30 JAHRE ÖKO-TEST JUBILÄUM MUM April 2015 Einkauf der Testprodukte Für einen Standardtest aus dem Kosmetikbereich werden üblicherweise rund 20 verschiedene Marken analysiert. Dabei müssen von jedem Produkt jeweils vier Töpfchen, Tuben oder Flaschen aus derselben Charge gekauft werden. Drei davon werden an die verschiedenen Labore geschickt. Die vierte bleibt als Rückstellprobe im Verlag. Das gestaltet sich mitunter ziemlich mühsam, denn nicht in jedem Geschäft sind von jedem Produkt vier aus einer Charge vorrätig. Beim Test Schulranzen lautete der Auftrag aus der Redaktion: 15 moderne Modelle verschiedener Marken. „Unsere Recherche erbrachte allerdings, dass es bei Schulranzen gar nicht so viele Hersteller gibt“, berichtet Ingrid Pohl. „Daher haben wir uns auf elf Modelle von insgesamt sechs Herstellern beschränkt.“ Elf getestete Modelle im Heft bedeuten aber 22 Tornister im Einkauf. Von jedem Produkt benötigte die Redaktion zwei Stück, weil alle Ranzen sowohl auf Schadstoffe als auch auf Alltagstauglichkeit überprüft wurden. Und da die Modelle für den Schadstofftest zerlegt wurden, brauchten die Redakteure für den Praxistest beim TÜV noch ein zweites, unbeschadetes Exemplar gleichen Typs. Zerschnitten, verpackt, verschickt: Nachdem die Schultaschen im Verlag angekommen waren, rückten Ingrid Pohl und ihre Kolleginnen elf Tornistern mit der Schere zu Leibe: Verschlussklappe, Träger, Leuchtstreifen – nichts blieb ganz. Aus jedem Ranzen entstanden mehrere Proben. Mit einem Paketdienst wurden die Ranzenteile in die Labore und die elf vollständigen Modelle zum Praxistest beim TÜV verschickt. Der Praxistest ÖKO-TEST testet nicht selbst, sondern schickt die Produkte zur Analyse in unabhängige Labore. Für den Test Schulranzen beauftragte ÖKO-TEST unter anderem den TÜV Rheinland. Dort wurden die Schulranzen auf ihre Praxistauglichkeit überprüft. Ein Experte vom TÜV untersuchte zunächst die Verarbeitung der verwendeten Materialien. Mit den Fingerkuppen konnte er feststellen, ob scharfe Kanten und Ecken vorhanden sind. Außerdem testete er die Polsterungen und untersuchte den Ranzen auf Druckstellen. Zudem wurden die Schulranzen genau vermessen. Ein Schultergurt muss beispielsweise im Auflagenbereich mindestens vier Zentimeter breit und gepolstert sein. Eine Expertin maß auch die eingesetzten retroreflektierenden (Licht widerspiegelnden) sowie fluoreszierenden (selbst leuchtenden) Materialien. Mindestens zehn Prozent der Vorder- und Seitenteile sollten retroreflektierend sein, mindestens 20 Prozent fluoreszierend, so empfiehlt es die Schulranzennorm DIN 58124. Das ist wichtig für die Sicherheit im Straßenverkehr. stoffe untereinander. Wenn beispielsweise in einem Lebensmittel mehrere unterschiedliche Pestizide enthalten sind, ist nicht vorhersehbar, wie sich diese in Kombination auf den menschlichen Organismus auswirken. Warum erfahren die Hersteller vorab die Testergebnisse? Foto: Labor Pro Monat kauft ÖKO-TEST rund 1.000 Produkte. Im Verlagsgebäude gehören mehrere Räume nur den Produkten. Vom Boden bis zur Decke sind dort die Regale gefüllt mit unzähligen Artikeln wie Wandfarben, Wickelauflagen, Bodylotionen, Badesandalen usw. Von hier aus managen drei Mitarbeiter den gesamten Einkauf. „Wir gehen nie für nur einen Test los, sondern für mindestens fünf bis sechs Tests parallel“, erklärt Ingrid Pohl. Pro Monat kaufen sie und ihre Kollegen rund 1.000 Produkte. Dafür sind sie täglich auf „Shoppingtour“ in Supermärkten, Drogerien, Baumärkten und Bio-Läden – je nachdem welches Thema gerade ansteht. Für den Test Schulranzen beispielsweise kauften sie einige Exemplare in Kaufhäusern, andere bezogen sie auch über das Internet. Seite 5 Mit einer digitalen Waage wurde das Leergewicht der Schulranzen ermittelt. Dabei gilt: je leichter, desto besser. Mit Inhalt sollte ein Tornister nicht mehr als zehn Prozent des Körpergewichts eines Kindes wiegen, so empfiehlt es die DIN 58124. Die Schultergurte müssen einhändig, gleichmäßig und stufenlos verstellbar sein. Die Verschlussklappe wurde im Labor 4.000 Mal geöffnet