Analyse- und Beteiligungsmethoden

Analyse- und Beteiligungsmethoden
Ulrich Deinet
Die folgende Beschreibung von Methoden einer sozialräumlichen Lebensweltanalyse beruhen im Wesentlichen auf gemeinsamen Projekten und Veröffentlichungen von Richard
Krisch und Ulrich Deinet1. Besondere Anregungen bekamen wir von Norbert Ortmann, der
zum ersten Mal Methoden wie die „Nadelmethode“ Anfang der 1990er Jahre beschrieb. Die
von uns im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit entwickelten Methoden können zum Teil
direkt in andere Bereiche der Sozialen Arbeit übertragen werden.
Die hier vorgelegte Methodensammlung ist in den letzten Jahren im Laufe zahlreicher
Projekte zur sozialräumlichen Konzeptentwicklung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit
entstanden, an denen Jugendeinrichtungen, Träger, Abteilungen von Jugendämtern in
Kommunen in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich beteiligt waren.2
Wir verstehen die hier vorgestellten Methoden als sozialräumliche Analyse- und Beteiligungsmethoden, d.h. sie dienen einerseits der Analyse von Sozialräumen und ihrem
Verständnis insbesondere auf der qualitativen Ebene des Erlebens der Menschen. Andererseits werden in fast allen Methoden Kinder und Jugendliche als Experten ihrer Lebenswelt
beteiligt, d.h. sie werden nicht nur befragt, sondern in der Regel sind sie aktiv dabei und
beteiligen sich durch die Artikulation ihrer Einschätzungen, Empfindungen und Bedürfnisse im Hinblick auf eine sozialräumlichen Entwicklung.
Diese Methodensammlung versteht sich zudem als Unterstützungsangebot zur eigenständigen Erarbeitung eines methodischen Sets für eine Sozialraum-/Lebensweltanalyse. Es
ist möglich, interessierten Fachkräften diese Methoden als Materialpool zur Verfügung zu
stellen, damit sie damit arbeiten können. In zahlreichen Projekten hat es sich bewährt, die
Methoden in einer Werkstatt in Kleingruppen auf der Grundlage der Materialien zu bearbeiten. Nach einem ersten Schritt dieser Aneignung der Methoden über die Methodensammlung empfiehlt es sich, im Rahmen einer kleinen Feldstudie diese exemplarisch auszuprobieren (vgl. dazu der methodische Vorschlag in Deinet 2005).
Im Folgenden werden die Methoden zuerst kurz dargestellt, dann werden Chancen und
Risiken beleuchtet und Empfehlungen ergänzt.
1
Stadtteilbegehung
Die Stadtteilbegehung ist ein Beobachtungsverfahren, das im Unterschied beispielsweise zur
Stadtteilbegehung mit Kindern und Jugendlichen von den Fachkräften selbst durchgeführt
1
2
besonders in: Deinet, Ulrich/Krisch, Richard: Der sozialräumliche Blick der Jugendarbeit. Methoden und
Bausteine zur Konzeptentwicklung und Qualifizierung, Opladen 2002, Nachdruck Wiesbaden 2006 sowie in
Deinet, Ulrich: (Hrsg.): "Sozialräumliche Jugendarbeit. Grundlagen, Methoden, Praxiskonzepte“, 2., völlig
überarbeitete Auflage, Wiesbaden 2005
So wurden die den einzelnen Methoden zugeordneten Empfehlungen zusammen mit den Berliner Multiplikatorinnen für die sozialräumliche Konzeptentwicklung der Offenen Jugendarbeit entwickelt.
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wird, um Eindrücke und Wahrnehmungen aus dem Stadtteil/Sozialraum ihrer Einrichtung zu
sammeln. Ausgangspunkt ist auch die Feststellung, dass nur die wenigsten Fachkräfte in den
Stadtteilen/Sozialräumen leben, in denen sie arbeiten, d.h. sie pendeln ein und sehen ihren
Stadtteil/Sozialraum aus der institutionellen Brille ihrer jeweiligen Einrichtung und Arbeitsumgebung. Es handelt sich im Grunde um Stadtteilspaziergänge mit dem Ziel, möglichst
viele Eindrücke zu sammeln, um die (unterschiedlichen) Qualitäten von Orten wahrzunehmen. Im Verlauf vieler Projekte hat sich herausgestellt, dass eine besondere Qualität der
Stadtteilbegehung darin besteht, wenn die Fachkräfte aus Einrichtungen in eine Beobachterrolle hineinfinden, die im starken Gegensatz zu ihrer „normalen Rolle“ als agierende Fachkräfte besteht. Wenn es gelingt, eine solch ethnografische Haltung des sozialräumlichen
Blicks einzunehmen, empfinden es Fachkräfte als überaus interessant, den Stadtteil/Sozialraum zu beobachten, in dem sie zum Teil schon jahrelang arbeiten. Eine solche Haltung
muss geübt werden, um die üblichen Blockaden zu überwinden.
Eine Kontaktaufnahme zu Kindern, Jugendlichen oder anderen Zielgruppen steht deshalb nicht im Vordergrund dieser Methode, wobei natürlich ein Gespräch mit Jugendlichen an
einem öffentlichen Ort nicht „verboten“ sein sollte. Es geht also nicht darum, möglichst viele
Interviews zu führen oder sogar Jugendliche zu fragen, warum sie z.B. das Jugendhaus nicht
besuchen, sondern darum, Atmosphären, Orte und Räume auf sich wirken zu lassen, die Interaktion von Menschen zu beobachten und zu entsprechenden Rückschlüssen zu kommen.
Richard Krisch hat die Methode als „strukturierte Stadtteilbegehung“ (Krisch 1999,
S. 82-84) zu einem zweistufigen Verfahren weiter entwickelt, das nach der Beobachtungsphase eine Befragungsphase vorsieht: „Der Begriff `strukturiert´ bezieht sich dabei auf zwei
Aspekte des Verfahrens: Zum einen auf die Festlegung bestimmter Routen im Stadtteil, auf
die mehrmalige Begehung dieser Wege und Orte zu verschiedenen Zeiten, aber auch auf
die kontinuierliche Dokumentation der Beobachtungsrundgänge. Zum anderen soll durch
die Kombination von Beobachtungsrundgängen und den Begehungen mit Kindern und
Jugendlichen eine systematische Erforschung der vielschichtigen Wechselwirkungen sozialräumlicher Zusammenhänge erreicht werden“ (Krisch 2008, S. 128).
Eine strukturierte Stadtteilbegehung sollte immer von mindestens zwei Fachkräften
durchgeführt werden, am besten von einer männlichen und einer weiblichen, um so unterschiedliche Wahrnehmungen kommunizieren und festhalten zu können.
Von Bedeutung ist auch, sich die jeweiligen Strukturdaten zu den Sozialräumen, die
man begeht, vorher zu besorgen und auf dieser Grundlage Eindrücke und Interpretationen
zu ermöglichen, etwa wenn man weiß, wie viele Kinder und Jugendliche in bestimmten
Straßenzügen wohnen.
Ein interessantes Beispiel stammt aus einem Duisburger Stadtteil, wo zu Schuljahrsbeginn
Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe und die neuen Lehrkräfte der Gesamtschule gemeinsame Stadtteilbegehungen durchführten. Wenn dies regelmäßig geschieht, können
Einblicke gewonnen werden, die helfen, die institutionalisierte Sichtweise auf Sozialräume
als Stadtteile zu überwinden und die Aufmerksamkeit auf die Qualität von Orten und Räumen zu lenken.
