Ausgabe April/Mai 2015 - Evangelisches Frankfurt

Evangelisches
Frankfurt
Zeitung für Mitglieder der evangelischen Kirche in Frankfurt am Main
April/Mai 2015 · 39. Jahrgang · Nr. 2
Von klein auf öffentlich
Kirchenvorstands-Wahlen
Auferstehung im Alltag
Schon als Babys sind viele Kinder
heute medial präsent, zum Beispiel
mit Bildern auf der Facebook-Seite
ihrer Eltern. Wie neue Medien die
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Kindheit verändern.
Am 26. April werden in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau die Kirchenvorstände gewählt.
Wahlberechtigt sind alle Evangeli> Seiten 4/5
schen ab 14 Jahren.
Mit der Auferstehung verbinden
viele Menschen vor allem Vorstellungen vom Leben nach dem Tod.
Aber Auferstehung gibt es auch
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mitten im Alltag.
Ostern feiern
Tipps für die Feiertage in Frankfurt
▶In der Karwoche und an den
Ostertagen feiern die Frankfurter
Gemeinden auf vielfältige Weise
das höchste christliche Fest. Zur
Todesstunde Jesu finden am Karfreitag, 3. April, um 15 Uhr Andachten statt, so in der Jakobskirche in Bockenheim, der Thomaskirche in Heddernheim, der Dreikönigskirche am Sachsenhäuser
Ufer oder in der Osterkirche an
der Mörfelder Landstraße.
Der Ostersonntag, 5. April, beginnt mancherorts sehr früh, wie
in der Alten Nikolaikirche am Römerberg mit einer Osternachts-
feier um 6 Uhr. Die Pröpstin für
Rhein-Main, Gabriele Scherle,
predigt dann um 10 Uhr bei einem Kantatengottesdienst in der
Katharinenkirche an der Hauptwache. Live im Radio (hr4) wird
ab 10.05 Uhr der Gottesdienst aus
der Dreikönigskirche übertragen.
Eine Ausstellung in der Cyriakuskirche in Rödelheim, Auf der
Insel 5, zeigt Ostereier und andere Exponate aus der Volkskunst
(bis 19. April sonn- und feiertags
von 15 bis 17 Uhr). Sämtliche Veranstaltungen gibt’s unter www.
frankfurt-evangelisch.de. Redaktion
Katharinenkirche
Mit der Bibel gegen Pegida
▶Wenn schon das christliche
Abendland gerettet werden soll,
dann richtig: „Liebe Deinen Mitmenschen, er ist wie Du“ steht auf
einem großen Banner, das seit
Anfang März am Turm der Katharinenkirche hängt. Die Idee dazu
hatte der neue Stadtkirchenpfarrer Olaf Lewerenz. „Angesichts
der fremdenfeindlichen Demonstrationen an der Hauptwache war
ich der Meinung, wir müssten etwas unternehmen.“
Der Text ist eine alternative
Übersetzung des Nächstenliebegebots, das sowohl im Alten als
auch im Neuen Testament steht
und bei Luther lautet: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“
Die zunächst ungewohnte Übersetzung komme dem Urtext näher
und solle zum Nachdenken anregen, sagt Pfarrer Lewerenz. Tatsächlich habe er neben vielen positiven auch kritische Mails dazu
bekommen.
Für die Katharinenkirche hat
der fünfzig Jahre alte Theologe
auch sonst schon Pläne. Unter anderem soll es ab Juni an den
Werktagen regelmäßige Mittagsgebete geben.
Antje Schrupp
Industriekletterer befestigten das sechs mal drei Meter große Banner am Turm
Foto: Rolf Oeser
der Katharinenkirche an der Hauptwache.
Ländliches Frankfurt: Schafe weiden am Heiligenstock mit Blick auf den Messeturm. Die Metapher von Christus als dem
„Lamm Gottes“ begründete zahlreiche Osterbräuche. Gemeint ist, dass Jesus den Tod nicht gescheut hat und zuließ, „geopFoto: Frank Rupenhorst/Picture Alliance
fert“ zu werden – wie ein Lamm, damals ein wichtiges Opfertier im jüdischen Kult.
Von Europa nach Europa
Studie zur Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien nach Frankfurt
▶Seit der Einbindung von Mittelund Osteuropa in die Europäische Union kommen sehr viel
mehr Menschen von dort nach
Deutschland. Doch wie ist es um
ihre Situation wirklich bestellt?
Welche Probleme ergeben sich
dadurch für Frankfurt, und wie
könnte man ihnen abhelfen?
Dazu hat die „Sozialpolitische
Offensive“, ein Zusammenschluss
aus Kirchen, Gewerkschaften und
anderen Institutionen, eine Studie
in Auftrag gegeben und die Ergebnisse in der Weißfrauen Diakoniekirche vorgestellt.
Laut Tina Alicke vom Institut
für Sozialarbeit und Sozialpädagogik, das die Studie durchführte,
waren 2014 knapp 8000 Menschen mit rumänischem und gut
6000 mit bulgarischem Pass in
Frankfurt gemeldet. Doch ihre
Lebenssituationen seien sehr unterschiedlich: Die Palette reicht
vom Universitätsabschluss bis zu
Ungelernten. Den meisten gelinge es, sich aus eigener Kraft zu integrieren, was vor allem bedeutet,
dass sie eine Wohnung und eine
Arbeit finden. Ihre Arbeitslosen-
quote sei nicht höher als die der
ausländischen Bevölkerung insgesamt. Dennoch gebe es auch etliche in prekären Lebenslagen,
die Unterstützung brauchen. Die
bestehenden Hilfseinrichtungen
seien jedoch überlastet, es fehle
vor allem an Sprachkenntnissen.
Hinzu kommt, dass Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus
Europa keinen Anspruch auf Integrationshilfen haben. Wenn sie
aber nur wenig verdienen, können sie sich den Deutschunterricht auch nicht selbst finanzieren. Zumal viele zwölf und mehr
Stunden am Tag arbeiten müssen,
um über die Runden zu kommen.
Es gebe auch Unternehmen und
Vermieter, die die Notlage dieser
Menschen ausbeuten, indem sie
Löhne oder Beiträge zur Krankenversicherung nicht bezahlen
oder Wuchermieten verlangen.
Die Sozialpolitische Offensive
fordert die Stadt Frankfurt deshalb auf, aktiv zu werden: Mehr
Kontrollen der Arbeitsbedingungen, insbesondere auf Baustellen,
mehr sozial geförderter Wohnungsbau, Einschreiten gegen
Mietwucher, mehr Geld für Hilfseinrichtungen sowie eine bessere
Vernetzung bestehender Angebote waren einige der Forderungen.
Dem stimmte bei der anschließenden Diskussion im Grundsatz
auch Sozialdezernentin Daniela
Birkenfeld zu. Besonders für den
Bereich Wohnraum gelte die Devise: „Wir brauchen mehr, mehr,
mehr!“ Birkenfeld gab aber zu bedenken, dass die Stadt für unterschiedliche
Bevölkerungsgruppen Wohnraum zur Verfügung
stellen müsse. Viele warteten
schon lange darauf, eine Sozialwohnung zu bekommen, „da dürfen wir nicht die einen gegen die
anderen ausspielen.“
Für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen sei im März ein
„Vergabe- und Treuegesetz“ in
Kraft getreten, das Firmen auch
für ihre Subunternehmer und
Leiharbeiter in Haftung nimmt.
Generell mahnte Birkenfeld Besonnenheit an: „Wir werden von
der Migration aus Osteuropa
nicht überrollt, sondern können
an die Dinge gut und sachlich herangehen.“
Antje Schrupp
▸ Menschen und Meinungen
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Für eine politische Kirche
Kommentar
Rettungsanker
für Kinder
Rainer Muhs ist seit zwanzig Jahren im Kirchenvorstand Bockenheim
▶Damit machte sich der Papst bei vielen unbeliebt: als er sagte, der
berühmte Klaps auf den Po sei bei Kindern akzeptabel, körperliche
Züchtigung als Maßnahme zur Erziehung solle aber immer „würdevoll“ vollzogen werden. Da war Franziskus wohl in seinen kulturellen Wurzeln verstrickt. Andererseits: Von den 27 Ländern der Europäischen Union haben bis heute erst 16 Länder die körperliche
Züchtigung von Kindern verboten.
Auch in Deutschland war es ein langer Weg, bis Gewaltfreiheit
bei der Erziehung in der Gesellschaft und im Gesetz verankert waren. Hier ist das Schlagen von Kindern seit dem Jahr 2000 gesetzlich verboten. Und auch wenn sich Einstellungen nur langsam ändern, in diesem Fall ist es gelungen: Heute wird viel mehr als früher
auf das Kindeswohl geachtet. Weint das Nachbarkind ständig? Ist
ein Kind in der Kita oft schmutzig angezogen, gibt es Anzeichen
von Verwahrlosung? Ob Nachbarn, Erzieherinnen, Lehrkräfte – sie
alle achten heute mehr auf solche Alarmzeichen als noch vor wenigen Jahrzehnten. Und vom Gesetz her sind sie sogar dazu verpflichtet, ihnen nachzugehen. In den Kitas zum Beispiel wurde dafür ein eigenes Prüfsystem verpflichtend eingeführt.
Diese neue Aufmerksamkeit zeigt Wirkung. Schneller und häufiger werden Eltern heute Hilfestellungen angeboten, wenn sie nicht
klarkommen. Erziehungsberatung oder Familienhilfen können entlasten und so die Gefahr für das Kind senken. Nur als letztes Mittel
wird eine Unterbringung im Heim angeordnet: Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der städtischen Ämter ist das eine schwierige Gratwanderung, denn eine Heimunterbringung bedeutet ja immer die Trennung von der Familie, und das will kein Kind. Doch in
einigen Fällen ist es eben notwendig, etwa bei psychischer Erkrankung der Eltern oder Alkoholsucht.
Ziel muss dabei immer sein, dass das Heim nur eine Übergangslösung bleibt, dass die Situation in der Familie möglichst schnell so
verbessert wird, dass das Kind zu den Eltern zurückkehren kann.
Dafür ist es auch wichtig, dass der Kontakt zu Mutter und Vater in
der Zwischenzeit nicht ganz abreißt. Umso besser, wenn Kinderheime nicht außerhalb der Stadt liegen, sondern in den Wohnquartieren. Das Engagement des Evangelischen Regionalverbandes mit
Gründung der „Kindervilla Hollerkopf“ (Seite 12) ist für zahlreiche
Kinder und deren Familien ein Rettungsanker.
Kurt-Helmuth Eimuth
Beratung und Information
Info-Telefon/Kircheneintrittsstelle
Kurt-Schumacher-Straße 23,
Telefon 069 21651111
Auskunft über alle Fragen rund um die
Frankfurter evangelische Kirche.
Evangelische Propstei Rhein-Main
Rechneigrabenstraße 10,
Telefon 069 92107388
In der Evangelischen Kirche in Hessen
und Nassau gibt es keinen Bischof,
sondern sechs regionale Pröpstinnen
und Pröpste im Kirchengebiet. Pröpstin in Rhein-Main ist Gabriele Scherle.
Evangelischer Regionalverband/
Evangelisches Stadtdekanat
Kurt-Schumacher-Straße 23,
Telefon 069 21650
www.frankfurt-evangelisch.de
Der Evangelische Regionalverband
Frankfurt ist ein Zusammenschluss
von Kirchengemeinden und Stadtdekanat und verantwortet die übergemeindlichen Angebote der Kirche. Das
Stadtdekanat ist für die Entwicklung
der Arbeitsbereiche in Gemeinden und
kirchlichen Diensten zuständig. Beide
werden von einem gemeinsamen Vorstand geleitet, Vorstandsvorsitzender
ist Stadtdekan Dr. Achim Knecht.
Spendenkonto
Evangelische Bank Kassel,
IBAN DE64 5206 0410 0004 0002 00
Mit einem Stichwort (wie „Obdachlosenarbeit„ oder „Gemeinde XY“) können Sie bestimmen, wem Ihre Spende
zugute kommt. Wenn Sie Ihre Adresse
angeben, bekommen Sie eine Spendenquittung für das Finanzamt.
Evangelisches Frankfurt
Beratung
Telefonseelsorge
0800 1 11 01 11
Beratungsstelle für Frauen 94350230
Evangelisches Zentrum
für Beratung und Therapie 5302–222
Paar- und Lebensberatung 5302–222
Familienberatung
5302–220
Migranten und Flüchtlinge 5302–291
Evangelisches Zentrum für
Beratung Höchst
7593672–10
Begegnung und Bildung
Evangelisches
Frauenbegegnungszentrum 9 20 70 80
Evangelische Akademie
17 41–5260
Kontaktstelle für Körperbehinderte
und Langzeitkranke
24751494003
Familienbildung
605004–0
-Höchst
759367280
Reisen
29723911
Jugend
Stadtjugendpfarramt
959149–0
Sankt Peter
2972595100
Jugendreisen
959149–22
Evangelisches Jugendwerk
9521830
Diakonie
Geschäftsstelle
Evangelisches
Pflegezentrum
Hauskrankenpflege
Demenz-Projekte
Betreuungsdienst
Kleider- und
Möbelspenden
24751490
254920
2492121
25 4921 40
25 4921 31
90 436780
Sucht
Alkoholfreie Begegnungsstätte
Dominikanergasse
295456
Suchtkrankenberatung
1505–9030
-Höchst
759367260
▶Rainer Muhs, geboren 1958,
ging auf die erste integrierte Gesamtschule Frankfurts, die ErnstReuter-Schule in der Nordweststadt. „Die Lehrer waren jung und
von den 68ern geprägt“, erinnert
er sich. Die Gemeinde, in der er
konfirmiert wurde, war dagegen
damals konservativ und unpolitisch. Infolgedessen interessierte
sich Muhs nach Konfirmation
und Abitur vor allem für sein
Zahnmedizinstudium und das
Studentenleben. Die Kirche war
nicht mehr im Blick.
