NG Nicole Gelfert Bahnhofstr. 30 · 95511 Mistelbach Nicole Gelfert · Bahnhofstr. 30 · 95511 Mistelbach <VERSANDHINWEISE> Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr Odeonsplatz 3 80539 München Mistelbach, 09.06.2014 offener Brief Abschaffung der Rasseliste Sehr geehrter Herr Ministerialrat Hauser, ich gehöre als betroffene Rottweiler-Halterin zu den Unterstützern der Petition zur Abschaffung der Rasseliste von Herrn Peter Schwegler. Ihr Anschreiben vom 15.11.2013 an Herrn Schwegler habe ich gelesen. Irgendwie kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich hier lediglich um einen vorgefertigten Textbaustein handelt. Die hierin zitierten Verordnungen dürften Haltern von Listenhunden durchaus geläufig sein und beantworten in keinster Weise einige Fragen, die sich außer mir sicher auch viele andere betroffene Hundehalter stellen. Es ist zwar richtig, dass es immer wieder zu Beißvorfällen kommt, allerdings sind diese in den meisten Fällen eben nicht auf die in Bayern gelisteten Hunderassen zurückzuführen. Insofern ist eine Rasseliste sicherlich nicht geeignet, die Bevölkerung vor Beißvorfällen zu schützen. Nach Ihren Ausführungen, die Sie auf Anfrage einer anderen Person hin gemacht haben, wurden 2012 475 Personen durch Hunde verletzt (in wie vielen Fällen es sich davon um Hundebisse handelt, entzieht sich meiner Kenntnis), davon gerade einmal 20 von sogenannten „Kampfhunden“, was also noch nicht einmal einen Anteil von 5 % der gelisteten Hunderassen insgesamt ausmachen würde. Auch wenn einige der gelisteten Rassen ursprünglich gezüchtet wurden, um gegen andere Hunde oder Tiere zu kämpfen, wird hier von Medien und auch Politik häufig ein völlig verzerrtes Bild dargestellt, denn bei diesen Hunden war Aggression gegenüber Menschen gerade nicht erwünscht. Davon einmal abgesehen, ist nur ein geringer Teil des Verhaltens erblich bedingt. Es spielen sehr viel mehr die Umwelteinflüsse etc. eine Rolle. Dies ist übrigens auch beim Menschen so. NG Nicole Gelfert Seite 2 / 4 Abgesehen davon, sind auch die Zuchtziele heute ganz andere als damals. Insofern verweise ich auf die Zusammenfassung der Dissertation „Kampfhund“ Geschichte, Einsatz, Haltungsprobleme von „Bull-Rassen“ - Eine Literaturstudie – von Andrea Steinfeldt (TiHo Hannover) und möchte hieraus kurz wie folgt zitieren: „(...) Aus veterinärmedizinischer Sicht sollte die Gefährlichkeit von Hunden ausschließlich anhand ihres Individualverhaltens beurteilt werden. Dabei muss der Begriff „Kampfhund“ unbedingt vermieden werden, weil er historischen Ursprungs ist und sich auf Hundepopulationen bezog, die leistungsorientiert für Kämpfe gezüchtet wurden und die in dieser Form heute nicht mehr existieren. (...)“ In Ihrem Brief an Herrn Schwegler stellen Sie die Behauptung auf, dass in die Verordnung nur die Hunderassen aufgenommen wurden, bei denen eine Anlage zu gesteigerter Aggressivität gegenüber Menschen und anderen Tieren vorhanden ist und verweisen dann noch auf Körpergröße und Beißkraft. Hier darf ich beispielhaft kurz auf die Dissertation „Überprüfung der gesteigerten Aggressivität und Gefährlichkeit von Rottweilern und Rottweiler-Mischlingen im Rahmen der Auswertung von Wesenstests in Bayern von Christine Baumann (Institut für Tierschutz, Verhaltenskunde und Tierhygiene der Tierärztlichen Fakultät der LudwigMaximilians-Universität München) verweisen. Zitat aus der Schlussfolgerung: „(...) Damit widersprechen die Testergebnisse der Aussage von WEGNER (1994), wonach der Rottweiler in den letzten Jahrzehnten auf Mut, Härte und Kampftrieb gezüchtet wurde. (…)Das Argument Rottweiler aufgrund des Temperaments und der Größe in die Verordnung aufzunehmen, würde auch auf viele andere Rassen zutreffen. Es liegen zudem keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, das bestimmte Rassen, wie beispielsweise Rottweiler, ein höheres Aggressionspotential aufweisen (siehe Kap. 2.2.4.2). (...)