Für die Öffnung von Schule, d.h. die Verortung von Schule im Sozialraum, sind solche
Einblicke ausgesprochen hilfreich, weil sie dazu dienen, die Lebenswelten von Kindern,
Jugendlichen und ihren Familien nicht nur gefiltert über die Perspektive der Schule wahrzunehmen, sondern eigenständige Einblicke und Eindrücke ermöglichen.
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Empfehlungen
Stadtteilbegehungen lassen sich gut mit Kooperationspartnern durchführen und bieten damit verschiedene Blickwinkel auf einen Stadtteil/Sozialraum. Es ist eine sinnvolle Methode, um gezielt Informationen zu sammeln.
Bei der Durchführung ist ein gewisser Zeitaufwand zu beachten: Die Begehungen sind
mehrmals durchzuführen und auch die Dokumentation muss zeitnah geschehen, um auch
alle Eindrücke und Kleinigkeiten festhalten zu können. Hierzu dienen relativ einfache Beobachtungsbögen, wie das folgende Beispiel zeigt:
Für Praktikant/innen und neue Kolleg/innen sind Stadtteilbegehungen gute Möglichkeiten,
um den Stadtteil/Sozialraum kennen zu lernen. Für schon länger im Stadtteil/Sozialraum
tätige Fachkräfte ist die strukturierte Stadtteilbegehung eine Möglichkeit, ihre Eindrücke
aus der Arbeit mit Zielgruppen/in Einrichtungen mit den Eindrücken im Stadtteil/Sozialraum zu vergleichen und Rückschlüsse zu ziehen. In zahlreichen Projekten haben
wir immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die Fachkräfte diese Methode zunächst eher
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ablehnen, weil sie keinen neuen Erkenntnisgewinn damit verbinden. Wenn sie sich dann
aber auf den sozialräumlichen Blick eingestellt haben (auch mit Hilfe von Übungen etc.,
s.o.), sind sie oft erstaunt über ihre Eindrücke und reagieren ausgesprochen positiv auf
diese Methode.
Beispiel: Das Team einer Einrichtung aus Duisburg berichtete darüber, dass sie im Rahmen einer Stadtteilbegehung Kontakt mit einer Gruppe von Jugendlichen aufgenommen
haben, die das Haus nicht besucht und auch nicht besuchen will. Die Mitarbeiter/innen
waren sehr beeindruckt, weil sie bisher keinen Kontakt zu diesen Jugendlichen hatten und
über die Gespräche erfuhren, dass diese sich mit einer Unterschriftenliste erfolglos um die
Zurverfügungstellung eines Raumes gekümmert hatten. In der Analyse wurde deutlich, dass
es nicht darum gehen kann, die Jugendlichen in die Einrichtungen zu holen, sondern möglicherweise darum, dass die Mitarbeiter/innen sich für die Jugendgruppe engagieren, in
dem sie z.B. Kontakte aufbauen und als „intermediäre Instanz“ bei der Beschaffung eines
geeigneten Raumes, evtl. auch danach zur Verfügung, stehen würden.
Der Verein Wiener Jugendzentren als größter Träger der Offenen Kinder- und Jugendarbeit
in Österreich hat in den meisten seiner Einrichtungen strukturierte Stadtteilbegehungen als
festen Bestandteil des Dienstplans eingeführt, so dass solche Begehungen nicht als zusätzliches Projekt durchgeführt werden, sondern Bestandteil der normalen Arbeit sind und somit
zu einer konsequenten sozialräumlichen Haltung führen.
2
Stadtteil-/Sozialraumbegehungen mit Kindern und Jugendlichen
Bei dieser Methode geht es darum, Orte und Räume sowie deren Qualitäten konsequent aus
Sicht von Kindern und Jugendlichen oder auch anderen Gruppen zu erforschen. Kinder und
Jugendliche werden als Experten ihrer Lebenswelt angesprochen und zeigen den Fachkräften ihren Sozialraum, ihre Orte, ihre Wege etc. Die dabei entstehenden Gespräche geben
Auskunft über das Raumerleben der jeweiligen Gruppen, es ergeben sich zudem Hinweise
auf andere Gruppen oder auch gemiedene Orte bzw. Angsträume. Behutsames Nachfragen,
aber nicht „Ausfragen“ der Kinder und Jugendlichen, der sensible Umgang mit deren Informationen und eine eher zurückhaltende Dokumentation sind hier erforderlich. Kinder,
Jugendliche oder andere Zielgruppen werden als Experten ihrer Lebenswelt in hohem Maße
beteiligt, sie sind die Aktiven, sie geben die Route vor und die Fachkräfte begleiten als
ethnografische Feldforscher/innen mit großem Interesse die „Eingeborenen“.
Interessante Ergebnisse erhält man durch Kontrastierung, d.h. in diesem Fall durch
Stadtteilbegehungen mit unterschiedlichen Altersgruppen, mit Mädchen und Jungen in
getrennten Gruppen bzw. anderen sinnvollen Aufteilungen. Die Gruppen dürfen nicht zu
groß sein, d.h. mehr als 6 Kinder und Jugendliche oder etwa auch ältere Menschen bilden
zusammen mit den Feldforscher/innen eine zu große Gruppe, es entstehen zu viele Einzelgespräche, so dass wir eine maximale Gruppengröße von insgesamt 8 Personen vorschlagen. Die Feldforscher/innen sollten auch hier zu zweit sein, um möglichst viele Eindrücke
aufnehmen zu können, aber auch um in Einzelgesprächen unterschiedliche Wahrnehmungen aufgreifen zu können. Die Dokumentation und Sicherung der Aussagen der Kinder und
Jugendlichen muss sehr zeitnah nach dem Rundgang erfolgen, weil es sinnvoll ist, sich
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während der Stadtteilbegehung allenfalls Notizen zu machen bzw. mit Hilfe eines Diktiergerätes wichtige Aussagen festzuhalten. Sinnvoll ist die Dokumentation der Wege bzw. der
Orte mit einer Kamera, so dass man später die Möglichkeit hat, den gesamten Weg noch
einmal mit Hilfe einzelner Fotos festzuhalten und entsprechende Kommentare und Interpretationen dazu zu geben. Wir warnen ausdrücklich vor einer Filmdokumentation, weil wir
immer wieder erlebt haben, dass sich das Medium Video in den Vordergrund schiebt und
aus der Stadtteilbegehung dann schnell ein kleines Filmprojekt wird (was natürlich eine
gute Idee sein kann!). Die Produktion eines kleinen Filmes ist aber ein aufwändiges Projekt
mit der Gefahr, dass dann die Analyse der Stadtteilbegehung in den Hintergrund tritt.
„Wird die Begehung mit mehreren Gruppen durchgeführt, können die begangenen Wege und
Orte auf einem Stadt(teil)plan eingetragen werden, wodurch ein komplexes Bild von Streifräumen, „Knotenpunkten“ oder aber gemiedenen Orten im Stadtteil entsteht. Die Zusammenfassung der Aussagen der verschiedenen, den Stadtteil begehenden Gruppen ermöglicht einen differenzierten Eindruck der sozialräumlichen Qualitäten der Treff- und Streifräume eines Stadtteils.“ (Krisch 2008, S. 79)
Stadtteilerkundungen mit Kindern und Jugendlichen lassen sich z.B. in der Jugendarbeit
sehr gut mit der alltäglichen Praxis verbinden, da sie in der Regel nicht länger als 1 bis 2
Stunden dauern. Zeitlich eingeplant werden muss aber eine zeitnahe Dokumentation und
Interpretation, weil sonst die Eindrücke aus den vielen Gesprächen mit den Kindern und
Jugendlichen an den unterschiedlichen Orten verloren gehen. „Stadtteilbegehungen bieten
sich aber auch für Projekte der Jugendarbeit an, in denen gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen Ausstellungen oder Dokumentationen über den Stadtteil erstellt werden“
(Krisch 2008, S. 80).