und geschlossen. Danach dürfen die Schnallen beispielsweise nicht klemmen, die Verschlussklappe muss immer noch zufallen. Regenwasserdichtheit: Der Schulranzen wird in einem Beregnungsprüfgerät auf eine drehbare Platte gestellt. Von oben bekommt der Tornister aus Düsen zehn Minuten lang eine Dusche. Dabei dreht sich die Platte, auf der der Ranzen steht. So kann im Labor die Alltagssituation „Schulweg im Regen“ simuliert werden. Die Tücher, die vor der Dusche in den Tornister gelegt wurden, werden nach dem Test erneut gewogen. Aus der Gewichtsdifferenz ergibt sich die eingedrungene Wassermenge. Mehr als zehn Gramm Wasser sollten dabei laut Schulranzennorm nicht ins Innere gelangen. Selbst wenn der Tornister im Nassen steht, darf durch den Unterboden kein Wasser eindringen. Indem die Fachleute den Ranzen zehn Minuten in eine durchsichtige Wanne mit einem Zentimeter Wasser stellten, wurde geprüft, ob das klappt. 14 Tage nach der Prüfung der Regenwasserdichtheit wurden die Verstell- und Verschlussteile auf Korrosion geprüft. Belastbarkeit: Die Expertin belud den Schulranzen mit sechs Kilogramm und spannte ihn dann in eine Prüfvorrichtung ein, mit der das Tragen des Schulranzens auf dem Rücken des Kindes simuliert wird. Dann wurde der Ranzen 100 Mal um zehn Zentimeter angehoben und fallen gelassen. Anschließend ließ die Testerin den Schulranzen zehn Mal aus einem Meter Höhe auf eine Bodenplatte fallen. Dabei muss der Tornister mit der Bodenseite aufkommen, er darf nicht umfallen. Danach kontrollierte die Expertin, ob der Schulranzen diese Prozedur unbeschadet ohne Risse, Brüche oder bleibende Verformung überstanden hat. Als die Tornister das Testverfahren beim TÜV durchlaufen hatten, kamen sie zurück in den Verlag. Dort standen sie der Redakteurin, die den Test betreute, zur Verfügung. Die zerkleinerten Schulranzen, die an die Labore zum Schadstofftest geschickt wurden, kehrten allerdings nicht mehr zurück. Der Schadstofftest im Labor Für den Test Schulranzen hat ÖKO-TEST neben vier anderen Laboren das Analyselabor für Schwermetalle und organische Halogene Indikator beauftragt. In Plastiktüten verpackt und beschriftet trafen die Schulranzenteile im Labor ein. Hier zerkleinerten die Chemiker die Tornisterproben noch weiter und sortierten sie nach den Materialien Plastik und Metall. Die zerschnittenen Plastikteilchen kamen einzeln in eines der Aufschlussgefäße. Nachdem die Säure dazugegeben worden war, wurden die Behältnisse fest verschlossen. Die Aufschlussgefäße – insgesamt gibt es fünf – stellten die Wissenschaftler in das MikrowellenAufschlusssystem, worin die Proben bei 200 Grad Celsius und unter einem Druck von 60 bar aufgelöst wurden. Die zerkleinerten Metallteile wiederum wurden sieben Tage bei 37 Grad Celsius mit einer Körperschweißsimulationslösung behandelt. Diese Lösung untersuchten die Experten anschließend auf Nickel. Nach Abschluss der unterschiedlichen Probenvorbereitung füllten die Wissenschaftler alle erstellten Lösungen in den automatischen Probengeber. Dann wurde eine Probe nach der anderen in das Analysegerät ICP-MS gesaugt. Hier begann die eigentliche Analytik der Schwermetalle. Auf dem Monitor können die Analysedaten grafisch dargestellt werden. Große Peaks entsprechen dabei großen Konzentrationen von Schwermetallen. In der Soxhletapparatur wurden die Plastikteilchen mit Wasser gekocht. Auf diesem Wege gehen die organischen Halogenverbindungen in das Wasser über. Anschließend wurden die organischen Halogene an Aktivkohle gebunden. Diese wird abgesaugt und dann in das AOX-Gerät überführt. Dort wird die Aktivkohle verbrannt. Dabei entsteht Salzsäure, die in einer Messzelle bestimmt wird. Und daraus wiederum wird der Gehalt der halogenorganischen Verbindungen berechnet. Die Auswertung der Laborergebnisse Von den Laboren erhalten die Redakteure die Testergebnisse in Form von Rohdaten ohne jegliche Beurteilung. Diese Daten liegen in Mengenangaben, zum Beispiel in Mikrogram oder Milligramm, vor. Die Bewertung der Messergebnisse, das heißt die Bewertung der Produkte, müssen die Redakteure