Judith Nika Pfeifer | Robert Prosser | August Staudenmayer Seestadt.Schreiben 2014 Literarische Annäherungen an eine Stadt im Werden Judith Nika Pfeifer | Robert Prosser | August Staudenmayer Seestadt.Schreiben 2014 Literarische Annäherungen an eine Stadt im Werden aspern. Die Seestadt Wiens 2015 Inha lt Vorwort Seestadt.Schreiben 2014 ......................................................... 5 Über die Seestadt.SchreiberInnen .......................................................... 7 Judith Nika Pfeifer .................................................................................. 9 Robert Prosser ...................................................................................... 37 August Staudenmayer........................................................................... 51 Impressum............................................................................................. 99 Ü b e r das St adt t eilma nagement Sees tad t a sp e rn Das Stadtteilmanagement Seestadt aspern begleitet einen Stadtteil im Werden. Begegnungs- und Kommunikationsräume für BewohnerInnen zu ermöglichen, stellt dabei eine wichtige Aufgabe dar. Im Rahmen vielfältiger Aktivitäten unterstützt das Stadtteilmanagement auch kulturelle Initiativen und künstlerische Talente, indem Möglichkeiten für Austausch und gemeinsames kreatives Tun geschaffen werden. Vo r w ort S e e s ta dt .Schr ei ben 2014 Im Rahmen des Projektes Seestadt.Schreiben 2014 setzten sich drei AutorInnen mit Entwicklungen in der Seestadt auseinander. Sie dokumentierten Prozesse, hielten Stimmungen fest und gaben visuellen Eindrücken literarische Gestalt. Die Beiträge wurden auf unserem Blog meine.seestadt.info veröffentlicht und ermöglichten dadurch monatlich drei unterschiedliche Einblicke in das (fiktive) Geschehen in und um die Seestadt. Die individuellen literarischen Zugänge erschaffen ein facettenreiches Bild eines entstehenden Stadtteils. Judith Nika Pfeifer, August Staudenmayer und Robert Prosser bilden das Trio der Seestadt.SchreiberInnen 2014. In der vorliegenden Broschüre stellen sich die AutorInnen vor und ihre gesammelten Seestadt-Texte können nachgelesen werden. Judith Nika Pfeifer gewährt durch lyrische Blitzlichter Einblick in ihre persönliche Perspektive auf die Seestadt. August Staudenmayer begleitet in seinem Drehbuch den Protagonisten Franz durch die Seestadt. Robert Prosser gibt der Seestadt Gesichter, indem er verschiedene AkteurInnen in und um die Seestadt präsentiert. Die monatlichen Blogbeiträge der AutorInnen finden in dieser Ausgabe gesammelt ihren Weg aufs Papier und in die Hände der LeserInnen. Wir wünschen Ihnen beim Lesen dieser interessanten Lektüre viel Spaß und empfehlen dazu einen Spaziergang durch die Seestadt! Vielleicht wollen Sie selbst zur Feder oder Tastatur greifen und Ihre eigenen Geschichten, Gedichte, Romane… über die Seestadt schreiben. Wir freuen uns, wenn das Seestadt.Schreiben von den SeestädterInnen fortgeführt wird. Machen Sie Seestadt-Kultur und gestalten Sie Ihr Grätzl mit! Ihr Stadtteilmanagement-Team Seestadt aspern 5 Die Stadt.SchreiberInnen 2014 (v.l.n.r.): Robert Prosser, Judith Nika Pfeifer, August Staudenmayer 6 Judith Ni ka Pf ei fer geb. 1975, aufgewachsen in Wien und Oberösterreich; Kommunikations- und Sprachwissenschaftlerin; schreibt Lyrik, Prosa und szenische Texte; (transmediale) Kunstprojekte in aller Welt. Preise und Stipendien, u.a. 2012 Reinhard-Priessnitz-Preis. Zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien, u.a. kolik, Literatur und Kritik, zuletzt der Lyrikband nichts ist wichtiger. ding kleines du (Mitter, 2012) zwischen. Prosa (Czernin, 2014) und manchmal passiert auch minutenlang gar nichts (Berger, 2015). Website: www.judithpfeifer.com R o b e rt Prosser geb. 1983 in Tirol; Studium der Komparatistik, Kultur- und Sozialanthropologie; längere Aufenthalte in Asien, in der arabischen Welt und in England; österreichischer Kurator von Babelsprech – Junge deutschsprachige Lyrik. Mehrere Auszeichnungen, zuletzt Aufenthaltsstipendium am Literarischen Colloquium Berlin (LCB) 2014, Grenzgänger-Stipendium der Robert-BoschStiftung 2014, Reinhard-Priessnitz-Preis 2014. 2013 erschien im Klever Verlag der Roman Geister und Tattoos. Website: www.robertprosser.at A u g ust St audenmayer geb. 1961 in Herzogenburg (NÖ.) geboren, lebt seit zwanzig Jahren in Wien; Jobs in den verschiedensten Sparten; Regelmäßige Publikationen im ORF-Radio auf Ö1 und Ö3 seit 1998. 2005/2006: Österreichisches Staatsstipendium für Literatur Letzte Publikationen: Der letzte Tanz Drehbuch (mit Daniel Kundi) – 2014, preisgekrönter Spielfilm von Houchang Allayari; Einfach zum Nachdenken – 2010, Amalthea Verlag, Wien; Der Türspion Roman – 2010, Klever Verlag, Wien; Fiebich Roman – 2007, edition karo, Berlin; Waldschallers Einsatz Episodenroman – 2005, Ritter Verlag; Der Strandgutsammler Kurzgeschichten – 2002, Tyrolia Verlag. 7 Judith Ni ka Pf ei fer der stadtplan endet hier schlägt ein see seine wellen auf Judith Nika Pfeifer 9 nicht alles was polaroid glänzt 1 sonnenuntergang endstation silberstreif 10 ein kobold(!)farbener nachmittag wechselt das wie-wir-leben-wollen hebt uns einen spalt hoch darunter drei fingerbreit kram in kartons ex-geliebte haustiere kleinmobiliar kochgerüche lieblingssongs schön im kreis das wichtigste ist doch der lichteinfall Judith Nika Pfeifer 11 bald schon spalten die häuser licht in schatten put your shadows together until they become one mit einem zitat von yoko ono, shadow piece 1963 12 MENSCHENMACHEN nicht die häuser machen die stadt macht die häuser machen die nachbarn machen die die häuser machen die stadtmenschen Judith Nika Pfeifer 13 es wird es wird es wird es wird 14 da sind sie die kräne die es gibt die kräne die es gibt da sind sie bis sie fallen Judith Nika Pfeifer 15 (situation) so ein see so eine baustelle so eine s/ch/austelle 16 wie eine seestadt sich ausmalen ohne menschen aus dem nichts ohne sich überhaupt etwas auszumalen um dieses nichts herum aus ihm ein loch zu machen dieses loch diese leere diese lochstelle zu umrunden sich den leerstellenräumen anzunähern die das noch-nicht umgeben haben werden: einem noch-nicht-zimmer zwei noch-nicht-zimmern vielen und abervielen noch-nicht-zimmern darin noch-nicht-menschen dazwischen ein zwei drei und mehr noch-nicht-gehwege in dieser einen noch-nicht-ganz-stadt mit den vielen lochstellen die immer weiter niemals ganz befüllt auf keinem see erbaut das zentrum dessen bilden wie eine seestadt sich ausmalen ohne menschen aus dem nichts Judith Nika Pfeifer 17 umzugszeiten je schneller desto imaginärer 18 zwischendurch übersiedeln wir uns das leben zwischendurch übersiedeln wir Judith Nika Pfeifer 19 aus den augenrändern: wo werden die huren sein wo die trunkenen und rauschsuchenden die hochglanzlosen wo die piraten u. bolde der seestadt 20 adjektivator schlagzeug nicht abgehoben bücherregal humorvoll couch begeisterungsfähig verstärker innig handtuch iq-hundertvierzig teppich gutherzig kommode offen schreibtisch schulterlang ipod verwöhnt kiste geistreich ordner feurig jalousie bartlos basilikumplanze reflektiert sieben kleine plastik snoopys weitgereist drucker asiatisch hocker zufrieden sessel unabhängig snowboard community- findend tisch geil strandmatte einfühlsam nachtischlampe gutaussehend küchenkastl vollschlank klemmlampe weltoffen kalender was dran und drin lippbalsam bevorzugt solo stiftebecher zuverlässig brillentui vielseitig taschenlampe ambitioniert teremin schlank schischuhe brünett haartrockner kreativ tischgrill rotblond waffeleisen sportlich haartrimmer dauerhaft zahnbürste südfranzösisch lieblingshäferl gemeinsam wintermantel solo keyboard junggeblieben tuchent kreativ taschenmesser gerundet an den richtigen stellen lattenrost lebensbejahend gießkanne blau nussknacker selbstständig dosenöffner fair zelt erfüllt hängematte entspannt luftmatratze würdig glücksschwein niveauvoll kulturell interessiert ernst gemeint extravagant boho bewusst egozentrisch blaugrau ortsflexibel braungrün entfernt enthaart flexibel berührbar seestadtlandspielflussblumetieressenliebend flink bis gleich Judith Nika Pfeifer 21 gruß aus der bauhaus-stadt weimar in die groß-baustelle aspern 22 die ersten ziehen ein (kurier 04.09.2014) WAS VON DER HAUSWAND für die hauswand dieses haus ist mein und doch nicht mein. der vor mir war, dachte es wäre sein. er zog aus und ich ein. nach meinem tod wird es wieder so sein. bis jahresende werdens 900 sein Judith Nika Pfeifer 23 FÜR DICH ADAPTIEREN was von der hauswand 2 mit edding von a nach b a vor mir gibts nicht (in der seestadt, weil keine häuser da waren) b ziehe ich lieber weiter also aus ohne zu sterben oder ein ohne zu sterben* oder sterbe ein paarmal und ziehe immer wieder ein ins nachbarhaus beispielsweise oder von tür zu tür** vielleicht * unsterblich ** unsterblich verliebt 24 (HANDLUNGSANWEISUNG) zum einzug wer will: nicht zu weit aus dem fenster lehnen einen satz fallen lassen (kein) großes aufhebens drum machen jemandem im ohr bleiben Judith Nika Pfeifer 25 ZUM EINZUG salz brot & wichtig: aspern nicht mit aspen zu verwechseln 26 FLUGSCHREIBEN_LUFTLINIERT* aus dem lavaland in berlin rostrot ziegel holz teer dielen bahnschwellensynapse vorbei vorbei am bolu obst und gemüse granatapfel manouri hack fleisch lamm kürbis knabber röst röst die nussmaschine an der großen videothek vorbei vorbei am späti colorado bier wein popcorn vorbei only left alive lovers unsterblich im kinosaal vorbei am zicken park spiel sand kilometerweit in den süden ins gräsermeer ins sportband in den baumsaum die schwanenblumen die herzstücke in steigende drachen und handgezogene seeküsten striche: [im vorbeiziehen ein paar] obstbäume streuen ps. gärtner-tipp: herbstäpfel lesen und dazu: mein papierener garten von elfriede gerstl *verbindungsachse landschaftsgärtnern (im großen stil) Judith Nika Pfeifer 27 ERRATUM: WAS VON DER HAUSWAND ad. nach meinem tod wird es wieder so sein nach dem tod: wird es wie vorher nur anders also immer und nie wie davor: nach unseren toden beinah wie nach dem umziehen 28 CINÈMA DE PARIS exquisite corps* spielen mit thomas ballhausen, andrea grill, hanno millesi, robert prosser, august staudenmayer und mir selbst andrea sagt, in claires knie, dem film von éríc rohmer, seien die menschen froh am land, weil sie wissen, dass es eine stadt gibt. august sagt, wenn rainer werner fassbinder noch leben würde, würde er folgenden film über die seestadt machen. thomas sagt, ich solle den stadtplan einer beliebigen stadt nehmen, in der ich unterwegs sein möchte. und ein glas mit dem rand nach unten auf einer beliebigen stelle platzieren und den rand des glases vollständig oder in teilen nachzeichnen und versuchen, die vorgegebenen linien möglichst genau abzugehen. hanno sagt, die karten stimmen nicht mehr, die wirklichkeit hat sich verändert. sie warten, dass ich das mit dem glas mache. dass ich mir eine stadt aussuche. ich habe einige städte in der tasche. mein glas ist noch nicht leer. ich trinke aus und warte mit dem umdrehen bis der letzte tropfen verdunstet ist, sonst wird uns noch der ganze plan kaputt, sage ich, der ganze plan mit montréal. ich will ins cinéma de paris, rue sainte catherine ouest, weil sie immer noch über filme reden. das cinéma de paris hatte art film house programm laufen, innen war alles voll mit plüschrotem samt oder samtig dunkelrotem plüsch und alten filmplakaten. auf wien umgelegt: eine mischung aus filmmuseum, votiv kino, burg kino, filmcasino und admiral (kino), vom rot-ton der sitze her: urania-ähnlich, nur plüschiger, liebesrot. ich wohnte quasi ums eck Judith Nika Pfeifer 29 in der rue aylmer. das war nach dem souterrain-zimmer in der avenue mac donald, nach der wg am chemin de la côte ste. catherine und vor der netten gartenwohnung in der rue duluth, ecke drolet. nach der arbeit ging ich zu freunden oder ins kino oder in ein konzert oder mit freunden in ein konzert oder ins kino. nach dem kino/ film gingen wir auf parties oder ins bett oder setzten