Stadtteilbegehungen eignen sich als Kooperationsprojekt zwischen Schule und Jugendarbeit, wenn es z.B. in einem gemeinsamen Projekt darum gehen soll, den Stadtteil mit
anderen Augen zu sehen und mehr zu erfahren. Die Stadtteilbegehung mit Kindern und
Jugendlichen hat für Lehrkräfte und Fachkräfte der Jugendhilfe den besonderen Effekt, dass
sie erleben, wie Kinder und Jugendliche ihren Sozialraum wahrnehmen, welche Qualitäten,
Barrieren etc. sie sehen oder wie sie Institutionen wahrnehmen. Aus den Einsichten in dieses subjektive Erleben können sich zahlreiche Themen und Anknüpfungspunkte für eine
Kooperation ergeben. Schulen nutzen z.B. Stadtteilbegehungen mit ihren Schülerinnen und
Schülern, um diesen Einrichtungen der Jugendarbeit u. Ä. zugänglich zu machen. Für die
Öffnung von Schule bietet dieser Blickwinkel eine über die Sichtweise von Institutionen
deutlich hinausgehende Perspektive und eine Außensicht von Schule.
Nicht nur die subjektiven Eindrücke, sondern auch die Geschichten, Mythen und
Ängste der Kinder und Jugendlichen haben hier ihren Platz und finden sich z.B. in der Beschreibung bestimmter Häuser wieder so wie in diesem Beispiel das Geisterhaus.
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Empfehlungen
Stadtteilbegehungen sind als „Dauermethode“ nicht nur im Rahmen von Sozialraumanalysen durchzuführen, sondern können immer wieder mit Kindern und Jugendlichen praktiziert werden. Die Stadtteilbegehung mit Kindern und Jugendlichen eignet sich als kooperative Methode nicht nur mit Schulen, sondern z.B. auch mit der mobilen Jugendarbeit/Streetwork, um das Blickfeld der Fachkräfte zu erweitern und gemeinsam die Ergebnisse zu interpretieren.
Die Methode führt je nach Jahreszeit und Wetterlage zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Die Einbeziehung und Motivation von älteren Jugendlichen gestaltet sich nicht
immer einfach!
Die Stadtteilbegehung ist eine gute Einstiegsmethode und lässt sich mit Nadelmethode
und Autofotografie sinnvoll kombinieren. Sie sollte Bestandteil der alltäglichen Arbeit werden, zeitliche und räumliche Vorgaben sollten aber im Vorfeld abgestimmt werden. Um Jugendliche zum mitmachen zu motivieren, kann die Methode mit einem Wettbewerb (z.B.
Fotowettbewerb) gekoppelt werden.
3
Befragung von Schlüsselpersonen
Ziel dieser Methode ist es, interessante Personen in einem Stadtteil/Sozialraum zum Reden
zu bringen, um ihre spezielle Sichtweise in eine Sozialraumanalyse mit einbeziehen zu
können. Dabei handelt es sich in der Regel um Erwachsene, auch ältere Menschen, die
einen ganz spezifischen Blickwinkel einnehmen, z.B. die Büdchenfrau im Rheinland, die
pensionierte Leiterin des Allgemeinen Sozialen Dienstes, die über viele Jahre die Entwick-
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lung des Stadtteils verfolgt hat, der Obdachlose, der den Stadtteil und seine Qualitäten ganz
anders wahrnimmt oder der türkische Kinderarzt, der seit 25 Jahren im Stadtteil praktiziert.
Es geht also weniger um offizielle Meinungen von Personen, die Institutionen vertreten, deren Sichtweisen natürlich auch von Interesse sind, denn „die sozialen Institutionen
einer Region bestimmen in einer oft unterschätzten Weise die Aneignungsmöglichkeiten
von Kindern und Jugendlichen eines Stadtteils. Mit der ihnen in der Öffentlichkeit zugeschriebenen Kompetenz sind sie maßgeblich an der Bewertung der Situation von Heranwachsenden in sozialräumlichen Zusammenhängen beteiligt“ (Krisch 2008, S. 117).
Die Befragung von Schlüsselpersonen ist eine relativ aufwändige Methode, die nur
von Fachkräften mit entsprechenden Kompetenzen durchgeführt werden sollte, weil hier
z.B. Kenntnisse biografischer Interviews erforderlich sind.
Wichtig ist das richtige Setting, d.h. ein Raum ohne Ablenkung und eine Zeitdauer
von ein bis zwei Stunden, damit die Experten zum Sprechen gebracht werden. Bei dem
Interview handelt es sich um eine Mischung aus leitfadengestütztem Interview und narrativem Interview, bei dem es auch darum geht, interessante Kleinigkeiten und Nebensätze
aufzunehmen sowie den Befragten die Möglichkeit zu lassen, eigene Themen anzusprechen. Bei der Institutionenbefragung handelt es sich um ein Experteninterview, das relativ
strukturiert erfolgen kann. Bei der Auswahl der Experten und den Themen sollte es gerade
darum gehen, interessante Blickwinkel aufzunehmen, die nicht in einem direkten Zusammenhang z.B. mit der Kinder- und Jugendarbeit stehen.
Beispiel: Nach der Durchführung von Stadtteilbegehungen und Nadelmethoden (s.u.) mit
Kindern und Jugendlichen konkretisierte sich die Fragestellung der Lebensweltanalyse
eines Mitarbeiters in einem Stadtteil in folgende Richtung: Welche Veränderungen haben
sich in den letzten Jahren in unserem Stadtteil ergeben, insbesondere in Bezug auf das
Leben der Familien? Dazu führte er dann mehrere Befragungen von Schlüsselpersonen
durch, z.B. mit einem türkischen Kinderarzt, der seit vielen Jahren in dem Stadtteil praktiziert, der keine Aussagen zur Kinder- und Jugendarbeit machen konnte, aber interessante
Einsichten in das Leben der Familien ermöglichte. Typisch für diese Schlüsselperson ist die
Eigenschaft einer spezifischen Sichtweise (als Kinderarzt mit einem Migrationshintergrund) und der damit verbundene Zugang und Blick auf bestimmte Zielgruppen. Es geht
also weniger um (kommunal-)politisch bedeutsame Personen in einem Stadtteil, sondern
eher um interessante Personen mit spezifischen Sichtweisen.
Die Befragung von Schlüsselpersonen ist im Gegensatz zur Nadelmethode oder zur Begehung mit Kindern und Jugendlichen keine Einstiegsmethode, sondern eher eine Methode im
Rahmen einer fortgeschrittenen Sozialraumanalyse, wenn weitergehende Fragestellungen
formuliert werden können.
Diese etwas aufwändigere Methode eignet sich z.B. im Kontext von Geschichts- und
Sachkundeunterricht vor dem Hintergrund der Ansätze von oral history oder der Methode
der Spurensuche, die die Entwicklung von Stadtteilen zu rekonstruieren versucht. Im Rahmen von Projekten lassen sich so Einblicke in die Entwicklung von Sozialräumen erforschen, die Teil von Geschichtswerkstätten u. ä. sein können und entsprechend präsentiert
werden können.
