1 Schwerpunktbereich Deutsches und Europäisches Privatversicherungsrecht Besonderes Versicherungsvertragsrecht I/1 Grundzüge des Rechts der Personenversicherung Skript Von Prof. Dr. Roland Rixecker [Das Skript ist kein Mitschnitt der Vorlesung. Es gibt die Struktur der Vorlesung wieder, schildert die besprochenen Fälle – Leitentscheidungen des Bundesgerichtshofs oder der Oberlandesgerichte – unter Angabe der (zum Nachlesen gedachten) Fundstelle – ohne Wiedergabe einer ausführlichen Lösung, enthält Klausurbeispiele (Aufgabe und Gliederung der Lösung) und weiter führende Hinweise. Auf diese Weise soll das Skript sowohl informieren als auch zu der eigenständigen Erarbeitung rechtlicher Probleme anregen. Insoweit enthält es keine vollständige Darstellung eines Rechtsgebiets sondern eine kasuistische Annäherung an im Alltag des Versicherungsvertragsrechts relevante Probleme, deren mosaikhafte Zusammenstellung dazu dienen soll, ein Gesamtbild anzudeuten und in einzelnen Teilen zu veranschaulichen]. Die Vorlesung stellt verschiedene Fälle dar, um die rechtspraktischen Probleme des Schwerpunktbereichs insoweit zu veranschaulichen. Es wird erwartet, dass die Studierenden die zitierten und besprochenen Entscheidungen nachlesen. 2 Abschnitt 1 Grundzüge des Rechts der Unfallversicherung §§ 178 – 191 VVG (AVB: AUB 2014) (Fundstelle: www.gdv.de) 1. Grundlagen und Abgrenzung Zweck: Private Absicherung vor den finanziellen Folgen (Personenschäden) eines Unfalls. Abgrenzung zur gesetzlichen Unfallversicherung, die in SGB VII geregelt ist, und die (nur) Schäden infolge von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten gesundheitlichen Gefahren deckt, dafür aber über die private Unfallversicherung hinaus die Funktionen „Prävention, Rehabilitation und Entschädigung“ (§ 1 SGB VII) deckt. Neuere Bedingungswerke sehen über die Entschädigung hinaus weitere Leistungen („managed care“) vor (Hilfen im alltäglichen Leben). Art: Personenversicherung: Schutz des VN oder der VP gewissen, durch einen Unfall eingetretenen wirtschaftlichen Nachteilen Summenversicherung: Versprechen von Leistungen ohne Nachweis eines konkret eingetretenen Schadens. Teilweise Schadensversicherung: Zahlung von Tagegeld oder von Heilungskosten. 2. Versicherungsfall: Unfall a. Regelfall Die versicherte Person erleidet durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper einwirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung. „Tödliche Schokolade“ BGH 23.10.2013 - IV ZR 98/12 – VersR 2013, 1570 Die mitversicherte K litt an einer angeborenen schweren Entwicklungsstörung (Trisomie 18) sowie an Asthma und an einer schweren Allergie gegen Nüsse. Am Heiligabend 2009 nahm K aus der Weihnachtsdekoration nusshaltige Schokolade und verzehrte sie. Sofort schwollen die Atemwege zu und K erlitt einen tödlichen 3 Kreislaufzusammenbruch. VN verlangt die Todesfallleistung, VR beruft sich darauf, der Tod sei allein durch Vorgänge im Körperinnern ausgelöst worden. 1.Versicherungsfall eingetreten? (Beweislast: VN. Maßstab: § 286 ZPO) Versicherungsfall ist nach § 178 das Unfallereignis (von außen plötzlich auf den Körper wirkendes Ereignis). VVG kennt kein „Unmittelbarkeitserfordernis“. (a) „Einwirkung von außen auf den Körper“? Der Verzehr der Schokolade hat auf die Mundschleimhaut eingewirkt. Dass daraufhin „im Körper“ allergische Reaktionen ausgelöst wurden ist unerheblich. Folglich liegt ein „Kontakt des Körpers mit der Außenwelt“ vor. [Vergleichbar: Sturz auf Skipiste, Ertrinken / Anders: Ersticken an erbrochener Nahrung nach Einführung einer Magensonde] (b) Plötzlich Entweder in zeitlicher Hinsicht objektiv kurzfristige (und nicht allmählich) oder in subjektiver Hinsicht unerwartete und unentrinnbare Geschehnisse. 2.Unfreiwilligkeit? (§ 178 Abs. 2 Satz 2 VVG) (Beweislast: VR. Maßstab: § 286 ZPO)) Freiwilligkeitserfordernis bezieht sich nicht auf das Unfallereignis (vP hat die Schokoladenplätzen freiwillig gegessen), sondern auf die Unfallfolge. 3.Ereignisfolge (Invalidität oder Tod)? (Beweislast: VN, Maßstab: § 287 ZPO) VP ist verstorben. „Die liebe böse Sonne“ OLG Saarbrücken 13.03.2013 – 5 U 343/12 – NJW-RR 2014, 101 VN befährt eine bewaldete Landstraße. Nach einer Kurve auf einer Lichtung blendet ihn plötzlich das Sonnenlicht; er wendet den Kopf ab, ein Lichtblitz zuckt vor seinen Augen, Kopfschmerzen treten auf. VN hat eine Dissektion der aorta carotis interna erlitten und ist invalide. Entscheidende Frage ist, ob eine Einwirkung von außen vorliegt oder ob es sich um eine nicht gedeckte Eigenbewegung handelt. Das am Beginn der Kausalkette stehende äußere Ereignis muss den VN nicht physisch getroffen haben, es kann über einen Sinneseindruck vermittelt worden sein. Dann muss ein irgendwie gearteter physischer Wirkungszusammenhang bestehen (z.B. auch bei unwillkürlichen physiologischen Reaktionen). Hier ist das Sehen der Sonne als solches jedoch ohne jede körperliche Folge geblieben sondern hat nur eine 4 Eigenbewegung ausgelöst und erst diese Eigenbewegung hat die gesundheitliche Schädigung herbeigeführt. [Kann ein VN ( in anderen Fällen ) geltend machen, er habe mit seiner Eigenbewegung nur einen Unfall vermeiden wollen, steht ihm also ein Anspruch auf „Rettungskostenersatz“ zu? § 184 VVG erklärt aber die Vorschriften über die Schadenabwendungsobliegenheit gerade für die AUB-V nicht für anwendbar!] b. Deckungserweiterungen (Unfallfiktion) „Ein unsportlicher Sportlehrer“ OLG Saarbrücken 28.12.2001 – 5 U 842/00 – VersR 2002, 1096 VN ist von Beruf Lehrer an einem Gymnasium und unterrichtet die Fächer Biologie und Sport. Am 26.03.1998 führte er während des Sportunterrichts Muskelanspannungs- und Kräftigungsübungen vor. Er wollte aus der Bauchlage – die Beine leicht gegrätscht und gestreckt gehalten, die Arme über Schulterbreite geöffnet und ebenfalls gestreckt – unter allgemeiner Muskelanspannung des Rumpfes und der Extremitäten den Körper vom Boden abheben und nur noch auf Händen und Füßen ruhen, ohne sich auf die Ellenbogen- und Kniegelenke zu stützen. Dabei kam es zu einem Muskelfaserriss bzw. partiellen Sehnenriss des Musculus rectus femoris, eines der Oberschenkelmuskeln, rechts. VVG § 178 Abs. 1 „bei einem Unfall oder einem vertraglich dem Unfall gleichgestellten Ereignis“ AUB 2008 1.4. Als Unfall gilt auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule ein Gelenk verrenkt wird oder Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden. Vergleichsmaßstab für die Feststellung einer erhöhten Kraftanstrengung ist der Kraftaufwand, mit der die normale körperliche Bewegung – im Allgemeinen – naturgemäß verbunden ist. Erforderlich ist ein gegenüber diesem Kraftaufwand erhöhter Einsatz von Muskelkraft. Das gilt auch dann, wenn nur der eigene Körper in Bewegung gesetzt wird. Das gilt auch dann, wenn die Tätigkeit der vP immer wieder besondere körperliche Kraftanstrengungen erfordert. 3. Besondere Anspruchsvoraussetzung: Ärztliche Feststellung der Invalidität „Schlimme Folgen einer Quadfahrt“ OLG Naumburg 19.07.2013 – 4 W 6/13 – NJW-RR 2014, 104 5 Der versicherte Sohn des VN erlitt am 17.07.2009 einen Unfall mit einem Quad, der zu einer spastischen Querschnittslähmung führte. VN wie VN am 03.03.2010 darauf hin, dass eine Invalidität innerhalb von 15 Monaten ärztlich festgestellt werden müsse, berief sich auf den Ausschluss des Fahrens ohne Fahrerlaubnis und erwähnte, sie werde ihre Leistungspflicht erneut prüfen, wenn sich herausstellte, dass dieser Einwand nicht greife. Im Rechtsstreit (dort hat sich ergeben, dass eine Straftat nicht vorlag) beruft sie sich auf das Fristversäumnis. AUB 2008 2.1.1.1. Voraussetzung für die Leistung: „Die Invalidität ist innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten, innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und von Ihnen bei uns geltend gemacht worden. VVG § 186: VR hat den VN auf Anzeige eines VersFalls hin auf vertragliche Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen in Textform hinzuweisen. Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen „Unfallereignis (plötzlich von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis – Gesundheitsschädigung - Unfallereignis) liegen vor. Nach den AVB ist aber die (rechtzeitige) ärztliche Feststellung der Invalidität eine weitere Anspruchsvoraussetzung! Fehlt sie, wie hier, ist ein Anspruch grundsätzlich nicht gegeben. Versagung der Berufung auf Fehlen nach § 186 VVG? Hinweis nach § 186 VVG muss nicht besonders hervorgehoben sein, muss jedoch den Endzeitpunkt erkennen lassen! Ist Belehrung erfolgt, kann die Berufung auf Fehlen des Hinweises dennoch treuwidrig sein (§ 242 BGB), wenn Invalidität von Anfang an feststeht, oder VR VN in dem Glauben wiegt, er, VR, werde sich um Beschaffung von Unterlagen selbst kümmern oder Regulierung letztlich nicht davon abhängig machen. 4. Wesentliche Deckungsausschlüsse „Das traurige Ende eines sadomasochistischen Nachmittags“ OLG Saarbrücken 18.12.1996 5 U 421/94 VersR 1997, 949 K klagt als Bezugsberechtigte eines von ihrem homosexuell veranlagten Ehemann (VN), einem Arzt, bei B abgeschlossenen Unfallzusatzversicherungsvertrag, auf Zahlung der Todesfallleistung. VN hatte während eines Urlaubs den ebenfalls 6 homosexuell veranlagten X kennengelernt, der später ein von VN gemietetes Appartement in S bezog. Dort trafen sich VN und X, um unter dem Einfluss empfindungssteigernder Drogen sadomasochistische Praktiken auszuüben. VN (Masochist) forderte dabei X regelmäßig mit den Worten „kill me“ auf, ihn zu töten oder jedenfalls mit einem mitgeführten Messer zu schneiden. Am 01.12.1991 fanden sich VN und X in der angemieteten Wohnung (alkoholisch beeinflusst {0,54 o/oo} und drogenberauscht durch Ecstasy und LSD) ein und begannen sich nach Fesselung des VN sexuell zu betätigen. Im Verlauf des Geschehens – „kill me“ – stieß X das mitgeführte Messer mit äußerster Kraft in den Rücken des VN, dem es gelang, das Appartement und alsdann sein Leben zu verlassen. K hält einen Unfall für gegeben und Ausschlussgründe nicht für gegeben. 