Maestro des Wandels - EnBW Bericht 2014

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Maestro
Eric Gauthier
des Wandels
Mit Leidenschaft und Charme erfindet sich Eric Gauthier seit Jahrzehnten immer wieder neu. Der Tänzer, Choreograf und Musiker weiß
allerdings auch, dass ein Neubeginn nur mit voller Kraft gelingt.
G roßes versteckt sich oft an schlichten
Orten. So wie in diesem Proberaum in
Stuttgart. Es riecht nach Schulsport.
Man hört Tangomusik und die Rufe
der Ballettmeisterin. Junge Männer und Frauen im Sportdress tänzeln auf den Zehenspitzen,
drehen Pirouetten und verharren im nächsten
Moment in majestätischer Pose.
Wer den Mitgliedern der Gauthier Dance Company beim Training zuschaut, merkt schnell, wie
vielfältig eine einzige Choreografie sein kann.
„Mit Tanz kannst du alles im Leben ausdrücken“,
sagt Eric Gauthier, der die Stuttgarter Truppe
vor acht Jahren aufgebaut hat. Und er selbst
weiß wohl am besten, dass Leben vor allem
Wandel bedeutet.
Der 37-jährige Kanadier mit Wahlheimat Stuttgart ist Ballettstar, Tänzer, Choreograf und hat
nebenher eine eigene Band. Rollenwechsel
als Schicksal. Nur wenige Menschen leben die
Leidenschaft für den Wandel so konsequent
wie Eric Gauthier. „Mein Lieblingstier ist das
Chamäleon“, sagt er. Als er noch klassisches
Ballett gemacht hat, da liebte er nicht die tragischen Rollen, wie den Romeo. Der Mercutio
war sein Favorit. Der schillernde Draufgänger –
frech, lebhaft, mit Neigung zum derben Spaß.
Unternehmungsgeist spürt Gauthier bereits mit
neun Jahren. Nachdem er in seiner Heimatstadt
Montreal das Musical „Cats“ gesehen hat, beschließt er, Tänzer zu werden. Bald darf er an
der renommierten National Ballett School in
Toronto anfangen. Er lebt im Internat und sieht
seine Eltern nur noch einmal im Monat. Als
Frankokanadier spricht er zunächst kaum Englisch. „Ich war oft einsam, hatte Heimweh“, sagt
er. Zum ersten Mal verändert sich sein Leben
grundlegend.
Er lernt, wie hart es sein kann, einen Traum zu
leben. Er beißt sich durch und hat Erfolg. Als
sein Direktor in Toronto zum Stuttgarter Staatsballett wechselt, fragt er Gauthier, ob er mitgehen will. Unter Balletttänzern ist Stuttgart ein
legendärer Ort. Voller Respekt sprechen sie von
dem Choreografen John Cranko und dem Tänzer Egon Madsen, die in den 60er-Jahren zum
„Stuttgarter Ballettwunder“ beitrugen. Gauthier
folgt dem Ruf – und stellt sein Leben erneut auf
den Kopf.
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„Mit Tanz
kannst du
alles ausdrücken.“
In den ersten Jahren lebt er nur fürs Ballett.
Das Stuttgarter Publikum liebt ihn und den feinen Witz, den er in seine Bewegungen zaubert.
Nach den Auftritten geht er mit Kollegen aus.
Eines Abends landen sie in einer Schwulenbar.
Plötzlich neben ihm eine Frau. Sie gefällt ihm.
Man kommt ins Gespräch. Das Paar hat heute
zwei Kinder.
Wenn Balletttänzer über 30 sind, denken sie
über ihre Zukunft nach. In den Gelenken beginnt es zu zwicken, manchmal schmerzt der
Rücken. „Der Körper macht nicht ewig mit“, sagt
Gauthier. Da trifft es sich gut, dass ihm Werner
Schretzmeier, kreativer Kopf des Theaterhauses
Stuttgart, im Jahr 2007 die Gründung einer eigenen Tanzkompanie vorschlägt. Gauthier sagt
zu. Wieder ein Neubeginn.
Immer locker: Eric Gauthier
trainiert noch manchmal
selbst an der Ballettstange.
Er fängt mit sechs Tänzern an, heute sind
es 16. Jedes Jahr bringt er mit ihnen gemeinsam zwei neue Shows heraus. Die Bandbreite
der Gauthier Dance Company ist enorm – Tanz
als Kunstform des Punks, als Kombipackung
mit dem Rapper Cro oder als Reise durch die
Unendlichkeit. S
­ eine Tänzer sind Stars, gehen
auf Tournee. Bei der Kanzlerin, beim Bundes­
präsidenten und vor fremden Staatschefs zeigen
Gauthiers ­Leute speziell einstudierte Stücke.
Immer originell und immer etwas unkonventionell.
Als Chef seiner eigenen Tanzkompanie muss
Gauthier auch Manager sein und sich um 22 Angestellte und Finanzen kümmern. Kunst kostet
Geld. Zum Glück hat er Sponsoren – zu denen
die EnBW gehört.
Nachwuchssorgen gibt es keine. Rund 800 Bewerbungen im Jahr gehen bei Gauthier ein. Nur
die Besten dürfen zum Vortanzen kommen. Dabei achtet er auf die internationale Zusammen-
Eric Gauthier wurde 1977 im kanadischen Montreal geboren. Seine
ersten Lebensjahre verbrachte er im
französischsprachigen Teil des Landes. Mit neun Jahren nimmt er erstmals Ballettunterricht und besucht
später mehrere auf die Ausbildung
von Tänzern spezialisierte Schulen.
Der Direktor des Kanadischen Nationalballetts nimmt ihn 1996 mit nach
Deutschland. Gauthier wird in Stuttgart zum Star des Staatsballetts und
gründet 2007 sein eigenes Ensemble.
setzung des Teams. Denn in jeder Kultur tanzen
die Menschen anders. „Diese Mischung gibt den
Aufführungen Würze.“
Wer bei Gauthier beginnt, muss bereit sein, sich
an sozialen Projekten zu beteiligen. Gauthier
Dance Mobil heißen solche Produktionen. Die
Stücke sind so angelegt, dass sie mit minimalem Platz auskommen. Gespielt wird gratis in
Krankenhäusern, Seniorenheimen oder bei
schwer erziehbaren Jugendlichen. „Überall
dort, wo Leute sind, die sonst keine Möglichkeit
haben, solche Aufführungen zu sehen.“
Stellt sich die Frage, wann die nächste große
Wende in seinem Leben kommen soll. Berufungen an große Häuser in ganz Europa hat er
ausgeschlagen. „Ich bin hier glücklich“, sagt
Gauthier. Und deshalb hat der nächste Wechsel
wohl noch etwas Zeit.
Informationen und Termine der
Gauthier Dance Company:
www.theaterhaus.de/gauthierdance/
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Vielfalt: Eric Gauthier gemein­sam
mit Band auf der Bühne
(1. Foto v. l.), als junger Ballett­
tänzer (2. Foto v. l.) und mit
­Isabelle Pollet-Villard in einer Aufführung der Dance Company (u.)
Zeitenwechsel: Gauthier in der
Choreografie Double You (r.) und
als Kaiser Nero (u.)
„Mein Lieblingstier ist das
Chamäleon.“
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