Das änderte sich erst, als seine
Kinder in den evangelischen Kindergarten in der Werrastraße kamen. Reiner Muhs engagierte
sich als Vorsitzender des Kindergarten-Ausschusses. Bald fragte
ihn der damalige Bockenheimer
Pfarrer Christoph Busch, ob er
nicht auch in den Kirchenvorstand wolle. „Busch war sehr engagiert“, erzählt Muhs. „Er hat
damals das Forum Bockenheim
gegründet. Ab da fanden in der
Jakobskirche regelmäßig Diskussionen zwischen Stadtteilpolitikern und Gemeindemitgliedern
statt. Diese Form politischer Mitgestaltung gefiel mir.“
Mit 37 Jahren, 1994, wurde
Muhs in den Kirchenvorstand gewählt und sechs Jahre später,
2001, zum Vorsitzenden. „In diesen zwanzig Jahren habe ich immer wieder spannende und kluge
Menschen in der Gemeinde getroffen. Irgendwann kannte ich
die Hauptamtlichen dann auch
gut genug, um mit ihnen über
Glaubensfragen zu sprechen“,
sagt Muhs. „Dazu braucht man ja
ein gewisses Vertrauen.“ Außerdem liegt ihm die synodale Struktur der Evangelischen Kirche in
Hessen und Nassau. „Da wird
Reiner Muhs während der Kirchenvorstandssitzung. Der Bockenheimer Zahnarzt
Foto: Rolf Oeser
legt Wert auf Vernetzung im Stadtteil und soziales Engagement.
nicht von oben nach unten regiert, sondern Entscheidungen
kommen demokratisch zustande.“
Muhs hat inzwischen mehrere
Pfarrer und Pfarrerinnen erlebt.
„Jetzt haben wir mit Pia Baumann
und Rüdiger Kohl wieder zwei
unterschiedliche Persönlichkeiten
im Pfarramt. Ich finde es gut,
wenn Pfarrer und Gemeinde das
breite Spektrum der Glaubenswirklichkeit widerspiegeln.“
Nach wie vor engagiert sich die
Gemeinde Bockenheim politisch:
Im Juni 2013 unterzeichnete sie
die „Bockenheimer Erklärung“, in
der es um die Neubebauung des
ehemaligen Uni-Campus geht.
„Dort soll nicht noch mehr teurer,
ungenutzter Büro-Raum entstehen wie an vielen anderen Stellen
in Frankfurt“, sagt Muhs. „Wir
brauchen dringend bezahlbaren
Wohnraum und wehren uns gegen eine Gentrifizierung des
Stadtteils mit höheren Mieten.“
Aktuell setzt sich der Kirchenvorstand mit dem Kirchenasyl auseinander. „Uns beschäftigt, ob
wir das gegebenenfalls wollen,
und wie wir es räumlich und personell stemmen könnten.“
Neben seiner Arbeit als Zahnarzt engagiert sich Muhs vier bis
fünf Stunden wöchentlich für den
Kirchenvorstand, der sich etwa
alle drei Wochen trifft. Auf der
Tagesordnung stehen die Vernetzung zwischen Stadtteil und Gemeinde und die Organisation des
Gemeindelebens. Wichtig ist ihm,
dass sowohl Männer und Frauen
vertreten sind und auch verschiedene Alter. „Um den Kindergarten sollte sich beispielsweise jemand kümmern, der kleine Kinder hat“, sagt Muhs. „Und auch
die Aufgaben, die weniger Spaß
machen, müssen verteilt werden.“
Ihm selbst gefällt neben der Gemeindeleitung das Singen in der
Kantorei.
Stephanie von Selchow
Lebenslagen
Mobbing: Manchmal hilft nur Kündigen
▶Bei schwerem Mobbing laufen
meist alle Vermittlungsversuche
in Leere, sagt Dieter Zapf. Der Arbeitspsychologe an der Frankfurter Goethe-Uni erforscht seit
zwanzig Jahren das Phänomen
der Schikanen am Arbeitsplatz.
Zwar sei wirklich schweres Mobbing eher selten, aber wenn, dann
gebe es kaum einen Ausweg. Die
Betroffenen litten dann unter
massiven psychosomatischen Beschwerden und Traumata und besäßen „so gut wie keine Möglichkeit, die Situation zu ändern“.
Die von den Kirchen und einigen Gewerkschaften initiierte
„Mobbingkontaktstelle FrankfurtRhein-Main“ (MKS) hatte den Experten anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens zu einem Vortrag
eingeladen. Das Etikett Mobbing
werde mittlerweile recht großzügig verteilt, sagte Zapf, oft auch
zu Unrecht. Harsche Bemerkungen zum Beispiel seien noch lan-
ge kein Mobbing. Wenn es sich
aber um echtes Mobbing handelt,
dann seien diese Übergriffe in der
Regel nur noch „durch die Trennung von Täter und Opfer zu beenden“. Lässt die Unternehmensstruktur das nicht zu, bleibe nur
der Wechsel des Arbeitsplatzes.
Da jedoch die Opfer nicht selten
sehr dünnhäutig sind und schnell
alles auf sich beziehen, rät Zapf zu
therapeutischer Unterstützung.
Die höchsten Mobbing-Raten
verzeichnen soziale Bereiche wie
Krankenhäuser oder Kitas, der
öffentliche Dienst oder die Kirchen. Meistens sind die Mobber
in den Reihen der Vorgesetzten zu
finden: „Mobbing ist die Kehrseite eines sicheren Arbeitsplatzes“,
sagte Zapf, und nicht von ungefähr ein europäisches Phänomen.
In den USA, wo eine „Hire an Fire“-Mentalität herrscht, spiele
Mobbing kaum eine Rolle.
Mobbing kann jedoch gravie-
rende Auswirkungen haben. Es
verschlechtert nicht nur das Betriebsklima und verringert damit
Leistung und Produktivität des
Unternehmens. Mobbing kann
sich sogar für Außenstehende als
fatal erweisen. Zum Beispiel sterben in Krankenhäusern, in denen
im Team einvernehmliches Miteinander regiert, bei Notoperationen sieben Prozent weniger Menschen, so Zapf. Auch Arbeitsunfälle träten seltener auf, wenn das
soziale Klima stimmt.
Mobbing-Betroffene
können
sich dienstags und donnerstags
zwischen 17 und 19 Uhr unter der
Telefonnummer 069 830077128 an
die Mobbingkontaktstelle Frankfurt Rhein-Main wenden. Die Ehrenamtlichen dort sind in rechtlichen und psychologischen Fragen geschult. Ihre Erste-HilfeLeistung ist kostenlos, bei Bedarf
vermitteln sie an geeignete Stellen weiter.
Doris Stickler
Evangelisches Frankfurt
▸ Medien
Seite 3
Von klein auf öffentlich
Schon als Babys sind viele Kinder heute eine „öffentliche“ Person. Von klein auf werden
Daten über sie gesammelt und ausgewertet. Cordula Kahl vom Institut für Medienpädagogik
und Kommunikation in Dreieich schilderte bei einem Fachtag der Diakonie Frankfurt die
fiktive, aber nicht unwahrscheinliche Medienkindheit von „Lisa“.
▶Schon vor ihrer Geburt hat Lisa bei Facebook achtzig Freunde:
Ihre Mutter hat für Lisa ein Facebookprofil erstellt und als erstes
Foto ein Ultraschallbild gepostet.
Das Bild bekommt über 150 Likes.
Auch Lisas Geburt ist ein Medienereignis: „Lisa ist da“ – so wird
die Geburt auf Twitter bekannt
gegeben.
Die
Glückwünsche
kommen als Retweet.
Lisas erste Sprachversuche
nehmen die Eltern mit ihrem
Smartphone auf und senden sie
via Facebook in die Welt. Als Lisa
zu laufen beginnt, laufen auch die
Videokameras. Die Dokumentation ihrer ersten Schritte ist als Video bei Youtube zu sehen und
wird mit der ganzen Welt geteilt.
Mit der Tafel-App malt Lisa ihre
ersten Bilder und schickt sie ihren
Eltern, die dadurch täglich über
die Kreativität ihrer Tochter informiert sind, und auch darüber, wie
gut Lisa ein Kind, einen Baum, ein
Haus, ein Auto malen kann. So
lernen die Eltern auch Lisas Lieblingsfarben kennen: Lisa verwendet hierfür eine eigens für sie eingerichtete E-Mail Adresse.
Lisa wird regelmäßig mit dem
Auto in den Kindergarten gebracht, mit Navigationsgerät,
auch wenn der Weg bekannt ist.
Via Skype telefoniert Lisa mit ihrer Oma, die gerade eine Weltreise macht. Lisa merkt gar nicht,
dass ihre Oma so weit weg ist,
weil sie sie direkt vor sich auf
dem Bildschirm des Tablets sieht
und Oma genauso redet wie immer. Sie erzählt ihr von ihren neuesten Erlebnissen, zeigt ihr Fotos
von Tieren und winkt ihr zu.
Nach dem Kindergarten darf
Lisa auf dem Tablet ihr Lieblingsspiel spielen. Schon bald erreicht
sie regelmäßig neue Rekorde im
Abschießen von lustigen Tierchen
und kann so täglich ein neues
Level freischalten. Ihre aktuellen
Punkte werden mit Freunden aus
dem Kindergarten ausgetauscht.
Als Lisa in die Schule kommt,
findet sie in ihrer Schultüte neben
Süßigkeiten natürlich auch ihre
Lieblingsfiguren aus dem Fernsehen und den Online-Spielen. Ihr
Schulranzen trägt die Konterfeis
ihrer Medienhelden.
Als Lisa acht Jahre alt wird, bekommt sie ihr erstes Handy, ein
Smartphone von ihren Eltern, das
diese nicht mehr brauchen, weil
gerade ein neues Modell auf den
Markt gekommen ist. Lisa kennt
sich bereits bestens mit dem Gerät aus, weil sie schon vorher regelmäßig darauf spielen, Fotos
machen, Videos ansehen und natürlich auch telefonieren durfte.
Jetzt bekommt Lisa eine eigene
Handynummer. Ihre erste SMS ist
eine Nachricht an ihre Mutter,
dass die letzte Stunde ausfällt und
sie abgeholt werden möchte.
Mit ihren Freundinnen tauscht
Lisa sich regelmäßig über Whats
App aus, schickt Fotos von sich
selbst und anderen und erzählt,
was sie gerade macht, oder wie
langweilig die Hausaufgaben
sind. Außerdem hat sie all ihre
Lieblingsmusik über eine Playlist
immer online dabei. Auch darüber wird mit Freundinnen kommuniziert, indem Links auf Youtube ausgetauscht werden oder
gleich die ganze Playlist getauscht
und geliked wird.
Als Lisa für die Schule als
Hausaufgabe etwas über das Leben von Meerestieren herausfin-
druckt sie später aus. Aus allen
Fundstücken baut sie eine Collage, sowohl auf Papier als auch als
Datei. Als sie die Datei in der
Schule zeigen will, scheitert sie an
der medialen Ausstattung. Das
Whiteboard wird gerade in einer
anderen Klasse verwendet, sodass ihr nur die Präsentation des
Posters bleibt.
Mit 13 Jahren entdeckt Lisa ihre Lust am öffentlichen Publizieren und baut sich einen eigenen
Blog. Dort schreibt sie regelmäßig über besondere Erfahrungen
und Begegnungen in ihrem Leben, erzählt kleine erfundene Ge-
sonders gelungenen Fotos als eine künstlerische Selbstpräsentation aus.
Nach dem Abitur nimmt sich
Lisa Zeit, um die Welt kennenzulernen, und reist über das Angebot von „Work and Travel“ durch
unterschiedliche
Länder.
Sie
kommt mit vielen sozialen Kontakten zu Menschen aus allen Teilen der Welt zurück. Während ihrer Ausbildung engagiert sich Lisa politisch in unterschiedlichen
Zusammenhängen und Netzwerken. Sie geht auf Demonstrationen und vertritt ihre Meinung
und Überzeugung öffentlich. Ne-
Medienkompetenz brauchen heute schon kleine Kinder.
den soll, recherchiert sie im Internet. Dabei findet sie viele Bilder
von den unterschiedlichsten Tieren und viele spannende Informationen. Die Bilder lädt Lisa sich
auf ihren Stick herunter und
schichten oder Gedichte und veröffentlicht Fotos, die sie zuvor mit
einer App auf ihrem Smartphone
bearbeitet hat.
Zugleich ist sie bei Tumblr angemeldet und stellt dort ihre be-
Kinder.“ Welche Medien sind angemessen und wie viel Medienzeit in welchem Alter sinnvoll?
Wichtig sei es dabei, selbst ein
Vorbild zu sein. Das Verteufeln
oder Verbieten von Medien helfe
nicht. Medienkompetenz bedeute vielmehr, Medien kreativ und
aktiv zu nutzen. Also nicht Stunden damit zu verbringen, beim
Computerspiel das nächsthöhere Level zu erreichen, sondern
zum Beispiel mittels einer speziellen App selbst Musik zu komponieren. Oder nicht einfach nur
▶Profile in Online-Netzwerken oder eine eigene Website
erscheinen in den Ergebnislisten von Suchmaschinen in der
Regel oben und bestimmen damit die Außenwirkung. Für
das Anlegen eines persönlichen Profils eignen sich berufliche Netzwerke wie Xing und
LinkedIn sowie Jobportale wie
Stepstone oder Monster.
▶Meinungen nur kontrolliert
äußern: Wer sich im Internet
in Blogs oder Foren mit kompetenten Beiträgen äußert,
wird positiv wahrgenommen.
Beleidigende Äußerungen sind
dagegen tabu.
▶Es gibt für Privatpersonen
das Recht am eigenen Bild.
Sind also irgendwo unerwünschte Fotos von Ihnen veröffentlicht worden, können Sie
deren Entfernung aus dem Internet verlangen.
Foto: detailblick – Fotolia.com
benbei recherchiert sie bei Amazon nach Möglichkeiten, sich gegen gewalttätige Übergriffe zu
schützen. Zugleich sucht sie nach
Literatur zu unterschiedlichen
Themen, wie Extremismus, Terro-
■ Medien aktiv und kreativ nutzen
▶Medienkompetenz und Medienschutz standen im Mittelpunkt eines Fachtages zum Thema „Medien, die geheimen Erzieher“ der Diakonie Frankfurt.
„Kinder wachsen von Beginn an
in eine stark durch Medien beeinflusste Umwelt hinein“, sagte
Kurt-Helmuth Eimuth, der Leiter
des Arbeitsbereichs Kindertagesstätten. „Angesichts einer
kaum noch zu überblickenden
Flut medialer Angebote sind viele Eltern verunsichert, gerade in
den ersten Lebensjahren der
■ Das ist wichtig!
immer Filme anzuschauen, sondern auch mal selbst einen Film
zu erstellen.