1. Vorliegen eines Unfallereignisses (Stich mit dem Messer in den Körper) Vorhersehbarkeit unerheblich („plötzlich“) [Definition des Tatbestandsmerkmals „plötzlich“ als entweder objektiv (kurzer Zeitraum) oder subjektiv („unerwartet und unentrinnbar“] 2. Beweis der Freiwilligkeit durch VR? [Bezugspunkt: Folgen des Unfallereignisses: VN wollte in Wirklichkeit nicht getötet werden] 3. AUB-Ausschluss für „Eingriffe am Körper“? [Medizinische oder kosmetische Behandlungen im weiteren Sinn; VN muss den konkreten, den VersFall auslösenden Eingriff selbst vorgenommen haben oder mit seiner Vornahme im Bewusstsein der Risiken und möglich Folgen einverstanden gewesen sein] 4. Ausschluss von Geistes- oder Bewusstseinsstörungen? [SV: Kein Alkoholrausch, keine Feststellbarkeit der Wirkung der Drogen] (Ist eine präorgiastische Erregung eine Geistes- oder Bewusstseinsstörung?SV: Nein) 5. Ausschluss infolge der Vollendung oder des Versuchs einer vorsätzlichen Straftat? (VN hat Täter Rauschmittel verabreicht, also eine vorsätzliche BTM-Straftat begangen; aber: nur solche Straftaten, die zu Unfallereignissen führen, die typische Risiken der begangenen Straftat sind, führen zum Ausschluss). [!!: Sinn des Ausschlusses (wie i.d.R. aller Ausschlüsse) ist es, das erhöhte Unfallrisiko aufgrund besonders gefährlicher Verhaltensweisen von der Deckung auszunehmen, um das Gleichgewicht von Prämie und Absicherung nicht zu stören. Das bedeutet aber, dass es einer teleologischen Interpretation des Ausschlusses bedarf: Hat sich das erhöhte Risiko tatsächlich in dem Versicherungsfall niedergeschlagen?!!] a. Kein Versicherungsschutz besteht für Unfälle durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen „Straßenspaziergang eines Betrunkenen“ 7 OLG Saarbrücken 05.04.2006 5 U 633/05 zfs 2006, 338 VN besuchte in der Nacht vom 27.02.2003 auf den 28.02.2003 eine Faschingsveranstaltung in S. Gegen 05.50 Uhr wurde er mitten auf einer Landstraße zwischen Sch-H und S als Fußgänger von dem Kfz des X erfasst und erlag noch an der Unfallstelle seinen Verletzungen. Eine entnommene Blutprobe ergab eine BAK von 2,15 o/oo. Bewusstseinsstörung: Beeinträchtigung der vP in seiner Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit in einem Maße, dass sie die Gefahrenlage nicht mehr beherrscht (Erhöhung des Unfallrisikos über das vom VR kalkulierbare Maße hinaus). Kraftfahrer: in aller Regel 1,1 o/oo: Keine Übertragbarkeit auf Fußgänger! Dort gilt ein sich aus den verschiedenen Indizien ergebender Maßstab! b. Kein Versicherungsschutz besteht für Unfälle durch vorsätzliche Ausführung einer Straftat „Ein „bombiges“ Eishockeyspiel“ OLG Saarbrücken 25.06.2014 – 5 U 83/13 – juris VN erwarb von einem Arbeitskollegen zwei Kugelbomben, nämlich nicht zugelassene pyrotechnische Gegenstände. Im August 2008 reiste er zu einem BLEishockeyspiel nach Garmisch-Partenkirchen. Vor dem Stadion zündete er eine Kugelbombe an und warf sie von sich. Sie explodierte nicht. Daraufhin holte er sie zurück, zündete sie erneut an und beobachtete die Flamme bis zur Explosion. Dadurch wurden ihm beide Hände abgerissen. Er trägt vor: Des Verbotenseins der Verwendung der Kugelbomben sei er sich nicht bewusst gewesen. Prüfungsschritte: 1. Versicherungsfall: Kugelbomben reißen VN die Hände ab. 2. Freiwilligkeit: VN hat die Gesundheitsschädigung gerade nicht freiwillig in Kauf genommen. 2. Ausschluss: Vorsätzliche Ausführung einer Straftat: a. Ermittlung des Straftatbestandes (§ 308 StGB) b. Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen (abstrakte oder konkrete Gefährdung müssen nicht in den Vorsatz aufgenommen werden, müssen aber vorliegen – Selbstgefährdung genügt nicht). c. Wirkung des Verbotsirrtums? – Maßgeblich sind strafrechtliche Grundsätze! c. Ausgeschlossen sind folgende Beeinträchtigungen: Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen auch wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden (AUB 2008 5.2.6.) 8 „Ein Polizist, ein Hund und ein Hörschaden“ BGH 29.09.2004 – IV ZR 233/03 – VersR 2004, 1449 VN verlangt eine Invaliditätsentschädigung. Am 09.04.1998 wollte er einem Polizisten zu Hilfe kommen, den ein Hund angefallen und gebissen hatte. Als er sich bückte, um den Hund wegzuziehen, erschoss der Polizist den Hund mit seiner Dienstwaffe. Durch den in seiner Nähe abgegebenen Schuss erlitt VN ein Knalltrauma, das nicht nur zu einer (vom VR entschädigten) Schwerhörigkeit führte, sondern auch durch fortdauernde Ohrgeräusche zu schweren Schlafstörungen und Depressionen. Auslegung der Klausel: Gesundheitsschädigungen, die auf Einwirkungen von außen über Schock, Schreck, Angst erfolgen oder auf psychischer Fehlverarbeitung beruhen. Seelische Beschwerden, die Folge einer organischen Schädigung oder Reaktion sind, lösen den Ausschlusstatbestand nicht aus (Hier: Sinnzellenschädigung im Innenohr führen zu Tinnitus, psychische Folgen sind also nicht allein durch ihre psychogene Natur zu erklären).. 5. Voraussetzung einer Invaliditätsentschädigung a.Bestehen eines Anspruchs dem Grunde nach § 180 VVG: Dauerhafte Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Dauerhaftigkeit: Voraussichtlich länger als drei Jahre und keine Änderungserwartung. Unterscheide: Erstbemessung und Neubemessung! Streit um den Zeitpunkt der Prognose: OLG Saarbrücken 05.07.2013 – 5 U 25/13 – juris einerseits und OLG Düsseldorf 06.08.2013 – 4 U 221/11 – VersR 2013, 1571. b.Bestehen eines Anspruchs der Höhe nach Für bestimmte Gesundheitsschäden sehen die AVB pauschalierte Sätze vor: ▼ Die sogenannte Gliedertaxe! Sie regelt für ihren Bereich abschließend und einer individuellen Korrektur nicht zugänglich abstrakt und generell feste Invaliditätsgrade bei dem vollständigen oder dem teilweisen Verlust oder der Funktionsunfähigkeit bestimmter Organe und Glieder. 9 Veranschaulichung: 2.1.2.2.1 Bei Verlust oder völliger Funktionsunfähigkeit der nachstehend genannten Körperteile und Sinnesorgane gelten ausschließlich, die folgenden Invaliditätsgrade: Arm 70 % Arm bis oberhalb des Ellenbogengelenks 65 % Arm unterhalb des Ellenbogengelenks 60 % Hand 55 % Daumen 20 % Zeigefinger 10 % anderer Finger 5 % Bein über der Mitte des Oberschenkels 70 % Bein bis zur Mitte des Oberschenkels 60 % Bein bis unterhalb des Knies 50 % Bein bis zur Mitte des Unterschenkels 45 % Fuß 40 % große Zehe 5 % andere Zehe 2 % Auge 50 % Gehör auf einem Ohr 30 % Geruchssinn 10 % Geschmackssinn 5 % Bei Teilverlust oder teilweiser Funktionsbeeinträchtigung gilt der entsprechende Teil des jeweiligen Prozentsatzes. 2.1.2.2.2 Für andere Körperteile und Sinnesorgane bemisst sich der Invaliditätsgrad danach, inwieweit die normale körperliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist. 6. Vorinvalidität und mitwirkende Vorerkrankungen Der Vertrag über eine private Unfallversicherung bietet Schutz vor während seiner Laufzeit eingetretenen unfallbedingten gesundheitlichen Schäden und ihren Folgen. War der VN schon vor dem Unfallereignis invalide, so bezieht sich das Leistungsversprechen des VR verständlicherweise nicht auf die Absicherung der nach dem Unfallereignis bestehenden Invalidität. Eine Versicherungsleistung will der VR nur für die unfallbedingte Invalidität erbringen. Daher ist nach dem Unfallereignis festzustellen, in welchem Maß die körperliche Leistungsfähigkeit nunmehr beschränkt ist und welcher Anteil davon auf eine bereits vor dem Unfallereignis bestehende Vorinvalidität entfällt. Grad der Invalidität nach dem Unfallereignis – Grad der vor dem Unfallereignis bestehenden Invalidität = Grad der zu entschädigenden Invalidität! Haben an der durch das Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen Vorerkrankungen mitgewirkt, so bestimmt der VV regelmäßig, dass die Versicherungsleistung sich nach dem Maß ihrer Beteiligung mindert oder gar ganz 10 entfällt. Viele VV bestimmen, dass das erst ab einem bestimmten Grad der Mitwirkung der Fall ist. Das Gesetz regelt insoweit nur die Beweislast (§ 182 VVG): Sie trägt – zwingend – der VR. Allerdings muss es sich um eine vor dem Unfallereignis bestehende Vorerkrankung oder ein Gebrechen handeln. Alterstypische (degenerative) Veränderungen fallen darunter nicht. „Tod eines herzkranken Elektrikers“ BGH 23.11.2011 IV ZR 70/11 zfs 2012, 278 Der verstorbene VN, eine Elektromeister, unterhielt einen AUB-V. Danach galt: Wenn an dem Unfalltod Vorerkrankungen zu mindestens 25% mitgewirkt haben, vermindert sich die Todesfallleistung entsprechend dem Anteil der Mitwirkung. Am 26.1.2004 erlitt der VN bei Elektroarbeiten einen Stromschlag. 