uns auf die feuerleiter vor meinem küchenfenster oder auf das abgefuckte sofa auf der dachterasse von lauries hausgemeinschaft, rauchten und hatten spaß. das cinéma de paris war cool, und mainstream-menschen hätten seinem charme wenig bis nichts abgewinnen können, es war kein ort für ein mainstream-date. es war der einzige ort in montréal – das rialto hatte geschlossen – an dem auch immer wieder klassiker gezeigt wurden. es war teil der kulturellen stadtlandschaft montréals. ein wahrzeichen für viele. ich bewege das glas über den stadtplan, mache einen kreis. ich dachte, es würde für immer da sein. stattdessen – dana sagt, es war 1997, als der vermieter sich weigerte, das kino zu heizen – hat es für immer geschlossen. hanno sagt erneut, die karten stimmen nicht mehr, die wirklichkeit hat sich verändert. robert sagt, wichtig ist vor allem eins: zeit. ich bewege den glasrand über den mont royal, über die avenue du parc, tam tam, die avenue de l‘esplanade zu philippe und keith. wichtig sind vor allem: zeit, raum und menschen, die in kalten wintern kinosäle beheizen. und solche, die sich erwärmen lassen. ich lege mein glas an den boulevard saint laurent ecke rachel. wir könnten ins patati et patata schauen, auf eine poutine. oder ins eurodeli auf eine pizza. * die zitate der autor_innen sind dem blog seestadt schreiben bzw. dem buch aspern. reise in eine mögliche stadt erschienen 2013 im falter verlag entnommen. ** exquisite corpse bezeichnet eine im surrealismus entwickelte spielerische methode, dem zufall bei der entstehung von texten und bildern raum zu geben. (wikipedia) 30 im nebel viel LEICHT nichts genaugenommen ein frohsein, dass die stimmen nicht kollidieren Judith Nika Pfeifer 31 inside vintage verwirrung keksessen non kitsch eintropf uns verwickelt eine variation 32 so ein movember machts wetter auch nicht besser Judith Nika Pfeifer 33 ein vater hat einen doppelgänger, ist ein eineiiger zwilling. doch, so sehr sich er und sein zwilling auch gleichen, einer ist immer nur ein zerrbild des anderen: der eine ist zimmermann, der andere bienenforscher. der eine heißt josef, der andere jan. josef ist viermal im jahr so richtig traurig: zu ostern, zu weihnachten, am tag der kinderrechte und am 3. dezember. jan bäckt lebkuchen mit süßem bienenhonig und herb-bitteren mandeln und schenkt sie josef, damit er nicht so traurig ist. für ihn ist jesus, als das haupt der propheten, apis super apes: die biene über die bienen. denen wurde auch die süße genommen. und josef schenkt jan ein verbautes bienenhaus nach dem anderen, für noch mehr bienen, damit jan ihnen nicht immer den honig wegnimmt. 34 bald ist weihnacht eine mutter bald (2) heißt maria die bienen bestäuben blumen vade ad apem et disce* von wegen: birds & bees & flowers unbefleckt la nuit est une sorcière** * geh zur biene und lerne! (die biene in der bibel) ** die nacht ist eine zauberin Judith Nika Pfeifer 35 betonblog wohnblog notizblog seestadt-aspern-blog pfeiferblog bloggiert (end) merci & aufmerksamkeit so 36 R o b e rt Prosser Die Großbaustelle Aspern-Seestadt erschafft bleibende Lebensräume. Mich, als Teil des diesjährigen Blog-Trios, interessiert, was in der Gegenwart des Kran- und Zementspektakels, in dessen Abseits zu entdecken ist. In unregelmäßigen Streifzügen, so mein Vorhaben, soll das Gelände durchkreuzt werden, um Geschichten, Meinungen, Geschehnisse zu sammeln. Die Puppenspielerin (Wagensiedlung Gänseblümchen) Anfang Mai, während erste Bäume um den von Klatschmohn rot beflankten See gesetzt werden, quere ich die Schuttanlage, auf der anderen Seite der Bahntrasse gelegen, zu den Gleisen, die im Fabriksareal von General Motors Austria verschwinden. Vorbei an abgestellten Güterwaggons erreiche ich durch kniehohes Gestrüpp die Wagensiedlung Gänseblümchen. (Es gibt eine einfachere Möglichkeit, dorthin zu gelangen, nämlich ab der Ubahnstation Aspern Nord der Ostbahnbegleitstraße Richtung Essling zu folgen, was mir allerdings erst während des Rückweges klar wird.) Anfangs befand sich die aus verschiedensten mobilen Gefährten bestehende Kolonie unweit des nördlich der Großbaustelle gelegenen Parkplatzes, ist nun aber, nach Zwischenstation am Straßenrand, auf einem parallel zu den Gleisen verlaufenden Schotterweg angelangt. Der derzeitige Standort ist ein neuerliches Provisorium, der Vertrag mit der Stadt Wien nur von begrenzter Dauer. Dieses forcierte Wandern der mehr oder weniger ersten Bewohner der Seestadt ist zum Teil auf Meinungsverschiedenheiten mit der “Wien 3420 Aspern Development AG” zurückzuführen, deren Erwähnung im Gänseblümchen nicht unbedingt zu Sympathiebekundung führt, ist ein Wagenmensch (Selbsttitulation) doch kein Nomade per se, sondern sucht eine, mit herkömmlichen WohungsangeRobert Prosser 37 boten zugegeben wenig kompatible, Form selbstbestimmten Lebens. Als ich mich durchs Gestrüpp am Rand des Ackers kämpfe, werde ich von A. neugierig beobachtet. Na, wo kommst du denn her? fragt sie mich, auf der Außentreppe eines blaugelb bemalten Zirkuswagens stehend. Es beginnt leicht zu regnen und sie lädt mich in ihren nebenan stehenden Bus ein, zu einer Tasse Tee mit frisch gepflückten Hollerblüten. A. ist erst seit kurzem im Gänseblümchen wohnhaft. Den Wagen hat sie für 800€ vom Circus Belly gekauft, eine verschimmelte, rollende Baustelle mit undichtem Dach, die sie bis zum nächsten Winter auf Vordermann gebracht haben will. Seit 8 Jahren, erzählt sie, ist sie im Bus unterwegs, als Zirkuspädagogin Schulen abklappernd, um den Kindern das Artisten-Dasein vorzustellen. Als Puppenspielerin wirkt sie freischaffend, flexibel wie der Lebensstandort zeigt sich ihre Kunstfertigkeit: Handpuppen, Schuhschachteltheater und eine große Klamaukpuppe sind die Darsteller eines Repertoires, das selbstverfasste wie fremde Stoffe beinhaltet. Eine ihrer eigenen Geschichten erzählt von einer Hexe mit Katzenallergie, was diese in einer Märchenwelt, in der die Prinzessin ihren Frosch und der König seine Königin hat, zu Monologen verleitet, die um erzwungene Einsamkeit kreisen. Aufgewachsen in Rheinland-Pfalz kaufte sie sich nach dem Studium den Bus, in welchen wir sitzen, um drauflos zu fahren mit dem Ziel, ihren Platz im Leben zu entdecken. Das Resultat nach acht Jahren: sie hat viel Leben gefunden und ebenso viele Plätze, jedoch keinen fixen Standort. Als Konstante, egal ob in England, Spanien oder Israel, ob sommers im Norden oder winters im Süden, blieb der Bus. Den vor kurzem gefassten Entschluss, sesshaft zu werden, möchte sie mithilfe des eigenhändig reparierten Zirkuswagens umsetzen, der Ideale und der in Wien begegneten Liebe wegen. Es gibt, sagt A. und man spürt die Überzeugung, die in ihren Worten steckt, nichts schöneres, als im Wagen zu leben, es ist ehrlich und aufrichtig, weil man die Natur anders, näher wahrnehmen kann. Kurz darauf bricht das Gewitter los, die von Schwechat kommenden oder dorthin steuernden Flugzeuge verschwinden in den tiefhängenden Wolken, und sie öffnet die Schiebetür des Busses einen Spalt weit auf tropfnasse Wiesen und Äcker, die in den nächsten Jahrzehnten zur Seestadt verbaut werden, noch aber, für ein Unwetter zumindest, die Ansichten A.s glaubhaft bestätigen. 38 Wichtig ist vor allem eins: Zeit. Wenn sie hier ist, sagt A., spürt sie, wie reich sie ist, weil ihr Alltag sich an natürliche Rhythmen orientieren darf, die das hektische Stadtzentrum verwehrt. Von Mietkosten befreit, lässt es sich in einer Art leben, die über wenig Besitz und viel Raum zur Selbstentfaltung verfügt. Das, sagt A., macht einige Menschen neugierig, andere dagegen reagieren ablehnend, vielleicht, vermutet sie, aufgrund altbekannter, rechtspopulistisch angeheizter Klischees. (Das im Gänseblümchen anzutreffende soziale Spektrum ist in Wahrheit, scheint mir, ebenso vielfältig wie jenes, das in der Seestadt zu finden sein wird.) Den Nachbarn der hinter Bahndamm und Wald gelegenen Häuserreihen ist die Ansammlung der Wägen in erster Linie suspekt. Vor kurzem kam einer von ihnen vorbei, der erste, der sich ein eigenes Bild machen wollte. Er blieb einige Stunden und reagierte auf das Gänseblümchen wie Allergiker auf Pollenflug, allerdings im verkehrten, sprich äußerst positiven Sinne. Früher hingen Puppenspieler, kamen sie in eine neue Stadt, weiße Wäsche aus ihren Wägen, um zu zeigen, dass man nichts von ihnen zu befürchten habe, erzählt A. – heute wäre ein Gespräch, der Wille zum gegenseitigen Kennenlernen, nötig. Robert Prosser 39 Der Highlander Auf der Wiese zwischen Flederhaus und See steht Ende Mai ein bärtiger Mann mit nacktem Oberkörper. Er wuchtet einen Baumstamm hoch, wirft diesen weit von sich. Kurz durchgeatmet, dann beginnt das Schauspiel von neuem. Auf meine Nachfrage hin stellt sich der junge Mann als Highlander vor, gebürtig aus Rumänien, der hier mit sieben Gleichgesinnten für die klassischen Bewerbe dieser Sportart trainiert. In einer mit blauer Plastikfolie bespannten Holztruhe am Feldrand wird die Ausrüstung verwahrt, größtenteils verschiedenste Gewichte, die ihrerseits übers Gras geworfen werden. Der Stamm ist fünf Meter lang, wiegt 45 Kilogramm und muss in der Luft eine 360 Grad-Drehung absolvieren, erst dann ist der „Caber Toss“ erfolgreich. Stone put (Steinstoßen), Scottish Hammer Throw (Hammerwerfen, aber schottisch, d.h. das Eisen wird mit einer Körperdrehung möglichst weit geworfen, ohne dass sich die Füße vom Boden bewegen), Weight over the bar (ein Gewicht wird einhändig über eine Latte befördert) und Weight Throw (Gewichtwerfen) nennen sich die restlichen Bewerbe, die die Highland-Athletik definieren. Sheaf Toss, das Werfen eines Heu- oder Strohballens über eine in der Höhe angebrachte Latte, ist zwar ein bei der Menge beliebtes Spektakel, jedoch sind sich Sport-Historiker, bzw. Vertreter der Highland-Tradition unsicher, ob dieses tatsächlich zu den klassischen Formen gezählt werden darf und sich nicht vielmehr über Kirmes und Volksfest ins Repertoire geschlichen hat. Ursprünglich dazu gedacht, den keltischen Königen die stärksten und schnellsten Gefolgsleute zu finden, hat sich daraus, erzählt mir der rumänische Highlander, längst eine eigenständige Sportart entwickelt, die auch fern von Schottland zahlreiche Liebhaber findet. Zu den Wettkämpfen in Wien und Umgebung reisen beispielsweise Konkurrenten aus Ungarn, Tschechien und der Slowakei an – zu solchen Anlässen wird Kilt getragen. Von LKWs aufgewirbelter Staub zieht über die Wiese und der Highlander erzählt weiter, vor einem Jahr den Entschluss gefasst zu haben, in dieser Sportart mehr als nur ein Hobby zu sehen. Die erste Station, um die Professionalität zu erreichen, nimmt er diesen September in Angriff, wenn die in Aspern trainierenden Sportler zu den bekanntesten Bewerben reisen, den „Scottisch Highland Games“ in Braemar, wo, ob der Nähe zur royalen Sommerresidenz, die Anwesenheit von Königin Elisabeth II. zu erwarten ist. 40 Der Gärtner Nördlich der Baustelle, zwischen Zufahrtsstraße und Acker, liegt das Sprungbrett, ein auf ehrenamtlicher Mitarbeit basierendes Experimentierfeld für alternative Wohn- und Lebensformen. Ein auf dem Gelände angetroffener Mann, der hauptberuflich als Gärtner arbeitet und seine Expertise in verschiedensten Beeten und Pflanzungen zur Anwendung bringt, ist sich des historischen Hintergrundes von Aspern bewusst. Gerade hier, an einem von Napoleon oder den Nationalsozialisten geprägten Ort kriegerischer Auseinandersetzungen und Besitznahmen, drängen sich, so der Gärtner, Fragen nach einem friedlichen Zusammenleben auf. Wie kann der Einzelne in naher Zukunft trotz knapper Ressourcen ein qualitativ hochwertiges Leben führen? Die Vielfalt der Ansätze und Fragestellungen spiegelt sich in jener der Baumarten: Pappeln, Weide, Rubinien, Schlehe, Holler, Weißdorn, Kirschen, Ahorn, Walnuss, Marillen, Wildrosen, Haselnuss bilden eine von Weitem sichtbare Insel im Gräsermeer. Es ist ein temporär existierender Ort, der der expandierenden Baustelle wird weichen müssen. Der Gärtner sieht im Sprungbrett einen Beitrag zur Stadtentwicklung, ein