Der eiskalte Einbrecher - Geheimwissen Schlüsseldienst

Impressum
Originalausgabe
Erste Auflage 2007
Autor: Michael Bübl
Eigenverlag Wien
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95922-130-5
www.geheimwissen.at
EINDRINGLICHE
WARNUNG
NIEMALS
NACHMACHEN!
Der Autor, der Verleger und alle Personen,
die am Entstehen und am Vertrieb dieses
Buches beteiligt waren, warnen hiermit
eindringlich vorm Nachahmen der in diesem
Werk vorgestellten Methoden. Einbruch und
Diebstahl
sind
schwere,
gemeine
Verbrechen!
Alle hier gezeigten Methoden zur Öffnung
von Schlössern und Tresoren sind vom
Autor persönlich vorgenommen worden,
und
sind
garantiert
Hundertprozent
erfolgreich. Die vorgestellte Taktik zur
Erzeugung von Nachschlüssel hat ebenfalls
Erfolg. Zum Teil sind es eigene Erfindungen
und Entdeckungen des Autors. Jedoch
bedenken Sie: Sämtliche Aufträge des
Autors, die eine solche Arbeitsweise
notwendig machten, führte er legal und
legitimiert aus. Seine außergewöhnlichen
Fähigkeiten und Kenntnisse für ein
Verbrechen einzusetzen sind für den Autor
absolut undenkbar.
Die ganze Geschichte ist fiktiv und frei
erfunden. Es gibt weder Phil, noch die
schöne Kelly und auch Marcus ist nicht real.
Rein theoretisch wäre es jedoch möglich,
mit tiefer Sachkenntnis, handwerklichem
Geschick
und
umfangreichen
Sicherheitsverständnis,
ein
solches
Verbrechen zu begehen. Es wird hier
nochmals sogenannten Trittbrettfahrern
dringend abgeraten den Romanfiguren die
Taten nachzumachen und Straftaten zu
begehen. Einbruch wird mit jahrelangem
Kerker bestraft. Erschwerend kann vor
Gericht zusätzlich bewertet werden, wenn
eine kriminelle Vereinigung gebildet
worden ist und die Straftaten gewerblich
ausgeübt worden sind. In einem solchen Fall
kann es dann sogar jahrzehntelangen Knast
geben.
Tipp des Autors:
Lesen Sie, unterhalten Sie sich, aber:
NICHT
NACHMACHEN!
Vorwort
„Versuchen Sie unser Geld zu stehlen!“
Diese Worte sagte ein Klient zu mir.
Unverblümt, klipp und klar.
Er war Sicherheitsbeauftragter einer
gewaltigen Supermarktkette und wollte das
Letzte aus mir und meinem Fachwissen
herauskitzeln und ging die Sache anders als
gewöhnlich an. Üblicherweise laufen diese
Aufträge nach gleichem Schema ab. Mir
werden Objekte gezeigt und deren
Sicherheitsvorkehrungen. Ich analysiere die
vorhandenen Einrichtungen und mache
Vorschläge
zur
Verbesserung
auf
mechanischer,
elektronischer
oder
personeller Ebene. Diese Vorschläge werden
umgesetzt und anschließend wird eine
nochmalige
Überprüfung
meinerseits
erbeten.
Im Leben eines Spezialisten, wie ich
es einer bin, dreht sich praktisch alles um
Sicherheit, Schlösser, Einbruch, Schlüssel
und Einbrecher. Man muss, um effektiv
gegen Einbruchsdiebstahl vorgehen zu
können, wie Einbrecher denken. Ich kann es!
Könnte ich es nicht, wäre ich ein miserabler
Schlossermeister. Mit den Jahren lernt man
zu sehen und zu überlegen wie Täter.
Jahrzehntlange eigene Erfahrung, unzählige
Stunden Weiterbildung mit (wirklich)
trockener
Literatur,
unendendliche
Gespräche mit erfahrenen und gebildeten
Polizisten und anstrengende Interviews mit
Tätern auf wissenschaftlichen Niveau
machten aus mir einen führenden
Sicherheitsexperten. Es ist vor allem das
Täterwissen, das maßgeblich Anteil hat an
einer wirkungsvollen Einbruchsprävention.
Jedes zu schützende Objekt, sei es ein Haus,
Wohnung oder Firma, betrachte ich aus den
Augen
eines
Täters
und
suche
Schwachstellen. Viele Menschen in allen
Positionen suchen daher meinen Rat um sich
vor ungebeten Gästen zu schützen..
Zuerst war ich paff und wollte diesen
Auftrag nicht übernehmen. Er konnte mich
jedoch überzeugen und garantierte mir völlig
freie Hand und Straffreiheit. Das ganze
Projekt sei mit der Staatsanwaltschaft
abgesprochen und eine legale Arbeit. Er
argumentierte, dass nur ein Mensch, der sich
gänzlich in den Kopf eines Verbrechers
(Milieukenner) versetzen kann, und damit die
Gedanken eines Einbrechers kennt, in der
Lage wäre einen solch brisanten Auftrag
auszuführen.
Zusätzlich
ist
enormes
Fachwissen,
Sicherheitsverstand
und
gänzliche Verschwiegenheit Vorraussetzung.
Mit den Worten, „wir suchen jemanden mit
goldenen Händen“, war das Eis endgültig. Er
fügte an, dass nur ein moralisch gefestigter
Mann in diese Rolle schlüpfen kann, ohne in
Konflikt mit sich oder dem Gesetz zu
geraten. Wenn man monatelang wie ein
Verbrecher denkt und in Verbrecherkreisen
verkehrt, muss dennoch immer der Bezug zur
Realität gewährleistet sein. Ein Abrutschen
darf niemals passieren! Ich sagte zu und fing
an mich in das Projekt zu verbeißen und zu
studieren. Es hat sich gezeigt, dass die
Angelegenheit weit komplizierter war, als
ursprünglich von mir angenommen. Bei
einem komplexen Auftrag wie diesem
verlaufen die Planungen äußerst weitgreifend
und genügt es definitiv nicht der Gedanke:
Da setz ich einfach mal das Brecheisen an.
Die wohl wichtigste Frage ist: Warum begeht
ein Täter einen Einbruch? Um dies zu klären
lag wiederum ein riesiges Pensum an
Knochenarbeit vor mir. Gespräche mit
Soziologen, Psychiatern, Sozialarbeitern,
Polizisten und Tätern bestimmten meinen
Alltag. Die Antwort ist keineswegs
geradlinig. Eindeutig falsch ist: Wegen des
Geldes. Wäre dem so, würde es
ausschließlich Einbrecher auf dieser Welt
geben und niemand würde eine andere
Tätigkeit ausüben. Es müssen also einige
Komponenten zusammenspielen, um aus
einem Menschen einen Einbrecher werden zu
lassen. Dieser Frage bin ich intensiv
nachgegangen und interessante Wahrheiten
entdeckt. Diese Entdeckungen sind für die
Öffentlichkeit von immenser Bedeutung. Mit
winzigen Korrekturen im Sozialsystem
könnten Einbrecher auf ihre Verbrechen
verzichten und viele Taten würden überhaupt
nicht begangen werden und nicht nur
„woanders“. (Verhindert anstatt verlagern).
Die nächste Frage war in diesem Fall
für meinen Auftraggeber die wichtigere.
Warum bricht ein Täter ausgerechnet bei mir
ein? Allgemeiner formuliert: Wo bricht ein
Täter ein? Mit Fleiß war ich den
Erkenntnissen auf der Spur, habe das Thema
gründlichst erforscht und kann auch hier
passende Antworten geben.
Zu diesen Grundfragen gesellten sich
noch Tausende, die allesamt von mir
beantwortet wurden. Sämtliche auftretende
Probleme wurden gelöst und mir gelang ein
positiver
Abschlussbericht.
Mein
Auftraggeber erlitt einen Zusammenbruch als
ich ihm den Beweis für meinen Erfolg auf
den Tisch gelegt habe (Ein speziell
markierter Geldschein, der in einem seiner
Tresore versteckt war). Er hat nicht mit
meiner Entschlossenheit und Professionalität
gerechnet und das kann im Ernstfall fatale
Folgen haben bis zum Verlust des
Eigentums, oder zum Verlust Unternehmens.
Meine Erkenntnisse und Forschungen zu
diesem Auftrag waren derart umfangreich
und interessant, dass daraus dieses wirklich
witzige, sozialkritische und vor allem
lehrreiche Buch entstanden. Es wäre schade
dieses Wissen verkommen zu lassen. Mit
diesem Werk habe ich bewiesen: Selbst
Fachwissen unterhaltsam gebracht werden
kann!
Zur Beachtung:
Um den Text einer noch breiteren
Öffentlichkeit leicht lesbar anzubieten, habe
ich „Arbeiterdeutsch“ gewählt. Ich wollte
nicht, dass jemand ausgeschlossen wird, weil
er keine Zeit oder Lust hat, öde und
unlesbare Fachliteratur durchzuackern zu
können. Dieses Buch soll auch keinen
Wettbewerb
der
schreibenden
Deutschprofessorengilde gewinnen.....! Ein
unleserliches Buch zu schreiben entbehrt
jeglichen Sinn. Dieses Werk soll unterhalten,
warnen und bilden aber vor allem gelesen
und verstanden werden! Zum noch leichteren
Verständnis und zur Auflockerung wurden
amüsante Grafiken eingefügt.
Der eiskalte Einbrecher
Eine Gaunerkomödie
Der eiskalte Einbrecher
KAPITEL 1
Der triste Alltag
Die
Ampel schaltet schon wieder auf rot.
Das ist dritte Phase und ich sitze in diesem miesen
kleinen Lieferwagen. Der Blasenhochstand ist kaum
auszuhalten, zum Glück kommt ein kleiner Park in
ein paar Minuten, wenn nur die verdammte Ampel
länger auf grün bliebe. Hoffentlich sind dort nicht zu
viele Leute unterwegs, sonst habe ich ein Problem.
Endlich bewegen sich die drei Autos vor mir. Es
blinkt, der Vordermann will ernsthaft anhalten. Ich
hupe und blinke ihn an, er blickt zurück, tritt auf die
Bremse und lächelt,
wie man deutlich in
seinem
Rückspiegel
sieht. Warum macht
der das? Was hat er
davon?
Boshaftes
Schwein! Die Hauptsache ist für ihn, er
kann einem Mitmenschen etwas zu Fleiß
machen, auch wenn er
selbst einen Nachteil
hat. Das stört ihn nicht. Anstatt zu achten, selbst
mehr zu haben, konzentriert sich die Masse darauf,
7
Der eiskalte Einbrecher
dass der andere weniger hat. Das kann ich beim besten Willen nicht verstehen, wo da der Sinn liegt. Es
ist wieder grün,
der Schwachkopf
vor mir wirft mir
noch ein Blick
durch den Rückspiegel zu und
fährt langsam und
bedächtig los, so
dass
möglichst
keiner hinter ihm
ordnungsgemäß übersetzen kann. Es gelingt ihm
nicht. Der Wagen hinter mir fährt sogar bei rot, wird
schon keiner sehen. Die ersehnte Grünfläche ist in
Sichtweite,
nur
mehr einen Parkplatz finden und
dann schnell hinter
den Strauch. Die
Notdurft ist unerträglich, ich halte
es nicht mehr aus,
bleibe einfach ohne Parkplatz an der Ecke stehen und
springe aus dem Auto. Warum sind da heute so viele
Menschen, überlege ich und renne ein Stück in den
Beserlpark. Nur mehr eine Frau mit zwei riesigen
Rotweilern ist zu sehen, wobei der eine Köter gerade
dabei ist einen gewaltigen Haufen ins spärliche Gras
zu platzieren. Hinter einem Bäumchen, der mich nur
halb abschirmt, befreie ich mich vom Frühstückskaf-
8
Der eiskalte Einbrecher
fee. Die Hundefrau schaut blöd, das stört mich nicht,
nur die Männer vom Stadtgartenamt beunruhigen
mich, die mit dem kleinen Traktor um die Ecke biegen. Ich kann jetzt unmöglich unterbrechen, also
lasse ich es laufen und hoffe nicht entdeckt zu werden. Vergeblich, der eine sieht mich, tippt seinen
Kollegen an, der daraufhin Vollgas gibt. Das laute
Fahrzeug nähert sich bis auf wenige Meter und ich
bin noch immer nicht fertig. Jetzt habe ich aber
wirklich keine Zeit mehr,
ich muss flüchten, bevor
mich der größere Arbeiter,
der schon sprungbereit auf
der Plattform steht, festhalten kann. So eine blöde
Zwickmühle, in der ich
mich befinde Die Entscheidung fällt trotzdem
leicht, besser eine nasse
Hose als eine Anzeige.
Nicht fertig angezogen
laufe ich den Gärtnern
davon, die mir nachschreien und mit Polizei drohen.
Ich flüchte durch den ganzen Park, bis ich wieder auf
der Strasse bin. Allerdings auf der anderen Seite, und
weit weg vom Auto. Die zwei wütenden Arbeiter
habe ich abgehängt, die sich wegen mir so aufregen
und den Hundekot scheinbar gar nicht bemerken.
Tausende ekelige Patzen machen niemanden was
9
Der eiskalte Einbrecher
aus, aber wehe du pinkelst wohin. Warum gibt es in
dieser Stadt keine Toiletten, ich habe es schon satt in
den Park zu pinkeln. Über einen Umweg gehe ich zu
meinem Fahrzeug zurück und sehe von weitem schon
einen Parksheriff, genau in dem Moment, als er den
Strafzettel hinter den Scheibenwischer einklemmt. Es
ist sonnenklar, dass es völlig egal ist, was man zu
dem Wachmann sagt, es ist zu spät. Er wird die Strafe nicht zurückziehen. Ich probiere es trotzdem: „Bitte könnten Sie eine Ausnahme machen, ich hatte hier
etwas Dringendes zu liefern und konnte keinen Parkplatz finden. “Nein das geht nicht, wenn die Verfügung einmal geschrieben ist und übrigens so dringend kann die Lieferung nicht gewesen sein, wenn
Sie Zeit haben im Park spazieren zu gehen. Ich habe
Sie schon gesehen, wie Sie ausgestiegen sind.“ Das
Gespräch mit dem Organ ist
damit beendet, der Mann hat
tierische Freude an seiner Arbeit. Wieder im Auto fällt
mein erster Blick aufs Mobiltelefon, das in der Halterung
steckt. Beim eiligen Aussteigen vorhin wurde es von mir
vergessen. Auf dem Display
steht zwei Anrufe in Abwesenheit! Das waren sicherlich
Kunden, die jetzt die Konkurrenz anrufen. Verdammt, das
Geld fehlt mir. Nach wenigen Minuten Fahrt breitet
sich ein stechender Gestank aus. Das Heizgebläse
10
Der eiskalte Einbrecher
verstärkt die Wirkung noch und mir wird fürchterlich
übel. Ich ahne bereits, was die Ursache für den Mief
reiße die Türe auf und sein kann. Ich fahre zum Straßenrand aus der Vermutung wird Gewissheit. Auf
beiden
Schuhen
klebt Hundeglück
in bester Qualität.
Saftige Erinnerungen an die Flucht
im Park. Der Dreck
ist derart in die
Sohlen eingetreten,
dass jeder Versuch
das eklige Zeug am
Randstein
abzustreifen sinnlos ist.
Überdies quillt der Schmutz über die Schuhkante
empor. Die Lenker in den vorbeifahrenden Autos
lachen mich aus, sie wissen Bescheid. Mit einem
dünnen Ast lässt
sich ein großer Teil
einigermaßen abwischen, jedoch für
den Duft genügt ein
winziges Stückchen
in einer Profilecke.
So
ein
kleines
Bröckchen
bleibt
immer zurück, egal
wie groß die Mühe
war, das Seuchenpott zu entfernen. Ein guter Start in
11
Der eiskalte Einbrecher
den Tag ist das heute, denke ich mir, und es ist nicht
einmal noch sieben in der Früh. Der Tag geht ungefähr so weiter, wie er begonnen hat. Schimpfende
Taxler, verabsäumte Kunden, einige Male bei gelb
gefahren, manchmal bei rot. Pakete abholen, Pakete
zustellen, fast kein Trinkgeld. Da ja ein reicher Botendienstfahrer wie ich es bin, kein Büro oder Firma
hat, in dem ich mich ausruhen kann, muss ich mich
nach einigen Stunden stumpfsinnigen herumfahren in
der Stadt irgendwo ausrasten. Nicht einmal eine Garage kann man sich leisten mit diesem miesen Job.
Nach Hause fahren zahlt sich nicht aus, außerdem ist
die Wohnung im vierten Stock und das ohne Lift,
aber mit Mezzanin. Unnötiges Stiegensteigen macht
auch keine Lust. Es ist halb zwei und es war noch
keine Zeit irgendetwas zum Essen oder ein Getränk
zu kaufen. Auf dieser Strasse ist in einen Kilometer
ein Supermarkt, dort wird Futter gekauft und etwas
geruht. Die Auswahl des Discounters ist nicht gerade
fantastisch. Ungefähr drei Regale mit Wein oder
12
Der eiskalte Einbrecher
Tiernahrung, aber für mich gibt es eigentlich nichts.
Ich mag kein Schinken Tramezzini, das morgen abläuft. Ich lehne auch das Eitramezzini mit harter eingetrockneter Kruste ab. Die Vitrine mit dem „Warmen“ sieht dermaßen widerlich aus, dass ich mich
ernsthaft frage, wer
einen ausgelaufen
Kümmelbraten oder
einen völlig verbrannten
zusammenringelten Leberkäse essen soll.
Die
hautkranke
Verkäuferin hinter
dem Pult erhöht
zusätzlich nicht
meinen Appetit auf Wurst. Sind Hautentzündungen
oder Akne Bedingung, wenn man so einen Job sucht?
Im Vorstellungsgespräch fragt der Personalchef garantiert die Kandidaten: „Haben Sie ansteckende
Krankheiten? Ja, Sie sind eingestellt!“ Mir graust
und so greife ich zu drei Kornspitz und einer Buttermilch, toll! Bei der Kassa stehen sieben oder acht
Kunden vor mir. Es geht sowieso schon langsam,
aber die Kartenzahler sind die größten Zeitvernichter.
Wenigstens geht die Kassarolle nicht zur Neige.
Nach zwanzig Minuten sitze ich wieder im stinkenden Auto und esse die trockenen Kornweckerln und
schütte die eiskalte Buttermilch nach, die Hälfte des
Getränks landet auf meiner Hose, welch ein Leben.
Der Sitz lässt sich nicht umlegen oder zurückschie13
Der eiskalte Einbrecher
ben, denn schon wenige Zentimetern hinter der Lehne ist die Blechwand, die den Laderaum abtrennt.
Aus Müdigkeit
kippt
mein
Kopf
vorn über und
bleibt auf dem
Lenkrad liegen. Die Entspannung tut
gut, bis ein Klopfen diesen kurzen Moment des
Glücks abrupt zerstört. Es reißt mich, ich fahre hoch
und neben dem Seitenfenster steht ein Polizist, der
stürmisch an die Scheibe trommelt. Er deutet mir,
dass das Fenster ein
Stück runtergekurbelt werden soll. Um
dies zu tun beuge ich
mich über die Beifahrersitz, zerquetsche dabei die dort
abgelegte Milchpackung
und
der
glitschige
Rest
ergießt sich über den
Sitz. „Ist Alles in
Ordnung, kann ich
Ihnen helfen?
„Nein danke, Herr Inspektor, es geht schon. Mir war
nur schwindelich für einen Moment, ein bisschen
Ausruhen wirkt Wunder! „Wenn Ihnen schlecht ist,
14
Der eiskalte Einbrecher
dann dürfen Sie auf keinen Fall das Kraftfahrzeug
lenken, wissen Sie das?“
„Es ist schon vorbei, die Übelkeit, das Essen hat mir
geholfen“ entgegne ich dem Ordnungshüter und
lächle falsch und gequält.
„Wir haben Glück, das wir so gute und natürliche
Nahrungsmittel in unserem Land haben, andere hungern.“
„Ja, ja das ist wirklich ein großes Glück, dieses Gebäck ist garantiert aus unserer Heimat, so wie das
schmeckt!“ und deute auf den übergebliebenen Spitz.
Der Uniformierte beugt sich vor, um besser sehen zu
können und macht einen tiefen ungewollten Atemzug
aus dem Wageninneren. Unwillkürlich verschluckt er
sich und zuckt zurück. „Dann wünsche ich gute
Fahrt und reinigen Sie Ihr Fahrzeug, der Geruch
könnte der Grund für Ihre Fahruntauglichkeit sein.“
„Wird gemacht!“
Die Lieferungen werden fortgesetzt. Von Adresse bis
Adresse wird gefahren bis 18 Uhr, dann ist Schluss.
Die Frachtpapiere müssen noch in der Zentrale abgegeben werden, das dauert eine halbe Ewigkeit. Das
Mädchen am Computer macht sich entweder einen
Spaß uns Fahrer hinzuhalten und unsere Zeit zu vergeuden oder sie kann nicht schneller. 31 erledigte
Aufträge werden mir aufs Konto gutgeschrieben. 31
mal 4,50 Euro sind 139,50. Mein Verdienst heute,
davon muss ich aber alles selber zahlen. Es ist kurz
vor sieben und meine Gedanken kreisen ums Essen.
Nach dem köstlichen Mittagsmenü, soll es wenigstens am Abend etwas besseres sein. Burger und
15
Der eiskalte Einbrecher
Pommes kommen nicht in Frage, die gibt es sowieso
fast jeden Tag. Um sieben sperrt der Supermarkt,
also heißt es Beeilung. Gleich bei der Funkzentrale
ist ein Markt, dort kaufe ich manchmal ein. Die
Auswahl ist jedoch nicht üppiger als mittags. Hundefutter, Waschmittel und Wein. Tiefkühlpizza gibt es
auch, die wird genommen. Die übliche Schlange an
der Kassa nehme ich in Kauf und warte geduldig.
Mir ist schon wieder schlecht, diesmal vor Hunger.
Das Mobiltelefon läutet am Heimweg, das Mädel am
Funk fragt mich, ob ich noch einen Auftrag machen
könnte. Sie erreicht sonst niemanden mehr und einer
meiner Kollegen, Marcus, hat den Kunden vergessen.
„Ja mach ich, rück die Adresse raus!“
„Äh das ist das Problem, das ist am Land.......äh, du
weißt da gibt es den doppelten Tarif“!
Das kann nicht wahr sein, denke ich. Warum passiert
mir das. Ausgerechnet heute, wenn meine Freundin
zu mir kommt und wir ihren Geburtstag feiern wollten. Das geht sich niemals aus. Seit einer Woche
wird Kelly vertröstet und wenn es heute wieder
nichts wird, sieht sie rot und ich schwarz.
„Was ist los mit dir, warum sagst du nichts?“ fragt
meine Kollegin am Telefon „Du kennst die Regel.
Auftrag angenommen heißt Auftrag ausgeführt!“
„Ist schon gut, bin schon unterwegs. Also sag mir
schon wo!“
Die Adresse ist etwas außerhalb der Stadt. Dies wäre
nicht so schlimm, wenn es nicht auf der anderen Seite wäre. Als ich nach ewiger Fahrt bei dem Gebäude
ankomme und läuten will, fällt mir ein kleiner aufge-
16
Der eiskalte Einbrecher
klebter Zettel auf. Lieber Botendienst, konnte nicht
mehr warten. Bitte kommen Sie morgen. Etwas hilflos lese ich diese Zeilen und spüre wie die Verzweiflung sich in mir breit macht. Wegen diesem Affen
bin ich extra hier hergefahren und habe meine am
Kippen stehende Beziehung gefährdet. Den gesamten
Rückweg überlege ich, wie der verpatzte Geburtstag
meiner Freundin doch noch gerettet werden kann.
Ein Anruf hilft auf alle Fälle, so meine Vermutung.
Falsch
vermutet,
denn außer der Mobilbox ist nichts zu
hören.
Mühsam
schleppe ich mich
die Treppe in meine
Altbauwohnung,
lege die Pizza in
den Miniofen und
stelle mich unter
die Dusche. Das ist
das erste angenehme Erlebnis heute.
Nach zehn Minuten riecht es etwas verbrannt, weil
die Zeituhr auf dem Backofen kaputt ist. Stört mich
nicht, denn ich esse seit einem halb Jahr nur Verbranntes, solange geht die Uhr nicht. Nach drei Bissen Margarita schlafe ich erschöpft ein, um nach
zwei Stunden wieder aufzustehen und die Toilette
ausgiebig zu besuchen. Offensichtlich war die Pizza
einmal aufgetaut und wieder eingefroren worden, das
passiert mir oft. Burger wäre doch die bessere Wahl
17
Der eiskalte Einbrecher
gewesen. Nach den endlosen anstrengen Durchfallattacken falle ich wieder ins Bett um nach wenigen
Stunden erneut aufzustehen. Die Arbeit ruft.
Schweißgebadet und gerädert krieche ich in der
Dämmerung
die in Küche
um mir einen
Kaffe zu machen. Drei Tassen verschwinden innerhalb
weniger Minuten in meinem
gereizten Magen, dann wird
es Zeit. Die
Pakete warten.
Wieder steht
ein produktiver wunderschöner Tag vor mir, so wie
der gestrige. Und dieser war wie die anderen 2000
Tage davor. So lange mache ich den Job schon. Seit
6 Jahren immer das selbe, immer die selben Strassen,
Ampeln, Kunden. Ein Horror für einen kreativen
Menschen, wie ich es bin. Nur die Geldnot zwingt
mich zu dieser schlechten Arbeit. Die einzige Abwechslung ist der jährliche Fahrzeugwechsel. Von
einer gebrauchten Rostlaube zur anderen. Heute
muss ich beim Park noch nicht so pissen, dass ich
aussteigen muss, wie gestern. Ich schaffe es noch bis
zur Baustelle, die ein paar Minuten später kommt.
Sonst ist alles wie sonst. Mieses Essen, Stau,
18
Der eiskalte Einbrecher
schlechte Luft, ermahnende Polizisten, schnellere
Konkurrenz, eilige Kunden, auf die Fahrbahn stolpernde Passanten, und Leute die aus der Straßenbahn
aussteigen
und
nicht
schauen.
Auch auf diese
muss man aufpassen, auch wenn es
einem
vielleicht
nicht so gut geht.
Manchmal falle ich
in ein tiefes Loch
und frage mich wie
das
weitergehen
soll. Alle Träume
sind erstickt und
geplatzt, nur weil kein Geld da ist. Diese Geisel der
Armut begleitet mich mein Leben lang. Die Tage
reihen sich aneinander wie die Szenen in einen nicht
endenden Horrorfilm. Mein Leben ist eine einzige
Tristesse,
ohne
Hoffnung
auf
Besserung.
Es
wird nichts geschehen, um die
entscheidende
Änderung
herbeizuführen.
Kein Erbe ist in
Aussicht, und ein
Lottogewinn wird
nicht stattfinden.
19
Der eiskalte Einbrecher
Fliesenleger habe ich erlernt, das ist fantastisch. Drei
Jahre nur schwere Schachteln schleppen in den Rohbauten, weil der Aufzug noch nicht funktioniert. Als
ich endlich fertig war sagte der Meister: „Du
brauchst jetzt gar nicht glauben dass Du jetzt mehr
verdienst, die nächsten Jahre musst Du erst was lernen, Du kannst ja nichts.“ Damit war meine Karriere als Geselle beendet, dem Meister war es recht. Er
hatte einen billigen Hilfsarbeiter über Jahre, dann
kam der nächste Lehrling.
Drei Wochen Arbeitslosigkeit genügten mir um
zu merken, dass sich das
Gefühl der Freiheit nicht
einstellt. Die Miete muss
bezahlt werden, so war es
mir egal, welche Arbeit
ich bekomme. Die Hauptsache ist es wird mehr
bezahlt, als mit meiner
Facharbeiterprüfung
als
Fliesenleger, weniger geht
nicht. Am frühen Nachmittag kaufe ich mir wie immer etwas Essbares in einem Discounter. Heute
entscheide ich mich für die Marmeladeroulade, die
ist etwas saftiger als leeres Gebäck. Nach dem ersten
Biss bereue ich diese Wahl zutiefst. Das Zeug ist so
was von süß und wird während des Kauens immer
mehr bis der ganze Mundraum völlig mit der Ku-
20
Der eiskalte Einbrecher
chenmasse ausgefüllt ist. Dennoch gelingt es mir den
klebrig süßen Sterz hinunterzuschlucken und halte
anschließend mein Sitznickerchen im Kistenwagen.
Der Geschmack Kuchens ist nach dem Aufwachen
noch genauso intensiv vorhanden und wird für immer
und ewig im Rachen bleiben. Hoffentlich ist heute
etwas früher Schluss, weil es mir gar so schlecht
geht. Die halbe Nacht am Lokus war zu viel. Mit
einem Anruf in der Zentrale bitte ich die Kollegin
mich ab 5 Uhr freizustellen. Durch die leeren Kilometer von gestern Abend, steht mir eine kleiner Bonus zu. Die Abrechnung ist heute schnell gemacht,
weil niemand vor mir ist. Im Geist sehe ich das Sofa
vor mir mit einer guter DVD und anständigen Essen
und einem ausgiebigen Schlaf, morgen wird es mir
wieder besser gehen. Einmal die Woche macht jeder
Fahrer früher Schluss, auch das ist nichts besonderes.
Es stellt sich die Frage, ob eine Stunde vor Ende
wirklich als Frühschluss zu bezeichnen ist. Für uns
Fußvolk ist es jedoch enorm wichtig. So verlieren
wir keine Zeit bei der Abrechnung, und es lässt sich
noch einiges Privates erledigen. Heute gibt es keine
Tiefkühlpizza, heute wird gekocht! Spagetti mit eigener Sauce. Mein Weg führt mich zu einem Supermarkt mit etwas mehr Auswahl an frischen Lebensmittel. Schnell sind die nötigen Zutaten in der
Schachtel, ich nehme nie einen Wagen. Zu groß ist
meine Aversion gegen Verkaufswagen, es ist entwürdigend damit durch die Gänge zu fahren. An der
Kassa geht es zäh, die Automatenzahler sind schuld.
Kann sich denn keiner von denen merken, wie die
21
Der eiskalte Einbrecher
Karte richtig in den Automaten geschoben werden.
Jeden zweiten muss die Kassiererin korrigieren:
„Karte bitte anders reinstecken mit dem Streifen
nach oben.“ Ein Kunde noch vor mir und dann bin
ich an der Reihe.
22
Der eiskalte Einbrecher
KAPITEL 2
Die entscheidende Entdeckung
Da passiert eine winzige Kleinigkeit, wie sie sich
täglich tausendfach ereignet. Und dieser unbedeutende Vorfall, soll mein Leben für immer verändern. Ein
Ereignis, welches normalerweise nicht beachtet wird.
Der Mann vor mir kauft einige Dinge und die Kassiererin fährt irrtümlich zweimal über die Kassa. Sie
stößt ein kurzes OJE aus und klingelt. Von weit
hinten ist schrill zu hören „Was brauchst du?“ Die
junge Frau, etwas nervös geworden, wegen der
Schlange und der ärgerlichen Blicke die auf sie gerichtet sind ruft zurück „Schlüssel bitte!“ Meine
halbwegs gute Laune ist mit einemmal hinüber, denn
23
Der eiskalte Einbrecher
Warten macht mich fertig. Warum passt die Kuh
nicht auf, sind meine Gedanken und damit bin ich
sicherlich nicht alleine, denn durch die Menge geht
ein Raunen. Und warum stinken die Kassafrauen
immer dermaßen nach altem Schweiß? Die Dame im
gelben Mantel kommt fast im Laufschritt, greift in
ihre Tasche zieht einen riesigen Schlüsselbund heraus. Sie sucht aus der Unzahl der verschiedenen
Schlüssel ein winziges silbernes Exemplar. Geschickt
steckt sie ihn in das Schlüsselloch an der Oberseite
der Kassa. Niemals zuvor habe ich gesehen, dass eine
Kassa ein Schlüsselloch hat. Nun hängt der ganze
Bund herunter und die Kuh zieht den Artikel nochmals über den Scanner. Der gesamte Vorgang dauerte ungefähr zehn Sekunden. Während dieser Zeit
schaue ich halb ins Narrenkasterl und halb auf den
24
Der eiskalte Einbrecher
Schlüsselbund. Auf dem Ring sind viele verschiedene Schlüssel zu sehen, die fast alle gleich sind. Nur
einer sticht hervor. Es ist ein Tresorschlüssel, das
weiß ich. Jedes Kind weiß, wie diese Schlüssel aussehen. Sie haben einen langen Schaft und einen Bart
auf beiden Seiten. In der Hand habe ich noch nie
einen gehabt, wäre sicher interessant. Da ich nichts
von Schlüssel und Schlössern verstehe, hat mich der
Ablauf nicht besonders interessiert und ich habe ihm
auch nicht besondere Aufmerksamkeit gewidmet.
Der Mann vor mir bezahlt und endlich darf auch
meine Wenigkeit seinen Einkauf beenden. Ich bin
nur sauer aufgrund der verloren Zeit. Vor meiner
Wohnung kramte ich meinen Schlüsselbund hervor,
um die einfache Tür aufzusperren. Für Leute wie
mich, sind Schlösser sowieso völlig sinnlos. In mein
Zimmer könnte der Einbrecher höchstens was hineinlegen. Zu stehlen gibt es nichts. Mein ganzer Besitz
beschränkt sich auf einen 20 Jahre alten Fernseher
und einen DVD Player. Durch das Erlebnis im Supermarkt neugierig geworden, betrachte ich erstmals
meinen Bund genauer. Auf meinem Ring sind viele
Schlüssel aufgefädelt bemerke ich und habe keine
25
Der eiskalte Einbrecher
Ahnung wo die alle sperren. Das beachtet man doch
nicht. Einen kenn ich gut, das ist der für die Wohnung. Der ist grau, riesengroß und stinkt nach Eisen.
Der Stiehl ist rund und vorne hat er einen Bart, so
nennt man die Zacken. Das Monstrum ist sicherlich
hundert Jahre alt, jedenfalls schätze ich das, denn
manchmal hängt das Schloss und lässt sich nur mit
List öffnen. Man muss dann schnell rütteln, dann
geht es wieder. Einmal wird es überhaupt nicht mehr
sperren, keine Ahnung was ich dann mache. Dann
kenne ich noch den Haustorschlüssel, der ist goldfarben, flach und klein. Der wird nie gebraucht, weil das
Eingangstor sowieso nie jemand zusperrt. Früher
schon, aber dann war das Schloss einige Male kaputt.
Es wurde zwar hin und wieder repariert, seit einem
Jahr aber nicht mehr. Jetzt steht das massive Tor Tag
und Nacht offen. Es
stört niemanden bei
uns im Haus, wir
sind alle arme Hunde. Wahrscheinlich
ist ein Nachbar
schuld an den dauernden Reparaturen,
er hat sich keinen
Nachschlüssel leisten können, und hat das Schloss
beschädigt. Wo die anderen Schlüssel sperren, weiß
ich nicht. Der Vermieter hat mir den ganzen Bund so
wie er ist mit den Worten übergeben: „Der ist für die
Wohnung und der fürs Haustor, mehr brauchen Sie
nicht. Am Dachboden haben Sie nichts verloren und
26
Der eiskalte Einbrecher
ein Ausflug in den Keller ist nicht gerade empfehlenswert.“ Der Mann sprach die Wahrheit, denn seit
ein paar Ratten beim Kellerabgang gesehen wurde,
erscheinen die Worte glaubhaft. So habe ich nie weiter darauf geachtet, welche Schlüssel noch sinnlos
mitgeschleppt werden. Duschen, kochen, Freundin
anrufen, essen und den Filmanschauen, das ist mein
Plan. Die ersten zwei Punkte sind schnell erledigt,
der dritte bereitet etwas Bauchweh. Nach zweimal
Läuten hebt sie ab, um mir mitzuteilen, dass sie eine
Schicht übernehmen muss und vielleicht am Wochenende Zeit hat. Sie schwindelt, und ist oft traurig,
weil sie einen Versager
als Freund hat, das
weiß ich. Kelly ist ein
liebes hübsches Mädchen und ist so gestraft
mit mir. Ich tu so als
würde ich die Ausrede
glauben. Sie weiß mein
Taktgefühl zu schätzen.
Wenn wir Geld hätten,
würden wir zusammen
wohnen und ein schöneres Leben haben, so
steht die Not zwischen uns. Mit der vielen Arbeit
sehen wir uns kaum und führen eine Beziehung, die
gar keine ist. Mit einer riesigen Schüssel Spagetti
und selbstgemachten Pesto lege ich mich auf mein
zerfetztes Sofa und gaffe in den Fernseher. Nach
einer halben Stunde genießen und glotzen, fällt mir
27
Der eiskalte Einbrecher
plötzlich wieder der Tresorschlüssel ein. Was wohl in
dem Tresor alles eingesperrt wird? Obwohl die Müdigkeit gewaltig ist, stehe ich auf und hole meinen
Schlüsselbund, der immer an der Innenseite von der
Tür steckt. So
kann ich ihn nicht
vergessen.
Den
alten
großen
Wohnungsschlüssel begutachte ich
genauer, der Bart
ist nur auf einer
Seite und beim
Tresorschlüssel
auf beiden. Wie funktioniert ein Schloss eigentlich?
Würde mich schon interessieren, aber ich kann doch
nicht meine Türe zerlegen und so wichtig ist das ja
auch nicht. Meine Türe kann jeder mit einem Nagel
aufsperren, aber in einen Tresor kommt sicher keiner
rein. Wenn bei mir was zu holen wäre, müsste man
ebenfalls ein besseres Schloss montieren. Gut, dass
das nicht der Fall ist, denn ein ordentlicher Verschluss kostet garantiert ein kleines Vermögen. Der
Film ist langweilig so können meine Gedanken abschweifen und so träume ich halbwach vor mich hin.
Das Geld aus dem Tresor könnte ich schon brauchen,
wie viel das wohl ist. Könnte man sich leicht ausrechnen. Wenn der Markt pro Minute nur einen Kunden hat, sind das 60 pro Stunden und bei 10 Stunden
Öffnungszeit ungefähr 600 Kunden. Wenn jetzt jeder
Kunde nur um 10 Euro einkauft, so macht das nach
28
Der eiskalte Einbrecher
Adamriese 6000 Euro. Ein ganz ein schöner Patzen,
damit wäre ich aus dem Schneider. Die Filialleiterin
legt das Geld sicher am Abend in den Tresor. Blöder
Gedanken, das Geld gehört jemand anderen, mich
geht das nichts an. Wenn jeder Kunde um 20 Euro
einkauft, dann wären es bereits 12000 Euro. Ein Vermögen! Mit diesen Träumen schlafe ich selig ein.
Wieder fängt ein öder Zustellertag an, mit wenig
angenehmen Erlebnissen. Kreuz und quer lenke ich
den Lieferwagen durch die Stadt und es fällt mir die
unendliche Anzahl der Selbstbedienungsläden auf.
Praktisch an jeder Ecke ist irgend ein Supermarkt.
Alle diese Geschäfte verdienen sich dumm und dämlich. Wenn man nur mitnaschen könnte. Dieser Gedanke beschäftigt mich und plötzlich steigt ein abenteuerliches Gefühl in mir hoch. Wie kann man dieses
Geld stehlen? Das tut niemanden weh, die Läden
sind versichert und den Versicherungen ist das egal.
Der Schaden wird reguliert, ist von vornherein in die
Prämie miteinkalkuliert. Wieder ertappe ich mich,
bei solch unredlichen Gedanken und muss erstmals
in meinem Leben eingestehen, dass ich unter gewissen Umständen zu einer kriminellen Handlung fähig
wäre und das bereits zwei Mal seit gestern Abend.
Diese Selbsterkenntnis ist mir neu. Es stellt sich die
Frage, welche genauen Umstände wären das? Was
müsste geschehen, um aus mir einen Dieb zu machen. Finanziell geht es mir so schlecht, dass hier der
Bewegrund liegen könnte. Die Hemmschwelle ist die
enorme Angst vor dem Erwischt werden und der daraus resultierenden Strafe. Ein weiteres Hindernis ist
29
Der eiskalte Einbrecher
der Mangel an einer Möglichkeit. Mein Vater pflegte
zu sagen: „Wenn einer noch nie gestohlen hat, dann
hatte er keine Gelegenheit!“ Wahrscheinlich hatte er
recht mit dieser Aussage. Was wäre, wenn sich eine
günstige Gelegenheit für einen Diebstahl ergeben
würde und ein ehrlicher Mensch wie ich es bin,
bräuchte nur zugreifen? Selbst da bleibt noch immer
ein Hindernis, es wäre immer noch die Angst vor den
Konsequenzen vorhanden. Die Schande wäre unerträglich. Bei meinen Freunden und Kollegen sind
Verbrecher geächtet und gemieden. Die Familie
würde brechen mit mir und die Arbeit ist Vergangenheit. Es ist zwar eine miese Tätigkeit, dennoch besser als überhaupt keine. Das Schlimmste jedoch ist
das Gefängnis. Jahrelang in einer Zelle mit anderen
Straftätern zusammengepfercht ist der
garantierte
Untergang jedes Menschen. Der Freiheitsentzug ist für
viele Häftlinge unerträglich und führt
oftmals zu Suizid
oder endet mit totaler
Selbstaufgabe.