11 Tage später verstarb er nach Myocardinfarkten an Herz-Kreislaufversagen bei Koronarinsuffizienz. Eine Obduktion ergab eine hochgradig stenosierende Koronararteriosklerose. SV A: Mitwirkung ist offen. SV B: Teilursache, Anteile können nicht angegeben werden. SV C: Ein Gesunder wäre entweder sofort nach dem Stromschlag gestorben oder hätte ihn unbegrenzt überlebt. Medizinstatistische Wahrscheinlichkeit allein aufgrund des Stromschlags nach 11 Tagen zu versterben 0,5 %. Medizinstatistische Wahrscheinlich bei der konkreten Koronarkrankheit innerhalb von 11 Tagen zu versterben: 1 %. Die entscheidende Frage ist, ob – zur vollen Überzeugung des Gerichts - bewiesen ist, dass die Vorerkrankung zu mindestens 25 % mitgewirkt hat; wenn das bewiesen ist, kann der Anteil der Mitwirkung nach § 287 ZPO auf der Grundlage überwiegender Wahrscheinlichkeiten geschätzt werden. Ein besonderes und sehr umstrittenes Problem ist, ob, wenn bei der Bemessung des Grades der Invalidität eine bestehende Vorinvalidität zu berücksichtigen ist, die diese Vorinvalidität begründenden funktionellen Einbußen zugleich als mitwirkende Vorerkrankungen zu berücksichtigen sind und so die Versicherungsleistung gewissermaßen ein zweites Mal – mindern (bejahend: OLG Frankfurt 14.06.2013 7 U 98/12 juris) Prüfungsgesichtspunkte: 1.Vorinvalidität und Vorerkrankungen betreffen unterschiedliche funktionelle Bereiche des Körpers: Kumulative Berücksichtigung 11 2.Vorinvalidität und Vorerkrankungen betreffen identische funktionelle Bereiche des Körpers: Keine Kumulation der Berücksichtigung 12 Abschnitt 2 Grundzüge des Rechts der Berufsunfähigkeitsversicherung §§ 172-177 VVG (AVB: BU 2014/ BUZ 2014) (Fundstelle: www.gdv.de) 1. Grundlagen a. Allgemeines Der Vertrag über eine Berufsunfähigkeitsversicherung krankheitsbedingten Ausfall des aus dem bisherigen Beruf erworbenen Verdienstes ab. Er schützt die versicherte Person vor dem krankheitsbedingten Verlust des bisherigen beruflich-wirtschaftlichen Status. Grundlage ist das in § 172 Abs. 1, 2 VVG als nicht zum Nachteil des VN abdingbares Leistungsversprechen. Die versicherte Person wird vor Berufsunfähigkeit geschützt. Sie ist berufsunfähig, wenn sie den von ihr zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, aus gesundheitlichen Gründen ganz oder teilweise voraussichtlich auf Dauer nicht mehr ausüben kann. Die vertraglichen Modelle knüpfen in aller Regel daran an, dass die Fortführung des Berufs zu mehr als 50 % gesundheitlich nicht mehr möglich ist. Allerdings gibt es auf dem Markt eine gewisse Zahl anderer vertraglicher Modelle, die Leistungen in unterschiedlicher Höhe bei anderen prozentualen Einschränkungen der beruflichen Fähigkeiten versprechen. Die Statusbezogenheit des Versicherungsfalls setzt voraus, dass die versicherte Person eine konkrete berufliche Tätigkeit zuletzt ausgeübt hat, die sie nunmehr nicht fortführen kann. Das macht es – verfahrensrechtlich – erforderlich, dass die vP im Einzelnen darlegt, was ihr Beruf war: Arbeitszeiten, Arbeitsinhalte (physische und psychische Belastungen), Arbeitsabläufe. Das muss sie zugleich unter Beweis stellen. Erst wenn die letzte konkrete berufliche Tätigkeit bewiesen ist, kann geklärt werden, ob die vP in dem besingungsgemäßen Maße (25%, 50%, 75%) außerstande ist, sie fortzuführen. Maßgeblich ist – in keiner Weise – welchen Beruf die vP bei 13 Abschluss des VV ausgeübt hat (weil der jeweilige berufliche Status versichert sein soll); maßgeblich ist auch nicht, ob ihre Tätigkeit einem bestimmten „Berufsbild“ entsprochen hat. b. Veranschaulichung: Berufe „Beruf“ ist jede auf Erwerb ausgerichtete Tätigkeit, die sich nicht in einem einmaligen Erwerbsakt erschöpft. Der Eintritt des VersFalls hängt von der Art und dem Maß der gesundheitlichen Einschränkungen der letzten konkreten beruflichen Tätigkeit ab. Daher können Meinungsverschiedenheiten darüber bestehen, ob die vP einen bestimmten versicherten „Beruf“ und wenn ja, welchen er ausgeübt hat. „Traditionelle chinesische Medizin“ OLG Saarbrücken 14.01.2004 5 U 137/03 OLGR 2004,263 VN macht nach einem Verkehrsunfall, bei dem Sie ein HWS- Schleudertrauma erlitten hat, Ansprüche auf eine Berufsunfähigkeitsrente geltend. Vor dem Verkehrsunfall leitete sie ein „Institut für traditionelle chinesische Medizin“. Dabei war sie allerdings nur von Zeit zu Zeit an Wochenenden für einige Stunden gegen Entgelt tätig. Weitere Einnahmen erzielte sie nicht. Fragen: Ist auch eine lediglich gelegentliche berufliche Tätigkeit mit geringem Einkommen ein Beruf? Antwort: (Ja, soweit sie zum Lebensunterhalt beitragen soll! Maßstab ist dann aber auch nur diese (geringfügige) Tätigkeit. „Eine Hausfrau und Fingernagelstylistin“ OLG Saarbrücken 26.02.2014 – 5 U 248/12 – juris VN war von 1973 bis 2001 bei verschiedenen Arbeitgebern als kaufmännische Angestellte und Sekretärin, zuletzt im Unternehmen ihres Ehemanns, tätig. Nach zwei Bandscheibenvorfällen orientierte sie sich aus gesundheitlichen Gründen um, arbeitete seither rund drei Stunden wöchentlich als Fingernagelstylistin und führte im Übrigen alle anfallenden Arbeiten im ehelichen Haushalt, Staub saugen, Wäsche waschen, Geschirr spülen etc. (wöchentlich 24 ½ Stunden) aus. Dann verschlechterte sich ihre gesundheitliche Lage ab 2011. Fragen: Auf welchen Zeitpunkt kommt es an? (Geltendmachung des VersFalls + Nichtberücksichtigung „leidensbedingter Berufswechsel“) 14 Welchen Beruf hat die vP ausgeübt? (Fingernagelstylistin + Hausfrau?) Antwort: Leidensbedingte Berufswechsel (oder Arbeitszeitreduzierungen) gehen nicht zu Lasten des VN! Es ist an den Umfang und ist an die Anforderungen des letzten Berufs in gesunden Tagen anzuknüpfen. Und natürlich gibt es mherere Berufe, die „den“ beruf ausmachen. „Eine auszubildende Kreissekretärin“ BGH 24.02.2010 – IV ZR 119/09 - VersR 2010, 619 VN, in Ausbildung zur Kreissekretärin, ist seit 1.9.2000 BU-versichert. 2001 erlitt sie Gehirnblutungen. Am 18.7.2002 erkannte VR BU ab 1.11.2001 an. VN setzte die Ausbildung mit Unterbrechungen fort und schloss sie 9/04 ab. Als Auszubildende war sie 6 Stunden täglich tätig, Seit 1.10.2004 arbeitet sie als Sachbearbeiterin 19,25 Std. (reguläre Arbeitszeit 41 Std.). VR stellt Leistungen ein: VN könnte als Auszubildende 6 Stunden täglich arbeiten. VN: Sie könne jedenfalls nicht mehr als teilschichtig als Kreissekretärin arbeiten. Frage: Was ist der Beruf eines Auszubildenden/Studenten? Die Ausbildung oder das Studium oder der spätere Ausbildungsberuf? Antwort: Der spätere Ausbildungsberuf, wie sich aus der teleologischen Interpretation des Vertrages ergibt! b. Sonderproblem: Selbständige/Mitarbeitende Betriebsinhaber „Rettungssanitäter als Telefonisten“ BGH 12.06.1996 – IV ZR 117/95 – r+s 1997, 35 VN war ausgebildeter Krankenpfleger und Alleingesellschafter und mitarbeitender eines Unternehmens, das Rettungsfahrten, Kranken- und Behindertentransporte sowie Taxidienste ausführte. VN beschäftigte mehrere Arbeitskräfte im Transportdienst und mehrere Arbeitskräfte im Rettungs- und Taxidienst. Aufgrund von Erkrankungen der Wirbelsäule ist es ihm weit überwiegend nicht mehr möglich, die von ihm bislang ausgeführten Rettungstransporte zu übernehmen. Er beschränkt sich auf verwaltende Tätigkeit, vor allem als Telefonist. Ist Voraussetzung des Versicherungsfalls die gesundheitliche Hinderung, die bisherige berufliche Tätigkeit auszuüben, kommt es entscheidend auf die bisherige berufliche Tätigkeit an. Insoweit gelten für Selbstständige oder jedenfalls über die 15 Befugnis zur Organisation ihrer beruflichen Tätigkeit verfügende Berufsträger Besonderheiten. Erste Voraussetzung des Versicherungsfalls ist es, dass der VN seine bisherige konkrete Tätigkeit im Unternehmen nicht mehr fortführen kann aus gesundheitlichen Gründen. Weil er aber über die Befugnis verfügt, seine bisherige konkrete Tätigkeit im Unternehmen notfalls umzugestalten, kommt es weiterhin darauf an, dass er auch über keine Möglichkeit einer zumutbaren Umorganisation verfügt. Prozessuale Schritte (Darlegungs- und Beweislast): Ist die vP nicht in der Lage, ihre bisherige Tätigkeit in bedingungsgemäßem Maße (>50%) fortzuführen? Ist die vP nicht in der Lage, sich durch Umorganisation ein neues Betätigungsfeld zu erschließen? Ist die vP nicht in der Lage, sich dadurch eine „zumutbare“ (werthaltige) Beschäftigung zu verschaffen oder kann sie nur eine Verlegenheitsbeschäftigung wählen? Muss die vP zur Umorganisation wirtschaftliche ins Gewicht fallende Aufwendungen unternehmen? 2. Gesundheitliche Unfähigkeit zur Ausübung desletzten Berufs „Ein Studienrat mit halbseitigem Gesichtsfeldausfall“ BGH 11.2010 – IV ZR 208/99 – VersR 2001, 89 Der VN, ein Studienrat für Mathematik und Informatik, litt nach einem Verkehrsunfall an einem halbseitigen Gesichtsfeldausfall auf beiden Augen. Sein Unterrichtspensum wurde nach Anerkennung eines Grades der Schwerbehinderung von 70 % von 24 auf 19 Stunden. Er fürchtet, dass seine weitere Tätigkeit zu einer Verschlechterung seiner Sehfähigkeit führen, benötigt zur Fortführung einen Bild Monitor, kann die Aufsicht bei Klassenarbeiten und in Pausen nicht mehr führen und bedarf zur Besorgung von Unterrichtsmaterialien und den Arbeitsweg der Hilfe von Kollegen und seiner Ehefrau. Ein VN, der seine bisherige berufliche Tätigkeit fortsetzt, kann berufsunfähig sein, auch wenn er keine erheblichen finanziellen Einbußen erleidet und keinen erheblichen zeitlichen Mehraufwand hat. Entscheidend ist lediglich, ob er alle seinen bisherigen konkreten Beruf prägenden Verrichtungen weiter ausüben kann oder ob 16 er in zeitlicher Hinsicht nicht mehr als die Hälfte seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit fortführen kann. Das ist anders, wenn der VN zur Fortführung seiner beruflichen Tätigkeit nicht unerhebliche finanzielle Mittel zur Anschaffung technischer Hilfen einsetzen muss, oder nur mit der Hilfe und dem Wohlwollen Dritter weiter tätig sein kann, oder seine weitere berufliche Tätigkeit einen Raubbau an der Gesundheit darstellt. In einem solchen Fall spricht man von einem „überobligationsmäßigen“ Einsatz. 