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Durch den Einsatz dieser Methoden werden differenzierte Sichtweisen auf den Sozialraum/Stadtteil gespiegelt. Neue Kooperationen werden ermöglicht und der Ausbau von
Netzwerken unterstützt. Die Befragung von Experten macht die persönlichen Sichtweisen
und Haltungen der Befragten gegenüber Kindern, Jugendlichen und anderen Gruppierungen
deutlich. Sie kann auch als Lobbyarbeit für Kinder- und Jugendinteressen wirken.
Die Fachkräfte müssen darauf achten, nicht den Eindruck zu erwecken, jedes angesprochene Problem lösen zu können. Außerdem gibt es immer wieder auftretende Probleme
in der Interviewsituation, wenn etwa andere Personen ungeplant hinzu kommen und die
Interviewsituation dadurch unübersichtlich wird.
Die Interviews sollten mitgeschnitten werden und können danach in einer vereinfachten Form dokumentiert werden. Eine wörtliche Transkribierung ist nicht unbedingt erforderlich weil zu zeitaufwändig. Das gesamte Interview sollte aber von zwei Fachkräften
noch einmal angehört werden, um dann interessante Passagen entweder als Zitat oder als
Paraphrase zu dokumentieren.
4
Nadelmethode
Mit Hilfe von farbigen Stecknadeln werden von Kindern, Jugendlichen oder anderen Zielgruppen auf Karten von Stadtteilen/Sozialräumen bestimmte Orte und Stellen markiert. Mit
der Frage nach bestimmten Orten (z.B. informellen Treffs bei Jugendlichen im Stadtteil/Sozialraum) kann auch eine erste Einschätzung der Qualitäten dieser Orte verbunden
werden, wenn z.B. nach Angsträumen oder unheimlichen Orten gefragt wird (vgl. Ortmann
1999, S. 76-77).
Die Nadelmethode ist eine ideale Einstiegsmethode einer Sozialraumanalyse, weil
damit die Zielgruppen sehr niederschwellig angesprochen werden, d.h. ohne großen Aufwand lassen sich Kinder, Jugendliche und weitere Personen dazu motivieren, bestimmte
Orte in einem Sozialraum zu kennzeichnen. Ein typisches Thema für den Einsatz der Nadelmethode wäre die Frage nach informellen Treffs von Jugendlichen in einem Stadtteil/Sozialraum. Entscheidend für den Erfolg der Nadelmethode ist die Fragestellung und
die damit verbundenen Kriterien, die in der Regel in unterschiedlichen Nadelfarben repräsentieren, ob Mädchen oder Jungen oder unterschiedliche Altersstufen die informellen Orte
markiert haben. Die Nadelmethode ist sowohl in Institutionen, z.B. in Jugendeinrichtungen
und Schulen, anwendbar als auch im öffentlichen Raum oder sogar als mobile Nadelmethode, wenn etwa Passanten auf bestimmte Orte in einem Stadtteil/Sozialraum angesprochen werden und diese dann auf einer vom Fragesteller mitgeführten Karte markieren.
Krisch (2008, S. 95) beschreibt die Methode so: „Das mobile Nadelprojekt ist ein äußerst animatives Verfahren, bei dem Menschen im öffentlichen Raum gebeten werden,
einen ausgewählten Ort auf einer Stadtteilkarte zu bezeichnen. Diese ist auf einer Styroporplatte etwa in der Größe eines A 3-Plakates befestigt. Verschiedenfarbige Nadeln sind bereits angebracht und können zum Nadeln entnommen werden. Mit der Platte in der Hand
kann auf PassantInnen oder herumstehende Personen zugegangen und diese angesprochen
werden. Während des Nadelns entstehen erste Gespräche mit den PassantInnen, die beispielsweise auch in einem Interview enden können“.
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Beispielweise wurden Erwachsene in einem unbekannten Stadtteil angesprochen und
gebeten, jene Orte zu kennzeichnen, die von Jugendlichen als Treffpunkte genutzt werden.
Mit einer zweiten Farbe sollten jene Plätze genadelt werden, wo es – nach Meinung der
PassantIinnen – des öfteren Konflikte zwischen Jugendlichen und Erwachsenen gibt. In
kürzester Zeit konnten so zentrale Geselligkeitsorte in Erfahrung gebracht werden. (Grafik
aus: Krisch 2008, S. 97).
Die Nadelmethode kann einen aktivierenden Charakter haben, wenn etwa Jugendliche in
ein Projekt einbezogen werden, bei dem es um die Verdrängung Jugendlicher aus dem
öffentlichen Raum geht:
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Foto und Projektentwicklung: Michael Trödel, Kreis Gütersloh
In einem Projekt ging es um die Vertreibung Jugendlicher von öffentlichen Plätzen. Die
Polizei hatte angekündigt, mit einem „Bericht zur Lage der Jugend“ in den Sozialausschuss zu gehen, das Jugendhaus hat darauf hin im Rahmen des Projektes die Situation aus
der Perspektive der Jugendlichen mit Hilfe der Nadelmethode darstellen und ihnen somit
eine Stimme verleihen können.
Wie bei den anderen Methoden geht es natürlich auch um die Gespräche, die entstehen,
wenn Jugendliche, Kinder oder Erwachsene ihre Nadeln stecken und es zu einer Kommunikation mit den Feldforscher/innen/Fachkräften kommt. Dafür muss auch das Setting stimmen, d.h. die Standorte und Situationen, in denen die Zielgruppen ihre Nadeln stecken,
müssen gut ausgewählt sein, um Gespräche möglich zu machen.
Auch wenn es möglich ist, die Nadeln auszuzählen und z.B. zu vergleichen zwischen
Jungen und Mädchen, so ist die Nadelmethode doch eine qualitative Methode, bei der es
vorrangig um Einschätzungen von Orten und Räumen geht, um deren Qualitäten, um Gespräche über solche Orte und Hinweise für Feldforscher/innen/Fachkräfte, um z.B. dann
solche Orte aufzusuchen und weiter zu forschen. Das Auszählen der Nadeln sollte deshalb
nur ein erster Schritt sein, das den qualitativen Aspekt der Methode nicht überlagern darf.
Andererseits können mit der Nadelmethode in relativ kurzer Zeit viele Kinder, Jugendliche
oder andere Menschen einbezogen werden, ähnlich wie in einer kurzen Befragung. Auch
hier bieten sich natürlich Kombinationsmöglichkeiten mit anderen Methoden an; die Nadelmethode hat sich in zahlreichen Projekten aber als ideale Einstiegsmethode bewährt.
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Empfehlungen
Die Nadelmethode ermöglicht die aktive Einbeziehung von Kindern, Jugendlichen und
Erwachsenen und führt mit einem geringen Aufwand zu schnellen Ergebnissen.
Die Nadelmethode gibt einen guten Überblick, hat aber wenig Erkenntnistiefe in Bezug auf die Qualitäten einzelner Orte. Es können aber wichtige Hinweise für weiterführende Methoden entstehen, etwa für strukturierte Stadtteilbegehungen, um die Orte z.B. durch
Befragungen näher zu erforschen.
Die Nadelmethode eignet sich besonders für den Einstieg in eine Sozialraumanalyse.
Zu empfehlen ist es, sie mit anderen Methoden zu kombinieren und nicht nur in Einrichtungen, sondern auch im öffentlichen Raum anzuwenden. Zielsetzungen und Fragestellungen sollten präzise formuliert sein.
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Subjektive Landkarten
Kinder, Jugendliche, Erwachsene, auch ältere Menschen, können mit dieser Methode motiviert werden, ihren subjektiven Lebensraum zu zeichnen oder zu malen, um damit subjektiv
bedeutsame Orte und Räume zu markieren und individuelle Bedeutungen und Wahrnehmungen des Wohnumfeldes wie z.B. Spiel- und Aufenthaltsorte, Angsträume etc. deutlich
zu machen.