Unfähig geworden
zu leben. Eine Wiedereingliederung in das System
nach verbüßter Strafe ist praktisch nicht möglich.
Angenommen, die zwei Komponenten stehen günstig
für mich, wie würde ich entscheiden? Hält mich tat30
Der eiskalte Einbrecher
sächlich nur die Strafe und meine Unfähigkeit ab?
Dies bedeutet ja, dass, gäbe es keine Strafe und man
das Wissen und das Können für ein Diebstahl hat, es
man tun würde? Es wäre immer noch ein Verbrechen und falsch. Diese Tatsache kümmert niemanden
auf der Welt und mich auch nicht. Erschreckend, wie
unmoralisch wir doch sind. Hätten wir Menschen ein
Unrechtsbewusstsein und Ethik, so wären Schlösser
oder Tresore unnötig. Niemand würde stehlen und
rauben. Dass dies nicht so ist, das steht fest. Je mehr
ich mich mit dieser Philosophie auseinandersetze,
desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass ich nur
zu feig und zu dumm bin eine Straftat zu begehen.
Sonst nichts. Wenn es möglich ist, der drohenden
Strafe zu entgehen und die nötigen Fähigkeiten für
einen Diebstahl zu erlernen, dann steht nichts mehr
im Wege. Für den ersten
Gedanken klingt dies gut,
nur leider wird es nicht
leicht sein die beiden
entscheidenden Hindernisse
zu
beseitigen.
Durch die Auseinandersetzung mit dieser Materie bekomme ich mächtig
Herzklopfen und einen trockenen Mund. Das Thema
regt mich enorm auf. Lange Zeit war ich mental tot,
plötzlich spüre ich, wie mein Körper und Geist sich
mit Energie füllt. Die Lethargie, in der ich Jahre gefangen war, verschwindet. Es ist ein Lichtschimmer,
an dem ich um jeden Preis festhalten möchte und
31
Der eiskalte Einbrecher
muss. Ich spüre mein Blut fließen, mein Gehirn arbeitet auf Hochtouren, ich lebe! Tausende Gedanken
tauchen auf, und verschwinden im selben Augenblick
wieder. Es ist ein Gefühl gleich eines wunderschönen
starken Rausches, ich bin völlig benommen. Sollte
mein hoffnungsloses Leben eine Wende erfahren?
Ich fühle es so deutlich, als würde ich ein unvorstellbar große Kraftquelle anzapfen. Ich stehe am Zenit
des Misserfolgs und sehe wie sich das Blatt wendet,
es ist fantastisch. Um dieses Hochgefühl noch ein
wenig länger zu genießen, parke ich den Lieferwagen
ein und gehe etwas spazieren. Eine Tätigkeit, die ich
unter normalen Umständen niemals gemacht hätte.
Nach einer Runde um den Block holt mich die Realität logischer weise wieder ein, denn das Mobiltelefon
läutet und läutet. Der Zeitverlust ist groß, den die
Tagträumerei verursacht hat, und lässt sich nur durch
meine Routine und Ortskenntnisse wieder aufholen.
Alle
Lieferungen
werden bis zum
Abend ordnungsgemäß erledigt. Es
folgt die übliche
langwierige
Abrechnung und der
Blitzeinkauf im Selbstbedienungsladen. Ein mickriger Straus Blumen landet in meiner Schachtel. Leider
ist kein schönerer und größerer zu haben, aber Kelly
wird sich trotzdem freuen. Genau am Tempolimit
fahre ich durch den Stadttunnel um nicht von der
Kamera erfasst zu werden. Radarfallen waren ges-
32
Der eiskalte Einbrecher
tern, heute ist „Sektion Control“ die Technik um Raser zu stoppen. Es wird die durchschnittlich Geschwindigkeit ausgerechnet, die ein Fahrzeug braucht
für eine gewisse Strecke. Für uns Berufsfahrer ist
diese Neuerung schlecht. Nicht dass wir Rowdis wären, aber ab und zu hat man es aus gutem Grund eilig
und nun ist ein schneller fahren nicht mehr möglich.
Früher war das besser, wir wussten genau wo die
Radarboxen stehen und bremsten immer nur kurz vor
der Maschine ab. Dann gaben wir wieder Vollgas.
Kurz nach dem Tunnel wähle ich Kellys Nummer.
Erst nach dem dritten Anruf hebt sie ab: „Was gibt es
denn so wichtiges, du weißt doch wir sehen uns erst
am Wochenende, ich muss arbeiten.“
„Nein das stimmt nicht, du sagst mir nicht die Wahrheit, ich komme jetzt zu dir ich mag mit dir reden.“
Sie ist überrascht aufgrund meines Entschlusses. Sie
kennt mich ansonsten nur als trägen unentschlossenen Verlierer, der niemals selbst entscheidet. Alle
Aktivitäten gehen von meiner Freundin aus, ich gehe
immer nur mit. Heute ist das erste mal, dass ich sage:
„Ich komme jetzt zu dir.“ Kelly gefällt der Zug offensichtlich, denn ohne zu zögern erwiderte sie freudig: „Wenn du noch weißt wo ich wohne, dann komm
her. Du hast recht, ich muss nicht arbeiten, du bist
nur manchmal zu viel.“
„In zehn Minuten,“ ist meine Antwort und lege auf.
Meine Freundin hat eine kleine Sozialwohnung, ein
sogenanntes Wohnklo. Dünne Wände, die jede Toilettenbenutzung des Nachbarn deutlich übertragen
machen eine gemütliche Stimmung unmöglich. Der
33
Der eiskalte Einbrecher
allwissende und immer präsente Hausmeister bereitet
mir ein ungutes Gefühl und erweckt den Eindruck
bespitzelt zu werden. Angeblich führt er Buch über
die Gewohnheiten der Mieter. Und dann sind noch
die anderen Mieter, die das alles gutheißen. Am
schlimmsten ist jedoch die nicht die ältere Generation, nein es sind die Jungen. Voll Hass und Frust sind
sie die ersten, die
beim
geringsten
Verstoß gegen die
völlig
veralterte
Hausordnung den
Hausmeister oder
den Hausinspektor
Bericht
erstatten.
Manche
gehen
gleich zur Polizei.
Diese
Zustände
machen meine Besuche in Kellys
Wohnung unerträglich. Die Blicke des Hausmeisters
mit dem Notizblock im grauen Mantel, die Wände
mit den Ohren, all das widert uns an. Das ist der
Grund warum wir hauptsächlich bei mir in meiner
Substandartwohnung unsere gemeinsame Zeit
verbringen. Wir sollten zusammenziehen, aber trauen
uns nicht. Meine Wohnung ist das was man als Loch
bezeichnet und es ist alles abgewohnt und kaputt. Die
Nachbarn sind jedoch liberal, ein Vorteil. Eine bunte
Mischung aus erfolglosen Musikern, unbekannten
Schauspielern, Chaoten, Künstlern oder solche die
34
Der eiskalte Einbrecher
glauben es zu sein. Einige sind Leute wie ich, die gar
nichts machen. Das Motto in meinem Wohnhaus
dürfte sein: Du darfst alles machen, Hauptsache du
erreichst nichts! Diese Gleichgesinnten machen die
Jahre in dem vergammelten Rattentempel einigermaßen erträglich, manchmal sogar amüsant und witzig.
Meine Freundin macht sofort die Tür auf nachdem
sie mich an der Sprechanlage klingeln hört. Der
Hausmeister sieht mich trotzdem und wirft einen
verächtlichen Blick auf den Miniblumenstrauß, dabei
kommt ihm ein gemeines Lächeln über die Lippen.
Ich kann mich nicht zurückhalten und bemerke
sarkastisch: „Die hebe
ich auf für Ihr Begräbnis, freu mich schon!“ Er
ist perplex, weil in seinem Reich ist er der König und niemand wagt es
sich mit diesem mächtigen Mann anzulegen.
Viele arme Leute hat er
in seinem Berufsleben
dermaßen
denunziert
und angeschwärzt, dass
sie aufgrund seiner
Lügen die Wohnung verloren haben. Solche Aktionen liebt dieser Ungustl. Über mich hat er keine
Macht, das ärgert ihn. Meine Freundin wundert sich
über die Blumen, freut sich trotz des bescheidenen
Anblicks. Wir setzen uns auf die Couch, ich nehme
35
Der eiskalte Einbrecher
ihre Hand und schaue verlegen einmal in ihre Augen,
dann wieder im Raum herum. Voller Ungeduld fragt
sie was los ist mit mir, so sei ich noch nie gewesen.
„Ich weiß nicht wie ich anfangen soll, ich habe was
vor. Das Dumme ist nur, ich weiß nicht was.“
„Kannst du bitte etwas präziser werden. Im Normalfall weiß man vorher was man vorhat und schaut
nicht hinterher, was man getan hat.“ „Ich will stehlen“ rutscht es mit heraus und warte auf Kellys Reaktion. Sie ist total gefasst und meint nur lapidar:
„Du sprichst aber schon von Geld, nicht von einer
Zeitung am Sonntag, hoffe ich.“ Meine Freundin
steht diesen Dingen sehr offen gegenüber, seit sie
verstanden hat, dass man mit Ehrlichkeit und Fleiß
einen großen Tyneff erreicht. Sie hat mit ansehen
müssen, wie ein ehrlich arbeitender Mensch um seine
Früchte gebracht wurde. Ihr Vater hat nach seinem
Studium jahrelang Tag und Nacht für ein damals
noch kleines Unternehmen geschuftet. Man kann
sagen, er hat die Firma zur Börse geführt. Er saß sogar an den wenig freien Wochenenden in seiner
Kammer und hat Kostenpläne und Finanzierungsstrategien entwickelt, wenn andere Männer mit ihren
Familien die Freizeit verbrachte. Er tat dies, weil die
Geschäftsführung ihm versprach er bekäme seinen
Aktienanteil zum Vorzugspreis. Er wäre dann Aktionär, jedes Jahr gibt es eine fette Dividende und für
die eigene Firma arbeitet man doch gerne. Ein paar
Jahre müsse er sich ins Zeug legen, dann ist schwere
Zeit vorbei. Die Strolche gründeten tatsächliche eine
AG, jedoch ohne Kellys Vater. Die Börsenaufsicht
36
Der eiskalte Einbrecher
ermittelte noch einige Monate, natürlich ohne Anklage zu erheben. Kellys Vater wurde ohne Abfindung
rausgeekelt. Heute ist das Unternehmen international
tätig und bekannt für die stabile Finanzpolitik und
vorbildlichen Sozialleistungen. Der nächste Arbeitsplatz war noch schlimmer. In einer kleineren GmbH
für Verpackungstechnik fing er als Prokurist an.
Schon nach wenigen Monaten boten die Inhaber den
fleißigen Mann einen Gesellschaftsanteil an. Die
Firma hatte einen gewaltigen Wettbewerbsvorteil
gegenüber ihren Mitbewerbern. Einer der Geschäftsführer hatte ein Patent für eine gewisse Falttechnik
der Kartons inne. Damit konnte um einige Prozent
günstiger produziert werden. Kellys Vater erkannte
zu diesem Zeitpunkt das vorhandene Potenzial, und
die Bücher sowieso. Er konnte die mögliche Rendite
berechnen. Er nahm das Angebot an und investierte
das Erbe seiner Frau. Er war nun Gesellschafter. Was
er nicht wusste war, dass die Halunken nur einen
Idioten suchten, der die gesamte Arbeit übernahm.
Durch die Begeisterung und das enorme Fachwissen
von Dr. Doof erlebte die kleine Firma einen schnellen Aufstieg. Viele Industriebetriebe unterschrieben
Lieferverträge und das Geschäft florierte. Dr. Doof
arbeitete praktisch rund um die Uhr. Wiederum war
keine Zeit für Familie, Freizeit oder Urlaub. Das
konnte er ertragen, denn er glaubte sich auf der sicheren Seite zu wissen. Er war bereits Gesellschafter
und es war seine Firma. Maschinen wurden gekauft
und eine Halle gebaut. Eine unbeachtete Kleinigkeit
beendete den Erfolg der Firma. Dieses entscheidende
37
Der eiskalte Einbrecher
Patent war nicht auf die Firma eingetragen, sondern
auf eine natürliche Person, auf einen der Partner.
Der entzog der GmbH die Nutzungsrechte und verkaufte sie an einen Branchenriesen, der Angst bekommen hat, dass die kleine Firma ernsthaft zur
Konkurrenz werden könnte. Mit dem Erlös zahlte er
seine anteiligen Schulden und zog ans Meer. Die
Firma ging ohne dieses Patent in den Konkurs und
Kellys Vater wurde wegen Krida zu sechs Monaten
Gefängnis verurteilt. Nach der Haft bekam er nur
mehr gesundheitsschädigende Hilfsarbeiten und ist
nun als Halbinvalide seit Jahren arbeitslos.
„Natürlich spreche ich von Geld!“ sage ich forsch zu
Kelly. „Hast du schon mal überlegt wie viel Bares in
den Supermärkten liegt?“
„Phil, spinnst du? Das stimmt zwar, aber das holt
doch der Geldtransport ab. Einen Raubüberfall
kannst du vergessen. Das zahlt sich nicht aus.“
„Natürlich holt das Geld wer ab, aber vorher liegt es
in einem Tresor“ Ich erzähle ihr mein Erlebnis mit
der Kasse und dass ich genau den Tresorschlüssel
sah. „Deswegen glaube ich, dass alle diese Geschäfte einen Tresor haben.“
„Du sagst es schon, die haben einen Tresor. Wie
willst du hinein? Wie viel Geld ist da überhaupt zu
holen?“
Eine Menge Fragen prasseln auf mich ein die ich
natürlich auch nicht beantworten kann.
„Ich habe mir ausgerechnet, dass in einem kleinen
Supermarkt so um die 10000 Euro liegen müssten....“
Sie unterbrach mich je und quietschte auf „10000
38
Der eiskalte Einbrecher
das rentiert sich, das machen wir. Wir besorgen uns
ein Schweißgerät und so ein Ding zum Abhören, wie
im Film“
„Eine gute Idee, morgen werden wir sehen, was wir
in Erfahrung bringen können. Jetzt lass uns spazieren gehen und die ganze Sache einwirken.“
Von ihrer Wohnung aus ist es nicht weit zum Fluss.
Wir beschließen diesen Weg nicht mit dem Auto zu
fahren, sondern zu gehen. Die meiste Zeit des ausgedehnten Spaziergang entlang des Flusses sprechen
wir fast kein Wort und gehen schweigend nebeneinander her. Jeder macht sich seine Gedanken über das
kurze aber intensive Gespräch. Wir müssen verdauen, was wir besprochen haben. Am späten Abend, als
wir zurückkamen fragt sie mich, ob ich heute bei ihr
bleiben möchte. Ein verlockendes Angebot, als ich
aber den Hausmeister sehe, der noch immer im
Durchgang steht, vergeht mir die Lust auf alles und
fahre zu mir.
39
Der eiskalte Einbrecher
KAPITEL 3
Die ersten
Schritte
Gut gelaunt wache ich am nächsten Tag auf. Am
Vormittag fahre ich zufällig bei einer Tresorfirma
vorbei und beschließe kurzerhand mich hineinzutrauen. Obwohl meine Route mich täglich hier vorbeiführt, wurde das Geschäft noch nie von mir wahrgenommen. Das muss so sein, denke ich, das ist seriös.
Im Verkaufsraum stehen viele verschiede Tresore
herum.
Von
einer
kleinen
Geldkassette in
einem Glaskasten bis zum riesigen Panzerschrank.
Die
meisten
sind
metallgrau, aber
ein besonders
großes Exemplar ist in wunderschönem kirschrot
lackiert. Der Schrank ist eindeutig der Blickfang der
Firma. Ich gehe darauf zu und drehe am Griff an, da
stürzt der Verkäufer auf mich zu. Der kleine gedrun40
Der eiskalte Einbrecher
gene Mann mit Halbglatze ist offensichtlich den ganzen Tag allein, denn er fängt sofort an zu sprechen.
„Sie haben einen guten Geschmack, junger Mann,
das ist unser Flaggschiff. Zwei Doppelbartschlösser,
Keramikauskleidung, zwanzigfache Verriegelung,
sturzfest bis 200 Meter, feuerfest bis 4 Stunden bei
900 Grad, zwei Innentresore, 800 Liter Raumvolumen 5500 Kilogramm und absolut aufbohrsicher.
Haben Sie Fragen?“
„Naja ich wollte mich nur einmal umsehen, was es
alles so gibt, jetzt haben Sie mich überfordert.“
„Das tut mir leid, Sie sahen so kompetent aus, wie
Sie auf den XST zu gesteuert sind, dass ich dachte,
mit Ihnen kann ich Klartext reden, Sie kennen sich
aus. Aber ich erklär Ihnen gerne alles ganz genau,
wenn Sie es wünschen.“
„Das ist sehr nett von Ihnen, Sie müssen wissen ich
verstehe nicht viel von Tresoren.“ ist meine schüchterne Antwort. Um meine Unsicherheit zu verbergen,
halte ich mich noch immer am Griff fest. Der Verkäufer ist wirklich höflich und hat jeder Menge Zeit.
„Sie müssen mir helfen, für welchen Zweck benötigen Sie das Objekt. In welcher Branche sind Sie oder
Ihr Unternehmen tätig.“ Der Mann geht sehr geschickt vor, um mich auszuhorchen.
„In der Transportbranche, ich will mir nur einen
Überblick verschaffen. Sagen Sie, geht das wirklich
mit einem Stethoskop das Schloss abhorchen?“ falle
ich mit der Türe ins Haus.
„Nein! Erstens bei diesem Modell ist das prinzipiell
nicht möglich, weil diese Kassa mit Doppelbart41
Der eiskalte Einbrecher
schlössern gesichert ist. Es wäre nur bei einer Kassa
mit Zahlenkombination anwendbar. Jedoch kann ich
Sie beruhigen, die Drehscheiben sind so angeordnet,
dass sie geräuschfrei drehen. Zusätzlich ist der gesamte Mechanismus massiv gedämpft und abgeschirmt, das des Vorgang des Abhörens technisch
nicht möglich ist. Sie würden nicht einmal etwas hören mit einem Hörverstärker, der mit dem Faktor
1:1 000 000 arbeitet. Warum man nichts hören
kann, fragen Sie? Weil es nichts zu hören gibt.“
„Aber man sieht doch immer in den Filmen, wie das
gemacht wird“ quäle ich den redseligen Mann weiter.
„Im Film können die Leute auch fliegen,“ lacht er.
„Nein Sie haben recht. Es gab einst Tresore, die abgehört werden konnten, aber das ist über hundert
Jahre vorbei. So ein Schrank ist mehr wert als der
Inhalt.“
„Darf ich Sie noch etwas fragen?“ tastete ich mich
vorsichtig weiter.
„Bitte, bitte nur zu. Für das bin ich ja da.“
„Dieses Doppelbartschloss ist genauso gut, kann
man das nicht aufsperren mit einem Sperrhaken oder
so etwas ähnlichem.“
„Ich kann Sie auch hier beruhigen, seit Bestehen
unserer Firma wurde noch nie eines unserer Produkte unberechtigt geöffnet. Diese Schlösser sind eine
Chubb Mechanik. Sechzehn federlose Blattzuhaltungen arbeiten hier mit einer Präzision, die mit freien
Auge nicht mehr wahrnehmbar ist. Die Scheiben sind
auf ein Tausendstel Millimeter genau. Zum Ver-
42
Der eiskalte Einbrecher
gleich, ein Haar hat 3 Hundertstel Millimeter
Durchmesser. Das ist das dreißigfache, und ein Haar
ist schon sehr dünn. Es kommt nur auf den Verwendungszweck an, ob Sie sich für ein Modell mit Doppelbartschloss oder Zahlenkombination entscheiden.
Wir hätten noch eine elektronische Variante oder
eine Kombination mit einer Zeituhr.“
Der Mann ist nicht zu stoppen, das steht fest. Entweder es ist der Inhaber der Firma oder er bekommt
eine saftige Provision. Mir genügen diese ersten Informationen.
„Danke für Ihre Beratung, ich sage das meinem Chef
und melde mich wieder.“ Mit rauchenden Kopf verlasse ich den Laden. Eine Stunde fehlt mir in meinem
Tagesplan. Das lässt sich niemals aufholen. Ein Griff
zum Mobiltelefon kann mir Hilfe bringen. Ich rufe
meinen Kollegen an für den ich vorgestern den
Landkunden gemacht habe.
„Hallo Marcus, kannst du mir bitte ein paar Adressen abnehmen, ich habe da was am Laufen gehabt.“
Marcus ist ein Weiberheld und hat nur Verständnis
wenn ein Mädel schuld ist an einem Zeitproblem,
sonst lässt er nichts gelten. Wir helfen uns manchmal
aus, auch wenn das verboten ist. Es geht um die
Haftbarkeit. Wenn ein Paket beschädigt ist oder verloren geht muss der Bote eindeutig eruierbar sein.
Die Versicherung zahlt nur bei eindeutiger Zuordnung. Diese Vorschrift ist uns Fahrern egal, wir haben sowieso nichts zu verlieren.
„Selbstverfreilich du Casanova, welche Kunden sind
offen ich habe genug Zeit heute!“
43
Der eiskalte Einbrecher
„Die Viererstrecke, danke Marcus, damit sind wir
quitt!“ Die Viererstrecke sind alle angeschlossenen
Kopieshops auf der Nordseite. Wir reden miteinander
nur in Codewörtern. Es ist einerseits weniger zu
sprechen am Telefon und das ist wichtig. Ohne Codierung müssten wir jeden Firmennamen mit Adresse
einzeln übermitteln. Dies wäre unmöglich, wir würden den ganzen Tag nur telefonieren. Außerdem hat
es noch einen historischen Grund. Unsere Autos waren früher mit Funkgeräten ausgestattet. Wir funkten
uns die Kunden durch und wenn wir dann zum besagten Kunden fuhren, dann sagte uns dieser es war
bereits ein Botendienst da, danke wir brauche Sie
nicht mehr. Diese Vorfälle häuften sich derart oft,
dass die Zentrale der Sache auf den Grund ging. Der
Chef kam zu einen erstaunlichen Ergebnis. Die Konkurrenz hörte unsere Funkgeräte ab, rief blitzschnell
den Kunden an und unterbot unsere Tarife. Es ist
kinderleicht die Frequenz abzuhören, so haben wir
dann Codewörter eingeführt. Später bekamen wir
dann Autotelefone, die sind abhörsicher. Die Geheimsprache ist geblieben. Mir ist noch immer
schlecht von der Pizza, darum lege ich mich abends
sofort auf mein Sofa, und denke über das Gespräch
in dem Geschäft nach. Der Verkäufer hat hundert
Prozent recht, einen Tresor kann man nicht öffnen,
und schon gar nicht einer der nichts versteht davon.
Bisher habe ich damit nichts zu tun gehabt und habe
keinerlei Ahnung wie diese Schlösser funktionieren.
Heute war überhaupt das erste mal, dass ich einen
Geldschrank von der Nähe gesehen haben. Wenn
44
Der eiskalte Einbrecher
man so ein Ding leicht knacken könnte, dann würde
man keinen brauchen. Das ist eine einfache Milchmädchenrechnung. Die Neuigkeiten erzähle ich Kelly
am Telefon. Sie ist wenig überrascht von den Schilderungen. „Was hast du die erwartet?“ fragt sie
forsch. „Hast du geglaubt, dass der Verkäufer sagt,
unsere Produkte sind schlecht, die können Sie mit
jeder Haarnadel aufsperren. Irgendwie geht das sicher, in der Zeitung steht doch oft, dass irgendwo ein
Firmentresor aufgeschweißt wurde.“
„Ja das stimmt, das ließt man oft, also geht es. Morgen werde ich mich weiter schlau machen!“
In der Früh habe ich nur kaltes Wasser, weil der
Durchlauferhitzer endgültig den Geist aufgegeben
hat. Ein Neuer kostet mehr als ein Botendienstfahrer
in zwei Monaten verdient. Da stimmt das Verhältnis
nicht mehr. Es ist überhaupt alles zu teuer. Ich kann
mir unmöglich schon wieder eine Reparatur leisten.
Das letzte Mal war der Installateur vor vier Monaten
hier und hat mir das Gerät repariert. Er arbeitete nicht
ganz eine Stunde, war unfreundlich wie der öffentliche Abschleppdienst und verlangte 160 Euro. Als
krönenden Abschluss murrte er: „Das war das letzte
Mal, dass ich Ihnen den Gefallen getan habe und den
Dreck wieder in Ordnung gebracht habe. Rufen Sie
mich erst wieder an, wenn Sie sich einen Neuen kaufen.“
Ich habe mich erkundigt, ein neues Gerät kostet über
2000 Euro. Damit ist das Kapitel Warmwasser erledigt. Ab heute werde ich wohl oder übel ins Hallenbad gehen müssen, zumindest einmal die Woche.
45
Der eiskalte Einbrecher
Mit einer Tasse Löskaffee im beleidigten Magen und
ungewaschen wird der Arbeitstag begonnen. Der
normale Pulverkaffee ist mir ausgegangen, und zum
Wasserwärmen am Gasherd ist keine Zeit mehr.
Später am Vormittag komme ich wieder bei dem
Tresorladen vorbei. Zuerst zögere ich noch wieder
über die Schwelle zu gehen, weil die Situation doch
ein wenig peinlich werden könnte. Es ist mir schließlich egal und betrete den Laden erneut. Wieder stürzt
der freundliche Verkäufer auf mich zu, reicht mir die
Hand, als wäre ein Millionengeschäft unter Dach und
Fach. „Grüß Gott, mein Herr, haben Sie mit Ihrem
Chef gesprochen? Ich sehe es Ihnen an, einige Fragen sind noch offen, bitte haben Sie keine Scheu!“
„Ja wir haben die Sache besprochen, einiges ist unklar. Sie müssen wissen, mein Vorgesetzter ist ein
vorsichtiger Mensch. Angenommen ein Gauner
kommt mit einem Schweißbrenner, wie lange würde
das bis er offen wäre,“ schwindelte ich ihn an.
„Unsere Standkassen sind rundherum mit Keramikplatten unter dem Stahlmantel. Diese Keramikplatten
sind praktisch unschmelzbar. Das bedeutet in der
Praxis erst bei 2800 Grad. Kein Schweißgerät erreicht diese Temperatur. Es würde viele Tage dauern, bis der Schutzmantel doch nachgibt. Und falls es
jemand versucht mit einer Trennscheibe und mit einer Diamanttrennscheibe so wird er genauso scheitern, denn zwischen den einzelnen Modulen ist unschmelzbarer Sand. Jede Trennscheibe verschmiert
in Sekunden.“
„Danke das sind fantastische Nachrichten, ich werde
46
Der eiskalte Einbrecher
das Ganze weiterleiten!“
Langsam wird der Verkäufer misstrauisch und bezweifelt meine Kompetenz. „Vielleicht mag Ihr Herr
Chef selbst zu uns kommen, damit ich Ihm die Vorzüge unserer Produkte persönlich erklären darf. Wir
könnten uns auch einen kurzen Film ansehen. Der
dauert 15 Minuten und man sieht alle Arten von gewaltsamen Öffnungsversuchen von Bohrversuchen
bis zum Sturz aus einen Hubschrauber. Wir ließen
extra eine solches Werbevideo anfertigen um auch
die anspruchsvollsten Kunden restlos zu überzeugen.
Gehen wir einen Sprung in mein Büro, ich schreibe
mir die Daten Ihrer Firma auf und schreibe Ihren
Vorgesetzten einen Brief mit ein paar Terminvorschlägen für die Filmvorführung!“
Damit hat mich der geschickte Rhetoriker in die Ecke
gedrängt. Er weiß längst, dass ich niemanden hinter
mir habe und keinerlei Absicht habe irgendetwas zu
kaufen. Er stuft mich wahrscheinlich als Quälgeist
ein, der den ganzen Tag nichts zu tun hat. So einer,
der aus Langeweile von Geschäft zu Geschäft geht
und nur tratschen will, ein sogenannter Frager. Da
dem Mann selbst fad ist, stört das nicht im geringsten, nein im Gegenteil, er freut sich sogar über solche
Kunden. Es ist sicher ein schwerer Job hier in Einsamkeit den Tag abzusitzen. Um das Gespräch zu
beenden und nicht ganz als Idiot dazustehen fällt mir
nicht viel ein. „Hätten Sie eine Karte von sich, ich
gebe Sie meinem Chef. Er wird Sie anrufen, wenn er
den Film sehen will. Er hat nicht so gerne, wenn jemand seine Daten hat. Er ist äußerst diskret.“
47
Der eiskalte Einbrecher
„Gerne, das verstehe ich gut. Kommen Sie trotzdem
kurz mit zu meinem Schreibtisch. Dort liegen meine
Visitenkarten.“ Der Mann versucht alles, um die
drohende Stille etwas hinauszuzögern. Er weiß, dass
er nach mir wieder stunden- oder tagelang allein mit
den stummen eisernen Monstern den Raum teilen
muss. Mit einem kunstvoll gravierten Kugelschreiber, den er mit einem Ritual aus seiner Anzuginnentasche zieht, schreibt er in einem Schwung eine Telefonnummer und das Wort privat auf eine künstlerisch
gestaltete Karte. Sie ist bedruckt mit dem Firmennamen und ein Bild eines Tresors aus dem Wilden
Westen. Dies ganze geschieht unendlich langsam, die
Minuten streichen dahin. Das heutige Gespräch hat
bei weitem kürzer gedauert, dennoch muss ich meine
gesamte Fahrkunst einsetzen, um den Tagesplan zu
schaffen. Die Termine sind derart eng, dass selbst
zwei Rotphasen ernste Zeitprobleme bringen können.
Der jahrelange Stress macht mich allmählich fertig,
das geht nicht spurlos vorüber. Obwohl ich eine halbe Stunde mit dem Tresorheini verplempert habe,
schaffe ich es einige Adressen von Marcus zu übernehmen. Ein guter Bonus zum Tauschen an einen
anderen Tag. Am Heimweg gibt es Gemüseburger
und Pommes, die lasse ich mir einpacken und will
genüsslich zu Hause essen. Meine erste Tat in der
Wohnung ist der Gang zur Dusche, den ich diesmal
bitter bereue. Ich habe vergessen, dass das Gasgerät
kaputt ist und ein eiskalter Wasserschwall ergießt
sich über meinen pochenden Kopf und verspannten
Rücken. Ich schreie auf, breche in der Duschkabine
48
Der eiskalte Einbrecher
zusammen und flenne in den Abfluss „Oh du elendiges Leben.“ Ein Schüttelfrost mit verbundenen
Weinkrampf ist die Folge. Nach einigen Stunden
intensiven Zitterns am Küchenboden begreife ich
meine trostlose Lage. Es muss etwas geschehen. Der
Entschluss steht nun endgültig fest. Irgendwie muss
ich an das Geld des Supermarktes. Von jetzt an werde ich alles unternehmen um dieses unmögliche Vorhaben zu verwirklichen. Zuerst muss mehr über die
Tresore in Erfahrung gebracht werden, so ist die erste
Stufe des Plans. In der Früh suche ich einige Tresorfirmen heraus, schreibe sie auf einen Zettel und stecke ihn in die Jacketasche. Der einzige Vorteil, den
dieser Idiotenjob hat, ist, dass man hinfahren kann
wo man will, ohne dass es wer merkt und dich dann
anschreien kann. So lange man erreichbar ist und
halbwegs pünktlich bei den Kunden eintrifft, sagt
keiner was in der
Zentrale. Unser
Auftraggeber explodierte, wenn er
von unseren Extratouren wüsste.
Die Route wird
heute so von mir
umgeplant, dass
mein Weg mich bei einer anderen Tresorfirma vorbeiführt. Selbstbewusster als beim gestrigen Besuch
betrete ich den Verkaufsraum, wo mich sofort ein49
Der eiskalte Einbrecher
großgewachsener hagerer Mann begrüßt.
„Kann ich ihnen helfen?“ „Unsere Firma gedenkt
einen Tresor zu kaufen, jetzt möchten wir uns einige
Modelle ansehen.“
„Das ist ein guter Entschluss, wir haben für viele
verschiedene Modelle für die verschiedensten Zwecke. Ein Bankinstitut hat ein gänzlich anderes
Schutzbedürfnis als ein Rechtsanwalt oder ein Notar.
In welcher Branche sind Sie tätig?“ fragte mich der
sachlich sprechende Verkäufer.
„Wir sind im Transportwesen tätig.“
„Speditionen haben meist wenig Bargeld, dafür große Mengen an wichtigen Papieren. Wir haben einige
Unternehmen aus der Branche bereits ausgerüstet.
Das Hauptaugenmerk liegt auf die Übernachtverwahrung der Dokumente, eine permanente Sicherung
der Unterlagen, das bedeutet auch während der Arbeitszeit, ist meist nicht notwendig. In den meisten
Fällen ist dies sogar unerwünscht, es würde den
normalen Arbeitsablauf beeinträchtigen. Für jedes
benötigte Papier müssten Sie den Tresor öffnen, da
kämen Sie nicht viel zum Arbeiten.“ Seine Worte
klingen wie auswendig gelernt, und das Gespräch
geht in die falsche Richtung. Der Mann soll mir mitteilen welche ungefähren Modelle für Supermärkte in
Frage kommt, also muss ich einen Vergleich erfinden. „Darf ich sie korrigieren.? Wir haben mehr eine
Inkassotätigkeit und weniger mit Akten oder Unterlagen zu tun. Bei uns ist es so, dass so alle paar
Stunden ein Geldbetrag in Sicherheit gebracht werden muss.“
50
Der eiskalte Einbrecher
„Dann ist die Sachlage anders. Hier gibt es zwei
Möglichkeiten: Hat nur eine Person Zutritt zur Kasse
und diese Person ist
untrennbar mit dem
Unternehmen verbunden, so rate ich
Ihnen zu einem
Kombinationsschloss oder Elektronikschloss. Diese
Variante ist zu empfehlen für den Inhaber, Prokuristen oder Direktor. Auch für private Zwecke bestens
geeignet. Einmal die Kombination auswendig gelernt, und Sie haben nie mehr auf einen Schlüssel zu
achten .Sollten verschiedene Menschen den Schrank
füllen oder beheben dürfen, so kann ich von einem
Zahlenschloss nur abraten. Eine Weitergabe des
Zahlenkodes wäre unvermeidlich. Bei wechselnden
Berechtigten, ich spreche hier die Gruppe der Filialleiter, Geschäftsführer und Kassierer an, müsste
nach jedem Ausscheiden dieser Personen die Kombination von einem unserer Techniker geändert werden. Unternehmen besetzen mitunter häufig die Positionen im mittleren Management neu. Eine einzige
Nachlässigkeit und die Sicherheit wäre dahin, und
damit auch der Versicherungsschutz. Trifft dieses
angesprochene Szenario auf Sie zu, so empfehle ich
Ihnen wärmsten Herzens eine Doppelbartschließung.
Zu jedem Schrank werden zwei Doppelbartschlüssel
ausgeliefert. Ein Exemplar sollte in einem Bankschließfach deponiert werden, für den Notfall. Der
51
Der eiskalte Einbrecher
andere Schlüssel wird dem Berechtigten übergeben.
Der Sperrberechtigte ist in der Zeit in der er den
Schlüssel innehat für die Kassa persönlich verantwortlich. Jede Weitergabe wird genauestens protokolliert um ein „Verborgen“ auszuschließen. Sie
können damit sicher sein, dass immer nur eine Person zur selben Zeit Zugriff hat.“
Die Ausführungen des Verkäufers sind mehr als umfangreich, er hat mich damit gut informiert. Dankbar
und mit einem Händeschütteln verlasse ich das Geschäft. An der automatisch öffnenden Ausgangstür
überreicht er mir noch eine Visitenkarte. Die Schicht
fahre ich zu Ende und kann es gar nicht erwarten
Kelly die Neuigkeiten zu erzählen. Wir treffen uns in
einem
großen
Buchgeschäft, an
dem heute Abend
ein
Prominenter
Schifahrer
eine
Signierstunde abhält. Wir gehen
öfters zu solchen
und ähnlichen Veranstaltungen.
Da
gibt es massenhaft
belegte Brote und
köstliche Häppchen
zum Nulltarif. Wir
füllen uns dermaßen den Bauch an, dass es fast für
eine Woche ausgereicht. Der Rummel ist jedes Mal
riesig, hundert Autogrammjäger schwirren hin und
52
Der eiskalte Einbrecher
her, und wir nutzen den Trubel um uns ungestört am
kaltem Buffet vergreifen zu können. Vernissagen,
Lesungen,
Empfänge,
Ausstellungen und ähnliche Anlässe wie Premieren eignen sich bestens
zum Gratisessen. Man
trifft immer wieder die
selben Leute, lächelt und
schweigt. Es macht uns keinen Spaß so zu leben,
aber wir müssen uns durchschlagen, sparen wo es
geht. Nach der ersten Sättigung erzähle ich meiner
aufgeregten Freundin alles was ich in Erfahrung gebracht habe. Sie zappelt herum und kann es gar nicht
erwarten. „Heute war ich bei einem anderen Tresorladen und habe mich weiter erkundigt. Der Herr hat
mich gut aufgeklärt. Ich weiß jetzt, dass Geschäfte
wie Supermärkte wahrscheinlich Tresore mit Schlüsseln haben, genauer gesagt mit Doppelbartschlüssel.“
Sichtlich enttäuscht von meinen Nachforschungen
antwortet sie mir. „Worin besteht darin die Neuigkeit? Das wissen wir doch schon. Du hast doch selbst
die Kassiererin gesehen mit dem Schlüssel in der
Kassa, zumindest hast du mir es erzählt. Durch deine
Beobachtung sind wir erst auf die Idee gekommen.“
Sie hat die Tragweite dieser Erkenntnis offensichtlich
nicht realisiert. „Kelly, überlege doch mal, das bedeutet, dass wir uns nur auf Tresore konzentrieren
müssen, die mit Schlüssel sperren, weder mit Elektronik oder Zahlenkombination verriegelt werden,
53
Der eiskalte Einbrecher
also ich empfinde dies als Fortschritt.“
„Von dieser Seite aus gesehen ist es vielleicht eine
Erleichterung, aber die Dinger mit Schlüssel springen sicher nicht durchs hinschauen auf.“
„Ja stimmt auch wieder, aber wir werden uns ins
Zeug hängen. Zuerst müssen wir rausbekommen, wie
man so eine Kiste knackt. Ich tippe noch immer auf
schweißen, das geht Hundertprozent.“
Kelly schaut trotzdem traurig drein,
sie sieht schwarz in
dem ganzen Unterfangen. Sie sieht für
unser ganzes Leben
schwarz und hat
nicht unrecht. Sie
weiß so gut wie ich,
dass unser ganzes
Gerede um unseren
Coup nur leere Kilometer sind. Wo sollen wir das
Geld hernehmen für die Ausrüstung, die wir benötigen. Leise sagt zu mir. „Hast du dir schon überlegt
was für Schweißgerät du benötigst und wo du das
herbekommst? Gehst du ein Werkzeuggeschäft und
fragst du: Entschuldigen Sie, borgen Sie mir einen
Schweißmaschine, ich muss den Supermarkt an der
Ecke ausräumen! Welches Gerät empfehlen Sie
mir?“
„Langsam, langsam, falle ich Ihr ins Wort, das finden wir schon heraus. Das dauert alles nur seine
Zeit. Ich bemühe mich so gut ich kann.“
54
Der eiskalte Einbrecher
Nach diesem hitzigen Gespräch meldet sich der
Hunger wieder und wir müssen uns ordentlich ranhalten, sonst essen uns die anderen alles weg. Der
Sicherheitsdienst,
ein etwa dreißigjähriger kahlgeschorener Mann mit brutalem primitiven Gesichtsausdruck beobachtet uns seit einer halben Stunde.
Obwohl unsere Art
ihn gegen den Strich
geht, darf er uns
nicht verjagen. Es geht ihn nichts an, er ist nur für die
Sicherheit zuständig und nicht für das Kulinarische.
Die Veranstaltungen von Sportlern sind sehr beliebt
bei den Gratisessern. Das sind die besten. Es gibt das
üppigste Buffet und nur gesunde Nahrungsmittel. Die
Wachmänner sind beauftragt niemanden zu verweisen und sich im Hintergrund zu halten. Fußballer
oder Schifahrer sind angewiesen auf gute Presse. Es
würde sich nicht gutmachen als Schlagzeile, wenn
stünde: <Sportfan von Leibwächter aus dem Saal
geworfen.> Bei einem Künstler ist das was anderes.
