Geschichte der Medizin: Vorlesungsteil Medizin im 19. Jh.

Kröner
12.04.2015
Naturwissenschaftliches
Krankheitskonzept: Medizin im 19. Jh.
• Differenzierung: Ausdifferenzierung des Wissens
mit naturwissenschaftlichen Fragestellungen und
Methoden (Labor, Experiment) ging einher mit
• Spezialisierung: Zahlreiche neue medizinische
Spezialdisziplinen etablierten sich und wiesen z.T.
spektakuläre wissenschaftliche Erfolge auf
• Expansion: Massive Unterstützung von Seiten
der Politik; naturwissenschaftliche Medizin steigt
zu einer „Großwissenschaft“ auf, die auch
nationalem Machtstreben dient
Medizin und Fortschritt:
Josef Dietl (1845)
• Medizin soll nicht Kunst sondern Wissenschaft
sein. Ziel: Mit Hilfe der Pathologischen Anatomie,
Physik und Chemie „unwandelbare Gesetze und
Gewißheiten“ schaffen
• Krankheit ist ein „Naturprodukt“, eine „materielle
Veränderung am Organismus“
• Therapie kann nicht vorrangiges Ziel des Arztes
sein; liegt „nicht im Wesen der Naturwissenschaft“.
Therapeutischer Nihilismus („Im Wissen und
nicht im Handeln liegt unsere Kraft“)
Medizingeschichte
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Medizin und naturwissenschaftlicher
„Fortschritt“: Josef Dietl (1845)
„Vorwärts! ist jetzt die Losung auf dem Felde unserer
Wissenschaft. Das Scalpel zeichnet in scharfen Zügen
die Producte pathischer Vorgänge […] das Stethoskop
belauscht mit glücklichem Erfolge die Geheimnisse der
Brust, und bringt durch das Gehör dasjenige zur
lebhaften Anschauung, was das Auge nicht zu erspähen
vermag. Das Mikroskop dringt bis zu den Atomen des
Thierkörpers, und stellt gewissermaßen die Keime der
Krankheiten dar. Die Chemie entsendet allenthalben ihre
leuchtenden Funken, und bald wird sie uns, ein
hellaufloderndes Licht, in die tiefsten Schachten des
Organismus voranleuchten.“
Rudolf Virchow: Cellularpathologie
Virchows Cellularpathologie
(1858) erklärte Krankheiten
als zelluläre Prozesse, deren
Struktur und Dynamik bis in
alle Einzelheiten zu erforschen
seien.
Medizingeschichte
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Virchows naturwissenschaftliches
Forschungsprogramm
1) Ausbau der pathologischen Anatomie,
um mit mikroskopischen Verfahren der
Krankheit ihre Geheimnisse zu entreißen
2) Durchführung von Tierexperimenten,
die der Erforschung von pathologischphysiologischen Prozessen dienten
3) Klinische Beobachtung der Kranken
und der Anwendung des theoretischen
Wissens in der Klinik
Naturwissenschaftliche Medizin:
Instrument, Experiment, Labor
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Instrumente der experimentellen
Physiologie: Der „Sphygmograph“ (1859)
Experimentelle Physiologie:
Emil Du Bois-Reymond (1818-1896)
• 1858 o. Professor für
Physiologie in Berlin
(Nachfolge Müller)
• 1877 Physiologisches
Institut in Berlin, „Tempel
der Wissenschaft“
• Elektrophysiologie,
„thierische Electricität“ in
Muskeln, „Nervenphysik“
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Einführung des Fieberthermometers:
Messen der „Fieberkurven“ (1852)
Unmögliche Dinge: Exners „Physiologie des
Fliegens und Schwebens“ (1882)
Raphael: Der Triumph der Galathea
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Ins Innere des menschlichen Körpers:
Adolf Kußmaul und der „Schwertfresser“
Adolf Kußmaul
(1822-1902)
Anfänge der „Gastroskopie“
Verwissenschaftlichung
der Seuchenbekämpfung I
1854 Choleraepidemie in London: John Snow
kartiert Cholera-Fälle im Versorgungsgebiet der
Wasserpumpe. Ursache: nicht Dünste, sondern
verunreinigtes Trinkwasser
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Verwissenschaftlichung
der Seuchenbekämpfung II
• 1883 gelingt Robert Koch der Nachweis des
kommaförmigen Bakteriums (Vibrio cholerae)
• 1892: Choleraepidemie in Hamburg:
verschmutztes Hafenwasser, elende Wohnverhältnisse, mehr als 8.000 Tote
• Max von Pettenkofer
Lehrstuhl für Hygiene in München
Streit mit Koch um Entstehung und
Verbreitung der Cholera münden
in einen bizarren Selbstversuch
Bakteriologie
Louis Pasteur: Milchgärung
(1857) Nachweis der Existenz von
Mikroorganismen („Spaltpilzen“)
1863 „Krankheiten des Weines“
(Essigpilz) – Pasteurisieren
Robert Koch: spezifische
Bakterien erregen spezifische
Krankheiten. Erstbeschreibung
Tuberkelbazillus (1882)
Bakteriologie wird um 1900
Leitwissenschaft der Medizin
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Hygiene im Krankenhaus
Ignaz Philipp Semmelweis
1846-1849 Assistenzarzt an der
Geburtshilflichen Abteilung am
Wiener Allgemeinen Krankenhaus
Müttersterblichkeit am
„Kindbettfieber“ (Puerperalsepsis)
Semmelweis wertet Mortalitätsstatistiken aus:
1820er Jahre: Sterblichkeit der Frauen rund 1 %
1840er Jahre: rund 10 % (1843 zeitweilig über 30 %)
Gefahr bekannt: Frauen bevorzugen „Gassengeburt“!
„Semmelweis-Story“
• Wiener Gerichtsmediziner
erleidet Skalpellverletzung
und stirbt. Semmelweis:
„Nicht die Wunde, sondern das Verunreinigtwerden der
Wunde durch Cadavertheile hat den Tod herbeigeführt“
• Krankheitsbild stimmt mit den an Kindbettfiebern
verstorbenen Frauen überein; Erkenntnis: Häufung an
den Abteilungen, wo Medizinstudenten und Ärzte
zuvor mit „Cadavertheilen“ gearbeitet hatten.
• „Chlorwaschungen“ führen zu statistisch belegbaren
Erfolgen, dennoch stößt Semmelweis auf Widerstand;
verspätete Publikation (1861); politische Umstände
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• Antisepsis
Asepsis: Ernst von Bergmann führt
Dampfsterilisation ein (1886)
Joseph Lister
Karbolspray
Bekämpfung von
Wundkeimen in
der Luft (1867)
• Asepsis
Ernst von
Bergmann
Dampfsterilisation
von Instrumenten,
Kittel, etc. (1886)
1890
Gloves
of Love
William Stewart Halsted
First surgeon in chief am
Johns Hopkins Hospital
Caroline Hampton Chief
nurse operating room
erhält 1890 von Halsted
maßgeschneiderte
Gummihandschuhe …
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Expansion von Medizin und
Naturwissenschaft im Kaiserreich
• Deutsches Kaiserreich 1871-1918: Nationale
Machtpolitik und Naturwissenschaften
• Du Bois-Reymond, 1871 (Das Kaiserreich und der
Friede): „Erstreben die Herrschaft des Menschen
über die Natur“
• Neubauten als „Wissenschaftsfabriken“ (u.a. durch
„Kriegsentschädigungen“ aus Frankreich)
• 1880-1910: durchschnittlicher Jahresetat
medizinisch-naturwissenschaftlicher Institute steigt
von 30.000 auf etwa 200.000 Mark
Neue Lehrstühle: Physiologie und Psychiatrie
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