› Fort Schritte › Eric Gauthier 31 Maestro Eric Gauthier des Wandels Mit Leidenschaft und Charme erfindet sich Eric Gauthier seit Jahrzehnten immer wieder neu. Der Tänzer, Choreograf und Musiker weiß allerdings auch, dass ein Neubeginn nur mit voller Kraft gelingt. G roßes versteckt sich oft an schlichten Orten. So wie in diesem Proberaum in Stuttgart. Es riecht nach Schulsport. Man hört Tangomusik und die Rufe der Ballettmeisterin. Junge Männer und Frauen im Sportdress tänzeln auf den Zehenspitzen, drehen Pirouetten und verharren im nächsten Moment in majestätischer Pose. Wer den Mitgliedern der Gauthier Dance Company beim Training zuschaut, merkt schnell, wie vielfältig eine einzige Choreografie sein kann. „Mit Tanz kannst du alles im Leben ausdrücken“, sagt Eric Gauthier, der die Stuttgarter Truppe vor acht Jahren aufgebaut hat. Und er selbst weiß wohl am besten, dass Leben vor allem Wandel bedeutet. Der 37-jährige Kanadier mit Wahlheimat Stuttgart ist Ballettstar, Tänzer, Choreograf und hat nebenher eine eigene Band. Rollenwechsel als Schicksal. Nur wenige Menschen leben die Leidenschaft für den Wandel so konsequent wie Eric Gauthier. „Mein Lieblingstier ist das Chamäleon“, sagt er. Als er noch klassisches Ballett gemacht hat, da liebte er nicht die tragischen Rollen, wie den Romeo. Der Mercutio war sein Favorit. Der schillernde Draufgänger – frech, lebhaft, mit Neigung zum derben Spaß. Unternehmungsgeist spürt Gauthier bereits mit neun Jahren. Nachdem er in seiner Heimatstadt Montreal das Musical „Cats“ gesehen hat, beschließt er, Tänzer zu werden. Bald darf er an der renommierten National Ballett School in Toronto anfangen. Er lebt im Internat und sieht seine Eltern nur noch einmal im Monat. Als Frankokanadier spricht er zunächst kaum Englisch. „Ich war oft einsam, hatte Heimweh“, sagt er. Zum ersten Mal verändert sich sein Leben grundlegend. Er lernt, wie hart es sein kann, einen Traum zu leben. Er beißt sich durch und hat Erfolg. Als sein Direktor in Toronto zum Stuttgarter Staatsballett wechselt, fragt er Gauthier, ob er mitgehen will. Unter Balletttänzern ist Stuttgart ein legendärer Ort. Voller Respekt sprechen sie von dem Choreografen John Cranko und dem Tänzer Egon Madsen, die in den 60er-Jahren zum „Stuttgarter Ballettwunder“ beitrugen. Gauthier folgt dem Ruf – und stellt sein Leben erneut auf den Kopf. 32 › Fort Schritte „Mit Tanz kannst du alles ausdrücken.“ In den ersten Jahren lebt er nur fürs Ballett. Das Stuttgarter Publikum liebt ihn und den feinen Witz, den er in seine Bewegungen zaubert. Nach den Auftritten geht er mit Kollegen aus. Eines Abends landen sie in einer Schwulenbar. Plötzlich neben ihm eine Frau. Sie gefällt ihm. Man kommt ins Gespräch. Das Paar hat heute zwei Kinder. Wenn Balletttänzer über 30 sind, denken sie über ihre Zukunft nach. In den Gelenken beginnt es zu zwicken, manchmal schmerzt der Rücken. „Der Körper macht nicht ewig mit“, sagt Gauthier. Da trifft es sich gut, dass ihm Werner Schretzmeier, kreativer Kopf des Theaterhauses Stuttgart, im Jahr 2007 die Gründung einer eigenen Tanzkompanie vorschlägt. Gauthier sagt zu. Wieder ein Neubeginn. Immer locker: Eric Gauthier trainiert noch manchmal selbst an der Ballettstange. Er fängt mit sechs Tänzern an, heute sind es 16. Jedes Jahr bringt er mit ihnen gemeinsam zwei neue Shows heraus. Die Bandbreite der Gauthier Dance Company ist enorm – Tanz als Kunstform des Punks, als Kombipackung mit dem Rapper Cro oder als Reise durch die Unendlichkeit. S eine Tänzer sind Stars, gehen auf Tournee. Bei der Kanzlerin, beim Bundes präsidenten und vor fremden Staatschefs zeigen Gauthiers Leute speziell einstudierte Stücke. Immer originell und immer etwas unkonventionell. Als Chef seiner eigenen Tanzkompanie muss Gauthier auch Manager sein und sich um 22 Angestellte und Finanzen kümmern. Kunst kostet Geld. Zum Glück hat er Sponsoren – zu denen die EnBW gehört. Nachwuchssorgen gibt es keine. Rund 800 Bewerbungen im Jahr gehen bei Gauthier ein. Nur die Besten dürfen zum Vortanzen kommen. Dabei achtet er auf die internationale Zusammen- Eric Gauthier wurde 1977 im kanadischen Montreal geboren. Seine ersten Lebensjahre verbrachte er im französischsprachigen Teil des Landes. Mit neun Jahren nimmt er erstmals Ballettunterricht und besucht später mehrere auf die Ausbildung von Tänzern spezialisierte Schulen. Der Direktor des Kanadischen Nationalballetts nimmt ihn 1996 mit nach Deutschland. Gauthier wird in Stuttgart zum Star des Staatsballetts und gründet 2007 sein eigenes Ensemble. setzung des Teams. Denn in jeder Kultur tanzen die Menschen anders. „Diese Mischung gibt den Aufführungen Würze.“ Wer bei Gauthier beginnt, muss bereit sein, sich an sozialen Projekten zu beteiligen. Gauthier Dance Mobil heißen solche Produktionen. Die Stücke sind so angelegt, dass sie mit minimalem Platz auskommen. Gespielt wird gratis in Krankenhäusern, Seniorenheimen oder bei schwer erziehbaren Jugendlichen. „Überall dort, wo Leute sind, die sonst keine Möglichkeit haben, solche Aufführungen zu sehen.“ Stellt sich die Frage, wann die nächste große Wende in seinem Leben kommen soll. Berufungen an große Häuser in ganz Europa hat er ausgeschlagen. „Ich bin hier glücklich“, sagt Gauthier. Und deshalb hat der nächste Wechsel wohl noch etwas Zeit. Informationen und Termine der Gauthier Dance Company: www.theaterhaus.de/gauthierdance/ › Fort Schritte › Eric Gauthier Vielfalt: Eric Gauthier gemeinsam mit Band auf der Bühne (1. Foto v. l.), als junger Ballett tänzer (2. Foto v. l.) und mit Isabelle Pollet-Villard in einer Aufführung der Dance Company (u.) Zeitenwechsel: Gauthier in der Choreografie Double You (r.) und als Kaiser Nero (u.) „Mein Lieblingstier ist das Chamäleon.“ 33
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