Einige provozieren gerne einen Skandal um in die
Presse zu kommen, sonst wird gar nichts geschrieben
über ihn, und das Essen ist meist auch schlecht. Die
meisten Künstler entscheiden sich für einen Billig
Catering Service mit schlechten Lebensmittel und
immer viel zu wenig. Die Wachleute sind angewie55
Der eiskalte Einbrecher
sen aggressiv zu sein und möglichst viel Aufsehen zu
machen. Zu Malern oder Bildhauern kommt im Regelfall nur der harte Kern der Buffet Jäger! Kelly und
ich sind nach zwei Stunden richtig satt, einige Kuchenstücke können wir geschickt und unbemerkt in
der Jacketasche verschwinden lassen. dann gehen wir
schleunigst. Mir ist dermaßen schlecht, dass ich zu
Fuß nach Hause gehen muss und meine Freundin
nicht heimführen kann. Sie wohnt ohnehin nicht weit
weg von dem Buchgeschäft. Auf halben Weg wird
meine Übelkeit unerträglich, aber ich will mich nicht
übergeben, dann wäre der Hunger in zwei Stunden
wieder da. Ich mache tiefe Atemzüge um die
Verbrennung anzukurbeln und schaffe es ein Kotzen
zu verhindern. Die eiskalte Dusche vor dem Schlafen
ist eine Qual und kaum auszuhalten. Die Seife auf
meinem Körper lässt sich mit dem kalten Wasser
nicht abspülen. So dauert das duschen eine gute Viertelstunde bis ich krebsrot und steif wie eine Holzpuppe frierend ins Bett falle und mich stundenlang
nicht erwärme. Das Frühstück fällt aus, die Aufstriche stehen mir noch immer bis zur Oberkante Unterlippe. Der Nachgeschmack ist intensiv und widerlich,
für mich nichts neues, denn mir geht es jeden Morgen nach einer Fressorgie so wie heute. Der Tag verstreicht ohne neue Erkenntnisse für unser kriminelles
Vorhaben zu bringen. Auch an den darauffolgenden
tut sich nichts.
56
Der eiskalte Einbrecher
KAPITEL 4
Kelly schaltet sich ein
Leer und kraftlos vergehen die Arbeitstage, bis mich
Kelly anruft und mir von ihrem Besuch in einem
Schlüsseldienst
erzählt. Sie hat
Firma für Firma
angerufen und
gefragt,
wer
Tresore öffnen
kann. Die Unternehmen mit
den großen Namen haben alle
abgelehnt, jedoch einige
kleinere haben sofort angebissen. Es handelt sich um
Einmannbetriebe, die den harten Existenzkampf kennen und täglich ums Überleben ringen. So ein Miniunternehmen kann sich die Aufträge nicht aussuchen,
und muss machen was anfallt. Nach der telefonischen
Auskunft hat sich Kelly auf den Weg gemacht und ist
zu der jeweiligen Aufsperrfirma hingefahren. Persönlich redet es sich besser, hat sie dem Chef erzählt.
57
Der eiskalte Einbrecher
Das erste Geschäft liegt in einer Seitengasse und ist
schwer zu finden. Der Inhaber steht hinter einen
selbstgebauten Pult und tut so als ob er sehr beschäftigt wäre, als er sieht dass jemand den Laden betritt.
„Guten Tag, ich habe heute angerufen wegen des
Tresors“
„Ah ja ich erinnere mich, um was geht es denn genau?“
„Es geht um folgendes. Meine Tante hat einen Kreisler gehabt und ist vor vier Wochen gestorben. Jetzt
ist der Notar und die ganze Erbschaftsangelegenheit
erledigt und wir müssen das alte Geschäft räumen.
Wäre alles kein Problem, wenn nicht im Hinterzimmer ein großer Tresor stünde. Wir wollen aber nicht
das Lokal zurückgeben ohne zu wissen, ob etwas drinnen ist. Man weiß ja
nicht, es könnte ja
eine Million sein.“
Ohne eine Mine zu
verziehen fragt der
Schlosser. „Sie sagen, die Kasse steht
im Hinterzimmer,
das bedeutet es handelt sich um eine Standkasse und
nicht um einen Wandtresor Ich müsste mir das ganze
anschauen, das müssen Sie auch verstehen. Wo ist
denn das?“
Das Mädchen ist durch die Frage des Schlossers in
Zugzwang geraten und muss sich herausreden. „Viel-
58
Der eiskalte Einbrecher
leicht können wir das wichtigste im Vorfeld klären,
ich habe meine Gründe dafür. Ich war vor Ihnen bei
einem anderen Aufsperrdienst und der sagte auch,
dass er sich vorher einen Überblick verschaffen
muss. Das hat er auch gemacht. Er sah sich das Objekt an, ist einmal rundherum gegangen und hat dann
gesagt er kann diesen Panzerschrank nicht öffnen.
Für den Weg und für seine Zeit bekommt er 110 Euro. Meine Mutter möchte nicht, dass uns so etwas
nochmals passiert.“
Der Mann hinterm Pult bewegte sich noch immer
nicht und meinte: „Das war sicher der Kornmair,
der arbeitet so. Bei mir brauchen Sie keine Angst
haben, anschauen kostet nichts. Aber das Notwendigste können wir auch so besprechen. Also, hat der
Schrank ein Schloss oder eine Kombination?“
„Der ist sicher mit Schlüssel zu sperren, auf das
kann ich mich erinnern als ich noch ein Mädchen
war. Meine Tante hatte den Schlüssel um den Hals
hängen. Der war lang und hatte links und rechts einen Bart.“
„Erstens sind Sie noch immer ein junges Mädchen,
das gehört auch gesagt, und zweitens nennt man das
Doppelbartschloss. Das klingt gar nicht gut.“
Obwohl dies für Kellys Vorhaben eine gute Antwort
ist verbirgt sie ihre Freude: „Oje, heißt das Sie können das auch nicht, und der Tresor muss für immer
und ewig geschlossen bleiben.“
„Nein, nein, keine Sorge! Ich will damit nur sagen,
dass ich ihn wahrscheinlich nicht aufsperren kann.
Doppelbartschlösser sind sehr präzise und es gibt
59
Der eiskalte Einbrecher
keinen Dietrich dafür. Die Kiste muss man aufschneiden mit einem Schneidbrenner.“
Sie versucht noch mehr von dem Mann zu erfahren:
„Ist das so schlimm, wenn Sie die Kassa aufschweißen müssen oder gibt es da ein Problem das meine
Mutter oder ich wissen sollte?“
„Problem kann man nicht sagen, ich übernehme solche Aufträge schon hin und wieder. Sie müssen rechnen, dass die ganze Arbeit mindestens einen ganzen
Tag dauert, vielleicht auch länger. Den ersten Mantel kann man schnell durchschneiden, dann geht es
nur mehr sehr langsam weiter. Ein einziges Mal
durch den zweiten Schutzmantel brennen und der
Inhalt löst sich in Rauch auf. Das ist einen Kollegen
passiert, mir Gott sei Dank noch nicht. Da muss man
höllisch aufpassen, darum dauert es auch lang. Wird
so um die 700 bis 1000 Euro kosten, dazu kommt
noch die Werkzeugmiete von 300 Euro. Mit der Steuer und dem Rest so um die 2000 Euro, kann auch
2500 werden. Außerdem müssen Sie mir unterschreiben, dass ich nicht haftbar bin, wenn trotz meiner
Vorsicht etwas verbrennt. Und ein Polizist muss auch
anwesend sein, zumindest muss die Polizei wissen
von dem Auftrag.“
„Wieso die Polizei?“ fragt Kelly erschrocken.
„Ich muss mich rechtlich absichern, Sie können mir
das Blaue von Himmel erzählen. Wenn die Geschichte mit Ihrer Tante nicht stimmt, lande ich im Gefängnis und muss den Schaden ersetzen. Das ist einen
Kollegen von mir passiert. 8 Monate war im Knast
und fast 70000 Euro musste er dem Besitzer zahlen.
60
Der eiskalte Einbrecher
Die Summe war angeblich im Tresor. Malek, mein
Kollege, sagte aber, es war überhaupt nichts drinnen, das Ganze war eine Finte. Jetzt sind wir alle
vorsichtig.“
„Das verstehe ich“ sagt Kelly, „es ist kein Problem
die Polizei hinzuzuziehen. Auch Ihre Bezahlung wird
kein Hindernis sein, das zahlt der Nachlass. Eine
Frage habe ich noch. Wieso können Sie den Tresor
nicht aufbohren. Muss der gleich aufgeschweißt werden, wenn das so gefährlich ist?“
Der Schlüsseldienstler hebt den Klapppult und geht
in den vorderen Teil des Verkaufsraumes. Er schiebt
einen hässlichen bodenlangen Vorhang zur Seite, der
nur den Zweck hat einen würfelförmigen Standtresor
mit den ungefähren Seitenlängen von einem Meter zu
verbergen. Demonstrativ stützt er sich auf dem maschinengrauen Eisenquader ab, als wäre es sein ganzer Stolz.
„Liebe Fräulein, sehen Sie sich dieses Meisterwerk
an. Kein Bohrer auf Welt durchdringt diesen doppelten Edelstahlmantel. Und wenn das doch gelänge,
dann scheitert das Werkzeug garantiert an der
Glasplatte, die zwischen den Stahlplatten eingearbeitet ist.“
„Und warum können Sie die Kassa nicht aufsperren
mit einem Drahtwerkzeug oder einem Sperrhaken, im
Film geht das. Außerdem wäre dann der Tresor nicht
kaputt.“
Etwas beleidigt, denn schließlich geht es um seine
Handwerkerehre antwortet der Aufsperrtechniker:
„Ich habe Ihnen schon gesagt, dass es keinen pas61
Der eiskalte Einbrecher
senden Dietrich gibt. Ich müsste extra nur für diesen
Panzerschrank ein eigenes Werkzeug anfertigen, und
dann würde es noch immer nicht sicher sein, ob er
sich knacken lässt. Das kann dann eine oder zwei
Wochen dauern, wenn es überhaupt klappt. Wenn
nicht, war alles für die Katze und wir müssen trotzdem schweißen und den Tresor zerstören. Übrigens,
Sie müssen schriftlich mit einer Beschädigung einverstanden sein.“
Kelly weiß nun was Sie wissen wollte, und sagt dem
Schlosser sie müsse mit ihrer Mutter das weitere
Vorgehen besprechen,
verabschiedete sich und
geht. Die Besuche bei
den anderen Schlüsseldiensten laufen ähnlich
ab. Alle Aufsperrer
können diese Art von
Tresor nur mit dem
Schweißgerät öffnen.
Keiner der Spezialisten
ist in der Lage ein solches Schloss ohne
Lärm und Gestank zu
öffnen. Der einzige
Unterschied zwischen
den Ladenbesitzern ist
die Gage und die Formalitäten. Einer ist scheinbar
recht pleite, denn er will gleich mitgehen und fragt
nicht, ob das ganze auch korrekt sei. Es ist ihm egal,
wem der Tresor gehört. Diesen Mann muss man sich
62
Der eiskalte Einbrecher
merken, er könnte von Nutzen sein, denkt sich Kelly.
Ich höre aufmerksam am Telefon an, was mir meine
Freundin erzählt. Ihr ausführlicher Bericht gibt mir
wieder Kraft. „Da warst du aber fleißig! Du bist zu
all diesen Firmen hingefahren, da warst du die ganze
Woche über beschäftigt. Ich muss dir gestehen, ich
habe überhaupt nichts getan in dieser Richtung, ich
war zu müde. Außerdem hat die Therme den Geist
aufgegeben und was das heißt, kannst du dir ja denken.“
Sie unterbricht mich jäh: „Dann wird es Zeit, dass
wir uns aufraffen und weitermachen, wir brauchen
das Geld oder willst du ewig im Kreis fahren und
kalt duschen.“
„Natürlich will ich das nicht! Deinen Erkundigungen
zufolge wissen wir jetzt, dass wir schweißen müssen,
alles andere ist unmöglich. Wenn das Spezialisten
nicht können, wie sollen wir das schaffen.“
„Allerdings“ sagt sie, „wenn der Schlüsseldienst
schon einen Tag braucht zum aufschweißen, dann
brauchen wir doch das doppelte oder dreifache. Du
hast doch noch nie einen Schneidbrenner in der
Hand gehabt. Wir haben doch nicht so viel Zeit im
Supermarkt, höchstens ein paar Stunden und das ist
viel zu wenig.“
Ich antworte ihr: „Vielleicht sagen das die Schlosser
nur, um möglichst viel verlangen zu können. Kein
Mensch würde 2000 Euro bezahlen für eine Arbeit,
die nur eine oder zwei Stunden braucht. Man muss
das ausprobieren, und die Zeit stoppen“
„Und wie willst du das anstellen? Gehst du zum
63
Der eiskalte Einbrecher
nächsten Juwelier und fragst, ob du den Tresi kurz
aufschneiden darfst, weil du wissen willst, wie lange
das dauert. Bitte bleib doch realistisch.“
„Kelly, kannst du dich erinnern an den Typen, den
wir das Fahrrad verkauft haben, der hat doch so
einen Altwarenhandel mit allen möglichen Zeug. Ich
rufe ihn morgen an, kann mir vorstellen, dass er einen alten Tresor hat zum Üben.“
„Wenn du meinst Phil“ sagt sie „fragen kann man
ja.“
64
Der eiskalte Einbrecher
KAPITEL 5
Phil macht sich schlau
Zwei Tage später rufe ich den
Altwarenhändler vom Auto aus an, so lange hat es
gedauert bis ich die Telefonnummer gefunden habe:
„Hallo Herr Zorski, ich heiße Phil, vielleicht erinnern Sie sich noch an mich. Sie haben uns ein altes
Fahrrad abgekauft vor ungefähr einem halben
Jahr.“
„Nein kann mich nicht erinnern, außerdem ist mein
Name Zorki, aber das ist ja egal, was wollen Sie, ich
kaufe keine Räder mehr“ erwiderte er forsch.
„Es geht um etwas anderes, ich brauche einen alten
Tresor, haben Sie einen oder wissen Sie einen?“
Der Schrotthändler wittert ein Geschäft und wird
etwas freundlicher: „Ein paar alte Schränke stehen
bei mir im Hof herum, Sie müssen herkommen und
anschauen, ob etwas dabei ist was Ihnen gefällt. Am
besten Sie kommen heute noch, denn am Wochenende
hat sich ein Herr angekündigt, der will alle kaufen.“
Der Händler lügt wie gedruckt, das ist nicht sehr
schwer zu merken. Es ist immer die selbe Masche,
ein zweiter Interessent wird erfunden. „Hallo, ich
weiß nicht, ob es sich heute noch ausgeht, wenn
nicht, dann komme ich morgen am Nachmittag. Passt
Ihnen das?“ frage ich und warte nicht gar nicht mehr
65
Der eiskalte Einbrecher
seine Antwort ab, sondern lege auf und steige aus,
nachdem ich durch Zufall einen freien Parkplatz vor
einer Bäckerei gesehen habe. Mit großem Appetit
stürme ich den Laden, im Geist vor mir entstehen
Bilder von knusprigen Mohnweckerl, reschen
Salzstangerl und saftigen Croissants. Dem Verlangen
nach diesen Backwaren weicht urplötzlich einer tiefen Enttäuschung. In der Vitrine stehen einige Weidenkörbe, jedoch bis auf einen sind alle gähnend leer.
Mit verzweifelter
Stimme frage ich
die grantig aussehende Bäckersfrau:
„Haben Sie frische
Salzstangen
oder
Semmel?“
Die frustrierte Verkäuferin antwortete
barsch. Man sah ihr
deutlich ihre Schadenfreude und Genugtuung an,
weil sie meine Hoffnung und Freude auf frisches
Gebäck zerstören kann: „Nein leider, da sind Sie zu
spät. Nur mehr Grahamweckerl! Wenn Sie was anderes wollen, müssen Sie zeitig in der Früh kommen,
jetzt ist Gott sei Dank alles verkauft.“ Sie lächelt
zynisch. Ich ärgere mich über die hundsgemeine
blondierte Frau mit der praktischen Hausfrauenfrisur,
aber im Grunde genommen ärgere ich mich über
mich selbst. Wie kann man so blöd sein und ernsthaft
in eine Bäckerei gehen. Seit meiner Kindheit weiß
ich doch, dass es nicht möglich ist bei einem Bäcker
66
Der eiskalte Einbrecher
nach 6 Uhr in der Früh etwas zu erstehen außer diesen widerlichen Grahamweckerln. Es hat sich in diesem Handwerk noch nicht herumgesprochen, dass
der Tag nicht um 6 Uhr zu Ende ist. Die Unsympathische braucht nichts von meiner Wut erfahren, darum bleibe ich höflich und versuche mich zusammenzureißen: „Das ist schade, wir sind hierher übersiedelt und mein Chef sucht eine Bäckerei die uns
zweimal am Tag Gebäck bereitstellen kann. Leider
sind Sie dazu nicht in der Lage. Kann man nichts
machen, dann suchen wir jemand anderen. Es gibt
auch noch andere Firmen.“ So das hat gesessen!
Normalerweise bin ich nicht so, aber mir hängen die
Sadisten schon zu Hals heraus, da muss man ab und
zu zurückschlagen. Die Verkäuferin entpuppt sich als
Chefin und versucht zu retten was zu retten ist: „Ich
muss mich entschuldigen, mein Mann hat vor einer
halben Stunde das ganze Gebäck den Kinderspital
gebracht, er ist so ein großzügiger Mensch. Er spendet dann gleich das halbe Geschäft, alles für die
Kinder. Für wie viele Mitarbeiter würde Ihr Chef
denn Weißgebäck benötigen?“ fragt sie mit falschem
Lächeln auf den grellrot angemalten Lippen. Mir
wird das Gespräch zu blöd, darum schließe ich es ab:
„Nicht so schlimm, wird sich nicht auszahlen für Sie.
Wir sind nur ein kleiner Botendienst, so um die 120
Leute. Tut mir auch leid, Auf Wiedersehen!“ Sie
gafft mir nach und ich entschwinde, der Weg zu einem Selbstbedienungsladen bleibt mir nicht erspart.
Besser ein Industriekornspitz als das Grahamzeug.
Im Supermarkt erhoffe ich wenigstens einmal das
67
Der eiskalte Einbrecher
Objekt der Begierde sehen zu können, damit ich mir
eine ungefähre Vorstellung machen kann, was mich
erwartet. Es ist anzunehmen, dass alle Panzerschränke innerhalb einer Kette ähnlich sind, auch wenn
diese Firma hunderte Filialen betreibt. Der Tresor in
diesem Geschäft steht im Büro. Büro ist schon zu
viel gesagt. Es ist ein winziger mit Glasbauwänden
vom Verkaufsraum abgetrennter Käfig. Höchstens 3
Meter lang und 2 Meter breit. Oben ist der Kobel
offen, auf diese Weise kann nie eine angenehme Atmosphäre entstehen. Die eine Seite des Arbeitsraums
ist vollkommen angeräumt mit einem viel zu großen
Schreibtisch auf dem sich Papiermengen und verschiedene Büromaschinen stapeln. Vor dem Tisch
steht ein billiger und schlechter Drehstuhl und versperrt den Durchgang in den rückwärtigen Teil der
kleinen Glaskanzel. Ganz hinten im letzten Eck steht
er, der Schrank. Enttäuschend winzig, ist der erste
Eindruck. Er ist nicht maximal einen Meter hoch und
auch nicht breiter, wie ein Würfel. Sehr klein, sind
meine Gedanken, aber wenn der mit Euroscheinen
bis zum Rand gefüllt ist, genügt das schon. Ich suche
einen Vorwand um das gute Stück näher betrachten
zu dürfen. „Entschuldigen Sie“ sage ich zu der dürren etwa dreißig jährigen Frau, die vor dem Eingang
zum Büro einige Schachteln schlichtet. „Meine
Freundin hat eine Haube hier bei Ihnen verloren
oder vergessen, haben Sie eine gefunden?“ Sie sieht
kurz auf zu mir und antwortet mir: „Das kann ich
ihnen nicht sagen, ich bin nicht jeden Tag da, aber
wenn Sie wollen können Sie die Fundsachen durch-
68
Der eiskalte Einbrecher
schauen, die liegen da hinten auf einen Haufen.“
Sie deutet auf den
Stapel Gewand am
Boden neben der
Kassa. „Bitte, das
wäre nett,“ sage ich
zu ihr und verschwinde in Richtung Tresor. Die
dünne
Arbeiterin
steht am Eingang
und sieht mir zu.
Langsam hebe ich
Stück für Stück der Kleidungsstücke auf und lege Sie
auf den Schreibtisch, die Augen habe ich dabei auf
die Panzerkassa gerichtet um mir möglichst viele
Kleinigkeiten zu merken. Nach dem letzten Fetzten,
wie kann man einen Socken im Supermarkt verlieren,
lege ich den ganzen Stoss wieder zurück: „Leider,
die Kappe war nicht dabei, trotzdem danke!“ An
dem Tresor gibt es kein nennenswertes besonderes
Detail. Er sieht auf allen Seiten gleich aus. Auch die
Stirnseite ist nicht sensationell, denn außer einem
Handgriff ist darunter nur ein zwei Zentimeter breiter
Schlitz zu sehen, der sich etwa in der Mitte befindet.
Genau genommen sieht die Öffnung wie ein flacher
Schmetterling oder eine Masche aus, es ist eindeutig
das Schlüsselloch, für einen Doppelbartschlüssel.
Das weiß ich von meinen Besuchen bei den Tresorfirmen. Abends habe ich Lust endlich wieder nach
Wochen warm zu duschen. Es ist nicht nur die Lust,
69
Der eiskalte Einbrecher
sondern vielmehr eine Notwendigkeit, denn mit kalten Wasser lässt sich die Seife und damit auch der
Schmutz und Schweiß nicht zur Gänze abspülen. Ein
strenger Geruch wird von mir seit Tagen verbreitet,
dies schafft nicht gerade Sympathien. Das Hallenbad
ist aus den 70er Jahren und so sieht es auch aus.
Weiße Fliessen, die im Laufe der Jahrzehnte gelblich
bis braun geworden
sind.
Die
Abflüsse
sind rostig und
halb verstopft,
so dass sich ein
immer ein kleiner Bakterienfilm am Fußboden befindet .Kein Mensch ist außer
mir zu sehen, weder in der Dusche noch im Garderobenraum. Auch das Schwimmbecken ist leer, die
Atmosphäre ist fast gespenstig, das ist nicht verwunderlich. Wer benutzt einen solchen heruntergekommenen Virentempel außer einem Desperado wie ich
es bin. Mir graust fürchterlich, aber habe keine andere Wahl, immer noch besser als stinken. Einen
Schwur nehme ich mir selber ab: Beim nächsten Mal
ziehe ich Badeschuhe an, denn es ist ein unbeschreiblich ekeliges Gefühl mit nackten Füssen durch die
Wasserlacken zu waten. Als besonders erhebendes
Gefühl empfinde ich es, dass vermutlich niemand die
unhygienische Toilette benutzt und es einfach unter
der Dusche laufen lässt. Diese Erniedrigung hat mir
noch gefehlt in meinem armseligen verpatzten Le-
70
Der eiskalte Einbrecher
ben, denke ich als mir der viel zu heiße Wasserstrahl
auf den Rücken prasselt. Die Armaturen sind unbrauchbar und lassen eine Regulierung der Temperatur nicht zu. Es gibt nur kalt oder heiß aber nichts
dazwischen. Nach ein paar Minuten Wechseldusche
im Elendsbad reicht es mir. Essen muss ich heute
nichts mehr...! Nächsten Vormittag bitte ich Marcus
wieder einige Kunden zu übernehmen, damit der
Besuch beim Schrotthändler ungestört und ohne
Stress von Statten gehen kann. Herr Zorki geht mit
mir sofort in den Hof hinter seinem Haus. Mich trifft
fast der Schlag als ich den hundert mal hundert Meter
großen Platz sehe. Bis auf einen schmalen Gang zum
Durchgehen ist gesamte Platz vollkommen mit alten
Eisengerümpel angeräumt. Eine solche
Ansammlung
von
Schrott und schrottähnlichen Zeugs ist
garantiert weltweit
einzigartig.
Stossstangen, Autoteile,
Kräne, Baumaschinen, Bagger, Gerüste
und alle Arten von Stahl und Eisentrümmer sind meterhoch neben dem Fußweg aufgetürmt. Unvorstellbare Mengen an Schrauben und Muttern, die in
Schiebetruhen lagern. Der Besitzer, Herr Zorki, ein
schwer übergewichtiger 60 jähriger Mann mit grauer
71
Der eiskalte Einbrecher
Latzhose, passt exakt zwischen den Durchgang, ohne
mit den Schultern zu streifen. Es bleiben maximal
fünf Zentimeter links und rechts frei. Er bewegt sich
durch den für mich wertlose Haufen, als wären es
heilige Hallen. Bei jedem zweiten verrosteten
Trumm bleibt er stehen und erzählt die Geschichte
dieses Teils. Aus seinen Erzählungen geht hervor,
dass jedes Eisengestell auf seinem Grundstück, ein
Vermögen wert ist, wenn man nur lange genug warten kann. Es stellt sich heraus, dass er seit gut und
gern 20 Jahren nichts verkauft hat, sondern nur gekauft und gehortet. Seiner Sache sicher lächelt er
mich an und meint: „Ich kann warten, die Leute
werden mir noch die Tür einrennen, und dann mach
ich ein Vermögen“ Um ihm gut gelaunt zu halten
stimme ich ihm zu:
„Da haben Sie garantiert Recht, auch
ein Laie wie ich
sieht auf den ersten
Blick, dass dies hier
kein Abfall ist, sondern wertvolle Maschinenteile.
Die
Zeit wird kommen
und dann werden Ihre Ersatzteile gefragt sein. Apropos wo sind die Tresore von denen Sie mir erzählt
haben.“ „Moment wir sind gleich da, die liegen unter der Ladefläche des LKWs dort vorne. Die muss
sowieso weggeräumt werden, weil am Wochenende
werden alle verkauft, das habe ich schon erwähnt.“
72
Der eiskalte Einbrecher
Herr Zorki steigt über eine selbstgebastelte Leiter zu
einem Kranführerhaus empor und deutet mir von
oben ich solle ein Stück zurückweichen. Er schwingt
einen schweren Haken der an einem Stahlseil von
dem Ausleger herunterbaumelt so lange gegen den
Lastwagen, bis sich der Haken irgendwo auf der Karosserie verfängt. Er hebt das tonnenschwere Fahrzeug, der ganze Kran wackelt und biegt sich ungemein durch. Zu meiner Verwunderung bricht nichts
ab und fällt nichts um. Der Schrotthändler legt den
Lkw einige Meter entfernt auf eine Armee von ausplünderten Hubstapler ab und steigt wieder herunter.
Er ist glücklich mit seiner Arbeit und seinen Alteisen, das kommt nun deutlich hervor. „Hier stehen
meine Lieblinge, sind die nicht schön.“ Sagt er und
zeigt auf fünf oder sechs abgeschlagene verrostete
Standkassen, die fast nicht mehr als solche zu erkennen sind, denn so wie die Schränke aussehen, müssen
sie seit mindesten 20 Jahre im Freien stehen.
„Schoen sind die nicht gerade,“ sage ich leicht geschockt, als ich die rostigen Würfel sehe. „Ich werde
mir die Dinger einmal genauer ansehen, ob das was
ich suche dabei ist.“ Langsam arbeite ich mich vor,
immer auf der Hut nirgends anzustoßen oder auf
spitze Gegenstände zu steigen bis ich genauer sehen
kann. Einer hat ein Handrad und eine kleine Zahlenscheibe, also eine Kombination, ein anderer hat gar
nichts mehr, der Griff ist scheinbar irgendwann abgebrochen. Der nächste hat nur einen Schlitz und
einen Hebel. Ich beuge mich vor um ihn genauer zu
betrachten, da meldet sich Herr Zorki: „Das ist ein
73
Der eiskalte Einbrecher
Stecher oder Stecker, wie die Deutschen sagen. Ein
besonderes Exemplar mindestens 100 Jahre alt, eine
echte Rarität, den gebe ich nur ungern her.“ Ich
habe keine Ahnung was der Händler redet, darum
frage ich: „Was ist ein Stecher, ist das kein Schlüssel,
oder was meinen Sie?“ Er sieht mich mitleidig an
und beantwortet meine Frage mit Freude, denn er
kann über seine Eisenkinder sprechen. „Ein Stecher
ist ein uraltes Schlosssystem. Früher hatte jeder
zweite Tresor ein Stechschloss, das war einmal
Standart. Leider waren die nicht besonders sicher,
man hat sie leicht aufbohren können, so wie den da.
Die Versicherungen übernehmen seit 50 Jahren keine
Stecher mehr, darum sind sie ausgestorben. Aber die
Funktion ist einmalig, passen sie kurz auf ich erkläre
es Ihnen. Der Schlüssel ist eigentlich gar kein
Schlüssel, sondern nur ein eckiger Metallstift. Der
Bart ist vorn am Schlüssel also stirnseitig und nicht
seitlich wie man das kennt. Den steckt man nur ins
Schlüsselloch hinein und tut sonst nichts. Das
Schloss entriegelt dann praktisch von selbst und mit
der kleinen Olive lässt sich die Kasse dann öffnen.
Genialer Mechanismus!“ Sicherlich interessant,
denke ich, aber nicht für meine Zwecke. „Und die
anderen die da herumstehen, was haben die für
Schlösser?“ frage ich. „Der hintere hat gar keines
mehr und die anderen haben ein Doppelbartschloss.
Für welchen Zweck brauchen Sie die Kassa eigentlich, weil Versicherung bekommen Sie sicherlich
keine mehr und Schlüssel habe ich auch keinen.“
Schlagfertig antworte ich: „Nur für Dekorationszwe-
74
Der eiskalte Einbrecher
cke, wir wollen zu Hause so eine Kassa haben. Ein
bisschen Farbe und der passt genau ins Wohnzimmer. Da stellen wir dann den Fernseher drauf.“
„Dann nehmen Sie am Besten den Stecher, der ist
schön antik und verziert. Die anderen sind zwar besser in der Qualität, aber nicht so attraktiv.“ Ein
Tresor mit Doppelbartschloss muss her, das steht
fest. Ich muss das Aufschweißen an einem möglichst
ähnlichen Modell wie in den Supermärkten steht,
üben. Es nutzt nichts wenn der hundert Jahre alte
Schrank leicht zu öffnen ist und bei der Feuerprobe
geht dann alles schief und wir landen im Gefängnis.
„Was ist mit dem hier, was kostet der?“ möchte ich
wissen und deute auf einen in Frage kommenden. Er
hat ungefähr die Abmessung von dem Schrank den
ich mir genau angesehen habe, als ich die Geschichte
mit der Kappe erfunden habe. „Der ist ja nicht
schön, der hat ja keine Füße und schaut aus wie ein
Würfel. Aber wenn Sie ihn unbedingt haben wollen,
ich mache ihnen einen guten Preis. Am
Wochenende
kommt
zwar
ein Interessent,
aber Sie waren
schneller.“ Der Schrotthändler sagt wieder nicht die
Wahrheit, wie schon gestern am Telefon, denn es
kommt sicher kein Mensch und will den rostigen
Sperrmüll kaufen also lüge ich auch. „Wenn die Kassen schon versprochen sind, dann macht es nichts.
75
Der eiskalte Einbrecher
Ich will niemanden etwas vor der Nase wegschnappen, ich schau dann im Internet nach, da findet man
Alles und meist sehr billig. Sie waren trotzdem sehr
nett, danke.“ Auch wenn der Dicke nicht unbedingt
ein Verkaufsgenie ist, so will er sich dennoch dieses
Geschäft nicht entgehen lassen. „Sie sind vorher gekommen, um dreihundert Euro können Sie Ihn haben.
Das ist praktisch geschenkt.“ Der Mann muss sich
versprochen haben, anders kann man sich die Summe, die er gesagt hat nicht erklären. „Entschuldigen
Sie Herr Zorki, ich habe Sie nicht verstanden, was
haben Sie gesagt?“ Der Schrotthändler wiederholt:
„Drei hundert Euro, das ist nur der Alteisenpreis,
aber ich kann Ihnen noch etwas nachlassen. Der
Lack ist wirklich
schon
blass.“
„Welcher
Lack“
frage ich „auf dem
ganzen Tresor ist
kein bisschen Lack
mehr zu sehen. Der
ist total verrostet
und Schlüssel haben Sie auch keinen. Tut mir leid,
das wird nichts werden.“ Er sieht seine Chance das
Ding loszuwerden schwinden, und sagt: „Zwei hundert, ist Ihnen das auch nicht recht, wie viel wollen
Sie denn zahlen?“ „Wir sind arme Leute, meine
Freundin und ich und wir wünschen uns schon seit
langem so ein Ding, machen Sie eine Ausnahme und
76
Der eiskalte Einbrecher
geben Sie uns die kaputte Kassa um 50 Euro, bitte.“
„70 und wir sind im Geschäft“ sagt er plötzlich und
hält seine raue abgearbeitete Hand zum Einschlagen
hin. „Gekauft, bitte stellen Sie sie vorne hin zur
Rampe, ich komme in den nächsten Tagen und hole
sie ab.“ Er antwortet mir: „Abgemacht, wie wäre es
mit einer kleiner Anzahlung, sagen wir 20 Euro.“
Ich gebe ihm das Geld, melde mich wieder bei Marcus und mache den Tag fertig. Später erzähle ich
Kelly von dem Kauf. Sie ist nicht gerade begeistert,
änderte aber im Laufe des Gespräches ihre meine
Meinung. Meine Freundin versteht, dass wir das
Aufschneiden zumindest einmal üben müssen. Sie
hat nur Bedenken, wo wir eine Schweißgerät ausborgen können, und an welchem Ort wir den Probelauf
starten. Dies ist in der Tat ein großes Problem und
ich habe keine Ahnung, wie wir das lösen können.
Eine Werkstatt mieten ist unmöglich, der Besitzer
würde sofort die Polizei rufen, und das zu Recht.
Wer schweißt einen Tresor auf? Sicherlich nur jemand, der ein krummes Ding vorhat. Das steht fest.
Meine Freundin hat recht, indem sie sagt, ich hätte
den Kauf übereilt. Zuerst hätten wir die Platzfrage
klären müssen. Jetzt haben wir 70 Euro ausgeben und
wissen nicht weiter. Die Kassa hätten wir in einer
Woche genauso gut bekommen. Es ist zu spät, aber
es hat auch sein Gutes, denn jetzt sind wir mehr unter
Druck und müssen uns zwingen einen geeigneten Ort
zu finden. Das bedeutet, wir kommen schneller zu
unserem Ziel.
77
Der eiskalte Einbrecher
KAPITEL 6
Marcus steigt ein
Marcus kommt vom Land, vom tiefsten Land. Er
selbst wohnt seit Jahren in der Stadt, aber seine Pflegeeltern sind noch in der Provinz. Ein tief rückständiger Ort mit 500 Seelen ungefähr 70 Kilometer von
der Stadt entfernt.
Bis vor kurzem hatten seine Pflegeeltern kein Telefon,
keinen Kanal und
keine Gehsteige vor
dem Haus. Marcus
hat sehr gelitten und
vermeidet es, öfter
als unbedingt notwendig aufs Land
zu fahren. Er muss
mir helfen, denn ich
weiß, dass es in der
Nähe seines Pflegeelternhauses einen alten Stall gibt,
mit dicken Mauern und Zufahrt. Früher, als Kind hat
78
Der eiskalte Einbrecher
er in diesem Schupfen zusammen mit seinem Vater
den Traktor und andere landwirtschaftliche Geräte
repariert. Dieses Gebäude wäre ideal. Nur sollte er
nicht unbedingt wissen, was wir vorhaben, obwohl
wir seit Jahren ein ehrliches und gutes Verhältnis
haben. Wir haben gemeinsam schon so manche Kleinigkeit angestellt und uns gegensätzlich gedeckt.
Einen schweren Einbruchs-Diebstahl zu planen und
auszuführen ist jedoch etwas anderes, als mit einem
unangemeldeten Auto mit
selbstgeschrieben
Nummern zu
fahren, oder
zu teure Waren im Elektomarkt umzuetikettieren. Zu dritt wäre der Coup leichter zu bewerkstelligen, als zu zweit. Kelly könnte
draußen beim Auto bleiben und wir, die zwei Männer, könnten in Ruhe den Tresor knacken. Er wäre
auch eine große Hilfe, weil er durch die vielen Bastelein auf den Landmaschinen wesentlich mehr technisches Wissen hat als ich. Ob Marcus eingeweiht
werden soll, kann ich nicht alleine entscheiden, meine Freundin muss damit einverstanden sein. Bei der
nächsten Gelegenheit frage ich Kelly: „Glaubst du,
könnten wir einen dritten Mann brauchen für ...äh,
du weißt schon für was.“ „Das freut mich, dass du
mich als Mann siehst. Ich werde beizeiten darauf
zurückkommen. Du kannst dir schon vorstellen
79
Der eiskalte Einbrecher
wann!“ sagt sie beleidigt. „Du weißt Schon, wie ich
das meine, ob wir eine dritte
Person brauchen könnten.“
Sie hat wie alle Frauen einen sechsten Sinn: „Warum
sagst du nicht gleich, dass
du Marcus mit von der Partie haben willst. Ich habe
nichts dagegen, auf ihn ist
Verlass. Die Beute müssten
wir teilen, aber zu dritt ist es
leichter und, wenn es klappt
dann drehen wir ein zweites
Ding und haben wieder das selbe Geld. Ja, ich bin
einverstanden, aber bitte frage ihn zuerst etwas vorsichtig, man weißt trotzdem nicht genau wie er das
sieht.“ Nächsten Tag nach der üblichen endlosen
Abrechnung will Marcus sofort aus der Zentrale verschwinden. Er hat wie jedes Monat eine neue Freundin und will keine Zeit verlieren. „Marcus warte
kurz,“ rufe ich, „ich möchte dich kurz was fragen!“
„Was willst du, ich habe es eilig du weißt.......“, antwortet er mir. „Es ist wichtig, viel wichtiger als alles
andere was du vorhast.“ Zuerst murrt er aber er
weiß, dass wenn ich etwas für wichtig halte, dann ist
es auch so. Ich finde selten etwas wichtig, dazu ist
mein Leben viel zu chaotisch und desorganisiert. Ein
paar Minuten später gehen wir gemeinsam zu dem
Supermarkt, der in der Nähe der Zentrale liegt. Seit
gestern denke ich über Kellys Worte nach. Wie soll
man sich langsam rantasten an so ein Angebot? Es ist
80
Der eiskalte Einbrecher
nicht möglich, entweder man sagt es oder man
spricht in Rätseln und sagt es nicht. Dann weiß das
Gegenüber garantiert
nicht wovon man redet
und kann nicht antworten. Ihn einfach klipp
und klar zu fragen,
wird das Beste sein!
Ich spendiere ihm eine
Milch und sage zu ihm
an der Kasse: „Ganz
schön viel Geld in der
Lade.“ Er schaut verdutzt und meint: „Hm,
was hast du gesagt?
Ja, ja keine Ahnung, noch nie drüber nachgedacht.“
Marcus versteht mich nicht deshalb werde ich genauer. „Die machen sicher 10000 Euro am Tag und tragen es sicher nicht auf die Bank.“ „Glaubst du, soviel? Das könnten wir gut brauchen, wäre für jeden
5000, gar nicht schlecht.“ Erleichtert über seinen
Geistesblitz sage ich ihm: „Wenn du das Geld genauso dringend brauchen kannst wie ich, dann.....“
Ohne mich ausreden zu lassen gibt er eine kurze,
aber sehr deutliche Antwort: „Ja, ich bin dabei!“
„Marcus“ sage ich „um ein Missverständnis zu vermeiden, wo bist du dabei?“ „Du hast doch einen
Coup vor, oder? Und bei diesem Coup mache ich
mit. So einfach ist das. Wir machen halbe – halbe
und das war es dann.“ Er ist sofort Feuer und Flamme und drängt mich zu einem aufklärenden Ge81
Der eiskalte Einbrecher
spräch. „Los erzähl, setzen wir uns in Auto und du
schilderst mir deinen Plan.“ Ich bin von Natur aus
kein schwatzhafter Mensch und eher vorsichtig. Zu
oft wurde ich hintergangen und betrogen. Seit Jahren
lebe ich mein Leben alleine mit Kelly und meide
Zusammenkünfte mit anderen Menschen. Ich habe
das Lügen und die Boshaftigkeiten der Leute satt.
Marcus ist einer der wenigen, mit denen ich spreche
und vertraue. „Wir haben uns folgendes gedacht.“
beginne ich und er fällt mir sofort ins Wort: „Wer ist
wir?“ „Keine Sorge, wir, das sind Kelly und ich, und
sonst keiner! Also nochmals, wir haben uns folgendes gedacht. So ein SB Laden wie der in dem wir
gerade gewesen sind macht am Tag so 12 000 Euro,
vielleicht auch mehr und alles in bar. Das gesamte
Geld wird in einen Tresor gesperrt und bleibt dort
bis der Geldtransporter kommt. Wir suchen einen
Supermarkt in guter Lage. Das heißt, mit Hintereingang um unbemerkt reinzukommen, keine Nachbarn
aber trotzdem mit guter Kundenfrequenz, damit es
sich auch auszahlt. Dann organisieren wir ein
Schweißgerät, warten auf eine gute Gelegenheit,
marschieren in das Geschäft und schweißen den
Panzerschrank auf. Aus – Ende - Fertig!“ Marcus
sitzt mit halboffenen Mund neben mir und starrt mich
an. „Meinst du das ernst? Da gibt es mindestens 5
Jahre Gefängnis, wenn Sie dich erwischen.“ „Ja das
stimmt,“ antworte ich, „wenn sie dich erwischen,
aber uns werden sie nicht erwischen. Wir sind clever.“ Er hat sich noch immer nicht gefangen, ist geistig so abwesend, dass er sich die ganze Milch über
82
Der eiskalte Einbrecher
seine Kleidung schüttet, weil er seinen Mund nicht
trifft. Er hat offensichtlich nicht mit meiner kriminellen Energie gerechnet. „Du fällst ganz schön mit der
Tür ins Haus. Mit so was habe ich nicht gerechnet.