Die Methode stellt eine vereinfachte Variante der qualitativen Forschungsmethode:
narrative Landkarte dar. Die besondere Leistung dieser Methode besteht darin, dass mit
ihrer Hilfe die unmittelbare Lebenswelt von Menschen aus ihrer subjektiven Sicht dargestellt werden kann. Die Umwelt der befragten Personen kann vielschichtig erfasst werden,
z.B. aus einer räumlichen oder sozialen Perspektive heraus. Entwickelt wurde diese Forschungsform in einem Projekt zur sozialwissenschaftlichen/pädagogischen Kindheitsforschung, Urheber sind I. Behnken und J. Zinnecker (1997).
Die vereinfachte Form der auch Mentalmaps bzw. Spielweltpläne genannten subjektiven Landkarten wurde von Hiltrud von Spiegel für die Erforschung kindlicher Lebenswelten entwickelt (von Spiegel 1997).
Ähnlich wie in der anspruchsvolleren, qualitativen Forschungsmethode werden Personen motiviert, zunächst in einer Stegreifzeichnung wichtige Orte in ihrem Lebensumfeld zu
markieren, in der Regel ausgehend von einem Fixpunkt wie beispielsweise der Wohnung
oder einer Jugendfreizeiteinrichtung. Solche Zeichnungen haben gerade nicht den Anspruch
einer maßgeblichen Wiedergabe der geographischen Bedingungen eines Sozialraums, sondern stellen subjektives Erleben dar, so dass Distanzen, Größen von Häusern etc. zum Teil
insbesondere bei kindlichen Zeichnungen sehr unterschiedlich proportioniert sind.
In einem zweiten Schritt geht es um die Weiterentwicklung des Bildes bzw. der Skizze
durch Nachfragen und durch das Eintragen von Details, z.B. durch verschiedene Farben etc.
Es entsteht eine Kommunikation zwischen den feldforschenden Fachkräften und den Probanden zu deren Zeichnungen und weiteren Details. In einem dritten Schritt werden durch
die aktivierten Personen Bewertungen vorgenommen und ein gemeinsames Resümee gezogen.
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Die Methode folgt der Darstellung subjektiver Lebensräume und kann sehr gut mit den
beiden sozialökologischen Modellen (Zonenmodell von Barke und Inselmodell von Zeiher)
interpretiert werden. So geht es bei Kindern oft um die Erweiterung des Handlungsraumes,
die dabei auftretenden Barrieren, aber auch neue interessante Orte, die sich sozusagen zonenförmig um die Wohnung bilden. Bei Jugendlichen und Erwachsenen zeigen die Bilder
oft unterschiedliche Räume und Orte, die wie im Inselmodell vielfach keinen direkten geographischen Zusammenhang haben. Damit besteht die besondere Chance der subjektiven
Landkarten darin, auch andere Lebensräume, z.B. virtuelle Räume (Chatroom u. Ä.) oder
außerhalb des direkten Wohnumfeldes liegende Lebensräume (etwa die jährlich besuchte
zweite marokkanische Heimat eines Jugendlichen) aufzugreifen.
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Das folgende Beispiel zeigt die subjektiven Landkarten von 14-jährigen Mädchen in einer
Mädchengruppe, die sogar selbst auf die Idee gekommen sind, eine Legende einzufügen,
die die Bedeutung einzelner Bereiche sehr schön zeigt. In einer Gruppendiskussion zu den
einzeln erstellten Landkarten wurde immer wieder die so genannte „Höllenschlucht“ thematisiert, ein unbeleuchteter Durchgang zwischen zwei Hochhäusern, der für die Mädchen
einen Angstraum darstellte. Hier führte die Auswertung und Interpretation der Methode zu
einer direkten Aktion, weil in einem angemessenen Zeitraum in Kooperation zwischen Jugendarbeit und Quartiersmanagement eine Beleuchtung in dem Durchgang angebracht
werden konnte.
Empfehlungen
Die Lebensräume einzelner Kinder und Jugendlicher – auch über den Stadtteil/Sozialraum
hinaus – werden sichtbar, ebenso können Netzwerke deutlich werden.
Die Teilnehmer/innen teilen eher persönliche und individuelle Informationen und damit auch Problemlagen mit. Jugendliche sind oft schwer zum Zeichnen/Malen zu motivieren (hier muss deutlich gemacht werden, dass es nicht um schöne Bilder geht), deshalb
verweisen wir an dieser Stelle auch auf Methoden, die stärker die neuen Medien einsetzen.
Die subjektiven Landkarten sind eine interessante Methode, die nach der Einstiegsphase einer Sozialraumanalyse angewandt werden kann, um spezifischen Fragestellungen
nachzugehen oder die Lebenswelten bestimmter Gruppen zu erkunden. Gerade in festen
Gruppenzusammenhängen, etwa Mädchengruppen in der Jugendarbeit oder sozialen Grup-
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Ulrich Deinet
penarbeit in den Hilfen zur Erziehung, aber auch in Schulklassen, ist sie gut anwendbar;
allerdings dürfen die Gruppen nicht zu groß sein.
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Autofotografie
Bei dieser Methode geht es darum, dass die Bewohner/innen bestimmte Orte ihres Stadtteils/Sozialraums fotografieren und anschließend die Abbildungen kommentieren, damit so
ihre Bewertungen und Eindrücke und die Qualitäten der fotografierten Räume und Orte
deutlich werden. Dieses von Hiltrud von Spiegel (1997) beschriebene Verfahren eignet sich
sowohl in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, aber auch mit Erwachsenen und Senioren. Anstelle der bislang üblichen Einwegkameras können heute natürlich auch Digitalkameras benutzt werden, wobei dann im Rahmen eines Projektes sichergestellt werden muss,
dass die Fotos auch entsprechend bearbeitet werden können. In der Arbeit mit Kindern
beschreibt von Spiegel folgende Vorgehensweise:
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„Kinder erhalten den Auftrag, Personen, Dinge und Umgebungen zu fotografieren, die
etwas von ihnen selbst ausdrücken oder die Teil von ihnen sind.
Die Einführung kann über eine Geschichte laufen, in der von einer Tante in Australien
die Rede ist, die noch nie hier war und die auch nicht deutsch spricht. Dieser Tante
soll eine Fotogeschichte geschickt werden, die etwas über das tägliche Leben der Kinder und ihre Persönlichkeit aussagt.
Die Kinder erhalten einen geladenen Fotoapparat, den sie für eine verabredete Zeit
alleine handhaben dürfen. Sie können ihn also auch mit nach Hause nehmen um dort
zu fotografieren.
Die Pädagog/en/innen verabreden einen Rückgabezeitpunkt.
Sie übernehmen die Kamera und entwickeln die Fotos.
Ein verabredeter Treff dient dem gemeinsamen Gespräch über die Fotoserie; die Kinder können die Fotos erläutern und interpretieren.
Eine Aufzeichnung der Auswertungsgespräche ist wünschenswert“ (von Spiegel 1997,
S. 191).
Die in der qualitativen Sozialforschung vielfach übliche Gruppendiskussion gehört auf
jeden Fall zur Auswertung des Einsatzes dieser Methode. Erst wenn Kinder, Jugendliche
und Erwachsene die von ihnen gemachten Fotos erklären und beim gemeinsamen Anschauen ihre Interpretationen und Wahrnehmungen kommunizieren können, hat die Methode im
Rahmen einer Sozialraumanalyse einen eigenen Wert. Varianten dieser Methode sind z.B.
die bekannten Spielplatzbewertungen durch Kinder, wo diese ebenfalls mit Fotos Spielplätze und deren Ausstattung etc. dokumentieren und bewerten.