“ Was die Beißkraft angeht, so steht wissenschaftlich meines Wissens momentan nur eines fest, nämlich, dass die Beißkraft im Zusammenhang mit der Größe des Hundes steht, dass diese aber auch innerhalb einer Hunderasse starken Schwankungen unterliegt. Ich verweise hier auf die Untersuchungen von 48 Hunden von Lindner, D.L., Maretta, S.M., Pijanowsky, G.J., Johnson, A.L. und Smith, Ch.W. aus dem Jahre 1995. Hier wurde die Beißkraft anhand eines Transponders (Elektronik im Kauknochen) ermittelt. Sie schwankte z. B. allein bei den getesteten Rottweilern zwischen 280 bis 1200 kp. Im Vergleich dazu: Ein Retriever schaffte 480 kp. Weiter möchte ich noch kurz auf die Schlussfolgerung der Dissertation von Roman Mikus „Statistische Auswertung von Sachverständigengutachten über Hunde mit Beißvorfällen in Bayern“ (Institut für Tierschutz, Verhaltenskunde und Tierhygiene der Tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München) eingehen: „(...) Hunde, welche unter der Kategorie I und II in der Verordnung des Staatsministeriums des Inneren vom 10.07.1992 über Hunde mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit aufgelistet sind, spielten eine untergeordnete Rolle. Angesichts der Ergebnisse sollten seitens der Gesetzgebung Alternativen zu den so genannten „Rasselisten“ erarbeitet werden. Das Augenmerk der Prävention sollte sich NG Nicole Gelfert Seite 3 / 4 auf alle Hundebesitzer und Hunde, unabhängig von deren Rasse richten. Hier sollte eine gezielte Förderung des Wissens von Hundeverhalten allgemein und der Vermeidung von Gefahrensituationen erfolgen. (...)“ Zu meinen Fragen: 1. Wieso wurden diese und auch zahlreiche andere Dissertationen ganz offensichtlich bisher nicht berücksichtigt? Es werden hier ja auch durchaus Alternativen aufgezeigt, die man mit Experten ausarbeiten könnte. 2. Sie sprechen von statistischen Erhebungen und Erfahrungswerten. Dann können sicher Zahlen genannt werden, wie sich die Beißvorfälle seit Einführung der Rasseliste1992 von vor der Einführung der Rasseliste bis jetzt verändert haben. 3. Sind die Städte und Gemeinden zur Führung von Beißstatistiken verpflichtet und wenn ja seit wann? 4. Gibt es Zahlenmaterial wie viele Listenhunde in Bayern gemeldet sind? 5. Welche Experten genau haben an der Erstellung der Rasseliste in Bayern mitgearbeitet? 6. Wie kann es sein, dass in der Rasseliste eine nicht existierende Hunderasse auftaucht? Gemeint ist hier der „Bandog“, was eigentlich übersetzt Kettenhund bedeutet. In gewissen Hundekreisen wird diese Bezeichnung zwar für besonders große „Kampfhunde“ verwendet (z. B. Kreuzungen zwischen APBT und Molossern), allerdings handelt es sich dann hier ja um Mischlinge und nicht um eine Hunderasse. Nachzulesen im Übrigen auch bei Wikipedia 7. Wie kann es möglich sein, dass es nach über 20 Jahren des Bestehens der Rasseliste in Bayern immer noch Behörden gibt, die sich mit dem Verfahren auf Erteilung eines Negativzeugnisses nicht auskennen? Es kann ja wohl nicht Aufgabe eines Hundehalters sein, die Behörden darüber aufzuklären, wie ein derartiges Verfahren abzulaufen hat. Wurden hier keine Personalschulungen vorgenommen? Was man da teilweise zu hören bekommt ist wirklich haarsträubend und reicht von „Kleinigkeiten“, die allerdings zum Teil auch Geld kosten können, bis hin zu Aussagen wie, dass man einen Hund trotz bestandenem Wesenstest, oder, obwohl er gar nicht auf der Rasseliste steht, nicht halten darf. Dies ist kein Scherz! Ich schreibe hier über Dinge, die ich entweder selbst erlebt habe, oder über Erfahrungen, die andere Hundebesitzer hier in Bayern gemacht haben. Es ist mir auch ein aktueller Fall bekannt, bei dem einem Hundehalter einer nicht gelisteten Hunderasse – und nein der Hund war bisher nicht auffällig – seitens der Behörde Schwierigkeiten gemacht werden. NG Nicole Gelfert Seite 4 / 4 Ich könnte meinen Fragenkatalog durchaus noch fortsetzen und es gäbe sicher noch Vieles, was ich anmerken könnte – insbesondere was es im Alltag bedeutet einen Listenhund zu halten -, aber das würde den Rahmen sprengen. Der Brief ist ohnehin schon viel länger geworden, als geplant. Ich hoffe, Sie können mir zumindest die oben aufgeworfenen Fragen beantworten. Mit freundlichen Grüßen Nicole Gelfert
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