Damit Kinder diese Art von
Medienkompetenz
erwerben,
bedürfe es geschulter Fachkräfte, weshalb die Diakonie Frankfurt bereits über zwanzig medienpädagogische Fortbildungen in ihren Kitas durchgeführt
hat. Schließlich hebt auch der
neue Rahmenlehrplan für die Erzieherinnenausbildung Medienerziehung als Querschnittsaufgabe besonders heraus. Redaktion
rismus, Geschichte des Antisemitismus, weil sie sich während ihres Studiums mit politisch und religiös motivierter Gewalt beschäftigt. Es ist ihr nicht bewusst, dass
Amazon unbefristet ihre persönlichen Daten und Vorlieben speichert. Natürlich hinterlässt sie
auch auf zahllosen anderen Plattformen ihre Daten.
Irgendwann kauft Lisa sich ihr
eigenes Auto, und um Geld zu
sparen schließt sie bei einer Versicherung den günstigeren „Telematik-Tarif“ ab. Dabei wird in ihrem Auto eine so genannte Blackbox installiert, die alle Fahrdaten
aufzeichnet und an ihre Versicherung schickt, zum Beispiel Geschwindigkeitsüberschreitungen,
Bremsverhalten, Fahrzeit, zurückgelegte Kilometer.
Wenn Lisa fünfzig ist, ist ein
umfassendes Profil ihres Lebens,
ihrer Vorlieben, ihrer Persönlichkeit, zusammengesetzt aus unzähligen Daten, die sie hinterlassen
hat, entstanden.
Cordula Kahl
▸ Kirchenvorstandswahl
Seite 4
Evangelisches Frankfurt
Alle Macht dem
Kirchenvolk
Noch 1815 war der Magistrat der Stadt Frankfurt
auch der Kirchenvorstand. Demokratische Strukturen haben sich erst nach und nach entwickelt.
▶Wenn bei der Werbung für eine Beteiligung an den Kirchenvorstandswahlen darauf hingewiesen wird, dass in der evangelischen Kirche demokratische Prinzipien gelten, klingt das gerade in
den Ohren jüngerer Menschen
nach nichts Besonderem. Sie kennen es ja nicht anders, als dass
Leitungen nach dem Mehrheitsprinzip gewählt werden.
Aber die Demokratie hat sich
erst nach und nach in den kirchlichen Strukturen durchgesetzt.
Noch 1815 hatte in Frankfurt der
Rat der Freien Stadt gleichzeitig
auch das Kirchenregiment inne.
Im Lauf des 19. Jahrhunderts
rückten dann Kirche und Staat
langsam auseinander. Seit 1820
wurden jährlich 36 Laien, also
Nicht-Pfarrer, in den lutherischen
Gemeindevorstand gewählt.
Nach der bürgerlichen Revolution von 1848 sind im Rahmen einer allgemeinen Verstärkung der
Beteiligungsrechte
nach
und
nach einheitlich organisierte, von
der Gemeinde gewählte Kirchen-
vorstände eingeführt worden.
Synodale Elemente setzten sich
aber nur zögernd in neuen Kirchenverfassungen
durch:
In
Frankfurt wurde erst 1899 ein
kirchliches Stadtparlament gegründet, Frauen hatten damals allerdings noch kein Wahlrecht.
1924 trat dann die Verfassung
der Evangelischen Landeskirche
Frankfurt am Main in Kraft: Nun
ging tatsächlich alle Kirchengewalt vom Kirchenvolk aus, und
auch die Frauen waren wahlberechtigt. Für die kirchlichen Wahlen galten die Grundsätze: allgemein, gleich, geheim, unmittelbar.
Heute sind in der evangelischen Kirche alle Gemeindemitglieder ab 14 Jahren wahlberechtigt. Sie entscheiden über die Gemeindevorstände, diese wählen
Delegierte in die Synode des
Frankfurter Stadtdekanats. Die
Dekanatssynode wiederum entsendet Mitglieder in die hessennassauische Kirchensynode, das
oberste Gremium der Landeskirche. Demokratischen Prinzipien
Kreuzchen gemacht: Hier bei einer Abstimmung der Frankfurter Stadtsynode. Die evangelische Kirche ist von unten nach
oben organisiert. Die Basis aller Entscheidungsprozesse bilden die Gemeinden in den Stadtteilen. Über deren Kirchenvorstände, die dann sechs Jahre im Amt sind, können am 26. April alle Evangelischen ab 14 Jahren mitbestimmen. Jedes
Foto: Rolf Oeser
Gremium entsendet dann Delegierte in das nächsthöhere Gremium.
entspricht es zweifellos auch,
dass eine Wahl tatsächlich auch
Auswahl bedeutet. Daher muss
die Zahl der Kandidierenden um
ein Viertel höher ausfallen als die
Zahl der zu wählenden Mitglieder
des Kirchenvorstandes.
„Demokratisch” heißt aber
eben nicht zuletzt, dass das Wahlvolk auch möglichst zahlreich zu
den Urnen geht. Bei Wahlbeteiligungen unter zwanzig, ja sogar
unter zehn Prozent, wie es sie bei
der letzten Kirchenvorstandswahl
in Frankfurt gegeben hat, mag
man fragen, wie stark die Legitimation der Gewählten am Ende
tatsächlich ausfällt. Wenn zum
Beispiel nur Mitglieder der Kerngemeinde zur Wahl gehen, haben
Kandidierende aus der Gruppe
der Distanzierten wenig Chancen
auf einen Platz im Kirchenvorstand.
Wilfried Steller
Die Umfrage
Nach welchen Kriterien wählen Sie?
Ute GröppelWegener
(72),
Rentnerin
Mein Mann und ich haben lange in der Wetterau gelebt, und
dort war ich selbst 15 Jahre im
Kirchenvorstand. Ich weiß also,
wie viel Verantwortung der Kirchenvorstand hat, und wie oft
man sich gegenüber der Gemeinde für Entscheidungen verantworten muss. Deshalb ist es
so wichtig, dass man auch von
der Gemeinde getragen wird, indem sie einem durch die Wahl
ihr Vertrauen ausspricht. Ich
hoffe deshalb, dass viele wählen
gehen! In der Hoffnungsgemeinde bin ich ehrenamtlich tätig und
kenne deshalb viele Menschen,
die sich aufstellen lassen. Ich
wähle die, die ich kenne. Mir ist
wichtig, dass die jüngere Generation vertreten ist, denn wir haben ja zwei Kindertagesstätten.
Und es muss auf jeden Fall jemand dabei sein, der sich für die
Kaffeestube im Gutleutviertel
einsetzt. Und eine Frau, die hinter der Frauenarbeit steht.
Eduard von
Schenck
(15), Schüler
Ich bin voriges Jahr konfirmiert worden und darf dieses
Jahr zum ersten Mal den Kirchenvorstand mitwählen. Ich bin
in meiner Gemeinde getauft und
konfirmiert worden und weiß,
wer in den letzten Jahren im Kirchenvorstand war. Als sich die
Kandidaten in der Epiphaniasgemeinde vorstellten, bin ich hingegangen und habe mir angehört, was sie sagen. Ich entscheide aber nicht so sehr nach inhaltlichen, sondern eher nach formalen Kriterien. Es sollen auf jeden
Fall auch junge Leute dabei sein,
die frischen Wind und gute Ideen
in die Gemeinde bringen und
nicht schon drei oder vier Wahlperioden immer wieder gewählt
worden sind. Dann passiert ja
gar nichts Neues! Außerdem entscheide ich mich eher für jemanden, den ich kenne, als für jemand Unbekannten. Und eine
gute Mischung aus Frauen und
Männern finde ich auch gut.
Melanie von
Groll (42),
Coach
Ich war in den letzten Jahren
keine aktive Kirchgängerin, weil
ich viele andere Dinge in meinem
Leben regeln musste. Die deutschen Gottesdienste sind ja auch
sehr nüchtern im Vergleich zu
Südafrika und Mexiko, wo ich
aufgewachsen bin. Ich bin aber
bewusst nicht aus der Kirche
ausgetreten: Ich hoffe, dass mit
meinen Kirchensteuern Menschen aufgefangen werden, die
es brauchen können. Um mich zu
informieren, lese ich oft im Evangelischen Frankfurt. Den Kirchenvorstand kann ich jetzt aber
nicht wählen, weil ich da kaum
jemanden kenne und nicht beurteilen kann, wer welche Arbeit
macht. Ich hoffe, dass gute Entscheidungen getroffen werden,
denn mein Sohn beginnt jetzt mit
dem Konfirmandenunterricht in
der Maria-Magdalena-Gemeinde. Und ich hoffe auch, dass ich
so wieder mehr in das Gemeindeleben gezogen werde.
Heinz Uphoff
(48),
Informatiker
Ich entscheide aus dem Bauch
heraus: Ist mir jemand sympathisch? Würde er oder sie wahrscheinlich so entscheiden wie ich
selbst? Interessiert sie oder er
sich für die Projekte, die mich
auch interessieren? Es gibt in der
Dreikönigsgemeinde kein „Parteiprogramm“, keine Linie, an
der sich alle orientieren, sondern
eine Vielzahl von Projekten, in
denen unterschiedliche Gemeindemitglieder sich wiederfinden
können. Ich finde es auch gut,
wenn jemand weniger nach innen als vielmehr nach außen gewandt ist. Sich also für den
Stadtteil interessiert, zum Beispiel für das Deutschherrenfest
am 11. Juli. Ich war nicht bei der
Vorstellung der Kandidaten und
Kandidatinnen in der Kirche,
aber ich kenne einige von denen,
die jetzt zur Wahl stehen, wenn
auch keineswegs alle. Ich informiere mich darüber in unserer
Zeitung „Gemeindeblick“.
■ So geht
das Wählen:
▶Die meisten Kirchengemeinden haben ihre Wahllokale am
Sonntag, 26. April, im Anschluss an den Gottesdienst
geöffnet. Die genauen Öffnungszeiten für Frankfurt sind
ab Anfang April unter www.
frankfurt-evangelisch.de/wahlen.html nach Stadtteilen aufgelistet. Hintergrund-Infos zur
KV-Wahl erklärt auch ein Youtube-Video (suchen nach: „Kirchenvorstandswahl einfach erklärt“). Alle Wahlberechtigten
haben zudem Mitte März per
Post Wahlbenachrichtigungen
zugeschickt bekommen. Die
Kandidatinnen und Kandidaten wurden in der Regel in den
Gemeindezeitungen
vorgestellt. Weitere Infos auch unter
www.meinewahl.de.
red
Zuschrift
Zu: Im April sind Wahlen, Nr.
1/2015
Nirgendwo im Bereich der Politik kenne ich den Zwang, mehr
Kandidaten als Plätze haben zu
müssen – dass es oft mehr Kandidaten gibt, liegt daran, dass diese
ein eigenständiges Interesse haben. Nur die Kirche verlangt für
die Wahlen zum Kirchenvorstand, deutlich mehr Kandidaten
aufzustellen als gewählt werden
können. Warum? Tatsächlich ist
es doch so, dass man die Gemeindemitglieder mit Engelszungen
bearbeiten muss, damit sie sich
aufstellen lassen – und wie groß
ist dann die Enttäuschung, wenn
man zu den Kandidaten gehört,
die dann doch nicht genommen
werden? Statt froh zu sein, die
ausreichende Zahl von Kandidaten, die gerne mitarbeiten wollen,
zu haben, verlangt die Kirche
überzählige Kandidaten, um sie
nach der Wahl vor den Kopf zu
stoßen. Warum nur? Godehard Matzel
Evangelisches Frankfurt
▸ Kirchenvorstandswahl
Seite 5
Kein Debattierclub
Aus der Arbeit eines Kirchenvorstands
▶Kirchenvorstandssitzung in Fechenheim: Ein Großteil der Tagesordnung betrifft das innerbetriebliche Management der Gemeinde. Mit bald hundert Hauptamtlichen und über hundert Ehrenamtlichen kommt sie einem
mittelständischen Unternehmen
gleich. Daneben gilt es, vor dem
Hintergrund starker Strukturveränderungen im Stadtteil das Profil der Gemeinde und das passende Angebot weiter zu entwickeln.
Für Hunderte von Gottesdiensten und Veranstaltungen im Jahr
trägt der Kirchenvorstand die Gesamtverantwortung, ebenso für
Kirchenmusik und geistliches Leben, für Seelsorge und religiöse
Bildung, für Diakonie und gesellschaftliche Verantwortung, für
Ökumene und interreligiösen
Dialog – ganz zu schweigen davon, dass er natürlich auch für die
Darstellung der Gemeinde in der
Öffentlichkeit zuständig ist.
Gemeindeleitung kann vor diesem Hintergrund kein Debattier-
der des Kirchenvorstandas vor jeder Sitzung ein umfangreiches
schriftliches Briefing zu den anstehenden Beschlüssen: Hintergrundinformationen über Veranstaltungen zu aktuellen Baumaßnahmen und Liegenschaftsangelegenheiten, zu Verwaltungs- und
Finanzfragen. Dazu kommen
schriftliche Berichte von den Treffen der Ausschüsse – der Personalausschuss ist der größte – und
zu den Angelegenheiten der Kindertagesstätten. Die Ehrenamtlichen können so den Überblick
über eine unüberschaubare Zahl
an Vorgängen behalten, und in
den Sitzungen bleibt Raum,
schwierige Personalentscheidungen oder Grundsatzfragen zu bereden. Wenig Zeit bleibt hingegen für Persönliches. Man spürt
die Professionalisierung.
Bei drei Stunden Sitzungszeit,
vielen abzuarbeitenden Punkten
und komplexer Materie muss
ökonomisch moderiert werden,
denn die Zeit der Ehrenamtlichen
Hier wird über alle Gemeindeangelegenheiten entschieden: Kirchenvorstandssitzung in der Festeburggemeinde in Preungesheim. Die Gemeinden vor Ort bilden in der evangelischen Kirche die Basis aller Entscheidungsprozesse. Foto: Rolf Oeser
Das Traumpaar
Protestantismus und Demokratie passen gut zusammen. Doch auch wenn
vieles für eine Verbindung von Kirche und Demokratie spricht, so gibt es
doch Grenzen dessen, worüber sich abstimmen lässt.
Kick-Off für die Werbekampagne zur Teilnahme an den Kirchenvorstandswahlen
in Hessen und Nassau an der Lutherkirche im Nordend: Große Banner fordern für
Foto: Rolf Oeser
den 26. April zum „Aufkreuzen und Ankreuzen“ auf.
club sein. Sie funktioniert nur im
Team, erfordert ein gemeinsames
Ziel und setzt voraus, dass die unterschiedlichen Talente und Sichtweisen der einzelnen Kirchenvorstandsmitglieder sinnvoll gebündelt und Entscheidungen gemeinsam getragen werden.