Labor für zukunftsfähige Lebensstile. Hier treffen sich Architekten, Weltreisende, Bobos. Ein bürgerliches, auf Nachhaltigkeit fokussiertes Bewusstsein vermischt sich mit der DIY-Mentalität von Aussteigern. Der Open-Source-Gedanke zählt: Projekte und Ideen sind von allen Seiten willkommen, deren Ergebnisse wiederum stehen der Gemeinschaft zur Verfügung. Eine durch Europa tingelnde Delegation des US-amerikanischen, popkulturell ikonisch verehrten Burning Man Festivals feierte hier das Erntedank-Fest, kurz quartierte sich ein aus der Stadt geflohener Obdachlose ein. Hopi-Rituale finden, wie auch der monatlich einmal abgehaltene Feuertanz, rege Anhängerschaft. In den Beeten wachsen Melonen, Artischocken, Erdmandeln oder Raritäten wie alte Tomatensorten. Der Biomeiler wärmt die verschiedensten, zum Teil aus Hanflehm erbauten Behausungen. Ist die Energie des Biomeilers nach zwei Jahren aufgebracht, kann er als Hochbeet für Kürbis, Paprika und Gurken verwendet werden. In den Augen des Gärtners ist das Sprungbrett eine Oase zwischen Beton und Äcker-Monokultur. Seine Vision ist es, dass diese Oase sich in einen Park für die Seestadt transformiert. Einer der abgestellten Wohnwägen dient als Atelier der Regisseurin Steffi Franz, Robert Prosser 41 deren jüngste filmische Arbeit die Wohnwagensiedlung Gänseblümchen (s. „Die Puppenspielerin“) samt nachbarschaftlicher Großbaustelle zum Inhalt hatte. Die Dokumentation trägt einen Titel, der auch zum Sprungbrett und dem dortigen Experimentieren und Staubaufwerfen passt wie kaum ein anderes Motto: Dreck ist Freiheit. Der Gärtner (Teil 2) Die Materialien, die im Sprungbrett weiterverarbeitet werden, stammen mitunter von Arbeitern, die, vom Erfindergeist angetan, vorbeibringen, was auf dem Seestadt-Baugelände sonst am Müll landet: zerdellte Rohre, gesplitterte Latten, verbogene Eisengitter. Vor zwei Jahren, erzählt der Gärtner, war er bei einer Frühlingsfeier erstmalig am Gelände. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine Ubahn-Station, der Weg nach Aspern war mit entsprechendem Aufwand verbunden. Zwischen Bäumen und Strauchwerk stand einzig eine auf einer Holzplattform errichtete Jurte, worin man sich traf, um Kontakte zu knüpfen, Pläne auszuhecken. Viele, die ähnlich ihm selbst durchs Hörensagen das Sprungbrett mit Begeisterung entdeckt hatten, fehlte es am Knowhow, ihre Ideen alternativer Lebensart umzusetzen. Etliche planten mit Eifer zukünftige Projekte, nach demotivierenden Stunden im Feld samt regendurchnässter Kleidung und im Schlamm steckenden Stiefeln, verließ sie jedoch das Durchhaltevermögen. Seither fand nicht nur die U2 hierher, sondern auch, ohne dass es auf der nur wenigen Meter entfernten Großbaustelle bemerkt worden wäre, eine Riege illustrer Gäste, die von allfälligen Widrigkeiten nicht unterzukriegen ist: Von einer Reisegemeinschaft namens Duna-Vision, die sechs Monaten lang dem Lauf der Donau folgte, vom Ursprung bis zur Mündung ins Schwarze Meer, über eine Gruppe, die von Stockholm bis nach Athen zu Fuß ging, bis hin zur weltweit tätigen Rainbow-Community, die ein naturnahes, zivilisationsfernes Dasein propagiert – diese und einige mehr, wie Pilger beispielsweise, die von heiligen Stätten Asiens gekommen einen Ort zum Durchatmen suchten, bevor sie endgültig in die vor langem verlassene Heimat zurückkehrten, machten auf den 42 Asperner Äckern Halt. Im Windschatten der Baustelle geschah und geschieht ein Kulturaustausch, den man in dieser Vielfalt an anderen Orten Wiens erst finden müsste. Der Gärtner fragt sich, ob es möglich sein wird, trotz der Wohnblocks die vielfältige Tierwelt Asperns zu bewahren. Ums Sprungbrett, von den Ubahnstationen über die Baustelle bis zu den Siedlungsstraßen, teilen sich Fasane, Feldhamster, Eidechsen, Kröten, Weinbergschnecken und verschiedenste Greifvögel ihre Reviere. Die Seestadt, betont er, ist ein Stadtentwicklungsprojekt, das auf einem Areal mit enormen Artenreichtum umgesetzt wird. Und das, gibt der Gärtner zu bedenken, obwohl die Äcker vom Herbst bis ins Frühjahr einer Dreckwüste gleichen. In dieser Hälfte des Jahres, wenn kein Getreide wächst, sich keine Halmspitzen im Wind wiegen, zeigt sich die in Aspern gepflegte, agraische Monokultur in all ihrer Hässlichkeit. Was der Gärtner dagegen schätzt, ist die Dynamik, die das Sprungbrett erlaubt. Knapp war er davor, aus Wien fortzuziehen, doch als sich die Möglichkeit ergab, hier mitzuwirken, änderte er seine Entscheidung. In der Randzone handelt und denkt man anders als im historisch überfrachteten, unterm Habsburger-Erbe erstickendem Zentrum Wiens, ein Schaffensdrang, sagt der Gärtner, der höchstens unterbrochen wird, wenn der Entminungsdienst durch die Felder kurvt, auf der Suche nach Altlasten des Zweiten Weltkrieges. Robert Prosser 43 Der Cricketspieler Ein Freitag Abend Mitte Oktober, das Flederhaus grün erleuchtet. Zwischen Baucontainern und See nützen vierzehn Inder die freie Fläche und spielen Cricket unter provisorisch montierten Laternen. Es dämmert, die Station Aspern Nord erscheint aus der Entfernung wie ein riesiges, glühendes Nest im dunkler werdenden Gras, der Wind fegt um die zur Ubahn eilenden Bauarbeiter, in Jacken verpackt und die Kapuzen hochgezogen, während die Inder aufgehitzt, mitgerissen vom Spiel höchstens in Tshirt dem Ball nachhetzen oder den breiten Schläger schwingen. Sie schreien, jubeln, fluchen, und ich muss mir eingestehen, dass Cricket vielleicht doch nicht jener todlangweilige Sport ist, für den ich ihn bisher gehalten habe. Aus dem Rechteck des Laternenlichts saust der Ball in hohem Bogen in die Wiese und erzwingt eine Pause, in welcher mir einer der Cricketspieler, ein im 22. Bezirk aufgewachsener 20jähriger namens Rahul, von Amritsar erzählt, der Heimatstadt seiner Eltern und Metropole des Punjabs, die er vergangenes Frühjahr erstmals besucht hat. Mich selbst verschlug es im April 2010 dorthin, und zwischen Rahul und mir entspinnt sich gemeinsames Evozieren der buntbemalten, Militärmärsche hupenden Trucks, der vor Hitze glänzenden, schwarzen Büffel am Straßenrand, wie die Vororte sich bündeln zum von Autorikschas verstopften, lärmenden Zentrum, wo im Innern eines aus weißen Marmor gemeißelten Rechtecks aus Gebäuden, Türmen und Promenaden ein blitzsauber ins Steinbecken geflößter, mit Schwimmverbot belegter See liegt, in dessen Mitte wiederum, einzig über einen Steg von der südlichen Seite aus zu erreichen, das Heiligtum der Sikhs aufragt: Der Goldene Tempel. Aus sämtlichen Weltecken, wohin auch immer die Emigration führte, reisen die Gläubigen an, paradieren über die Hauptstraße, vorbei an sündteuren Cafés und Pizzerias; Souvenirshops finden sich selbst innerhalb der Eingangstore und manche Pilger verbeugen sich bereits hier, legen sich wie in Anbetung der Kaufkraft bäuchlings auf den Boden. Ich erinnere mich der tausenden Menschen und der tiefen, eigentümlich schläfrigen Einheit, die diese Tage und Wochen bei freier Kost im Tempel verbringen, in den kleinen Parks und unter Torbögen am Wasser rasten, Jahreslöhne als freiwillige Spende abgespart im Gepäck, stündlich die Kammern der Priester und allabendlich die Zeremonie abklappern, wenn das heilige, goldene Buch aus dem 44 Tempel getragen und am nächsten Morgen unter Fanfaren wieder hinein begleitet wird. Der Cricketspieler berichtete per Iphone seinen Freunden zuhaus in Wien von den Geschehnissen im Goldenen Tempel, wie manche mit ihren Neugeborenen auf weißen Steinböden in Innenhöfen oder nahe der belagerten Reihe von Latrinen schliefen, während die im Marmor gespeicherte Tageshitze mit Einbruch der Dämmerung auszustrahlen begann und die durcheinander gewürfelten Körper wärmte. Dreimal täglich liefen Freiwillige im Essenssaal durch die Reihen der am Boden sitzenden Menschen, schöpften aus Eimern Linsen und Reis in die vor den Wartenden liegenden Aluminiumtableaus, und er erinnert sich an die in dunkles Blau gewandeten Wächter, die den Anstand verteidigten, Händchenhalten und jede andere Art der Berührung verboten, fehlende Kopfbedeckung, sei es ein Turban oder die ausgeteilten orangen Tücher, mit erhobenen Augenbrauen und Stöcken, mit lauten Stimmen und Rauswurf ahndeten. Unentwegt drangen aus den Lautsprechern die Gesänge der Priester in Schlaf oder Andacht, ununterbrochen vorgetragener aus dem Buch Guru Granth Sahib, verfasst in Gurmukhi, einer eigens dafür entwickelten Sprache. Mir selbst blieb vor allem der Eintritt durchs westliche Tor im Gedächtnis, vorbei an der Gemeinschaftsküche, an deren Hintereingang jeden Morgen die gespendeten Tonnen von Gemüse und Reis abgeladen wurden, wo sich der Priestersingsang mit den klappernden Geräuschen des Abwasches vermischte, da tausend Aluminiumtableaus ins Spülwasser der Bottiche tauchten und einen trommelnden, hypnotischen Rhythmus bildeten. Ob er sich vorstellen kann, in Aspern zu wohnen, frage ich ihn, bevor das Cricketspiel ihn wieder mit sich reißt. Rahul zuckt mit der Schulter, deutet auf die am Abend unkenntlichen Schemen der Wohnblöcke, wenigstens, sagt er, sind jetzt Fenster drin und wirken die Häuser nicht mehr so trostlos. Robert Prosser 45 Der Sprayer Der Geruch der Flämarbeiten zieht von den Dächern übers Rollfeld. Eine Gruppe Studenten betrachtet vom Aussichtspunkt am östlichen Seeufer die Baustelle, der Wind macht es unmöglich, die Ausführungen des Dozenten zu verstehen, der übers Wasser deutet. Das Sprungbrett zeigt sich verlassen hinter kahlem Gestrüpp, auf dem Parkplatz davor viele Bauwägen, weiße von Strabag und grüne von Porr, die, denke ich mir, als Behausung in der Wagensiedlung Gänseblümchen sicherlich heißbegehrt wären. Die Gebäude wirken zunehmend vollendet, erhalten durch die jüngst eingesetzten Fensterscheiben eine vorstellbare Wohnlichkeit, oder, wie August Staudenmayer einmal anmerkte: Die Fenster sind wie Augen, Häuser kriegen erst dadurch eine Seele. Gegen Jahresende sollen rund 6000 Menschen hier leben und die seit Mitte der 1990er laufenden Planungen der Seestadt in eine neue Phase lenken. Es entstehen Technologie-Cluster und Gebetsräume, Anbindungen für sechs Buslinien und zwei Straßenbahnstationen, 240 Hektar im Gesamten und davon wiederum 70 Hektar Grünflächen, so künden es zumindest die im Infopoint erhältlichen Prospekte an. Was, frage ich mich, wünscht und erwartet sich jemand, der in die Seestadt zieht? In der Wochenendausgabe der Tageszeitung Der Standard (30. / 31. August 2014) beginnt ein Artikel mit der Überschrift „Wie Wien 100.000 neue Wohnungen schaffen will“ wie folgt: Wenn die Seestadt Aspern fertig ist, wird Wien zwei Millionen Einwohner haben. Ein kausaler Zusammenhang besteht aber nur bedingt: Schließlich wird die Seestadt nur etwa acht Prozent der dann rund 250.000 neuen Wienerinnen und Wiener beherbergen können. Der große Rest muss woanders unterkommen. „Eigentlich bräuchten wir zehn Aspern“, sagte deshalb TU-Stadtforscher Rudolf Giffinger kürzlich zum Standard... usw. usf. Vorm temporären Sitz des Jugendclubs nahe des Flederhauses treffe ich einen jungen Mann, der auf den Baucontainer gemalte Graffitis fotografiert. Von dir? frage ich und er verneint, der kleine Bruder eines Bekannten hätte es gemacht. Ich mal schon ein wenig länger, sagt er und belässt es dann, wie es zu seinem Metier gehört, bei einem Lächeln und Achselzucken, als ich ihn frage, ob er legal oder illegal unterwegs sei. Ich seh hier einen Haufen Möglichkeiten, meint er, und zeigt in weitem Bogen über Baustelle und Ubahntrasse. Allein die Pfeiler dort, sagt er und deutet auf die Betonpfosten, die sich bis nach Aspern Nord zie46 hen und auf sich die U2 befördern. Und nächsten Sommer kann man hier auch schwimmen, setzt er nach und zieht sich die Kapuze ins Gesicht. Robert Prosser 47 Der Glaser Ich will ungestört leben, wie und wo es mir taugt, sagte die Puppenspielerin im Gänseblümchen. Ich will nach Schottland und Stämme werfen, sagte der gebürtige Rumäne auf der Wiese zwischen U2-Station und Baustelle. Ich will Sortenvielfalt und anpflanzen was möglich ist und der Boden zulässt, sagte der