Ich habe mehr an so Kleinigkeiten gedacht, wie Bierkisten stehlen und nächsten Tag zurückgeben, oder
so etwas Ähnliches. Aber niemals an ein richtiges
Verbrechen. Hast du überhaupt eine Ahnung vom
Schweißen?“ „Nein habe ich nicht,“ erwidere ich,
„aber das kann man lernen. Ich verrate dir gleich ein
Geheimnis. Ich habe schon einen alten Testtresor bei
einem Schrotthändler gekauft, damit wir üben können.“ Marcus ist noch immer verstört, gewinnt jedoch seine Fassung zurück: „Du verlierst wirklich
keine Zeit, und wo steht der? Hast du ein Schweißgerät auch schon? Dann können wir gleich anfangen.
Der Botendienstjob geht mir sowieso schon auf die
Nerven, lange schaffe ich das nicht mehr.“ Marcus
muss gebremst werden, denn sonst handelt er überschnell. „Da haben wir ein Problem. Die Kassa steht
noch beim Händler, weil ich keinen Platz weiß, wo
wir eine Generalprobe durchführen können, außer
dir fällt etwas ein....“ „Aha, daher weht der Wind!
Du willst das Ding zu meinen Pflegeeltern hinschleppen und dort knacken. Wird gehen, die zwei
Alten gehen schon seit Jahren nicht mehr in den Lagerschupfen. Morgen rufe ich an, dass wir am Wochenende kommen und etwas arbeiten wollen, dann
klappt das. Ab und zu fahre ich zu ihnen raus und
repariere dann meinen Gewerblerporsche im Stall.
Hast du jetzt ein Schweißzeug oder nicht?“ „Nein
83
Der eiskalte Einbrecher
ich habe kein Schweißzeug“ sage ich „aber bis zum
Wochenende wird eines aufzutreiben sein, was
glaubst du.“ Antworte ich und schaue etwas hilflos.
Er erkennt meine Bitte mir zu helfen. „Keine Angst,
besorge ich auch. Die eine Werkstatt auf meiner
Route, die ist mir noch einen Gefallen schuldig. Die
borgen mir das sicher gratis mit Gasflasche. Ich
rechne denen immer weniger Gewicht, als die Pakete
tatsächlich haben. Uns Fahrern ist das egal, wir bekommen immer die Provision und den Firmen hilft
es. Jetzt brauchen wir einmal was.“ Ich bewundere
meinen Kollegen, er macht sich überall beliebt hat
überall Kontakte. Er kann vieles besorgen und bekommt vieles gratis. Er ist ein richtiges Organisationstalent. Er ist genau das Gegenteil von mir. In den
Jahren, die ich hier bei der doofen Arbeit vertan habe, konnte ich keine Freunde oder Beziehungen zu
Kunden aufbauen. Ich bin nur der vom Transportdienst, ohne dass jemand mich beachtet hätte. Bei
Marcus ist das anders, besonders bei den Frauen. Er
ist der Schwarm vom Lehrmädel bis zur Chefin, mir
ist es ein Rätsel, wie er das schafft. Aber nicht nur
die weiblichen Kunden fragen nach ihm. Auch bei
den Männern ist er beliebt und wird öfters eingeladen. Er kann mit seiner Armut besser umgehen. Mir
macht die finanzielle Mittellosigkeit ernsthaft zu
schaffen, kann mit niemand ohne Komplexe reden,
der mehr Geld hat als ich. Und mit jemanden eine
Unterhaltung führen oder eine Freundschaft haben
mit einem Menschen, der weniger hat als ich, das ist
unmöglich, denn niemand auf dieser Erde ist ärmer
84
Der eiskalte Einbrecher
als ich. Heute ist Mittwoch, wir fixieren unser Vorhaben für Samstag. Bis dahin kann er seine Pflegeeltern vorbereiten auf unser Kommen und das Werkzeug ausborgen. Ich rufe Herrn Zorki an und möchte
ihm mitteilen, dass der Tresor am Samstag in der
Früh abgeholt wird. „Samstag geht nicht, da bin ich
nicht in der Firma. Sie müssen Freitag kommen.“ Er
lügt wieder, dieser Mann ist immer auf seinen
Schrottplatz. Ich ärgere mich über ihn: „Wenn Samstag nicht geht, dann kommen wir Freitag am späten
Abend, fast schon in der Nacht.“ Eine Weile ist
Funkstille in der Leitung, dann meldet er: „Freitag
können Sie kommen wann Sie wollen, ich bin sowieso
da. Wo soll
ich
den
sonst sein.“
Nach diesem Telefonat sage ich
Kelly, dass
wir
am
Samstag
unseren
Schweißversuch starten. Sie freut sich riesig und
kann es gar nicht erwarten. Freitag dauert der Arbeitstag ewig und diesen Freitag noch länger. Um 20
Uhr kommen wir endlich in die Zentrale und die unfreundliche Person am PC macht sich wie jeden Tag
einen Spaß daraus uns warten zu lassen. Es wird
nicht nur der Tag abgerechnet, sondern die ganze
Woche noch mal durchgecheckt und das dauert. Hof85
Der eiskalte Einbrecher
fentlich werden meine Gebete erhört und der Coup
klappt, dann muss ich diesen miesen Job nicht mehr
machen. Um halb zehn stellen wir ein Auto vor meiner Wohnung ab und fahren mit dem Kleintransporter von Marcus zum Schrottplatz und wollen den
Schrank
holen.
Einen Blick in
den
Laderaum
muss ich machen,
um zu vergewissern, ob er das
Schweißgerät
ausborgen konnte.
Ja! Zwei große Gasfalschen, grau und blau, sind fest
angezurrt im hinteren Teil der Ladefläche zu sehen.
Daneben liegen Schläuche und Messinggriffe. Der
Händler ist zwar in seinem Büro, jedoch er hat ihn
nicht wie vereinbart zum Eingang gestellt. „Wir
dachten Sie haben uns die Kassa bereit zum Abholen
gemacht.“ „Für das habe ich keine Zeit gehabt, Ihr
müsst ihn selber vorbringen. Den Kran kann ich jetzt
nicht mehr starten. Der ist zu laut, da regen sich die
Leute in der Umgebung auf. Mit dem Stapler könnt
ihr auch nicht fahren, der sinkt hinten im Hof ein.“
Sagt er und wendet sich ab. Marcus braust leicht auf
und fragt ihn mit erhobener Stimme: „Und bitte wie
sollen wir die 300 Kilo von dort hinten holen. Das
darf doch nicht wahr sein! Wissen Sie wie schwer
das ist?“ „Ich helfe euch, dann geht das schon, regen Sie sich nicht auf.“ Wir gehen zu dritt in den Hof
und Marcus stolpert über eine Traverse, die im Weg
86
Der eiskalte Einbrecher
liegt. Er reißt sich auf dem rostigen Ungetüm das
Schienbein auf, brüllt vor Schmerzen und flucht wie
ein Kutscher. Herr Zorki meint ganz ruhig. „Soll ich
ein Licht aufdrehen?“ Mein Kollege hüpft auf einen
Bein und stellt Herrn Zorki eine Frage: „Was glauben Sie, dass wir Infrarotaugen haben oder glauben
Sie es macht uns Spaß, uns eine Blutvergiftung zu
holen?“ „Entschuldigt, ich habe vergessen, dass Ihr
nicht wisst, wie der Weg verläuft. Ich finde mich hier
auch im Dunkel zu recht.“ Er geht einige Meter zurück und betätigt ein überdimensionalen Hebel. Daraufhin fangen vier etwa 3000 Watt starke Scheinwerfer zu leuchten an und erhellen den ganzen Platz
wie ein Fußballfeld. Die Ansammlung der Wrackund Eisenteile wirken unter diesem Licht furchterregend und gespenstisch. Wir setzen unseren Marsch
durch den schmalen
Gang fort, bis wir bei
dem Eck mit den Kassen ankommen. Herr
Zorki bindet zwei Tragegurte um meinen
Tresor und hängt sich
ein Ende um beide
Schultern. Er gibt mir
das Ende des anderen
Gurtes und zu Marcus
sagt er: „Sie schieben,
wir ziehen!“ Mein Seil ist etwas länger als das von
Zorki. Wir spannen die Tragehilfen und ich stehe nun
etwa einen halbe Meter vor dem Schwergewicht. Er
87
Der eiskalte Einbrecher
ruft: „Vorbeugen und auf mein Kommando ziehen,
Sie dahinten, Sie schieben was Sie können. Achtung,
jetzt!“ Mit aller Kraft hängen wir uns in den Gurt.
Die Kassa bewegt sich langsam in Richtung Ausgang. Um den Ablauf besser zu koordinieren, schreit
der dicke Mann, der kaum einen halben Meter hinter
mir im selben schrägen Winkel steht, mir im Takt ins
Ohr: „Und jetzt –
Und jetzt – Und
jetzt!“ Es muss
ein kurioser Anblick sein. Nach
zwanzig Minuten
Knochenarbeit ist
das schwere Eisending endlich
auf
betonierten
Boden und der
Schrotthändler meint jetzt kann der Stapler eingesetzt
werden. Wir sind heilfroh und außer Atem. Zorki
verschwindet hinter einer Ecke und kommt nach einer Minute auf einem dröhnenden Hubstapler zurück.
Mit einer Brechstange kippt Marcus den Schrank und
die Gabel fährt darunter. Der halbe Weg ist geschafft
und der Rest ist ein Vergnügen. Der Stapler bringt
das Monster zum Kistenwagen, Marcus öffnet die
Ladetür und Zorki versucht die Kassa abzustellen.
Dies gelingt nicht sofort, so muss er ihn abschütteln.
Er kracht auf den Fahrzeugboden und die Federung
schlägt durch. Ich gebe ihm die 50 Euro und wir verschwinden. Marcus fährt mich nach Hause und ich
88
Der eiskalte Einbrecher
falle nach 18 Stunden schwerer Arbeit ins Bett. Auf
die Eisdusche wird liebend gerne verzichtet.
89
Der eiskalte Einbrecher
KAPITEL 7
Die Fahrt aufs Land
Um sieben in der Früh steht Marcus vor meinem Bett. Er wollte anklopfen, ist jedoch
gleich in die Wohnung gegangen, weil ich wieder
einmal vergessen hatte abzusperren. „Steh endlich
auf, sonst wird uns die Zeit zu knapp.“ Ich erschrecke nicht über den unangemeldeten Besuch. Mir
macht es nichts mehr
aus, wenn plötzlich
fremde Leute in der
Wohnung stehen, es
ist mir egal was soll
mir schon passieren.
Eine Tasse Löskaffee muss heute genügen, sonst meldet
sich die Blase bald
wieder, und ich habe
keine Ahnung, ob es auf der Fahrt aufs Land eine
Gelegenheit gibt zum Strullen. Die erste Etappe ist
zu Kelly, die wir abholen. Der Kastenwagen hat nur
90
Der eiskalte Einbrecher
zwei Sitzplätze, dahinter ist die Blechwand und der
Laderaum. Marcus muss fahren, von meiner Freundin kann man nicht verlangen, dass Sie hinten Platz
nimmt. So bleibt nur
eine Lösung, ich
quetsche mich in die
sitzplatzlose Kabine
zwischen dem Panzerschrank und den
Gasflaschen, sehr
beruhigend.
Der
Lieferwagen hängt
nun noch mehr durch und es dauert nicht lange bis
ein Polizeiauto auf uns aufmerksam wird. Mit Blaulicht werden wir überholt und zum Ranfahren
aufgefordert. Marcus flucht laut, ich
denke mir meine
Verwünschungen.
Ein Polizist überprüft die Papiere,
der andere schaut
bei dem kleinen
Fenster auf der
Rückwand in den
Laderaum
und
verlangt eine
Öffnung und einer Erklärung. Der Ordnungshüter
sagt: „Was würden Sie an meiner Stelle denken,
wenn Sie einen überladen Kleinlastwagen um Samstag 7 Uhr in der Früh mit drei Personen, einem Tre91
Der eiskalte Einbrecher
sor und einer Schweißgarnitur die Stadt verlassen
sehen? Ein Insasse wir zudem verbotener Weise auf
der Ladefläche transportiert. “Kelly ergreift das
Wort und spinnt ein Konglomerat aus Wahrheit und
Lüge: „Herr Revierinspektor,“ sagt sie (sie erkennt
seinen Rang) „Ich bin Künstlerin und wir haben
heute eine Performanceschow in Grundelkirchen. Ich
kann mir schon vorstellen, dass es einen seltsamen
Eindruck macht, aber sehen Sie sich doch einmal
diesen Schrank an. Glauben Sie, wir stehlen so ein
verrostetes altes Ding? Unsere Vorstellung besteht
darin, mit dem Schweißbrenner die Kassa bis zum
Rotglühen zu erwärmen. Die anderen Gruppen versuchen ähnliche Effekte zu erreichen, die Gruppe aus
Holland will einen
Tresor auf minus
120 Grad kühlen
und die Deutschen
wollen vier Stück
zusammenschweißen.
Fernsehen,
Zeitungen alle werden kommen. Das
einzig falsche ist,
dass unser Kollege hier hinten im Auto mitfährt, aber
nur weil man ihm sein Auto gestohlen hat!“ Der Polizist nimmt unsere Ausweise und geht zu seinem
Fahrzeug um zu funken. Nach 5 langen Minuten
kommt er zurück und sagt: „Zwanzig Euro müssen
Sie zahlen wegen Ihnen,“ und deutet auf mich, „außerdem dürfen Sie nicht weiter mitfahren.“ Ich gebe
92
Der eiskalte Einbrecher
ihm die 20 Euro und setze mich auf denStraßenrand.
Beide Auto entfernen sich, und nach 5 Minuten fährt
das Polizeiauto nochmals vorbei, ob wir uns an sein
Verbot halten. Er schaut kontrollierend und ich tu so,
als ob ich ihn nicht sehe. Zehn Minuten später
kommt Marcus zurück, ich steige hinten ein und wir
fahren weiter. Die Häuser werden weniger und bald
sind wir aus der Stadt draußen. Die ersten Ortschaften sind noch ganz passabel und lieblich, bis die Fassaden der Einfamilien desolater und als ganzer immer niederer werden. Im zehnten Ort sind die Häuser
nur mehr maximal 3 Meter hoch. Wir machen Witze,
warum die Leute
früher so gebaut
hatten. Die wildesten
Erklärungen
und Vermutungen
werden geäußert,
jedoch ohne ernstzunehmendes Ergebnis,
schlicht:
Wir wissen es
nicht. Ein halbe Ewigkeit später stoppt Marcus bei
einem winzigen Gebäude, in dem ein kleines Geschäft untergebracht ist. Unser Chauffeur meint.
„Hier müsst Ihr euch etwas zu essen kaufen, das ist
der letzte Laden bis Wladiwostok.“ Wir kaufen seltsame Brötchen, sogenannte Langsemmel, die an Katermehrahne erinnern und setzen unsere Fahrt fort.
Die Strassen werden schlechter und schmaler, je weiter wir uns von der Stadt entfernen. Langsam werden
93
Der eiskalte Einbrecher
Kelly und ich ungeduldig, wir können uns nicht vorstellen, dass Marcus Pflegeeltern so weit weg von der
Zivilisation leben.
Anstatt uns zu
beruhigen meint
er: „Das ist noch
gar nichts, hier ist
es noch paradiesisch, Ihr werdet
sehen.“
Seine
Worte beweisen
sich als wahr,
denn als wir in
seinen Heimatort einfahren, starren wir wie versteinert aus dem Auto. Links und rechts stehen Abbruchhäuser, keine befestigte Strassen, von einem
Gehsteig ganz zu schweigen. Aus jedem Fenster blicken hinter verschobenen Vorhänge Eingeborene zu
uns heraus und verfolgen unser Auto. Es ist beängstigend und kaum zu glauben. Zu allem Überdruss lag
ein strenger ekelerregender Gestank in der Luft, der
an tote Tiere und Gülle erinnert. „Hier sieht es aus
wie nach dem Krieg, aber nach dem ersten!“ sagt
Kelly und schaut geschockt. „Hier hast du deine
Kindheit und Jugend verbracht, hier bist du aufgewachsen, das geht?“ Marcus lacht und antwortet:
„Wir hatten es gut hier, als ich Kind war, wir hatten
regelmäßig Strom. Die im Nachbarort hatten nicht
einmal das, außerdem hatte ich gute Pflegeeltern,
meine Freunde mussten schon als Kleiner schwer
arbeiten oder wurden geschlagen. Mama und Papa
94
Der eiskalte Einbrecher
haben mich gut behandelt und mich zur immer Schule gehen lassen, wenigstens ein paar Jahre. Das
wichtigste war für
mich, dass wir
keine
Nutztiere
hatten. Ihr könnt
euch
nicht
vorstellen,
was
meine
Freunde
hier
geweint
hatten,
beim
Gänse schlachten. Einmal im Monat
Hühner
ist oder
auch eine
Sau gestochen worden, die hat geschrieen dass das
ganze Dorf gewusst hat, beim Petscko wird geschlachtet. Die anderen Kinder mussten immer dabei
sein und zusehen, auch, wenn sie tagelang geheult
hatten und vor Schock nicht mehr sprechen konnten,
den Leuten ist das hier egal, die haben keinen Bezug
zu Kindern und Tiere gelten sowieso als Dreck.“
Kelly und ich hören uns mit Entsetzen die Geschichte
an, und sind glücklich in der Stadt aufgewachsen zu
sein. Er bleibt bei einem langgezogenen Bauernhaus
stehen und sagt: „Ich komme gleich, wartet hier:“
Offenbar sein Pflegeelternhaus. Nach 15 Minuten
kommt er zurück mit einem riesigen alten Kirchenschlüssel. Der Stall liegt etwa 200 Meter entfernt. Ich
springe aus dem Lieferwagen schnappe mir den
Schlüssel und öffne das Scheunentor. Marcus setzt
verkehrt zurück und das ganze Fahrzeug verschwindet im Schupfen. Ich beeile mich und schließe sofort
das Tor nach Marcus Aufforderung. Es muss nie95
Der eiskalte Einbrecher
mand sehen, dass wir hier sind. Das Abladen ist vorerst unmöglich. Der Tresor ist zu schwer um ihn zu
bewegen. Meine Freundin hat eine geniale Idee. Wir
legen einen Strick um die Kassa und binden die beiden Enden an den betonierten Pfeilern des Gebäudes.
Marcus fährt langsam und stückweise nach vor, die
Kassa wird mit dem
Seil
zurückgehalten
und fällt unter ohrenbetäubenden
Lärm
zuerst auf die Stossstange und dann auf
den alten Bretterboden. Teile des Bodens
lösen sich und fliegen
quer durch die Halle,
zum Teil sehr knapp
an uns vorbei. Wir
haben Glück und er ist auf die richtige Seite gefallen.
Das Schweißgerät wird noch aufgestellt, dann machen wir Pause und Lagebesprechung. Wir einigen
uns auf ein Vorgehensweise, die der Realität sehr
ähnlich kommen soll. Kelly schaut auf mögliche Besucher und passt auf, dass uns niemand stört, sie steht
Schmiere, Marcus und ich werden abwechselnd das
Schweißgerät benutzen. Er fängt an, denn er hat mehr
Erfahrung aus seiner Bastelzeit. Mein Kollege dreht
die Sauerstoffflasche auf, dann das Acetylen, und
zündet das Gemisch mit einem Feuerzeug. Das Gas
fängt mit einem Knall zu brennen an. Es ist eine
gelbfarbene starkrußende Flamme, die durch Drehen
96
Der eiskalte Einbrecher
an den Ventilen immer länglicher und blauer wird.
Als die Gasflamme weisblau brennt und beängstigend zischt, hört er mit den Einstellen auf und lächelt. „Jetzt ist die Flamme am heißesten, willst du
greifen?“
„Vielleicht später, im
Moment ist kein
Bedarf“ antworte
ich
scherzhaft.
„Brille auf“! befiehlt er und setzt
sich ein schwarze
Schweißbrille auf,
meine Auge schütze ich mit einem
dunklen Schirm,
den man in der Hand halten muss. Marcus nähert sich
mit Flammenspitze der Tresortüre etwa in der Mitte,
dazu johlt er auf und brüllt: „Auf geht’s Armut ade!
Los schau auf die Uhr und stopp die Zeit!“ „Gut,
wird gemacht, es ist jetzt fast neun Uhr, das ist leicht
zu merken.“ Wir starren wie gespannt auf das Feuer.
Marcus hält den Brenner ungefähr 10 Zentimeter von
der Eisenwand entfernt, so dass die Hitze auf der
Oberfläche am Größten ist. In den ersten Sekunden
fliegen vom Auftreffpunkt einige Funken zur Seite,
die aber rasch weniger werden und nach einer halben
Minute ist kein Funke mehr zu sehen. Nur mehr der
heiße Flammkegel, der auf die Türe der Kasse strahlt
ist zu sehen. Rund um den Punkt ist der Stahl etwas
lichter. Es zischt und wir warten aufgeregt bis sich
97
Der eiskalte Einbrecher
irgendetwas ereignet. Wir hoffen, dass in wenigen
Minuten die Flamme die Tresorwand durchgeschnitten haben muss. Mir kommt es wie eine Ewigkeit
vor, bis ich das
erste Mal auf die
Uhr sehe. Es ist
10 nach 9 Uhr.
Marcus
merkt
das, dreht den
Brenner weg und
begutachtet
die
erhitzte Stelle. Er
stellt Armatur in
die Halterung um
ungestört und gefahrlos schauen zu können. Mit
hochgeschobener Brille starrt er aus kurzer Distanz
auf die schwach rotglühende Türe. Es ist praktisch
nichts zu sehen außer einer maximal ein Millimeter
tiefen Einkerbung. Kein Schnitt, kein Loch einfach
nichts. Wir schauen uns verblüfft an und wundern
uns. „Das geht aber nicht wie Butter zu schneiden,
scheinbar war das zu wenig, ich schneide gleich weiter.“ Meint mein Freund, schiebt die Brille runter
und schnappt sich die Schweißarmatur. Er kniet sich
mit einem Fuß auf ein Brett und rutscht etwas hin
und her bis er eine bequeme Stellung eingenommen
hat. Die Flamme strahlt wiederum auf die selbe Stelle, nur diesmal bewegt er die Spitze einige Zentimeter nach links und rechts, in der Art als würde er
schneiden. So verweilt Marcus fast eine dreiviertel
Stunde vor der Kassa bis ich zur nächsten Pause auf-
98
Der eiskalte Einbrecher
rufe. Wir schauen ungläubig auf die brennheiße Stelle. Alles was wir sehen können ist eine kleine Kerbe
höchstens drei Millimeter tief. „Da stimmt doch was
nicht, das kann es doch nicht geben. Normalerweise
muss doch jetzt ein riesiges Loch in dem Türl sein.
Und was ist? Nichts zu sehen! „Das Schweißen zeigt
keinerlei Wirkung, verstehst du das?“ fragt Marcus
und schwitzt fürchterlich. „Nein, wie soll ich das
wissen?“ frage ich „aber ich kann es ja einmal versuchen, lass mich mal.“ „Bitte, bitte tu dir keinen
Zwang an, probier du, ich kann sowieso eine Pause
gebrauchen.“ Gibt er mir als Antwort und legt mir
die Brille in die Hand. Ich setze sie auf, greife nach
dem Brenner und fange an den Stahl zu erhitzen.
Eine Stunde lang trifft die über 1000 Grad heiße
Flamme fast auf die selbe Stelle, bis ich auch verzweifelt abbreche. Die ganze Kassa ist mittlerweile
glühheiß
geworden
und
steht
dampfend
vor
uns.
Jedoch sind
keine fünf
Millimeter von uns aufgeschnitten worden. „Ich habe eine Idee“ ruft Marcus und läuft zum hinteren
Ende der Halle an dem ein Blechkasten steht. Er öffnet die Tür und nimmt eine große Trennscheibe aus
dem untersten Fach. „Vielleicht können wir die erste
Schicht runterschneiden und dann schweißen. Zum
Glück habe ich daran gedacht, dass hier die Männer
99
Der eiskalte Einbrecher
von Feuerwehr manchmal pfuschen, deswegen ist
auch das Werkzeug hier im Spind.“ Marcus fordert
mich auf die 50 Meter Kabelrolle neben dem Eingangstor anzustecken. Diese Gelegenheit nutze ich
gleich aus um Kelly von unseren Misserfolg zu erzählen. Sie wirkt sehr gefasst und scheint diesen Bericht erwartet zu haben. Zurück beim Tresor mit dem
Kabel schaltet Marcus die Flex sofort ein. Es ist keine normale Trennschleife, sondern ein richtiges Industriegerät. Die Scheibe allein hat einen Durchmesser von fast einen halben Meter. Sie wurde aus Restbeständen der Bundesbahn ersteigert, wo sie Schienen abtrennte. Die Maschine hat gut und gerne 25
Kilogramm und macht einen Höllenkrach. Wir halten
das Monster gemeinsam an den
vier Griffen und
fangen an die
Scheibe auf den
Tresor zu pressen.
Ein
Funkenflug
wie kleiner Meteoritenschwarm ergießt sich durch
die Scheune und
ein noch lauteres
kreischendes Geräusch vernebelt unsere Sinne. Stinkende Rauchschwaden steigen auf, die den Weg in
unsere Augen und Nasen suchen. Wir halten gute 10
Minuten durch. Das ist angesichts der Schwere dieser
Tätigkeit eine kleine Ewigkeit. Erst als der Gestank
100
Der eiskalte Einbrecher
richtig zu beißen anfängt und der Lärm schmerzt
brechen wir ab um uns zu erholen und unseren Fortschritt zu sehen. Uns fallen fast die Hände ab, als wir
die Maschine auf den Boden stellen. Wir starren mit
offen Mund auf die Schnittstelle und können immer
weniger glauben, was wir sehen. Auch diese unvorstellbar große Trennschleifemaschine, die schwere
Eisenbahnschienen in wenigen Sekunden wie Brot
schneiden kann, zeigte kaum sichtbare Wirkung. Nur
ein 10 Zentimeter langer aber höchstens 5 vielleicht 6
oder sieben Millimeter tiefer Kratzer ist zu sehen.
Dafür ist gesamte Halle mit ekeligen braun-grauen
Rauch gefüllt, der schwer wie eine Asbestwolke über
uns schwebt. „Los noch mal, wir geben nicht auf,“
spornt mich mein Kollege an und wir hiefen die unhandliche Flex wieder in Position. Der Lärm dröhnt
von neuem los, der Funkenflug ist noch stärker als
vorhin, denn wir drücken wesentlich stärker mit der
Scheibe auf die Kassa. Die aufsteigende Rauchsäule
nimmt uns gänzlich die Sicht, aber das macht uns
nichts, wir pressen was wir können. In einem langsamen Rhythmus bewegen wir die Maschine leicht
vor und zurück. Nach einer guten Viertelstunde verändert sich plötzlich das Geräusch, es wird blechener, sodass wir fast überzeugt sind, wir haben einen
Schneidfortschritt. Der folgende ohrenbetäubende
Kracher und die Teile der zerfetzten Trennscheibe,
die haarscharf an uns vorbeifliegen ernüchtern uns
wieder. Die Trennscheibe hat sich zu sehr erhitzt und
explodiert. „Jetzt ist die Scheibe abgebrannt, verdammter Dreck!“ brüllt Marcus und wankt nach Luft
101
Der eiskalte Einbrecher
ringend Richtung Ausgang. Ich laufe ihm nach und
wir stehen beide hustend vor der Halle. Wir warten
einige Minuten bis sich der Rauch und der Gestank
verzogen haben und
gehen wieder zum
Ort des Geschehens
zurück. Wie zu erwarten ist wiederum fast nichts abgetragen worden. Es
ist zum aus der
Haut fahren. Marcus
meint,
die
Trennscheibe hat
sicherlich die Oberfläche geschwächt, wir werden
noch mal mit dem Schweißgerät weitermachen. Kelly hat ihren Pseudoposten verlassen, denn die Gefahr
des entdeckt werden ist hier im Stall nicht gegeben.
„Versucht es noch mal, aber ich sehe schwarz. Ihr
schneidet schon fast drei Stunden an der Kiste und es
ist praktisch nichts geschehen. Ich glaube nicht, dass
wir durchkommen.“ Sie hat recht, viel gefruchtet
haben unsere Attacken bisher noch nicht. Ich erwiderte: „Wir werden auf einer anderen Stelle schneiden. Die Vorderseite ist offensichtlich zu gut gepanzert, probieren wir es hinten. Die Rückwand ist sicher nicht so hart.“ „Du oder ich?“ fragt Marcus
und sieht mich an. „Gib her“, sage ich und greife
zur Schweißapparat „geh du husten oder eine Runde,
es wird dir gut tun. Wenn du in einer Stunde zurückkommst, ist der Tresi offen!“ Ich setze mir die Brille
102
Der eiskalte Einbrecher
auf und mache mich über die Rückwand her. Wieder
trifft der heiße Flammenstrahl auf die knochenharte
Stahllegierung. Die ersten Funken sprühen, dann
entsteht wieder das selbe Bild. Um die Feuerspitze
ein kleiner Lichtkegel, aber kein Abschmelzen des
Mantels. Eine Stunde probiere ich alle möglichen
Techniken durch um die Rückwand aufzuschneiden,
jedoch ohne Erfolg. Ich halte den Brenner weit weg,
dann wieder ganz nah, bewege ihn schnell hin und
her und halte ihn minutenlang auf den selben Punkt.
Nichts zeigt Wirkung, nicht funktioniert.
Ich
komme
nicht
durch.
Marcus
löst mich nach
einer Stunde ab
und probiert seinerseits alle möglichen Tricks und
Methoden durch. Zuerst auf der Rückwand, dann die
Seitenwände und zuletzt den Boden. Ich wechsle
mich wieder mit ihm ab und wir werden immer verzweifelter, denn alle unsere Anstrengungen verlaufen
im Sande. Zum Abschluss treten wir auf den Eisenwürfel ein und beschimpfen ihn lautstark und minutenlang mit den allerschlimmsten Wörter, die nicht
einmal im Schimpfwörterbuch zu finden waren. Der
Nachmittag geht zu Ende und wir beschließen unsere
Knackversuche zu beenden. Wir haben nur ein
furchtbares Problem. Hier vor uns liegt ein dreihun103
Der eiskalte Einbrecher
dert Kilogramm schwerer Tresor, der von allen Seiten angeschweißt und angeschnitten ist. Das der nicht
liegen bleiben kann ist uns allen klar. Wir kühlen ihn
mit Wasser aus der Regentonne, die vor der Halle
steht ab. Aber wie soll das Monstrum wieder weggebracht werden? Fluchend und der Verzweiflung nahe
rennen wie im Kreis und überlegen wie wir ihn wieder ins Auto bekommen und was wir überhaupt damit machen sollen. Kelly hat eine Idee. Marcus und
ich sollen mit zwei langen Eisenstangen unter den
Tresor fahren und ihn auf einer Seite kippen. Sie legt
dann eine Holzlatte darunter. Dann kippen wir die
andere Seite und so weiter. Nach einiger Zeit liegt er
auf der selben Höhe wie die Laderampe des Kastenwagens. Mit vereinten Kräften schieben und Zerren
wir an der Kassa bis er
endlich im Laderaum
liegt. Marcus fährt aus
der Halle, bringt den
Schlüssel zurück und
schweigend sitzen wir
alle drei im Auto mit Tränen in den Augen. Keiner
von uns sagt nur ein Wort, jeder ist sich der Bedeutung dieser verpatzten Aktion bewusst. Selbst, wenn
die Trennscheibe erfolgreich gewesen wäre, hätten
wir sie nie in einem Supermarkt einsetzen können. In
wenigen Minuten käme die Polizei, bei diesem Lärm.
Nicht einmal das Schweißgerät könnten wir so lange
verwenden, wie bei den heutigen Tests. Aber es hat
sowieso keinen Sinn darüber nachzudenken, denn es
war ein Misserfolg, das steht jetzt fest. Was mit der
104
Der eiskalte Einbrecher
angebrannten Kassa passieren soll, wissen wir noch
nicht genau. Kurz vor der Stadtgrenze nach langer
Fahrt fängt Kelly doch zu sprechen an: „Was machen
wir mir dem Tresor? Im Auto kann er wohl kaum
liegen bleiben. Ich schlage vor, wir führen ihn zu
diesem Zorki zurück und schenken ihn ihm. Das ist
die einfachste Lösung, was meint Ihr?“ Fast im Chor
antworten Marcus und ich: „Ja einverstanden, weg
ist weg.“ Marcus meint noch: „Ich bringe ihn morgen hin und bitte ihn, dass er ihn nimmt und keine
Fragen stellt.“
105
Der eiskalte Einbrecher
KAPITEL 8
Die Depression
Marcus führt meine Freundin und
anschließend mich nach Hause. Ohne Worte steige
ich aus und gehe in meine Substandartwohnung ohne
Warmwasser und ohne Komfort. Es ist eine Qual
sich mit einer kalten Dusche den Schweißstaub und
den Gestank der Trennscheibe abzuwaschen. Müde und völlig deprimiert
liege ich auf meinem Sofa,
fürs Bett fehlt die Kraft,
und starre gegen die Decke.
Das war also der Traum
vom menschlicheren Leben! Immer und ewig werde ich doofe Pakete ausliefern für einen Hungerlohn.
Ausgebeutet von Staat und Krankenkassa. Hat dieses
Leben überhaupt einen Sinn? Die Depression steigt
in mir auf, wie der Nebel am Berg. Von den Füssen
aufsteigend fühle ich wie die schwarze Wolke meinen Körper hinaufkriecht, bis sie meinen Kopf erreicht und die Gedanken verdunkelt. Nichts hat Sinn,
106
Der eiskalte Einbrecher
jeder
Gedanke
eine Qual, vor mir
öffnet sich der
Abgrund und ich
bin bereit in dieses dunkelgraue
Loch mich fallen
zu lassen. Noch
nie war mir mein
Dasein so klar, wie in diesem Moment. Es gibt für
mich nur mehr den Tod! Ich wünsche mir sehnsüchtig das Ende herbei und sinniere über die in Frage
kommenden Freitodarten. Was hält mich noch auf
dieser Erde voller Unrecht, Not und Kriegen? Das
kann nicht meine Bestimmung sein, dass ich bis zum
jüngsten Gericht Botendienste für ein paar Cent verrichten muss, und das in einem der reichsten Länder.
Was nützt Jugend und Gesundheit, wenn die Geisel
der Armut dich peitscht? Dabei wäre meine Liste mit
den Dingen, die ich mit Geld tun hätte können, so
unendlich lang. Soviel müsste man ändern und
verbessern, aber für Alles braucht man Geld. Ich
würde ja keine Jachten mit goldenen Toiletten kaufen
oder Flugzeuge, die noch mehr Dreck machen. Fast
nichts von dem verdienten Geld würde ich für mich
verwenden, höchstens einen verschwindend kleinen
Teil. Gerade soviel um ohne Sorgen meine Bedürfnisse decken zu können. Ich würde mich einsetzen
für die Tiere und Pflanzen. Würde endlich die Jagd
bekämpfen. Solange Männer geachtet werden, die
hilflose kleine Geschöpfe mit Blei voll pumpen und
107
Der eiskalte Einbrecher
dadurch noch gesellschaftliche Stellung erlangen,
solange unschuldige Hühner in 20 Zentimeter Käfigen sitzen müssen und nach 5 Monaten auf den
Dreckshaufen hinter dem Haus gekarrt werden, solange verfluche ich meine Mittellosigkeit. Warum
müssen frischgeborene Kälber abgetötet werden?
Nur dass die Milchquote erfüllt wird! Solange die
Damen der Gesellschaft mit Pelzmäntel gern gesehene Gäste sind, wobei der Pelz dem Nerz oder den
anderen schnuckeligen Tierchen bei lebendigen Leib
abgezogen wird und das Viecherl stundenlang noch
an unendendlichen Qualen
leiden muss,
bis es sterben
darf. Aber das
macht nichts,
denn die Pelzhuren schauen
ja gut damit
aus. Stundenlang könnte ich Ansprachen halten, endlich Gutes zu tun, endlich das Leid der Natur zu beenden. Was nimmt sich der Mensch heraus, die
Schöpfung zu demütigen und zu zerstören. Aber ich
kann nichts ändern, denn ich bin arm. Alle meine
kreative Kraft und meine Energie wird aufgebraucht
durch die Existenzsicherung. Meinetwegen würde ich
weiter kalt duschen, könnte ich nur die Wildschweinjagd beenden und alle die frustrierten impotenten
halbschwachsinnigen Jäger vor Gericht bringen und
bestrafen. Keine Hoffnung ist in mir, meine und da108
Der eiskalte Einbrecher
mit die Not der unschuldigen Lebewesen zu lindern.
Warum sind die Reichen böse? Ich habe keine Antwort, dämmere so für mich hin. Mal schlafe ich ein,
dann liege ich wieder wach. Die Vernebelung meines
Geistes hat einen Rhythmus erlangt, und ich kann
nicht mehr sagen, wann ich wach bin und wann ich
träume. Mein Seelenschmerz ist nicht mehr zu ertragen, dieses Wochenende wird mein Leben und mein
Leid zu Ende gehen. Ich wünsche es
und werde es herbeiführen. Fast 26
Jahre
Kummer,
Sorgen, Leid, Not
und Armut sind
genug. Die wenigen
Freunde und Kelly
werden es verstehen, sie kenne meine Lage. Mit diesen
schwarzen Gedanken schlage ich
mich die Nacht herum und wälze mich bis ich doch
vor Erschöpfung in den Morgenstunden einschlafe.
Sonntag Mittag ruft Marcus an und ich hebe nur
durch einen Reflex ab, denn hören und sehen will ich
im Grunde genommen niemanden: „Hallo den Tresor habe ich zurückgegeben. Zuerst wollte der
Schrotthändler nichts davon wissen, aber dann hat er
doch noch 20 Euro rausgerückt. Hallo, Halloooo,
bist du noch da?“ Ich raunze ins Telefon mit toter
109
Der eiskalte Einbrecher
Stimme: „Es ist mir egal, kauf mir einen Kranz.“ Er
merkt meine Stimmung und lenkt sofort ein. „Halt
durch du Depp, ich bin in einer halben Stunde bei
dir. Da reden wir einmal über die ganze Sache, wir
lassen uns doch nicht so schnell demoralisieren und
abbringen.“ Kaum hat er diese Worte gesagt, legt er
auf und ich kann nichts
mehr erwidern. Zwanzig
Minuten später steht er
vor meinem Sofa und
fängt sofort an zu reden:
„Phil, was ist los mit
dir, so kenne ich dich
gar nicht. Jeden geht es
einmal schlecht, das ist
noch lange kein Grund
abzudanken.“ Ich heule
wie ein Schlosshund und versuche ihm meine Lebenssituation zu erklären, obwohl ich genau weiß,
dass er mein Leben kennt. Er lässt mich ausreden,
hört geduldig zu und zeigt sich ehrlich interessiert.
Nach meinem Schwall der Tränen setzt er sich zu mir
und beginnt zu sprechen. Er redet langsam, rhythmisch und deutlich. Er geht auf meine Depression
und meine schlechte Stimmung ein. Ich weiß nicht
wie lange er spricht, aber seine Worte sind wie Balsam und helfen mir. Er erklärt mir, dass nicht nur die
großen Taten zählen, sondern es sind die kleinen
Dinge, welche die Welt verbessern. „Wenn du nur
eine Amsel rettest oder nur einen Frosch, dann hat
dein Leben einen Sinn. Es mag nicht viel sein, aber
110
Der eiskalte Einbrecher
für den einen Vogel ist es entscheidend. Wenn du nur
einen Mensch abhältst zu töten oder das System zu
unterstützen, dann bist du ein Held. Dann bist du ein
Gewinner! Die Rechtlosen brauchen Dich, lass Sie
nicht im Stich. Du wirst spüren, bald siehst du nicht
mehr schwarz, bald wird sich das Blatt wenden und
du wirst deine Lage überwinden.“ Sein permanentes
positives Gerede zeigt Wirkung und ich kann nach
Stunden seines Monologes sogar wieder lächeln. Er
macht uns Tee und lädt mich Abends zum Essen ein,
obwohl er genauso pleite ist wie ich. Die zwanzig
Euro vom Zorki verwandeln wir in zwei köstliche
Pizzas beim Italiener. Als er erkennt, dass die Gefahr
meines Selbstmordes gebannt ist, begleitet er mich
wieder zurück in meine Wohnung und lässt mich
alleine. Die nächsten Wochen vergehen mit Arbeit
und Schlafen, ohne nennenswerte Ereignisse. Sogar
an meine Hallenbadbesuche zwecks Körperreinigung
kann ich mich gewöhnen. Marcus eindringliche Worte und Sätze wirken in mir fort und streben nach
Verwirklichung. Ich beschließe bei allem was mir
heilig ist, dass ich mein Leben den noch ärmeren
Kreaturen als ich es bin widmen will und ich kein
Recht habe hilflose Tiere skrupellosen Naturmördern
kampflos zu überlassen. Wie hat Marcus gesagt:
„Wenn du nur ein Tier oder ein Bäumchen rettest,
dann hast du gesiegt!“ Langsam komme ich wieder
zu Kräften und meine Gedanken werden wieder klarer und schärfer.