Auch seelische Belastbarkeit ist
wichtig, denn bei der Steuerung
der drei Kindertagesstätten geht
es mitunter ans Eingemachte. Im
Fechenheimer Kirchenvorstand
finden sich differenzierte Fachkenntnisse, und im Lauf der
sechsjährigen Amtsperiode ist
ein gesundes Selbstbewusstsein
gewachsen; so schnell wird der
Gemeindeleitung nicht bange.
Ärgerlich werden die zwölf Ehrenamtlichen aber, wenn bürokratische Hemmnisse auftauchen
oder die übergemeindliche Kirchenverwaltung als unkooperativ
wahrgenommen wird. Große Herausforderungen von außen sorgen weniger für Frusterfahrung
als innerkirchliche Querschläger.
Wer kompetent entscheiden
soll, muss umfassend informiert
sein. Darum erhalten alle Mitglie-
ist kostbar. Die meisten sind zusätzlich in Ausschüssen tätig oder
haben eigene Verantwortungsbereiche, zum Beispiel in der Gemeindebriefredaktion, im Küsterdienst oder bei Veranstaltungen.
Fast alle gehen einem Brotberuf
nach, ganz abgesehen davon,
dass zu Hause eine Familie wartet. Was in zwei Gemeinden früher von weit über zwanzig Leuten
zu leisten war, dafür gibt es nach
der Fusion nur noch vierzehn. So
hohe Ansprüche machen auch die
Suche nach Kandidaten und Kandidatinnen schwierig.
Auf der Tagesordnung steht
diesmal auch der Pfarrdienst. In
spätestens vier Jahren fällt eine
der beiden Pfarrstellen weg. Bis
dahin muss die weitere Handlungsfähigkeit der Gemeinde sichergestellt sein. Auch das ist eine Aufgabe des Kirchenvorstandes. Ein stilles Seufzen, dann ist
klar: Die Ehrenamtlichen wollen
die Sache aktiv angehen, um eigene Vorstellungen zu entwickeln,
statt nur zu reagieren. Eine Klausur an einem Samstagvormittag
wird vereinbart.
Wilfried Steller
▶Protestantismus und Demokratie gelten als Traumpaar, gerade
gegenüber der hierarchisch organisierten
römisch-katholischen
Kirche mit einem Papst an der
Spitze. Allerdings kennt auch das
lutherisch geprägte Christentum
durchaus eine Rangfolge der Ämter, und bei den Katholiken kommen die Pfarrgemeinderäte, die
dann zumindest eine Mitverantwortung wahrnehmen, ebenfalls
durch eine Wahl zustande.
Manches spricht für eine Verbindung von Kirche und Demokratie: Vom Menschenbild her begründet die Ebenbildlichkeit Gottes die unantastbare Würde eines
und einer Jeden. Schon im frühen
Christentum hatten die Gleichheit
und das Soziale einen hohen Stellenwert, wie Paulus im Galaterbrief (3,28) schreibt: „Hier ist
nicht Jude noch Grieche, hier ist
nicht Sklave noch Freier, hier ist
nicht Mann noch Frau.“
Umgekehrt legt die unabweisbare Fehlbarkeit eines Menschen
es nahe, Einzelnen nicht zu viel
Macht zu übertragen, und vor allem nicht auf Lebenszeit. Diese
Erkenntnisse spiegeln sich in einer Demokratie im allgemeinen
Wahlrecht sowie in der Begrenzung von Amtsperioden.
Nach der Erfahrung, dass im
Nationalsozialismus demokratische Wahlen der Kirchenvorstände zur Machtentfaltung der Deutschen Christen geführt hatten,
gibt es im Protestantismus aber
durchaus auch starke Vorbehalte
dagegen, die Kirche zur ganz und
gar demokratischen Institution zu
erklären. Dabei bezieht man sich
etwa auf Paulus, der zwar nicht
Das Evangelium
steht nicht
zur Disposition
nach Jude oder Grieche, Sklave
oder Freier, Mann oder Frau unterscheidet, aber sagt: „Ihr seid
allesamt einer in Christus Jesus.”
Christus ist der „Herr” der Kirche, das nicht zur Disposition stehende Zentrum, auf das hin sich
alles auszurichten hat, und zugleich das Kriterium, an dem sich
das, was in der Kirche geschieht,
zu messen hat.
Daran kann auch eine Mehrheitsentscheidung nichts ändern.
Die protestantische Kirche legt
ausdrücklich Wert darauf, immer
wieder zu prüfen, inwieweit sie
diesem Anspruch gerecht wird.
Denn wenn es um das Bekenntnis
geht, hört jeder Spaß auf: die Tradition ebenso wie die Lehrautorität und natürlich auch der Respekt vor einer Mehrheitsentscheidung; auch eine Mehrheit kann
schließlich irren.
Es wäre im Übrigen völlig abstrus, das Kirchenvolk über das
Evangelium, über Kreuz und Auferstehung, über Jesus Christus
abstimmen zu lassen. Martin
Niemöller, der erste Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche
in Hessen und Nassau und energischer Vertreter der Bekennenden Kirche, sagte einmal, die Kirche habe einen Kyrios („Herrn”)
und könne deshalb nicht demokratisiert werden.
Das klingt zunächst antidemokratisch, trägt aber der Tatsache
Rechnung, dass dem Kirchenvolk
das Wort Gottes immer unverfügbar vorgeordnet bleiben muss
und nicht selbst Gegenstand einer Entscheidung werden darf.
Das biblische Menschenbild legt
andererseits nahe, in der Kirche
solche Strukturen zu praktizieren,
wie sie der Demokratie entsprechen. Das macht aber die Kirche
nicht zur demokratischen Institution.
Wilfried Steller
▸ Kirche und Kultur
Seite 6
Evangelisches Frankfurt
Kunst ausprobieren
Zuschriften
Die Kinderkulturfestivals im Nordend und in Sossenheim sind inzwischen eine feste Größe
Zu: Zuviel Ungleichheit schadet
dem Gemeinwohl, Nr. 1/2015
▶Sie sind im Terminkalender vieler Frankfurter Kinder bereits ein
festes Datum: Zweimal im Jahr
gibt es die Kinderkulturfestivals
des Evangelischen Stadtjugendpfarramts und des Evangelischen
Vereins für Jugendsozialarbeit –
immer im Herbst im Jugendhaus
Heideplatz im Nordend und im
Frühjahr im Jugendhaus Sossenheim und in der dortigen Regenbogengemeinde.
„Unsere Idee ist es, Kindern die
Möglichkeit zu geben, Dinge ausprobieren, mit denen sie sonst
keine Berührung haben. Zum Beispiel, mal in einer Band zu spielen
oder zu tanzen oder zu zaubern“,
sagt Jugendreferent Frank Daxer.
Ob Theater, Musik oder Multimedia: Alle Workshops werden von
künstlerischen und pädagogischen Fachleuten angeleitet. Ein
Wochenende lang wird geübt,
zum Abschluss präsentieren die
Kinder ihre Ergebnisse dann auf
großer Bühne vor Publikum.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen aus ganz Frankfurt, sagt Dexter, viele sind immer
wieder dabei: Schon seit 2001
gibt es das Festival am Heideplatz, wegen großer Nachfrage ist
Warum schaffen die Kirchen
nicht zunächst einmal die Kirchensteuerkappung ab? Mit der
Begrenzung der Kirchensteuerhöhe machen sie doch die Reichen immer reicher, auch wenn
mit dem Erlass eines Teils der Kirchensteuer Dank für die Kirchenmitgliedschaft und die hohe Kirchensteuerzahlung
ausgesprochen werden soll.
Doris Schmidt
Zu: „Nicht auch noch das“, Nr.
1/2015
Sechzig Kinder waren im März beim Kinderkulturfestival West in Sossenheim dabei. Hier die Band „Weiß nicht“, die bei der
Foto: Ilona Surrey
Abschlusspräsentation den Song „Ein Hoch auf uns“ von Andreas Bourani spielte.
2007 zusätzlich das Sossenheimer
Festival ins Leben gerufen worden. Es gewann jetzt den zweiten
Platz des Preises „best 2014“ des
Hessischen Jugendrings.
Ruheort in der Stadt
Die 750 Euro Preisgeld wurden
reinvestiert. „Wir möchten die
Teilnahmegebühren günstig halten, damit Kinder aus allen sozialen Schichten teilnehmen kön-
nen“, sagt Dexter. Eine klare Begrenzung gibt es allerdings beim
Alter: Mitmachen dürfen alle, die
zwischen sieben und zwölf Jahre
alt sind.
Antje Schrupp
■ Marienkirche mit neuem Fenster
„Haus der Stille“ jetzt im Diakonissenhaus
▶Das evangelische „Haus der
Stille“, das bisher an einem abgeschiedenen Ort im Lahn-Dillkreis
untergebracht war, ist jetzt nach
Frankfurt umgezogen: Seit 1.
März ist die Einrichtung im Diakonissenhaus im Nordend zu finden. Grund für den Umzug war
die Streichung von Zuschüssen
seitens der Evangelischen Kirche
in Hessen und Nassau. Nun ist
der Trägerverein „Initiative zur
Förderung geistlichen Lebens“
ganz auf Spenden, Mitgliedsbeiträge und Kursgebühren angewiesen.
Wie der Vorsitzende Pfarrer Ulrich Weisgerber erläutert, gibt es
in den neu bezogenen Räumlichkeiten offene Meditationsabende,
Psalm- und Bibelarbeiten sowie
Kurse. Gerade in der hektischen
Großstadt soll das Programm in
Richtung wirklicher Stille erweitert werden. So könnten etwa
Menschen vor einer beruflichen
Veränderung oder bei familiären
Einschnitten „ein- oder untertauchen, um dann gestärkt herauszukommen“, wie es Weisgerber formuliert. Die Räume im Diakonissenhaus böten dafür gute Voraussetzung: Im Garten könnten Besucherinnen und Besucher Vögel
zwitschern hören oder Eichhörnchen vorbeihuschen sehen, sagte
Pfarrer Matthias Welsch vom
theologischen Vorstand des Diakonissenhauses.
Die dort noch lebenden Diakonissen freuen sich laut Oberin
Heidi Steinmetz auf die Zusammenarbeit und die damit einhergehende Öffnung des Hauses. Sie
selbst werden ab Juni die Vermietung der insgesamt 15 Gästezimmer organisieren. Auch zum gemeinsamen Gebet mit den noch
31 dort wohnenden Schwestern
in der abgeschiedenen und von
der Straßenseite nicht einsehbaren Kirche des Diakonissenhauses sind die Gäste willkommen.
Es soll aber weiterhin auch Aktivitäten des Vereins in anderen
Orten in ganz Hessen geben.
Weitere Informationen zum Programm im Internet unter www.
hausderstille.net.
epd
Die „Nein, nicht auch noch
das“-Formulierung im Kommentar von Herrn Dogruer von der
DITIB irritiert mich. Es ist pessimistisch gelesen ein Versuch, sich
auf Seiten der Opfer der Pariser
Anschläge zu mogeln. Mich erinnert das an entsprechende deutsche Denkfiguren, aktuell vom Pegida-Stammtisch, sich als Opfer
von Zweitem Weltkrieg und Faschismus zu gerieren. Optimistisch gelesen bedeutet die Formulierung, dass zum Leid von Herrn
Dogruer noch das Leid anderer
und sein Mitleid hinzu kommt.
Noch mehr irritiert mich der
Satz: „Die Fronten zwischen Religion und Anti-Religion schaukelten sich seit der Aufklärung immer weiter hoch....“ Welche Fronten denn? Wird hier das Recht auf
Meinungsfreiheit, die Freiheit der
Kunst und die Glaubensfreiheit,
einschließlich die Freiheit, nicht
zu glauben, verstanden? Sind
Menschen- und Freiheitsrechte
eine Veranstaltung von Krieg und
Kriegsmetaphern? Übrigens hat
sich die Debatte um Religion Ja
oder Nein bis 2001 immer mehr
entspannt und ist erst da durch
die Anschläge in den USA wieder
scharf geworden. Fronten, die
sich hier jetzt auftun, sind nicht
durch das Wort, sondern durch
die blutige Tat entstanden.
Uwe Saßmannshausen
Zu: „Im Krimi beobachtet die
Gesellschaft sich selbst“, Nr.
1/2015
Ist der Inhalt nicht irgendwie
rassistisch? Ich stelle mir vor, im
Vorspann hieße es: „Wer mehr
über das Judentum, das Alltagsleben von Jüdinnen und Juden oder
auch über das Phänomen des Zionismus wissen möchte, ist bei Kriminalromanen genau richtig.“
Diese Aussage könnte/dürfte man
so niemals machen.
Claus Folger
Zu: Automaten füttern, Nr. 1/
2015
Warum wird Tipico etc. nicht
verboten? Ganze Familien gehen
daran zugrunde! Nikotin und Alkohol werden verteufelt. Bei dieser Spielsucht aber wird die ganze Familie krank! Ihren Vorstoß
finde ich super und hoffe sehr, er
wird erfolgreich sein.
Claudi Mack
Lange war dieses Fenster in der Seckbacher Marienkirche zugemauert, erst im
Zuge der jüngsten Sanierung ist es wieder geöffnet worden. Nun hat der Glaskünstler Thomas Kuzio ein neues Glasfenster gestaltet und darin das Thema
„Leid und Hoffnung auf seine Überwindung“ bearbeitet. Ausgeführt wurden
Foto: Ilona Surrey
die Arbeiten von der Glaswerkstatt Derix in Taunusstein.
■ Briefe an die Redaktion sind willkommen, Kürzungen müssen wir uns allerdings vorbehalten. Adressen finden Sie
im Impressum auf Seite 12.
▸ Theologie und Leben
Evangelisches Frankfurt
Hilfe am Flughafen
Geschichten aus dem Sozialdienst für Passagiere
▶„Da müsste man mal ein Buch
drüber schreiben!“ – diesen Satz
hat Bettina Janotta, die Leiterin
des kirchlichen Sozialdienstes für
Passagiere am Frankfurter Flughafen, schon oft gesagt. Denn in
ihrem Berufsalltag erlebt sie
wirklich die unwahrscheinlichsten Geschichten. Die Journalistin
Lieselotte Wendl hat jetzt ernst
gemacht und einige davon tatsächlich in einem kleinen Büchlein aufgeschrieben.