Gärtner vom Sprungbrett und setzte nach: Ich will, dass viele Leut sich anschauen, was wir machen und eigene Ideen mitbringen. Ich will reisen, sagte Rahul, der 20jährige Sohn indischer Einwanderer, und mehr von der Welt sehen als Wien. Was ich will, geht dich nichts an, sagte der Graffiti-Sprayer. Mitte Dezember geh ich ein letztes Mal die Baustelle ab. Die Kantine „Big Mama“ ist vom Rand der breiten, die Seestadt durchkreuzenden Straße verschwunden, der Restaurant-Container einem Laternenpfahl gewichen. In der Wagensiedlung wurde, bleibt zu hoffen, genug Holz herangeschafft, falls wider Erwarten der Winter einbricht. Die Gemüse- und sonstigen Pflanzen des Sprungbretts sind bestimmt in einem Keller zwischengelagert. Die Highlander trainieren bei jeder Witterung, und so lange das ehemalige Flugfeld nicht vereist ist, laufen die abendlichen Kricket-Turniere auf Hochtouren. Vorm Shop, der einige Schritte von der Baustelle entfernt in Richtung Ubahn liegt, nippt ein Arbeiter an einer Dose RedBull und beobachtet, wie die untergehende Sonne den bewölken Himmel über der Fabrik rötlich färbt. Nächste Woche endlich Feiertage, sagt er, und dann mal heim nach Ungarn. Seit einigen Tagen zweifelt er am Sinn des Ganzen. Klingt schön: Arbeit in Österreich, Haus am Balaton. Letztens sei er aber am Christkindlmarkt im Ersten gewesen, beim Michaelerplatz. Die Arbeit dieses Tages war erledigt, die nächsten Fenster sollten erst am Tag darauf geliefert werden, und was böte sich mehr ans, als mit Glühwein und einem Spaziergang durch die Wiener Altstadt in den frühen Feierabend zu starten. Vorm Marktstand hörte er im Gedränge einen dumpfen Schlag und dachte sich nichts dabei. Jemand rempelte ihn an, raunte ihm zu, er soll sehen, dass er weg kommt. Verärgert, weil er Glühwein verschüttet hatte, drehte er sich um und sah den Security, der bis gerade eben den Juwelier gegenüber bewacht hatte, am Pflasterstein liegen, den Kopf in einer Blutlache. Im Inneren des Geschäfts ein vermummter Mann mit Pistole, ein zweiter griff in die Auslage und stopfte sämtliche Rolex-Uhren mit flinken Bewegungen in eine Sporttasche. Sirenen näher48 ten sich, der eine steckte die Waffe ein, rannte den Kohlmarkt runter, der andere schulterte die Tasche und floh in die Herrengasse. Das erste Polizeiauto kam vom Heldenplatz, hielt mit quietschenden Reifen, wie im Film, erzählte er, es bremste und schlitterte einige Meter weiter. Um den Wachmann kümmerte sich niemand, weitere Polizeieinheiten rasten heran, aber umsonst, die Täter waren fort, stand am nächsten Tag in der Zeitung. Ich bin nur dagestanden und hab zugesehen, sagte er. Ich und jeder andere am Christkindlmarkt. War gesteckt voll, aber wie die abgehauen sind, gingen alle zur Seite, drückten sich an die Hauswände und machten Platz. Ich arbeite seit fast zwanzig Jahren als Glaser. In Österreich, Deutschland, der Schweiz, wo auch immer. Zwanzig Jahre. Die zwei haben nicht mal zwei Minuten gebraucht und sicher mehr Geld gemacht wie ich in nochmals zwanzig Jahren. Trauen müsste man sich halt. Robert Prosser 49 A u g ust St audenmayer Mein erster Gedanke war: Wenn Rainer Werner Fassbinder noch leben würde, würde er folgenden Film über die Seestadt machen. Ich stand da. Auf dem ehemaligen Flugfeld aus dem zweiten Weltkrieg, wo die Nazibomber rollten. Zwischen mir und der Großbaustelle standen in einem Dreieck drei Menschen. Eine Frau, hinter ihr zwei Männer. Sie hatten ihren Blick auf das Rohbauensemble mit den vielen Baukränen gerichtet. Minuten lang. Dann plötzlich – der linke Mann sah einer Krähe nach, der rechte einem Flugzeug, die Frau an der Spitze reagierte auf den Pfiff eines Bauarbeiters. Sie drehte sich um und sah den Mann rechts hinter sich erwartungsvoll an, ich glaube, sie nannte ihn sogar mit einer langsamen Bewegung ihres Kiefers Franz. Franz warf seine Kippe auf die Rollbahn und zündete sich eine neue an. So standen sie. So blickten sie. Wie in einem Film von Rainer Werner Fassbinder. Szene, Büro, Modegeschäft Natürlich soll auch in der neu entstehenden Seestadt im Nordosten Wiens eine Filiale dieser internationalen Modekette eröffnet werden, wenn es so weit ist – in der geplanten Einkaufsstraße. Der Filialleiter dafür steht schon fest. Ein Arbeitsloser lässt sich auf den schwulen Filialleiter ein, obwohl er selbst gar nicht schwul ist, nur um eine Stelle als Verkäufer zu kriegen. Arbeitsloser: Ich mache nichts Intimes mit Männern. Filialleiter: Aber Sie wollen die Arbeit, oder? Arbeitsloser: Und die Liebe? Filialleiter: Kommt auf den Vertrag an. Und der kann auch mündlich sein. August Staudenmayer 51 Szene, Wiener U-Bahn U 2, Fahrerkabine Die U-Bahn macht auf hoher Trasse einen weiten Bogen um die Seestadt, bevor sie sich auf sie einlässt und Halt macht. Die U-Bahn fährt bremsend in die Station „Seestadt“ ein. Der Fahrer stöhnt auf, in seinem Schoß liegt der Kopf eines Mannes. Durchsage über die Lautsprecher: „Endstation, bitte alle aussteigen.“ Die Tür öffnet sich, der Mann hüpft aus der Kabine und zündet sich sofort eine Zigarette an, geht aber noch einmal zurück und küsst den Fahrer kurz und heftig. Szene, Seestadt, Baugelände Der Filialleiter (= der Mann, der den U-Bahnfahrer oral verwöhnt hat) wartet vor der Großbaustelle auf der riesigen betonierten Fläche (dem ehemaligen Flugfeld, wo die Nazibomber landeten), eine Zigarette rauchend. Er blickt auf die Baukräne, zählt sie, kommt bis dreißig. Eine Frau nähert sich ihm von hinten. Szene, Seestadt, Rundweg um die Großbaustelle Der Filialleiter und die Frau gehen nebeneinander her. Der Weg ist schotterig uneben und erdig, aber trocken. Der Filialleiter raucht. Frau: Ich weiß etwas … ich habe Unterlagen, dass Sie Ihre Firma in den letzten zwei Jahren um einige tausend Euro betrogen haben. Sie haben einfach bei den Tagesabrechnungen Ihrer Filiale herumgetrickst. Filialleiter (einen tiefen Zug nehmend): Woher wissen Sie das? Frau: Sie müssen Ihre Buchhalterin netter behandeln. Filialleiter: Und was wollen Sie jetzt? Frau: Dass Sie meinen Mann einstellen, ohne dass er mit Ihnen schlafen muss. Filialleiter: Warum tun Sie das? Ist Ihnen das nicht zu gefährlich? Frau: Außerdem will ich, dass Sie meinen Mann zu Ihrem Stellvertreter machen. Vorerst. Nennen Sie es, wie Sie wollen. Für später werden wir sehen. Sie bleiben vor einer Baumgruppe neben den Containerbehausungen der Bauarbei52 ter stehen, sehen sich um, saugen die Luft ein. Der Filialleiter tritt seine Zigarette aus. Filialleiter: Ich liebe diese Pappeln. Frau: Wieso? Filialleiter: Weil sie so gotisch sind. Frau: Und? Filialleiter: Weil sie in den Himmel wachsen. Frau (muss wegen plötzlichen Flugzeuglärms schreien): Um mit den Flugzeugen zusammen zu stoßen? Wir befinden uns offenbar in einer Einflugschneise. Filialleiter (im Normalton): Der richtige Ort für ein Drama. Frau (nach einer Pause): Jedenfalls ein wunderbarer Standort für die Karriere meines Mannes. Und es ist genügend Platz. Ich persönlich mag Weiden lieber. Filialleiter (zündet sich eine neue Zigarette an): Leider ist er nicht schwul. Frau: Wenn ich irgendwie davon profitieren würde, könnte er es vielleicht werden. In Ausnahmefällen. Sie grinst ihn (mit ihren großen Zähnen an) an. Sie gehen weiter. Szene, Büro, Modegeschäft Der Filialleiter und der Arbeitslose sitzen sich gegenüber. Filialleiter: Sie haben den Job. Willkommen in unserem Unternehmen. Er steht auf und hält seine Hand hin. Der Arbeitslose bleibt sitzen, bevor er langsam aufsteht. Er greift in seine Jackentasche und zieht einen Revolver heraus. Arbeitsloser: Wenn Sie mich noch einmal berühren … August Staudenmayer 53 Szene, Rückblende, Wohnung, Vorzimmergarderobe Die Frau des Arbeitslosen geht an die Jacke ihres Mannes, zieht seinen Revolver heraus, öffnet die Patronenkammer und entnimmt ihr alle Patronen. Dann steckt sie den Revolver zurück in die Jackentasche ihres Mannes. Szene, Büro, Modegeschäft Arbeitsloser (hält den Revolver auf den Filialleiter gerichtet): … dann kracht’s. Damit Sie sehen, wie ernst ich es meine. Der Filialleiter geht um den Schreibtisch herum, erfasst den Arbeitslosen im Genick, zieht ihn zu sich und küsst ihn heftig mit der Zunge. Der Arbeitslose lässt es über sich ergehen, drückt ab, es macht nur Klick, sechs Mal Klick. Filialleiter: Willkommen in meiner Filiale. Szene, Seestadt, Baugelände Einige Kräne drehen ihre Arme hin und her, gleich schlanken Tänzern mit tonnenschwerer Last. Hämmern, Bohren, Schlagen, Sägen, Schrauben, Krachen, Aufheulen von Motoren … Filialleiter (schreit wegen des Baulärms): Wenn du sofort einen Job brauchst, kann ich dir vielleicht einen vorübergehend auf der Baustelle verschaffen. Ich kenne den Polier von … (er zeigt auf den hintersten Abschnitt der Baustelle) … dort. Arbeitsloser (schreit): Auf dem Bau? Filialleiter (schreit): Hilfe ist überall nötig. Arbeitsloser (schreit): Als Hilfsarbeiter. Filialleiter (nimmt seine Hand): Deine schönen zarten Hände werden dann rau und aufgeplatzt sein. Arbeitsloser (schreit): Meine Tochter ist krank. Die Medikamente sind teuer. Ich nehme jeden Job. 54 Der Filialleiter küsst die Hand des Arbeitslosen. Ein Arbeiter vom nahen Rohbau sieht aus dem dritten Stock zu ihnen herunter und macht obszöne Gesten. Szene, Wohnung des Arbeitslosen und seiner Frau Die Frau zieht sich gerade an. Der Filialleiter steht am Fenster und raucht. Filialleiter: Habt ihr eine Tochter? Frau: Wir haben keine Kinder. Filialleiter: Hat er eine Tochter? Frau: Wenn er Geheimnisse hat, ist alles möglich. Aber das glaube ich nicht. Filialleiter: Dann versteh ich nicht, warum er sich auf dem Bau schinden lässt. Frau: Er ist ein Idiot. Filialleiter: Ich hab ihm versprochen, dass er in den Verkauf kommt. Frau: Aber er ist mein Idiot. Filialleiter: Aber … ich müsste ihm jeden Tag in die Augen sehen … und auch an dich denken. Frau: Mach mir bitte mein Kleid zu. Filialleiter: Du riechst nach diesem anderen Idioten. Frau: Der ist immerhin dein Chef. Der Oberste, hast du gesagt. Filialleiter: Ihr Frauen macht weder nach unten noch nach oben Halt. Frau: Halt gibt es bei uns keinen. Szene, Hinterzimmer in einem türkisch-griechischen Lokal Die Firmenfeier ist in vollem Gange. Musik, Alkohol usw., die Hemmungen schwinden. Der Filialleiter zieht den neuen Mitarbeiter im Verkauf an sich und zeigt damit öffentlich, wie es um ihn und den Neuen steht. Er bekennt sich zu ihm und zu ihrem Verhältnis. Verkäufer (strahlt): Das hab ich nicht geglaubt. Filialleiter: Siehst du, jeden Tag eine neue Überraschung. August Staudenmayer 55 Verkäufer: Und was kommt als nächstes? Filialleiter: Wir entführen den Konzernchef. Wenn er in die Stadt kommt. Verkäufer: Das ist jetzt aber Spaß. Der Filialleiter beginnt mit ihm eng zu tanzen, worauf auch die anderen Mitarbeiter zu tanzen anfangen. Erst nur Männer mit Frauen, dann Frauen mit Frauen, dann auch Männer mit Männern. Andere Gäste im Lokal, vor allem männliche, reagieren darauf bösartig, rufen dem Grüppchen Schimpfwörter zu, wie zum Beispiel: Schwule Säue! Szene, Wiener Innenstadt Es ist Nacht, die Frau des Verkäufers (gut gekleidet und mit hochhakigen Schuhen) kommt mit einem noblen Mann Mitte sechzig aus einem Luxusrestaurant, sie gehen ein Stück den Gehsteig entlang. Sie hakt sich bei ihm unter. Der Mann spricht schwedischen Akzent. Frau: Sehen Sie, mein Guter, das sind alles theoretische Überlegungen. Ich aber spreche von praktischen Erfahrungen. Mann: Wenn Sie nur davon sprechen, werden sie nie praktisch. Er will sie küssen, sie wehrt ihn ab. Mann: Wir sagen noch nicht einmal Du zueinander. Frau: Ich fürchte, wenn wir uns duzen, war das schon der Höhepunkt. Mann: Das läge an Ihnen. Frau: Ist das nicht Ihr Porsche? Mann: Theoretisch schon. Frau: Lassen Sie mich fahren? Er gibt ihr den Schlüssel, schwankt plötzlich ein wenig. Er greift sich an den Kopf. Frau (ihre großen Zähne blitzen im Mondlicht auf): Was ist mit Ihnen? 