3. Verweisung Nach § 172 Abs. 3 VVG kann als weitere Voraussetzung der Leistungspflicht eines BU-VR vereinbart werden, dass der VersFall nur dann eintritt, wenn der VN nicht nur seinen letzten konkreten Beruf nicht mehr fortführen kann sondern auch keine andere nach bestimmten Kriterien zu beurteilende andere Tätigkeit – den sogenannten Verweisungs- oder Vergleichsberuf – ausüben kann. Die AVB enthalten insoweit ganz unterschiedliche Vertragsmodelle, die sich vor allem auch durch die Prämienhöhe unterscheiden. Ganz allgemein gesagt gibt es Modelle mit einer abstrakten Verweisung (preiswert), Modelle mit der Befugnis zur abstrakten Verweisung bis zu einem bestimmten Lebensalter (nicht ganz so preiswert), Modelle mit einer konkreten Verweisung (teurer) Modelle ohne Verweisung (sehr teuer). „Der Frauenarzt, der einen Frauenarzt nicht für einen Frauenarzt hielt“ OLG Saarbrücken 31.01.1996 – 5 U 374/95 – NJW-RR 1997, 791 Der VN beanspruchte Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Er ist von Beruf Facharzt für Frauenheilkunde. Seit Februar 1985 war er ständiger Vertreter des Chefarztes einer bedeutenden Frauenklinik. Wegen einer Latexallergie, einer Allergie gegen aggressive Desinfektionsmittel und eines Wirbelsäulenleidens musste er diese Tätigkeit aufgeben und ist seither als niedergelassener Gynäkologe in einer Praxis tätig. Seine Einkünfte sind höher als bisher. Er hält sich für berufsunfähig. a.Konkrete Verweisung 17 Enthält der VV die Befugnis des VR zur konkreten Verweisung, so ist der VersFall nicht eingetreten, wenn der VN eine bei wertender Betrachtung vergleichbare andere Tätigkeit tatsächlich ausübt. b.Abstrakte Verweisung aa.Grundsatz Enthält der VV die Befugnis des VR zur (ggf. zeitlich begrenzten) abstrakten Verweisung, so kommt es allein darauf an, ob der VN eine bei wertender Betrachtung vergleichbare andere Tätigkeit ausüben könnte (auch wenn er sie noch nicht gefunden hat), soweit es sich nicht um lediglich ganz vereinzelt auf dem Arbeitsmarkt angebotene Arbeitsstellen handelt (Nischenarbeitsplätze) oder um Arbeitsstellen, die nur intern vergeben werden (Schonarbeitsplätze). bb.Ausnahme:Verweisbarkeit wegen neu erworbener Kenntnisse und Fähigkeiten Einen Sonderfall stellt es dar, wenn der VN einen anderen Beruf deshalb ausüben könnte, weil er (ohne dass ihm dies oblegen hätte) neue Kenntnisse und Fertigkeiten erworben hat. In einem solchen Fall wird die Verweisung nur zugelassen, wenn der VN einen neuen Arbeitsplatz auch tatsächlich gefunden hat (oder es treuwidrig unterlassen hat, danach zu suchen). cc.Voraussetzungen der Verweisbarkeit Nach § 172 Abs. 3 VVG darf der Versicherer seine Leistungspflicht davon abhängig machen, dass die versicherte Person nicht nur ihren bisherigen konkreten Beruf nicht mehr in bedingungsgemäßem Maße sondern auch keine andere Tätigkeit ausübt oder ausüben kann, die zu übernehmen sie aufgrund ihrer Ausbildung und Fähigkeiten in der Lage ist und die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht. Das zeigt sowohl für die konkrete als auch für die abstrakte Verweisung die maßgeblichen Kriterien: 18 die Notwendigkeit eines primären Qualifikationsvergleichs die Notwendigkeit eines sekundären Statusvergleichs. In erster Linie ist folglich darauf abzustellen, ob die versicherte Person die „Verweisungstätigkeit“ nach Ausbildung und Fähigkeiten, also nach ihrer beruflichen Qualifikation, auszuüben in der Lage ist. Naturgemäß kommt hinzu, dass sie auch gesundheitlich dazu im Stande sein muss. Im Streitfall kommt es jedoch im Wesentlichen auf den „sekundären Statusvergleich“ an. Insoweit sind verschiedene wertende Kriterien maßgeblich: Der Verweisung Beruf muss in wirtschaftlicher Hinsicht der bisherigen Lebensstellung entsprechen, das von der versicherten Person in einem Verweisungsberuf erzielte oder erzielbare Einkommen darf also nicht signifikant unter dem früheren Einkommen liegen. Der Verweisungsberuf muss darüber hinaus, weil das Gesetz und weil die AVG auf die Lebensstellung abstellen, bei wertender Betrachtung weitere Anforderungen erfüllen. Dabei kann es auf Aufstiegschancen, Ansehen, Mobilität ankommen. 4. Anerkenntnis a. Grundlagen Das Recht der BU-V sieht in § 173 VVG (und den dem entsprechenden AVB) vor, dass der VR sich nach Prüfung der vom VN mit der Geltendmachung eines Anspruchs auf die Versicherungsleistung dazu erklären muss, ob er seine Verpflichtung anerkennt oder nicht. Bei diesem „Anerkenntnis“ handelt es sich weder um ein dem allgemeinen Zivilrecht bekanntes konstitutives Anerkenntnis noch um ein ihm gleichfalls bekanntes deklaratorisches Anerkenntnis, sondern um eine Regulierungserklärung eigener Art, die sich auch von der wortlautgleich vorgesehenen Anerkenntniserklärung des Unfallversicherungsvertragsrechts unterscheidet. Das folgt aus der normativen Konzeption (und ihrer vertraglichen Untermauerung) dieses Anerkenntnisses: Der Vertrag VN/VR sieht auf der 19 Grundlage des Gesetzes vor, dass ein VR sich nach einem Anerkenntnis nur unter spezifischen Voraussetzungen – jenen der Nachprüfung – von seiner Leistungspflicht lösen kann. Die von § 173 VVG vorgesehen Erklärung über die Leistungspflicht ist folglich eine „gesetzlich Pflicht“ (mit der Folge von Schadensersatzansprüchen nach § 280 Abs. 1 BGB bei ihrer schuldhaften Verletzung) eine rechtliche bindende Festlegung (mit der Folge einer Lösbarkeit von der Leistungspflicht nur unter den Bedingungen eines Nachprüfungsverfahrens nach § 174 VVG. Daraus folgt: Wird ein „an sich“ gebotenes Anerkenntnis nicht abgegeben – beispielsweise: der VN ist zum Zeitpunkt der Regulierungsentscheidung des VR berufsunfähig, der VR hält eine künftige Heilung für möglich – so schuldet der VR Schadensersatz: Der VN ist so zu stellen, als ob der VR anerkannt hätte und damit künftig auf die Regeln des Nachprüfungsverfahrens verwiesen wäre. Darstellung der Befugnis des VR zur Abgabe eines zeitlich befristeten Anerkenntnisses (Befugnis; Voraussetzungen; rechtliche Grenzen; Folgen für das Nachprüfungsverfahren; Sonderproblematik der „vermuteten Berufsunfähigkeit“) b. Veranschaulichung „Krabbenfischer, Traumprinzen von Versicherungssachbearbeiterinnen und das Problem, nicht in die Zukunft sehen zu können“ BGH 07.02.2007 IV ZR 244/03 VersR 2007,633 (Krabbenfischer) VN, ein Krabbenfischer mit Kapitänspatent, ist – unstreitig – seit 1995 in seinem alten Beruf berufsunfähig und arbeitet jetzt (1999, nach einer Umschulung zum Einzelhandelskaufmann) im elterlichen Fischhandel. Die meisten seiner BU-Verträge enthalten keine Befristungserlaubnis und keine Befugnis zur Nachprüfung unter Berücksichtigung neuer Kenntnisse und Fähigkeiten. BGH 28.2.2007 IV ZR 46/06 VersR 2007, 777 (Versicherungssachbearbeiterin) VN ist Versicherungssachbearbeiterin. 09/99 zeigt sie wegen depressiver Entwicklungen eine BU an. Hintergrund ist, dass sie einen „Traumprinzen“ als Gefährten suchte, meinte ihn gefunden zu haben und sodann erkennt, dass dessen Mutter (wie auch er) alkoholkrank ist. 05/00 kehrt sie halbtags auf ihren Arbeitsplatz 20 zurück. Daraufhin schließt VR eine 1. Vereinbarung über die Gewährung von Leistungen bis 07/00. In der folgenden Zeit arbeitet VN halbtags, dann vollschichtig, dann scheidet sie 09/01 aus dem Arbeitsverhältnis aus. Es kommt zwischen 08/00 und 08/02 zu 4 weiteren aufeinander folgenden befristeten Leistungsvereinbarungen. Später stellte ein SV fest, dass VN phasenweise berufsunfähig war. Es ergeben sich Beweisschwierigkeiten. In diesen und vielen vergleichbaren Fällen beanspruchen VN Fortzahlung einer Rente (über den „außervertraglich vereinbarten“ Zeitraum hinaus wegen Berufsunfähigkeit. Sie stützen sich darauf, dass – zu einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt – Berufsunfähigkeit vorgelegen haben soll, und dass der VR sich von der einmal bestehenden Leistungspflicht ohnehin nicht wirksam lösen könne. Der VR hingegen beruft sich darauf, dass er durch „außervertragliche Vereinbarungen“ befristet Leistungen erbracht hat und – nunmehr – prüfen darf, ob jetzt (!) Berufsunfähigkeit vorliegt. Dieses „Streitprogramm“ führt (jedenfalls nach dem gegenwärtigen Recht) zu folgenden Prüfungsschritten: VN beansprucht auf der Grundlage seines VV eine monatliche BU-Rente. Anspruchsgrundlage kann (nur) der VV sein. Er verspricht für den Fall des Eintritts einer wenigstens 50%igen BU Rentenleistungen. 1. Wirksames Zustandekommen des BU-VV? (Klausurfälle und praktische Fälle sind häufig mit der Vorfrage „Anfechtung oder Rücktritt?“ befasst). 2. Eintritt des Versicherungsfalls (zum Zeitpunkt des verlangten Beginns der Zahlungen oder zu einem späteren Zeitpunkt? (Beweislast: VN) a. Prognose auf Dauer bestehender wenigstens 50%iger Einschränkung der Fähigkeit, den letzten konkreten Beruf fortzuführen und Prognose auf Dauer bestehender wenigstens 50%iger Einschränkung der Fähigkeit, einen zumutbaren Vergleichsberuf auszuüben? b. 21 Vermutete Berufsunfähigkeit: Bestand irgendwann ab oder nach dem geltend gemachten Beginn der Leistungen wenigstens 6 Monate und 1 Tag (Voraussetzung: AVB enthalten eine Fiktion der BU, VVG sieht sie nicht vor, erlaubt sie aber) BU? c. Führt der Abschluss außervertraglicher Vereinbarungen zur zeitlichen Verlagerung des Beginns des Prognosezeitraums oder führt er sogar zur Annahme des Anerkenntnisses einer BU mit der Folge der Verweisung des VR auf das Nachprüfungsverfahren? aa. Ob der VR auf das Nachprüfungsverfahren mit seinen formalen und materiellen Anforderungen verwiesen ist, richtet sich danach, ob er „anerkannt“ hat oder ob er erkennbar „kulant“ war und kulant sein durfte! bb. Hat der VR aufgrund außervertraglicher Vereinbarungen vorübergehend Leistungen erbracht, folgt daraus ein Anspruch auf weitere fortlaufende Leistungen nur dann, wenn - entweder der VR die außervertragliche Vereinbarung nicht hätte abschließen dürfen, weil der Versicherungsfall eingetreten war und daher ein vorbehaltloses AE geboten gewesen wäre, (dann ist der VN gemäß § 280 Abs. 1 BGB so zu stellen, als habe er anerkannt (und als dürfe er sich damit nur im Wege der Nachprüfung von seiner Leistungspflicht lösen) - oder sich aufgrund der (treuwidrigen) „außervertraglichen Vereinbarungen“ die Beweislage des VN verschlechtert hat, sodass er BU nicht beweisen kann, VR aber BU auch nicht widerlegen kann. {Lösung der BGH-Entscheidungen „Krabbenfischer“ und „Versicherungssachbearbeiterin“} 22 5. Nachprüfung „Das Lazarus-Syndrom der Berufsunfähigkeitsversicherung - ein Profihandballspieler wird Wirtschaftsingenieur“ OLG Köln 22.7.2011 20 U 127/10 r+s 2012, 452 VN hat mit Beginn seiner Tätigkeit als Profihandballspieler eine BU-Versicherung (Laufzeit bis zum 35.Lebensjahr) abgeschlossen. Aufgrund einer Sportverletzung ist er berufsunfähig, was VR 2002 anerkennt. 