HEIDELBERG Nr. 301 / Rhein-Neckar-Zeitung Neujahrs-Ausgabe 2015 Kneipen dürfen länger öffnen LEUTE Die Gesundheit geht vor Am 2. März gibt Derek Cofie-Nunoo bekannt, dass er seine Oberbürgermeister-Kandidatur für die Grünen und die Generation-HD zurückzieht. Auch der Kommunalpolitik kehrt der 49Jährige den Rücken. Der Grund: gesundheitliche Probleme. Der leidenschaftliche Kommunalpolitiker leidet an einer chronischen Nierenentzündung. Für die Grünen ist die überraschende Absage eine Katastrophe. Jetzt stehen sie ohne OB-Kandidat da. if/Foto: Archiv Anwohner unterliegen im Streit um Sperrzeiten Von Holger Buchwald Es war der Streit des Jahres: Über kaum ein Thema wurde in Heidelberg so kontrovers diskutiert wie über die Kneipenöffnungszeiten und den Lärm in der Altstadt. In den ersten sechs Monaten sah es noch ganz so aus, als ob die Initiative „Leben in der Altstadt“ (Linda) und der Verein Alt-Heidelberg – jetzt mit LindaGründerin Karin Werner-Jensen an der Spitze – die Oberhand behalten würden. Denn ein Lärmgutachten, welches ein Ehepaar aus der Kettengasse vor dem Verwaltungsgerichtshof erstritten hatte, belegte, dass die Richtwerte der „Technischen Anleitung Lärm“ in Teilen der Kernaltstadt in der Nacht deutlich überschritten werden. Somit kam die Sperrzeitverordnung für die Altstadt auf den Prüfstand: Diese besagt, dass die Kneipen in diesem Stadtteil werktags um 2 Uhr und am Wochenende um 3 Uhr schließen müssen, während im restlichen Ländle die 3- und 5-Uhr-Regelung gilt. 7 Auch Heidelberg feiert Nobelpreis Ab Neujahr ist die Sperrzeitverordnung für die Heidelberger Altstadt Geschichte. Hier gilt dann die Landesregelung. Foto: Rothe Schuld an dem Krach in der Altstadt seien die langen Kneipenöffnungszeiten. So sah das auch Franz Dänekamp: Er klagte gegen das Restaurant Herrenmühle. Er fühlte sich nicht vom Gegröle nächtlicher Randalierer gestört, sondern vom „Lärm“ der Gäste, die bis um 23 Uhr nachts im Freien speisen dürfen. In der Folge kippte die Stimmung im Gemeinderat. Ursprünglich wollte die Verwaltung die Sperrzeiten unter der Woche sogar um eine Stunde verlängern, doch die jungen Stadträte warben bei den Fraktionen für ihre Sache. Mit Erfolg: Am 18. Dezember schaffte der Gemeinderat die Sperrzeitverordnung für die Altstadt ab. Ab morgen darf samstags auch in der Unteren Straße bis 5 Uhr gefeiert werden. Der Physiker Professor Stefan Hell, Direktor des Max-Planck-Institutes für biophysikalische Chemie in Göttingen und seit 2003 Leiter der Abteilung Optische Nanoskopie am DKFZ in Heidelberg, nahm am 10. Dezember den Nobelpreis für Chemie in Stockholm entgegen. Er hat das hochauflösende Lichtmikroskop erfunden. bik/Foto: Hentschel Kein Tag ohne Arbeit Komplettumbau am Hauptbahnhof kommt ani. Die Haltestelle am Hauptbahnhof wird verlegt. Das beschloss der Gemeinderat in seiner letzten Sitzung vor Weihnachten mit 24 zu 20 Stimmen. Das ganze Projekt stand kurzzeitig knapp davor, zu kippen. Kritik an der Variante „Z*red“, die im Verkehrsausschuss nach langer Diskussion beschlossen wurde, kam aus dem bürgerlichen Lager. Denn CDU, „Heidelberger“ und FDP befürchten, dass durch die Fahrspurenverringerung von vier auf drei auf der West-Ost-Achse ein Verkehrschaos ausbricht. Die Variante sieht in erster Linie vor, die Straßenbahn- und Bushaltestelle in der Kurfürsten-Anlage direkt an den Hauptbahnhof zu verlegen. Es werden außerdem vier Gleise mit drei Bahnsteigen gebaut, sodass die Fahrgäste, die am Hauptbahnhof ankommen und umsteigen wollen, keine