56 Er steigt ein, versinkt im Beifahrersitz, und schläft augenblicklich ein. Sie startet grinsend den Motor. Szene Eine (audio-visuelle) Collage aus Presseberichten in den Zeitungen und Fernsehund Radioberichten von der Entführung des schwedischen Konzernchefs einer internationalen Modekette in Wien. Szene, Blick auf die Seestadt, Fokus auf eine kleine Bauhütte im Westen des Baugeländes Die Tür geht auf, der Blick führt hinein, auf dem Boden an der hinteren Hüttenwand kauert gefesselt und mit verklebtem Mund ein Mann im teuren Anzug. Es ist der entführte schwedische Konzernchef. Der Filialleiter reißt ihm das Pflaster vom Mund. Filialleiter: Na, wie lebt sich’s hier in der Seestadt? Das wird mal ne vornehme Gegend. Und noch dazu ein eigener U-Bahnanschluss. Gefangener (mit schwedischem Akzent): So kommen Sie nicht durch. Man wird nicht so viel für mich zahlen. Diese Summe ist unrealistisch. Filialleiter: Wir nehmen auch die Hälfte. Verkäufer (fuchtelt mit dem Revolver vor der Nase des Gefangenen herum): Wir nehmen auch ein Drittel. Filialleiter: Psst! Sag das nicht, sonst glaubt er noch, er ist nichts wert. Verkäufer: Ich würde ihn gerne vergewaltigen. Filialleiter: Lass das. Wir sind ja keine Tiere. Ich muss mal pissen. (geht hinaus) Gefangener (ruft dem Filialleiter nach): Lassen Sie mich mit dem nicht allein! Verkäufer: Warum? Weil ich Araber bin? Weil ich der mit dem Sprengstoffgürtel bin? August Staudenmayer 57 Szene, U-Bahnstation, Bahnsteig Kurz bevor die U-Bahn abfährt (und während der Durchsage: „Steigen Sie nicht mehr ein“), wirft jemand ein Stoffbeutelpaket auf das Wagendach an der Spitze der U-Bahn und geht schnell davon. Zwanzig Meter weiter steht in der Menge der wartenden Fahrgäste die Frau des Verkäufers mit schwarzer Sonnenbrille. Sie nimmt ihr Handy und wählt. Die U-Bahn fährt los. Szene, U-Bahn, Fahrerkabine Das Handy des U-Bahnfahrers (den wir von der zweiten Szene kennen) läutet, der Fahrer nimmt an. Frau des Verkäufers (Stimme aus dem Handy): Das Paket liegt direkt über dir. Ein Kinderspiel. Szene, U-Bahnsteig Die Frau des Verkäufers geht an einem Werbeplakat für elektrische Zahnbürsten vorbei und bleckt ihre Zähne. Szene, U-Bahnfahrt, Tunnel Der U-Bahnfahrer klettert während der Fahrt halb aus dem Fenster, greift nach oben nach dem Stoffbeutel, erwischt ihn gerade noch am Träger, klettert wieder zurück in die Fahrerkabine, schließt das Fenster und versteckt den Beutel in seinem Rucksack, gerade noch rechtzeitig bevor er in die nächste Station einfährt. Szene, Seestadt, Baugelände Der entführte schwedische Konzernchef hängt – mit Seil um den Leib – an einem Baukran, Schild vor der Brust: „Zur Abholung bereit“, darunter ein krakeliger Smiley. 58 Szene, Schrebergarten in Aspern (unweit der Seestadt) Hinter dem Gartenhaus ist eine kleine verwilderte Wiese. In der Ferne sind die Baukräne zu sehen. Der Filialleiter, der Verkäufer und seine Frau lassen sich auf Campingliegen und mit Drinks in der Hand die Sonne auf den Bauch scheinen. Das Paket liegt geöffnet auf einem Campingtischchen, zu sehen sind eine Menge zerwühlter Bündel Geldscheine. Verkäufer: Ich hole mir noch was zu trinken. Wollt ihr auch was? Die beiden Anderen winken ab. Der Verkäufer verschwindet im Schrebergartenhäuschen. Frau: Hast du’s ihm schon gesagt? Filialleiter: Wieso? Du wolltest doch. Der Verkäufer kommt mit einem vollen Glas in der Hand zurück. Filialleiter: Na, was hast du vor mit deinem Anteil? Verkäufer (druckst herum, räuspert sich, richtet sich an seine Frau): Du. Ich wollt’s dir schon sagen, ich … lasse mich von dir scheiden. Ich will (wendet sich an den Filialleiter) mit ihm zusammen sein. Der Filialleiter will aufspringen, kippt aber mit seiner Campingliege um. Frau: Schätzchen, du verkennst die Lage. Ich und er … (sie zeigt auf den Filialleiter) Filialleiter (rappelt sich hoch): Das kam so, lass dir erklären … Der Verkäufer zieht seinen Revolver. Verkäufer: Nein. So läuft das sicher nicht. (er richtet den Revolver auf den Filialleiter) August Staudenmayer 59 Diesmal ist er geladen. Filialleiter: Nein, hör mal zu, ich hab eine Idee. Der Verkäufer erschießt seine Frau und den Filialleiter nicht, wie er es vorhatte, falls sie Probleme machten, sondern hört sich die Idee des Filialleiters an. Sie ziehen zu dritt in eine große Wohnung und gründen eine Wohngemeinschaft. 60 Szene, Seestadt Franz geht rauchend auf der Großbaustelle herum, um Eindrücke zu sammeln, er schreibt mit zwei anderen AutorInnen an einem Buch über das, was hier geschieht/entsteht. Er hat eine halbe Stunde, in einer Stunde muss er zuhause sein, zur allwöchentlichen Besprechung in der Wohngemeinschaft. Franz (murmelt in sein Smartphone): Seestadt, dein halb gezeugter Leib Ist wie weißer Holunder In den ein starker Mönch Die wächsernen Finger taucht Früchte läutend Kindliche Augen Folgen dem Flug der Vögel Ein himmelgraues Tuch ist ihr Staunen Daraus bisweilen ein stählernes Tier tritt Das langsam die rosigen Lider hebend Den Geist des neuen Hauses schöpft Vom Sinkflug tönender Engel bedacht (lacht) Kein Wunder, dass sowas rauskommt, wenn man drei Tage lang nur Georg Trakl liest. Mitten in der Unkrautwiese steht eine Vogelscheuche, wozu? Ein Bauarbeiter telefoniert und winkt in die Ferne, ich sehe in die Richtung seines Winkens, da ist aber niemand, wie weit in die Ferne winkt er, ich glaube, er spricht ukrainisch. Der Steg über dem Wall am See. Der See ist künstlich, doch es gibt einen „Grund“ für sein Existieren, alles was drum herum noch entsteht ist natürlich, natürlich August Staudenmayer 61 auch die gepflanzten und gestützten Bäumchen. Eine Baggerschaufel – wie ein gepanzertes Tier im Sommerschlaf – rostet vor sich hin. (er blickt in den Himmel) Befinden wir uns in einer Einflugschneise des nahen Flughafens? Ich ziehe meinen Blick aus dem Himmel ab und suche auf dem Boden, alles fällt zu Boden, das ist die Gravitation, vom Boden kann man alles ablesen, was nötig, um zu wissen, wo man ist. Spuren. Die größte Spur hinterlassen die Rohbauten, die kleinsten die Abfälle, die beim Bau abfallen. Der Boden wird sie verschlingen, aber jetzt, in diesem Zwischenraum der Zeit bis zur Vollendung/Fertigstellung, sagen sie alles aus über die, die hier leben, um zu arbeiten und die, die hierher kommen, um zu schauen. (Franz geht gebückt weiter) Unter den Fundstücken – einer leisen Schuhsohle, einem halben Handschuh, einem offenen Verbandskasten – finde ich ein Kondom, ein gebrauchtes. Ein Bauarbeiter hat sich entspannt, mithilfe einer Frau oder eines Mannes, wahrscheinlich einer Frau, Bauarbeiter sind doch harte Kerle. Schön wäre, wenn das stimmt, was ich gehört habe – nämlich dass es hier eine schwule Baugruppe gibt. (er steht vor einer schief gezimmerten Holzhütte) Ah, hier ist die Kantine – „Big Mama“, da werde ich mal einkehren. Was gibt’s heute zu futtern … „Menü: Suppe, Schnitzel, Dessert.“ Der späte Frühling ist abgehauen, der frühe Sommer drängt sich ins Bild wie Helmut Berger als Dorian Grey. Die Hagenbutte, auch Heckenrose genannt, wird immer noch weißer. Ein Baukran nickt mir zu, ein anderer streckt seinen Arm nach mir aus. (Die Sonne blendet seine Augen, er schirmt sie mit der Hand.) Die Mohnblumen – lauter kleine, übrig gebliebene Mai-Aufmarschierer. Rot ist gesund. Mir fällt ein roter Apfel ein, der früher einmal auf einem Wahlplakat der SPÖ abgebildet war. Der Baulärm hält sich in Grenzen. Aber die Flugzeuge, die im Minutentakt in die Einflugschneise am Himmel spuren, werden in ihrem Lärm gerade noch überdeckt. Oh, die werdenden Mütter der Behausung, die werdenden schützenden Mäntel aus Mauer, Eisen und Glas. Ich vertrete mir hier die Beine, während es meinen Augen immer besser gefällt. An manchen Häusern sind bereits 62 Fenster eingesetzt und somit bereit, eine Seele zu empfangen, man sagt ja, die Fenster sind die Augen der Häuser … Irgendwie bin ich verwirrt. Hier zu wohnen, müsste schön sein. Vielleicht wäre es gar nicht so teuer. Plötzlich steht er vor einem großen Plakat: SEESTADT ASPERN / MEIN NEUES HEIM / SOZIALBAU AG Franz: Verflucht! Was heißt hier SOZIALBAU? Mit Lydia und Abdul … das ist sozial … die Wohngemeinschaft … Und überhaupt – eine AKTIENGESELLSCHAFT! Gierige Aktionäre, die jedes Jahr noch fettere Renditen kassieren wollen. Und im Notfall soll der Staat sie vor Verlusten schützen. Ne, das ist nix – den eigenen Vorteil wahren und mehren, sozial und Aktiengesellschaft, das passt nicht zusammen. Wohnen ist ein Menschenrecht! Und an Menschenrechten zu verdienen ist vulgär. Wir in unserer WG machen’s besser, trotz aller Probleme, die das mit sich bringt. Aber nur so zum drüber Nachdenken – wäre es für unsereinen leistbar? Ein großer dicker Mann mit Wuschelfrisur und Vollbart, in ein zu knappes T-Shirt mit der Aufschrift GARTENGESTALTUNG gezwängt, kommt ihm entgegen. Aus seinem Kragen und unter seinen Achseln wuchern große dunkle Büschel Haare hervor. Franz (sieht dem behaarten Fleischberg nach): Die Arme der Baukräne heben ihre zerbrechliche Fracht. Vorsicht Glas! Fenster für Fenster kriegen die Häuser Augen. Die schauen auf einen herab. Bleib auf dem Boden, Franz. Ein Baggerfinger drückt mit einer kleinen Geste zwanzig Meter Gitterzaun um, wie Zahnstocher, wie nichts. Krähen scheuchen auf. Weiter weg rüttelt ein Falke in der Luft. Ein Kran scheint mittels seines Armes ein Flugzeug am Landeanflug hindern zu wollen – da stimmt die Perspektive nicht. Eine Baggerschaufel verrenkt sich in der Erde. Der Holunder ist verblüht, ist er auch verzagt? Weiß wie der Schleier um ein im Staub liegendes Puppenkleidchen. Die halbe Stunde ist um. Ich fahr nachhause. August Staudenmayer 63 Vor der U-Bahnstation fallen mir drei Werbeplakate ins Auge: ESKIMO – Sooo good. MANGO – Sooo sexy. VELEDA – Sooo glitschig. 64 Szene, Seestadt Franz (geht rauchend herum, murmelt in sein Smartphone): Immer wenn ich lyrisch drauf bin, komme ich in so ne Hochstimmung – oder umgekehrt, immer wenn ich in Hochstimmung bin, werde ich so lyrisch. Reise Durch die Furt der Zementblüte Unendliche Schneise Der halsreckenden Türme Doch ehe über den Morgen Der Schweif schlägt Sinken Steigen Hinter dem Drachen Die leuchtenden Lasten Abends Schließen sich das erste Mal Die (neuen) Fenster Glühen die Arbeiterhände Verstehen sich Lautlose Rufe In den Gestalten der Weiden Ruhen sich Blicke aus Nachts öffnet sich das erste Fenster Und wechselt schwüle Luft in Liebe Nun aber geht’s zur Sache. Ich zitiere den Dichter Helmut Seethaler: „Alle Werte sind verloren – wenn es um große Gewinne geht – Da bleibt nichts von sozialer Gerechtigkeit und Rücksicht auf Arme, Alte, Schwache – Da zählt nur der eigene, immer größer werden müssende Vorteil –“ Na, das ist schon ein anderer Ton, nicht wahr? Helmut Seethalers Plakate und Flugzettel sind im gesamten öffentlichen Raum in der Stadt zu finden, hoffentlich bald auch hier, in der Seestadt. „Da wird August Staudenmayer 65 jedes Verhalten nur Variante des Betrügens – und je besser Firmen sich tarnen – umso mehr Umsätze sind zu erzielen – Alles ist genau geplante Strategie – des globalisierten Gewinnstrebens – koste es noch so viel Natur – koste es noch so viele Leben –“ Helmut Seethaler, genannt der Zetteldichter, muss endlich von der Stadt (oder vom Staat) für seine Arbeit bezahlt werden. Aber vielleicht will er das gar nicht? Das würde mich interessieren. Lieber Herr Seethaler, wollen Sie lieber von Spenden leben oder vom Staat (von der Stadt) bezahlt werden, wenn es die Möglichkeit gäbe? „Aktionäre weltweiter Handelsketten – wollen müssen weiter sich bereichern – und dürfen es auch immer mehr – Statt Diktatoren kamen die Konzerne – die über alle(s) bestimmen – Entzogen jeder Kontrolle – denn sie sind mächtiger als alle Kontrollore – kaufen sie sich – Regierungen und Richter – und sichern und vollenden – ihren Zugriff auf die Welt.