HORIZONT 21/2015 Die schwierige Suche nach Standards 21. Mai 2015 Sponsoring-Kontakte entstehen an vielen Orten – das erfassen und zu bewerten, ist eine Herkulesaufgabe Sportsponsoring boomt – das verstärkt den Wunsch nach Vergleichbarkeit. Wie ist der Stand der Dinge? E Von Ingo Rentz s lässt sich nicht mehr leugnen: Sponsoring ist erwachsen geworden und hat im Marketingmix vieler Werbungtreibender mittlerweile einen festen Platz. 5,2 Milliarden Euro wird das Gesamtvolumen des Marktes nach Schätzung von Repucom in diesem Jahr in Deutschland betragen, wobei mehr als die Hälfte der Sponsoring-Ausgaben auf den Sport entfallen werden (siehe Seite 29). Mit steigender Relevanz einer Gattung erhöht sich naturgemäß allerdings auch der Reporting-Druck in den Unternehmen. TV, Print und Online können bereits seit langem ein Lied davon singen. Und auch im Sponsoring wird die Gretchenfrage immer drängender: Was bringt das Ganze eigentlich? Im Gegensatz zu den „großen“ Gattungen stecken Wirkungsforschung und vor allem Messung im Sponsoring nahezu noch in den Kinderschuhen. Was gänzlich fehlt, ist eine breit akzeptierte Währung, wie es sie mit den TV-Quoten oder den Zahlen von IVW und Agof in anderen Disziplinen bereits gibt. Selbst im heftig umkämpften Bewegtbildmarkt zeichnet sich mit der Einigung der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) mit Googles Video-Plattform Youtube eine Revolution ab. Ein derartiger Standard würde Sponsoring vergleichbarer machen und den Unternehmen dadurch deutlich mehr Planungssicherheit bieten. Das heißt nicht, dass die Branche nicht hart daran arbeiten würde. Aktuell kommt wieder Bewegung in das Währungs-Thema. Als Treiber positioniert sich hierbei die Vereinigung der Sportsponsoring-Anbieter (VSA), die sich vor gut drei Jahren als Interessenvertretung von Rechteinhabern formierte. Der VSA gehören der Deutsche Fußball-Bund, die Deutsche Fußball Liga, die Profiligen für Basketball, Handball und Eishockey sowie Vermarkter wie Sportfive und Infront an. Die Vereinigung hat sich zum Ziel gesetzt, Sponsoring-Engagements quantitativ messbar zu machen und so eine Bewertungsgrundlage für Sponsoren und deren Agenturen zu schaffen – so, wie es im TV seit langem Usus ist. Bei der VSA ist Jan Pommer, Geschäftsführer der Beko Basketball Bundesliga und designierter Geschäftsführer Deutsche Sport Marketing, für das Thema zuständig. Seine Hoffnung: In zwölf Monaten soll die Arbeit so weit fortgeschritten sein, dass ein erster Währungsentwurf präsentiert werden kann. Das wäre vier Jahre nach der VSA-Gründung. „Dass das Thema so viel Zeit in Anspruch nimmt, liegt daran, dass dabei erhebliche Überlegens- und Forschungsarbeit zu leisten ist“, sagt Pommer. So lautet eine der kompliziertesten Fragen: Was soll eigentlich gemessen werden? Pommer bringt ein Beispiel: Wenn ein prominenter Sportler in seiner Vereinskluft in einer TV-Sendung auftritt, entsteht dadurch ein Sponsoring-Kontakt. „So etwas kann nicht Teil der Standardmessung sein. Das wäre ein Fass ohne Boden“, gibt Pommer zu bedenken. Vielmehr will die VSA ihre Suche so breit wie möglich fassen und gleichzeitig so weit wie möglich eingrenzen. Aktuell sieht der Plan so aus: Erfasst werden bei der quantitativen Medienanalyse TVSender, die ihre Quote via