Verbunden wird die Methode der Autofotografie oft mit Projekten der Öffentlichkeitsarbeit, in dem die Arbeiten der Kinder dann entsprechend präsentiert werden. In unserem
Zusammenhang einer Sozialraum-/Lebensweltanalyse stehen allerdings die gemeinsamen
Interpretationen im Vordergrund sowie Vergleiche und Kontrastierungen zwischen den
Eindrücken unterschiedlicher Gruppen (vgl. Stadtteilbegehung mit Kindern und Jugendlichen). Das Medium der Fotografie eröffnet noch einmal neue Möglichkeiten auch für Kinder und Jugendliche, die sprachlich weniger gewandt sind und anstatt einer guten Beschreibung hier interessante Fotos machen. Alle Erfahrungen zeigen, dass auch Kinder nach rela-
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tiv kurzer Zeit in der Lage sind, mit Kameras zu arbeiten und auswertbare Fotos zu produzieren.
Beispiel: In einem Stadtteil werden im Rahmen einer sozialräumlichen Konzeptentwicklung
von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einer Einrichtung der offenen Arbeit mit Kindern
unterschiedliche Methoden zur Sozialraumanalyse durchgeführt. Bei einer dieser Methoden
handelt es sich um die Methode der Autofotografie, bei der Kindergruppen motiviert und
angeleitet werden, mit Einwegkameras wichtige Eindrücke aus ihrer Lebenswelt festzuhalten. In der Kooperation mit einer Grundschule wurde diese Methode durchgeführt und die
Fotos ausgewertet. Neben der typischen kindlichen Sichtweise des eigenen Sozialraums
wurden dabei auch Problembereiche deutlich, die vorher unbekannt waren. So gab es immer wieder Fotos aus dem Umfeld einer Grundschule, die mit einer Schule für Körperbehinderte dicht zusammen liegt. Typisch für die dortigen Fotografien war die Unterschrift
„Hier hat mir mal ein Behinderter hinterher geschrieen“. Diese und ähnliche Aussagen
machten deutlich, dass viele Kinder Ängste im Kontakt mit körperbehinderten Kindern
haben und sich dies über unterschiedliche Fotos in einem bestimmten Bereich des Stadtteils
ausdrückte. Dieser Angstraum war weder dem Lehrerkollegium noch der Jugendarbeit
vorher bekannt und führte in der Auswertung zur Planung eines gemeinsamen Projektes,
um Ängste bei den Kindern abzubauen und Kontakte herzustellen.
Empfehlungen
Die Methode lässt sich gut in Zusammenarbeit mit Institutionen wie der Schule durchführen. Zwischen Feldforscher/innen/Fachkräften und Kindern und Jugendlichen müssen bereits Kontakte hergestellt sein, so dass die Methode am besten mit vorhandenen Gruppen,
etwa einer Mädchengruppe oder einer Schulklasse durchgeführt werden kann. Ganz offene
Situationen sind zu unverbindlich; hier gehen nicht nur Einwegkameras verloren, auch die
Gruppendiskussion kommt in der Regel nicht zustande und so können keine Ergebnisse
produziert werden.
Aufträge und Rahmengeschichte müssen klar formuliert werden und den Altersgruppen angepasst sein. Die oben genannte Rahmengeschichte einer Tante aus Australien ist
eben nur für Kinder geeignet. Für Jugendliche kann man die Methode auch abwandeln,
indem Handykameras eingesetzt werden oder noch weitergehend, wenn die von den Jugendlichen gemachten Fotos dann digital in virtuelle Stadtpläne eingestellt werden und dort
interpretiert werden können (vgl. dazu „Kiezatlas“).
Die Autofotografie eignet sich gut als Kooperationsprojekt, dabei sollten aber die Ergebnisse den unterschiedlichen Kooperationspartnern sichtbar gemacht werden (z.B. durch
eine Fotoausstellung). Dies kann auch im Sinne einer Lobbyarbeit für Kinder- und Jugendinteressen genutzt werden.
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Cliquenraster
Die Frage, welche Jugendkulturen, Szenen und Cliquen in einem Stadtteil/Sozialraum zu
finden sind, ist eine typische aus der Jugendarbeit, weil es oft darum geht, für Einrichtungen neue Zielgruppen zu erschließen bzw. Jugendliche anzusprechen. Ziel der Methode ist
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es, einen Überblick zu bekommen, welche Jugendkulturen, Szenen und Cliquen sich wo in
einem Stadtteil/Sozialraum aufhalten, welche Räume sie für sich geschaffen haben, ob sie
im öffentlichen Raum sichtbar sind (etwa wie Skater oder Sprayer) oder ob sie eher virtuelle Räume nutzen und im öffentlichen Raum sozusagen unsichtbar sind. „Das Erkenntnisinteresse richtet sich zwar auch auf ‚objektive‘ Merkmale wie Gruppengrößen, Alter, Geschlecht, soziale Herkunft etc., es betont aber vor allem lebensweltliche und sozialräumliche Dimensionen, welche sich in Treffpunkten, Musikstilen, Symbolen, Abgrenzung gegenüber anderen etc. vermitteln“.(Krisch 2008, S. 98)
Die Methode besteht aus Beobachtungen und Befragungen von Jugendlichen an verschiedenen Orten, etwa in Jugendeinrichtungen, im öffentlichen Raum und an Schulen;
diese werden befragt nach ihrer Zugehörigkeit zu Kulturen, Szenen und Cliquen, aber auch
nach anderen Gruppen, deren Aufenthaltsorte und evtl. Abgrenzungen.
Im Idealfall entsteht eine facettenreiche Beschreibung vieler Kulturen, Szenen und
Cliquen eines Stadtteils/Sozialraums mit vielfach vorher unbekannten Informationen und
Hinweisen, insbesondere im Hinblick auf solche Gruppierungen, die im öffentlichen Raum
oder in Einrichtungen nicht präsent sind. Solche Raster sollten einheitliche Kriterien enthalten (s. Anlage), um so einen systematischen Überblick zu ermöglichen. Der Anspruch besteht aber nicht darin, in einem quantitativen Sinne zu einer Erfassung aller Kulturen, Szenen und Cliquen zu kommen. Dieses widerspricht auch der Dynamik der Jugendlichen, die
nicht selten unterschiedlichen Szenen und Cliquen gleichzeitig angehören, diese oft wechseln und es insgesamt kaum möglich ist, ein komplettes Bild zu erstellen. Gerade die Kooperation mit Schulen, aber auch mit der mobilen Jugendarbeit oder das eigenständige
Erforschen von Räumen und Orten im Stadtteil/Sozialraum öffnet das Verständnis oder
zunächst die Neugier, da viele Kulturen, Szenen und Cliquen auch in den Einrichtungen der
Jugendarbeit oft unbekannt sind: „Die vielschichtige Beschreibung der Jugendkulturen und
ihren wechselseitigen Beziehungen führt zu einem besseren Verständnis der sozialräumlichen Aneignungsprozesse der Jugendlichen. Aber auch die Veränderungen der NutzerInnengruppen eines Ortes, bspw. eines belebten Parks, können durch die Überprüfung der
sog. Cliquenportraits nach einem gewissen Zeitabstand erkannt werden“ (Krisch 2008, S. 98).