Zum Beispiel die von dem Seemann aus Neapel, der als Koch
auf einem Kreuzfahrtschiff angeheuert hatte, aber in Frankfurt
den Anschluss verpasste – weil er
nichts von der Zeitverschiebung
wusste. Oder die einer Brasilianerin, die auf der Flucht vor ihrem
brutalen deutschen Ehemann die
drei Tage bis zum Abflug zurück
nach Brasilien im Transitbereich
verbrachte, weil sie dort vor ihm
sicher war. Und dann ist da noch
jener „Pendler“, der in Spanien
lebt, aber immer mal wieder mit
einem Billigflieger zum Geldverdienen nach Frankfurt kommt.
Dann lebt er einige Wochen lang
am Flughafen und hilft Reisenden
Lieselotte Wendl:
Gestrandet, heimgekehrt und obdachlos.
Cocon Verlag, Hanau
2014, 70 Seiten,
12,80 Euro.
mit den komplizierten Park- oder
S-Bahn-Automaten, wofür er oft
ein Trinkgeld bekommt.
Die Geschichten machen deutlich, wie einzigartig und individuell Unglück ist, und wie segensreich eine unbürokratische, respektvolle Hilfe. Die arg werbemäßig geratenen Interviews mit Verantwortlichen von Diakonie, Fraport und Lufthansa hingegen sind
weniger spannend.
Der Kirchliche Sozialdienst befindet sich im Terminal 1, einen
Schalter gibt es auch in der Abflughalle B (700.1).
Antje Schrupp
„Evangelisches Frankfurt“ verlost
fünf Exemplare. Zur Teilnahme
Mail, Fax oder Postkarte schicken
(Adressen im Impressum S. 12).
Luther & Co.
Wer hat Jesus umgebracht?
▶Es ist ein klassisches antisemitisches Stereotyp: „Die Juden“
seien die „Mörder Jesu“. Inhaltlich ist diese Behauptung allerdings völlig haltlos. Zwar wurde
Jesus damals von vielen Menschen jüdischen Glaubens abgelehnt und den römischen Behörden als Aufrührer übergeben.
Aber ein Mord war die Hinrichtung Jesu nicht, und auch von einem Justizmord wird man kaum
sprechen können.
Zunächst einmal waren es römische Beamte und Soldaten, die
die Verurteilung und Hinrichtung
Jesu ausführten. Das Recht, Kapitaldelikte zu ahnden, lag bei den
römischen Besatzern, und Jesus
wurde als Aufrührer gegen den
römischen
Staat
gekreuzigt.
Selbst wenn er keine direkt antirömischen Aktivitäten entfaltet
hatte und insofern „unschuldig“
war, reichte unter den Bedingungen des Besatzungsrechts mit Sicherheit die begründete Möglichkeit eines antirömischen Handelns zur Verurteilung aus.
Die Initiative zur Auslieferung
Jesu an die römische Justiz ging
außerdem nicht von „den“ Juden
aus, sondern von bestimmten historischen Religionsführern und
Oberen in Jerusalem. Die hatten
nämlich sehr konkrete Vorstellungen von einem „Messias“: Er sollte die Römer vertreiben. Auch im
Volk waren kriegerische Erwartungen lebendig.
Jesus enttäuschte jedoch dieses
Bild und störte durch seine Unberechenbarkeit die gespannte Ruhe zwischen römischen und jüdi-
schen Machthabern. Mit seiner
Auslieferung an die Römer entledigten sich bestimmte Kreise eines Störenfriedes, der in den eigenen Reihen bereits viele Sympathien verspielt hatte. Sie stabilisierten damit vermutlich zugleich
die Beziehungen zu den römischen Machthabern vor Ort, zu
deren Nutzen es war, ein Exempel
statuieren und damit die jüdische
Bevölkerung zum Stillhalten ermahnen zu können.
Jesus wurde also ein Opfer vitaler Interessen, und man kann
sagen: Sein Tod brachte sowohl
der jüdischen wie der römischen
Obrigkeit einen Gewinn. In der
neutestamentlichen Darstellung
dieser Prozesse geht es nicht um
eine historische Darstellung, sondern um eine theologische Würdigung von Jesu Wirken. Die Bibel erzählt Heilsgeschichte fernab
von jeder moralischen Verurteilung von „Juden“ oder „Römern“,
denn sie geht davon aus, dass
dies alles so kommen musste, weil
es Gottes heiligem Plan entsprach: Jesus wurde gekreuzigt
für die Schuld der Vielen.
Die Schuld liegt nach christlicher Überzeugung einerseits darin, hinter den eigenen Interessen
die Sicht Gottes nicht wahrzunehmen, und in dieser Hinsicht stehen die damaligen jüdischen
Oberen stellvertretend für alle
Menschen. Die Schuld liegt andererseits auch darin, einen „Unschuldigen“ wider besseres Wissen zu kreuzigen – und dabei stehen dann die Römer stellvertretend für alle.
Wilfried Steller
Seite 7
Christliche Perspektiven
Auferstehung im Alltag
Ostern erscheint oft als ein Fest der Erinnerung an die Geschehnisse
vor 2000 Jahren, vom Einzug Jesu nach Jerusalem über seine
Kreuzigung bis hin zum Jubelruf „Er ist auferstanden!“ Doch was
hat das alles noch mit heute zu tun?
▶Von der „Auferstehung der
Toten“ ist meist die Rede, wenn
jemand gestorben ist. Die Auferstehung Jesu Christi vor 2000
Jahren begründete die christliche Hoffnung, dass der Tod nicht
das letzte Wort hat, dass unsere
Verstorbenen geborgen und gehalten sind bei Gott. Diese Vorstellung ist ein Trost, denn sie
beinhaltet, dass die Toten bei
und durch Gott verändert sind:
alle Schmerzen, aller Kummer,
alle Sorgen sind überwunden.
Aber Auferstehung ist mehr
als das, viel näher am Leben. Im
Altgriechischen, der Ursprache
des Neuen Testaments, gibt es
rein sprachlich überhaupt keinen Unterschied zwischen dem
theologisch
hoch
besetzten
„Auferstehen“ und dem banalalltäglichen „Aufstehen“. Für
beides wird derselbe Begriff verwendet, beides verweist aufeinander: Jedes „Aufstehen“ hat
das Potenzial, eine „Auferstehung“ zu sein. Und so gibt es in
der Bibel auch viel mehr Ostergeschichten als nur die eine von
Jesu Auferstehung.
Es sind Geschichten aus dem
Alltag, die heute noch ganz genauso geschehen: Jemand steht
nach langer Krankheit wieder
auf, wird also wieder gesund
und kehrt zurück ins Leben, so
wie die Schwiegermutter des Petrus oder die vielen anderen
Kranken, die Jesus heilte. Ein anderer „steht auf“, um einem geliebten Menschen freudig entgegenzueilen, obwohl dieser ihn
zutiefst verletzt hatte, so wie der
Vater des „verlorenen Sohns“
aus dem gleichnamigen Gleichnis. Immer wieder stehen Menschen auch auf und treffen die
mutige Entscheidung, ihr Leben
von Grund auf zu verändern, so
wie die Jüngerinnen und Jünger,
als Jesus sie in seine Nachfolge
rief. Das sind nur einige Beispiele für Momente des Aufstehens
im alltäglichen Leben, in denen
sich Spuren der „Auferstehung“
entdecken lassen.
Manchmal leben Menschen
auf. Sie fühlen sich auf einmal
wahrhaft lebendig, sie schöpfen
wie aus dem Nichts neue Kraft.
Es geschieht, dass Bedrückte
und Gebeugte wieder aufrecht
durchs Leben gehen, oder dass
Verunsicherte die Gewissheit erleben, dass sie genau so geliebt
werden, wie sie sind, mit all ihren Stärken und Erfolgen, aber
auch mit allen Schwächen und
allem Scheitern.
Für mich sind das Momente,
in denen Gottes Liebe uns Menschen berührt und ein einfaches
„Aufstehen“ in „Auferstehung“
verwandelt, genauso wie einst,
vor fast 2000 Jahren.
Wie gerne würde ich solche
Momente für immer festhalten!
Aber sie sind vergänglich. Letztendlich bleiben die Brüche und
Risse in unserem Leben erhalten.
Die Herausforderungen, vor die
wir Menschen gestellt sind, lösen sich nicht einfach auf,
Schmerz und Leid bleiben uns
nicht erspart – auch das ist in
den letzten 2000 Jahren gleich
geblieben.
Anne Delpopolo ist Pfarrerin in der
Gemeinde Frieden und Versöhnung im
Gallus und Seelsorgerin am Klinikum
Foto: Ilona Surrey
Frankfurt-Höchst.
Und doch möchte ich behaupten, dass sich durch Ostern etwas verändert hat. Christin sein,
das heißt, darauf zu vertrauen,
dass es nichts gibt, was Gottes
Liebe den Weg zu uns versperren könnte, nicht einmal der Tod
kann das. Diese Hoffnung gilt
nicht nur für die Verstorben,
sondern auch für uns Lebende.
Oftmals nehmen wir das nur
punktuell wahr, vielleicht wie
Lichtstrahlen, die uns aus wolkenverhangenem Himmel unverhofft ins Gesicht fallen.
Aber wann immer Menschen
Kraft finden, um neu anzufangen, wann immer sie Versöhnung schenken oder erleben,
wann immer sie aufgerichtet
werden, erfahren sie es: Gottes
Liebe wirkt mitten in das Leben
hinein.
Anne Delpopolo
Das bemalte Osterei ist seit dem Mittelalter ein christliches Symbol für die Auferstehung, es steht für neues Leben.
Foto: Rolf Oeser
Aber so ein Osterei findet man nicht von selbst, es will gesucht und gefunden werden.
▸ Kirche aktuell
Seite 8
■ Multireligiöses Frankfurt erkundet
Das multireligiöse Leben in Frankfurt erkundeten christliche, jüdische und muslimische Studierende bei einer gemeinsamen Tagung – unter anderem entstand dabei dieser „interkulturelle Engel“. Die Tagung war eine Kooperation von vier
bundesweiten konfessionellen Studienwerken, die Stipendien fürs Studium vergeben, nämlich das Evangelische Studienwerk Villigst, die bischöfliche (katholische) Studienförderung Cusanuswerk, das jüdische Ernst Ludwig Ehrlich StudiFoto: Rolf Oeser
enwerk und das muslimische Avicenna-Studienwerk.
■ Das Gemeindeporträt
Evangelisches Frankfurt
Aktive Flüchtlinge
Fachtag in der Evangelischen Akademie
▶Mustafa Abdi Ali wog 48 Kilo,
als er in Deutschland ankam. In
Somalia war er immer wieder vor
dem Krieg geflohen, bevor er es
nicht mehr aushielt und die gefährliche Reise über das Mittelmeer antrat. Aber in Italien durfte
er nur drei Monate in der Flüchtlingsunterkunft bleiben, dann lebte er ein Jahr lang auf der Straße,
hatte ständig Hunger. So flüchtete er weiter nach Deutschland, wo
er nur durch ein Kirchenasyl einer Ausweisung nach Italien entging. Vor kurzem hat er mit anderen den Verein „Lampedusa
in Hanau – Flüchtlinge helfen
Flüchtlingen“ gegründet.
Nevroz Duman hatte jahrelang
jedes Mal Angst, abgeschoben zu
werden, wenn es an der Tür klingelte. Sie war zwölf, als sie mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern aus Kurdistan floh. Nach
dem Hauptschulabschluss durfte
sie keine Ausbildung anfangen:
Acht lange Jahre lang war Dumans Familie in Deutschland le-
St. Nicolaigemeinde im Ostend
„Die EZB verändert das Ostend“
▶„Durch den Neubau der Europäischen Zentralbank haben wir
jetzt nicht plötzlich mehr Gemeindemitglieder“, sagt Pfarrer Wolfgang Löbermann von der Nicolaigemeinde. „Aber unser Stadtteil,
das Ostend, verändert sich natürlich schon dadurch.“
In der EZB am Mainufer arbeiten Menschen aus vielen Ländern
Europas. Die meisten wohnen
nicht im Ostend, sondern anderswo. Ihre Kinder bringen sie in
den Betriebskindergarten der
EZB, und wenn sie sich in einer
Kirchengemeinde
engagieren,
dann oft in Migrationsgemeinden
wie der finnischen oder der katholisch-spanischsprachigen.
Allerdings sorgt die EZB im
Ostend schon länger für eine rege
Bautätigkeit. Traditionell wohnen
rund um den Parlamentsplatz im
Norden des Stadtteils eher die
besser Betuchten, während das
südliche Ostend eine nicht so
wohlhabende Gegend war. Doch
gerade dort entstehen viele teure
Neubauten. „Viele fürchten, dass
die Mieten hier insgesamt steigen
werden“, sagt Löbermann. „Die
Gentrifizierung ist unser Thema.“
Im Mai plant die Gemeinde zusammen mit der Evangelischen
Akademie eine Veranstaltungsreihe zum Thema „Schnittstellen Ostend“, bei der es um Stadtentwicklung geht. Die Vernetzung
über den eigenen Kirchturm hinaus sei dabei wichtig: Die Veränderungen betreffen ja nicht nur
die Nicolai-Gemeinde mit ihren
5000 Mitgliedern, sondern auch
die katholische Allerheiligen-Gemeinde, die Personalkirchengemeinde Nord-Ost, die Baptisten-
gemeinde sowie die Trinitatisgemeinde der Selbstständig Evangelisch-Lutherischen Kirche. Die
Ökumene läuft ohnehin gut im
Ostend: Es gibt gemeinsame Andachten gegen rechtsradikale Demonstrationen am 1. Mai oder
gemeinsame Passionsandachten.
Auch gegen die Schließung des
zweiten Zoo-Eingangs in der
Rhönstraße haben die Gemeinden gemeinsam protestiert.
Neben der Stadtteilpolitik hat in
der Nicolaigemeinde in letzter
Zeit aber auch das Interesse an
theologischen Fragen wieder zugenommen. Jochen Kerler, dem
36 Jahre alten Vorsitzenden des
Kirchenvorstands, liegt insbeson-
dere das Bibelforum am Herzen:
eine offene Gruppe, die sich regelmäßig mit Pfarrerin Sabine
Drescher-Dietrich trifft, um Bibeltexte zu lesen und einzuordnen.
Außerdem bietet die Gemeinde
ein breites Kulturangebot, vom
Blechbläserensemble über die
Kantorei bis zum Seniorensingkreis unter Dekanatskantor Andreas Schmidt. Die Gemeindepädagogin Monika Geselle organisiert Literaturabende oder Fahrten zu Kulturereignissen in anderen Städten. Museumspfarrer David Schnell, der mit einer halben
Stelle auch in St. Nicolai Gemeindepfarrer ist, bietet Führungen
durch die Museen an.