AGF ausweisen und regelmäßig Sportsendungen bringen, Printtitel mit einer verkauften Auflage von mehr als 70000 Exemplaren und IVW-gelistete Websites mit mehr als 1000 Page Impressions pro Monat. Der Erfassungszeitraum soll mindestens eine Woche vor bis nach Sportereignissen umfassen. Außerdem will man künftig auch Online-Bewegtbilder berücksichtigen – hierbei ist allerdings noch nicht genau definiert, welche Medien erfasst werden. U nd noch etwas kommt hinzu, was die Sache verkompliziert: Die VSA ist bei ihrer Forschungsarbeit darauf angewiesen, möglichst viele Marktteilnehmer ins Boot zu holen. Dieser Joint-Industry-Ansatz galt auch bei der Währungsentwicklung in anderen Gattungen. „Unser erster Anspruch und die aus unserer Sicht wichtigste Aufgabe ist, bei dem Thema sauber und nachvollziehbar zu arbeiten“, sagt Pommer. „Wir bereiten uns allerdings auch darauf vor, dass die tatsächliche Arbeit der sprichwörtliche Gang durch die Instanzen wird. Wir möchten ja nicht, dass man uns eine Eins für Fleiß, aber eine Vier minus für praktische Marktrelevanz gibt.“ Noch im Mai will die VSA ein Briefing erstellen, das anschließend Agenturen und interessierten Unternehmen vorgelegt wird. D anach wird die VSA auch wieder das Gespräch mit der S20 suchen. Die Vereinigung deutscher Sport-Großsponsoren beschäftigt sich ihrerseits intensiv mit dem Thema Wirkungsforschung, um ihren Mitgliedern mehr Argumente pro Sponsoring an die Hand geben zu können. Anfang 2013 hatte die S20 bereits ein eigenes Modell vorgestellt, das die Wirksamkeit von Sponsoring auf Basis von Werten wie Aufmerksamkeit und Erinnerung messen sollte. Dabei werden Daten zur Sichtbarkeit von Sponsoringflächen noch einmal verfeinert, indem per Blickfeldanalyse ermittelt wird, was sich der Betrachter genau angesehen hat. Die große Hoffnung damals lautete, der Branche einen Währungsstandard bieten zu können. Das ist inzwischen vom Tisch: „Dass der Wunsch nach Vereinheitlichung groß ist, ist verständlich“, sagt Stefan Kurz, der innerhalb der S20 den Arbeitskreis Wissenschaft leitet. „Aber wir haben uns von dem Begriff ‚Währung‘ verabschiedet, weil wir im Verlauf der Arbeit festgestellt haben, dass die Thematik viel zu komplex ist, um sie auf eine einzige Kenngröße zu reduzieren. Dazu gibt es zu viele Faktoren, die sich auf Sponsoring auswirken.“ Die große Dynamik durch die Digitalisierung tut ihr Übriges: „Der Markt entwickelt sich so rasant, dass die Etablierung einer einheitlichen Währung zur Bewertung von Sponsoring keinen Sinn machen würde. Wir müssten sie vermutlich permanent anpassen und verändern“, glaubt Kurz. Zumal eine preisliche Bewertung von Angebot und Nachfrage abhängig sei. Daher hat man sich der Weiterentwicklung und Verfeinerung des eigenen Bewertungsmodells verschrieben. Zwar sei das 2013er-Modell bei den S20Mitgliedern bereits zur Anwendung gekommen, versichert Kurz. Die seinerzeit starke Fokussierung auf TV ist jedoch inzwischen überholt: Sponsorings wirken heutzutage nicht zuletzt durch das Zusammenspiel mehrerer Plattformen. Deshalb will die S20 nun auch Print und Online abbilden. „Indem wir andere Medien neben TV in unser Bewertungsmodell einbeziehen, wollen wir die Realität des modernen Medienkonsums so exakt wie möglich abbilden. Dabei sehen wir uns