111
Der eiskalte Einbrecher
KAPITEL 9
Ein Traum
In meinem tiefsten Inneren entsteht eine Kraft von Hoffnung genährt, die mir Ideen
und Kreativität bringt. Ein tiefer Schlaf mit einem
intensiven Traum bringt die Wende. Ich träume vom
Meer und Sand und
mitten in diesem
Traum gehe ich zu
einem riesigen Panzerschrank mit vielen
Schlössern.
Dann
stehe ich vor diesem
Tresor, greife in meine Tasche und ziehe
einen Schlüssel heraus. Es ist kein normaler Schlüssel, nein er ist kunstvoll verziert und wunderschön
gearbeitet. Voller Ungewissheit, ob er sperren wird
oder nicht stecke ich ihn in eines der zahlreichen
Schlüssellöcher die auf der Tresortür zu sehen sind.
Der Schlüssel lässt sich ohne Mühe einbringen und
dann reiße ich allen Mut zusammen und probiere das
Entscheidente: Er dreht sich! Die Stahltür öffnet sich
und der Anblick, der sich mir bietet ist überwältigend. Der mannshohe Schrank ist bis oben hin mit
112
Der eiskalte Einbrecher
Geld gefüllt. Ich stehe mit offenen Augen und Mund
vor Millionen. Dann erwache ich, und meine erster
Gedanke ist: Ein Schlüssel! Wir brauchen den
Schlüssel! Im Bett sitzend denke ich weiter
über die Bedeutung des
Traumes nach. Es ist
sonnenklar. Nicht mit
schweißen, sprengen oder
mit der Trennscheibe ist
ein Panzerschrank zu
knacken, nein nur mit dem passenden Schlüssel! Warum ist mir das nicht schon früher eingefallen, verdammt! Ohne auf die Uhr zu sehen, wähle ich Marcus Nummer: „Wach auf, die Lösung ist da. Wir
brauchen den Schlüssel, dann können wir alles tun,
wovon wir träumen, verstehst du.“ Marcus ist völlig
schlaftrunken und lallt:
„Kannst du mir das Unterwasser erzählen oder
von mir aus morgen.“
Und legt auf. Voller
Euphorie rufe ich Kelly
an, irgendwem muss ich
doch von meinem Einfall erzählen. Sie muss
sich die selben Wörter
wie Marcus anhören.
Der einzige Unterschied ist, dass sie Nachtdienst hat
und deswegen hellwach. Sie antwortet sofort: „Geni113
Der eiskalte Einbrecher
al! Die Idee ist genial! Du bist ein Genie. Lass uns
nicht am Telefon darüber reden. Wir sehen uns diese
Woche noch, das gehört besprochen. Hast du deinen
Kollegen schon angerufen?“ „Ja habe ich, aber der
schläft der faule Kerl.“ Sie antwortet nur mehr kurz:
„Fauler Kerl, na ich weiß nicht, immerhin ist halb
vier und da sollte man schlafen. Lass ihn in Ruhe
heute, ihr seht euch sowieso morgen.“ Da ich nicht
mehr schlafen kann, stehe ich auf und fange zum
herum kraudern
an. Zusammenräumen
und
schlichten,
irgendwas
damit
die Zeit vergeht.
Etwas später gehe
ich dann arbeiten
und mache mir
mit Marcus einen
Treffpunkt aus.
Wir treffen uns manchmal untertags auf Parkplätzen
oder bei Tankstellen, die auf unserer Route liegen
und an denen es Automatenkaffee gibt. Mit zwei
Becher sitzen wir im Auto und mein Kollege fragt
nun endlich was so dringend war, dass seine
Nachtruhe gestört worden ist. Aufgeregt erzähle ich
ihm von meinem Traum und von den Schlüssen, die
ich daraus ziehe. Er sieht mich misstrauisch an und
entgegnet: „Die Idee ist gut, sehr gut, nur glaubst du
nicht, dass die Filialleiter auf den Schlüssel wie auf
ihren Augapfel aufpassen. Die sind doch verpflichtet
114
Der eiskalte Einbrecher
das Ding Tag und Nacht um dem Hals zu tragen.
Wenn der weg ist, dann schlagen die doch sofort Alarm und die merken das doch in einer Minute.“ Um
mich zu verteidigen meine ich: „Das stimmt, da hast
du Recht, aber im Ansatz ist die Überlegung gut. Ich
weiß schon, dass die Filialleiter gut aufpassen. Es
geht jetzt nicht um die Einzelheiten, sondern um das
Gesamtkonzept. Ich bleibe dabei, wir brauchen den
Schlüssel.“ Marcus erwidert sofort: „Stehlen kann
man ihn sicher nicht, die merken das. Spätestens am
Abend, wenn sie die Tageslosung sicher verwahren
wollen. Vielleicht könnte man den Geschäftsführer
auf dem Heimweg ablenken und so irgendwie den
Schlüssel wegnehmen, aber ich glaube nicht, dass so
etwas klappt. Außerdem ist das Raub und 20 Jahre
muss ich auch nicht Gitterluft einatmen.“ Ich stimme ihm zu, lenke aber ein: „Hast du dir schon mal
überlegt was so eine Kassiererin verdient? Vielleicht
700 Euro, das ist auch nicht die Welt. Man könnte
einmal fragen, ich meine so auf unauffällig, ob sie
mitmachen würde. Für sie wäre das ohne Risiko und
wir würden teilen.“ Marcus antwortet: „Ein Versuch
ist es Wert, aber bitte pass auf! Du weißt nie, wie die
Leute denken, wenn du so was ansprichst. Am Besten
ist wir fragen beide unabhängig von einander in einer Gegend, wo wir noch nie waren.“ Wir trennen
uns wieder und gehen der üblichen Liefertätigkeit
nach. Nächsten Tag verschlägt mich mein Job in einen Stadtteil, in dem ich sehr selten bin. Ideal um
einen Versuch zu starten, eine Komplizin oder Komplizen zu finden. Wobei mir Frauen bei weitem lieber
115
Der eiskalte Einbrecher
sind, als ihre männliche Kollegen. Männer nehmen
alles immer so ernst, auch, wenn sie nur niedere
Dienste verrichten sind. Immer glauben sie, sie werden vom Konzern entdeckt und in den Vorstand befördert. Wie kann man das nur glauben? Manche
Männer sind schon sehr doof! Auf meinem Fahrtweg
liegt ein mittlerer SB Laden. Hier will ich mein
Glück versuchen. Bei einer Packung Waffeln zerstöre ich absichtlich den Strichcode um die Kassafrau zu
zwingen die Eingabe
zu revidieren, oder
die Filialleiterin zu
holen. Mit den Haselnussschnitten in der
Hand stehe ich vor
dem
Foerderband.
Zum Glück bin ich
alleine, so kann niemand stören. Sie zieht die Packung über den Scanner und das unangenehme Störgeräusch ertönt. Sie greift in ihre Manteltasche und
steckt einen kleinen flachen Schlüssel in die Elektronikkassa. Wie erwartet baumelt der Tresorschlüssel
vom Bund. Ich sehe ihn und sage: „Was ist das für
ein Schlüssel da? Ist das ein Tresorschlüssel?“ „Ja,
der sperrt unseren Panzerschrank hinten im Büro.“
„Echt?“ frage ich scheinheilig, „für was braucht Ihr
denn einen Tresor, was soll da schon drinnen sein.
Ich meine, so eine Riesenlosung hat ja so ein Tante
Emma Laden ja wohl kaum.“ Sie lacht auf und antwortet ohne mich anzusehen. „Na, passen Sie nur
auf, dass Sie sich nicht täuschen, wir haben mehr
116
Der eiskalte Einbrecher
über Nacht eingesperrt als wir zwei im Jahr verdienen.“ Jetzt muss ich auch lachen: „Das kann leicht
möglich sein bei unserem
Lohn! Sagen Sie haben Sie
noch nie überlegt,.... Sind
Sie noch nie in Versuchung
gekommen, da einmal zuzulangen?“
„Sind
Sie
wahnsinnig, das darf ich ja
nicht! Das gehört doch
nicht mir. An das habe ich
noch nie gedacht.“ Sagt sie
entrüstet. Als Witz getarnt
versuche eine Ebene zu
finden. „Also ich denke nur so. Ich suche auch immer Leute, die mitmachen. Wie wäre es? Geben Sie
mir den Schlüssel und wir teilen.“ Sie lacht gar nicht
und erwidert bitter ernst und relativ laut. Durch die
Lautstärke wird ihre Kollegin zu Hilfe gerufen. Offenbar hat sie den Witz nicht als Witz verstanden und
fühlt sich bedroht und genötigt: „Mein Herr, ich
weiß nicht was Sie wollen, aber wenn Sie noch ein
Wort sagen, dann rufe ich die Polizei. Ich darf nicht
einmal mit Ihnen reden, und schon gar nicht über so
was. Bitte gehen Sie!“ Ich schaue perplex und will
noch etwas sagen da sehe ich ihre Kollegin und einige Kunden hinter dem Flaschenregal auftauchen. Die
etwa 50 jährige fettleibige Frau kommt direkt auf
mich zu und schreit schon von dieser Entfernung.
„Gibt es Problem Helga, macht der Herr Umstände?“ Um die Sache in den Griff zu bekommen ant117
Der eiskalte Einbrecher
worte ich blitzschnell: „Nein, nein ich habe nur einen
blöden Witz gemacht und ihre Kollegin hat ihn nicht
verstanden. Aber das liegt an mir, niemand versteht
mich. Ich rede einfach zu viel. Keine Sorge, ich wollte nur Schnitten kaufen.“ Die Kassafrau beruhigt sich
langsam und schnauzt mich an: „Dann geben Sie mir
die 59 Cent und verschwinden Sie!“ Ich schnappe
die Waffeln lege 60 Cent hin und gehe. Das war
wohl kein sehr erfolgreicher Versuch. Aber wer kann
ahnen, dass der Trampel gleich so energisch reagiert.
Marcus erzählte mir von seinem Misserfolg. Mit dem
einen Unterschied, dass er sich, wie seiner Natur entspricht an die Kassiererin rangemacht hatte. Der
Endeffekt war, dass er mit ihr den Abend verbringen
musste dann hatte sie mit einer Anzeige gedroht, weil
sie glaubte, er ist von der Mafia. Wir sind uns im
Klaren, dieser Weg ist der falsche. Es ist praktisch
unmöglich einen Verbündeten zu finden. Es ist schon
Glück, dass wir uns gegenseitig trauen können. Abends lädt uns Kelly zu einem Essen in ein vegetarischen Restaurante ein. Sie hat einen Essensgutschein
von einem Klienten geschenkt bekommen. Wir essen
uns richtig an, kostet ja nichts. Zwischen den einzelnen Gängen erzählen wir meiner Freundin von unseren Aktionen. Sie lacht uns beide aus und meint:
„Habt Ihr echt geglaubt, dass Ihr mit so blöden Gequatsche was erreicht? Die Mädels sind doch angewiesen nach verdächtigen Personen zu schauen und
solche Vorfälle sofort zu melden. Ihr habt Glück,
wenn das ohne Polizei über die Runden gegangen ist.
Ihr seid wirklich zwei Idioten!“ Sie lacht dermaßen
118
Der eiskalte Einbrecher
auf, dass im Lokal sämtliche Personen auf uns
schauen. Die meisten Gäste grinsen ebenfalls, weil
sie wissen, dass sie uns auslacht. Und das ist ansteckend. Wir genieren uns für unsere Dummheit und
versinken
vor
Scham in unseren
Sesseln.
Kelly
schmunzelt weiter
bis sie nach einigen
Minuten uns erlöst
und fragt: „Ihr habt
doch beide die Tresorschlüssel gesehen, haben die
gleich ausgesehen, waren es die selben?“ Ich antworte ihr: „Keine Ahnung, wie der genau ausgesehen
hat, zwei Bärte hat er gehabt. Ein Doppelbartschlüssel halt, so wie wir ihn bereits kennen. Wie soll ich
da wissen, ob er so ausgesehen wie der von Marcus.“ Mein Kollege meldet sich sofort zu Wort:
„Genau habe ich auch nicht geachtet, aber so ungefähr. Es war auch ein Doppelbartschlüssel. Wenn ich
mich jetzt so erinnere, dann war eine Seite wesentlich länger als die andere. Ich meine, die Zacken
waren länger als auf der gegenüberliegenden Seite.
An mehr kann ich mich nicht mehr erinnern.“ Kelly
erklärt: „Wenn die Schlüssel filialübergreifend sperren, das heißt, wenn alle Tresore mit einem Schlüssel
zu öffnen sind, oder zumindest, wenn die Geschäfte
in Gruppen eingeteilt sind, dann bräuchten wir nur
einen Schlüssel und wir könnten 10 oder 20 Kassen
aufsperren.“ Das müssen wir herausfinden.
119
Der eiskalte Einbrecher
KAPITEL 10
Der Schlüssel ist der Weg
Der Trick mit dem beschädigten
Strichcode funktioniert gut. Die Kassiererin ist so
gezwungen, die Kassa rückzustellen. Auf diese Weise konnte ich in den nächsten Tagen Blicke auf zwei
verschiedene Schlüssel werfen. Das Problem ist, dass
ich mir absolut nicht merken kann, wie die Schlüssel
genau aussehen. Jedoch die ungefähre
Kontur kann ich behalten und schnell im
Auto abskizzieren. Die
Skizzen werden miteinander verglichen.
Die vorderste Zacke ist
bei beiden die längste
und die breiteste. Die
zweite Zacke ist bei einem Schlüssel ungefähr halb
so lang wie die erste, beim anderen Schlüssel nur ein
drittel so lang. Die dritte Stufe ist wieder anders.
Beim ersten ist sie niedriger als die zweite, beim anderen Schlüssel ist die dritte Zacke höher als die
120
Der eiskalte Einbrecher
zweite. Mehr kann ich mir nicht merken. Ich lege
nochmals die Zeichnungen nebeneinander. Erster
Schlüssel: hoch – halb hoch – niedriger. Zweiter
Schlüssel: hoch – ein drittel so hoch – höher. Das ist
nur eine Seite des Doppelbartes, die Gegenseite sah
ich mir gar nicht an. Meine Erkenntnisse stehen fest,
die Schlüssel sehen unterschiedlich aus. Es ist unmöglich, dass sie das selbe Schloss sperren. Abends
treffen wir uns alle drei wieder, diesmal können wir
leider nirgends umsonst essen, sondern müssen bezahlen. Also gehen wir nicht dinieren sondern
sitzen nur so zusammen, das heißt, wir
essen eine Margarita
zu dritt. Marcus war
fleißiger als ich und
schaffte drei Zeichnungen anzufertigen.
Jedoch unterscheiden
sich ebenfalls alle
drei
sehr. Auch mit meinen zwei sind keine Ähnlichkeiten
zu erkennen. Wir nehmen an, dass die Tresore in
jedem Geschäft unterschiedlich sind. Keine Ahnung
warum, aber der Grund ist uns egal. Wir sind traurig
darüber, denn es wäre für einen Coup ein großer Vorteil gewesen. Zehn oder zwanzig Panzerschränke mit
einem Schlüssel aufzusperren So einen Schlüssel
hätten wir hundert Prozent in unsere Gewalt gebracht. Irgendeine Möglichkeit hätten wir gefunden.
Es ist ärgerlich, dass bei uns alles schief läuft. Mar121
Der eiskalte Einbrecher
cus meint: „Lassen wir die Kirche im Dorf. Wenn
wir einen Tresor ausräumen, wird das reichen. Mehr
haben wir gar nicht vorgehabt, wir müssen doch
nicht gierig werden und gleich von zehn reden. Was
ist, wenn wir es schaffen und uns einen Schlüssel
kurz ausborgen, zu einem Schlüsseldienst flitzen und
nachmachen lassen?“ Etwas zornig, weil ich die
Unmöglichkeit dieses Vorhabens abschätzen kann
antworte ich ihm: „Und wie bitte, willst du das anstellen. Wir haben doch schon versucht mit den Trägerinnen des heiligen Schlüssels in Kontakt zu kommen. Daran sind wir kläglich gescheitert und fast mit
der Polizei konfrontiert worden. Fest
steht, mitmachen tut
die nie und ihr
wisst, es ist unmöglich, an den Schlüssel ranzukommen.
Das kannst du vergessen.“ Enttäuscht
meint mein Kumpane: „Ja ich weiß, das ist nicht
möglich. Ich rede ja nur und versuche alle Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen.“ Wir sitzen eine Weile zusammen und keiner sagt ein Wort. Die Situation
ist gespannt und niemand will einen Streit entfachen
oder sich mit einer dummen Idee lächerlich machen.
Nach einigen Minuten schweigen, denken und herumspielen mit dem Salzstreuer habe ich wieder einen
Einfall. Es ist mir egal, ob mich die Zwei auslachen
oder als Idioten herstellen. „Hört mal zu, braucht
122
Der eiskalte Einbrecher
man unbedingt ein Muster um einen Schlüssel nachmachen zu können? Wenn man genau weiß, wie er
aussieht, dann müsste es doch möglich sein auch
nach einer Zeichnung oder Skizze nachzuschleifen
oder zu fräsen.“
Meine zwei Begleiter schauen wie die
Kuh vorm neuen
Tor und staunen
aufgrund
meiner
Aussage. Nach einer Minute Funkstille meldet sich
Kelly zu Wort: „Ich
bin überrascht, was
in dir steckt! Das ist die Lösung. Wir müssen nur
Gelegenheit haben den Schlüssel zu vermessen und
abzuzeichnen, dann können wir ihn nachschleifen.“
Ich antworte: „Wie man genau zu einer Zeichnung
kommt, das gehört noch besprochen oder überlegt,
aber grundlegend
ist es sicher machbar ,was meinst du
Marcus, du bist
unser Handwerker?“ Er greift in
seine Tasche und
holt seinen
Schlüsselbund hervor. Lange sieht er den Bund an
und meint: „Früher habe ich mit einer Feile gearbei123
Der eiskalte Einbrecher
tet, das heißt ich habe Motorradteile geschweißt und
dann abgefeilt. Mit so einem Werkzeug kann man
ziemlich genau arbeiten. Ich bezweifle nämlich, ob
ein Schlüsseldienstler in der Lage ist nach Zeichnung
einen Schlüssel
nachzufräsen. Ich
weiß, dass diese
Leute immer ein
Muster brauchen,
um kopieren zu
können. Ohne
Vorlage, machen die das nicht. Wir müssten alles
selber machen.“ „Kannst du das?“ frage ich ihn
energisch? „Ich weiß nicht, es ist sicher eine Übungssache. Der Vorteil ist, dass ein Versuch nichts
kostet. Wir brauchen nur eine oder zwei Feilen und
einen unbearbeiteten Schlüssel.“ Kelly unterbricht
ihn: „Ich glaube das heißt Rohling, im Krankenhaus
sagt der Portier jedes
Mal wenn wir einen neuen Schlüssel brauchen,
dass er ihn selbst machen
könnte, hätte er nur einen
Rohling.“ „Kann sein“
sage ich „aber wir haben auch keine Rohlinge.“
Marcus antwortet sofort. „Das ist das kleinste Problem. Entweder wir können diese unbehandelten
Schlüssel kaufen, oder wir machen sie auch selbst.
Ein Stück Eisen, oder Messing lässt sich doch auftreiben. Das andere machen wir mit der Feile. Das
geht schon, nur dauert es seine Zeit.“ „Morgen pro-
124
Der eiskalte Einbrecher
biere ich was, heute ist es zu spät, ich erzähle es euch
dann.“ Sage ich und breche auf. Die anderen folgen
mir und verlassen das
Lokal. Ich führe meine Freundin noch
nach Hause und falle
ins Bett. Am nächsten
Vormittag komme ich
bei einem winzigen
Schlüsseldienst vorbei und betrete den
Laden. Der Besitzer
schätzt mich richtig ein und weiß sofort, dass er kein
Riesengeschäft machen wird.“ „Was wollen Sie?“
Sagt er unfreundlich, weil ich ihm noch zusätzlich
beim Zeitungslesen gestört habe. Wie man in den
Wald hineinruft, so
kommt es bekanntlich wieder heraus
denke ich und zeige
ihm meinen alten
grauen
Monsterschlüssel. „Haben
Sie den?“ Er setzt
sich seine Brille
auf, macht ein
wichtiges Gesicht,
und begutachtet das hundert Jahre alte Unikat und
meint: „Ja den kann ich Ihnen nachmachen, sofort,
wenn Sie wollen. Sie gehen eine Runde spazieren
oder lesen da die Illustrierten und ich fräse ihnen
125
Der eiskalte Einbrecher
einstweilen ein Duplikat. Kostet 14,50.“ „14 Euro
50?“ sage ich überrascht, „das ist Wahnsinn, das
kann ich mir nicht leisten. Würden Sie mir nur den
Rohling verkaufen, den Rest mache ich selber.“ „Nur
den Rohling wollen Sie? Ohne Fräsmaschine können
Sie da aber gar nichts machen. Aber bitte, wenn Sie
wollen, meinetwegen können Sie einen haben. 3 Euro.“ Ich schaue ihn traurig an und bitte Ihn, dass er
nur zwei Euro verlangen soll, ich nehme dafür zwei.
„Ja ist gut, mir ist
es egal. Zeigen Sie
mir noch mal den
Schlüssel.“
Er
nimmt ihn nochmals
in die Hand und
messt mit einer
Schiebelehre
den
Durchmesser
des
Schaftes und die
Bartbreite.
Dann
verschwindet er
hinter einem Vorhang und kommt nach zwei Minuten mit zwei Schlüssel, deren Bärte roh und unbehandelt sind. Zacken sind keine zu sehen. Jetzt weiß
ich endlich, wie Rohlinge aussehen. Ich brauche
noch so eine Vorrichtung zum Messen, wie der
Schlosser hat, eine Schiebelehre. Mein nächster
Schritt ist die Fahrt in einen Baumarkt. Da sich kein
Mensch zurecht findet in den überfüllten Regalen,
bitte ich einen Verkäufer mir zu helfen. Es ist ein
seltsam aussehender Mensch. Ein Typus den man
126
Der eiskalte Einbrecher
praktisch nie woanders
sehen
kann, ein typischer Baumarktmitarbeiter. Steht
ständig
unter
Stress und wirkt
abwesend. „Hallo
Sie mit dem roten Mantel, arbeiten Sie hier?“ Frage
ich den verstört wirkenden Mann. „Heute ja, ab
morgen bin ich dann in der Karibik und kümmere
mich um meine Hotelkette.“ antwortet er mit einem
unterstützenden Lächeln. Es sollte ein Scherz sein.
„Nein jetzt im Ernst, wie kann ich Ihnen helfen?“
„Ich möchte Feilen, denn
ich will einen Schlüssel
nachfeilen.“ Sage ich
ihm und zeige meinen
Wohnungsschlüssel. Er
lacht wieder und freut
sich wie ein kleines Kind
über den Satz: „Wenn
Sie einen Schlüssel feilen
müssen, dann empfehle
ich ihnen Schlüsselfeilen.
Ich kann nichts dafür,
die heißen so. Hier im zweiten Gang liegt ein günstiges Set, kommen Sie mit, ich zeige es ihnen.“ Ich
gehe im Eilschritt hinter dem Regalbetreuer nach. Er
wird immer schneller und nervöser, denn es folgt
eine Lautsprecherdurchsage nach der anderen in ei127
Der eiskalte Einbrecher
ner unvorstellbaren Lautstärke. „Sieben bitte auf vier
melden sieben bitte auf vier melden. Diese Durchsagen dürften <meinen Verkäufer> betreffen, denn in
jeder Sprechpause äfft er zurück. „Ist schon gut, du
Trampel, soll ich mich zerreißen!“ Nach der dritten
oder vierten Ansage reicht es der Sprecherin und sie
brüllt förmlich ins Mikrofon „Was ist los Herr
Verschnik, melde dich
endlich bei Kassa vier,
Kunde
wartet
auf
Preis!“ Er zeigt mir
dennoch die richtige
Abteilung, läuft aber
sofort zu einen Telefon.
Die Auswahl dieser
Werkzeuge ist Angesichts der Groesse dieses Gebäude lächerlich. Die Betreibern werden schon wissen
was Sie tun, denke ich. Offenbar kann man mit Spagetti mehr Geld verdienen, denn diese gibt es beim
Eingang in mindestens 300 Sorten. Es ist die ItaloWoche! Wie das mit einem Baumarkt zusammenhängt weiß ich nicht, es ist mir auch egal. Man denkt
ja nur nach. Ich nehme das optisch hervorgehobene
Set mit sechs kleinen Feilen um fünf Euro. Mittlerweile ist der Verkäufer wieder zu mir zurückgekommen und rät mir freundlich. „Für die kleinen Einschnitte sind die gut die feinen Werkzeuge, aber zum
Vorarbeiten brauchen Sie unbedingt etwas gröberes.
Mit diesem Doppelpack kommen Sie gut aus.“
128
Der eiskalte Einbrecher
Sagt er und zeigt auf
zwei Feilen, zirka 25
Zentimeter lang, eine
sehr fein und die andere
rau. Die zwei Werkzeuge kosten genauso
viel wie das Set. Ich
kaufe beide und gehe.
Die Messlehre kann ich
immer noch erstehen. Bei einem Altwareneisenhändler sehe ich zufällig einen kleinen Schraubstock. Es
ist ein praktisches Gerät, denn man kann ihn mit einer kleinen Zwinge auf jeden beliebigen Tisch
schrauben, ideal für meine Zwecke. Der Händler
verkauft ihn mir für drei Euro, ein Glücksgriff. In
meiner Wohnung wird der Schraubstock sofort auf
den Tisch montiert und ich bin richtig aufgeregt beginnen zu können. Ich lege mir schön säuberlich
alles zurecht. Feilen, Bleistifte, Papier, Wohnungsschlüssel und Rohlinge. Der Wohnungsschlüssel
wird erstmals genauer unter die Lupe genommen.
Der Bart hat sieben Abstufungen. Wofür die alle
sind, und ob die wichtig sind? Diese Frage lässt sich
sicherlich später klären. Als erstes wird eine Zeichnung angefertigt. Ich mache das, um überhaupt feststellen zu können, ob ich in der Lage bin abzuzeichnen. Zeichnen ist nicht meine Stärke, das war mir
immer bewusst. Hier geht es jedoch nicht um Gesichter oder Landschaften, sondern um Details. Ich
schaue den Wohnungsschlüssel an, und versuche mir
das genauer Aussehen einzuprägen. Anschließend
129
Der eiskalte Einbrecher
lege ich ihn unter einen Papierstapel und fange zu
skizzieren an. Schnell bin ich enttäuscht, denn ich bin
unfähig mir die
genauen Konturen
zu merken und auf
Papier zu bringen.
Es ist ein einschneidendes Erlebnis, denn niemals zuvor war
mir bewusst, wie
wenig man beobachtet.
Nicht
einmal Gegenstände, die man täglich
in der Hand hält,
kann man detailgenau beschreiben. Mir ist sonnenklar, dass, wenn ich einen Schlüssel abzeichnen und
nach dieser Skizze
nachfeilen will, ein
weiter und steiniger
Weg vor mir liegt.
Ich muss unbedingt
an
meiner
Beobachtungsgabe
arbeiten. Ich muss
sehen lernen, wie
ein Indianer! Ein
weiterer Zeichenversuch wird gestartet. Wiederum
versuche ich mir die Höhe der Zacken zu merken und
dann aus dem Gedächtnis abzuzeichnen. Nach dem
130
Der eiskalte Einbrecher
zehnten Durchgang fällt mir eine Symmetrie auf.
Mein Schlüssel hat sieben Zacken, wobei immer
zwei gleich hoch sind. Der Mittelzacken ist allein
stehend und kein anderer Zinken hat seine Höhe. Die
Zacken links und rechts davon sind gleich hoch. Also: Wenn man von der Mitte ausgeht dann sind Zinken 1 und 1 gleich hoch, 2 und 2 gleich, 3 und 3 sind
gleich. Warum das so ist, weiß ich nicht, aber ich
will es in Erfahrung bringen. Für heute habe ich genug gelernt und beschließe schlafen zu gehen.
131
Der eiskalte Einbrecher
KAPITEL 11
Ein Buch muss her
Nach dem üblichen Löskaffee Frühstück rufe ich
Marcus an und erzähle ihm meine Erkenntnisse vom
gestrigen
Abend.
„Marcus, kennst du
dich mit Schlössern
aus?“ „Nein fast
gar nicht, da musst
du
nachschauen,
am Besten im Internet. Das ist das
einfachste.“ „Ich
habe doch kein Internet, das weißt du
doch“ Er meint nur trocken: „Dann gehe in ein Internetcafe, das kann jeder Depp, sogar Du!“ Am
Nachmittag halte ich die Augen offen auf meiner
Tour, ob ich bei einem Internetcafe vorbeikomme
Auf einem Geschäft steht in großen Leuchtbuchstaben Hispeeeed. .Der Bursch hinter dem Tresen ist
132
Der eiskalte Einbrecher
sehr freundlich und begleitet mich
zu
einem
Computerplatz.
Er
weist mich
kurz ein und
verschwindet
diskret. In
eine bekannte Suchmaschine gebe ich verschiedene
Begriffe wie Schloss, Schlüssel, und so weiter ein.
Dies bringt alles keine gewünschten Ergebnisse. Erst
der Suchbegriff Schlüsseldienst bringt eine brauchbare Anzeige. An zweiter oder dritter Stelle der Ergebnisse der Suchmaschine steht Geheimwissen Schlüsseldienst – Eine Anleitung zum Schlossöffnen! Das
ist es! Das suche ich. Mit einem Klick bin ich auf der
richtigen Homepage. www.geheimwissen.at
Ich
schmunzle, denn das klingt schon sehr geheimnisvoll. Die Website gehört Michael Bübl einem Wiener
Schlossermeister, der einen Aufsperrdienst betreibt.
Er hat ein Buch geschrieben in dem es um das
Schlossknacken und Aufsperren geht. Der Mann
weiß, worüber er schreibt, er ist der Wunderschlosser
aus Wien. Ideal für unsere Zwecke! Jetzt muss ich
nur mehr rausfinden, wie das Buch heißt und wo man
es bekommt. Das ist schnell erledigt. Das Buch heißt
Geheimwissen Schlüsseldienst und man kann es
praktischer weise gleich online bestellen. Name und
133
Der eiskalte Einbrecher
Adresse eingeben und
einmal klicken, fertig! Das
ist angenehm, so erspare
ich mir den Weg in ein
Buchgeschäft. Ich stelle
mich auf eine Wartezeit
ein, denn meistens dauert
es ewig bis Versandhändler
liefern. Zu meiner großen
Freude habe ich ein zwei
Tage später einen gelben
Zettel im Postkasten. Ich laufe am selben Tag zur
Post um mir die Sendung abzuholen. Der Anblick als
ich das Postamt betrete
ist erschütternd. Mindestens 20 Leute stehen
vor jedem Schalter. Es
bleibt mir nichts anderes übrig, als mich hinten anzustellen. Natürlich geht es in den benachbarten Schlangen
besser und schneller.
Eine volle Stunde muss
ich warten bis ich endlich an der Reihe bin.
Das ist doch die
absolute Frechheit. Ein Monopolbetrieb, der viel zu
wenig Personal beschäftigt. Vor lauter Ärger bekomme ich einen Gastritisanfall, der sich gewaschen
hat. Mit unaushaltbaren Magenschmerzen schleppe
134
Der eiskalte Einbrecher
ich mich wieder
nach Hause und
lege mich erst
einmal hin. Das
ist eine doppelte Qual, denn in
mir ist die Neugier schon auf
ein gewaltiges
Niveau angewachsen.
Ich
will endlich das
Buch anschauen, anderseits
kann ich mich aufgrund der Schmerzen nicht konzentrieren. Die Schmerzen vergehen nach einiger
Zeit und ich öffne das Paket. Ich blättere es durch
und bin äußerst entzückt. Mit Bildern wird nicht gegeizt, das ist gut. So sehe ich auf einfache Weise klar
worum es geht. Das Werk fasziniert mich und ich
lese und schmökere fast die ganze Nacht durch, so
sehr fesselt es mich. Das ist unsere Bibel! Übermüdet
trete ich den Arbeitstag, treffe mich mit Marcus um
ihm meine Neuanschaffung zu zeigen. Er ist genauso
begeistert wie ich und will es mir gar nicht zurückgeben. Er meint: „Mit dem Wälzer ist es ein Leichtes
die Schlösser zu knacken, dass das überhaupt erlaubt
ist. Mir soll es reicht sein!“ „Heute werde ich nicht
mehr viel tun können“, sage ich zu ihm, „denn ich
135
Der eiskalte Einbrecher
habe fast die ganze
Nacht gelesen, das
Bett wartet auf
mich. Morgen werde ich weitermachen, ich habe
schon
Werkzeug
und Schraubstock.
Ach weil wir
gerade dabei sind, hast du so eine Messlehre, Schiebelehre nennt man das, glaube ich?“ „Ja habe ich,
bringe ich dir morgen mit, wir rufen uns zusammen.“
Der Abend ist kurz, das Bett zieht mich sofort nach
dem Betreten der Wohnung zu sich. Marcus
bringt mir nächsten
Tag das Messgerät
und erklärt mir die
Funktion. Bevor ich
sie wirklich brauche, muss ich mein
Gedächtnis weiter
trainieren, um mir
das genaue Aussehen Bild im Kopf entstehen zu lassen und dieses Bild meines Wohnungsschlüssel einzuprägen. Die Vorgangsweise ist logisch. Ich versuche ein dann präzise auf Papier zu bringen. Es geht,
aber es geht langsam und die Zeichnungen werden
ungenau. Ich kann mir zwar merken, wie die Zacken
angeordnet sein, jedoch nicht deren genaue Abstufungshöhe. Das bedeutet, ich merke mir erste Zacke
hoch, zweite höher, dritte tiefer, aber um ich kann
136
Der eiskalte Einbrecher
nicht schätzen um wie viel. Es ist für mich unmöglich vorzustellen, wie groß der Unterschied zwischen
ein Millimeter und einskommazwei Millimeter ist.
137
Der eiskalte Einbrecher
KAPITEL 12
Zeichnen muss man lernen
Kelly meint, ein Zeichenkurs würde mir sicherlich helfen. In solchen Veranstaltungen
werden die Teilnehmer in diese Richtung trainiert.
Man lernt genau zu sehen und insbesondere wird das
fotografische Gedächtnis verfeinert. Zuerst bin noch
skeptisch, aber im Laufe des Gespräches überzeugt
sie mich und ich schreibe mich in einen Zeichenkurs
ein. Am Anfang ist
es etwas peinlich,
dann lege ich die
Scheu ab und habe
große Freude. Der
Kursleiter ist nett
und
weist
uns
pausenlos
auf
unsere
schlechte
Beobachtungsgabe
hin. Wir
müssen Alltagsgegenstände wie zum
Beispiel unsere
Armbanduhr aus dem Gedächtnis abzeichnen. Es ist
ein schwieriges Unterfangen. Keiner der Kursteilnehmer ist am Beginn des Unterreichtes dazu in der
Lage. Nach und nach lernen wir auf jede Kleinigkeit
138
Der eiskalte Einbrecher
und jedes Detail zu achten. Der Leiter ist streng und
lässt keine Nachlässigkeiten durch. Er ermahnt unnachgiebig, wenn jemand eine Winzigkeit vergisst,
wie den kaum sichtbaren Rand auf den Zeigern.
„Zeichnen Sie das was Sie sehen, sonst sehen Sie
nicht das was Sie zeichnen.“ Das ist sein Leibspruch,
den wir uns jede Unterrichtseinheit anhören dürfen.
Zu mir sagt einmal: „Eine schöne Uhr ist das auf
Ihrer Zeichnung, wem gehört denn die, denn Ihre
sieht anders aus.“ Alle bemühen sich ehrlich, den
netten Lehrer nicht zu enttäuschen und manche treffen sich sogar außerhalb des Kurses um zu üben. Ich
selbst versuche mir immer und immer wieder ein
geistiges Bild von den Gegenständen zu machen, bis
es gelingt. Nach einigen Unterrichtswochen sind alle
im Kurs in der Lage verschiedene Gegenständen und
Utensilien detailgetreu aus der Erinnerung nachzuzeichnen. Der Kursleiter freut sich über seinen und
unseren Erfolg und empfiehlt verschiedene Aufbaukurse, wie Landschaftsmalerei, Portrait oder Proportionen. Den letzteren erachte ich als sehr sinnvoll für
mein Vorhaben und buche ihn. Es wird gelehrt, wie
man Entfernungen und Groessen richtig erkennt und
139
Der eiskalte Einbrecher
dann in der richtigen Proportion darstellt. Besonderes
Augenmerk wird auf das Erkennen von Größenverhältnissen gelegt. Wie groß ist ein Bleistift im Verhältnis zu einer Hand. Oder wie viel sind vier Millimeter. Mühsam muss ich mir dieses Fachwissen erarbeiten, aber diese Kurse sind für mich von unschätzbaren Wert. Ich habe soviel gelernt, und dieses
neue Wissen kann ich jetzt einsetzen in meinen Bemühungen, einen Tresorschlüssel zu erschaffen. Zwischen den einzelnen Kurstagen treffe ich mich mit
Marcus und Kelly um die beiden immer auf dem
Laufenden zu halten. Beide sind äußerst angetan und
üben ebenfalls was das Zeug hält. Wir haben alle drei
ein fantastisches Gedächtnis erworben, in diesem
Bereich. Manchmal machen wir sogar kleine Wettbewerbe, nur um uns zu profilieren. Es ist unglaublich, wie viel man mit Übung und Beharrlichkeit erreichen kann. Langsam ändern sich unsere Zeichenmotive. Statt Armaturenbretter, Uhren und Schuhe zu
zeichnen fangen wir an jede Art von Schlüssel nachzuskizzieren. Anfangs ist dies wiederum schwierig,
aber im Laufe der Zeit lernen wir das auch. Die
Zeichnungen werden exakter und präziser. Wir
zeichnen auf Millimeterpapier und messen dann die
Ergebnisse zusätzlich mit der Schiebelehre. Wir üben
jede freie Minute und geben nicht auf ehe die Abmessungen und Dimensionen passen. Damit ist die
erste Stufe erklommen auf unserem Weg.
140
Der eiskalte Einbrecher
KAPITEL 13
Schlosstechnik
Der zweite Schritt ist die Aneignung des technischen Wissens. Wir besorgen uns bei
Alteisenhändlern, Schlüsseldiensten und auch im
Internet jede Menge an alten Schlössern. Mancher
Ladenbesitzer ist hilfsbereit und freundlich, andere
sehen in uns eine Gefahr oder Terroristen und weigern sich uns auch nur einen Rohling zu überlassen.
Am ergiebigsten sind diverse Plattformen im Internet. Wir ergattern viele Bartschlösser und auch
so manches Tresorschloss. Diese Muster helfen uns
bei unserer Lerntätigkeit. Als unverzichtbar und genial erweist sich jedoch das von mir gekaufte Buch.
In wenigen Wochen lernen wir die Funktionsweise
von Doppelbartschlössern und Tresorverriegelungen.
141
Der eiskalte Einbrecher
Wir wissen nun was eine Zuhaltung ist, oder ein Riegel. Stiftkanal, Sackgasse, Abstufung und gebohrter
Schlüssel sind für uns keine Fremdwörter mehr. Wir
erweitern unsere Kenntnisse ungemein und wissen
bald was eine Vorspannung und ein Hobbscher Haken ist. Ein Bartschloss heißt eigentlich
Chubbschloss, weil es von einem Engländer, Herrn
Chubb, erfunden worden ist. In Österreich nennt man
es auch tosisches Schloss. Ein Italiener, Herr Tosini
lebte damals (um 1820) in der Alpenrepublik erfand
zufällig das selbe Schloss. Chubbschloss ist aber der
wesentlich bekanntere Namen. Durch Zerlegen fand
ich heraus, wie diese Schlösser genau funktionieren.
