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Karlsruhe: Türkischer Präsident: Erdogan in Karlsruhe: Tausende jubeln, Tausende protestieren - badische-zeitung.de
10. Mai 2015 20:38 Uhr
TÜRKISCHER PRÄSIDENT
Erdogan in Karlsruhe: Tausende jubeln, Tausende protestieren
Wahlkampf oder Dankestour? Recep Tayyip Erdogan ist in Karlsruhe nicht nur willkommen –
auch wenn ihn 14.000 Anhänger feiern. Eine Reportage vom Besuch des türkischen
Präsidenten.
„Teufel, Wolf, Schwein und ohne Ehre“, steht auf dem Plakat der Erdogan-Gegner.
Foto: DPA
Die Straße ist wie ein Graben. Am eigentlichen Ort des Geschehens, vor der DM-Arena in Rheinstetten bei
Karlsruhe, versammeln sich die Anhänger des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Sie
schwenken Fahnen mit dem Abbild des Staatschefs: Dieser blickt entschlossen in die Ferne. Auch rote
türkische Fahnen wehen im Wind. Von jenseits der viel befahrenen Straße, die nicht zu Fuß überquert
werden kann, dringen immer wieder laute Pfiffe herüber. Dort haben sich Erdogans Gegner versammelt.
"Stoppt den Erdowahn."
Die Straße in Rheinstetten ist symbolisch für den Graben, der die
zumeist türkischstämmigen Einwanderer in zwei Lager teilt, ganz
ähnlich wie die Gesellschaft der Türkei. Bei der Präsidentschaftswahl
2014 stimmten fast 52 Prozent der Wähler im ersten Wahlgang für
Erdogan. Immerhin 48 Prozent hatten ihm aber nicht ihre Stimme
gegeben. Gerade nach den Gezi-Protesten 2013 fürchteten viele Türken, er könne das Land in einen
Polizeistaat verwandeln.
Plakat von Erdogan-Gegnern
Wer sich auf der Erdogan-Gegner-Seite der Straße befindet, bekommt dann auch zu hören: "Erdogan ist
ein Faschist! Er ist ein Diktator!" Auf einem Banner steht: "Stoppt den Erdowahn". Es ist die Alevitische
Gemeinde Deutschland, die zu dem Protest aufgerufen hat. Aleviten sind eine schiitische Minderheit, die
besonders in früheren Zeiten in der Türkei viel Diskriminierung erfahren hat. Noch heute beschweren sich
viele Aleviten über mangelnde Gleichberechtigung. Doch es haben sich auch zahlreiche linke und
kurdische Gruppen den Gegendemonstranten angeschlossen. Keine der Frauen trägt Kopftuch, das ist bei
Aleviten unüblich.
Türken im Ausland dürfen bereits wählen
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11.05.2015 11:08
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"Es geht nicht, dass Erdogan hierher kommt und Wahlkampf betreibt", sagt Mustafa Dogan, einer der
Mitorganisatoren von der Alevitischen Gemeinde. "Das verbietet die türkische Verfassung." Am 7. Juni
finden in der Türkei Parlamentswahlen statt. Die Auslandstürken dürfen bereits seit Freitag wählen.
Erdogan kommt also pünktlich zum Wahlbeginn nach Rheinstetten. Seine Partei, die islamischkonservative AKP, betont allerdings, dass dies nichts mit Wahlkampf zu tun habe, Erdogan wolle sich nur
bei seinen Anhängern für die Unterstützung im Präsidentschaftswahlkampf bedanken. Das glauben ihm
die Gegner nicht. "Gerade, dass sich Erdogan nicht an die Verfassung hält und hier Wahlkampf macht,
zeigt doch, er hat mit der Türkei etwas anderes als Demokratie im Sinn", meint Ayse Egilmez von der
Zeitung Alinteri. "Erdogan provoziert einen Bürgerkrieg. Sunniten gegen Aleviten, Türken gegen Kurden.
Religiöse gegen Anhänger des Säkularismus." Hinter ihr stimmen die 3000 Demonstranten die
Internationale an.