auf einem guten Weg“, so Kurz. Außerdem sollen neben Aufmerksamkeit und Erinnerung künftig auch die Bewertungskriterien Emotion und Präferenz ermittelt werden. Allerdings hat Kurz das gleiche Problem wie Pommer: Manchen kann es nicht schnell genug gehen mit den Fortschritten bei der Arbeit. „Wir nehmen uns die Zeit, die wir brauchen. Es macht keinen Sinn, Schnellschüsse zu produzieren. Wir wollen ein qualifiziertes, erweitertes, hochwertiges Modell entwickeln. Und das braucht nun einmal seine Zeit“, zeigt sich Kurz gelassen. I m Idealfall sind beide Modelle am Ende kompatibel, sagen Kurz und Pommer unisono. „Unser Ziel ist, die Währung anschlussfähig an das Bewertungsmodell der S20 zu machen“, so Pommer. Damit solle der Eindruck vermieden werden, dass beide Vereinigungen konträre Modelle entwickelten. „Das ist überhaupt nicht der Fall. Wir befinden uns mit der S20 in regem fachlichen und vertrauensvollen Austausch.“ Auch Kurz bestätigt: „S20 und VSA als Gegenspieler mit jeweils komplett unterschiedlicher Agenda wahrzunehmen, wäre eine falsche Betrachtungsweise.“ Die spannende Frage wird sein, wie die Bemühungen von VSA und S20 von Marktteilnehmern gesehen werden, die eigene Forschungen betreiben. Denn nicht nur in Sponsoring-Agenturen, auch bei vielen Sponsoren selbst werden die Engagements bereits laufend analysiert. Klar dürfte sein, dass keines der Modelle die Basisarbeit von Agenturen und Unternehmen obsolet machen kann. „Generell finde ich die Bemühungen, übergreifende Strukturen zu schaffen, an denen sich sponsernde Marken orientieren können, sehr positiv“, sagt etwa Marc Brix, General Manager Octagon in Deutschland. Die zur Interpublic-Gruppe gehörende Sponsoring-Agentur betreibt mit „Octagon Passion Drivers“ eigene Forschung, die die emotionale Wirkung von Sponsoring beschreibt, indem sie die Leidenschaft von Sportfans untersucht. Dabei kann sie dank der Anbindung an ein großes Network auf den Kauf von externen Daten verzichten. L etztendlich könne es sich bei einer Währung nur um ein Mosaikstück für eine Sponsoringstrategie handeln, sagt Brix. Agenturen und Sponsoren müssten für sich entscheiden, wie viel Wert sie der Sache beimessen. „Sponsoring ist eine sehr individuelle Kommunikationsdisziplin, die eine exakt auf den Kunden zugeschnittene Beratung erfordert – besonders im Rahmen der Wertermittlung und Erfolgsmessung.“ Für Brix ist entscheidend, welchen Teil Mess- und Bewertungsmodelle zur Optimierung einer Sponsoringstrategie beitragen. Beim Thema Bekanntheitsaufbau via Reichweite etwa könne eine Währung für Vergleichbarkeit sorgen. „Andere Sponsoren legen beispielsweise bei der Aktivierung Wert auf Differenzierung zu anderen Marken oder emotionale Nähe zu den Kunden. Und das lässt sich nicht in einer standardisierten Kenngröße abbilden“, ist Brix sicher. Doch selbst wenn die Arbeit von VSA und S20 am Ende von einem Gutteil der Sportbranche akzeptiert wird: Für die Sponsoring-Szene wäre das nur ein Schritt. Die nächste große Herausforderung dürfte sein, die Erkenntnisse auf andere Bereiche wie Musik- und Entertainment zu übertragen. Hier sehen Sponsoring-Anbieter wie auch Unternehmen großen Nachholbedarf. FOTOS: BILD.DE, DEUTSCHE POST, SPAR, COLOURBOX, MONTAGE: HORIZONT 26 REPORT SPONSORING
© Copyright 2024