Er kümmert sich auch besonders um die alten Menschen im
Stadtteil, wobei ihn ein 15-köpfiges Besuchsdienst-Team unterstützt. So hält er wöchentlich
auch in den beiden Altenheimen
des Ostends Gottesdienste.
Die Kindertagesstätte im Röderbergweg wiederum ist mit 134
Plätzen eine der größten evangelsichen Kitas in Frankfurt. „Früher
konnte ich mir Krabbel-Gottesdienste ja nicht vorstellen“, gibt
Pfarrer Löbermann zu. „Doch angeregt durch die Eltern-KindGruppen-Arbeit finde ich es jetzt
sehr schön, zu sehen, wie schon
Dreijährige sich die Kirche erobern.“
Stephanie von Selchow
Pfarrer Wolfgang Löbermann (links) und Jochen Kerler, der Vorsitzende des Kirchenvorstands, vor der Nicolaikirche im
Foto: Rolf Oeser
Ostend. Großes Thema im Stadtteil sind die Veränderungen, die die Europäische Zentralbank dort bringt.
diglich „geduldet“. Grund genug,
sich dem Verein „Jugendliche ohne Grenzen“ anzuschließen, der
mehr Rechte für Flüchtlinge einfordert.
Ali und Duman erzählten ihre
Lebensgeschichten zum Auftakt
eines Fachtages „Vom Wartesaal
zur Werkstatt – Aktive Ansätze
für die Arbeit von und mit Flüchtlingen“ in der Evangelischen
Akademie Frankfurt. Der Theologe Wolf-Dieter Just hob die Bedeutung von Aktivität und sozialer Einbindung für das Menschsein hervor. Es gebe ein „Menschenrecht auf Teilhabe“. Er kritisierte, dass Integrationsbemühungen in Deutschland erst dann
beginnen, wenn der Status eines
Flüchtlings geklärt ist. Viele seien
deshalb jahrelang zu Passivität
gezwungen, dürften weder lernen
noch arbeiten – mit verheerenden
psychosozialen Folgen.
Auch untereinander konnten
sich die Teilnehmenden des Fachtags über Initiativen und Projekte
informieren: Studierende bilden
Tandems, in denen studierte
Flüchtlinge ihr Wissen an Studierende der Frankfurter Uni weitergeben, die sie im Gegenzug dann
über Deutschland informieren.
Junge Männer machen Praktika
auf einer Lehrbaustelle in Hersfeld-Rothenburg, Frauen aus
Ländern, wo es als unschicklich
gilt, wenn Frauen Fahrrad fahren, können es über eine Fahrradwerkstatt in Dietzenbach lernen: Das alles sind kleine Beispiele, die aber durchaus für die Einzelnen viel bewirken.
In ihrem Verein erlebe sie täglich, dass die Bereitschaft, Flüchtlinge zu integrieren, in der deutschen Gesellschaft wachse, sagte
Duman in der abschließenden
Diskussion, auch wenn die strukturellen Hindernisse groß seien.
Vernetzung sei wesentlich, denn
nur so könne man voneinander
lernen. Etwa vom Landkreis Gießen, der jeder Gemeinschaftsunterkunft mit Flüchtlingen von Anfang an einen Deutschkurs der
Volkshochschule finanziert, wie
Dirk Haas, Kreisbeigeordneter
aus Gießen, berichtete.
Moderatorin Gundel Neveling
unterstrich, es sei zwar richtig,
dass Deutschland angesichts des
demografischen Wandels froh
sein könne, wenn junge Menschen hier Fuß fassen. Es gehe
aber nicht darum, welche Flüchtlinge „uns nützlich sein“ könnten.
Sondern darum, Menschen zu
unterstützen, damit sie hier ein
würdiges Leben führen könnten –
nämlich „nicht nur den Arzt aus
Syrien, sondern auch den ungelernten Eritreer“.Stephanie von Selchow
Übrigens: Auch bei
Facebook können
Sie sich mit „Evangelisches Frankfurt“
verbinden“!
Evangelisches Frankfurt
Nicht schweigen!
Zum 95. Geburtstag von Marlies Flesch-Thebesius
▶Ein behütetes bürgerliches
Leben schien ihr vorgezeichnet,
der 1920 geborenen Enkelin des
ersten Frankfurter Sozialdezernenten Karl Flesch und Tochter
des angesehen Arztes Max
Flesch-Thebesius und seiner
Frau Amalie. Aber die Machtergreifung der Nazis im Frühjahr
1933 veränderte ihr Leben massiv. Großvater Karl war getaufter Jude, ihr als „Mischling ersten Grades“ geltender Vater verlor seine Stelle als chirurgischer
Leiter des evangelischen Krankenhauses in Frankfurt-Sachsenhausen. Die Familie gehörte
plötzlich zu den Außenseitern;
Marlies Flesch-Thebesius beschrieb es 1988 eindrucksvoll in
ihrem autobiographischen Buch
„Hauptsache Schweigen“.
Immerhin konnte sie an der
privaten Anna-Schmidt-Schule
1939 Abitur machen und in Berlin mit dem Berufsziel „Dolmetscherin“ Englisch und Italienisch studieren. Sie wohnte zeitweilig in der Dahlemer Bekenntnisgemeinde; den nazikritischen
Christen, die sie dort erlebte,
hat sie 2004 in ihrem letzten
Buch „Zu den Außenseitern gestellt – Die Geschichte der Gertrud Staewen“ ein publizistisches Denkmal gesetzt.
Denn nach Ende von Krieg
und Naziherrschaft konnte sie
das endlich: reden und schreiben. Zuerst als Journalistin in
Frankfurt und Hamburg, dann
nach einem späten Theologiestudium (1957 bis 1963) als Pfarrerin, zuletzt von 1972 bis 1983
in der Frankfurter Paulsgemeinde. Mit 65 Jahren demonstrierte
sie erstmals auf der Straße – gegen die Apartheidspolitik in
Südafrika, die sie als einst selbst
rassisch Diskriminierte aktiv bekämpfen wollte.
Dem Schreiben ist Marlies
Flesch-Thebesius auch im Ruhestand treu geblieben. Sie erinnerte an den mühseligen Weg
zur Gleichberechtigung der
Frauen im kirchlichen Amt, und
in den letzten Jahren besonders
an die oft allein gelassenen getauften Juden und Jüdinnen in
der evangelischen Kirche während der NS-Herrschaft. Ihr
Credo als Christin und Theologin hat sie am Schluss ihrer Autobiographie so zusammengefasst: „Es geht nicht nur um
Trost. Es geht auch um die Gerechtigkeit.“ Am 13. März ist
Marlies Flesch-Thebesius 95
Jahre alt geworden.
Ein biographischer Film zu
Marlies Flesch-Thebesius ist in
der „Bibliothek der Alten“ des
Historischen Museums nach
Voranmeldung zu sehen.
Lutz Lemhöfer/Foto: Ilona Surrey
▸ Kirche aktuell
Seite 9
Das effektive Krankenhaus
Podiumsdiskussion in Höchst über Gesundheitsökonomie und Ethik
▶Gesundheit ist ein teures Gut.
Wird es bald so teuer, dass
Gesundheitsleistungen zugeteilt
werden müssen und kranke Menschen schlechter versorgt werden? Diese Frage treibt viele um,
auch den „Sozialethischen Arbeitskreis Höchst“ der evangelischen und katholischen Kirche.
Das Höchster Klinikum ist noch
nicht privatisiert, sondern gehört
der Stadt Frankfurt; aber um seine Zukunft wird gerungen. Zu einer Diskussion über die ethischen
Grundlagen der Gesundheitsökonomie hatte der Arbeitskreis daher neben dem katholischen Sozialethiker Dietmar Mieth aus Tübingen auch Ulrich Behrens eingeladen, der am Klinikum Höchst
für die Unternehmensentwicklung zuständig ist, sowie Margarete Wiemer vom Betriebsrat.
Für einen „Interessenausgleich
der Gesundheitspartner“ angesichts knapper Ressourcen plädierte der Theologe Dietmar
Mieth. Es sei nicht grundsätzlich
falsch, marktwirtschaftliche Anteile und Erkenntnisse umzusetzen, solange es in der Gesundheitsökonomie eine soziale Kontrolle gebe. Die Kriterien für Effektivität und Effizienz im Gesundheitswesen müssten transparent gestaltet werden, das gehe
nicht ohne öffentliche Debatte.
„Es geht uns alle an, wie mit
Kranken umgegangen wird“, betonte Mieth. Besonders verletzliche Personenkreise müssten geschützt werden, damit sie Zugang
zu den Gesundheitsleistungen erhalten. In der christlichen Sozialethik sei der „Vorrang der Armen“ unverzichtbarer Prüfstein.
Grundsätzlich sei aber das Ringen um Effektivität und Effizienz
im Gesundheitssystem legitim.
Auch eine „Priorisierung“ könne
hilfreich sein, wenn etwa Schwerpunkte nach Bedürftigkeit und
Dringlichkeit gesetzt würden. Zu
vermeiden sei jedoch unbedingt,
dass grundlegende Gesundheitsleistungen rationalisiert werden.
„Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen, und alles ist ökonomisiert“, erklärte Ulrich Behrens
vom Klinikum Höchst. Er sei froh,
dass die Stadt Frankfurt zu ihrer
Verantwortung für die medizinische Grundversorgung stehe und
nicht plane, das Krankenhaus zu
privatisieren. Betriebsrätin Margarete Wiener kritisierte hingegen scharf, dass Sparmaßnahmen immer zuerst diejenigen treffen, die am wenigsten verdienen.
Gleichzeitig steige der Arbeitsdruck auf die Beschäftigten, und
es wachse die Befürchtung, Pa-
tientinnen und Patienten nicht gut
genug versorgen zu können. Die
Gesundheitsfürsorge dürfe nicht
dem Markt preisgegeben werden,
mahnte Wiener: „Wir versorgen
Patienten, nicht Kunden.“
Das fand Zustimmung im Publikum. Der Theologe Mieth wies
darauf hin, dass viel Geld im System „rumrutsche“: Bei der Frage,
wie es verteilt werden soll, müssten sozialethische Prinzipien zugrunde gelegt werden.
Dem stimmte auch Unternehmensberater Behrens zu: „Wir
brauchen einen gesellschaftlichen
Konsens darüber, was Gesundheit bedeutet, und was wir dafür
ausgeben wollen“. Anne-Rose Dostalek
Zwischen dem Wunsch nach bestmöglicher Qualität und betriebswirtschaftlichem
Foto: Ilona Surrey
Druck steht auch das Klinikum Höchst.
Vergessenes Fukushima: Vier Jahre nach der Katastrophe
▶Deutschland habe für sie einen
Vorbildcharakter, was den Ausstieg aus der Atomenergie anbelange, betonten die Gäste aus Japan bei der Pressekonferenz zum
Auftakt einer internationalen Tagung zum Thema Atomkraft und
Umweltschutz. Zum vierten Jahrestag des Atomunfalls in Fukushima hatten das Zentrum Ökumene und die Evangelische Akademie Frankfurt gemeinsam eingeladen.
Nicht nur sei die Anti-Atomkraft-Bewegung in Deutschland
größer und stärker als in Japan,
sie habe auch bessere Bedingungen, um wirksam zu sein. Das sehe in Japan deutlich schlechter
aus, berichtete die Journalistin
Mako Oshidori aus Tokio. Der
politische Druck von Seiten der
Atomkraftlobby auf die Presse
wie auch auf Umweltaktivisten
nehme immer mehr zu. Das Spek-
trum reiche von repressiven Sprachregelungen über die
Ablehnung von Berichterstattung bis
hin zu Drohungen
und Verfolgungen.
Sie selbst verbreite
die Ergebnisse ihrer
investigativen Arbeit
vor allem über unabhängige Nachrichtensender im Internet, so Oshidori.
Der Chemiker und
Wissenschaftsjournalist Yoichi Shimatsu kritisierte „Verschleierungstaktik“
von Seiten der Regierung sowie von
TEPCO, der Betreiberfirma der Atom- Kritisiert Behinderungen bei der Berichterstattung
kraftanlagen.
über die Folgen von Fukushima: die Journalistin Mako
Auf der Grundla- Oshidori aus Tokio.
Foto: Silke Kirch
ge eigener Messdaten geht Shimatsu davon aus, dass der Tsunami in Fukushima nicht nur einen
Reaktor zerstört habe, sondern
auch eine Anlage zur Herstellung
nuklearer Waffen.
Das Interesse an einer Vertuschung des tatsächlichen Ausmaßes der Katastrophe kenne keine
Grenzen und gehe faktisch über
Leichen, kritisierte Shimatsu. Weder gebe es seriöse Messdaten
über die radioaktive Belastung,
noch seien statistisch saubere Untersuchungen zu den Folgen des
Unglücks verfügbar.
Ein Einwohner von Iitate Mura,
einem kleinen Dorf in der Nähe
von Fukushima mit extrem hoher
Strahlenbelastung, berichtete von
einem Anstieg an Schilddrüsenkrebs bei Kindern. Mangels systematischer Reihenuntersuchungen
gebe es jedoch keine offiziellen
Zahlen. Shimatsu zufolge ist die
Strahlenbelastung in der Bucht
von Tokyo derzeit drei- bis zehnmal höher als die Sicherheitsstandards in Europa es erlauben, und
seinen Messungen zufolge auch
keineswegs rückläufig. Das stelle
eine ernste Gesundheitsgefahr
dar, auch für die Teilnehmer und
Teilnehmerinnen der Olympiade
im Jahr 2020.
Vier Tage lang beschäftigten
sich die Journalisten, Wissenschaftlerinnen, Umweltaktivisten
und Vertreterinnen der großen
Weltreligionen aus Europa, Japan
und Korea mit der Frage, was religiöse Gruppen zum Atomausstieg und zum Klimaschutz beitragen können. Man wolle mit der
Tagung auch eine Möglichkeit der
Vernetzung schaffen, um dem
weltumspannenden Thema solidarisch eine starke Stimme zu
verleihen, sagte Wolfgang Buff
vom Zentrum Ökumene. Silke Kirch
▸ Kirche aktuell
Seite 10
Hoffnung auf Chancen
Frankfurt ist Anlaufstelle für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
Evangelisches Frankfurt
■ Gedenken an Völkermord
▶Im April jährt sich zum hundertsten Mal der Völkermord an
der armenischen Bevölkerung
im Osmanischen Reich. Rund 1,5
Millionen Menschen wurden damals vertrieben oder ermordet.