Das vorgeschlagene Cliquenraster gibt zwar einen Überblick über diese Seite eines
Stadtteils/Sozialraums, die Informationen sind aber meistens aus Selbstthematisierungen
von Jugendlichen in Interviews oder Gruppendiskussionen entstanden und deshalb entsprechend vorsichtig zu behandeln. So gibt es in jedem Sozialraum/Stadtteil Mythen und Storys
über Szenen und Cliquen, deren Realitätsgehalt nur schwer einzuschätzen ist. Das Eintragen in ein Cliquenraster gibt einerseits Übersicht, täuscht aber andererseits auch eine Art
von Objektivität der Darstellung dar, die so nicht gewährleistet ist und auch nicht erreicht
werden soll. Insbesondere die Dynamik jugendlicher Entwicklung kann mit einem solchen
Raster nicht eingefangen werden, es stellt bestenfalls eine Momentaufnahme zur Existenz
jugendlicher Kulturen, Szenen und Cliquen zu einem bestimmten Zeitpunkt dar und könnte
drei Monate später wieder ganz anders aussehen. Diese Aspekte sind besonders dann zu
beachten, wenn die Ergebnisse Kooperationspartnern, etwa Schulen, vorgestellt werden
oder wenn im kommunalpolitischen Raum der Eindruck vermieden werden soll, es handele
sich um objektive Beschreibungen.
Die Durchführung eines Cliquenrasters mit einer Schulklasse ist relativ einfach und
verschafft Einblicke in das Erleben von Jugendlichen und ihre Wahrnehmung bzw. Zugehörigkeit zu Cliquen und Szenen, die eine differenziertere Beschreibung ermöglicht als das
bekannte Bild von Schülerinnen und Schülern.
Analyse- und Beteiligungsmethoden
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Empfehlungen
Die Methode vermittelt einen guten Überblick über die verschiedenen Gruppen im Sozialraum. Sie ermöglicht Aussagen über die Lebenssituationen und intensiviert die Zusammenarbeit mit möglichen Kooperationspartnern.
Durch die Zuordnung von Jugendlichen zu bestimmten Szenen, Cliquen, jugendkulturellen Orientierungen besteht die Gefahr, dass Jugendliche quasi in eine Rolle gedrängt
werden, wenn sie z.B. als Skater typisiert werden. Die Erarbeitung eines Cliquenrasters
stellt deshalb nur den (interessanten) Überblick über bestimmte Szeneorientierungen zu
einem bestimmten Zeitpunkt zur Verfügung und darf nicht als „objektive Beschreibung“
falsch eingeschätzt werden.
Das Cliquenraster ist nicht als Einstiegsmethode in eine Lebensweltanalyse geeignet,
sondern bietet weitergehende, interessante Einblicke in bestimmte Seiten des Lebens in
einem Sozialraum. Bei der Zielsetzung sind die o.g. Risiken einzubeziehen und man sollte
vorsichtig mit der jugendlichen Selbstthematisierung umgehen, insbesondere bei der Präsentation der Ergebnisse. Eine interessante Variante besteht in der Einbeziehung der Jugendlichen selbst (vgl. das Scout-Projekt in Deinet 2005, S. 251 ff.).
Die Zielsetzung des Cliquenrasters kann also nur in einer Momentaufnahme der jugendlichen kulturellen Szenen und Cliquen bestehen und nicht in einer Kategorisierung, die
für eine Lebensweltanalyse auch nicht sinnvoll ist.
Ein interessantes Beispiel aus einem aktuellen Projekt einer Sozialraum-/Lebensweltanalyse ist eine Gruppe aus Feldforscher/innen/Fachkräften, die sich mit virtuellen Räumen
beschäftigt hat und versuchte, herauszufinden, welche Chatrooms, Portale etc. von Jugendlichen in einem bestimmten Sozialraum/Stadtteil genutzt werden, wie sie sich dort präsentieren und welche Qualitäten, aber auch Gefahren dort bestehen.
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Zeitbudgets von Kindern und Jugendlichen
Auch bei dieser Methode handelt es sich um eine vereinfachte Methode der qualitativen
Sozialforschung (Timesample). Kinder, Jugendliche oder Erwachsene werden gebeten,
ihren täglichen Zeitablauf in einen Plan einzutragen, um damit ihre zeitlichen Dispositionen
sichtbar zu machen. Die Methode, die bei Hiltrud von Spiegel als Zeitbudgets von Kindern
beschrieben wird, soll Aufschluss geben über die pflichtfreie Zeit von Kindern und Jugendlichen bzw. über die Aufteilung ihrer gesamten Tageszeit. Daraus ergeben sich Hinweise,
wo und wie Kinder und Jugendliche ihre Freizeit verbringen. Die Frage nach dem Zeitbudget von Kindern und Jugendlichen ist aus Sicht der Kinder- und Jugendarbeit aktuell von
großer Bedeutung, weil sich viele Einrichtungen fragen, inwiefern ihre Angebote noch
Platz haben im Zeitbudget von Kindern und Jugendlichen, die z.B. Ganztagsschulen besuchen. Zeitbudgets lassen sich auch als Kooperationsprojekt zwischen Jugendarbeit und
Schule realisieren wie das folgende Beispiel zeigt:
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Ulrich Deinet
Ein Beispiel aus dieser Sozialraum-/Lebenswelterkundung bezog sich auf die Ernährungssituation vieler Kinder. Es war schon vorher klar, dass die Ernährungssituation der Kinder
und Familien zumindest in der Woche über durch Fastfood gekennzeichnet ist. Über die
Methode „Zeitbudget“, in der Kinder Wochenpläne bzw. Tagespläne mit Symbolen für die
jeweiligen Tätigkeiten versehen, wurde deutlich, dass auch die Ernährungssituation am
Wochenende in den Familien sehr ungenügend ist. Dies war das Ergebnis der Auswertung
vieler Tagespläne der Kinder, die für das Essen ein bestimmtes Symbol benutzten und dieses Symbol dann auch entsprechend beschrifteten („Was gab es zu essen? Welche Mahlzeiten?“). So entstand bei Lehrerkollegen und der Kinder- und Jugendarbeit ein Bild, das
deutlich machte, dass die Gesundheits-/Ernährungssituation ein Thema ist, das von den
Institutionen aufgegriffen werden muss. Aus diesem Thema ergaben sich unterschiedliche
Projekte, etwa ein Frühstück in zwei Grundschulen sowie eine zusätzliche Über-MittagBetreuung in der Einrichtung der offenen Arbeit mit Kindern.
Gerade bei Kindern ist es wichtig, eine animative Form zu finden, etwa Sticker für verschiedene Tätigkeiten im Tagesablauf, die dann in einen Tagesplan eingeklebt werden
können.
Richard Krisch hat diese Methode auch bei Jugendlichen angewandt: „Jugendliche
tragen in einer entsprechend strukturierten Vorlage ihren Tagesablauf an mehreren ausgewählten Tagen ein. Dabei werden in einem – an ein Koordinatensystem angelehnten – Raster mit Stundeneinteilungen sowohl die Tätigkeiten wie auch die damit verbundenen Orte
oder Regionen festgehalten … . Beschreiben die Jugendlichen ihre Zeit-Raum-Diagramme
auch stichwortartig, so liefern die Eintragungen auch bedeutende Informationen über ihre
präferierten Freizeitorte bzw. aber auch über ihre Aktivitäten“ (Krisch 2008, S. 154).