Fahrbahn mehr überqueren müssen. Baubeginn ist voraussichtlich 2016. Laut Verwaltung kostet der Umbau rund 19,1 Millionen Euro. Im Rahmen des Mobilitätsnetzes soll das gestemmt werden. Freundschaft in der Krise Sorgen um Simferopol Soldaten ohne Abzeichen bringen im Februar die Stadt unter ihre Kontrolle. Foto: Kadnikov hob. In Heidelbergs Partnerstadt Simferopol auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim überschlagen sich im Februar die Ereignisse: Maskierte Männer in Uniformen ohne Abzeichen besetzen das Parlaments- und Regierungsgebäude. Als Krimtataren und Russen im Zentrum der Stadt protestieren, werden Demonstranten zu Tode getrampelt. Wie soll es mit der Freundschaft zu der Hauptstadt der Autonomen Republik Krim weitergehen? Diese Frage stellt sich spätestens, nachdem Russland die ehemals ukrainische Halbinsel nach einem umstrittenen Referendum im März annektiert. Jahrelang unterstützen Heidelberger die Kliniken in Simferopol und engagierten sich für die Menschen, doch diese Hilfe ist nicht mehr erwünscht. „Wir wollen uns aus der großen Politik raushalten. Die Freundschaft besteht zu den Menschen“, sagt die Freundeskreis-Vorsitzende Magdalena Melter im September. Doch auch im Verein gibt es Streit. Melter akzeptiert den Anschluss an Russland, ihr Stellvertreter Gerd Guntermann nicht. Wie kompliziert die Lage ist, zeigt die Gemeinderatsitzung im Dezember. Einige Stadträte protestieren gegen die Verhaftung des ukrainischen Filmregisseurs Oleg Sentsow. Doch niemand weiß, an wen man solch eine Protestnote richten kann. Ein Stadtteil rüstet auf Einbruchserie im Pfaffengrund – Bürger laufen nachts Patrouille – Späte Erfolgsmeldung der Polizei schuhsheim und die rie. Im Spätsommer ist es am Weststadt werden imSchlimmsten im Pfaffengrund: mer wieder von EinbreDie Angst geht um in dem bechern heimgesucht. In schaulichen Stadtteil im Westen, ganz Heidelberg werden denn keine Woche vergeht ohne in den ersten drei QuarEinbruch. Manchmal schlagen talen des Jahres knapp die unbekannten Täter sogar 300 Einbrüche gezählt, mehrmals pro Nacht zu – und gut ein Viertel mehr als räumen das Haus aus, während im gleichen Zeitraum des die Bewohner schlafen. Oft läuft Vorjahres. es gleich: Ein gekipptes Fenster Ende November dann oder eine Balkontüre, schnell endlich eine Erfolgsaufgehebelt, schnell eingestiegen meldung: Die Polizei – und schon sind alle Wertsachen schnappt eine georgiweg. Über 20 versuchte und volsche Einbrecherbande, lendete Einbrüche sind es alleine im August und September. Symbolhaft für einen ganzen Stadtteil:Ein Pfaffengrunder hat seinen Balkon die für mindestens 40 Einbrüche vor allem im Die Polizei ermittelt, zeigt mit Stacheldraht ausgerüstet. Foto: Priebe Heidelberger Norden Präsenz – und hält die Bürger an, jeden Verdacht, jede ungewöhnliche Be- tatsächlichen Einbrechern kommt es zum (und nicht im Pfaffengrund) verantwortobachtung sofort zu melden. Doch einigen Glück nicht. Mitte Oktober ebbt die Ein- lich sein soll. Rund eine halbe Million EuPfaffengrundern reicht das nicht. Verein- bruchswelle ab, der Pfaffengrund kommt ro Diebesgut soll die Gruppe erbeutet haben – und die Polizei geht davon aus, dass zelt formieren sich Bürgerwehren, die zur Ruhe. Doch auch andere Stadtteile sind be- diese Zahl im Laufe der Ermittlungen noch nachts Patrouille laufen. Zu einer offenen Konfrontation mit vermeintlichen oder troffen. Besonders Neuenheim, Hand- deutlich steigt. Reiterverein zieht nach Ladenburg Der Kapitän ging von Bord Straßenbahn – und kein Ende tt. Mit einem letzten Ausritt Ende Juni beendete der Heidelberger Reiterverein seine 88-jährige Vereinsgeschichte in Heidelberg. Auf 18 Pferden machten sich die Reiter am Gelände an der Tiergartenstraße, das der Verein seit 1949 nutzte und auf das sich der Zoo erweitern wird, auf in Richtung Ladenburg. Dort hat der Verein Asyl gefunden und will mit einem Ladenburger Verein zum Pferdesportzentrum Ladenburg fusionieren. Bevor der Ladenburger Gemeinderat dafür im August grünes Licht gab, mussten die Pferde in einem provisorischen Stallzelt untergebracht werden. Mit dem Umzug endet für die 430 Mitglieder des Heidelberger Reitervereins die jahrelange Suche nach einem Ersatzstandort in Heidelberg. Über das ganze Stadtgebiet waren Möglichkeiten geprüft worden, 2012 lehnte es der Gemeinderat aber ab, den Verein an anderem Ort anzusiedeln. hö. Eine der markantesten und bekanntesten Kommunalpolitiker ist tot: Nils Weber (Foto: Alex) starb am 25. September im Alter von 72 Jahren an seiner Krebserkrankung. Seit 1980 saß er, mit kurzen Unterbrechungen, als „Dienstältester“ im Gemeinderat, erst für die SPD, dann für die „Heidelberger“, ab 2011 für die Freien Wähler. Weber war ein Musenmensch, gerne wäre er Kulturbürgermeister geworden; aber auch trockene Kärrnerarbeit lag ihm. Am liebsten engagierte er sich für „Handfestes“: So regte er 2009 die Neckarfähre an, drei Jahre schipperte die Liselotte los. Daher sprach der Fähren-Freundeskreis vielen aus dem Herzen, als er in der Todesanzeige schrieb: „Unser Kapitän ist von Bord gegangen.“ hö. Als Ende Juni Regierungspräsidentin Nicolette Kressl den Planfeststellungsbeschluss für die neue Straßenbahn ins Neuenheimer Feld mitbrachte, hätte man fast schon ans Bauen gehen können. Hätten nicht die Universität, das Max-PlanckInstitut und das Deutsche Krebsforschungszentrum dagegen geklagt, weil sie dadurch ihre Forschungsmöglichkeiten eingeschränkt sehen. Knapp ein halbes Jahr später, Mitte Dezember, überschlugen sich die Nachrichten: Erst hieß es, Stadt und RNV hätten sich mit den Klägern auf einen Kompromiss geeinigt (weniger Oberleitungsmasten und besseren Erschütterungsschutz), da erließ der Verwaltungsgerichtshof Mannheim einen vorläufigen Baustopp für das Projekt – und gab den Forschungsinstituten uneingeschränkt recht. Jetzt sind alle ratlos, aber immerhin redet man miteinander. Seit 1999 ist der Politologe Klaus von Beyme emeritiert und dennoch geht er jeden Tag, an dem er in Heidelberg ist, in sein Institut. Das war auch am 3. Juli so, als der Wissenschaftler seinen 80. Geburtstag feierte. Beyme hat das Heidelberger Institut für Politische Wissenschaft (IPW) aufgebaut und dessen internationales Renommee geprägt wie sonst keiner. if/Foto: Joe Sozial engagiert Als Dekanin Marlene Schwöbel-Hug wenige Tage nach ihrem 60. Geburtstag die „Woche der Diakonie“ eröffnete, war dies gleichzeitig ihre offizielle Geburtstagsfeier. Und da war dann die Rede von der „Frau am richtigen Platz, die viel bewegt hat“, vom „Glücksfall für Heidelberg“. Gelobt wurde von den Rednern ihr Verstand, Gefühl, Verständnis, aber auch ihre resolute Durchsetzungskraft. Anstelle von Geschenken hatte die Dekanin um Spenden für die Erweiterung der Marienhütte gebeten. if/Foto:Rothe Flusspferd erlegt Das Foto eines hochrangigen Mitglieds des Uniklinikums sorgte Anfang Februar für Schlagzeilen: Der Professor hatte in Namibia ganz legal ein Nilpferd geschossen und posierte mit seinem Gewehr neben dem erlegten Tier. Der Mediziner