“ Szene, Küche in einer Dreizimmerwohnung, abgenützter Altbau, schäbige Wiener Gegend Franz (raucht ununterbrochen): Wer ist mit dem Abwasch dran? Abdul: Immer der, der fragt. Franz: Was, ich schon wieder? Lydia: Mich kotzt das an, dass ich die Einzige bin, die Geld nachhause bringt. Franz: Das stimmt so nicht mehr. Ich kriege ein Stipendium. Abdul: Was für ein Stipendium? Franz: Ich bin gefragt worden, ob ich … ein früherer Liebhaber von mir war mir noch einen Gefallen schuldig. Jetzt schreibe ich an einem Blog mit und werde dafür bezahlt. Endlich mal Geld für meine Schreiberei. Vielleicht wird auch ein Buch draus. Abdul: Wusste gar nicht, dass du schreiben kannst. Lydia: Und wie der schreiben kann. (setzt sich auf seinen Schoß, bleckt ihre Zähne) Aber ein Liebesgedicht für mich hast du noch nicht geschrieben. Franz: Das fehlte noch. Ich liebe euch beide. Oder besser gesagt, im WG-Jargon, ich vögle mit euch beiden. Auf alle Fälle wird heute gefeiert. (stellt eine Flasche Sekt auf den Tisch, Lydia geht von seinem Schoß herunter) Lydia: Was heißt, du liebst mich nicht. 66 Franz geht zur Wand, wo die Listen hängen und tippt auf sie. Franz: Hier steht, wer mit dem Abwasch dran ist, wer das Scheißhaus putzt und wer wann mit wem vögelt. Lydia: Und wer wie viel Geld nachhause bringt. Franz: Ist das Liebe? Das kotzt mich an. (öffnet die Sektflasche mit einem Knall und macht einen gierigen Schluck, wobei ihm ein Teil schäumend aus dem Mund zurückläuft) Abdul: Wovon handelt das Buch? Franz: Also mein Teil soll eine Geschichte werden über ein paar Leute, die in der neuen Seestadt eine Wohngemeinschaft machen, wie früher zur Hippiezeit, eine Kommune, mit allem Teilen, Geld, Arbeit, Sex und so. Lydia: Bei der schicken Seestadt wirst du dir mit Hippiekommune schwer tun. Das wird ne noble Gegend. Franz (nimmt einen tiefen Zug): Anfangen soll es mit einem Blowjob in der U-Bahnfahrerkabine. Und mit dem Kennenlernen der drei Protagnisten. Einer ist Filialleiter eines Modegeschäfts in der neuen Einkaufsstraße. Der zweite ein Arbeitsloser, der sich bei ihm um einen Job bewirbt. Und seine Frau. Die aber vor bezahlten Quickys in Hinterzimmern nicht zurück schreckt. (Lydia funkelt ihn kurz an) Zuerst mögen sie sich nicht. Doch dann freunden sie sich an. Es wird ein heißer Dreier draus. Sie scheißen auf das konventionelle Leben in einer Gesellschaft wie dieser, und sie scheißen darauf, dass sie nie genug Geld verdienen werden, um sich ihre Träume zu erfüllen. Sie steigen aus, entführen den Konzernchef der Modekette und erpressen Geld, viel Geld. Das ist die Geschichte. Wie sie ausgeht, weiß ich noch nicht. Vielleicht bringen sie sich gegenseitig um. Vielleicht fahren sie nach Amsterdam und heiraten zu dritt. Oder nach Indien und vergewaltigen einen Guru. Was weiß ich, vielleicht bleiben sie hier und machen sich so lange gegenseitig fertig, bis sie nur noch der Hass zusammen hält. Abdul: Warum sprichst du jetzt so darüber? Lydia: Es geht immer um die Liebe, wie viel man kriegt, wie viel man sich nimmt. Franz: Willst du irgendeine Andeutung in meine Richtung machen? Lydia: Du nimmst halt gern. Und oft. Und forsch. Abdul: Du hast uns nie gesagt, wie alt du eigentlich bist. August Staudenmayer 67 Franz: Ich werde sicher nicht alt, bei meinem Lebenswandel. (zündet sich eine neue Zigarette an) Lydia: Aber wir haben doch davon geträumt, wir schaffen etwas Besonderes – gemeinsam. Franz: Ich habe halt ein anderes Tempo. Lydia: Du kannst einem ganz schön die Stimmung vermiesen. Franz: Für den Blog fahre ich in die Seestadt und beobachte, was da entsteht, Sommer, Herbst, bis in den Winter hinein. Lydia: Schön. Franz: Ja, ist es. Aber der Aufruf an die Reichen „INVESTIEREN SIE IN DIE SEESTADT“ kotzt mich an. Lydia: Pass auf, was du sagst. Franz: Das ist nicht so leicht. Lydia: Ich meine, was du schreibst. Schreib über das Schöne. Franz: Versuch ich ja. Ich will es schaffen. Lydia: Das wirst du. Abdul: Wie viel kriegst du dafür? Franz: Tausend Euro. Lydia: Monatlich? (Franz gibt keine Antwort) Abdul (hebt die Sektflasche): Salut. Szene, Seestadt Franz (geht rauchend herum, murmelt in sein Smartphone): … das Gesicht der werdenden Stadt bekommt langsam n bisschen Farbe, ein zentrales Gebäude direkt nen Pfirsichteint. Doch noch haften die Gerüste wie riesige Zahnspangen des Himmels am Gemäuer. Und noch spreizen die Kräne ihre stählernen Finger empor, und lassen ihre Gelenke knacken. Noch ist der Vorplatz vom Flugfeld historisch belastet. … dass hier Nazibomber … das ist so unfassbar. (Er geht Richtung See) 68 Ein Dutzend halbwüchsiger Jugendlicher – Burschen – erklimmt unter ostsprachigem Durcheinandergerufe den Wall am See, übt Kampfsportverrenkungen gegeneinander aus, Stöße, Schläge, Tritte, zumeist ins Leere, aber manchmal in Fleisch, dann kommen unmännliche Tränen und Flüche und Drohungen, aber das Meiste bleibt kraftstrotzende Gebärde. Das Wetter ist warm, sie scheren sich einen Dreck um das „Badeverbot“, ziehen sich aus bis auf ihre fleckigen Unterhosen, die dreckstarrend wie dickes Papier um ihr Geschlecht hängen, und platschen mit ihren dürren Körpern auf den See. (Es platscht) Es wird Abend. Die Bauarbeiter gehen in Gruppen, Grüppchen, keiner allein, die seligen, nach sinnstiftender Schufterei erschöpften, zur U-Bahn, die wie ein schnaufender Schlauch auf seine Befüllung wartet. Vor dem Aufgang steht ein wässrig-blaues Werbeplakat, das den verdreckten, verschwitzten Hacklern Appetit auf körperliche Frische machen will: „Dusch mit mir.“ Nach sinnstiftender Schufterei erschöpft … Lieber Himmel, was ich für einen Blödsinn daher schwafele, wenn der Tag lang ist. August Staudenmayer 69 Szene, Seestadt Franz (etwas betrunken, murmelt in sein Smartphone): Spring an den Mond Prall zurück Sag Mit einer Trompete In der Hand Hättest du es geschafft Seit zehn Jahren Lege ich mein Kinn und meine Nase An diese Wand An immer dieselbe Stelle seit zehn Jahren Du solltest sehen Wie die Wand dort aussieht So ein Satz ist bei einem neuen Haus nicht möglich Das Spannende ist, dass immer alles nebeneinander existiert. Und wenn man dann auch noch ne Ahnung davon hat, was Dialektik ist, muss man nichts ausgrenzen. Wenn ich in der Seestadt etwas mitzureden hätte, ich würde den Dichter Helmut Seethaler dazu einladen, hier seine Zettelgedichte zu plakatieren. Immer alles nebeneinander … dazu gehört auch, dass ich – als von Rainer Werner Fassbinder im Jahr 2014 erfundene Figur – mir vorstellen könnte, welchen Film Christoph Schlingensief über die Seestadt machen würde, wenn er noch leben würde, und der wiederum sich vorstellen könnte, welchen Film Jean-Luc Godard über die Seestadt machen würde, wenn der noch leben würde, usw. … Aber dazu (vielleicht) später. Die Entwicklung in der Seestadt, die bevorstehende Reise mit Lydia nach Griechenland. Aber das Wichtigste scheint mir im Moment zu sein, dass mein Mitbewohner Abdul nicht aus seinem Minderwertigkeitskomplex rauskommt: Er will sich um einen Job in dem Bäckerei-Cafe bewerben, das bald in der Seestadt eröffnen wird, doch er traut sich nicht. Er meint, er habe sowieso von vornherein keine Chance und lässt es gleich bleiben. 70 (Franz verschwindet in einem WC-Hüttchen, um zu pinkeln, kommt wieder raus, sieht sich um) Hier war doch die Kantine gestanden. Komisch, ich irre mich doch nicht. Die werden sie verlegt haben. Szene, Seestadt, Kantine neuer Standort, Zeitsprung Franz steht in der offenen Tür zur Seestadt-Kantine. Fünfzehn Bauarbeiteraugenpaare sind auf ihn gerichtet. Das Klappern mit Messern und Gabeln ist unterbrochen. Die Arbeiter starren ihn an. Franz (räuspert sich, leise): Mahlzeit. Franz steht da in einem sehr bunten Hemd, mit fraglichem Blick, ängstlich-staunend. Das Klappern mit Messern und Gabeln geht wieder weiter. Die meisten Männer essen Pizza, wenige Schnitzel. Eine Kellnerin kommt auf Franz zu, bleibt vor ihm stehen. Franz: Darf ich draußen einen Kaffee trinken? Kellnerin: Kommt gleich. Franz setzt sich, im Freien vor der Kantine, an ein Hochtischchen aus Plastik, holt sein Smartphone raus und murmelt hinein: Eben, da drinnen, vor den vielen Männern, fühlte ich mich wie n‘Fettfleck in der Luft. Oder wie n’Weberknecht. Auf der Menükarte steht: Suppe, Pizza, Dessert. In der City wird Pizza mit den Fingern gefressen, hier, auf der größten Baustelle Wiens, gepflegt mit Messer und Gabel geklappert. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sich da drin einer das Rauchen verbieten lassen würde. Von hier hat man einen ganz guten Überblick. Endlich gibt’s richtige Straßen, auf Asphalt und so. Ein grüner Park ist am Entstehen. Ich stehe in der Seestadt und begreife, dass der FILM den TEXT um eine Dimension überholt/bereichert. Ich stehe also da und mir fehlt der Mut, ganz August Staudenmayer 71 hineinzugehen in die Kantine und mich an einen Tisch mit Bauarbeitern zu setzen. Um was zu tun? Will ich reden? Um meinen Job als Seestadtschreiber zu erfüllen? Später wird mir einer der Pizza essenden Arbeiter sagen, ich hätte meinen Job erfüllt, ich sei in meinem bunten Hemd wankend dagestanden und habe irgendwie arrogant dreinschauend gewartet. Die Kräne sind weniger geworden. Die Fenster mehr. Die Häuser sind mitten in der Pubertät. Oder schon darüber. Der See ist auch noch nicht satt, der sauft sich bald zugrunde. Und es gibt endlich einen Autoparkplatz mit weiß markierten Parkplätzen auf dem (ehemaligen) Flugfeld. Ich spiele mit einem Stück abgebrochener schmutzig-weißer Styroporplatte Fußball. In den Brennnesseln liegt eine grüne Damenstrumpfhose. Die sehe ich mir genauer an. Eine kaputte Baggerschaufel rostet wie ein abgetrennter Arm vor sich hin. Ich stelle mir den Torso dazu vor. Eine Krähe spielt auf ihm mit ihrem Essen. Auf einer Tafel steht: „Jetzt anrufen und Wohnung reservieren. Mehr als nur Wohnen.“ In hellrotbraunen Häusern – wie Bronzefiguren mit (künstlichen) Astlöchern, die Astlöcher sind natürlich Schaufensterbalkone, in denen bald Puppen (Barbie und Ken) sitzen und das Leben genießen werden. Bald ist es soweit, bald werden die ersten Menschen ihre begrenzten Jahre in diese Raumzeit flechten … „Auch wenn Gott sein Menschenwerk verlacht, ist amüsant, was der Mensch aus Gottes Schaffen macht.“ Könnte von Heinrich Heine sein. Ist es aber nicht. Szene, U-Bahnpassage Schottenring, Wien Lydia und Franz umarmen sich. Franz: Die sagen, mein Text wäre homosexuellenfeindlich. Lydia: Wer? Franz: So genannte Kulturmanager. Lydia: Lass dich davon nicht abbringen. Franz: Es gibt eine Baugruppe mit Schwulen. Lydia: Na und, Schwule gibt es überall. Franz: Organisiert. 72 Lydia: Umso besser. Kontaktier sie, befrag sie, schreibe über sie. Franz: Du hast recht. Franz: Du kennst doch meine Angst vor „richtigen“ Männern. Lydia (seufzt): Weil dein Papa dich als kleinen Buben aus dem Ehebett geprügelt hat. Franz: Deshalb bin ich schwul geworden. Lydia: Du weißt, dass das ein Blödsinn ist. Franz: Und wegen solchen Frauen wie dir. Lydia: Sündenbocksuchverhalten. Franz: Wenn schon – dann Sündenböckin. Lydia: Mach dich nur lustig. Franz: Natürlich. Lydia: Bis zum Abend. Vergiss nicht zu packen. Morgen um zehn am Flughafen. Und vergiss nicht, du bist mit dem Einkauf fürs Abendessen dran, Fenchel und Brokkoli. Franz: Das auch noch. Sie trennen sich mit einer Umarmung. Franz fährt auf der Rolltreppe zur U-Bahnlinie 2 hinunter. Szene, Flughafen, Kefalonia, Griechenland Lydia und Franz sitzen in einer Plastikstuhlreihe und warten auf das Boarding. Lydia: Das war eine schöne Woche. Franz: War es. Lydia: Es hat keinen einzigen Tag geregnet. Franz. Hat es nicht. Lydia: Wie der Kellner mit dem vollen Tablet über die Kinder stürzte. Franz: Ja, schlimm. August Staudenmayer 73 Lydia: Eine Katastrophe. Franz. Unter Katastrophe stell ich mir was Anderes vor. Lydia: Ja, was? Franz: Wenn die Natur nicht mehr mitmacht. Franz: Musst du deine Brösel über meiner Hose verteilen? Lydia: Tschuldigung. Soll ich sie wegputzen? Franz: Kann ich schon selber. Szene, auf dem Flugfeld, vor und im Flugzeug Lydia und Franz besteigen das Flugzeug und nehmen Platz. Franz: Musst du so laut mit deiner Zeitung rascheln? Lydia blättert „leise“ um. Franz (sich umblickend): Wer macht diese schreckliche Musik? Lydia: Das ist die Boardmusik. Franz (zu einer Stewardess): Kann man die Boardmusik leiser drehen? Stewardess (überaus freundlich): Tut mir leid, das geht nicht. Tee oder Kaffee? Lydia: Du hast dich mit Einem in der Seestadt eingelassen, stimmt’s? Ist’s ein Ingenieur? Franz stößt seinen Kopf in die Rückenlehne und faucht laut aus. Franz (stöhnend, murmelnd): Ist alles schon wieder vorbei, ist schon gar nicht mehr wahr. Lydia: Das sagst du immer, wenn bei dir grade was anfängt. (Pause) Das Zypressenwäldchen von Spartia werde ich nie vergessen. Franz: Ich freue mich auf die Pappeln in Aspern. 