Die Evangelische Akademie
Frankfurt ist Mitveranstalterin
einer Ausstellung, die noch bis
zum 28. Mai in der Bildungsstätte Anne Frank (Hansaallee 150)
zu sehen ist. Sie zeigt Dokumente zu den historischen Ereignissen und lässt heutige Armenierinnen und Armenier zu Wort
kommen (Dienstag bis Freitag
10 bis 17 Uhr, Sonntags 12 bis
18 Uhr, Eintritt frei).
Red
Preis der Mobilität
Stadtdekan informierte sich über Fluglärm
Erste Anzeichen fürs Heimischwerden in Deutschland. Drei junge Männer, die noch als Minderjährige ohne Familie nach
Foto: Rolf Oeser
Frankfurt gekommen sind, wohnen jetzt in einer Wohngemeinschaft in Höchst zusammen.
▶Drei junge Männer aus ganz
unterschiedlichen Welten leben
seit November zusammen in einer
Wohngemeinschaft in der Höchster Altstadt. Eines ist ihnen gemeinsam: Noch bevor sie 18 wurden, flohen sie ohne ihre Familien
nach Deutschland. In der VierZimmer-Wohnung, die der Evangelische Regionalverband für
„Betreutes Wohnen“ mietete, fanden sie ein neues Zuhause.
Weder Levon, der Georgier (alle Namen wurden auf Wunsch
der Betroffenen geändert), noch
Luan aus Albanien möchten über
ihre Flucht sprechen. Nadim, der
inzwischen 18 Jahre alte Syrer,
sagt nur: „Es ist ja bekannt, was
in Syrien passiert“ und knetet seine Hand. Zusammen mit seinen
Eltern, Geschwistern und der
Oma gelang ihm die Flucht aus
Damaskus nach Istanbul. Warum
er dann allein und damals noch
minderjährig nach Deutschland
kam? „Das ist eine große Geschichte“, sagt er knapp und fügt
hinzu: „Ich kam, weil ich hier
mehr Chancen habe.“
Rund tausend minderjährige
Flüchtlinge sind nach Auskunft
des Frankfurter Sozialdezernates
im Jahr 2014 ohne Eltern in
Frankfurt angekommen, ein deut-
licher Anstieg im Vergleich zu
den Vorjahren. Gut die Hälfte von
ihnen hat sich selbst bei den Behörden gemeldet, die anderen
wurden von der Polizei aufgegriffen, zum Beispiel am Bahnhof
oder am Flughafen. Zuständig für
ihre Betreuung und Unterbringung ist das Jugendamt, das dabei mit Kirchen und anderen freien Trägern zusammenarbeitet.
Zunächst müssen die Jugendlichen ein „Clearing-Verfahren“
durchlaufen, um ihren Status zu
klären. Um ihnen beim Ankommen in Deutschland zu helfen, hat
der Evangelische Verein für Jugendsozialarbeit in Frankfurt voriges Jahr ein spezielles sozialpädagogisches Betreuungskonzept
entwickelt. Er begleitet die Jungen und Mädchen vom ersten Tag
an mit Sprachunterricht oder gemeinsamem Kochen. So können
sie die Stadt und das Leben in
Deutschland kennenlernen und
Kontakte zu hier lebenden Jugendlichen aufbauen. Seit März
betreibt der Verein in Kooperation mit dem Evangelischen Regionalverband auch eine neue Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im ClearingVerfahren mit zwölf Plätzen im
Haus der Jugend in Sachsenhau-
Uwe Baumann vom „Betreuten Wohnen“ lässt sich fotografieren, die Flüchtlinge
Foto: Rolf Oeser
selbst wollten selber lieber nicht aufs Foto.
sen. Die meisten dieser Jugendlichen bleiben nicht dauerhaft in
Frankfurt, sondern werden nach
festgelegten Quoten in andere
Kommunen weiter vermittelt.
Für die jungen Männer in der
WG in Höchst, die bereits einen
Aufenthaltsstatus haben, ist jetzt
ihre Ausbildung das Wichtigste:
Levon würde gerne zur Feuerwehr gehen, Luan schwankt noch
zwischen Koch, Elektrotechnik
und Altenpflege. Nadim möchte
die Abendrealschule abschließen,
eine Ausbildung machen und anschließend IT studieren. Eigentlich hat er den Realschulabschluss bereits in der Tasche,
doch sein Zeugnis aus dem Heimatland prüft das Schulamt
schon seit mehreren Monaten,
sagt Uwe Baumann und seufzt.
Der Diplom-Pädagoge und andere aus dem Team „Betreutes Wohnen“ schauen zwei, drei Mal in
der Woche in Höchst vorbei.
Sprechen über Freizeitaktivitäten
und Gesundheit, bei schwierigen
Themen übersetzen Dolmetscher.
In der Küche brummen drei
Kühlschränke; keiner konnte ja
ahnen, dass die drei sich auf Anhieb verstehen. „Wir putzen und
waschen zusammen“, sagt Nadim
und grinst. Kochen geht mal einzeln, mal gemeinsam. „Es läuft
toll“, sagt Uwe Baumann.
„Es gibt einen hohen Bedarf an
Platz in Frankfurt und die Notwendigkeit, Jugendliche gut zu
versorgen. Wenn wir das in einer
Wohngemeinschaft machen, sind
sie nicht alleine“, sagt Claudia
Zinn, die Leiterin des Arbeitsbereichs Jugendhilfe beim Regionalverband. Eine Klippe dabei:
Geeignete Wohnungen zu finden
ist schwer. Manche der jungen
Flüchtlinge machen später in
Deutschland Karriere, weiß Uwe
Baumann: „Jeder von ihnen ist interessiert, seinen Weg zu gehen,
für unsere Gesellschaft kann das
ein Gewinn sein.“ Susanne Schmidt-Lüer
▶Bei einem Treffen der „Bürgerinitiative Sachsenhausen gegen
Fluglärm“ in der Bergkirche informierte sich Stadtdekan Achim
Knecht über die aktuelle Situation
in den betroffenen Stadtteilen und
den Stand der Proteste.
Die Bürgerinitiative sei nicht
gegen den Frankfurter Flughafen
generell, sondern gegen seinen
Ausbau zu einem riesigen Drehkreuz, sagte ein Vertreter. 55 Prozent der Passagiere würden in
Frankfurt nur umsteigen, sie kaufen also höchstens kurz im Transitbereich ein und fliegen dann
weiter. Damit nützten sie zwar
der Fraport, keineswegs aber der
Region. Durch die neue Landebahn und das geplante Terminal 3
sollen es noch viel mehr werden.
Dafür sei ein so stadtnaher Flughafen gänzlich ungeeignet.
Knecht sagte, ihn beschäftige
die Frage, warum sich Menschen
in anderen Stadtteilen so wenig
dafür interessierten, welche Auswirkungen der Fluglärm in Sachsenhausen, Oberrad, Offenbach,
Rüsselheim und Hanau hat.
Pfarrerin Silke Alves-Christe
von der Dreiköniggemeinde forderte, dass die Landebahn zurückgebaut wird. „Ich begreife
nicht, wie man nichts tun kann,
wenn andere Menschen in einer
unerträglichen Situation sind.“
Um auch Menschen in anderen
Stadtteilen für das Problem zu interessieren, schlug Knecht ihr einen Kanzeltausch mit anderen
Gemeinden vor. Denkbar sei auch
ein Gottesdienst an Himmelfahrt:
Unter freiem Himmel könne man
den Lärm am eigenen Leibe miterleben.
Stephanie von Selchow
■ Container im Apfelcarré
Wohncontainer für 80 Personen hat der Evangelische Verein für Wohnraumhilfe im Preungesheimer Apfel-Carré in Betrieb genommen. Hier werden in
Zweibettzimmern Flüchtlinge untergebracht, die nach einem Kontingentverfahren der Stadt Frankfurt zugeteilt wurden. Da der Bedarf kontinuierlich
Foto: Kurt-Helmuth Eimuth
steigt, sind schon die nächsten Anlagen im Bau.
Evangelisches Frankfurt
▸ Kirche aktuell
Seite 11
Mitgliedschaft selbst gestalten
Kirchenpräsident Volker Jung: Die Kirche sollte den Menschen mehr entgegenkommen
▶Die Kirche sollte den Menschen
mehr entgegenkommen, die ihre
eigenen Vorstellungen und Erwartungen haben, wie sie den
christlichen Glauben leben möchten, sagt Volker Jung. Der hessennassauische
Kirchenpräsident
sprach vor der Synode des Evangelischen Stadtdekanats Frankfurt über Schlussfolgerungen aus
der jüngsten Mitgliedschaftsstudie der Evangelischen Kirche in
Deutschland.
Demnach würden Menschen
heute fast ausschließlich innerhalb der Familie oder im engsten
Bekanntenkreis über religiöse
Sinnfragen sprechen. Nur ein
knappes Viertel der Befragten
gab an, über solche Themen in einer Gemeinde oder im kirchlichen Kontext zu sprechen. Es sei
daher zu fragen, ob es weiterhin
angemessen sei, religiöse Feiern
wie zum Beispiel Taufen ausschließlich im Gemeinderahmen
anzubieten, so Jung. Es sei verständlich, wenn Menschen den
Wunsch haben, solche Feiern
dort abzuhalten, wo sie am ehesten die Familie und den Freundeskreis zusammenrufen können.
Tatsächlich erfreuen sich in
Frankfurt zum Beispiel Taufen in
der Commerzbank-Arena großer
Beliebtheit, vor allem unter Fußballfans. Jung verwies auch auf
die regelmäßigen Motorradgottesdienste. „Wir müssen Räume
für selbstbestimmte Mitgliedschaft öffnen“, betonte Jung vor
den Delegierten der Frankfurter
Gemeinden, „und nicht alles
gleich parochial normieren.“ Zugleich könnten allerdings die Be-
■ Skulpturengruppe „Verspottung“
„Verspottung“ heißt eine Skulpturengruppe von Klaus Effern, die
noch bis Karfreitag in der Matthäuskirche, Friedrich-Ebert-Anlage 33,
zu sehen ist. Sie bezieht sich auf
ein Gemälde von Matthias Grünewald, das die Verspottung Christi
vor der Kreuzigung zeigt. Über „Religion und Gewalt“ predigt Pfarrerin
Jutta Jekel am Sonntag, 29. März,
im Gottesdienst um 11 Uhr.
■ Comiczeichnen für Jugendliche
Einen Workshop für Comiczeichnen
gibt es in den Osterferien am 7.
und 8. April, jeweils von 10 bis 16
Uhr im Jugendtreff der Paul-Gerhardt-Gemeinde in Niederrad, Gerauer Straße 52. Mitmachen können
Jugendliche ab 13 Jahren, die Teilnahme ist kostenlos. Anmeldung
unter Telefon 069 61995857.
Kirchenpräsident Volker Jung bei seiner Rede vor der Evangelischen Stadtsynode Frankfurt.
dürfnisse der Menschen nicht der
einzige Maßstab für kirchliches
Handeln sein, denn das sei „immer zuerst unser evangelischer
Auftrag.“
Weiterhin forderte Jung die
Gemeinden auf, mehr in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Zwar
seien Seelsorge und persönliche
Begegnung nach wie vor wichtig,
genauso wichtig sei es aber, dass
auch die distanzierteren Kirchenmitglieder die Kirche noch wahrnehmen, „denn sonst halten sie
sie für unbedeutend.“ Man solle
bewusst das gestalten, was die
Kirche nach außen sichtbar
macht. „Wir müssen uns in die
Gesellschaft hinein orientieren
und dort Identifikationspunkte
schaffen“, sagte Jung. Das könnten Kirchengebäude ebenso sein
wie die Präsenz von Pfarrerinnen
und Pfarrer als öffentliche Personen oder die Beteiligung am gesellschaftlichen Diskurs über aktuelle Themen.
Gleichzeitig warnte Jung davor,
zurückgehende Mitgliederzahlen
automatisch als Folge schlechter
Arbeit zu interpretieren. „Hier
handelt es sich um große gesellschaftliche Trends, an denen man
mit einfachen Handlungsoptionen nichts ändern kann.“ Es sei
zu akzeptieren, dass es eine wachsende Zahl von Menschen gibt,
„die uns nicht brauchen und die
Foto: Rolf Oeser
auch ohne uns glücklich sind.“
Die Aufgabe der Kirche sei es,
innerhalb der gegebenen Gesellschaftsstrukturen, „in die Gott
uns gestellt hat“, ein angemessenes Bild von Kirche zu entwickeln. Wichtig sei heute, diejenigen Menschen, die sich in der
Kirche engagieren, zu stärken
und zu fördern, denjenigen, die
nur punktuell oder nach eigenen
Vorstellungen mitmachen wollen,
dafür Möglichkeiten zu bieten,
aber auch diejenigen Kirchenmitglieder, die nur noch lose verbunden sind, „nicht einfach abzuschreiben“, sondern sie mit ihren
Erwartungen und Ansprüchen
ernst zu nehmen.
Antje Schrupp
Allianz gegen Kommerz am Sonntag
Kirchen und Gewerkschaften wollen gemeinsame Freizeit retten
▶Etwa ein Viertel aller Berufstätigen, so zeigen Statistiken, arbeiten auch sonntags: Da gibt es
Dienstleistungen, die immer gebraucht werden, wie die von Ärztinnen oder Busfahrern. Manche
Menschen verdienen so wenig,
dass sie auf den Wochenendzuschlag angewiesen sind. Und
dann gibt es viele, die sonntags
nicht auf etwas verzichten möchten, von dem sie gewohnt sind, es
jederzeit zur Verfügung zu haben:
frische Brötchen zum Beispiel.
Oder den Einkaufsbummel über
die Zeil.
Verkaufsoffene Sonntage setzen sich mehr und mehr durch,
obgleich sie eigentlich nur genehmigt werden dürfen, wenn eine
„Anlassbezogenheit“ erkennbar
ist. Das aber ist Auslegungssache.
Bei einem politischen Nachtgebet
in der Alten Nikolaikirche am Römerberg kritisierten Vertreterinnen und Vertreter von Kirchen
und Gewerkschaften diese Entwicklung. Es war die Auftaktveranstaltung der „Hessischen Allianz für den freien Sonntag“, die
Kurz notiert
der schleichenden Abschaffung
des Sonntags auch in Frankfurt
entgegenwirken will.