2008 führt VR die Nachprüfung durch, stellt fest, dass VN nach Abschluss seines neben der Sportausübung begonnenen Studiums Projektleiter als Wirtschaftsingenieur ist. Daraufhin stellt sie die Leistungen ein mit der Begründung, VN sei schon als Profihandballer zugleich Student gewesen und in dieser Tätigkeit nicht berufsunfähig geworden, VN habe nunmehr einen Beruf aufgenommen, der eine vergleichbare Lebensstellung gewährleiste. Der VersFall Berufsunfähigkeitsversicherung ist – anders als Versicherungsfälle in der Sachversicherung – ein sich im Verlauf der Zeit ereignender VersFall: Gesundheitliche Zustände verändern sich, Fähigkeiten zur beruflichen Tätigkeit entwickeln sich. Daher kann ein VN für eine gewisse Zeit Anspruch auf Versicherungsleistungen haben, und für eine gewisse Zeit danach nicht mehr. Ungeachtet dessen verlässt er sich auf den Leistungsbezug. Das verlangt eine Abwägung: Die Interessen des VN verlangen den Schutz des Vertrauens auf die einer einmal zugesagten Versicherungsleistung, die Interessen des VR (und der Gemeinschaft der Versicherten) verlangen die Möglichkeit der Revision. Das Gesetz gestattet daher dem VR, seine Leistungen einzustellen (§ 174 VVG), wenn die Voraussetzungen der Leistungspflicht entfallen sind, und der VR dies dem VN in Textform darlegt. Darstellung der formalen Voraussetzungen des Wegfalls der Leistungspflicht („Obliegenheitsausgleich“) Darstellung der materiellen Voraussetzungen des Wegfalls der Leistungspflicht (Bindung des VR an seine einmal erklärte Regulierungsbereitschaft) 23 Lösungshinweise zum Streitfall 1.Begründungsansatz: Anerkenntnis beruht auf der Annahme von BU im Beruf Profihandballer; VR darf sich nicht nachträglich auf das von VN betriebene Studium berufen. 2.Begründungsansatz: Vergleichbarkeit der Lebensstellung a.Prominenz als Profisportler? b.Verdienst 2300 € (als Profisportler) gegenüber 2043 € (als Wirtschaftsingenieur? Aber: 44 Arbeitsstunden als Profisportler ./. 150 Arbeitsstunden als Wirtschaftsingenieur Keine Relevanz der zeitlichen Begrenzung des Profisportlereinkommens (Auslegung des Vertrages!) 24 Abschnitt 3 Grundzüge des Rechts der Lebensversicherung §§ 150-171 VVG (AVB: ALB 2014 / ARVB 204) (Fundstelle: www.gdv.de) A. Formen der Lebensversicherung. Wirtschaftliche Bedeutung. Regelungsgrundlagen 1.Formen Zu unterscheiden: Risikolebensversicherung (Versicherungsfall: Tod), kapitalbildende Lebensversicherung (Versicherungsfall: Tod oder Erleben eines bestimmten Alters) (Leistungen je nach Art: Kapitallebensversicherung, Rentenversicherung, fondsgebundene Kapitallebensversicherung) Gewichtige Bedeutung im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung als „Direktversicherung“ des ArbG als VN zugunsten seiner AN (als VT). 2.Bedeutung Private Altersversorgung (Spezifische Formen: Riester-Rente, Rürup-Rente) und betriebliche Altersversorgung); hoher Bestand an Versicherungsverträgen (ca. 94 Mio.), Erwirtschaftung eines besonders hohen Anteils der Prämieneinnahmen, Kapitalsammelbecken (Anlagevermögen ca. 700 Mrd.€). 3.Regelungsgrundlagen a. Vertrag über eine LV als privatrechtlicher, durch §§ 150-177 VVG geregelter Versicherungsvertrag, begleitet von umfangreichen aufsichtsrechtlichen Regelungen des VAG zur Spartentrennung (§ 8 Abs. Ia Satz 1 VAG), zur Prämienkalkulation (§ 11 VAG), zur Deckungsrückstellung (§§ 11, 65 VAG), zur Kapitalausstattung (§ 53c VAG) und zum Sicherungsfonds (§ 124, § 127 VAG). 25 Hintergrund der aufsichtsrechtlichen Kontrolle: Langfristigkeit der Verträge, Insolvenzsicherung, faire (verfassungsrechtlich gebotene Gewinnbeteiligung und Gewinnverteilung. [BVerGE 114,1- Bestandsübertragung; BVerfGE 114, 73 - Überschussbeteiligung] b. Zu beachten: Richtlinie 2002/83/EG des EP und des Rates vom 05.11.2002 über Lebensversicherungen (Abl. EG Nr. L 345 S. 1) c. ALB 2008 (und versichererspezifische andere AVB). B. Wichtige Grundbegriffe Rechnungszinssatz/Garantiezins: VR nimmt bei der Kalkulation der Prämie einen bestimmten langfristig anzunehmenden Zinssatz für die Anlage der Kapitalanteile der Prämie am Markt an; um diesen Zinssatz wird die Prämie (weil die Auszahlung einer bestimmten Versicherungsleistung versprochen wird) vornherein reduziert(diskontiert). Dieser Rechnungsbestandteil wird für den jeweiligen Versicherungsvertrag auf die Dauer seines Bestehens garantiert. Deckungskapital: Summe der verzinslich angelegten Sparanteile eines bestimmten Vertrages. Sicherungsvermögen (Deckungsstock): Vollstreckungsrechtlich gesichertes Sondervermögen aus Deckungsrückstellung und weiteren Vermögensbeständen. Sicherungsfonds: Sondervermögen bei der Protektor-Lebensversicherungs AG als beliehenem Unternehmer des Bundes zum Schutz der Ansprüche der VN bei Insolvenz des VR. Überschussbeteiligung (§ 153 VVG): Überschüsse aus günstigem Kapitalanlageverlauf und nicht benötigten, in die Prämienkalkulation einfließenden Sicherheitsmargen 26 Zillmerung: Rechenverfahren, nach dem die Prämien werden, soweit sie nicht für Leistungen im Versicherungsfall (Risikoanteil), Kosten für den Versicherungsbetrieb in der jeweiligen Versicherungsperiode und die Bildung der Deckungsrückstellung verwendet werden zunächst zur Tilgung der Abschlusskosten verwendet. C. Vertragsrechtliche Besonderheiten kraft Gesetzes 1. Rechtsstellung des Versicherers (a) Besondere Informationspflichten nach § 7 Abs. 2 VVG i.V.m. § 2 VVG-Info-VO, § 154 VVG (b) Anpassung der Versicherungsleistung bei unrichtiger Altersangabe in Abweichung von § 19 VVG nach § 157 VVG (c) Geltung der Regelungen über die Gefahrerhöhung nur bei ausdrücklicher und in Textform erfolgender Vereinbarung von Gefahrerhöhungen (d) Kein ordentliches Kündigungsrecht des VR (keine gesetzliche Regelung aber Folge des Vertragszwecks) (e) Recht zur Prämien- und Bedingungsanpassung in einem besonderen Verfahren (§ 163 VVG) (f) Recht zur Ersetzung unwirksamer AVB (§ 164 VVG) 2. Rechtsstellung des Versicherungsnehmers (a) Widerrufsrecht innerhalb von 30 Tagen (§ 152 Abs. 1 VVG) (b) Kündigungsrechts des VN (§ 168 Abs. 1 VVG) bei Vereinbarung laufender Zahlungen oder bei Gewissheit des Eintritts der Verpflichtung des VR (Ausn.: Reine RisikolebensV gegen Einmalzahlung) mit Ausnahme von Altersvorsorgeverträgen (c) Anspruch auf Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung (§ 165 VVG) (d) Anspruch auf Zahlung des (nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik … berechneten) Rückkaufswerts bei Auflösung des Vertrages (§ 169 VVG); Sicherung eines Mindestbetrages bei früher Stornierung (§ § 169 Abs. 3 Satz 1 2.Halbs.VVG) (e) Anspruch auf Zahlung einer Überschussbeteiligung einschließlich der Bewertungsreserven (§ 153 VVG, § 169 Abs. 7 VVG) 27 3.Besonderheiten bei Abschluss eines Lebensversicherungsvertrages als Anlagegeschäft berichtet am Beispiel „Clerical Medical“ Komplexe Versicherungsprodukte, die im Wesentlichen der Anlage von Kapital und der Gewinnerzielung dienen sollen, unterliegen der Verpflichtung zur anlegergerechten Beratung (vgl. bspw. BGH 11.07.2012 IV ZR 271/10 WM 2012, 1577) . D. Die Bezugsberechtigung VN sind – zumindest in der Risikolebensversicherung – bedauerlicherweise regelmäßig tot, wenn der Versicherungsfall eintritt. Den Anspruch auf die Versicherungsleistung erwerben dann an sich die Gesamtrechtsnachfolger (§ 1922 BGB). Das liegt häufig nicht im Interesse der VN, die bei Abschluss des VV auch meist nicht zugleich eine letztwillige Verfügung zur „Vererbung“ des Anspruchs auf die Versicherungsleistung treffen. Zur Bewältigung dieser und weiterer (vor allem den Zugriff von Gläubigern) regeln die AVB die „Bezugsberechtigung“.in den §§ 159 – 160 VVG. Die Regelung einer „Bezugsberechtigung“ macht einen VV zu einem „Vertrag zugunsten Dritter“ im Sinne der §§ 328 ff. BGB. Ihre Anordnung wendet das Recht auf die Versicherungsleistung einer begünstigten Person, dem Bezugsberechtigten, zu. Dabei handelt es sich um ein (im Falle der Widerruflichkeit bedingtes) Verfügungsgeschäft, das, fehlt eine causa, kondizierbar ist. Zu unterscheiden: Widerrufliche Bezugsberechtigung: § 159 Abs. 2 VVG (Erwerb des Rechts auf die Versicherungsleistung erst mit Eintritt des Versicherungsfalls) BB hat im VersFall ein eigenes Forderungsrecht gegen den VR; das Recht fällt nicht in den Nachlass; Gläubiger des VN haben weiterhin – bis zum VersFakk - ein Zugriffsrecht. Von dem Deckungsverhältnis (VN/VR) ist das Valutaverhältnis (VN/BB)zu unterscheiden. Es kann Mängel aufweisen, die den Erben des VN einen Bereicherungsanspruch gegen den BB gewähren können. Unwiderrufliche Bezugsberechtigung: § 159 Abs. 3 VVG (Erwerb des Rechts mit der Einräumung der Bezugsberechtigung) 28 BB erwirbt den Anspruch gegen den VR sofort, tritt allerdings nicht in die Rechtsstellung des VN aus dem VV ein. ALB 2008 § 13: (1) Die Leistung aus dem VV erbringen wir an Sie als unseren VN oder an Ihre Erben, falls Sie uns keine andere Person benannt haben, die bei Eintritt des Versicherungsfalls die Ansprüche aus dem VV erwerben soll (Bezugsberechtigter). Bis zum Eintritt des Versicherungsfalls können Sie das Bezugsrecht widerrufen. (2) Sie können ausdrücklich bestimmen, dass der Bezugsberechtigte sofort und unwiderruflich die Ansprüche aus dem Versicherungsfall erwerben soll. Sobald wir ihre Erklärung erhalten haben, kann dieses Bezugsrecht nur noch mit Zustimmung des von Ihnen Benannten aufgehoben werden. … (4) Die Einräumung und der Widerruf eines Bezugsrechts … sind uns gegenüber nur und erst dann wirksam, wenn sie uns vom bisherigen Berechtigten angezeigt worden sind. „Die widerrufene Botschaft der Witwe an die Geliebte“ BGH 21.05.2008 – IV ZR 238/06 – NJW 2008, 2702 VN war mit B verheiratet. Er unterhielt bei VR eine kapitalbildende LV, für die B widerruflich bezugsberechtigt war. Ab 02/2004 lebte VN mit K nichtehelich zusammen. Er widerrief mit einem Schreiben an VR am 02.03.2004 die ursprüngliche Bezugsberechtigung und setzte K als Bezugsberechtigte ein; er wollte sich von B scheiden lassen. Am Abend des 16.05.2004 stürzte sich VN nach einer Aussprache mit K, die sich von ihm trennen wollte, von einer Autobahnbrücke zu Tode. Der Vater des VN unterrichtete K am 17.05.2004 über ihre Bezugsberechtigung und machte die Versicherungsleistung im Auftrag von K für diese bei VR geltend. VR verlangte von K zunächst weitere Unterlagen an. B und S fochten am 25.05.2014 die Einsetzung von K als Bezugsberechtigte an. VR teilte K am 09.06.2004 die Einräumung der Bezugsberechtigung erstmals mit. Als sowohl K als auch B Anspruch auf die Versicherungsleistung erhoben, hinterlegte VR sie zugunsten von K und von B und S. Anspruch der K gegen B aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB auf Einwilligung in die Herausgabe des hinterlegten Betrages (erlangtes Etwas: Hinterlegungsberechtigung)! Rechtsgrundlosigkeit? VN hat K ein Bezugsrecht i.S.d. §§ 328, 331 BGB eingeräumt (Deckungsverhältnis): Mit dem VersFall hat K eine unentziehbare Rechtsposition erworben, Erben können sie nicht mehr ändern oder widerrufen! Ob BB die Versicherungsleistung im Verhältnis zum Erben behalten darf, ist eine Frage des Valutaverhältnisses (VN/BB). In Betracht kommt insoweit eine Schenkung. 