74 Das Flugzeug steigt in die Höhe. Nach zwanzig Minuten fängt das Flugzeug stark zu wackeln an, ohrenbetäubender Lärm setzt ein. Der Käpt’n schreit aus dem Lautsprecher, dass er notlanden muss. Sie befinden sich über dem weiten offenen Meer. Die Angst schießt in ihre Körper, Todesangst, die Tränen quellen aus ihren Augen. Sie wissen, dass sie sterben, nicht irgendwann, sondern gleich, absehbar, der Sekundenzeiger ihrer Armbanduhr läuft geschützt hinter Panzerglas, nichts kann ihn aufhalten. Sturzflug. Lydia und Franz drücken gegenseitig fest ihre Hände, weinen und schreien. Lydia: Ich hab immer nur dich geliebt. Franz. Ich auch. Lydia: Ich werde immer nur dich lieben. Franz: Ich auch. Lydia: Ich habe immer nur gestritten, weil ich dich über alle Maßen liebe. Franz: Ich auch. Lydia: Ich hab dich immer nur aus Liebe verletzt. Franz: Ich auch. Sie schließen gleichzeitig die Augen und erwarten das Unausweichliche. Das Flugzeug fängt sich wieder und wird stabil. Der Lärm hört auf. Der Käpt’n verlautbart, dass der Absturz verhindert wurde und die Notlandung ausgesetzt ist, der Flug kann weiter gehen. Lydia und Franz atmen auf, lassen ihre Hände los, keuchen aus, lachen. Stewardess (erleichtert lachend): Kaffee oder Tee? Franz: Ist bereits beides auf meinem Hemd. Lydia: Meint er es wenigstens ernst mit dir? Franz: Was weiß ich. Lydia: Ist er in gehobener Stellung, oder einfacher Arbeiter? Franz (amtet laut aus): Ein Königreich für eine Zigarette. August Staudenmayer 75 Lydia blättert in der Zeitung, Franz stört das Geräusch. Franz: Warum musstest du dir überhaupt eine Zeitung nehmen? Liest ja sonst nie. Lydia: Nach einer Woche Griechenland will ich wissen, was zuhause los ist. Franz: Hättest dir auch eine kleinere nehmen können. Lydia: Die kleinen machen den größten Lärm. Franz: Kommst du morgen mit in die Seestadt? Lydia: Wenn’s dich nicht stört, dass ich dort atme. Franz: Vielleicht fliegen wir beim Landeanflug über die Seestadt. Ich hab dir doch erzählt, dass da ständig Flieger drüber fliegen. Zwei in der Minute. 76 Szene, Feld in der Nähe der U-Bahnstation Asperner Straße Franz (dahinstapfend, keuchend, der Wind bläst ihm stark ins Gesicht, schreit in sein Smartphone): In meinem letzten Beitrag habe ich Jean-Luc Godard – absichtlich – sterben lassen, um zu sehen, ob es jemandem auffällt und zu sehen, ob es vielleicht jemanden gibt, der dagegen protestiert. Bis jetzt hat niemand protestiert. (Atempause) Es ist Herbst geworden. Ich hänge im Wind rum. Ein Baukran ersetzt keine Familie. Irgendwo da oben existiert etwas Größeres. Es scheint mir nichts auszumachen, es so zu nennen. Aber da ist ein betrunkener Baukran unachtsam und löscht ein paar Hundert Tonnen Natur aus. Nur so, durch einen Armstreich. Er macht Feierabend. Ich hänge im Wind rum. Der Wind biegt die Pappeln zu Boden. Sie nicken, sie neigen sich dem Ende der Spielzeit zu. Bald wird es Ernst hier mit der Verstädterung. Die Pappeln machen den Kotau. Und ich weiß nicht, ob mir das gefällt. Ich weiß ganz und gar nicht, ob mir das gefallen soll. August Staudenmayer 77 Szene, U-Bahnausgang Seestadt Franz und Abdul treffen sich auf der ehemaligen Rollbahn, sie küssen sich zur Begrüßung. Abdul trägt eine Fotokamera in der Hand. Franz zündet sich eine Zigarette an. Abdul: Du musst mir sagen, wovon ich n’Foto machen soll. Franz: Details. Was dir so auffällt. Abdul schirmt seine Augen mit der Hand und blickt zu den Häusern. Abdul: Die Kräne sind wie Farbstifte, die die Häuser anmalen. Franz: Die waren mal zu Vierzigst. Jetzt ist ein halbes Dutzend übrig. Abdul: Kräne kommen und gehen. Franz: Violetter Klee. Abdul: Die Balkone dort sind im selben Violett. Die beiden machen sich auf den Weg zu dem halbfertigen Gebäudeensemble. Abdul macht ein Foto von einem riesigen Transparent „Seestadt Aspern – Endlich am Ziel“. Sie stehen vor einem Haus, das bereits bewohnt aussieht. Franz: Hier sollen die ersten Leute wohnen. Abdul schießt Fotos von Balkonen, worauf Topfpflanzen und Gartenmöbel stehen. 78 Szene, Seestadt, in der Baustellenkantine Abdul und Franz betreten die Baustellenkantine, setzen sich und bestellen sich zu trinken. Abdul: Eine Cola und eine Flasche Bier für drei Euro fünfzig, super günstig! Franz: Hast du Hunger? Abdul: Hab noch nicht mal gefrühstückt, und jetzt ist es drei Uhr. Franz: Ich lade dich ein. Die Kellnerin, eine schöne Kroatin, kommt an ihren Tisch. Abdul: Wie heißt das, was der Arbeiter da am Nebentisch isst? Kellnerin: Das ist Pljeskavica. Abdul: Bleschkawitzka? Kellnerin: Pljeskavica. Abdul: Das nehme ich. Kellnerin: Suppe? Abdul: Ne, danke. Franz: Für mich nur einmal Pommes. Und einen kleinen Schwarzen. August Staudenmayer 79 Franz: Der Platz da draußen heißt Hannah-Arendt-Platz. Weißt du, wer das war? Abdul: Bin doch nicht doof. Franz: Ne, bist du nicht. Abdul: Ne jüdische Philosophin. Franz bekommt den Schwarzen. Franz: Was ich dich noch fragen wollte … unsere Wohngemeinschaft – ist die noch okay für dich? Abdul: Das Haus ist schäbig, die Gegend könnte netter sein, aber sonst ist’s okay. Franz: Ne jüdische Philosophin, die sich mit den Juden in Israel angelegt hat. Abdul: Hier zu wohnen, das würde mir gefallen. Franz: Und hier auch gleich arbeiten und sich hier verlieben und Familie mit Kindern und Freiheit ade und aus Schluss basta Ende Punkt. Der Friedhof in Aspern ist nicht weit. Abdul: Mein Essen kommt. Gibst du mir den Ketchup rüber? Franz: Mahlzeit. Abdul: Ich möchte es schön haben im Leben, arbeiten, was zur Verfügung und so, aber Hautfarbe ist immer noch eine Frage von Wohlstand. Franz: Umgekehrt, du meinst: Wohlstand ist eine Frage der Hautfarbe. Abdul: Siehst du, du bringst mich ganz durcheinander. Kann ich jetzt bitte den Ketchup haben? Oder stört dich die Farbe Rot auf meinem Teller? (Abdul macht ein Foto von seinem Essen) 80 Szene, Feld in der Nähe der U-Bahnstation Asperner Straße Franz (dahinstapfend, keuchend, der Wind bläst ihm stark ins Gesicht, schreit in sein Smartphone): Die Pappeln machen den Kotau vor der neuen Stadt. Ich sehe alles verkehrt, weil ich verliebt bin. Wohnen – was ist das „Ruhet in Frieden?“ Ein Raum im Raum im Raum … Wohnen – was ist das „Schlafen neben dem Kind?“ Eine Schachtel in der Schachtel in der Schachtel … Wohnen – was ist das „Erwachen im Süden?“ Eine Krümmung in der Krümmung in der Krümmung … Wohnen – was ist das „Lustig in die Welt hinein?“ Ein Embryo im Embryo im Embryo … „Will kein Gott auf Erden sein …“ August Staudenmayer 81 Kann nicht oben unten sein? „… sind wir alle Götter!“ Ein kaputtes Fenster (eben erst eingesetzt) Ein blindes Auge (eben erst …) Eine Totgeburt (eben …) /lustig/ Der verletzte Kran der verletzende der vorletzte die Hebamme vom Dienst schämt sich 82 Das Klischee „Du kannst nicht gleichzeitig Lyrik lesen und ein Kind verprügeln“ ist so was von beschissen falsch /lustig/ Bauarbeiter singen Chansons und ihre Kinder sitzen als Sozialarbeiterruten im Fenster Eben WEIL August Staudenmayer 83 Szene, Seestadt Franz (hetzt rauchend durch die Baustelle, schreit fast in sein Smartphone): SCHLÜSSEL her! Das FREIE KIND kennt die BESTE ZEIT! Ihr grauen geometrischen Warzenbalkone Ihr Schachtelbehälterkartons Ich bin doch auch nur eine geometrische Figur Die wofür eigentlich Wozu soll ich mir das antun Die sich fast nichts kaufen kann Relativ zu dem was es alles gibt Es hält mich in vier Wänden Gefangen als neun Kegel Die Kugel rollt auf mich zu A Quadrat plus B Quadrat ist C Quadrat Ein Zahnarzt wenn in die Seestadt zieht Die Wurzel mir Die Geodäten Damen und Herren Kraft meiner Raumzeitmasse 84 Und einer unglaublichen Geschwindigkeit Mit der in diese Stadt Das Licht geschossen Auf dem Blog steht seit einiger Zeit … Seestadt.Schreiber sucht: Diese Nachfrage richtet sich an alle ErstbezieherInnen der neuen Wohnungen in der Seestadt: Ich bin die Kunstfigur Franz (entsprungen aus einem imaginären Seestadt-Film von Rainer Werner Fassbinder), erschaffen von einem der drei Seestadt.Schreiber, nämlich August Staudenmayer. Und ich, der Franz, würde also gerne mal einen Blick hinter die Tür einer neuen Wohnung werfen. Völlig anonymisiert natürlich. Will mal sehen, wie schön Ihr’s hier habt. Anhand von Details (sowas von fotogen) die Stimmung in der neuen Wohlfühlgeometrie wiedergeben. Wer mir das gönnen möchte, kann mir das schreiben ([email protected]), und wir machen uns einen Termin für einen Kurzbesuch aus. Dankeschön im Voraus Franz alias August Staudenmayer „… seine Wanderer trafen auf wenig Freundlichkeit immer verschlossen sich die Häuser die Nachbarn waren aus Stein die Mädchen, deren Bild er bewahrte gehörten andern und sein Winter endete nicht /// die Welt schafft sich Behausungen für ihre Bewohner aber er wusste die Erde kühlt aus …“ August Staudenmayer 85 Von wem ist die Rede? Dreimal darfst du raten. Vielleicht Franz Schubert? Idiot. Szene, Wohngemeinschaft/Küche, abgenützter Altbau, schäbige Gegend, mittags Franz (leise zu sich selbst): Es endet immer in der Tragödie. (laut) Selbst eine kaputte Uhr zeigt zwei Mal am Tag die richtige Zeit an. Warum rasierst du dir jetzt den Bart ab? Abdul sagt nichts. Franz: Hab ich dich nicht gebeten, du sollst mit dem Scheiß warten? Abdul sagt nichts. 86 Franz: Lass dich nicht kaputt machen. Dein Leben ist manchmal auch etwas wert. Komm, warte, wir sprechen am Abend darüber, wenn Lydia zuhause ist. Die lullt dich doch immer so gern ein. Und wie du sie dabei ansiehst. Ich beobachte euch, und mir kommt dabei die Galle hoch, in Wirklichkeit aber ist es Freude. Weil ich merke, wie sie dich weich und sanft macht. Abdul: Ich rasiere mir den Bart ab, weil ich das alles nicht mehr ertrage. Bücher, Kassetten, die Kurse, ich spreche perfekt Deutsch. Und was nun? Was hab ich davon? Die haben mich nicht mal zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen. Ich sage zu denen: Ich würde alles tun für den Job in Ihrem Geschäft. Sie antworten: Wenn Sie sich Ihren Bart abrasieren, ziehen wir ein Gespräch in Erwägung. Franz: He Abdul, du hast uns. Wir sprechen darüber und finden was Neues für dich. Abdul: Die schlagen mich zusammen. Ich schlage sie zusammen. Es ändert sich nichts. Aber wir dreschen weiter auf uns ein. Franz: Niemand schlägt dich zusammen. Abdul: Die Frauen tun das nicht. Franz: Die Frauen haben ganz andere Methoden, aber, glaub mir, die machen sich’s auch nicht leicht. Sie verschonen ihr Gesicht und ihren Körper, aber seelisch, weißt du, seelisch … Abdul: Was du da redest. Franz: Warte mit dem Bart. Wie das aussieht. Du bist doch Ausländer, bist n‘Schwarzer. Abdul: Ich bin ein Farbiger, kein Schwarzer. Franz: Entschuldige. Abdul: Der Bart muss ab. Franz: Gut, aber jetzt hör auf, und leg das Rasiermesser weg, sonst machst du mich noch ganz scharf. Abdul: Deinen Humor liebe ich. Das ist der Grund, warum ich überhaupt noch hier bin. Franz: Selbst eine kaputte Uhr zeigt zwei Mal am Tag die richtige Zeit an. Abdul: Wenn sie steht. August Staudenmayer 87 Franz: Eine Uhr mit einem Ständer. Abdul muss lachen. Franz: Warte damit, bis Lydia am Abend da ist, dann machen wir’s uns schön. Abdul rasiert sich weiter den Bart. Franz: Der Mensch ist am härtesten, wenn er sich verändern will. Abdul: Das ist mein Bart, mein Gesicht, mein Kopf, mein Körper, mein Leben! Franz: Oh nein, da gibt es eine Liste, auf der steht, was alles geteilt wird, hier, hier klebt sie. Schwarz auf weiß. Abdul: Du hast keinen Anspruch auf irgendwas von mir. Franz: Hier steht, dass wir alles teilen wollen. Auch unsere Liebe. Abdul: Auf einmal sprichst du von Liebe. Ich habe keine Angst vor dir. Franz (irritiert): Du hast keine Angst