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Analyse- und Beteiligungsmethoden
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Beispiel für ein Zeitbudgetdiagramm:
In folgendem Beispiel ging es darum, die Lebenswelten von Mädchen zu erkunden, die
einen sehr strukturierten Tagesablauf haben, um herauszufinden, inwieweit überhaupt noch
zeitliche Ressourcen bei den Mädchen zur Verfügung stehen, damit sie etwa Angebote der
Jugendarbeit nutzen können. Die Zeitpläne der beiden Mädchen (s. Grafik) zeigen deutlich,
wie verplant die Woche dieser Mädchen ist. Sie zeigen auch, wie sehr strukturiert die Mädchen ihre Freizeit gestalten und ermöglichen somit Einblicke in Lebenswelten von Mädchen, die eher keine typischen Besucher/innen von Jugendeinrichtungen sind.
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Ulrich Deinet
Empfehlungen
Durch diese Methode lassen sich viele (teilweise repräsentative) Aussagen über das Freizeitverhalten und die Lebenswelten der jeweiligen Zielgruppe treffen. Die jeweiligen Ergebnisse könnten für die Planung von Öffnungszeiten und Angeboten wichtig sein. Oft
liegen mehr Aussagen vor als erwartet. Hieraus lassen sich weitere Fragen zur Konzeptentwicklung ableiten.
Die Methode ist für die Zusammenarbeit mit „Schule“ gut geeignet. Es lassen sich aber auch viele andere Kooperationspartner beteiligen. Kinder und Jugendliche werden aktiv
an der Umsetzung beteiligt. Der Arbeitsaufwand bei der Auswertung ist hoch.
Zielgruppe und Zielsetzung sollten im Vorfeld eindeutig bestimmt werden. Die Fragestellung muss genau sein. Die Anzahl der Teilnehmer/innen und der Fragen sollte begrenzt
sein. Bei einer Befragung an Schulen sind die Themen vorab mit Lehrer/innen und Sozialarbeiter/innen abzustimmen und hinterher auszuwerten.
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Fremdbilderkundung
Die von Richard Krisch entwickelte Fremdbilderkundung (Krisch 1999, S. 148-154) ist ein
Methodenset, in dem es darum geht, die Außenwahrnehmung von Institutionen, etwa einer
Kinder- und Jugendeinrichtung mittels Befragungen unterschiedlicher Zielgruppen festzustellen. In einer Sozialraum-/Lebensweltanalyse ist es für diese und andere Einrichtungen
sehr wichtig zu wissen, wie sie von außen, d.h. von bestimmten Zielgruppen, aber auch von
anderen Institutionen im Stadtteil/Sozialraum gesehen werden. Ausgangspunkt ist die Einschätzung, dass es starke Unterschiede in der Fremd- und Selbstwahrnehmung von Institutionen gibt, die sich auch auf die sozialpädagogische Praxis, etwa die Erreichbarkeit oder Ansprechbarkeit für bestimmte Zielgruppen auswirken. Nicht nur im Bereich der Kinder- und
Jugendarbeit wird das Image bestimmter Institutionen über Jahre, manchmal über Jahrzehnte
von bestimmten Vorfällen oder Ereignissen geprägt, die so im Rahmen einer Sozialraum/Lebensweltanalyse identifiziert werden können und die Basis für Veränderungen bilden.
Analyse- und Beteiligungsmethoden
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Die Fremdbilderkundung besteht aus strukturierten Befragungen unterschiedlicher
Zielgruppen, die eine bestimmte Institution nutzen, wie etwa Kinder und Jugendliche eine
Jugendeinrichtung, aber auch Zielgruppen, die Institutionen als Nachbarn oder Anwohner
wahrnehmen bzw. fachlich in Stadtteilkonferenzen etc. Insofern sind die Ergebnisse der
Fremdbilderkundung in der Regel interessant für die fachliche Weiterentwicklung von
Einrichtungen: „Im Rahmen einer Konzeptentwicklung, die auf eine Öffnung gegenüber
dem Stadtteil abzielt, ist die Fremdbilderkundung eine zentrale Methode, da sie sowohl
Zielgruppen und Themen der anstehenden Öffentlichkeitsarbeit bestimmt, als auch die
kritische Reflexion von häufig genannten Defizit-Zuschreibungen ermöglicht“ (Krisch
2008, S. 168).
Empfehlungen
Durch die Fremdbilderkundung erhalten die Mitarbeiter/innen ein Bild über das Image ihrer
Einrichtung in der Öffentlichkeit. Die Sichtweisen anderer auf die Einrichtung werden
deutlich. Sie bietet viel Spielraum für weitere Entwicklung, da oft ganz neue Themen auf
den Tisch kommen.
Werden Fragebögen bzw. Befragungen in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen
und Trägern durchgeführt, ist dies ein guter Einstieg in eine Kooperationsbeziehung. Durch
die Präsenz im öffentlichen Raum während der Umsetzungsphase ist die Fremdbilderkundung eine gute Form der Öffentlichkeitsarbeit.
Die Fremdbilderkundung ist in Vorbereitung, Planung, Umsetzung und Auswertung
sehr arbeitsintensiv. Von daher sollte man sich auf einige wenige Fragen beschränken, um
sich nicht zu verzetteln. Oft sind die Fragebögen für Kinder schwierig auszufüllen.
Wer den Fragebogen bzw. Interviewleitfaden entwickelt, sollte auch die Befragungen
selbst durchführen. Bezieht man Kinder und Jugendliche in die Durchführung mit ein,
brauchen diese eine gute Vorbereitung. Auch ein Übungsdurchgang sollte vorher durchgeführt werden.
Bei Beteiligung anderer Kooperationspartner sind im Vorfeld Absprachen und Vorbereitungen notwendig. Bei Befragungen in halböffentlichen Räumen wie Einkaufscenter etc.
ist ein vorheriges Einverständnis einzuholen.
Literatur
Deinet, Ulrich (2005) (Hrsg.): Sozialräumliche Jugendarbeit. Grundlagen, Methoden, Praxiskonzepte, 2., völlig überarbeitete Auflage, Wiesbaden
Deinet, Ulrich/Krisch, Richard (2002): Der sozialräumliche Blick der Jugendarbeit. Methoden und
Bausteine zur Konzeptentwicklung und Qualifizierung, Opladen
Krisch, Richard (2005): Methoden qualitativer Sozialraumanalyse als zentraler Baustein der Konzeptentwicklung, in: Deinet, Ulrich (2005) (Hrsg.): Sozialräumliche Jugendarbeit. Grundlagen,
Methoden, Praxiskonzepte, 2., völlig überarbeitete Auflage, Wiesbaden, S. 331-340
Krisch, Richard (2006): Sozialraumorientierung als Methodologie der Jugendarbeit, Dissertation
zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Philosophie (Dr. phil.) an der Fakultät für
Erziehungswissenschaften der Technischen Universität Dresden
Krisch, Richard (2008): Sozialräumliche Methodik der Jugendarbeit. Weinheim und München
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Ulrich Deinet
Krisch, Richard (2008b): Wie geht’s weiter? Perspektiven sozialräumlicher Jugendarbeit. In: Sozial
Extra – Zeitschrift für Soziale Arbeit 1/2 08. Wiesbaden 2008b, S. 24-26
Ortmann, N.,: Die Stadtteilerkundung mit Schlüsselpersonen; Nadelmethode; Jugendkulturenkataster; Leitfaden-Interview mit Schlüsselpersonen, in: Deinet, Ulrich: Sozialräumliche Jugendarbeit. Eine praxisbezogene Anleitung zur Konzeptentwicklung in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, Opladen, 1999, S.74 ff.
Ortmann Norbert: Planung in der offenen Jugendarbeit – nicht zwangsläufig phantasielos, in: Deutsche Jugend. 7/91. S. 396 ff
Spiegel, Hiltrud von: Offene Arbeit mit Kindern – (k)ein Kinderspiel, Münster 1997