29 Schenkungsvertrag ist als solcher zwischen VN/BB vor dem Tod des VN nicht abgeschlossen worden. Das Schenkungsangebot ist nicht durch den Vater der K an K übermittelt worden, sondern erst nach dem in der Anfechtung liegenden Widerruf durch VR. Die Übermittlung eines Schenkungsangebots des VN durch den VR als Boten ist nicht erfolgt. Sie erfolgt zwar regelmäßig durch Auszahlung der Versicherungsleistung oder Benachrichtigung des BB durch den VR. Hier ist jedoch der Übermittlungsauftrag durch die (in das Auftragsverhältnis einrückende Erbin B) widerrufen worden, bevor das Schenkungsangebot der K übermittelt worden ist. Ein Schenkungsvertrag ist folglich nicht zustande gekommen. Dem Erwerb der Forderung liegt folglich keine causa zugrunde. E. Forensisch bedeutsame Fallbeispiele 1.Versicherung fremden Lebens Versicherte Person kann der VN und ein Dritter sein. Im zweiten Fall bedarf es bei ins Gewicht fallenden Versicherungsleistungen (mit Ausnahme der Fälle der betrieblichen Altersversorgung) zur Wirksamkeit des Vertrages der schriftlichen Einwilligung des VN (§ 150 Abs. 2 VVG). Grund: Schutz vor dem Spiel mit dem Leben anderer. „Ein rätselhafter Fachmann für Judaica“ BGH 09.12.1998 – IV ZR 306/97 – BGHZ 140, 167 K verlangt als Bezugsberechtigte 6 Millionen USD aus einer Lebensversicherung, als deren VN und VP der jüdische Rabbiner S, ein Fachmann für Judaica, genannt sind. S war dem VR nie persönlich gegenüber in Erscheinung getreten. Das Antragsformular wurde nach den Angaben des K bei einem Versicherungsvertreter ausgefüllt. Es wies nur in der Rubrik für die zu versichernde Person als Unterschrift S auf. K behauptet, die Unterschrift habe sich schon bei der Aufnahme des Antrages auf dem Formular befunden. S habe das Formular zuvor blanko unterschrieben und K zur weiteren Ausfüllung bei dem Versicherungsvertreter übergeben. K will den Versicherungsschein S übergeben und ihn von ihm zurückerhalten haben und hat die Prämien, die ihm von S zur Verfügung gestellt worden sein sollen, bezahlt. Wenig später wurde in einem Hotel eine Person aufgefunden, bei der es sich um S gehandelt haben soll. Sie war getötet worden. 1. (Anspruchsgrundlage, Anspruchsvoraussetzungen) Anspruch auf die Versicherungsleistung setzt wirksamen Abschluss des VV voraus. Schriftliche Einwilligung des S nach § 150 Abs. 2 VVG als VP erforderlich (obwohl S auch VN sein sollte? Entsprechende Anwendung, wenn VN am Vertragsschluss (wie 30 auch bei Blankounterschrift, weil VN keinen Einfluss auf den Vertragsschluss mehr nehmen kann) nicht unmittelbar beteiligt war. 2. (Einwilligung der VP?) Einwilligung als VP? § 126 Abs. 1 BGB ist an sich gewahrt; jedoch ergibt sich aus Sinn und Zweck des Schriftformerfordernisses des § 150 Abs. 2 VVG Anderes: Schriftliche Einwilligung muss Umstände erfassen, von denen das Risiko der VP abhängt (Höhe der Versicherungssumme, Person des VN und des Bezugsberechtigten, Dauer der Versicherung). Nachträgliche Genehmigung? (Einwilligung ist die vorherige Zustimmung: § 183 BGB). 2. Leistungsausschluss Suizid Keine Deckung besteht bei vorsätzlicher Selbsttötung innerhalb von 3 Jahren nach Abschluss des VV (§ 163 Abs. 1 Satz 1 VVG); Ausschluss des Wegfalls der Deckung bei Tatbegehung in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit (§ 163 Abs. 1 Satz 2 VVG) „Der Selbstmörder, der offenbar nicht rechnen konnte“ OLG Saarbrücken 18.04.2012 – 5 U 293/11 – zfs 2013, 100 VN beantragte am 26.06.2006 eine RLV mit einer Versicherungssumme von 575.000 €. Mit Schreiben vom 28.06.2006 erklärte VR, VN genieße vorläufigen Versicherungsschutz. Der Versicherungsschein datiert vom 14.08.2006 und nennt als Versicherungsbeginn des 01.08.2006. Am 10.08.2009 beging der an Krebs leidende VN Selbstmord. Erbe des VN meint, hätte VR den Antrag zügiger bearbeitet, wäre die Police früher ausgestellt worden; dann wäre die Karenzfrist abgelaufen gewesen [Zusatzprobleme im Entscheidungsabdruck: Anfechtung wegen Verschweigens von Vorerkrankungen, Wiederaufleben der vorläufigen Deckung bei Arglistanfechtung]. (1) Anspruch des Erben des VN ./. VR aus dem VV (Versicherungsfall Tod ist eingetreten) (Beweis: Erbe des VN) (2) Ausschluss des Anspruchs nach § 161 Abs. 1 Satz 1 VVG: (a) Vorsätzliche Selbsttötung (Indizienbeweisproblem) (b) Beginn der Karenzfrist: Abschluss des Vertrages (Ausstellung der Police) [und nicht Beginn des materiellen Versicherungsschutzes] (3) Tatbegehung in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit (§ 163 Abs. 1 Satz 2 VVG)? 31 „Ein Ausschuss der freien Willensbestimmung liegt vor, wenn jemand nicht im Stande ist, seinen Willen unbeeinflusst von einer vorliegenden Geistesstörung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln. Abzustellen ist darauf, ob eine freie Entscheidung nach Abwägung des Für und Wider noch möglich war oder ob umgekehrt infolge der Geistesstörung äußere Einflüsse den Willen übermäßig beherrschten… Eine allgemeine emotionale Psychose ist für eine Selbsttötung charakteristisch und noch keine krankhafte Störung… ebenso wenig eine bloße Willensschwäche, Erschöpfungszustände oder depressive Verstimmungen, solange der steuerbare Wille noch Einfluss auf die Entscheidung des Versicherten hat. Wichtiges Kriterium bei der Beurteilung der Frage ob unkontrollierbar Triebe und Vorstellungen in den Tod getrieben haben, ist in aller Regel des Fehlen nachfühlbarer Motive… Denjenigen, der sich auf den fehlenden freien Willen des Versicherungsnehmers beruft und die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens beantragt, treffen spezifische Anforderungen an die Substantiierung des Sachvortrags“ (4) Schadensersatz wegen verzögerter Bearbeitung (§§ 280 Abs. 1 BGB, § 241 Abs.2 BGB)? (Ggf. wegen Verletzung von Beratungspflichten bei Anschlussverträgen?) 3.Auskunftsanspruch des VN zur Berechnung des Rückkaufswertes BGH Beschl.v. 07-01.2014 – IV ZR 216/13 – VersR 2014, 822 BGH Urt.v. 11.09.2013 – IV ZR 319/ - VersR 2013,1429 VN verlangt von VR Rückzahlung geleisteter Beiträge zu einer mehrfach beitragsfrei gestellten und zwischenzeitlich gekündigten fondsgebundenen Lebensversicherung, die eine Zillmerung der Abschlusskosten vorsah. VN hat 3.457,20 € an Prämien gezahlt. VR hat einen Rückkaufswert von 36,97 € ermittelt. VN verlangt Auskunft über die Berechnung der Höhe des Mindestrückkaufswerts. „Besteht ein Anspruch auf den Rückkaufswert nach § 169 VVG, so kann ein Auskunftsanspruch nach Treu und Glauben in Betracht kommen, wenn der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann. Umfang und Inhalt der zu erteilenden Auskunft richten sich danach, welche Informationen der Berechtigte benötigt, um seinen Anspruch geltend machen zu können, soweit dem nicht Zumutbarkeitsgesichtspunkte oder andere Grenzen entgegenstehen. Der Auskunftsanspruch umfasst grundsätzlich nicht die Verpflichtung zur Vorlage der fiktiven versicherungstechnischen Bilanzen oder anderer Geschäftsunterlagen und auch kein Einsichtsrecht.“ Der BGH hat Ansprüche auf Auskunft, mit denen ein VN eine Begründung dafür verlangt hat, wie und auf welche Weise der VR die mit der Auskunft zur Verfügung zu stellenden Informationen ermittelt hat, verneint und der VN, der einen höheren Rückkaufswert als den gezahlten verlangt, die Umstände darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen hat, die den weitergehenden Anspruch stützen sollen. 32 Der BGH hat von dem VR verlangt, in geordneter Form Auskunft zu erteilen durch die Benennung folgender Beträge: der Hälfte des mit den Berechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten und gezimmerten Deckungskapitals bzw. des ungezielten Fondsguthabens, des Rückkaufswerts, der sich für den Zeitpunkt der Beendigung des Versicherungsvertrages bei Zugrundelegung der Bestimmungen des jeweiligen Versicherungsvertrages ergibt der während der Vertragslaufzeit zugewiesenen laufenden Überschussbeteiligung und des anlässlich der Vertragsbeendigung zugewiesenen Schlussüberschussanteils, soweit etwaige Überschüsse Bestandteil der Berechnung des ungezillmerten Deckungskapitals und/oder der Berechnung des Rückkaufswerts sind, sowie der an die Finanzverwaltung abgeführten Kapitalertragssteuern und Solidaritätszuschläge auf die vorerwähnte Überschussbeteiligung. 33 Abschnitt 4 Grundzüge des Rechts der privaten Krankversicherung §§ 192- 208 VVG (AVB: MB/KK 2009; MB/KT 2009) (Fundstelle: www.pkv.de) A. Gesetzliche Krankenversicherung und private Krankenversicherung 1. Rechtstatsächliche Bedeutung: 9 Mio. Krankheitskostenvollversicherungsverträge, 23 Mio. Krankheitskostenzusatzversicherungsverträge, 24 Mrd. € Versicherungsleistungen jährlich, 192 Mrd. € Rücklagen. 2.Strukturprinzipien Erstattung der tatsächlichen Aufwendungen des VN gegenüber Ärzten und anderen Leistungserbringern (KKV: § 192 Abs. 1 VVG i.V.m. MB/KK) + ggf. zusätzliche Dienstleistungen (§ 192 Abs. 3 VVG) Zahlung zeitabhängiger vereinbarter Beträge als Krankentagegeld und Krankenhaustagegeld (MB/KK, MB/KT) Prämienkalkulation nach dem Äquivalenzprinzip (statt Solidarprinzip) Vertraglicher Interessenausgleich von Privaten Versicherungspflicht? (§ 5, § 6 SGB V; § 193 VVG) SGB V § 5 Versicherungspflicht (Auszüge) (1) Versicherungspflichtig sind 34 1.Arbeiter, Angestellte und zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind,... 