aufgrund ihrer Recherchen vornehmen. ÖKO-TEST vergibt dabei Noten von eins bis sechs. Der Legende zu jedem Test können die Leser entnehmen, welche Konzentration welcher Schadstoffe zu einer Abwertung um wie viele Noten führt. Bei den Schulranzen beispielsweise bedeuteten im Testergebnis „Material“ mehr als 250 Mikrogramm der hochgiftigen zinnorganischen Verbindung Dibutylzinn (DBT) pro Kilogramm eine Abwertung um vier Stufen. Das allein bedeutet schon die Note fünf (mangelhaft). Bei der Bewertung von Schadstoffen ist ÖKOTEST häufig strenger als Stellungnahmen offizieller Einrichtungen oder als der Gesetzgeber. Denn ÖKO-TEST geht davon aus, dass die Verbraucher nicht nur mit einem einzigen, sondern ständig mit verschiedenen Schadstoffen konfrontiert sind: Acrylamid in Chips, Pilzgifte in Weizenmehl oder Antibiotika in Honig. So summiert sich die Belastung auf Dauer. Außerdem gibt es kaum Studien über die Wechselwirkungen verschiedener Schad- Noch vor der Veröffentlichung werden die Hersteller über die Untersuchungsergebnisse der Labore informiert. Das ist zum einen eine Frage der Fairness. Denn mit unseren Tests greifen wir die Hersteller zum Teil massiv an. Wir finden, dass sie daher die Möglichkeit haben sollten, sich zu verteidigen, auch wenn uns das selbst angreifbar macht. Denn immer wieder versuchen Hersteller, vorab die Veröffentlichung der Testergebnisse vor Gericht verbieten zu lassen. Außerdem hat die Vorabmitteilung praktische und juristische Gründe. Wenn Hersteller mit den Testergebnissen nicht einverstanden sind, legen sie uns oft Gegengutachten vor. Dann beginnt bei uns und unseren Labors die Suche nach den Gründen. Oft beziehen sich die Gegengutachten auf andere Chargen und sind somit nicht aussagekräftig. Das Gleiche gilt, wenn völlig andere Testmethoden verwendet werden. Lassen sich unterschiedliche Laborwerte jedoch nicht erklären, erfolgt von unserer Seite eine weitere Untersuchung, um auszuschließen, dass das von uns beauftragte Labor einen Fehler gemacht hat – was allerdings so gut wie nie der Fall ist. Trotzdem schützen wir uns durch die frühzeitige Mitteilung der Testergebnisse an die Hersteller vor der Veröffentlichung falscher Testergebnisse. Rechtlich ist die Benachrichtigung der Hersteller zwar nicht zwingend vorgeschrieben. Verpflichtend ist jedoch das „Bemühen um Richtigkeit“. Die Vorabbenachrichtigung ist für Gerichte ein Indiz für dieses Bemühen. Das Verfahren ist daher auch bei anderen seriösen Testzeitschriften Standard. Oft reagieren die Hersteller schon vor Erscheinen des Heftes auf die Testergebnisse. Im ÖKO-TEST Magazin werden interessante Reaktionen unter der Rubrik „So reagierten die Hersteller“ veröffentlicht. So ließ Aldi, nachdem wir im Test für das Juni-Heft 2014 gentechnisch veränderte Bestandteile im Senf gefunden hatten, umgehend die Regale leerräumen. Im gleichen Heft hatten wir im Test vegetarische und vegane Lebensmittel Gerstengras der Firma Lebepur stark erhöhte Mengen von Erdölbestandteilen gefunden. Daraufhin erklärte der Hersteller, er werde künftig immer selbst auf die Verunreinigungen untersuchen lassen und seine Zulieferer zu Vorsichtsmaßnahmen verpflichten. Wie lange dauert ein Test? In der Regel sind es kaum mehr als vier Monate. Zwei Wochen dauert der Einkauf, etwa einen Monat nehmen die Untersuchungen im Labor in Anspruch, sechs Wochen braucht die Redaktion für das Verfassen und die Auseinandersetzung mit den Herstellern, der Rest der Zeit bis zum Druck dient als Zeitpuffer, falls unvorhergesehene Probleme auftreten sollten. Komplizierte Tests, an denen viele Labore beteiligt sind, oder für die wir ganz neue Parameter untersuchen, können aber auch viel länger dauern. Dann kann auch schon mal mehr als ein halbes Jahr ins Land gehen. Schnell muss es allerdings gehen, wenn eine völlig neue Produktgruppe auf den Markt kommt, zum Beispiel vor einiger Zeit die Smoothies oder Bubblesteas. Dann wollen die ÖKO-TEST-Leser selbstverständlich zeitnah wissen, was davon zu halten ist. MUM
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