Im Inneren eines durchschnittlichen Chubbschloss
ist ein Riegel und fünf Messingplättchen. Der Riegel
ist gewöhnlich so dick wie zwei Messingplatten und
er wird von der vordersten Zacke gezogen. Die anderen Zacken am Schlüssel heben die dünnen Messingplatten hoch. Sind diese Zuhaltungen(das ist der
Fachausdruck) in den richtigen Höhen, dann kann ein
kleiner Stift in eine Aussparung, auf diesen Platten
eingearbeitet sind, eindringen. Dieser Stift ist auf
142
Der eiskalte Einbrecher
dem Riegel gelötet und erst mit dem richtigen
Schlüssel lassen sich alle Plättchen auf die richtige
Höhe heben, sodass
sich der Riegel bewegen lässt. Einfach aber genial.
Warum die Schlüssel
symmetrisch
sind, das ist eine
der Urfragen, und
immer zwei Zacken
gleich hoch sind,
klärt sich ebenfalls auf. Es ist ein sehr einfacher
Grund: Damit man das Schloss an der Wohnungstüre
von außen und innen mit dem selben Schlüssel sperren kann. Ein Zinken greift bei der Drehung des
Schlüssel ins Leere. Es ist der Zacken neben dem der
den Riegel zieht.
Unsere
kleine
Gruppe mutierte zu
Schlossspezialisten
in den letzten Wochen. Wohnungsschlösser sind relativ einfach gearbeitet, das haben wir
bald heraussen. Die
Tresorschlösser mit Doppelbart sind schon anders
gestrickt. Wir lernen jedoch auch die Geheimnisse
dieser Exemplare. Viel Gehirnschmalz und viele lange Nächte sind notwendig um diese kleinen Wun143
Der eiskalte Einbrecher
derwerke zu begreifen. Die Schlösser für Panzerschränke sind so präzis gefertigt, dass der Schlüssel
auf ein Zehntel Millimeter
stimmen
muss. Bei manchen ist
die Toleranz noch
geringer. Ein Exemplar war auf fünf hundertstel
Millimeter
genau gefertigt. Ein
Abweichen über dieses geringe Maß
macht den Schlüssel unbrauchbar. Erschwerend
kommt die Tatsache dazu, dass diese Spezialschlösser nicht mit fünf Messingzuhaltungen gesichert
werden, sondern mit 12 oder 15! Alle Plättchen sind
exakt gefertigt und abgestimmt. Um es den Panzerknackern noch mal zu erschweren sind die Schließplättchen federlos gelagert. Die richtige Positionierung übernimmt hier der Schlüssel. Wir bemerken
bei den Doppelbartschlüssel, dass einer hohen Zacke
immer ein niedrige gegenübersteht. Wenn man beide
Stufen zusammenrechnet ergibt das bei allen Zacken
fast immer die selbe Zahl. Zur Erläuterung: Es muss
die Zahl 10 erreicht werden, um die Zuhaltung in die
richtige Position zu heben. Erstes Zackenpaar hat 6
und 4. Zweites Paar, 3 und 7. Drittes Paar 2 und 8.
Das ist nicht bei allen uns zur Verfügung stehenden
Schlössern so, aber fast. Wir nehmen an, dass bei
denen es nicht so ist, herumgepfuscht wurde und von
Laien verändert. Diese Tatsache der Symmetrie
144
Der eiskalte Einbrecher
nehmen wir als Konstante in unsere Planungen auf.
Es ist genauso unabänderlich, wie der Durchmesser
des Dornes. Der
Schaft
eines
Schlüssel
muss
immer zylindrisch
sein und darf niemals konisch verlaufen. Wir vertiefen unser Wissen
immer weiter und
sind bald auch auf
dem Gebiet der
Tresore richtige
Fachleute. Mit diesem teils selbst teils aus dem Buch
des Österreichers angeeigneten theoretischen Wissen
haben wir die zweite Stufe erreicht. Wir sind in der
Lage jeden Schlüssel und jedes Detail akribisch zu
merken und hundert Prozent genau abzeichnen. Weiter erfahren wir durch unsere Studien und unsere
Recherchen welche Funktion jeder Teil des Schlosses
hat. Ein wichtiger Faktor, denn nur mit diesem Wissen können wir uns auf die ausschlaggebenden Teile
konzentrieren. Die unwesentlichen Dinge, wie zum
Beispiel die Groesse des Schlüssellochs, können wir
getrost vernachlässigen.
145
Der eiskalte Einbrecher
KAPITEL 14
Handarbeit und Geschick
Zu unserem großen Bedauern fehlt
uns trotz unseres Fleißes und unserer Energie noch
ein bedeutender Faktor. Uns fehlt die handwerkliche
Fähigkeit. Wir können nicht feilen, nicht schleifen
und nicht polieren oder welche Handgriffe man noch
können muss. Es zeigt
sich, dass dies der
schwierigste Teil in
unserem Plan ist. Selbst
wenn man genau weiß,
was zu tun ist, muss
man noch wochenlang
oder monatelang die Motorik trainieren. Es ist zu
vergleichen mit dem Erlernen eines Musikinstrumentes oder eines eins doppelten Saltos. Man weiß zwar
die Noten oder man ist sich auch bewusst, dass man
sich zweimal drehen muss beim Salto, aber man kann
es nicht. Und das Abfeilen eines Schlüssel ist sicherlich ähnlich schwierig. Die zu machenden Fehler sind
unendlich und die Verbrauchsquote der Rohlinge
enorm. Wir hatten einen Eisenhändler gefunden, der
mehrere Kisten alte Schlüssel uns zu einem Spottpreis verkauft hat. Marcus meint eines Abends:
146
Der eiskalte Einbrecher
„Jetzt weiß ich warum man als Werkzeugmacherlehrling eine Jahr nur feilen muss .Das ist tatsächlich
so schwer, und ich
dachte immer meine
Jugendfreunde werden schikaniert vom
Lehrherren.“
Der
erste passende Wohnungsschlüssel erfüllt
uns jedoch mit Freude
und motiviert uns zum
Durchhalten. Nach all
den Monaten Training
und Üben habe ich
natürlich haargenau im Kopf, wie mein Schlüssel
aussieht. Mindestens 50 mal habe ich ihn abgezeichnet und die Zeichnung vermessen.
Jetzt wird aus dem Gedächtnis gefeilt. Ich spanne
einen Rohling mit dem Dorndurchmesser von 6,5
147
Der eiskalte Einbrecher
Millimeter Schraubstock. Das ist der Durchmesser,
den mein Wohnungsschlüssel hat. Als erste Maßnahme feile ich die Außenmaße des Bartes. Zuerst
die Breite dann die Höhe. Die großen Feilen, die mir
der Mann im Baumarkt empfohlen hat eignen sich
hervorragend für diesen Zweck. Die Abstufungen
und Zacken werden mit den dünnen Schlüsselfeilen
gemacht. Ich arbeite langsam und konzentriert um
alles genau nach meinem geistigen Bild zu fertigen.
Sehr aufpassen muss ich, dass die Feile gerade
schneidet und nicht nach links oder rechts verläuft.
Mein Kurs und die getätigten Übungen in der Proportionslehre machen sich nun bemerkbar. Ich kann mit
einem Blick feststellen wie viel ein halber Millimeter
ist. Bei genauerem Hinsehen und mit starker Konzentration schaffe ich Abstufungen auf ein Zehntel
148
Der eiskalte Einbrecher
Millimeter zu erkennen. Mit Geduld und Beharrlichkeit kann ich diese winzigen Entfernungen auf den
Schlüssel zu übertragen. Nach drei
Stunden feilen und geistiger Anstrengung ist der Wohnungsschlüssel fast
fertig. Mit einem feinen Schmirgelpapier werden die letzten Kannten und
Unebenheiten beseitigt. Der große
Moment naht. Marcus und Kelly
schauen aufmerksam und gespannt zu,
als ich mit dem selbstgefertigten tosischen Schlüssel zu meiner Wohnungstüre gehe und ihn in das Schlüsselloch
stecke. Die seitliche Kerbe passt, als
hätte es eine Maschine gefräst. Ich sehe meine zwei
Zuseher an und lächle. Innerlich vibriere ich vor
Aufregung, lasse mir
meine
Nervosität
aber nicht anmerken.
Nur
ein
dünner
Schweißfilm
auf
meiner Stirn ist der
Beweis für meine
Unsicherheit. Der
Schlüssel dreht sich! Das Schloss lässt sich auf und
zusperren! Wir haben es geschafft. Das ist der erste
nur aus dem Gedächtnis gefertigte Schlüssel. Das
Ganze ist ohne Zweifel eine Meisterleistung, die uns
hier gelungen ist. Wir sind überglücklich und sind
von unseren Fähigkeiten überzeugt. Ich brauche einen Schlüssel nur anzusehen, und kann ihn hundert149
Der eiskalte Einbrecher
prozentig kopieren. Das erfüllt mich mit Stolz. Kelly
sagt: „Du bist nun eine Gefahr für die Gesellschaft,
wir dürfen niemanden von deinen Fähigkeiten erzählen.“ Ich beruhige sie sofort: „Keine Angst, ich werde es sicher nicht weitersagen, ich wüsste gar nicht
wem.Übrigens wer ist der
nächste von uns, der dieses
Kunststück zusammenbringt.
Los, los, wir machen erst weiter, wenn wir alle drei gleich
gut sind, sonst wird das nichts.
Wir sind demokratische Panzerknacker.“
Marcus lacht
auf: „Demokratische Panzerknacker, was ist das für ein
Blödsinn! Gib nicht so an. Nur
weil dein Schlüssel der erste
war, der gesperrt hat, brauchst du dich als Staatspräsident aufspielen. Kelly und ich werden uns zusammenreißen und in paar Tagen werden unsere
Schlüsserln auch sperren.“ Die zwei mühen sich die
nächsten Tage ab, um meine Vorgaben zu erreichen.
Zuerst schafft es Kelly, einen Tag später Marcus. Wir
freuen uns jedes Mal wie wahnsinnig und mit Marcus
Erfolg fangen wir langsam an weiter zu planen. Unserer finanzielle Situation wird unterdessen immer
dramatischer. Durch unsere private Aktivitäten vernachlässigten wir unsere Arbeit. Marcus und ich liefern immer wenige Pakete aus und das macht sich
auf der Abrechnung bemerkbar. Wir verdienen nicht
einmal mehr das was zum Leben brauchen. Kelly
150
Der eiskalte Einbrecher
wurde von ihrem Arbeitgeber auf mieseste überrumpelt. Sie musste zwar immer Nachtdienst wir machen
als Behindertenbetreuerin, bekam diesen als
Nachtüberstunden ausbezahlt.
Anstrengend
aber halbwegs
gerecht entlohnt.
Ihr Chef nötigte
Sie zu einem
neuen Dienstvertrag. Sie ist nun
nicht mehr angestellt,
sondern
selbständig. Das
bedeutet, dass sie keine Überstunden ausbezahlt bekommt und auch keinen Nachtzuschlag. Ihr Arbeitgeber meint: „Sie sind
jetzt Ihr eigener Chef,
da gibt es keine Überstunden mehr. Als
Selbständiger müssen
Sie halt anders denken.“ Die Frechheit ist
dabei, dass der Halunke die Nachtzuschläge
vom Heim bezahlt
bekommt und Kelly
unterschlägt.
151
Der eiskalte Einbrecher
Sie ist völlig fertig und frustriert. Durch diese Maßnahme hat sie fast die Hälfte ihres Einkommens verloren obwohl sie um 10 Stunden mehr in der Woche
arbeitet. Weinend und mit Wut im Bauch erzählt sie
mir: „Das Schwein verdient sich eine goldene Nase
mit uns armen
Mädchen.
Wenn
wir nicht parieren,
dann schmeißt er
uns raus und droht
mit einer Anzeige.
Er sagt dann der
Polizei, wir bestehlen die Patienten.
Das stimmt zwar
nicht, aber Job
bekommst du nie
mehr mit so einer Anklage. So ein gieriger Unmensch! Wir zwei sind wirklich nicht auf die Butterseite gefallen. Wie soll man denn mit 700 Euro leben
können?“ „Da kann sich Marcus noch anschließen,
der ist auch kein Ölscheich,“ antworte ich ihr, „wird
Zeit, dass wir uns weiter auf unser Vorhaben konzentrieren.“ Wir fertigen jede Menge Wohnungsschlüssel nur zur Übung an. Unsere Perfektion steigert mit jedem neuen Exemplar. Die Zeiten die wir
zur Herstellung benötigen werden immer kürzer. Wir
können die Dauer vom Anblick eines Schlüssel bis
zum fertigen Produkt auf wenige Minuten senken.
Wir sind euphorisch und siegessicher, bis das bittere
Erwachen kommt. Der erste selbstgefeilte Doppel-
152
Der eiskalte Einbrecher
bartschlüssel weigert sich strikt das Schloss zu entriegeln. Obwohl es sich um ein älteres Modell aus
dem vorigen Jahrhundert handelt. Wir haben es sehr
billig im Internet ersteigert. Keiner von uns Dreien
schafft es einen passenden Schlüssel zu feilen. Wir
sind frustriert und können uns unser Versagen nicht
erklären, nur erahnen. Die Schlüssel sind einfach zu
unpräzise, sonst kann es keinen Grund geben. Die
Funktionsweise der Tresore war uns durch unser
Studium sonnenklar. Der Fehler muss entweder an
unseren handwerklichen Fähigkeiten liegen, wir sind
einfach zu ungeschickt. Oder unsere geistigen Abbildungen sind zu ungenau, wir können die feinen Abstufungen optisch nicht erfassen. Es stellt sich heraus, dass es an beiden liegt. Die Fehler addieren sich.
Wobei der größere Anteil auf die mangelnde
Beobachtungsgabe zurück zu führen ist. Es ist nun
mal ein riesiger Unterschied, ob eine Stufe 3, 30
Millimeter ist, oder 3, 40. Die erste Abstufung würde
mit etwas Glück noch auslösen, aber bei der zweiten
Zacke summieren sich die Fehler im schlechtesten
Fall schon auf zwei Zehntel Millimeter. Bei zehn
oder noch mehr Zuhaltungen kann der Fehler bis zu
einem ganzen Millimeter anwachsen. Das ist
eindeutig zu viel. Bei Wohnungsschlüssel, also bei
Schlüssel die von beiden Seiten das Schloss sperren
hält sich die Genauigkeit in Grenzen. Die Höhen der
Zacken wiederholen sich ab der Mittelzinke. Das
Abschätzen der exakten Höhe fällt deswegen leichter. Uns bleibt nichts anderes als unsere Fähigkeiten
weiter auszuarbeiten und wissenschaftlich zu perfektionieren. Wir sind uns einig, dass unser Erfolg von
153
Der eiskalte Einbrecher
sind uns einig, dass unser Erfolg von Erfassen der
Groessen abhängt. Allerdings, und auch da sind wir
uns einig, ist es unmöglich zehn verschiedene Masse
auf hundertstel Millimeter zu erkennen. Als Lösung
bietet sich an den Dorn des Schlüssels als Ausgangsmaßpunkt zu nehmen. Jede Zacke hat einen
bestimmten Abstand zum Schaft. Wir gewöhnen uns
an nicht mehr von Stufe zu Stufe zu schätzen, sondern jede Kerbe in Bezug auf den Dorn mit unseren
geistigen Auge zu messen. Der Sinn dahinter ist, dass
keine Addierungsfehler mehr entstehen. Den Durchmesser des Schlüsselschaftes können wir mit einiger
Übung bald hundert Prozent genau auf zehntel Millimeter zu erkennen. Zum Üben besorgten wir uns
Metallstifte aus einem Werkzeugbau. Der Chef
schenkte uns eine Kiste mit tausenden Eisenstiften in
allen möglichen Durchmessern. Die Idee ist Marcus
während seiner Lieferung gekommen. Er hat die Abfallkiste gesehen, als er ein Paket abgegeben hat und
hat den Verantwortlichen gefragt. Der Inhaber der
Firma meinte: „Bei uns im Formenbau fallen jede
Menge Eisenabfall an. Das sind Normstifte, die von
den Arbeitern falsch gemessen wurden oder Reste.
Die kannst du dir nehmen.“ Die runden Stiften sind
für unsere Zwecke wie geschaffen. Die Länge ist
egal, es geht uns um den Durchmesser, und da hatten
wir Glück. Es sind praktisch alle Stärken zu finden in
zehntel Millimeterabstand. Wir können mit diesen
Eisenstiften optimal trainieren. Wir üben in jeder
freien Minute, die uns zur Verfügung steht. Im Auto,
am Abend, beim Frühstück, praktisch immer und
154
Der eiskalte Einbrecher
überall hat einer von uns mehrere Eisenstäbe in der
Tasche. Rausnehmen – Durchmesser schätzen – kontrollieren und in die andere Tasche stecken. Erst als
wir dreimal hintereinander bei dutzenden Stifte fehlerfrei den Durchmesser erkannt haben, wagen wir
uns wieder an einen Tresorschlüssel heran. Die neue
Taktik erweist sich als erfolgreich und mit unseren
nochmals perfektionierten Fähigkeiten schaffen wir
es den ersten sperrenden Doppelbartschlüssel zu erzeugen. Einen großen Schritt brachte uns eine winzige Erscheinung, die uns aufgefallen ist. Wenn man
einen gut gefeilten Schlüssel ins Schloss steckt und
versucht zu drehen, so macht er annähernd eine halbe
Drehung, dann sperrt er nicht immer sofort manchmal blockiert er. Drückt man vorsichtig einige Male
nach, ohne ihn abzubrechen und zieht den Schlüssel
anschließend heraus, dann erkennt man eine Eigenheit am Schlüsselbart. Meist ist auf einem Zacken
eine kaum sichtbare glänzende Stelle zu erkennen,
ein Abdruck. Wir bemerken, dass diese Kleinigkeit
schuld am Versagen des Schlüssels ist. Feilt man
vorsichtig diese glänzende Reibstelle weg, dann
sperrt der Schlüssel! Manchmal entsteht bevor der
Schlüssel endgültig sperrt auf einem anderen Zacken
ein weiterer Abdruck. Mit wenigen Feilstrichen ist
aber auch die zweite oder dritte Stelle bereinigt und
das Schloss ist offen. Zunächst können wir uns nicht
erklären, warum das so ist. Wir freuen uns trotzdem,
denn diese Erkenntnis erweist sich als äußerst hilfreich. Mit dieser Technik können wir sperrende
Schlüssel anfertigen, die sich lange geweigert hatten
155
Der eiskalte Einbrecher
das Schloss zu öffnen. Instinktiv spüren wir, dass
dies noch eine wesentliche Rolle spielen wird.
156
Der eiskalte Einbrecher
KAPITEL 15
Der erste Versuch
Wir haben Freude und ein gute,
fröhliche Zeit. Es macht Spaß einen komplizierten
Tresorschlüssel nur wenige Sekunden anzusehen und
dann aus dem Gedächtnis nachzufeilen. Wir könnten
ohne Probleme in einem Schlüsseldienst arbeiten,
obwohl Marcus meint, wir seien überqualifiziert.
Schade, dass es keinen Wettbewerb gibt in Tresorknacken, wir würden garantiert siegen. Marcus und
ich suchen an
einen der nächsten Tage einen
geeigneten Supermarkt aus,
von dem wir
glauben, dass es
sich
lohnen
wird. Er soll an
einer frequentierten Lage platziert sein, jedoch keine
Wohnhäuser als Gegenüber haben. Sonst ist das Risiko des beobachtet Werdens zu hoch. Unser Hauptaugenmerk ist die Risikominimierung. Unter keinen
157
Der eiskalte Einbrecher
Umständen wollen wir entdeckt werden. Fünf oder
mehr Jahre Haft abzusitzen hat keiner Lust. Nach
einigen Runden durch die Stadt finden wir zwei geeignete Geschäfte. Ein Laden hat ein Firmengebäude
als visavis, der andere nur eine Brachlandschaft. Beide liegen auf Hauptstrassen und versprechen eine
gute Losung. Wir entscheiden uns für den mit dem
Bürohaus als Gegenüber. Wir sind uns sicher, dass
nachts kein Mensch in so einem Gewerbegebäude
aus dem Fenster sieht. Bei dem anderen sind wir uns
einig, dass man uns unter
Umständen von Weitem sehen könnte. Wir losen aus,
wer die Knochenarbeit machen muss. Ich verliere mit
Anstand und mache mich
bereit. Zusammen wollen wir
nicht gehen, um möglichst
unauffällig zu agieren. Zwei
Männer würden auffallen,
bilden wir uns ein. Äußerst
nervös betrete ich das Geschäft. Es ist jetzt kein Probelauf mehr sondern bitterer
Ernst. Ich provoziere wieder einen Stau an der Kassa
mit dem Etikettentrick. Die Kassiererin nimmt wie
üblich den Schlüssel aus der Manteltasche um die
elektronische Kassa nach der Fehleingabe wieder
rückzustellen. Auf dem Bund sehe ich den Tresorschlüssel und kann ihn genau betrachten. Schweißtropfen stehen auf meiner Stirn, es fällt mir schwer
158
Der eiskalte Einbrecher
mich zu konzentrieren. Dennoch reiße ich mich zusammen und versuche absolut bei der Sache zu sein.
Ich spüre wie meine Hände nass und kalt sind vor
Aufregung. <Reiß dich zusammen, nimm Maß, lass
dich nicht ablenken> Diese Gedanken schießen
durch den Kopf. Eine Sekunde schließe ich die Augen, denke an nichts und mit einem Blick erfasse ich
die wichtigsten Daten. Schaftdurchmesser 6,30 Millimeter, 11 Abstufungen und einen Riegelzacken. Mit
meinem geschulten Auge vermesse ich die Höhen
der Stufen im Verhältnis zum Dorn und merke mir
die Masse bis ins Auto. Dort schreibe ich sie zur Sicherheit auf. Ich kritzle schnell um nicht etwas
Wichtiges zu vergessen. Sofort rufe ich Kelly an und
melde meinen Erfolg: „Ich habe es tatsächlich getan,
wir haben die Masse vom KS 2490.“ Aus Vorsicht
kodieren wir auch die Adressen der Supermärkte, so
wie die Kundenanschriften beim Paketdienst. Wir
haben uns auf eine einfache aber gut überlegte Verschlüsselung geeinigt. Beim Straßennamen nehmen
wir den ersten und den letzten Buchstaben. Die
Hausnummer multiplizieren wir mit zehn. „War
nicht besonders schwer nur die Angst war dabei. Wir
sehen uns am später.“ Sage ich und lege auf. Noch
am selben Abend sitzen wir zusammen und jeder
arbeiten drei Schlüssel nach meiner Vorlage aus. Das
sind neun Tresorschlüssel, die sich alle geringfügigst
von einander unterscheiden. Wir wissen von den kritischen Stellen und haben sie deshalb verschieden
angefertigt. Natürlich können auch Messfehler von
mir entstanden sein. Mit der großen Anzahl der
159
Der eiskalte Einbrecher
handgefertigten Schlüssel wollen wir sicher sein,
dass mindestens einer garantiert sperrt. Kelly ist die
langsamste von uns dreien, aber sie feilt die schönsten und präzisersten Stücke. Es ist ein erhebendes
Gefühl diese Tresorschlüssel in der Hand zu haben.
In diesem Panzerschrank liegen 10000 Euro vielleicht 20000 und wir können ihn ohne Probleme öffnen und das Geld schnappen. Alle unsere Probleme
scheinen gelöst und
wir fühlen uns frei.
Heute ist Mittwoch
und wir beschließen
am Freitag dem Familieneinkaufstag zuzuschlagen. Wir nehmen
an, dass an diesem Tag
besonders viel Losung
in der Kassa ist, die
nach Geschäftsschluss wegsperrt werden muss. Donnerstag schlafen wir uns aus. Freitag in der Nacht ist
es dann soweit. Nach Einbruch der Dunkelheit fahren
wir Richtung KS 2490 und parken unser Fahrzeug
einige hundert Meter entfernt. Langsam gehen Kelly
und ich die Strasse entlang bis wir zum Eingang
kommen. Einige Passanten kommen uns entgegen,
die uns jedoch kaum beachten, weil wir Händchen
halten und als Liebespaar wahrgenommen werden.
Marcus wartet im Auto und wir halten die gesamte
Zeit Verbindung mit eingeschaltetem Mobiltelefon.
Sobald wir das Geld haben fährt er los und ist zeitgleich mit uns beim Eingang, so der Plan. Die Zeit
160
Der eiskalte Einbrecher
die er für die Fahrt benötigt ist ungefähr die selbe,
die wir brauchen um vom Büro des Marktes rauszugehen. Das Herz schlägt wie verrückt als wir durch
den Hof des Anliegens gehen und beim Hintereingang stehen. Kelly schätzt ihren Puls auf 200 Schläge
und ich habe sicherlich auch nicht weniger. Plötzlich
sehen wir sehen uns an und sind versteinert. Es fährt
uns wie ein Blitz vom Scheitel bis in die Fussohlen.
Völlig sprachlos starren wir uns mindestens eine Minute an. Ich nehme das Mobiltelefon und spreche mit
Piepsstimme:
„Marcus, wir sind
die allergrößten
Idioten, die jemals auf dieser
Erde gelebt haben, leben und
auch leben werden.“ Er antwortet sofort: „Wieso
bitte, was ist los? Ist kein Geld im Panzerschrank?
Hat der Geldtransporter schon alles abgeholt. Der
kommt doch erst am Montag, das wissen wir doch
wegen der Überstunden.“ „Nein, nein das ist es ist
nicht, das Geld liegt sicher im Tresor.“ entgegne ich
ihm weiter ohne Stimme, „aber wir haben etwas
Wichtiges vergessen. Bei all unserer detaillierter
Planung haben wir uns niemals Gedanken gemacht,
wie wir die Eingangstüre aufsperren wollen um überhaupt zum Tresor hinkommen zu können.“ Am
anderen Ende der Leitung ist lange nichts zu hören
161
Der eiskalte Einbrecher
bis ein Urschrei die Stille zerstört. „Verdammter
Dreck! Wie kann es das geben! Was sind wir für Idioten.“ Wartet dort, ich hole euch ab.“ Eine Minute
später kommt er und wir steigen ein. Sofort ist eine
Krisensitzung einberufen in meiner Wohnung. Wir
kaufen uns drei Tafel Schokolade bei einer Tankstelle, um uns einigermaßen zu beruhigen und besprechen die Lage. Es ist uns unbegreiflich, wie man so
etwas derart Wichtiges vergessen kann. Marcus
meint: „Was ist, wenn wir die Eingangstüre einfach
aufbrechen mit einem Brecheisen oder mit etwas
Ähnlichem?“ Kelly fährt ihn an: „Sag mal spinnst
du? Du glaubst doch
nicht, dass wir einfach
einbrechen gehen können? Das macht so einen
Lärm, dass in zwei Minuten die Polizei kommt, wir
sind doch keine Stümper.
Erinnere dich an unsere
Schweißversuche, die sind
auch in die Hose gegangen, mit Gewalt erreichst
du gar nichts.“ Ich unterstütze meine Freundin:
„Völlig richtig, Kelly! Aufbrechen kommt nicht in
Frage, wir würden zuviel riskieren. Wenn wir schon
so dumm waren und einen Planungsfehler gemacht
haben, dann dürfen wir jetzt auf keinen Fall die Nerven verlieren und eine Kurzschlusshandlung machen.“ Mein Kollege sieht ein, dass es dumm wäre
162
Der eiskalte Einbrecher
einen plumpen Einbruch zu verüben und fragt: „Entschuldigt bitte, das war ein dummer Vorschlag, aber
ich habe mich so geärgert über unseren Schwachsinn, dass ich diesen Blödsinn gesagt habe. Wisst Ihr
vielleicht eine Lösung, sonst war all die Mühe umsonst.“ „Naja“ meint Kelly „wenn man einen
Tresorschlüssel nachmachen kann, so wird es doch
auch gelingen für diese Türschlösser ein Duplikat zu
erzeugen.“ Da ich mich am meisten mit der Materie
beschäftigt habe, antworte ich den beiden. „Für ein
Zylinderschloss kann man theoretisch genauso gut
einen Schlüssel anfertigen. Ich denke, dass ist sogar
noch einfacher. Die Zylinder sind gewiss nicht so
genau wie die Doppelbartschlösser. Morgen fangen
wir an, ich gebe niemals auf. Glaubt ihr ich habe die
ganzen Tortouren auf mich genommen, um wegen
eines Fehlers aufzugeben.“ Alle sind einverstanden
mit meinem Vorschlag und wir beenden unser Treffen. Das bedeutet, Marcus fährt Kelly nach Hause
und ich lege mich nach einer Horrordusche ins Bett.
Die nächsten Tage
verstreichen im Nu.
Wir sind alle unterwegs um einiges
Wissen über Zylinderschlösser
zu
sammeln. Ich klappere die Schlüsseldienste ab, und es
ist ähnlich der Zeit als ich mir die ersten Informationen über Tresore angeeignet habe. Viele der Laden163
Der eiskalte Einbrecher
besitzer sind misstrauisch und unfreundlich, einige
wenige aber sind sehr nett und es macht mir sogar
Spass mit ihnen zu plaudern. Ich erfahre, dass es ungefähr 2000 verschiedene Zylinderprofile gibt. Profil
nennt man die Art, wie das Schlüsselloch aussieht.
Es werden jedoch nicht alle 2000 verwendet, nur ein
kleiner Bruchteil steht in Gebrauch, maximal 20. Das
erleichtert die Arbeit, so glaube ich. Bei einem
unserer Treffen beschließen wir genauso vorzugehen, wie bei den Tresorschlüssel. Also, bei einer
günstigen
Gelegenheit
einen Blick auf den
Schlüsselbund der Filialleiterin zu werfen und
danach ein Duplikat aus dem Gedächtnis feilen. Dieser Plan zeigt sich aber als undurchführbar. Ich hatte
damals verloren, als es darum ging, den Tresorschlüssel abzuschauen. Diesmal ist Marcus an der
Reihe, um Gerechtigkeit herzustellen. Er ist auserkoren das Aussehen des Zylinderschlüssel in Erfahrung
zu bringen. Er versucht es diesmal nicht mit dem
Etikettentrick, das würde vielleicht auffallen, sondern
gibt einfach vor nicht genug Geld mitzuhaben. Die
Kassiererin muss die Eingabe rückgängig machen.
Diesen Moment will Marcus ausnutzen um den Zylinderschlüssel für die Geschäftseingangstüre zu sehen und sich zu merken. Er traut seinen Augen nicht,
denn auf dem Bund der Frau sind mindestens 15 flache Schlüssel. Es ist unmöglich für ihn in den weni-
164
Der eiskalte Einbrecher
gen Sekunden den richtigen Schlüssel zu finden und
hundert Prozent genau zu merken. Wir sind wieder
einmal an unsere Grenzen gestoßen. In langen Diskussionsrunden gehen wir alle mögliche Varianten
durch, um eine akzeptable Lösung zu finden. Wir
debattieren und reden, schließlich kommen wir erneut zum selben Schluss, wie am Anfang unserer
Aktivitäten. Ohne absolutes fundiertes Fachwissen,
werden wir keinen Erfolg haben. Wir müssen uns
abfinden mit der Tatsache, dass wir alles über Zylinderschlösser lernen müssen. In dem Schlüsseldienst –
Buch des Wiener Schlossermeisters finde ich wiederum jede Menge nutzvoller Hinweise. Um die
Theorie in die Praxis umzusetzen besorgen wir uns
viele verschiedene Zylinder. Die sind zum Glück
wesentlich leichter zu bekommen als die Doppelbartdinger. Die erste Lektion, die wir lernen ist das Zerlegen. Auch da müssen wir Lehrgeld zahlen. Es kostet einigen Schlössern das Leben, bis wir den richtigen Weg finden. Um das Schloss auseinander zunehmen gehe ich anfangs falsch vor. Ich entferne den
165
Der eiskalte Einbrecher
Sprengring und stecke den Flachschlüssel ganz in das
Schloss. Fachlich richtig heißt es: Ich führe den Zylinderschlüssel in den Schließkanal bis zum Anschlag
ein. Ohne Sprengring lässt sich der Kern aus dem
Gehäuse herausziehen. Das Ganze hat nur einen
Nachteil. Sämtliche winzige Einzelteile sind im ganzen Zimmer verstreut und unmöglich zum finden.
Tage und Wochen später kommen die kleinen Stiften
und Federn hinterm Bett oder Sofa wieder zum Vorschein. Das geht so oft bis Marcus eine zündende
Idee hat. Er steckt das Schloss in durchsichtiges
Plastiksackerl, ein Gefrierbeutel eignet sich bestens,
und zerlegt darin den Zylinder. Die Federn fliegen
zwar noch immer unkontrolliert raus, jedoch alle in
die Tüte. Er lehrt den Beutel über den Tisch und wir
können alle Teile auflegen und bestimmen. Ein
durchschnittliches
Zylinderschloss
besteht aus dem
Gehäuse,
dem
Kern, fünf Oberstiften, genauso
viele Unterstiften
und fünf Federn. Es erstaunt uns, wie einfach die
Funktion ist. Die Stifte sind paarweise in Kanälen
angeordnet. Jedes Stiftpaar wird von einer kleinen
Feder in die Höhe gedrückt. Die Kerben am Schlüssel drücken das Stiftpaar ein gewisse Entfernung
hinunter. Der richtige Punkt ist erreicht, wenn Oberstift noch im Kern ist und der Unterstift schon im
Gehäuse ist. Das ist die Trennebene. Sind alle fünf
166
Der eiskalte Einbrecher
Paare auf dieser Höhe ist das Schloss offen. Die Mechanik ist äußerst simpel gestrickt. Wir finden heraus, dass es nur 10 verschiedene Abstufungen der
Stifte gibt. Das ist nicht viel, wenn man bedenkt,
dass die Tresorschlüssel theoretisch einige tausend
verschiedene Höhen haben, und das bei 12 Zuhaltungen. Die Zylinderschlösser sind im Vergleich zu den
Panzerschränken wesentlich ungenauer gefertigt. Das
theoretische Wissen eignen wir uns in wenigen Tagen an und das praktische Können haben wir bereits.
Für normale gängige Zylinder kaufen wir die Übungsrohlinge bei den freundlichen Schlossern. Wir
sind überrascht, wie billig die sind. So kostet ein
Rohling nie mehr als 40 Cent. Die Schlüsseldienste
schenken uns auch jede Menge verfräste Schlüssel.
Für die Firmen würde es zuviel Aufwand bedeuten,
die noch brauchbaren zu sortieren, für uns sind sie
wertvoll. Unsere geschulte Beobachtungsgabe
kommt uns sehr entgegen und bald können wir das
Profil mit einem Blick erfassen. Eine Sekunde auf
das Schlüsselloch geguckt und die Schlossmarke
steht Hundertprozent fest. Umgekehrt geht das genauso gut. Kurz den Flachschlüssel gesehen, schon
wissen wir die Schweifung und die Schlossmarke. Es
stimmt, was die Schlüsseldienste mir gesagt haben,
denn bei den Spaziergängen durch die Strassen, bei
denen wir nur auf die Schlösser der Geschäfte starren, zählen wir nicht mehr als 15 verschiedene Profile. Allerdings fällt uns auf, dass wir für ungefähr die
Hälfte der Zylinder Rohlinge haben, für die andere
Hälfte nicht. Kelly recherchiert penibel nach und
167
Der eiskalte Einbrecher
findet eine bemerkenswerte Eigenheit heraus. Es gibt
eine Anzahl von Zylinderschlössern, bei denen die
Schlüssel frei käuflich sind. Eine gewisse Gruppe mit
spezieller Profilschweifung heißt <gesperrt> und
man kann für diese keine Schlüssel bekommen. Es ist
eine Sicherheitsmassnahme der Fabriken um die Besitzer vor unberechtigten Kopieren zu schützen. Viele Geschäfte auch der ausgewählte Supermarkt haben
diese gesperrten Schlösser. Nachschlüssel werden
gegen Ausweis und einer Sicherungskarte beim Hersteller angefertigt. Das Schlimmste ist jedoch, dass es
unmöglich ist einen passenden Rohling zu erwerben.
Das stellt uns wiederum vor ein großes Problem. Wie
sollen wir die Zacken eines Schlüssels nachfeilen,
wenn wir nicht die Rohlinge bekommen? Marcus
weiß wie so oft die Lösung. „Seid Ihr vielleicht
pragmatisch! Wir sind gute Handwerker geworden,
das heißt wir sind Korifen, richtige Künstler mit der
Feile. Wir werden
uns doch so einen
blöden
Rohling
selber
machen
können.Alles was
wir brauchen ist
ein flaches Stück
Eisen oder Messing.“ „Korrekt“
antworte ich ihm,
„manchmal steht man wirklich auf des Leitung. Das
wir doch zu schaffen sein. Der Blödsinn mit den gesperrten Systemen ist doch eine Pseudosicherheit.
168
Der eiskalte Einbrecher
Bevor ich mich mit einem Metallstück abquäle probiere ich es aus Holz.“ Meine Freundin ist begeistert
von meinem Vorschlag: „Gute Idee, aus Hartholz
werden wir den ersten Zylinderschlüssel anfertigen.
Nur zum Test, ob das Profil sehr heikel ist.“ Ich besorge ein Stück hartes, schweres Holz und beginne es
auf die Stärke eines Schlüssels zu feilen. Nach wenigen Minuten muss ich kapitulieren, denn das Werkzeug ist verklebt. Die Feile ist zu fein. Die Späne
verschmieren die Zähne. Marcus meint: „Du musst
eine Raspel nehmen, die ist rauer und verpickt nicht
so schnell, ich bringe dir morgen eine mit. In meiner
alten Werkzeugkiste liegt garantiert noch eine herum.“ Gesagt, getan, beim nächsten unserer Gaunertreffen legt er einige grobe Raspeln auf den Tisch.
Wir fangen gleichzeitig an ein kleines Holzstück zu
bearbeiten. In ein paar Minuten hat jeder ein flaches
Holzblatt, genauso dick wie ein Schlüssel. Jetzt muss
das Profil noch rausgearbeitet werden. Ich sehe mir
das Musterschloss an und beginne mit einem dreieckigen Werkzeug die Längsrillen auf dem Holzstück rauszukratzen. Ich drücke das Werkstück ab
und zu vorne in den Zylinder um ein Art Profilabdruck zu erzeugen. Dort wo der Schlüssel in spe noch
nicht passt, entsteht ein kleiner Holzdamm. Das überschüssige Material wird etwas gestaucht. Das signalisiert mir die Stelle, wo ich noch abtragen muss.
Ich könnte es auch ohne dieses Schummeln schaffen,
nur aus dem geistigen Bild, aber man soll sich nicht
unnötig quälen. Unglaublich schnell sind wir fertig
und haben einen passenden Holzschlüssel. „Probe
169
Der eiskalte Einbrecher
bestanden,“ sagt Marcus „jetzt wird es wieder ernst.
Die nächsten machen wir aus Metall. Ich traue dem
Holz nicht ganz, wenn
es bricht, dann schauen
wir blöd. Das zahlt sich
nicht aus, dass wir im
entscheidenden
Moment, den Schlüssel
abbrechen. Wenn wir
aus Holz das schaffen,
werden wir aus Eisen
das auch können.“ Kelly meint: „Das wäre
nicht sehr angenehm,
wenn wir nochmals vor einer geschlossener Türe
stehen, nur weil wir uns jetzt ein bisschen Zeit sparen
wollen. Wir haben so viele Monate investiert, was ist
da schon eine Woche? Außerdem könnten wir unser
Vorhaben garantiert vergessen, wenn die Belegschaft
nächsten Tag einen abgebrochenen Schlüssel im
Schloss findet. Die Polizei würde das Geschäft
überwachen, die wissen doch was da los ist. „ „Gut,
gut“ sage ich, „wir machen den Rohling aus Metall.
Ist nur geringfügig mehr Arbeit, aber das Risiko ist
weg. Da kann nichts passieren. Wir brauchen nur ein
passendes Eisen oder Messingstück, damit wir nicht
so viel feilen müssen. Die Schweifung ausarbeiten
genügt, vielleicht können wir uns die Dicke ersparen,
und finden etwas passendes. Bei den Eisenhändlern
wird schon was herumliegen.“ Richtig gedacht – Bei
einem Eisenhändler finde ich einen idealen Messing-
170
Der eiskalte Einbrecher
streifen. Zwei Millimeter dick, zwei Zentimeter breit
und einen Meter lang. Es
liegen ungefähr 20 von
diesen Metallstangen auf
einen Haufen. Ich nehme drei und gebe dem
Mann 5 Euro. Er raunzt
aufgrund des schlechten
Geschäftes, letztlich ist
ihm egal. „Glück muss
der Mensch haben,“
meint mein Kollege,
als er erfährt von meinem Kauf. „Zwei Millimeter
hat auch ein durchschnittlicher Flachschlüssel, da
ersparen wir uns eine Menge Arbeit. Wenn der Originalschlüssel um ein paar Zehntel stärker ist, so
macht das überhaupt nichts aus. Wie ich gesagt habe
, wir müssen nur
das Profil ausarbeiten, dann
haben wir jeden
geschützten
Rohling den wir
wollen. Die Leute sind wirklich
naiv, wenn sie sich auf gesperrte Schlüssel verlassen.“ Wir sägen als erstes einige Stücke von den Metallstreifen ab. Etwa doppelt so lang, wie ein Schlüssel. Länger deshalb, damit mit man es gut in den
Schraubstock einspannen kann. Wir bekommen einen
Lachkrampf über die Groesse der Originale. Uns
171
Der eiskalte Einbrecher
fehlt einfach die Erklärung, warum die so klein sein
müssen. So klein, dass kein normaler Mensch bequem aufsperren kann, geschweige denn, er ist älter.