9.Studenten, die an staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen eingeschrieben sind, unabhängig davon, ob sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, wenn für sie auf Grund über- oder zwischenstaatlichen Rechts kein Anspruch auf Sachleistungen besteht, bis zum Abschluß des vierzehnten Fachsemesters, längstens bis zur Vollendung des dreißigsten Lebensjahres; Studenten nach Abschluß des vierzehnten Fachsemesters oder nach Vollendung des dreißigsten Lebensjahres sind nur versicherungspflichtig, wenn die Art der Ausbildung oder familiäre sowie persönliche Gründe, insbesondere der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen in einer Ausbildungsstätte des Zweiten Bildungswegs, die Überschreitung der Altersgrenze oder eine längere Fachstudienzeit rechtfertigen,... (5) Nach Absatz 1 Nr. 1 oder 5 bis 12 ist nicht versicherungspflichtig, wer hauptberuflich selbständig erwerbstätig ist.... § 6 Versicherungsfreiheit (1) Versicherungsfrei sind 1.Arbeiter und Angestellte, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze nach den Absätzen 6 oder 7 übersteigt; Zuschläge, die mit Rücksicht auf den Familienstand gezahlt werden, bleiben unberücksichtigt,... 2.Beamte, Richter, Soldaten auf Zeit sowie Berufssoldaten der Bundeswehr und sonstige Beschäftigte des Bundes, eines Landes, eines Gemeindeverbandes, einer Gemeinde, von öffentlichrechtlichen Körperschaften, Anstalten, Stiftungen oder Verbänden öffentlich-rechtlicher Körperschaften oder deren Spitzenverbänden, wenn sie nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Krankheit Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge und auf Beihilfe oder Heilfürsorge haben,... 35 „Informationsblatt der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht gemäß § 10a Abs. 3 VAG In der Presse und in der Öffentlichkeit werden im Zusammenhang mit der privaten und gesetzlichen Krankenversicherung Begriffe gebraucht, die erklärungsbedürftig sind. Dieses Informationsblatt will Ihnen die Prinzipien der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung kurz erläutern. Prinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung In der gesetzlichen Krankenversicherung besteht das Solidaritätsprinzip. Dies bedeutet, dass die Höhe des Beitrages nicht in erster Linie vom im Wesentlichen gesetzlich festgelegten Leistungsumfang, sondern von der nach bestimmten Pauschalregeln ermittelten individuellen Leistungsfähigkeit des versicherten Mitglieds abhängt. Die Beiträge werden regelmäßig als Prozentsatz des Einkommens bemessen. Weiterhin wird das Versicherungsentgelt im Umlageverfahren erhoben. Dies bedeutet, dass alle Aufwendungen im Kalenderjahr durch die in diesem Jahr eingehenden Beiträge gedeckt werden. Außer einer gesetzlichen Rücklage werden keine weiteren Rückstellungen gebildet. Unter bestimmten Voraussetzungen sind Ehegatten und Kinder beitragsfrei mitversichert. Prinzipien der privaten Krankenversicherung In der privaten Krankenversicherung ist für jede versicherte Person ein eigener Beitrag zu zahlen. Die Höhe des Beitrages richtet sich nach dem Alter und nach dem Gesundheitszustand der versicherten Person bei Vertragsabschluss sowie nach dem abgeschlossenen Tarif. Es werden nach versicherungsmathematischen Grundsätzen berechnete risikogerechte Beiträge erhoben. Die altersbedingte höhere Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen wird durch eine Alterungsrückstellung berücksichtigt. Bei der Kalkulation wird unterstellt, dass sich die Kosten im Gesundheitswesen nicht erhöhen und die Beiträge nicht allein wegen des Älterwerdens des Versicherten steigen. Dieses Kalkulationsverfahren bezeichnet man als Anwartschaftsdeckungsverfahren oder Kapitaldeckungsverfahren. Ein Wechsel des privaten Krankenversicherungsunternehmens ist in der Regel zum Ablauf des Versicherungsjahres möglich. Dabei ist zu beachten, dass für die Krankenversicherer – mit Ausnahme der Versicherung im Basistarif - keine Annahmeverpflichtung besteht, der neue Versicherer wiederum eine Gesundheitsprüfung durchführt und die Beiträge zum dann erreichten Alter erhoben werden. Ein Teil der kalkulierten Alterungsrückstellung kann an den neuen Versicherer übertragen werden1. Der übrige Teil kann bei Abschluss eines Zusatztarifes auf dessen Prämie angerechnet werden; andernfalls verbleibt er bei dem bisherigen Versichertenkollektiv. Eine Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung ist in der Regel, insbesondere im Alter, ausgeschlossen. Waren Sie bereits vor dem 01.01.2009 privat krankenversichert, gelten für Sie Sonderregelungen. Bitte informieren Sie sich ggf. gesondert über diese Regelungen.“ 1 In dieser neuen Textfassung ist das Informationsblatt zukünftig als Teil der Verbraucherinformationen auszuhändigen. 36 B. Rechtsnatur und Formender privaten Krankheitskostenversicherung 1. Schadens- oder SummenV? (§ 194 Abs. 1 VVG) KKV ist einerseits PersonenV, andererseits grundsätzlich SchadensV (konkreter Bedarf), KTGV ist SummenV (Leistung eines fest vereinbarten Betrages zum Ersatz des Verdienstausfalls), KHTGV ist SummenV (Leistung einer fest vereinbarten Summe je Kliniktag zum Ausgleich von Mehraufwendungen). Vorrangige Bedeutung der Unterscheidung: § 86 VVG ist insoweit nicht anwendbar. 2. Substitutive und nicht substitutive KrankenV Substitutive KV: Verträge, die die im gesetzlichen Sozialversicherungssystem vorgesehene Krankenversicherung ganz oder teilweise ersetzen können“ (§ 12 Abs. 1 VAG, § 195 Abs. 1 VVG). Alle übrigen KV-V (Wahlleistungsabsicherung, KHTG-V, AuslandsreiseKV) sind nicht substitutive KrankenV-V. 3. Wichtige Sonderregelungen Abschluss eines KV-V: Besondere Informationspflichten nach § 3 VVG-InfoV, § 10a Abs. 3 VAG. Grundsätzlicher Befristungsausschluss: § 195 Abs. 1 VVG Vorvertragliche Anzeigeobliegenheit: § 194 Abs. 1 Satz 3,4 Versicherungspflicht: § 193 Abs. 3 VVG Kontrahierungszwang: § 193 Abs. 5 VVG und Direktanspruch: § 195 Abs. 7 im Basistarif Besonderheiten bei der Prämienberechnung nach § 12 VAG (Altersrückstellungen, Gleichbehandlungsgebot) Recht des VR auf (kontrollierte) Prämien- und Bedingungsanpassung nach § 203 VVG Sonderregelung zum Prämienverzug in der PflichtV nach § 193 Abs. 6 VVG 4. Private KV als Pflichtversicherung mit Kontrahierungszwang: §§ 12 Abs. aa Satz 1 VAG, § 193 Abs. 5 VVG Angebot flächendeckenden Krankheitskostenversicherungsschutzes zu bezahlbaren (nicht risikogerechten, keine Leistungsausschlüsse enthaltenden) Konditionen aus 37 sozialstaatlichen Gründen; keine unverhältnismäßige Einschränkung der VRBeraufsausübungsfreiheit, solange der Basistarif keine bdeutsamen Auswirkungen auf das normale Krankenversicherungsverhältnis hat (Hier:überschaubarer Personenkreis,bei allerdings relativ hohem Anteil von Nichtzahlern). C. Der Versicherungsfall Versicherungsfall in der PKV ist „die medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfallfolgen“ (§ 192 Abs. 1, 5 VVG). Im Streitfall ist es daher erforderlich festzustellen, ob eine Krankheit vorliegt (oder ob Unfallfolgen bestehen), und ob verlangt wird, Kosten zu erstatten, die auf einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung beruhen. 1. Krankheit BGH 15.09.2010 – IV ZR 187/07 – VersR 2010, 1485 (Spermien-Injektion) VN ist verheiratet und wünscht sich ein Kind, seine Ehefrau hat bislang Fehlgeburten erlitten. Über zwei Jahre hinweg schlugen Inseminationsbehandlungen und in-vitroFertilisationen fehl. Für sie verlangt VN Kostenerstattung. Hat VN das Vorliegen einer Krankheit bewiesen? Krankheit = Objektiv, nach ärztlichem Urteil bestehender anormaler, regelwidriger Körper- oder Geisteszustand. Dazu zählt auch die auf körperlichen Ursachen beruhende Unfähigkeit, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen. IvF ist eine Maßnahme, die darauf gerichtet ist, die Unfruchtbarkeit des Mannes zu lindern! „Von Viagra, Lasik, Schönheitschirurgen und Wunderheilern“ OLG Karlsruhe 17.01.1991 – 12 U 70/90 – VersR 991, 912 VN, eine Bodybuilderin, litt unter einer Unterentwicklung (Hypoplasie) ihre Brüste und unterzog sich einer Brustoperation mit „Augmentationsplastik“, die allerdings erfolglos blieb. Sie verlangt Ersatz der Operationskosten. Ob eine Krankheit vorliegt, entscheidet sich nach dem Sprachgebrauch auf der Grundlage der medizinischen Erkenntnisse. Nicht jede Abweichung der körperlichen 38 Beschaffenheit von der Normalität, die subjektiv als „Mangel“ empfunden wird, ist eine Krankheit. Sie setzt vielmehr Beschwerden oder Funktionsstörungen voraus. 