Der evangelische Stadtdekan
Achim Knecht und Pfarrer Michael Metzler, Vertreter des katholischen Stadtdekans, bezogen
Position: Der Sonntag sei kein
Tag wie jeder andere. Doch die
besondere Qualität dieses Feierund Ruhetags, der der Erhebung
und Entfaltung, der Rekreation
und dem Zusammensein dienen
soll, gehe mehr und mehr verloren. Damit verschwinde auch der
Schutzraum, der einen Kontrapunkt zum aktiven, tätigen Leben
bildet und dafür sorgt, dass Menschen nicht nur „funktionieren“,
sondern auch Zeit für das zweckentbundene, spielerische Zusammensein haben.
In der Alten Nikolaikirche startete die „Hessische Allianz für den freien SonnFoto: Rolf Oeser
tag” ihre Kampagne gegen zunehmende Kommerzialisierung.
Der Sonntag sei durch keinen
anderen Tag – zum Beispiel durch
einen individuell gewählten freien
Tag unter der Woche – zu ersetzen. Wie er zurückerobert werden kann, das erörterte Katja
Deuser von der Gewerkschaft
Verdi am Beispiel von Offenbach,
wo die „Hessische Allianz für den
freien Sonntag“ durch Klagen vor
Gericht den Trend zu immer mehr
verkaufsoffenen Sonntagen eindämmen konnte. Ute Schäfer von
der Arbeitsstelle „Kirche für Arbeit“ beschrieb, wie von vielen
Menschen der Sonntag als eine
Art Puffer benötigt werde, um all
das abzuarbeiten, was unter der
Woche liegenbleibe.
Die Bedeutung des Sonntags –
so wurde deutlich – reicht weit
über die Reihe der Wochentage
hinaus: Es geht um die Kunst,
sich Pausen zu gönnen, auch einmal nicht verfügbar zu sein. Es
geht um die Kunst, einen Unterschied zu machen zwischen dem
aktiven und dem passiven Leben,
und dem einen wie dem anderen
Gewicht zu verleihen.
Silke Kirch
■ Stadtteilatlas Nordweststadt
Eine aktualisierte und erweiterte
Neuauflage des Stadtteilatlasses für
die Nordweststadt ist jetzt erschienen. Der 178 Seiten dicke Leitfaden
mit vielen Adressen ist kostenlos
beim Nachbarschaftsbüro der Diakonie Frankfurt in der Thomas-MannStraße 6b erhältlich (dienstags von
10 bis 12.30 Uhr, donnerstags von
13 bis 17 Uhr).
■ Kirche gilt vielen als bieder
Irritiert zeigte sich der Frankfurter
Musiker Tilman Höhn (Frankfurt City
Blues-Band) darüber, dass viele junge Menschen den Pfarrberuf und die
Kirche offenbar „doch sehr mit Biederkeit verbinden”. Er selbst erlebe
die evangelische Kirche ganz anders. Höhn war Mitglied in der Jury
eines Videowettbewerbs der evangelischen Kirche, der für die vielfältigen Möglichkeiten kirchlicher Berufe warb. Infos unter www.mach
dochwasduglaubst.de.
■ Top-Arbeitgeber
Die Evangelische Bank ist vom „Top
Employers Institute“ in Düsseldorf
mit dem Titel „Top Arbeitgeber Mittelstand/Deutschland 2015“ ausgezeichnet worden. Vergeben wurde
die Auszeichnung für das Personalmanagement. Die Evangelische
Bank beschäftigt 358 Vollzeitkräfte,
119 Teilzeitkräfte sowie 20 Auszubildende. Internet: www.eb.de.
■ Widersprüchliches Indien
Indien ist einerseits Atommacht
und aufstrebende Wirtschaftsnation, andererseits arbeiten viele Frauen immer noch wie Sklavinnen, Kinder sterben an Mangelernährung.
Einen Vortrag über ihr Heimatland
hält Saanika Amembell am Montag,
13. April, um 19 Uhr im Evangelischen Frauenbegegnungszentrum,
Saalgasse 15 (3 Euro).
■ Kinderkirchentag in Oberrad
Unter dem Motto „Sag niemals nie
zu Ninive“ steht ein Kinderkirchentag am Samstag, 18. April, von 10
bis 15 Uhr in der Erlösergemeinde,
Wiener Straße 23. Anmeldung bis
10. April per Mail an [email protected].
April/Mai 2015 · 39. Jahrgang · Nr. 2 · www.evangelischesfrankfurt.de
Seite 12
▸ Panorama
Kurt-Schumacher-Straße 23 · 60311 Frankfurt/Main
Evangelisches Frankfurt
Ethik
Terminkalender
Medizinethiker
für mehr
Suizidprävention
■ Begegnung
Schwesterlichkeit – Frauengottesdienst am Dienstag, 14. April, um
19 Uhr in der Alten Nikolaikirche
am Römerberg.
Copy-Culture – Tagung der Evangelischen Akademie über die Ethik des
Kopierens am Mittwoch, 15. April,
16-19.30 Uhr, Beginn im Bibelhaus
Erlebnismuseum, Metzlerstraße 19.
Arbeit 4.0 – Vorstellung einer neuen Denkschrift der Evangelischen
Kirche in Deutschland zum Thema
„Arbeit“ am Dienstag, 28. April,
um 13 Uhr in der Evangelischen
Akademie, Am Römerberg 9.
Ernst Klee – Tagung zur Erinnerung
an den Gesellschaftskritiker und
Journalisten am Freitag, 8. Mai,
18-21 Uhr im Dominikanerkloster
am Börneplatz, sowie am Samstag,
9. Mai, ganztägig in der Goethe-Uni
(www.evangelische-akademie.de).
■ Konzerte
Matthäuspassion – von Carl Philipp Bach am Sonntag, 29. März,
um 18 Uhr in der Dreikönigskirche
am Sachsenhäuser Ufer (24,20/
18,55 Euro).
Orchesterkonzert – Werke von
Bach, Mozart und anderen am
Montag, 30. März, um 20 Uhr in
der Kirche Cantate Domino in der
Nordweststadt, Ernst-Kahn-Straße
14 (Eintritt frei).
Matthäuspassion – von Johann
Sebastian Bach am Mittwoch, 1.
April, um 19 Uhr in der Heiliggeistkirche am Börneplatz (15 Euro).
The Passion of Christ – Gesang
und Orgel am Karfreitag, 3. April,
um 15 Uhr in der Thomaskirche,
Heddernheimer Kirchstraße 2b
(Eintritt frei).
Markuspassion von Homilius – am
Karfreitag, 3. April, um 19 Uhr in
der Lutherkirche im Nordend, Martin
Luther Platz 1 (15/12 Euro).
Oster-Gospel-Konzert – am Ostersonntag, 5. April, um 18 Uhr im
Titus-Forum im Nordwestzentrum,
Walter-Möller-Platz 2.
Trompete und Orgel – am Ostersonntag, 5. April, um 18 Uhr in der
Nicolaikirche im Ostend, Waldschmidtstraße 116 (10/8 Euro).
Glanz des Barock – Werke für
Trompete und Posaune am Samstag,
11. April, um 18 Uhr in der Emmauskirche, Alt-Eschersheim 22
(Eintritt frei).
Orgelkonzert – Werke von Dandrieu, Widor, Lemmens und Hakim
am Sonntag, 19. April, um 18 Uhr
in der Katharinenkirche an der
Hauptwache (8/6 Euro).
Wahlkonzert – zur Kirchenvorstandswahl am Sonntag, 26. April,
mit Werken von Bach und Mozart
um 18 Uhr in der Thomaskirche,
Heddernheimer Kirchstraße 2b
(Eintritt frei).
Norddeutsche Orgelmusik – aus
dem 17. Jahrhundert am Sonntag,
3. Mai, um 18 Uhr in der Katharinenkirche Hauptwache (8/6 Euro).
Weitere Veranstaltungen unter
www.frankfurt-evangelisch.de
▶Bei den aktuellen Debatten über
„Die Kirchen stiften Werte, stiften Identität und nehmen öffentliche Verantwortung wahr. Deshalb ist Kirche in der Stadt
unerlässlich“ – als Gastprediger in der Philippuskirche im Riederwald gab Oberbürgermeister Peter Feldmann ein Bekenntnis zur wichtigen Rolle der Religion für die Stadtgesellschaft ab. Gleichzeitig appellierte er an alle einzelnen, Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen. Der Gottesdienst fand im Rahmen einer Gottesdienstreihe zur Passionszeit
Foto: Rolf Oeser
statt, bei der die Philippusgemeinde Prominente auf ihre Kanzel einlud.
Zuhause auf Zeit
Eine Villa für Kinder, deren Eltern sich nicht kümmern können
▶Emily* ist neu hier. Sorgfältig sche und eine Gute Nacht-Kasset- das geht Erwachsene nichts an.
steckt sie in ihrem Zimmer Filz- te geben, oder das Licht bleibt
Eine Hauswirtschafterin kocht,
stifte in einen Ständer, manchmal brennen „und wir gucken, wann wäscht und putzt, die Kinder mahuscht ein Lächeln über ihr Ge- das nächste Telefonat mit den El- chen Küchen-, Müll- und Pflansicht. Unter der Schreibtischauf- tern vereinbart ist“.
zendienst und leben in einem klar
Raffaella und Katinka flitzen strukturierten Tagesablauf. Zum
lage zieht sie ein Foto ihrer Familie hervor; das Datum, wann es treppauf, treppab, tragen Ku- Einzug bekommen sie ein liebeaufgenommen wurde, weiß sie scheltiere und Bettzeug. Sie wol- voll gestaltetes Kindervilla-Buch
ganz genau. Damals lebten Papa len in einem Zimmer zusammen- mit handgemalten Zeichnungen.
ziehen, gerade haben sie bei der Handy-Regeln sind darin ebenso
und Mama noch nicht getrennt.
Emilys Eltern können sich nicht Hausversammlung das Okay da- notiert wie Kinderrechte und Perselbst um sie kümmern, deshalb für bekommen. Die Sechs- bis sonen, an sie sich die Kinder zuwurde sie über das Jugendamt in Zwölfjährigen leben im Durch- sätzlich wenden können. Zum
eine „vollstationäre Einrichtung“ schnitt zweieinhalb Jahre im Konzept gehört es auch, den Konvermittelt, ein Kinderheim also. Heim. Dass ihre Eltern sich nicht takt zu Eltern, Freunden und
Das kommt in letzter Zeit wieder um sie kümmern können, hat ver- Schule aufrechtzuerhalten. Denn
häufiger vor: Jeden Tag sind in schiedene Ursachen: psychische Ziel ist es ja, die Kinder wieder in
Deutschland über hundert Kinder Krankheiten, Alkoholsucht, Erzie- ihre Familie zu integrieren.
hungsschwierigkeiten, Verwahrund Jugendliche betroffen.
Raffaella fühlt sich wohl in der
In Frankfurt hat die Evangeli- losung, Gewalterfahrungen.
verwinkelten Villa mit dem groPaul malt am langen hölzernen ßen Garten. Zu Sandra Heppler
sche Kirche im März die „Kindervilla Hollerkopf“ am Rand der Esstisch ein Geheimzeichen in ein hat sie nach den ersten Tagen, in
Nordweststadt eröffnet, in der kariertes Ringbuch. Katinka darf denen sie ängstlich war, gesagt:
auch Emily jetzt wohnt. Insge- es sehen, sie ist schon elf, zwei „Ich konnte ja nicht wissen, dass
samt elf Kinder können hier ein Jahre älter als Paul. Vielleicht ist Ihr nett seid.“
Susanne Schmidt-Lüer
Zuhause auf Zeit finden. Emily das der Beginn eines Clubs, aber
*die Namen aller Kinder wurden geändert
zählt die Namen ihrer Geschwister auf, ihr Alter, ihre
Größe. Es gefalle ihr gut in
der Kindervilla, sagt die
Neunjährige. Mit ihrer Monatskarte kann sie weiterhin
in ihre alte Schule fahren.
Ob sie Träume hat? „Nein“,
sagt Emiliy und schaut aus
dem Fenster. Und sagt: „Am
Wochenende kommt meine
Cousine, die ist einen Monat
älter als ich.“
„Am Anfang sind die Kinder verunsichert und haben
oft in den ersten Nächten
Heimweh“, sagt Sandra
Heppler, die das Team aus
sieben pädagogischen Mitarbeiterinnen leitet. Heimweh, das „eklige Gefühl“,
nehmen sie alle ernst. Dage- Sandra Heppler (links) und Astrid Hofmann vor der Villa Hollerkopf, in der Kinder ein
gen kann es eine Wärmfla- Zuhause auf Zeit finden, bis ihre Eltern sich wieder kümmern können.
Foto: Rolf Oeser
eine gesetzliche Neuregelung der
Sterbehilfe in Deutschland müsse
man aufpassen, keine falschen
Schwerpunkte zu setzen, sagte
Pfarrer Kurt Schmidt vom Frankfurter Zentrum für Ethik in der
Medizin. Menschen, die unheilbar
krank sind und ihre letzte Sterbephase verkürzen wollen, seien
„eine zahlenmäßig relativ kleine
Gruppe.“ Gleichzeitig würden
sich aber jedes Jahr in Deutschland 10 000 Menschen „aus tiefster Verzweiflung, Depression und
aufgrund von psychischem Leiden das Leben nehmen.“
Bei ihnen handele es sich nicht
um Menschen, die eine „freie Entscheidung“ treffen und wohlüberlegt Alternativen abwägen, betonte Schmidt. Deshalb sei Suizidprävention nach wie vor die
wichtigste Herausforderung an
die Gesellschaft. Dennoch sei es
sinnvoll, sich aus ethischer Perspektive über Sterbehilfe Gedanken zu machen. Aus seiner Sicht
spreche vieles dafür, „die gesetzlichen Regelungen so zu lassen,
wie sie sind.“ In Deutschland ist
Suizid nicht strafbar und die Beihilfe dazu auch nicht. Kommerzielle Interessen dürfen dabei
aber nicht im Spiel sein sein. Über
eine mögliche Gesetzesrevision
entscheidet der Bundestag voraussichtlich im Herbst. Redaktion
Das Letzte
Adventsfußball
▶Dass die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar vom Sommer
in den Winter verlegt wurde, ist
jetzt auch schon Anlass, die Kirchen um eine Stellungnahme zu
bitten: Ist das denn nicht blöd, so
ein Fußballmärchen mitten im
Advent? Volker Rahn, Pressesprecher der Evangelischen Kirche in
Hessen und Nassau, blieb diplomatisch: Klar sei vieles an der
Katar-WM „unglücklich“, aber:
„Das Adventsfest und das Fußballfest müssen keine Gegner
sein.“ Na, gut zu wissen!
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April/Mai 2015· 39. Jahrgang · Nr. 2
Die nächste Ausgabe erscheint am 17. Mai 2015.
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