vor mir? Szene, Wohngemeinschaft/Küche, abgenützter Altbau, schäbige Gegend, abends Abdul: Die Szene ist gut. Nein, das ist eine wirklich gute Szene, wie aus dem Leben gegriffen. Franz: Und die Geschichte geht weiter. Ich möchte da rein, in eine neue Wohnung, und rausgucken. Lydia: Liest du sie mir vor? Abdul: Ne, zu müde. Lydia: Ich erst. Abdul: Nein, das soll Franz machen. Franz: Bin auch zu müde. Lydia: Was ist los mit euch? Ich bin doch diejenige, die arbeiten geht. Franz: Ich bin auch nicht faul, schon mal auf den Blog geschaut? Lydia: Entschuldige, stimmt, du hast ja eine (macht Anführungsstriche in die Luft) „Arbeit“. Abdul: Szenen, die sehr aus dem Leben gegriffen sind. 88 Lydia: Ich kann das nicht beurteilen, ich kenne sie nicht. Franz: Willst du damit irgendwas andeuten? Abdul: Ja. Nämlich, dass du genau das beschreibst, was in der Wirklichkeit vorgefallen ist. Franz: Stimmt nicht. Abdul: Doch. Ich habe mir meinen Bart abrasiert. Du sagst, mach’s nicht. Eine Stunde später zeigst du mir deine Szene, die genau davon handelt. Lydia: Wovon redet ihr? Abdul: Er schreibt über dich und mich. Lydia: Das darf er doch. Abdul: Nicht so. Lydia: Ihr macht’s immer spannender. Ich will sie auch lesen. Franz: Im Grunde geht es darum, dass du etwas verändern willst, wir aber ausgemacht haben, dass wir Veränderungen gemeinsam durchmachen, wozu sonst haben wir die WG? Verstehst du das? Abdul: Siehst du? Das haben wir in echt vereinbart. Und er schreibt eine Szene darüber. Franz: Was ist daran schlimm? Im Übrigen bringt das uns allen Geld. Abdul: Sind wir wieder beim Thema Geld. Franz: Sind wir doch immer. Oder? Lydia: Ich will schon lang etwas loswerden, Jungs: Ich hab das Gefühl, ich teile mit euch, aber ihr teilt nicht mit mir. Die Szene ist gut. Weil sie echt ist. Abdul steht auf, zieht seine Jacke an. Franz: Wo gehst du jetzt hin? Abdul: Ich gehe das erste Mal in meinem Leben in eine Moschee. Franz: Und in welche? Abdul: Wo der Hass am größten ist. Lydia: Was ist denn mit dem los? Franz: Er wollte sich als Verkäufer bewerben, und sie haben von ihm verlangt, dass er sich den Bart abrasiert. August Staudenmayer 89 Szene, Wohngemeinschaft/Zimmer von Franz, abgenützter Altbau, schäbige Gegend, nachts Franz (leicht betrunken, rauchend, murmelt in sein Smartphone): Es ist so schwer zu entbehren, und es ist trotzdem nicht viel. Es kommt nicht viel dabei heraus. So viel kann ich gar nicht entbehren, dass das wirklich etwas bewirken würde. Ich war als Kind schlecht ernährt, wurde als „unterernährt“ eingestuft. In der Folge wurde ich in ein Kindererholungsheim geschickt, das nichts anderes war als eine brutale Maststation. Obwohl sich das Heim mitten in einem wunderbaren Wald befand, durften wir uns nicht frei bewegen, uns wurde sogar schnelles Bewegen wie zum Beispiel das Laufen untersagt. Und die Strafen waren nicht gering. Milde walten zu lassen war nicht im Sinn der Leitung, in keinem Fall. Wir waren also Kinder, die sich nicht bewegen durften, die mit Essen aller Art, von morgens bis abends, vollgestopft und jeden Abend abgewogen wurden. Wer ein paar Gramm zugenommen hatte, wurde belohnt – mit Essen. Wer nichts zugenommen hatte, wurde bestraft – mit viel Essen. Was die Kirche bei meiner „Zwangsernährung“ für eine Rolle gespielt hat, weiß ich nicht mehr. Sie hielt sich raus, stand aber auch dahinter. Wir mussten viel beten, weil man sich während des Betens nicht bewegt. Außer in Actionfilmen. Ich hatte damals bereits einen Acti90 onfilm gesehen und war sozusagen nicht mehr unschuldig. Es ist wie bei der Liebe. Man will einen weiteren Film sehen, und noch einen. Man kann nicht genug davon kriegen. Und es gibt immer wieder neue. Es ist ein Geschäft. Für mich ist es Liebe. Ich brauche die Dunkelheit im Kinosaal, um mich öffnen und einlassen zu können. Aus den Actionfilmen wurden problematische Kunstfilme. Das ging so weit, bis mir eine Figur in einem Film sagte, ich solle nicht mehr ins Kino gehen. Der beste Film wäre der, der sich vor dem Kino, auf der Straße, abspielte. Ich hoffe, in Aspern, in der Nähe, gibt es kein Kinderheim. Aber ich hoffe, es eröffnet hier ein Kino. August Staudenmayer 91 Szene, Seestadt, Nikolaustag Franz (rauchend, in sein Smartphone sprechend): Heute ist Nikolaustag in der Seestadt. Warum nicht – ist ja auch nicht aus der Welt. Ich weiß nicht mehr, auf welchem Auge ich blind bin. Um es herauszufinden, müsste ich das sehende zumachen können. Wenn wir schon über den Advent sprechen – ich bin kein lukrativer Missionar. Ich behaupte, dass Liebe und Sex nicht zusammen gehen. Wenn ich gefragt werde, warum ich das glaube, antworte ich: Die Kirche will, dass Liebe und Sex zusam92 men gehen, und was die Kirche will, kann nicht gehen. Ein riesiger zugespitzter Holzbalken liegt im Auge des „Taifuns“, Markenname einer monströsen Baumaschine: der Pfahl für den Baustellendracula mitten ins Herz der warmen Wohnlichkeit. Wieder ist eine Hand liegen geblieben, in den Boden profiliert – diesmal blau, von der Dezemberkälte. Was sucht eine gelb blinkende Ampel auf einer Kreuzung, die es noch gar nicht gibt. Was sucht das Schild „Aufgelassen“ in einer Bushaltestelle, die noch von keinem Bus defloriert wurde, das Jungfernhäutchen öffnet sich „automatisch“? Ich mache eine Armbewegung, mein Gegenüber macht die Armbewegung mit. Ich erkenne, dass ich meinem Spiegelbild gegenüberstehe. Meine menschlichen Schwächen sind öffentlich. Widersprüche aufgezeigt, verschärft und einsehbar gemacht. Das Private ist öffentlich gemacht. (hustet Schleim, zündet sich eine neue Zigarette an) Ich sterbe mit links. Ich bin Rechtshänder. Mein Tod muss bei den Gehirnhälften einfach raten. Ein Tag vorher: Krampustag Szene, Wohngemeinschaft/Wohnzimmer, abgenützter Altbau, schäbige Gegend, mittags Abdul (kommt zur Tür herein): Ich hab einen Job! Lydia: Wir haben eine Katze. Franz: Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich keine Katze in der Wohnung will. Lydia: Du hast sie dir noch nicht einmal angesehen. Sie ist so lieb. (zu Abdul) Bist du dafür? Abdul: Ich hab nix dagegen. Lydia: Du bist überstimmt, mein Lieber. Abdul: Will keiner wissen, was für einen Job ich hab? Lydia: Stolper nicht über das „Katzenhaus“. Ich weiß nicht, nennt man das überhaupt so? Franz: Wen interessiert das? Abdul: Du hast vielleicht miese Laune. Franz: Die schleppt eine Katze an, wo ich gerade davon eine Allergie krieg. Lydia: Das ist mir aber neu. Magst du generell keine Tiere? August Staudenmayer 93 Franz: Verdammt! Wir haben doch schon ein Tier in der Wohnung! Franz grinst Lydia dreckig an. Sie versteckt ihre langen Zähne hinter der Oberlippe. Franz ahmt spöttisch ein Pferdewiehern nach. Lydia: Du bist so eine elende Drecksau! Abdul: Also interessiert jetzt jemanden, dass ich ab heute Museumsaufseher bin? Franz: Und auf sowas bist du stolz, was dich jeden Tag nur noch mehr verblödet als du eh schon bist! Lydia (nimmt das Kätzchen in die Arme, zu Abdul): Der demütigt und beschimpft mich aufs Ärgste, und du tust wieder einmal nichts! Nichts! Abdul rennt mit einem Jetzt-reicht‘s-Gesichtsausdruck in sein Zimmer und kommt mit einer Pistole zurück. Franz entreißt Lydia das Kätzchen, packt es am Kragen und hält es beim offenen Fenster hinaus. Lydia schreit. Abdul zielt mit der Waffe auf Franz. Dieser grinst nur und steckt sich mit der freien Hand eine Zigarette an. Lydia blickt entsetzt auf Abdul. Dessen Arm beginnt zu zittern, auf seiner Stirn steht Schweiß. Er rennt verzweifelt aus der Wohnung. Szene, WG/Vorzimmer/Wohnzimmer, abgenützter Altbau, schäbige Gegend, abends Abdul stürzt bei der Tür herein, er ist vollkommen verstört und keucht. Abdul: Ich hab Einen im Streit erschlagen. Ich glaub, die Polizei ist mir schon auf der Spur. Was tu ich jetzt? (beginnt zu weinen) Wo ist Lydia? Franz (ruhig): Ausgezogen. So hat das alles keinen Sinn mehr. Hat sie gesagt. Man hört Polizeisirenen. Abdul: Franz! Einen Skinhead! Die haben mich erkannt. Die wissen, wo ich wohne! 94 Franz (weggetreten): Ja? Wo wohnst du? Abdul: Kannst du mir helfen? Weißt du einen Ausweg? Franz: Du hättest dir deinen Bart nicht abrasieren dürfen. Türklopfen, das mit jeder Sekunde lauter wird. Dann ein lautes Krachen. Die Polizisten stehen in der Wohnung. Sie stürzen sich auf Abdul, fixieren ihn am Boden, drehen grob seine Arme auf den Rücken, legen ihm Handschellen an, führen ihn ab. Abdul (immer wieder schreiend): Ich spreche ein perfektes Deutsch! Sie können mich alles fragen! Ich bin kooperativ! Szene, Wohngemeinschaft/Küche, abgenützter Altbau, schäbige Gegend, nachts Franz sitzt am Küchentisch, zündet sich eine neue Zigarette an. Franz: Jetzt geht alles wieder von vorne los. Szene, Seestadt, Seeufer, Nikolaustag Franz liegt am Seeufer, schläft trotz Dezemberkälte ein und träumt. Szene, Rückblende in Franz‘ Kindheit, Wohnzimmer der elterlichen Wohnung Franzis Mutter steht am Heizradiator und friert. Der siebenjährige Franzi steht vor ihr und hält eine Zeichnung in der Hand. Franzi: Mama, bitte schau dir dieses Bild an und sag, dass es das Schönste ist, was du im Leben gesehen hast. Die Kinderzeichnung zeigt den Weg auf eine Bergspitze. Franzis Mutter steht steif da, mit verschränkten Armen und abschätzigem Blick. Sie friert. August Staudenmayer 95 Mutter: Mir ist kalt, geh weg, lass mich in Ruh. Franzi: Die Zeichnung – ich zerreiß sie – für dich. Mutter: Mach was du willst. Aber lass mich in Ruh. Ich kann mich nicht erwärmen. Franzi zerreißt die Zeichnung, die Mutter geht weg. Ein Engel kommt geflogen, landet neben Franzi und bringt ihn ins Badezimmer, wo er an ihm in der Wanne eine Reinwaschung vornimmt. Engel (reibt Franzis nackte Brust): Alles ist wieder gut. Szene, Seestadt, See Franz, wieder erwachsen, steht bis zum Bauch im See. Zwei Aufsichtspersonen stehen am Ufer und rufen ihm zu. Aufsichtspersonen: Badeverbot! Kommen Sie sofort da heraus! Franz schüttet sich Wasser ins Gesicht und über den Kopf. Als er merkt, dass es sich um keine fremden Aufsichtspersonen, sondern um seine Kollegen Judith Pfeifer und Robert Prosser handelt, läuft er auf sie zu. Robert: Was ist denn mit dir los? Franz: Hab mich nass gemacht. Judith: Komm, ich lade dich auf einen Tee ein. Franz: Darf‘s auch n Schnaps sein? Um fünf kommt der Nikolaus auf das Rollfeld. 96 Franz: Hab ich euch schon erzählt … Franz (schreit abwesend zu den Neubauten in der Ferne): Ich will doch nur, dass Ihr mich liebt. (zündet sich eine Zigarette an) Egal. Jetzt kann ich mich genauso gut gleich selbst auflösen, indem ich den Film hier stoppe … und … einfach an der Schraube weiter drehe … Franz: Hab ich euch schon erzählt, welchen Film Christoph Schlingensief machen würde, wenn er noch leben würde? … Ne? Das erzähl ich euch ein andermal. August Staudenmayer 97 Szene, Seestadt, ein paar Glühweine und Schnäpse später Franz: Was schulde ich dir für den Schnaps? Judith: Keiner schuldet etwas. Robert: „Keiner ist illegal“. Franz: Das gefällt mir. Judith: Hast du einen Blick in eine neue Wohnung werfen dürfen? Franz: Nein. Welche Bedürfnisse hat einer, der hierher zieht? Besondere? Robert: Wahrscheinlich dieselben wie jeder Andere auch. Franz: Vielleicht hätte ich es irgendwie forscher angehen sollen. Judith: Wärst lieber als Mad Max reingekracht, oder als moderner Don Quijote, hm? (reibt sich die Hände) Mir ist kalt. Franz: Am liebsten als Marlon Brando. Aber nur in einem bestimmten Film. Robert: Und in welchem? – ENDE – 98 Im p r essum Herausgeberin Stadtteilmanagement Seestadt aspern Seestadtstraße 27/11, 1220 Wien meine.seestadt.info AutorInnen Judith Nika Pfeifer Robert Prosser August Staudenmayer Koordination Seestadt.Schreiben 2014 Lisi Freudenschuss/STM Seestadt aspern Grafik & Layout Bernhard Siquans/STM Seestadt aspern Bildnachweise Cover: Didi Sattmann/Wien Museum, Seite 6: Daniel Ritter/STM Seestadt aspern Seite 10, 14, 18, 22, 32: Judith Nika Pfeifer Seite 39: Robert Prosser Seite 77, 79, 81, 82, 83, 84, 86, 90: Daniel Kundi Seite 92, 97, 98: Nicola Schenk 99 Stadtteilblog: meine.seestadt.info
© Copyright 2024