Wir lachen aus tiefsten Herzen über unserer eigenen
Witze. Wir amüsieren uns über Aussagen wie: Vielleicht kann man die Schlüssel noch kleiner machen,
oder das Schlüsselloch noch geheimer. So geht es
eine halbe Stunde hin und her. Wir sind froh endlich
wieder etwas lustig zu finden in unserem traurigen
Armutsdasein. Mit kleiner Dreieck- Rundfeile machen wir uns an die Arbeit. Der Trick mit dem Aufstauchen des Materials funktioniert nicht ganz so gut
wie mit Holz, es ist uns dennoch eine kleine Erleichterung. Das Metall schiebt sich nicht so stark zusammen, es lassen sich aber doch winzige Spuren
erkennen. Den Grossteil der Profilausarbeitung erledigen wir mit Augenmass. Sehr genau muss man
nicht sein. In das Schlüsselloch muss er passen und
leicht bewegbar muss er sein. Er darf nicht klemmen
und nirgendwo zwicken. Seitlich darf etwas Spiel
sein, nur nach oben und unten darf der Schlüssel
nicht wackeln. Das sind die einzigen Kriterien die
erfüllt werden müssen. Mit diesen selbstgefertigten
Spezialrohlingen machen wir uns daran für gesperrte
Schlösser die Schlüssel zu feilen. Diese Tätigkeit
entpuppt sich als relativ einfach. Viel einfacher als
die Arbeit an den Tresoren. Zum Einprägen der Zackenabstufungen greifen wir zu einem einfachen
Trick. Bei den Chubb und Doppelbartschlössern hielten wir uns an den Durchmesser des Dornes. Da dies
bei Flachschlüssel nicht möglich ist, finden wir eine
172
Der eiskalte Einbrecher
sehr einfache Eselsbrücke. Wir vergleichen die Einfräsungen mit dem Profil. Dieser Weg stellt sich als
überaus effektiv heraus. Das Erkennen und Schätzen
eines Schlüssels funktioniert in zwei Stufen und dauert höchstens zwei Sekunden. Mit dem ersten Blick
erkennen wir das Profil. Von diesen Längsrillen lässt
ich mühelos und genau die Stiftlängen und damit die
Feiltiefen ableiten.
173
Der eiskalte Einbrecher
KAPITEL 16
Die kriminelle Zukunft
Jetzt steht unserer kriminellen
Zukunft nichts mehr im Weg. Kelly macht sich auf
den Weg zu KS 2490, um den Schlüssel für die Eingangstüre auszuspionieren. Sie ist die einzige, die in
diesem Geschäft noch nicht bekannt ist. Zuerst geht
sie unauffällig zum Hintereingang. Sie muss die
Schlossmarke eruieren. Ein Blick genügt.
Um
den
Schlüsselbund der
Kassiererin zu sehen, muss sie wieder einen neuen
Einfall haben. Der
Etiketten- und kein
<Geld haben Trick>
könnte die Dame an
der Kassa stutzig
machen. Kelly sucht ein Produkt, dessen Haltbarkeit
abgelaufen ist. In einem normalen Supermarkt ist das
keine große Herausforderung. Die Eierbiskotten sind
meist alt, so auch diesmal. Mit einem halben Liter
174
Der eiskalte Einbrecher
Milch und den verdorbenen Keksen steht meine
Freundin an Kassa und wartet. Nach dem Bezahlen
entdeckt sie wie zufällig das Verfallsdatum und sagt
es der Kassafrau. Diese sieht sich kurz die Packung
an und meint gestresst: „Da kann ich nichts dafür,
holen Sie sich andere. Sie können sich sogar zwei
Packerl holen, bei uns gilt frisch oder gratis. Kelly
antwortet ihr: „Nein das tue ich nicht. Ich habe kein
Vertrauen mehr, die sind womöglich wieder alt. Bitte
geben Sie mir mein Geld zurück.“ „Da müssen Sie
warten, ich habe keinen Schlüssel. Ich muss die Chefin rufen.“ Kelly besteht auf Ihrem Recht und weicht
natürlich nicht ab. „Dann tun Sie das oder soll ich
rufen?“ Unterdessen fangen die anderen Kunden zu
murren an und die überforderte Frau klingelt. Die
Chefin kommt und weiß was los ist. Jetzt kommt der
Moment auf den Kelly gewartet hat. Die Filialleiterin
steckt einen kleinen Schlüssel in die Kassa und der
ganze Ring baumelt. Meine Freundin sieht sofort den
Tresorschlüssel und mindest 10 verschiedene Zylinderschlüssel. Zu ihrem großen Erstaunen passt jedoch kein einziger dem Profil nach zu dem Schloss
im Hintereingang. Es ist auch keiner dabei, der zum
Vordereingang gehört. Sie starrt auf den Bund, um
sicher zu gehen, aber es bleibt dabei. Der Eingangsschlüssel ist nicht auf diesen Bund. Als Kelly diese
Vorkommnisse Marcus und mir erzählt sind wir wieder deprimiert. Es ist verhext! Unser ganzes Können
nutzt uns nichts, wenn wir den verdammten Schlüssel nicht sehen können. Die Filialleiterin hat ihn
wahrscheinlich auf ihren Privatbund und der wird
175
Der eiskalte Einbrecher
uns verborgen bleiben. Es ist zu gefährlich die gehirngewaschenen Bediensteten anzusprechen. Wir
sind schon einmal nur mit Glück ohne Polizei davon
gekommen. Es ist soweit, wir stehen an. Die ganze
Mühe war nun umsonst. Keiner von uns kann akzeptieren, dass die Geschichte für unsere Begriffe
schlecht ausgehen soll. „Wir können nicht aufgeben,“ sagt Marcus, „es muss eine Lösung geben. Mir
ist es egal, ich breche die Türe auch auf. Wenn Ihr
nicht mitmacht, dann ist es eure Sache. Ich kann
nicht mehr zurück. Ich bin am Sand, ich habe keinen
Groschen Geld. Ich muss das tun. Ich habe die Miete
schon seit zwei Monaten nicht bezahlen können.
Nächstes Monat delogieren die mich, dann liege ich
auf dem Bahnhof und verrecke. Ich muss euch gestehen, dass ich keine Angst mehr vorm Gefängnis habe. Wir tun ja nichts Schlechtes, das haben wir ja
schon besprochen. Das ganze Geld ist versichert und
176
Der eiskalte Einbrecher
einer Versicherung tut es nicht weh. Also was ist mit
euch?“ Marcus regt sich während seines Monologes
wahnsinnig auf und nur mit Mühe können wir ihn
etwas
beruhigen,
bevor er losstürmt
und die Eingangstüre des Ladens eintritt.
„Marcus,“
sage ich und halte
ihn mit beiden Händen
fest,
„wir
wissen von deinen
Problemen. Glaubst
du uns geht es besser? Wir haben genauso wenig
wie du. Nur müssen wir jetzt die Nerven behalten und
nicht durchdrehen. Möchtest du fünf Jahre sitzen?
Das bereust du, das kannst du mir glauben. Im Knast
ist es kein Honiglecken, da musst du erst recht schuften. Da musst du für einen Euro am Tag Suppengrün
verpacken oder wirst vermietet an reiche Konzerne,
die dann noch reicher werden. Glaubst du, das ist ein
Zufall, dass die Multis so viel Reichtum haben. Die
Gesetze sind doch von denen gemacht, um Leute wie
dich und mich zu Sklaven zu machen. Die haben doch
keinerlei Skrupel, dich auszubeuten bis du stirbst und
schneiden sie dir noch die Nieren raus. Wenn es
Krieg gäbe, dann müssten wir Soldaten spielen und
für die Mächtigen der Welt Raubzüge machen und
abschließend ökonomisch sterben. Schau dir an, was
die Schweine mit der Welt machen! Die haben schon
goldene WCs und wir verhungern fast. Jetzt dreh
177
Der eiskalte Einbrecher
nicht durch! Wir finden eine Lösung, ich verspreche
es dir.“ Marcus sitzt am Boden und starrt ins Leere.
Er hört mich, aber kann nicht antworten. Kelly faucht
mich an: „Phil, du bist auch nicht sehr klug! Wieso
erzählst du ihm in seinem Zustand diese Geschichten
von der ungerechten Welt. Deine menschlichen Parolen helfen hier keinen! Das bringt ihm doch nichts.“
Sie nimmt das Gespräch mit Marcus in die Hand
und redet auf ihn ein.
Sie ist von Natur aus
wesentlich
sprachgewandter und durch ihren Beruf weiß sie, wie
man verzweifelte oder
depressive Menschen
aufrichtet. Nach einer
Stunde geht es ihm besser. Kelly ist fantastisch, sie ist mein guter
Geist. Alle menschlichen Probleme kann sie lösen.
„Ich werde mich in der nächsten Zeit um das küm178
Der eiskalte Einbrecher
mern, was ich besser kann, denn Psychologie ist
nicht meine Stärke.“ Sage ich zu den beiden. „Ich
finde einen Weg um zu dem Schlüssel zu gelangen.“
Die folgenden Tage verbringe ich nur mit dem Zerlegen und dem Zusammenbauen der Schlösser. In wenigen Minuten ist das Schloss in sämtliche Teile auseinandergenommen und genauso schnell wieder zusammen. Ich mache das, um irgendwas zu entdecken
was mir weiterhelfen könnte. Es muss eine Möglichkeit geben nur sehe ich sie nicht. Wenn man sehr oft
das selbe tut wird man unvorsichtig, und so passiert
mir ein kleines Missgeschick. Ich vertausche zwei
Stifte mit einander
und das Schloss
lässt sich nach dem
Zusammenstecken
nicht mehr sperren.
Der Ärger kommt
in mir hoch denn
ein Zylinder mit
falsch bestückten
Stiften ist kaputt.
Ich stecke den
Schlüssel ganz hinein, drehe und wackle dabei voller Zorn wie ein
Wahnsinniger aus Hoffnung, dass es doch auf geht.
Nichts zu machen, der Zylinder bleibt geschlossen.
179
Der eiskalte Einbrecher
KAPITEL 17
Die neue Technik
Ich ziehe den Schlüssel heraus und
will ihn wegwerfen. Bevor er im Mistkübel landet,
sehe ich ihn mir noch einmal an. Wie der Teufel es
so will entdecke ich eine glänzende Stelle. Die abgeriebene Fläche ist in einer Fräsung. Es ist die Kerbe,
bei der ich Kern- und Gehäusestift vertauscht habe.
Der Stift reibt an dieser Stelle. Plötzlich fährt es wie
ein Blitz ein und ich erinnere mich an die Zeit als wir
uns mit den Tresorschlüssel abgequält haben. Die
selbe glänzende Stelle war auch an den Doppelbartschlüssel zu sehen, wenn diese nicht sperrten. Erst als
wir diese Stelle wegfeilten und den Abdruck glätteten, öffnete er das Schloss. Ich bin nun überzeugt,
dass zwischen den glänzenden Stellen und den nicht
sperrenden Schlüssel ein Zusammenhang besteht.
180
Der eiskalte Einbrecher
Diese neuerliche Erkenntnis lässt mich nicht los und
fesselt mich. Ich mache die Probe und trage mit einer sehr feinen Feile die glänzenden Fläche in der
Schlüsselkerbe ab. Gerade soviel, dass die Oberfläche der Fräsung wieder matt ist und führe den
Schlüssel erneut in den Schließkanal. Es tut sich
nichts, das Schloss bleibt geschlossen. Ich ziehe ihn
wieder raus und betrachte die Oberfläche der Kerben.
Es ist nichts zu erkennen. Keine aufgestauchten Stellen, nichts glänzt, er ist genauso wie er vor dem
Sperrversuch
war. Die Abdrücke müssen
demnach
von
den verzweifelten und kraftvollen Wackelversuchen herrühren. Um diese Gewissheit
zu erlangen, stecke ich ihn wieder bis zum Anschlag
in den Zylinder und wippe, drehe, bewege ihn auf
und ab und rüttle. Anschließend schaue gespannt auf
die Fräsungen. Es ist tatsächlich wieder eine Stelle
angerieben und glänzt! Es steht eindeutig fest: Ein
zu langer Stift wird nicht in den Stiftkanal geschoben. Er verkeilt sich und drückt sich am Schlüssel
ein. Dieser Abdruck ist sichtbar. Ich feile wieder die
sichtbare Stelle weg, natürlich sehr vorsichtig. Mehr
als ein zehntel Millimeter ist es nicht. Diesen Vorgang des Abfeilens, Probierens und Schauens wie181
Der eiskalte Einbrecher
derhole ich ungefähr 10 bis 12 mal. Beim 12 Versuch, vielleicht ist es auch der dreizehnte, dreht sich
der Schlüssel und öffnet. Ich bin fasziniert und mache weitere Tests. Dazu zerlege ich einen Zylinder
und nehme alle Stifte heraus bis auf zwei Paare. Ein
neuer Rohling wird von mir ins Schloss eingebracht
und ich vollführe wiederum die Wackel- uns Wippbewegungen. Wie erwartet sind auf zwei Stellen die
Oberfläche des Schlüssels angekratzt. Dort wird gefeilt. Diese Prozedur wird einige Dutzend Male wiederholt. Mir fällt auf, dass manchmal nur eine Reibstelle entsteht, dann wieder zwei. Einmal glänzt die
vordere Kerbe, ein anders Mal die hintere. Der Grund
liegt auf der Hand, je nachdem welcher Stift klemmt.
Wenn eben nur einer klemmt, entsteht nur bei diesem
ein Abdruck, der andere federt ins Gehäuse zurück.
Ich arbeite mit einer feinen dreieckigen Schlüsselfeile, einer Schlichtfeile. Da ich mich sehr für dieses
Verfahren interessiere, such ich gezielt nach weiteren
und tieferen Informationen. Ich erfahre, dass dieses
Öffnungsmethode Impressionstechnik heißt. Das
wirklich geniale daran ist, dass man praktisch aus
nichts einen passenden Schlüssel anfertigen kann,
ohne das Schloss zu zerlegen. Impression bedeutet
soviel wie Abdruck, also Abdruckverfahren. Auf
einer Homepage lese ich viel, aber nicht alles nach,
so bestelle ich mir das Buch in dem diese Technik
ausführlich und verständlich beschrieben wird. Ein
paar Tage später kommt es per Post und es ist eine
große Hilfe für unser Team. Marcus und Kelly weise
ich erst jetzt in das neue Verfahren ein. Ich wollte
182
Der eiskalte Einbrecher
sicher sein, dass es auch wirklich funktioniert, um
keine falschen Hoffnung zu erwecken. Die Frustration wäre bei einem neuerlichen Fehlschlag nicht mehr
zu verkraften. Wir würden vermutlich nicht darüber
hinwegkommen. Wir
gehen nach dieser
Buchanleitung
vor
und lernen in wenigen
Tagen eine unglaubliche Methode. Ohne
zu messen und ohne
das Schloss zu zerlegen, lässt sich mit der
Impressionstechnik
ein Schlüssel für praktisch jedes Schloss herstellen.
Reinstecken, wackeln, und feilen, das sind die
Grundzüge! Wir wundern uns, dass die Öffentlichkeit von dieser genialen Einbrechertechnik nichts
weiß. Die Leute sollen dumm gehalten werden, so ist
unsere Erklärung, darum erfahren sie nichts wichtiges. Wir müssen lachen über die Zeitungen und deren Inhalt, und über die Nachrichten im Radio. Diese
Medien sollen uns aufklären? Das einzige was im
Fernsehen zu sehen ist, ist eine Politikerfreakshow
mit immer den selben Gesichtern und Reden. Unser
Durchblick erheitert uns und es tut gut endlich richtige Hoffnung zu haben. Hoffnung auf eine menschenwürdiges Leben, ohne permanente Existenzangst. Wir bleiben ja nicht immer Mitte zwanzig und
benötigen irgendwann einmal auch einen Arzt, den
wir uns momentan nicht leisten können. An eine
183
Der eiskalte Einbrecher
Altersversorgung
oder Pension haben
wir überhaupt noch
nie gedacht, aber
nicht wegen unseres
noch jugendlichen
Alters, sondern wegen unserer sozialen
Misslage. So wie
wir drei leben wahrscheinlich Millionen
Menschen in tiefster
Armut und echter
Not ohne von Politik oder Bürgertum bemerkt zu
werden. Die Scham seine Not mit persönlichen Versagen zu begründen ist uns eingeimpft. Man ist überzeugt und glaubt selbst am allermeisten, dass man die
Schuld für seine Not sich selbst zuordnen muss. Das
ist völlig falsch, denn der Staat zerstört von frühester
Kindheit jede Initiative und Individualität. Ausbeutung und berechneter Menschenwert prägen das Leben der jungen Menschen. Natürlich haben wir diskutiert, ob es falsch ist was wir vorhaben. Ja es ist
falsch und strafbar, aus juristischer Sicht. Aus moralischer und menschlicher Anschauung ist es nicht
falsch. Wir schädigen keinen leibhaftigen Menschen
sondern nur Gesellschaften und Konzerne. Wir verstehen schon, dass es ein Verbrechen ist, aber nur für
die Menschen, welche die Gesetze machen. Streng
genommen bin ich ein Sklave, denn ich bin gezwungen einen gewissen Teil meines Lebens kostenlos für
184
Der eiskalte Einbrecher
andere zu arbeiten. Ich meine damit die Steuern und
Abgaben die verrichten muss, abgesehen von der Zeit
beim Militär. Per Gesetz gezwungen zu werden ist
gemein und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Ein Jahr musste ich ohne Bezahlung schwer arbeiten
für andere Menschen. Ich musste anderer Personen
Eigentum beschützen, musste die Gleise der Bahn
vom Schnee befreien. Aber billiger oder gratis fahren
durfte ich nicht. Besonders schlimm waren einige
Tage Hochwasser in
meiner
Soldatenzeit.
Meine
Kompanie
musste einen Einkaufspark vor den Wassermassen schützen und
Sandsäcke schleppen.
Wir schufteten wochenlang ohne freien
Tag bis zu 18 Stunden
täglich. Als Verpflegung gab es jeden Tag
Eintopf bis auf Sonntag, da wurde Dosenbrot ausgeteilt. Was
habe ich als Dank dafür bekommen, etwa einen Einkaufsgutschein oder ein Dankeschön? Nichts, absolut
nichts! Das Einkaufscenter hat sich durch meine
Sklavenarbeit Millionen erspart. Deswegen kann ich
an unserem Vorhaben nichts moralisch Verwerfliches oder Verbrecherisches erkennen. Mit großer
Energie
185
Der eiskalte Einbrecher
gehen wir es neuerlich an,
die
Impressionstechnik
vollständig zu verstehen
und zu erlernen. Wir üben
wie schon in der Zeit mit
den Tresorschlössern und
feilen wie die Verrückten.
Zuerst wird der Zylinder
mit einem Stiftpaar gefüllt, dann mit zwei, bis
schließlich alle Stifte eingebaut sind und wir einen
Schlüssel in weniger als
zehn Minuten anfertigen können. Mit dieser Fertigkeit trauen wir uns an den Supermarkt KS 2490 heran. Ich bin der erste, der die schwere Aufgabe übernehmen muss und die erste Impression abnehmen
darf. Marcus führt mich kurz nach neun Uhr abends
in die Nähe des Geschäftes. Von Kelly weiß ich welche Zylindermarke eingebaut ist und stecke je einen
Rohling von jedem Eingang ein. Unauffällig gehe ich
zum Hintereingang und beobachte die Umgebung aus
den Augenwinkel. Blitzschnell ziehe ich den selbstgefeilten Rohling aus der Tasche und stecke in bis
zum Anschlag ins Schloss. Mit geübter Hand vollziehe ich die notwendigen Rüttel- und Wippbewegungen um die notwendigen Spuren auf dem Schlüsselrohling zu hinterlassen. Danach begebe ich mich
zum Haupteingang und mache das selbe. Ein mulmiges Gefühl ist mein Begleiter. Was ist, wenn mich
wer sieht? Wie soll ich das erklären. Marcus holt
186
Der eiskalte Einbrecher
mich auf halben Weg ab, obwohl ich das nicht für
gut heiße. Es könnte uns irgendeine neugierige Nase beobachten und erst durch das Auto
misstrauisch werden. Spazieren
geht bald wer, aber der steigt
sicher nicht in einen Kastenwagen ein. Wir machen uns aus,
dass wir das nicht mehr tun. Der
Wagen muss außer Sichtweite
des Geschäftes bleiben. Wir
fahren dreimal um die Ecke, das
halten wir es nicht mehr aus
und müssen die Schlüssel anschauen. Ein Blick und wir fallen uns um den Hals vor Freude. Es hat geklappt, es sind
eindeutig drei glänzende Stellen zu sehen. Obwohl
wir das erwartet
haben, ist es doch
ein großer Moment
unsere
Hoffnung
bestätigt zu wissen.
Ich feile vorsichtig
die Reibstellen weg
und fertige zur Sicherheit zusätzliche
zwei solche Schlüssel an. Ein paar
gebe ich meinem Freund. Morgen ist er an der Reihe
mit dem Maß nehmen. Wir haben beschlossen uns
187
Der eiskalte Einbrecher
diese Aufgabe zu teilen, um möglichst wenig Aufsehen zu machen. Er macht die gleiche Runde wie ich
am Vortag, muss aber weiter gehen, weil ich ihn
nicht abhole. Wieder sind einige Abdrücke zu erkennen, die sofort in
meiner Wohnung
bearbeitet werden.
Kelly macht sich
am dritten Tag auf
den Weg. Ich parke
einige hundert Meter in der selben
Strasse um sie beobachten zu können.
Es ist dunkel und
ein Mädchen kann
gefährdet sein in dieser einsamen Gegend. Im Notfall
könnte ich ihr zur Hilfe eilen. Genau in dem Moment
als sie zur Hintertür in den Hof des Gebäudes einbiegen will, biegt ein Polizeiwagen um die Ecke. Das
Auto verlangsamt die Fahrtgeschwindigkeit, offensichtlich haben sie das Mädchen gesehen. Es gibt
mir einen Stich, denn zum Warnen ist es zu spät. Bis
ich sie am Mobiltelefon erreiche sind ist das Auto
längst schon bei ihr. Ich sehe wie Kelly einbiegt und
dann wie ihr die Polizei folgt. Ich bin geschockt und
habe keine Vorstellung, was ich tun soll. Diesen Fall
haben wir dummerweise nie besprochen und auch
keinen Notplan. Ich kann nichts anderes tun als zu
188
Der eiskalte Einbrecher
warten, alles andere wäre noch verdächtiger. Die
Sekunden dauern Minuten und die Minuten werden
zu Stunden. Jetzt ist
alles aus, Kelly wurde
garantiert
verhaftet.
Wir sind geliefert und
kommen garantiert ins
Gefängnis. Das sind
meine Gedanken in der
schier
unendlichen
Wartezeit. Der Angstschweiß fließt in Strömen und es fehlt nicht
viel, um mich durchdrehen zu lassen. Ich
bin fest entschlossen alles zu riskieren und Kelly aus
den Fängen der Staatsgewalt zu befreien, notfalls mit
Gewalt. Ich starte mein Auto und rolle langsam die
Strasse entlang bis
ich bei der Einfahrt
zum Supermarktparkplatz angelangt
bin. Ich nehme mir
vor
einzubiegen,
und mit großer Geschwindigkeit auf
die Polizei zuzufahren. In diesem Moment kommt das
Polizeiauto aus der Einfahrt. Ich mustere die Insassen
um festzustellen, ob meine Freundin mitgenommen
189
Der eiskalte Einbrecher
wurde. Nein, das wurde sie nicht, also fahre ich im
selben Tempo weiter und schaue nicht mehr hin. Die
Polizisten verschwinden aus dem Blickfeld des
Rückspiegel und nach einer großen Runde steht Kelly bei der Parklücke und wartet. Ich freue mich wie
ein Nackerter als ich sie sehe. Sie springt ins Auto
und ich gebe ihr vor lauter Glück einen dicken Kuss.
„Was war los mit der Polizei, ich habe mich vor lauter Angst fast angemacht.“ Sie lächelt nur und antwortet mir. „Keine Sorge, es ist nichts passiert. Gerade als ich den Schlüssel probieren wollte, nahm ich
das Auto wahr und habe noch vermeiden können,
dass die was mitkriegen. Der eine Polizist hat mich
gefragt ob ich Hilfe brauche, weil ich da allein unterwegs bin. Ich antwortete ihm, dass es sehr nett ist
auf mich aufzupassen. Ich log ihn an und erzählte
ihm morgen sei mein erster Arbeitstag hier und, um
nicht zu spät zu kommen, gehe ich den Weg noch mal
ab. Das wäre peinlich am ersten Tag das Geschäft
nicht zu finden. Die zwei amüsierten sich über meine
Einfältigkeit und boten mir an mich nach Hause zu
führen, wenn die Gefahr bestünde mich zu verirren.
Ich machte einen leicht dümmlichen Gesichtsausdruck und meinte, dass dies schon zu bewerkstelligen
sei und dass ich für das Hilfsangebot dankbar bin.
Dann kicherten sie und fuhren.“ Mir fällt ein Stein
vom Herzen über den guten Ausgang. Meine Freundin hat die besten Nerven der Welt. Sie hat trotz
Konfrontation mit der Staatsgewalt noch ihre Arbeit
verrichtet und weitere Abdrücke gemacht. Bei den
folgenden Runden lassen wir das Mobiltelefon auf-
190
Der eiskalte Einbrecher
gedreht um uns vor Polizei oder Wachdienst warnen
zu können. Es war unvorsichtig nicht permanent in
Verbindung zu bleiben, aber wir haben dazugelernt.
Der Schreck sitzt tief in den Gliedern. So eine
Schrecksekunde will keiner von uns jemals wiedererleben. Die Rotation behalten wir bei. Ich bin das
vierte Mal an der Reihe den Schlüssel zu impressieren. Dazu kommt es nicht mehr, denn ein kräftiges
Ruck und das Schloss ist offen. Der Schlüssel sperrt!
Wahnsinn! Normalerweise müsste man in so einen
Moment
aufjubeln. Auf diese
Freudensausbrüche verzichte ich
und spreche nur
in die Freisprechanlage meines
Telefons: „Offen, wir sind drinnen!“ Dann gehe ich
im selben gemächlichen Tempo zurück zu Marcus
Wagen. Ich muss mich disziplinieren, um nicht zu
laufen. Das würde ungewollte Aufmerksamkeit erregen. „Wir haben es geschafft, Marcus,“ sage ich,
„alle Türen sind offen. Schau was ich der Hand habe. Das ist der Schlüssel für den Hintereingang, Ha
Ha! Und zu Hause liegt der für den Tresi. Wir brauchen nur mehr einen Termin und das war es! Fertig
Aus Schluss Basta!“ „Ich kann es gar nicht glauben,“ antwortet er mir, „los wir müssen Kelly informieren, sie wartet sich schon. Eine kleine Feier muss
191
Der eiskalte Einbrecher
auch sein, die haben wir uns verdient.“ Wir stoßen
mit Pfefferminztee an. Alkohol mag keiner von uns
und es wäre töricht nur wegen eines Klischees sich
selbst zu belügen und Sekt
zu trinken. Nach dem ersten
Schluck
kommt
meine
Freundin gleich zur Sache:
„Wann? Freitag wäre gut,
oder habt ihr einen besseren
Tag. Wir wollten letztens
auch freitags reinmarschieren, als wir die Kleinigkeit
mit der Eingangstüre vergessen hatten. Wir stimmen ab“
Mein Kollege und ich sehen uns an und meinen
gleichzeitig: „Freitag!“
192
Der eiskalte Einbrecher
KAPITEL 18
Einbruch - Abbruch
Es sind noch einige Tage bis zum
Tag X und die verbringen wir mit Arbeit und viel
Schlaf. Wir wollen topfit sein. Ich gehe Donnerstag
ins
Hallenbad
duschen. Freitag
nach der Arbeit
treffen wir uns,
um endlich zuzuschlagen. Es kann
nichts mehr schief
gehen. Es soll
genauso ablaufen,
wie wir es bei unseren Fehlversuch geplant haben.
Kelly und ich sollen den Panzerschrank ausräumen
und Marcus wartet im Auto mit eingeschaltetem
Mobiltelefon. Wir gehen die Strasse hinunter zum
Geschäft und bewegen uns auf den Hintereingang zu.
Ich öffne die Türe und wir betreten den Markt. Es ist
ein aufregendes Gefühl sich illegal hier aufzuhalten.
Es brennt nur ein Notlicht und die Regale wirken
gespenstisch auf uns. Es ist für uns beide die erste
richtige Straftat. Mit trockenem Mund und auf Ze193
Der eiskalte Einbrecher
henspitzen schleichen wir zum Büro. Wir passen
höllisch auf nirgendwo anzustreifen oder etwas umzustoßen. Die Gefahr ist beim Schummerlicht durchaus gegeben. Meine Hand zittert als ich den Doppelbartschlüssel der Tasche ziehe und in den Tresor stecke. Eine Bewegung, ja der er dreht sich vollständig.
Das Schloss öffnet sich und ich kann mit der anderen
Hand am Griff ziehen. Unsere Herzen schlagen wie
verrückt, wir haben ein Heidenangst. Kelly steht
schräg hinter mir
und starrt wie gebannt über meine
Schulter. Die Anspannung ist gewaltig und schon will
ich
die
Stahlschranktüre
mit
einem Ruck zur
Gänze öffnen, da
überlege ich es mir plötzlich und schließe ihn. Kelly
haucht mir wütend ins Ohr: „Bist du verrückt, was
tust du? Schnapp das Geld und Abmarsch. Sag mal
hast du sie noch alle?“ Ich schließe den Panzerschrank ab stecke den Schlüssel ein und flüstere zu
meiner wütenden Begleiterin. „Gehen wir, ich erkläre es dir später.“ Widerwillig tut sie was ich sage
und ich kann trotz des schlechten Lichts erkennen,
dass ihr Kopf hochrot gefärbt ist und sie als ganzer
kurz vorm explodieren ist. „Schnell raus hier“ sage
ich und öffne die Türe nachdem ich vor durch einen
kleinen Spalt geguckt habe, ob die Luft rein ist. Sorg194
Der eiskalte Einbrecher
fältig wird die Türe abgesperrt und wir gehen zügig
zurück zum Wagen. Meine Freundin reißt die Autotüre auf und schreit Marcus nieder:
„Wir haben es mit einem Idioten zu tun. Alle Türen waren
offen, der Tresor auch und
dieser Moralist bekam Angst
und hat das Geld nicht genommen. Nur dumm gegafft
hat er, mit offenen Mund. Ich
kann es nicht glauben. Er ist
unverrichteter Dinge abgehauen.“ Dann dreht sie sich
schwungvoll um und funkelt
mich böse an: „So, jetzt raus
mit der Sprache auf das bin
ich gespannt was du zu sagen
hast.“ Ich räuspere mich und sage: „Bitte hört mir
zu, ich habe meine Gründe für mein Handeln. Fahren wir weg von hier, am Besten nach Hause, ich
erkläre euch dann
Alles. Ihr werdet
mich
verstehen,wenn ihr mehr
wisst. Bis dahin
lasst mich in Ruhe
und verurteilt mich
nicht.“ Marcus sagt
kein Wort, er kann
sich vorstellen, dass
es wichtig sein muss. Er fährt schnurstracks zu mir.
195
Der eiskalte Einbrecher
Obwohl die Fahrt kaum zwanzig Minuten dauert ist
eine äußerst unangenehme Stimmung im Auto. Die
Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Es ist
zum vergleichen mit
einer nicht enden wollenden Aufzugsfahrt in
einer überfüllten Kabine. Die zwei kennen
mein Motiv nicht, sie
haben
keinerlei
Vorstellung über meine
Gründe. Ich habe ihnen bis jetzt auch noch keinen
Anhaltspunkt gegeben. Kaum sind wir in meiner
Wohnung angelangt bestehen beide auf eine Rechtfertigung meinerseits. Marcus ergreift das Wort. Seine Stimme ist eisig und seine Gesichtszüge wie gemeißelt. Er spricht sehr leise, aber mit einer extrem
deutlichen Betonung. Keine
Silbe wird verschluckt: „Wir
haben einige Monate im
Team gearbeitet und unser
gesamte Energie auf den
heutigen Tag konzentriert.
Wir alle brauchen hier jeden
müden Euro, sonst hätten
wir gar nicht diesen Coup
geplant. Deine Begründung
für dein asoziales Verhalten
muss gut sein, verdammt gut
sein. Wenn ich jetzt eine billige Ausrede höre, lasse
196
Der eiskalte Einbrecher
ich dich hochgehen. Bei aller Freundschaft, deine
Anständigkeit ist kriminell. Und ich habe keine Lust,
keine Zeit und kein Geld deine schwachsinnigen
Launen mit meiner Existenz zu bezahlen. Wenn ich
mit deiner Antwort nicht zufrieden bin, dann hast mich zum
Feind und damit ein Problem.
Ich habe nichts, absolut nichts
zu verlieren.“ Er spricht in
einer Tonlage und einer Entschlossenheit, die man selten
hört. Und wenn doch, dann vergisst man dieses Gespräch nie
mehr in seinem Leben. Ich fühle
Angst, Angst vor ihm. Er ist
durchaus in der Lage mir etwas
anzutun. Aus seiner Sicht befindet er sich im Recht,
er fühlt sich hintergangen und. betrogen Wir stehen
uns einen halben Meter gegenüber, ich lege beide
Arme auf seine Schultern und hole tief Luft: „Marcus“ sage ich „und Kelly natürlich, hört mir bitte zu.
Wir hätten heute 20000 oder mit viel Glück 30000
Euro erbeuten können. Was ist das schon? Für jeden
von uns wäre das 10000 gewesen. Das hätte nicht
mal ausgereicht um unsere Schulden und dringendste
Bedürfnisse abzudecken. Dann wären wir wieder
pleite. Morgen oder spätestens Montag wird der
Diebstahl entdeckt und was glaubt ihr was dann los
ist. Die kommen garantiert dahinter, wie wir das
gemacht haben und beauftragen ein richtig gutes
Sicherheitsunternehmen mit einer Risikoanalyse. Die
197
Der eiskalte Einbrecher
schlagen dann vor die Sicherheitsvorkehrungen zu
ändern und zu verschärfen. Infrarot Kameraüberwachung, Zeitschlösser, Alarmüberwachung, Wachdienst, das ganze Programm. Die lassen sich doch
nicht bestehlen. Die wissen, wir schlagen wieder zu
und binnen einer Woche sind die größten Märkte neu
abgesichert. Wir können also diesen Diebstahl nur
einmal durchführen, dann ist Schluss. Für so einen
Pappenstiel haben wir uns zu viel abgeplagt. Als ich
den Panzerschrank aufgesperrt hatte ist mir zu Bewusstsein gekommen, dass die gesamte Aktion maximal zwei Minuten dauert. Was haltet Ihr davon,
wenn wir so richtig, ich meine richtig fett absahnen.
Wenn Ihr nicht wollt, dann fahre ich zurück und hole
alleine Losung.“ Die zwei sehen mich an und wissen nicht was ich meine. Ohne auf eine dummen
Rhetorikfrage zu warten rede ich weiter: „Ok, Ihr
versteht mich nicht. Ich erkläre es euch langsam,
damit auch Amateure wie Ihr es seid versteht. Seid
Ihr dabei, wenn wir nicht nur einen Laden ausräumen, sondern vielleicht zehn oder mehr in einer
Nacht. Überlegt doch mal, wenn wir noch einen Monat investieren, dann schaffen wir es doch sicherlich
auch von anderen Filialen die Schlüssel zu kopieren.
Mit unseren Fähigkeiten und Fertigkeiten ist das
möglich. Die Eingangsschlüssel holen wir uns mit
der Impressionstechnik und die Tresorschlüssel
durch Beobachtung.“ Kelly lächelt endlich wieder
und fängt anschließend zu weinen an: „Phil es tut
mir leid, dass ich so böse war zu dir. Ich dachte du
bist durchgedreht und traust dich nicht, oder bist
198
Der eiskalte Einbrecher
sonst nicht ganz dicht. Dabei hätte mir klar sein sollen, dass du weiter denkst.“ „Ist schon gut, das
macht nichts wie du warst. Es ist auch meine Schuld,
ich hätte ja was sagen können.“ Marcus Miene hat
sich auch gelöst. Er wirkt
wieder wesentlich entspannter. „Zehn Firmen
sind zehn Tageslosungen
sind 200 000 Euronen!
Ich bin dabei, Tut mir
leid, wenn ich dir gedroht
habe, aber ich habe plötzlich so Angst gehabt, dass
ich auf der Strasse lande.
Ich vertraue dir selbstverständlich, das war nur
eine Kurzschlussreaktion.“ Ich bin erleichtert
über das Einverständnis
und komme gleich zur
Sache: „Wann fangen wir an?“ Mein Freundin
meint: „Morgen oder besser noch, nächste Woche.
Für heute war das genug Aufregung. Ich bin erledigt,
der Nervenstress hat mich zehn Jahre meines Lebens
gekostet. Ich gehe ins Bett, und schlafe bis Montag.“
Wir sind alle einer Meinung. Wir brauchen zwei, drei
Tage Erholung. Es war zuviel. Die ganze Woche
waren wir auf Hochtouren wegen des heutigen Vorhabens und dann dieser Wechsel der Taktik, mitten
im Gefecht. Wir sind ausgebrannt und beschließen
auf Montag zu vertagen.
199
Der eiskalte Einbrecher
KAPITEL 19
Neuer Plan
Montag nach der Arbeit ist das
nächste Treffen geplant, jedoch ohne Kelly, sie hat
Nachtdienst. Marcus und ich gehen zu einer Eröffnung eines Museums. Wir wissen nicht einmal was
ausgestellt
wird, wir
kommen
lediglich
wegen
des kostenlosen
Essens.
Bekannte Gesichte wohin man schaut. Wir verdrücken uns mit überladenen Pappendeckelteller in eine
Ecke und besprechen die neue Sachlage. Nach kurzer
Zeit steht unser neuer Plan fest und, obwohl meine
Freundin nicht dabei ist sehen wir ihn als ideal und
durchführbar an. Kelly ist garantiert einverstanden.
Wir nehmen an, dass man für einen Supermarktresor
ausräumen fünf Minuten benötigt, wenn man alle
Schlüssel hat. Dazukommen in etwa fünf Minuten
200
Der eiskalte Einbrecher
Wegzeit für den Fußmarsch vom und zum Auto. Die
Fahrzeit beträgt wiederum zehn Minuten. Die ganze
Stadt ist übersäht mit Supermärkten. Länger muss
man nie fahren. Das sind zwanzig Minuten für einen
vollständigen Ablauf. Somit können wir drei in einer
Stunde schaffen sind dreißig pro Nacht. Durch unseren Beruf kennen wir die ganze Stadt. Wir kennen
jede Strasse und
jeden Schleichweg.
Das hilft uns bei
der Planung der
Route. Trotz unserer Vorkenntnisse
dauert es fast zwei
Wochen eine ideale
Strecke zu finden.
Wir überlegen hin
und her, denken an
mögliche Rotphasen oder sonstige
Hindernisse. Es sollen nur Geschäfte bestohlen werden mit guter Losung und keine Minimärkte knapp
vor dem Konkurs. Dann ist die Wegführung fertig.
Die Knochenarbeit steht uns noch bevor, wir müssen
von jedem Laden den Schlüssel für den Eingang herstellen und den Tresorschlüssel. Der ist wesentlich
schwieriger zum Nachfeilen. Wir diskutieren aus, auf
welche Weise wir zu den Zylinderschlüssel kommen
wollen. Am geeignetsten erscheint uns die Impressionstechnik, weil wir sie ohne die unfreiwillige Mithilfe der Angestellten ausführen können. Das opti201
Der eiskalte Einbrecher
sche kopieren heben wir uns für die Tresorschlüssel
auf. Das Provozieren eines Kassavorfalles ist unangenehm und risikobehaftet genug. Schließlich wollen
wir dreißig verschiedene Schlüssel abschauen. Marcus hat einen Einfall, der uns viel harte Arbeit erspart. Er meint: „Pass auf was ich mir gedacht habe.
