das in der Praxis so
ist, wird von Gewerkschaften bezweifelt.
Allerdings hat DPD nach kritischen Medienberichten angekündigt, Subunternehmer künftig
besser zu prüfen.
UPS
D
as amerikanische Unternehmen lässt bis zu
70 Prozent der Pakete von eigenen Zustellern ausliefern, die ab 11,91 Euro pro Stunde verdienen. Der Rest sind Subunternehmer, für die
der Tarif nicht gilt.