Auf der Anhänger-Seite der Straße schätzen die Versammelten Erdogan ganz anders ein. "Dank Erdogan
ist der kranke Mann am Bosporus wieder gesund", sagt Koral Öncer, der in Mannheim eine Bäckerei
betreibt, früher aber als Banker gearbeitet hat. "Er hat das Land wirtschaftlich auf eine gute Basis
gestellt." Tatsächlich hat sich das Pro-Kopf-Einkommen in Erdogans Ära als Ministerpräsident (2003 bis
2014) von 3400 auf 11.000 Dollar verdreifacht. Öncer betont aber auch: "Wir wollen keinen Putin-Staat.
Wir wollen den Weg zur Demokratie weitermachen." Fast beschwörend sagt er, dass das mit Erdogan
gelingen kann.
Das Pro-Erdogan-Publikum ist bunt gemischt. Sie sind alle auf Einladung der AKP-nahen Union der
Europäisch-Türkischen Demokraten (UETD) nach Karlsruhe gekommen. Es gibt Schicke, wie Öncer, der
sein Haar mit Pomade zu rosa Hemd und grauem Anzug trägt. Viele Frauen lassen das Haar offen, andere
bedecken es mit einem Kopftuch. Auch ein paar verhüllte alte Mütterchen sind dabei.
Unter den Erdogan-Anhängern gibt es auch Verschwörungstheoretiker
Immer wieder ist zu hören, dass Erdogan das Land wirtschaftlich und politisch stark gemacht habe. Doch
es gibt unter seinen Anhängern auch Verschwörungstheoretiker, die von dunklen Mächten
schwadronieren, welche die Türkei schwächen wollten und sie deshalb stets kritisierten. Auch von
Amerika ist die Rede. Und der Presse. Auf die jüngste Verschärfung der Sicherheitsgesetze in der Türkei
angesprochen, die es Polizisten erlaubt, auch auf vermummte Demonstranten scharf zu schießen, weiß
einer der Männer gar nicht, wovon die Rede ist. Ein anderer gibt klar zu verstehen, dass er dahinter steht.
"Solche Chaoten wollen wir nicht", sagt er. Seinen Namen will er nicht nennen.
Als ein paar Anhänger der kurdischen Arbeiterpartei PKK die Straße zwischen Gegendemonstranten und
Anhängern überwinden, kommt es zu einer Rangelei mit der Polizei. Es gibt mehrere Verletzte. Die Polizei
nimmt zwei Teilnehmer der Versammlung fest.
Der Jubel ist groß, als Erdogan mit Verspätung in der Halle eintrifft.
"Wir lieben dich, wir sind
stolz auf dich."
Erdogan-Unterstützer
14.000 Menschen schwenken rote Fahnen, klatschen und johlen. "Wir
lieben dich, wir sind stolz auf dich", rufen sie in Sprechchören. Der Lärm
ist ohrenbetäubend. Draußen warten noch immer 3000 Anhänger, die
den Präsidenten gerne sehen möchten. Doch sie haben keine Chance,
zu voll ist der Saal.
Und natürlich hält sich Erdogan nicht an die türkische Verfassung und begründet das damit, er sei der
erste gewählte türkische Präsident. "Die Wahlurne ist eure Waffe", ruft er der Menschenmenge zu, ohne
jedoch direkt dazu aufzufordern, seiner AKP die Stimme zu geben. Wie schon seine Redner vor ihm hebt
er hervor, wie positiv sich die Türkei seit seiner Machtübernahme entwickelt hat. Es seien Straßen gebaut
worden, die Lebensqualität in den Städten habe sich verbessert. Der Saal jubelt und schwenkt die
Fahnen. Auch als Erdogan die Türkischstämmigen in Deutschland dazu auffordert, sich zu integrieren,
zugleich aber die Werte, die Sprache und die Religion der Heimat zu bewahren.
Natürlich hat Staatspräsident Erdogan nicht mitbekommen, was seine Gegner ihm zu sagen haben. Die
Polizei lenkte seinen Konvoi weit an der Demonstration vorbei zur DM-Arena. "So eine
Protestveranstaltung wie heute wäre in der Türkei so gar nicht mehr möglich", meint die Journalistin Ayse
Egilmez. Als Erdogans Rede noch nicht zu Ende ist, rollen sie und ihre Mitstreiter die Transparente ein und
machen sich auf den Heimweg.
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Mehr zum Thema:
Hintergrund: Erdogan sehnt sich nach dem untergegangenen Reich (Dezember 2014)
Autor: Annemarie Rösch
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