Eine Supermarktkette hat doch manchmal hunderte
oder tausend Filialen. Ein führender Manager hat
sicherlich immer Zutritt zu jeder einzelnen. Ich bezweifle, dass der tausend Schlüssel auf seinem Bund
hat. Ich sage dir, die haben ein Schliesssystem oder
Schließanlage mit Gruppen-, Haupt-, und Generalschlüssel. Wir benötigen theoretisch nur den Generalschlüssel und kommen in jede Filiale.“ Ich denke
eine Weile nach und pflichte ihm bei: „Stimmt! Das
ist ein Haupttreffer! Das ist nicht schwierig einen
Hauptschlüssel ausfindig zu machen. Ich habe mich
so viel mit dem Zeug beschäftigt, ich weiß wie man
den findet. Entweder man hat ein Schloss oder zwei
oder noch besser drei Schlüssel. Dann gibt es keine
Fehler mehr, zumindest ist die Gefahr äußerst gering. Schloss haben wir keines zur Verfügung. Wir
könnten eines ausbauen aber das Risiko erwischt zu
werden ist zu groß. Ich schlage vor wir besorgen uns
drei Schlüssel mit Hilfe der Impressionstechnik und
aus den leiten wir die Schließung der Anlage ab.“
Marcus widerspricht mir: „Auf unserer Tour sind
drei verschiedene Ketten. Meinst du, wir sollten uns
die Arbeit antun, oder sollen wir umdisponieren und
nur eine Firma ausnehmen?“ „Ich finde wir sollten
fleißig sein und mischen. Erstens ist es schwerer für
202
Der eiskalte Einbrecher
die Polizei und, wenn es schief geht mit einem Universalschlüssel, dann bleiben uns immer noch die
anderen Ketten. Man weiß nie bei solchen Konzernen. Die tauschen dann über Nacht die Schlösser
aus, weil die was spitzkriegen und wir schauen durch
die Finger.“ Wir fangen an Abdrücke zu machen.
Die Filialen werden zufällig ausgewählt. Der einzige
Nachteil ist, dass wir jeden Tag 9 Schlüssel probieren
müssen. Pro Firma drei verschiedene Geschäfte. Dieses Programm ist abendfüllend. Jeden Tag geht ein
anderer von uns dreien die Runde um nicht aufzufallen. An den Tagen an denen Kelly Nachtdienst hat,
übernimmt
einer
von uns Männern
ihre Arbeit. Wir
werden dreister und
mutiger. Das Hineinstecken
des
Schlüssels mit den
nötigen Bewegungen um die Eindrücke und glänzenden
Stellen zu erzeugen geht mittlerweile mit solch einer
Geschwindigkeit, dass wir nicht lange vor der Türe
verweilen müssen. Wir sind so routiniert, dass dieser
Vorgang wortwörtlich im Vorbeigehen abläuft. Einmal kommen mir Passanten entgegen. Das Pärchen
hat es nicht gemerkt, dass ich blitzschnell einen
Schlüssel ins Schloss gesteckt habe und auch wieder
abgezogen. Sicherlich kann es an der Dunkelheit
liegen, und, dass sie doch 10 Meter entfernt waren,
203
Der eiskalte Einbrecher
aber hauptsächlich an mir und meiner Professionalität. Nach dem Abdrucknehmen müssen die Schlüssel
noch gefeilt werden.
Meistens mach ich
das am nächsten
Tag, wenn ich arbeiten sollte. Marcus
erledigt unterdessen
einige meiner Kundenlieferungen. Ein
gutes Abkommen,
denn es hat sich gezeigt, dass ich mit Feile der Geeignetste bin. Kelly ist zwar minimal besser, aber sie
ist für unsere Runde zu langsam. Es gibt keinerlei
unangenehme Zwischenfälle. Vierzehn Tage machen
wir, dann haben wir neun Schlüssel. Drei von jeder
Firmengruppe. Ein Hauptschlüsselsystem ist so aufgebaut, dass je nach Position im Unternehmen die
Zugangsberechtigung erteilt wird. Der Generaldirektor hat einen Schlüssel der jede Türe in der Firma
öffnet. Vom Eingangstor bis zum Kunden-WC. Ein
Abteilungsleiter darf alle Schlösser in seiner Abteilung öffnen, jedoch nicht in einer anderen Etage.
Herr X, ein einfacher Angestellter kann nur sein Büro aufsperren. Aus diesen Anforderungen heraus ergibt sich ein komplexes System. Eine grundlegende
Eigenschaft muss bei jeder Schließanlage zu finden
sein. Der Generalschlüssel muss so gefräst sein, dass
er aus keinem Unter- oder Gruppenschlüssel herstellbar ist. Das bedeutet, er muss die höchsten Einschnitte, oder Zacken haben. Wäre das nicht der Fall, so
204
Der eiskalte Einbrecher
könnte man aus einem Lagerraumschlüssel durch
abfeilen einen General machen. Das liegt nicht im
Sinne der Sicherheit. Ich lege jeweils die drei Schlüssel, die wir uns in den letzten zwei Wochen mühsam
besorgt haben sorgfältig auf. Der Logarithmus ist
sofort zu erkennen. Ich brauche nur darauf zu achten,
auf welchen Schlüssel die höchsten Einfräsungen.
Nach diesen lässt sich der Hauptschlüssel leicht ableiten. So bin ich der Lage an einem Abend alle drei
Generalschlüssel anzufertigen. Beim Test an einer
der nächsten Tage stellt sich heraus, dass zwei anstandslos sperren, einer jedoch nicht. Ich studiere
nochmals die Vorlagen, und komme zu dem Schluss,
dass diese Schließanlage besser kodiert ist. Wir benötigen einen vierten Schlüssel, dann muss es klappen.
Um die Sache zu beschleunigen, wollen wir in einer
einzigen Nacht das fehlende Stück besorgen. Wir
205
Der eiskalte Einbrecher
suchen einen gut platzierten Laden aus und parken
etwa 500 Meter entfernt. Wir wollen im halben Stunden Rhythmus die Impressionen abnehmen. Alle
dreißig Minuten ein anderer von uns, und im gleich
im Auto abfeilen. Nach jedem Durchgang fahren wir
eine Runde und parken an einer anderen Stelle. Diese
Vorgangsweise erscheint als unauffällig. Während
ich das dritte Mal an der Reihe bin kommt die Polizei. Ob sie mich gesehen haben, als ich beim Schlüsselloch herumwerkelte weiß ich nicht. Ich verfluche
unsere Selbstsicherheit und Arroganz. Hoffentlich
wird uns unsere Überheblichkeit nicht zum Verhängnis. Wahrscheinlich hat uns ein wachsamer Bürger
beobachtet und die Funkstreife alarmiert. Der Wagen
stoppt und zwei Polizisten steigen aus und kommen
auf mich zu. Mir stockt der Atem, muss mich aber
zu einer sofortigen
Handlung entscheiden. Einer der Polizisten fragt forsch:
„Was machen sie
hier bei diesem Geschäft? Haben sie
einen
Ausweis?“
Von meiner Antwort hängt alles ab.
Ich muss in einem Bruchteil einer Sekunde mir eine
richtige Ausrede einfallen lassen. Dies ist unmöglich,
deshalb sage ich nichts. Der Ordnungshüter wiederholt seine Frage mit noch festerer Stimme und ich
weiß immer noch nicht was ich ihm antworten soll.
206
Der eiskalte Einbrecher
Besser ich sage irgendwas als gar nichts denke ich
und sehe zu meinem Glück in den Augenwinkel eine
Bierwerbung auf dem Schaufenster des Supermarktes. Das ist der rettende Einfall. Ich spiele einen Besoffenen und lalle den Inspektor an: „Ich wollte Pipi
machen, das ist doch die Toilette oder singen wir
noch eine Strophe?“ Der Polizist rügt mich: „Es ist
verboten in der Öffentlichkeit seine Notdurft zu verrichten, geben sie mir Ihren Ausweis.“ „Herr Pilot,“
lalle ich fürchterlich, fast unverständlich. „Ich habe
keinen Ausweis, und keinen Sitzplatz, ich habe nur
Durst!“ Ich muss meinen Zustand der Trunkenheit
glaubwürdig unterstreichen. Ich denke an verstopfte
öffentliche Toiletten mit schwimmenden Fäkalien
und stelle mir den
Gestank bildhaft
vor.Um
etwas
Zeit zu gewinnen
wanke ich hin und
her. Da mir noch
nicht übel genug
ist vertiefe ich
meine Imagination und mache in
Gedanken einen
kräftigen Schluck
aus der Kloschlüssel der verdreckten Strassen - Toilette. Das reicht, der Brechreiz stellt sich ein und ich
fange zu kotzen. Ich schaue den Polizisten an, wanke
etwas und mein Mageninhalt schießt aus meinem
Mund. Um den Ekel der Staatlichen noch zu verstär207
Der eiskalte Einbrecher
ken, halte ich blitzschnell meine Hand vor meinen
Mund. Die ganze Mischung aus Lös- und Automatenkaffe gemischt mit Spagettiresten wird durch meine Finger gepresst und tropft zu Boden. Ich sage dazu belustigt: „Entschuldigt bitte, ich wollte singen!“
Die Polizisten weichen zurück und geben mir ein
Papiertaschentuch. Sie geben immer noch nicht auf
und einer meint: „Wenn Sie keinen Ausweis haben,
dann müssen wir Sie zur Feststellung Ihrer Personalien auf das Revier mitnehmen.“ Er geht zum Polizeiwagen und öffnet die hintere Türe. Jetzt wird es
brenzlig denke ich und setze alles auf eine Karte. Ich
mache einen Schritt vorwärts und halte wieder an.
„Jö fein, wir machen
einen Ausflug. Einen
Moment noch,„sage ich
und pisse mir in die Hose. Ich stemme dabei die
Hände in die Hüfte und
lächle. Der warme Urin
läuft mir die Schenkel
hinunter und färbt meine
Hose in Sekunden dunkel. Aus einem Hosenbein rinnt ein dünnes
Bächlein. Gut, dass ich
soviel getrunken habe,
denke ich und freue mich
über meine Sauerei. Die
Polizisten sehen mich
und meine triefend nasse Hose und schlagen die Au-
208
Der eiskalte Einbrecher
totüre zu. Einer meint angewidert. „Den können wir
nicht mitnehmen, der verstinkt uns die ganz
Wachstube und ich muss dann noch das Dienstfahrzeug reinigen. Den lassen wir da stehen.“ Sie steigen ein und fahren. Ich habe mein Ziel erreicht und
watschle mit der nassen Hose zu Marcus und Kelly,
die mich schon sehnsüchtig erwarten. „Was ist los,
wie siehst du denn aus?“ Der Spott geht sofort los.
Nach kurzer Aufklärung fahren wir in meine Wohnung. Ich sitze auf der Ladefläche und friere. Nach
einer Eisdusche geht es mit frischer Kleidung wieder
zurück. Es kann für den vierten Schlüssel nicht mehr
viel fehlen, darum wollen wir noch in dieser Nacht
fertig werden. Wir schaffen es und ich kann nächsten
Abend den fehlenden Generalschlüssel anfertigen.
Wir sind alle erleichtert über den glimpflichen Ausgang. Aber noch sind wir nicht am Ziel. Es fehlen
noch die Tresorschlüssel. Das bedeutet, es steht uns
eine Tortour bevor. Nicht jeder hat den gesuchten
Tresoröffner auf ihren Bund. Abwechselnd und mit
verschiedenen Tricks bringen wir die Kassiererinnen
und Filialleiter zur Offenlegung der Schlüssel. Einige
Exemplare sind seltsam gefräst. Es ist für uns unmöglich diese mit einem Blick zu merken. So haben
wir bei einem Schlüssel Probleme, die genaue Abmessung zu erfassen und zu merken. Immerhin handelt es sich Distanzen von maximal einen zehntel
Millimeter, manchmal noch viel weniger. Kelly hat
die rettende Idee. Sie will die Schlüssel fotografieren
und zwar nicht mental sondern wirklich. Wir besorgen uns einen Fotoapparat, zuerst einen veralteten
209
Der eiskalte Einbrecher
mit Film zum Entwickeln. Das klappt überhaupt
nicht. Das Gerät ist zu unhandlich und auf den Fotos
ist zu nichts zu erkennen, weil wir versteckt
fotografieren
müssen.
Die nächste Stufe ist
eine
Digitalkamera.
Trotz der hochauflösenden Ausdrucke, die wir
in der Zentrale unserer
Firma machen dürfen ist
genauso wenig zu sehen,
weil das Problem des
geheimen Fotografierens
nicht verschwunden ist. Wir lichten im Prinzip nur
die Jackeninnentasche ab oder die eigene Hand. Kelly löst das Problem mit einer genialen technischen
Errungenschaft. Sie bestellt sich ein Mobiltelefon mit
integrierter Digitalkamera bei einem Versandhandelsunternehmen auf Raten. Es lassen sich auf diese
Weise gute Fotos machen, ohne dass es jemand
merkt. Einer von uns verursacht den Kassavorfall
und meine Freundin steht ein bis zwei Kunden dahinter und tut so als ob sie telefoniert. In Wirklichkeit
macht sie Fotos vom Schlüsselbund. Das ist die eine
Variante. Die andere ist, dass sie einen Trampel
spielt der pausenlos ins Handy quatscht und an der
Kassa hat sie dann kein Geld. Wenn die Filialleiterin
ihre Eingabe in die elektronische Kassa austragen
muss nutzt sie diesen Moment aus und knipst ohne
das Telefon vom Ohr zu nehmen. Das klappt gut und
210
Der eiskalte Einbrecher
wir erreichen auf diese Weise Bilder von schwierigen
Doppelbartschlüssel.
Mit hochqualitativen
Fotoausdrucken
lassen sie sich dann
wesentlich leichter
nachfeilen. Die Tiefen der Einschnitte
auf dem Bart kann
man einfach abmessen und den Dimensionen anpassen.
Es gibt zu unserem Bedauern einige Filialen deren
Tresorschlüssel wir nicht zu Gesicht bekommen, egal
welchen Tanz wir aufführen. Die Geschäftsführerinnen sind zu vorsichtig oder haben andere Gründe ihn
nicht herumzutragen. Wir haben die
Wahl
zwischen
zwei
Unglücken.
Entweder wir lassen
diese Geschäfte aus
und suchen uns
andere, oder wir
versuchen es mit
Hilfe der Impressionstechnik. Beide.
Varianten sind schlecht Es sind gerade die Läden,
welche die fetteste Losung versprechen und ideal
liegen. Darauf zu verzichten würde uns schwer treffen. Dem steht gegenüber, dass wenn wir die Schlüs211
Der eiskalte Einbrecher
sel wollen, in den sauren Apfel beißen zu haben und
vorher in den Markt gehen müssen. Wir wollen dies
probieren ob dies gefahrlos möglich ist und dann
entscheiden. Wir fahren nachts zu einen dieser Sorgenkinder. Kelly wartet diesmal im Auto während
sich Marcus und ich
in die Höhle des
Löwen
begeben.
Wie haben Werkzeug und eine kleine Taschenlampe
mit starken LED
Dioden in der Tasche. Es ist wieder
das selbe beklemmende Gefühl, das
ich schon einmal hatte, welches von mir Besitz ergreift. Wir schleichen durch die düsteren Gänge des
Marktes bis wir beim Büro angelangt sind. Marcus
geht wie auf weichen Eiern und ich als hätte ich die
Hose gestrichen voll. Ich führe den ersten Schlüssel
in den Tresor ein und fange mit den
Abdruckbewegungen an, plötzlich hören wir ein
Geräusch. Es klingt wie ein klapperndes Blech.
Erschrocken flüstert mir Marcus ins Ohr: „Bitte lass
uns gehen, ich sterbe vor Angst. Ich kann dir jetzt
nicht eine Stunde zuschauen beim Feilen, das haltet
kein Mensch aus. Das dauert viel zu lange, die
erwischen uns. Los komm schon, weg hier!“ Ich
packe sofort alles zusammen stehe auf und sage:
„Bin schon weg, ich habe noch mehr Angst als du.
Das ist Schwachsinn was wir hier versuchen.
212
Der eiskalte Einbrecher
was wir hier versuchen. Abmarsch im Laufschritt!“
Auf der Strasse
fallen wir uns in
die Arme vor Erleichterung.
So
viel Muffensausen hatte wir noch
nie in unserem
Leben. Wir erzählen Kelly von
unserem Erlebnis und wir beschließen es zu vergessen die Schlüssel an Ort und Stelle anzufertigen. Als
Konsequenz unserer Entscheidung müssen andere
Supermärkte gesucht werden. Die Fahrtroute für den
Tag X wird natürlich auch geändert. In wenigen Wochen steht der neue Plan, ohne ein zusätzliches Risiko eingehen zu müssen. Die Tresorschlüssel für die
neuhinzugekommenen Filialen erzeugen
wir auf die uns vertrauten
Methoden.
Entweder durch genaue
Abschätzung
mit Augenmass oder
mit Digitalfoto. Die
Schlüssel für die
Eingangstüren haben wir ja bereits. Bis auf minimale Zwischenfälle verläuft die Vorbereitung wie am
Schnürchen. Nach wenigen Tagen ist unsere Sammlung komplett und wir sind im Besitz von dreißig
Doppelbartschlüssel. Die Meisterwerke liegen vor
213
Der eiskalte Einbrecher
uns auf dem Tisch in meiner Wohnung, und sind
kodiert aber sorgfältig beschriftet. Wir sitzen herum
und können unsere Tüchtigkeit gar nicht fassen, freuen uns und sind glücklich. Eine Sorge bleibt trotz
der sorgfältigen und peniblen Arbeitsweise bestehen.
Sperren alle Schlüssel auf Anhieb? In der besagten
Nacht bleibt keine Zeit herumzufeilen. Wir müssen
rein und raus. Nur drei Minuten Aufenthalt mehr pro
Markt würde unseren Zeitplan
vernichten. „Es wird uns nichts
anderes übrigbleiben und sämtliche Schlüssel durchprobieren,
von einem wissen wir ja schon
dass er funktioniert.“ meint Marcus. Erschrocken sehe ich ihn an
und antworte: „Was soll das heißen? Sag nicht, du willst dich
vorher in Supermärkte einschleichen. Erinnere dich an das letzte
Mal, wir haben fast einen Herzinfarkt bekommen.“ Er steht auf
stellt sich hinter den Sessel und stützt die Hände auf
die Lehne: „Wollen nicht, aber müssen! Daran führt
kein Weg vorbei. Wenn wir uns beeilen, dann sind
wir in ein paar Tagen durch. Die meisten werden
sowieso sperren und bei den wenigen, die es nicht
tun, fehlt garantiert nur eine Kleinigkeit.“ Er hat
mich überzeugt. Dennoch frage ich Kelly: „Wie
siehst du das? Sollen wir vorher probieren oder uns
verlassen auf unsere Künste?“ Ohne zu zögern antwortet sie: „Um absahnen zu können, dürfen in der
214
Der eiskalte Einbrecher
entscheidenden Nacht keinerlei Verzögerungen entstehen. Die zwei Wochen haben wir auch noch.
Ja ich bin für den vorherigen Test.“ „Wenn
Ihr meint“ sage ich,
„dann fangen wir heute
noch an. Es ist aber
äußerste Vorsicht geboten. Wir müssen noch
Vorkehrungen treffen,
für den Fall, dass wir
erwischt werden. Ich
meine, wir sollten die
Schlüssel verstecken. So
können wir uns vielleicht rausreden und
dem Richter erzählen, wir hätten einen Bund gefunden, und unsere Neugier war zu groß. Mit etwas
Glück glaubt er uns und wir bekommen eine milde
Strafe oder gar keine. Aber wehe, wenn die unsere
Sammlung finden, sind wir fällig. Zehn Jahre sind
wir dann weg vom Fenster.“ „Und wo?“ meint Marcus, das Versteck muss leicht zu erreichen sein und
trotzdem unauffällig.“ Kelly meldet sich zu Wort:
„Ich schlage vor, wir probieren drei Schlüssel pro
Nacht, das genügt. So hat jeder von uns nur ein Stück
bei sich. Die anderen werden aufgeteilt und gut versteckt in der Wohnung. Was weiß ich wo, unter der
Waschmaschine oder im Fernseher, da schaut doch
kein Mensch.“ „Gut jeder nimmt zehn Stück und einen Generalschlüssel“ sage ich, „und wir fangen
215
Der eiskalte Einbrecher
morgen an mit dem Testen, heute sollten wir die Corpi delikti verstecken.“ Das Ausprobieren der
selbstgefeilten Tresorschlüssel ist eine enorme Nervenbelastung für uns. Es kostet uns große Überwindung in die Geschäfte nachts reinzuschleichen. Die
Angst ist unser Begleiter und jedes noch so winzige
Geräusch versetzt uns in Panik. Das schlimmste Erlebnis widerfährt uns während des dritten Tests.
Kaum sind wir in den Supermarkt eingedrungen,
sieht Marcus das Einsatzfahrzeug des Wachdienstes
zum Eingang fahren. Er zischt mich an: „Schnell
sperr zu von innen und schmeiß dich hinter ein Regal, der Wachhund kommt!“ Ich schaffe mit Müh
und Not den Schlüssel umzudrehen und mache einen
Sprung hinter die Blumenerde, die beim Eingang
steht. Es ist so knapp, dass der Wachmann eigentlich
noch meine Füße
sehen müsste. Wir
hören ihn rütteln an
der Tür und wieder
wegfahren. Erleichtert lachen wir auf
und machen uns auf
den Weg zum Panzerschrank. Das ist
der
schlimmste
Vorfall, den wir
erleben. Bei ungefähr jeden dritten Schlüssel ist eine
Kleinigkeit zum nacharbeiten. Einer von uns beiden
erledigt das in nie mehr als 10 Minuten. 10 Minuten
sind eine lange Zeit, wenn man etwas Verbotenes tut.
216
Der eiskalte Einbrecher
Ein Schlüssel will absolut nicht sperren. Zuerst feilt
Marcus fast zehn Minuten ohne Erfolg. Ich übernehme dann in der Hoffnung, den entscheidenden Feinschliff geben zu können. Als nach fünf Minuten sich
kein Erfolg einstellt,
brechen wir ab und
streichen diesen Markt
von der Liste. So bleiben 29 Supermärkte.
Nach zehn Tagen haben wir alle ausprobiert
und sind fertig. Die
Nervosität steigt in uns
an, denn die Nacht in
der wir den besten Diebstahl des Jahrhunderts
durchziehen steht unmittelbar bevor. Einer zwingt
den anderen zur Ruhe und Besonnenheit. Jetzt nur
nicht die Nerven verlieren, ist unser Leibspruch. Der
Termin ist abhängig von einer besonders fetten Losung. Wir sehen auf einen Kalender nach, um den
besten Tag auszuwählen. Es soll ein Freitag sein mit
anschließenden Feiertag. An diesen langen Wochenende sind die Leute völlig verrückt und kaufen ein
als stünde der Hungertod bevor. Wir finden einen
solchen Freitag in drei Wochen. Eine lange Zeit um
zu warten, aber wenn wir schon ein solches Verbrechen begehen, dann soll es sich auch lohnen. Diese
Wochen ziehen sich schrecklich dahin. Wir sind gereizt und nervös. Es darf in dieser wichtigen Nacht
keine Pannen geben. Jede Woche fahren wir eine
Nacht die gesamte Strecke ab, um uns zu vergewis217
Der eiskalte Einbrecher
sern, dass nichts übersehen wurde, oder ob eine neue
Umleitung eingerichtet wurde. Die Zeit wird penibel
mit drei Uhren gestoppt und niemals wird über die
erlaubte Hoechstgeschwindigkeit gefahren. Es geht
sich leicht aus und so haben wir sogar noch einen
Puffer für unvorhergesehene Ereignisse.
218
Der eiskalte Einbrecher
KAPITEL 19
Die Tat
Endlich ist es soweit, der Freitag
ist da. Wir wählen dunkle bequeme Kleidung um uns
leicht bewegen zu können. Der Plan sieht vor, dass
Marcus das Fahrzeug lenkt und Kelly und ich in die
Supermärkte eindringen. Uns erscheint dies am effektivsten. Marcus ist mit Abstand der beste Fahrer,
ruhig und routiniert. Er verliert sicher nicht die Nerven bei einer möglichen Verkehrskontrolle oder bei
der Parkplatzsuche.
Niemand kennt die
Strecke so genau
wie er. Ich bin auserwählt für die härteste und schwerste
Aufgabe. Ich muss
durch die Geschäfte
schleichen, die Panzerschränke
aufsperren und das
Geld nehmen. Kellys Teil besteht darin, dass sie mit
mir vom Wagen bis zum Laden geht. Sie sperrt die
Türe mit dem Generalschlüssel auf und ich husche
219
Der eiskalte Einbrecher
als erster hinein, danach sie. Um Zeit zu sparen gehe
ich sofort zum Büro, und sie sperrt hinter sich zu,
falls der Wachdienst kommt. Kelly wartet versteckt
bei der Türe, so dass man sie von außen nicht sehen
kann. Mit Marcus bleibt sie in permanenter Telefonverbindung und beide passen höllisch auf jedes Geräusch oder zufahrendes Auto auf. Sie hört mich aus
dem Büro kommen schaut ob die Luft rein ist sperrt
auf und wir marschieren raus zum Wagen. Soweit die
Theorie. Marcus borgt sich einen Pkw von einem
dritten Kollegen aus. Sein verbeulter weißer Kleinlastwagen erscheint ihm zu auffällig. Kelly ist zuständig für die Schlüsselverwaltung. Sie trägt alle
Hauptschlüssel bei sich in drei verschieden extra
aufgenähten Taschen. Das Auf und Zusperren muss
blitzschnell gehen, sie darf sich nicht irren und zum
falschen Schlüssel greifen. Die Tresorschlüssel hat
Kelly in einer Art Aktentasche fein säuberlich sortiert und codiert beschriftet. Sie gibt mir immer nur
einen, den benötigten. Die Fahrzeiten nützen wir um
Ordnung zu halten und die Schlüssel zu tauschen.
Wir riskieren bewusst das gesamte Sortiment mitzuführen. Es könnte für uns nachteilige Folgen haben
bei einer möglichen Verhaftung. Jedoch erscheint es
unmöglich nach jedem Diebstahl zurück in die Wohnung zu fahren und die Schlüssel aus dem Versteck
zu kramen. Außerdem ist es spätestens nach dem
zweiten Supermarkt egal, wenn man eine derartige
Geldsumme bei sich trägt. Es blüht sowieso die
Hoechststrafe. Ein äußerst wichtiger Faktor ist das
Problem eines möglichen Harndranges. Jeder von
220
Der eiskalte Einbrecher
uns hat schon schlechte Erfahrungen gemacht.
Manchmal wird man direkt erwischt und muss davon
laufen, das geht ja noch. Einige besonders eifrige
Bürger schreiben die Autonummer auf und erstatten
Anzeige. Es kommt zwar nichts dabei raus, aber unangenehm ist es auf die Polizei zu gehen. Das darf
uns in dieser Nacht nicht passieren, es wäre für einen
guten Kriminalisten möglich einen Zusammenhang
zwischen einen Diebstahl und einem auffälligen Verhalten zu finden, nicht leicht aber eben möglich. Die
Lösung ist qualvoll. Wir trinken 24 Stunden vorher
nichts. So ist die Gefahr plötzlich und unaufschiebbar
aufs Klo zu müssen
wenigstens minimiert. Für absolute
Notfälle wird eine
Plastikflasche mitgenommen, uriniert
wird im Auto, aufs
Geschlecht
wird
keine
Rücksicht
genommen. Eine
weitere
Demütigung muss ich über
mich ergehen lassen, die mich bedrückt. Ich muss
mir alle Körperhaare restlos entfernen,
um keinesfalls
verwertbare DNS Spuren zu hinterlassen. Rasieren
221
Der eiskalte Einbrecher
erscheint nicht gründlich genug zu sein, es könnte ein
Härchen übersehen werden. Es bleibt nur die harte
Methode. Eine Ganzkörperrasur mach ich dennoch,
dann nimmt Marcus eine Wattebausch beträufelt ihn
mit Wundbenzin und brennt mir die letzten Haare
weg. Arme, Beine, Brust und Kopf. Sogar die Augenbrauen müssen dran glauben. Ich sehe fürchterlich aus, wie ein Außerirdischer, aber Sicherheit geht
vor. Meine Freundin weigert sich diese Tourtour auf
sich zu nehmen, ist auch nicht notwendig, da sie die
Geschäfte kaum betritt. Chirurgenhaube, Handschuhe
und nagelneue Kleidung müssen ausreichend sein. Es
ist kurz vor Acht und es ist seit einer Stunde dunkel.
Kahlköpfig versuche ich etwas gute Laune zu
verbreiten: „Los geht`s Mädels!“ Das war nicht besonders lustig. Wortlos steigen wir in den geliehenen
Pkw. Kelly sitzt hinten um mehr Platz zu haben für
ihre Aktentasche Die
Stimmung ist angespannt
und
ernst.
Punkt Acht bleibt
Marcus beim ersten
Supermarkt
stehen.
Kelly wählt Marcus
Telefonnummer, die
Verbindung steht. Sie
gibt mir den ersten Tresorschlüssel und wir steigen
aus.200 Meter sind zu gehen, dann erreichen wir das
erste Objekt. Es ist einer der kleinsten auf unserer
Liste mit weniger Umsatz. Wir haben uns entschieden hier zu beginnen, da der Markt einen uneinsich-
222
Der eiskalte Einbrecher
tigen Hintereingang hat und um diese Zeit noch viele
Leute auf der Strasse unterwegs sind. Die richtig
fetten Ziele kommen erst nach Mitternacht an die
Reihe. Die liegen nicht ganz so geschützt. Die Angst
ist verflogen und hat der Entschlossenheit Platz gemacht. Unsere perfekte Planung kommt uns nun entgegen, die erste Runde läuft wie geschmiert. Kelly
und ich gehen zum Eingang. Ein Griff in die richtige
Tasche, alles hundert Mal geübt, und der Generalschlüssel A öffnet die Türe. Rasch bin ich im Laden
und eile in Richtung Büro. Hinter mir höre ich wie
Kelly zusperrt, sonst nichts. Sie ist äußerst leise. Den
Tresorschlüssel halte ich die ganze Zeit bereits in der
Hand. Auf den letzten Schritten knipse ich die Taschenlampe an, die geschickt am Handrücken geklebt
ist. Eine Stirnlampe wäre zwar besser, aber auf der
Strasse auffälliger.
Diesmal
ziehe ich
nicht zurück, das
steht fest.
Ich stecke
den Doppelbartschlüssel
hinein und
drehe. Es ist immer wieder ein erhebendes Gefühl die
Schließgeräusche des präzisen Schlosses zu vernehmen. Ein fester Ruck am Hebel der schweren Türe
und offen ist der Panzerschrank. Vor meinen Augen
223
Der eiskalte Einbrecher
liegen
schwarze
Kunststoffbehälter.
Mit Filzstift sind
auf die Etiketten
Zahlen geschrieben.
Auf einer Dose
steht 30000 und das
heutige Datum. Auf
dem anderen 11820
und ebenfalls das
Datum. Das ist das
Geld, schießt es mir ein. Danke fürs Zählen. Darunter
stehen noch zwei große Blechkisten mit Hartgeldrollen. Die Münzen lasse ich liegen und nehme die beiden Papiergeldbehälter und stecke sie in meine vergrößerte innere Jacketasche. Einen kurzen Blick mache ich noch durch den Tresor, aber außer Papieren
ist nichts interessantes zu finden. Ich schließe die
gewichtige Stahltüre und schalte
das Taschenlampenlicht ab. Kelly
hört mich, kommt
aus ihren Versteck beobachtet
die
Umgebung
außerhalb
des
Geschäftes
und
sperrt auf. Zwei
Sekunden später verlassen wir den Tatort und stehen
beide im Hinterhof. Wir blicken uns an und lächeln.
224
Der eiskalte Einbrecher
Ruhig und besonnen, ohne Panik gehen wir die Strecke zu Marcus, der bereits am Handy gehört hat, dass
wir es geschafft haben. Er startet, wir steigen ein und
fahren. Die Telefonverbindung wird
unterbrochen, man
weiß ja nie wer da
so belauscht. Wir
rollen langsam auf
das nächste Ziel zu.
Ich reiche Kelly die
Geldbomben und
den Schlüssel auf die Rückbank. Sie gibt mir im Gegenzug den passenden für den nächsten Markt. Sie
packt die Geldkassetten in eine große schwarze
Sportstofftasche und stellt sie neben sich. Der gesamte Ablauf wirkt wie automatisiert, als wäre es das
normalste der Welt und wir würden nichts anderes
machen seit Jahren. Marcus fährt wie auf Schienen,
er lenkt das Auto souverän zum nächsten Ziel. Es
wiederholt sich der selbe Ablauf wie beim ersten
Supermarkt, nur die Anzahl der Geldbehälter und
deren Aufschrift ist unterschiedlich. Um Mitternacht
begehen wir unseren dreizehnten Diebstahl ohne den
geringsten Zwischenfall und haben sogar noch einen
Zeitbonus. Wir sind so routiniert, dass man glauben
könnte, wir sind die Geldboten und dürfen die Tageslosungen holen. Die großen Verbrauchermärkte stehen ab nun auf der Liste. Wir erhöhen unser Vorsichtig, denn zu diesen Geschäften kommt öfter der
Wachdienst. Mit äußerster Obacht fährt Marcus erst
225
Der eiskalte Einbrecher
einmal vorbei, um die Lage auszukundschaften, dann
erst parkt er ein
und Kelly und ich
gehen es an. Die
Wege im Markt
werden länger. Es
ist bei manchen
ein schönes Stück
zurückzulegen
vom Eingang bis
zum Büro und
zurück. Meine
Freundin ist höllisch nervös aufgrund der Verzögerungen und Marcus auch. Ich bin der einzige der
nach ein Uhr noch Nerven hat, und kann die beiden
beruhigen. Erst bei Diebstahl Nummer 17 gerate
auch ich ins Schwitzen. Genau in dem Moment als
wir den Supermarkt
verlassen
wollen
schreit Marcus ins
Telefon mit einer
Lautstärke, dass ich
es hören kann, obwohl ich einen Meter von Kelly entfernt stehe: „Bleibt
drinnen, verdammt!
Die Polizei biegt zu euch ein!“ „Was tun wir jetzt“
fragt Kelly verzweifelt. „Keine Ahnung, warten wir
ab, was die wollen.“ Antworte ich ebenso erschrocken. Kaum sage ich das, sehen wir schon die Lichter
226
Der eiskalte Einbrecher
des Polizeiwagens auf den Parkplatz einbiegen. Mein
Mund ist staubtrocken, trotzdem schwitze wie ein
Schwein. Wir verkriechen uns hinter ein Regal und
beobachten die Polizisten. Der Wagen hält nur wenige Meter entfernt von der Tür und ein Beamter steigt
aus. Er geht zum Kofferraum und nimmt eine starke
Stabtaschenlampe. Er rüttelt an der Türe und leuchtet
in das Geschäft. Wir ducken uns und der Lichtstrahl
verfehlt uns nur um einen Sekundenbruchteil. Wir
bleiben wie Bleigewichte einige Minuten auf dem
Boden liegen, es kommt uns wie Jahre vor. Kelly
flüstert ins Telefon: „Marcus, was ist los da draußen?“ Sofort meldet er sich. „Keine Ahnung, aber
die haben alle Eingänge überprüft und sind dann
wieder verschwunden. Vielleicht hat wer angerufen,
weil er euch gesehen hat. Kommt jetzt raus.“ Mit
aller größter Vorsicht verlassen wir das Geschäft und
beeilen uns um ins schützende Fahrzeug zu kommen.
Sofort fährt Marcus los. „Ich habe geglaubt ich mache mich an“ sage ich frei heraus. „Das ist noch mal
gutgegangen, machen wir Schluss? Was meint Ihr?“
Die beiden antworten gleichzeitig wie aus der Pistole
geschossen: „Nein! Wir ziehen das durch.“ Kelly
fährt fort: „Jetzt kommen erst die guten, bis auf die
letzten drei waren es doch Kreisler. Nur mehr zwoelf
Mal Angst und es ist vorbei.“ Wir machen weiter,
obwohl wir bereits soviel Geld haben wie nie zuvor.
Die Gier hat uns übermannt und verjagt die Vernunft.
Marcus fährt ab diesen Zeitpunkt schneller und wir
zwei beeilen uns auch mehr. Es passieren keinerlei
Zwischenfälle mehr und um fünf in der Früh sind wir
227
Der eiskalte Einbrecher
fertig. 29 Straftaten in einer Nacht. Wir sind nun
richtige Verbrecher. Das Schlimme daran ist, dass es
uns nicht das Geringste ausmacht. Eine seltsame
Stimmung ergreift uns. Wir spüren weder Euphorie
und Stolz macht sich auch nicht breit. Wir spüren
genau genommen gar nichts. Entweder es liegt an der
Übermüdung, die wir jedoch nicht bewusst wahrnehmen, oder wir bergreifen unsere Tat noch nicht.
Marcus fährt uns in meine Wohnung zurück. Die
Tasche mit dem Geld ist dermaßen schwer, dass wir
sie zu zweit schleppen müssen. Ich schiebe den Tisch
228
Der eiskalte Einbrecher
und die Sessel auf die Seite um Platz zu machen. Wir
leeren die Tasche auf den Fußboden aus und ein
Schwall von Geldbomben ergießt sich ins halbe
Zimmer. Behälter für Behälter wird aufgerissen und
das Geld wird sorgfältig sortiert. Das dauert fast bis
zehn Uhr am Vormittag. Dann wird gezählt und die
Geldstapel beschriftet. Anschließend notiert Kelly
die Beträge auf einen Block, rechnet zusammen und
kontrolliert mit dem Taschenrechner. Es sind 1 590
350 Euro! Wir zählen noch mal und noch mal und
noch mal. Es stimmt! Wir haben über 1,5 Millionen
Euro erbeutet. Wir sind müde und erschöpft, aber
dennoch glücklich. Fragen werden später gestellt und
auch später beantwortet, jetzt wird einmal geschlafen. Keiner fährt mehr nach Hause, alle bleiben bei
mir. Marcus schläft auf dem Sofa und Kelly bei mir.
Ich schlafe ungefähr
15 Stunden und wache mit einem Lächeln auf den Lippen auf. Genussvoll
strecke ich und freue
mich auf den Anblick des Geldes.
Wir haben es tatsächlich geschafft.
Ein neues, ein besseres Leben liegt vor
uns. Mittlerweile
sind alle munter und einer von uns muss eine Zeitung
besorgen. Wie lesen die Blätter aufmerksam durch,
229
Der eiskalte Einbrecher
finden jedoch keinerlei Meldung. Im Radio und
Fernsehen wird auch nichts berichtet. Geteilt ist
schnell, jeder ein Drittel. Das macht 530 000 für jeden. Es hat sich wirklich rentiert. Die leeren Geldkassetten zerschneiden wir mit einer starken Blechschere und werfen mehrmals am Tag die winzigen
Stückchen von einer Brücke in den Fluss. Natürlich
sehen wir uns vor, dass dies keiner beobachtet. Ich
melde mich krank bei der Fahrerzentrale und einige
Tage später teile ich ihnen mit, dass ich gar nicht
mehr komme. Marcus arbeitet noch ein paar Wochen, dann macht er das gleiche. In der Zeit nach der
Tat lesen wir täglich alle Zeitungen und hören Nachrichten. Kein einziges Mal wird der Diebstahl erwähnt. Das wundert uns sehr, und wir haben keinerlei Erklärung für die Geheimhaltung. Kelly kündigt
ebenfalls und zieht
mit mir weg. Weg
aus dieser schmutzigen
korrupten
menschenzerstörenden
Pseudogroßstadt, die seit
hunderten
von
Jahren ohne Reformen
regiert
wird. Wir gehen
nach Asien, wohin
genau ist nicht so
wichtig an dieser Stelle. Nur eines kann ich verraten:
Das halbe Geld ist mittlerweile verbraucht für Tier-
230
Der eiskalte Einbrecher
und Umweltschutz. Wir konnten soviel erreichen und
verbessern. Viel mehr als wir uns erträumt haben.
Geld ist Macht und richtig eingesetzt bedeutet Geld
Leben für die Rechtlosen dieser Erde, die Tiere und
die Pflanzen. Für uns selbst haben wir fast nichts
ausgegeben, wir leben bescheiden. Kelly und ich
verwenden jeden Euro für unsere Projekte. Marcus
lebt in auch im Ausland und wir haben oft Kontakt
per Email miteinander Auch er engagiert sich für die
Erhaltung des Planeten. Ein bis zweimal im Jahr
sehen wir uns. Ich möchte nicht sagen, dass ich stolz
bin auf meine Tat. Es ist und bleibt ein Verbrechen
im Sinne des Strafgesetzes. Für uns drei ist es jedoch
ein Schritt für eine gerechtere Welt, wir haben den
skrupellosen umweltzerstörenden und ausbeuterischen Turbokapitalisten nur die fetten Überschüsse
gestutzt und lenken diese um.
231
Der eiskalte Einbrecher
232
Folgende Bücher sind in unserem
Verlag erschienen:
Geheimwissen Schlüsseldienst
Eine Anleitung zum Schlossöffnen
Geheimwissen der Einbrecher
Der Raubkopierer
Ausgesperrt!
Schlüsseldienstkunden...
-----------------------------------------------Weitere Angebote:
Ausbildungscamp in der Tropen:
www.lockpickcamp.com
Michael Bübl hält Seminare und Vorträge zur
Bekämpfung der Kriminalität ab. Jede
Organisation, die Interesse an einem Vortrag
oder einer Beratung des Schlossermeisters und
Sicherheitsexperten hat, kann sich weitere
Information zukommen lassen:
Institut für wirkungsvolle
Einbruchsprävention
[email protected]