beteuerte, nicht an einer Trophäenjagd teilgenommen zu haben. Das Tier habe die Einwohner eines Dorfes bedroht, die Naturschutzbehörde habe das Flusspferd zum Abschuss freigegeben. tt/F: privat Die Wahlkämpfe waren so langweilig wie noch nie Bei der Kommunalwahl im Mai fehlten die strittigen Themen, bei der OB-Wahl im Oktober die Alternative zu Amtsinhaber Würzner Von Micha Hörnle Heidelberg wurde mal wieder seinem Ruf gerecht: Der Gemeinderat ist erstens mit 48 Mitgliedern größer, zweitens zersplitterter denn je, und drittens fehlen klare Mehrheiten (besonders für das „bürgerliche“ Lager, das OB Eckart Würzner stützt). Bei der Kommunalwahl am 25. Mai kamen alle 13 Listen, die auf dem Wahlzettel standen, ins Rathaus, neu sind drei: die Linke (zwei Sitze), die AfD (2) und die Piraten (1). Doch die Stadt ist seitdem nicht unregierbar: Denn auch die 19 neu gewählten Stadträte fanden sich überraschend schnell in ihre Aufgabe, das beste Beispiel ist der Umgang mit der „Affäre Butt“: Waseem Butt war vor der Wahl für Generation-HD als Spitzenkandidat angetreten, die Liste kam schließlich auf zwei Mandate. Sechs Wochen später wechselte Butt überraschend zur CDU, die dadurch mit elf Sitzen vor den Grünen (10) stärkste Kraft im Rat wurde. Generation-HD fühlte sich betrogen, auch viele Bürger missbilligten diesen Schritt, die Emotionen kochten hoch. Bei der konstituierenden Sitzung des Gemeinderats am 24. Juli hätte es zu einem heftigen Streit im Rathaussaal kommen können, doch es blieb bei harmlosem Geplänkel – und ansonsten arrangierte man sich rasch mit der neuen Situation. Das hängt auch damit zusammen, wie Eckart Würzner seit seiner bis dato schlimmsten Niederlage, dem Bürgerentscheid gegen den Stadthallenanbau anno 2010, die Stadt regiert: Er unterwirft nicht nur alle großen Projekte der Bürgerbeteiligung, sondern sucht sich im Rat meistens breite Mehrheiten. Richtige Kampfab- stimmungen sind selten geworden – offenbar funktionieren auch die alten „Lagergrenzen“ nicht mehr. Da Würzner mittlerweile „einer für alle“ ist, taten sich Grüne und SPD schwer, geeignete Gegenkandidaten aufzustellen. Die SPD gab nach langer Suche auf, die Grünen fanden im Herbst 2013 jemanden, der aber kein Parteimitglied ist: den Gründer von Generation-HD, Derek Cofie-Nunoo. Doch schon bevor der eigentliche Wahlkampf begonnen hatte, erklärte Anfang März Cofie-Nunoo krankheitsbedingt seinen endgültigen politischen Abschied: Wegen einer akuten Nierenentzündung legte er die Kandidatur und sein Stadtratsmandat nieder, die Grünen verzichteten im Juli endgültig auf eine Alternative zu Würzner. Der hatte fortan keinen ernsthaften Widerpart mehr, und so war dann auch der Wahlkampf vor der OB-Wahl einer der langweiligsten in der jüngeren Stadtgeschichte. Am Ende stand neben Würzner nur Alexander Kloos auf dem Stimmzettel. Kloos war bereits 2006 als Unabhängiger bei der OB-Wahl angetreten und wurde von keiner Partei unterstützt. Am 19. Oktober siegte Würzner mit 84,4 Prozent, Kloos bekam 9,1 Prozent, 6,4 Prozent (1404 Stimmen) schrieben andere Namen auf den Zettel: 69 Cofie-Nunoo, 60 die grüne OB-Kandidatin des Jahres 2006, Caja Thimm, immerhin 14 Alt-OB Beate Weber-Schuerholz. Die Wahlbeteiligung erreichte ein noch nie gekanntes Rekordtief: Nur 23 171 von 106 222 Wahlberechtigten, 21,8 Prozent, gingen an die Urnen. Bei der Kommunalwahl – auch hier fehlten strittige Themen – waren es gute 50,7 Prozent, fast zwei Prozentpunkte mehr als 2009.
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