2. Medizinisch notwendige Heilbehandlung a. Veranschaulichung OLG Karlsruhe 03.07.2003 – 12 U 32/03 – VersR 2003, 1432 VN verlangt wegen einer durch eine arterielle Hypertonie bedingten erektilen Dysfunktion die Erstattung der Kosten für die Verordnung von Viagra. Medizinisch notwendige Heilbehandlung ► Objektiver, vom Vertrag VN/Arzt unabhängiger Maßstab: Notwendig ist die Behandlung, wenn aufgrund der medizinischen Befunde vertretbar war, die Vornahme der ärztlichen Behandlung als notwendig anzusehen, wenn also die Behandlung geeignet war, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken. b. Alternative und experimentelle Medizin BGH 30.10.2013 – IV ZR 307/12 – VersR 2013, 1558 (Dendritische Zellen) VN leidet an einem metastasierenden Prostatakarzinom, das schulmedizinisch als unheilbar gilt. Versuche einer Universitätsklinik befassen sich mit der Frage, ob die „Injektion“ dendritischer Zellen eine Heilungsmöglichkeit ergeben. VN verlangt den Ersatz der dafür erforderlichen Aufwendungen. Heutige Klausel: VR leistet …für Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind… (und) für Methoden und Arzneimittel, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder die angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen… Medizinisch notwendige Heilbehandlung : Objektiver Maßstab (keine Anknüpfung an den Behandlungsvertrag). Maßgebend: Medizinische Befunde und Erkenntnisse im Zeitpunkt der Behandlung! ► 39 Medizinische Vertretbarkeit (Eignung, eine Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegen zu wirken) . In Fällen der Unheilbarkeit: Zuweilen kommt jeder Behandlung Versuchscharakter zu! Ist eine unheilbare, lebenszerstörende Krankheit gegeben, sind auch die Kosten einer Heilbehandlung erstattungsfähig, der Versuchscharakter zukommt, die jedoch medizinisch begründbar Aussicht auf Heilung oder Linderung verspricht (nachvollziehbarer Ansatz, der die prognostizierte Wirkungsweise zu erklären vermag). c. Betragsmäßige Begrenzung der Aufwendungen Gesetzliche Regelung: § 192 Abs. 2 VVG (Keine Leistungspflicht, wenn die Aufwendungen für die Heilbehandlung oder sonstigen Leistungen in einem auffälligem Missverhältnis zu den erbrachten Leistungen stehen) Übermaßverbot! Hintergrund: BGH 12.03.2003 – IV ZR 278/01 – BGHZ 154, 154 („Alphaklinik“) VN unterzog sich drei minimal-invasiven Bandscheibenoperationen in der Privatklinik P, die ihm dafür (auf der Grundlage der geschlossenen Krankenhausverträge) selbstdefinierte Fallpauschalen (ca. 45.000 DM) in Rechnung stellte, deren Erstattung er von seinem PKV-V verlangte. Sein PKV-V verweigerte weitgehend die Bezahlung der von sonstigen Kliniken für vergleichbare Behandlungen um 900% überhöhten Vergütungen. [Hinweise zur Lösung: Anspruchsgrundlage ist der VV (Erstattung der Aufwendungen des VN aus berechtigten Ansprüchen Dritter + Ansprüche des Klinikträgers gegen VN auf der Grundlage des Krankenhausaufnahmevertrages oder Sittenwidrigkeit der Preisklausel (§ 138 Abs. 1 BGB: kein Vergleich mit Kosten herkömmlicher Operationen in Kliniken der öffentlichen Krankenversorgung; zum damaligen AVBRecht: „medizinisch notwendige Heilbehandlung“ ist nicht als „preiswerteste“ Heilbehandlung zu verstehen)]. Heute: § 192 Abs 2 VVG begrenzt die Kostenerstattung. 40 Übermaßbehandlungen und Übermaßvergütungen werden nicht erstattet. Voraussetzung ist die (vom VR nachzuweisendes „auffälliges“ Missverhältnis zwischen den geltend gemachten Aufwendungen und den erbrachten Leistungen. c. Zeitpunkt des „Versicherungsfalls“ „Zahnschmerzen, die keinen Anfang und kein Ende haben wollen“ OLG Köln 18.10.2013 – 20 U 125/13 – VersR 2014, 1200 VN, der seit dem 01.10.2006 bei VR einen MBKK-V unterhält, verlangt die Erstattung der Kosten für die Überkronung und Brückenversorgung seiner Zähne. Schon am 31.10.2005 stellte der Zahnarzt Z das Fehlen von Zähnen fest und riet zu einer – nicht notwendigerweise sofortigen – Extraktion verbliebener Zähne und dem prothetischen Ersatz fehlender anderer. Versicherungsfall in der PKV ist nicht die Krankheit sondern die medizinisch notwendige Heilbehandlung (Fehlen von Zähnen führt zur Funktionsbeeinträchtigung des Kausystems, fehlender zahnmedizinischer Ausgleich birgt die Gefahr von Folgeschäden). Beschwerdefreiheit ist unerheblich. Versicherungsfall ist allerdings nicht die Behandlungsbedürftigkeit sondern der Beginn der Heilbehandlung. Also: Haben vor dem 01.10.2006 Maßnahmen der Zahnversorgung stattgefunden (Untersuchungen zur Erkennung des Leidens genügen)? Problematik des „gedehnten Versicherungsfalls“ Von einem gedehnten VF spricht man, wenn sich das versicherte Ereignis (Heilbehandlung) über längere Zeiträume erstreckt. In der PKV ist beginnt das versicherte Ereignis mit der Heilbehandlung und endet, wenn nach medizinischem Befund keine Behandlungsbedürftigkeit mehr besteht (§ 1 (2) Satz 2 MB/KK 2009). Von Bedeutung ist das für den Zeitraum der Deckung: Hat eine Heilbehandlung vor dem materiellen Versicherungsbeginn eingesetzt, besteht keine Absicherung! D. Inhaber des Anspruchs Unterscheidung Versicherungsnehmer, versicherte Personen, Gefahrpersonen E. Kündigung des Krankheitskostenversicherungsvertrages 41 Kündigung der substitutiven KKV durch den VR ist nach § 206 Abs. 1 VVG grundsätzlich ausgeschlossen. Gilt das auch für die außerordentliche Kündigung nach § 314 BGB? Kündigung der substitutiven KKV durch den VN richtet sich nach § 205 Abs. 1 VVG (Kündigungsfrist 3 Monate zum Jahresende); in Fällen des Eintritts der gesetzlichen Krankenversicherung binnen 3 Monaten zum Eintritt der Versicherungspflicht rückwirkend zu dessen Zeitpunkt. „Ein klitzekleiner Krankheitsprofit“ BGH 07.12.2011 - IV ZR 50/11 - VersR 2012, 219 „Abrechnungsbetrug“] VN unterhielt seit 01.08.2008 bei VR eine KKV zur Ergänzung seines Beihilfeanspruchs. VR kündigte den Vertrag am 01.07.2010 fristgemäß und fristlos, weil VN von 2008 bis 2010 eine Vielzahl angeblicher Medikamentenbezüge abgerechnet hatte, die er in Wirklichkeit gar nicht bezogen hatte. VN beantragte die Feststellung des Fortbestehens seines VV mit der Begründung, seine Ehefrau habe die Abrechnungen vorgenommen, weil er krankheitsbedingt dazu nicht in der Lage gewesen sei, ihm seien Manipulationen nicht bekannt gewesen. Lösungsskizze: VN kann gegenüber VR Feststellung des Fortbestehens des VV verlangen, wenn die Kündigung vom 01.07.2010 unwirksam war. 1.Auflösung des VV gemäß § 11 Abs. 2 VVG i.V.m. § 206 Abs. 1 VVG? Grundsätzliches Bestehen eines KündigungsR? (§ 193 Abs. 1 VVG begründet Versicherungspflicht für Beihilfeberechtigte) (Ggf. beachten: Befristung des Kündigungsrechts nach § 206 Abs. 2 VVG) 2.Auflösung des VV gemäß § 314 BGB? a.Ausschluss des Rechts nach § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG? [BGH: Kein Ausschluss des Rechts zur außerordentlichen Kündigung; für einen Ausschluss spricht zwar Wortlaut und systematischer Zusammenhang zu § 206 Abs. 1 Satz 2 VVG, gegen ihn spricht außerhalb der Sonderregelung zum Prämienverzug (§ 193 Abs. 6 VVG)die Notwendigkeit einer teleologischen Reduktion (Schutz des VN nur vor einem Verlust des Versicherungsschutzes bei Prämienrückständen, nicht aber bei anderen schweren Vertragsverletzungen, auch § 193 Abs. 6 VVG enthält Ansätze eines Schutzes des VR, VR kann sich grundsätzlich auch nach den §§ 19 ff. VVG lösen, VN kann eine KKV zum Basistarif weiterhin abschließen) b.Voraussetzungen des § 314 BGB: Vorliegen besonders schwer wiegender Gründe; Zurechnung des Verhaltens der Ehefrau (Repräsentation) Rechtsfolgen der Kündigung durch den VN: Bei Neuabschluss eines PKV (§ 204 Abs. 1 Nr. 2 VVG: Teilübertragung (Übertragungswert) der Alterungsrückstellung. Was ist die Alterungsrückstellung? 42 Weil mit dem Alter eines Menschen die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen steigt, werden von der PKV in jüngeren Jahren Prämien erhoben, die höher sind als es das abgesicherte Risiko an sich erfordern würde. Die „überschießenden“ Prämienanteile werden „zurückgestellt“, um im Alter Mehrkosten decken zu können, die von der Prämienkalkulation nicht gedeckt werden. Rechtliche Grundlage ist § 12 VAG i.V.m. der KalV. Die Höhe ist versicherungsmathematisch (aktuarisch) zu ermitteln und wird in einem Treuhänderverfahren geprüft. Rechtspraktischer Hinweis: Findet ein Wechsel von der PKV in die GKV statt, empfiehlt es sich zu erwägen, die PKV in eine AnwartschaftsV umzuwandeln. Dann erwirbt der (frühere) VN einen Anspruch auf „Revitalisierung“ seiner PKV, wenn er später aus der GKV wieder ausscheiden darf oder kann. Die AnwartschaftsV begründet keine Leistungsansprüche sondern eine Art Option, die, je nach Ausgestaltung, weitere Alterungsrückstellungen aufbaut (§ 204 Abs. 4 VVG). F. Rechtsprobleme der Krankentagegeldversicherung „Ein Rechtsanwalt, der nicht mehr lesen konnte“ BGH 03.04.2013 – IV ZR 239/11 – VersR 2013, 615 VN ist Rechtsanwalt und unterhält bei VR eine MB/KT-V. Nach einem leichten Schlaganfall mit der Folge einer Dyslexie (Leseschwäche) ist VN arbeitsunfähig geschrieben ab 23.08.2006; er kann allerdings in geringem Umfang seiner Arbeit als Rechtsanwalt nachgehen. VR stellte nach einiger Zeit die Krankentagegeldzahlungen ein mit der Begründung, es liege Berufsunfähigkeit vor. AVBMB/KT (Zusammenfassung): 1. VR bietet Versicherungsschutz gegen Verdienstausfall als Folge von Krankheiten oder Unfällen, sofern dadurch Arbeitsunfähigkeit verursacht wird. 2. Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderen Erwerbstätigkeit nachgeht. 3. Das Versicherungsverhältnis endet mit dem Eintritt der Berufsunfähigkeit der versicherten Person. Lösungsskizze 43 Anspruch auf Zahlung von Krankentagegeld? Anspruchsvoraussetzung: AU: 1. Scheitert die Annahme von AU daran, dass in geringem Umfang Arbeit geleistet werden kann? Rechtsprechung: Eine nur zu Teil gegebene Arbeitsfähigkeit schließt den Anspruch auf KTG aus! Kann VN seinem bislang ausgeübten Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung mindestens teilweise nachgehen? Fähigkeit zur Ausübung einzelner isoliert keinen Sinn ergebender Tätigkeiten schließt AU nicht aus: „Vielmehr stellt die Fähigkeit zum flüssigen Lesen und Durcharbeiten von Texten regelmäßig eine Grundvoraussetzung für das Ausüben eines juristischen Berufs dar; für den Beruf eine Rechtsanwalts ist eine weitgehend erhaltene Lesefähigkeit unabdingbar“ Die Prüfung eines Anspruchs auf Krankentagegeld darf sich nicht darauf beschränken, ob die VP in zeitlicher Hinsicht noch in gewissem Umfang in der Lage ist, ihre berufliche Tätigkeit fortzusetzen, sondern muss klären, ob sie die prägenden Anforderungen ihres bisherigen Berufs wenigstens noch teilweise erfüllen kann. 2. Scheitert ein Anspruch an dem Bestehen von Berufsunfähigkeit? MB/KT § 15 (1) b): Das Versicherungsverhältnis endet mit dem Eintritt von Berufsunfähigkeit; Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit zu mehr als 50% erwerbsunfähig ist. Darstellung des Sinns und der Problematik der Klausel Fehlen einer Übereinstimmung mit den AVB der Berufsunfähigkeitsversicherung Zeitpunkt des Leistungsendes (Rückwirkung?).
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