ISSN 2199-3572 JÜDISCHE Nr. 5 (9) Mai 2015/Ijjar - Siwan 5775 RUNDSCHAU UNABHÄNGIGE MONATSZEITUNG · HERAUSGEGEBEN VON DR. R. KORENZECHER 100 Jahre ArmenierVölkermord Jüdische Autoren gegen das Vergessen seite 4–5 Friede, Freude, Zeigefinger Bei Anruf – Koscher! Zum neuen Buch von Margot Käßmann seite 15 Neue Lieferdienste füllen eine Lücke seite 32 3,70 € Vom Kulturbruch zur Freundschaft WORT DES HERAUSGEBERS DR. R. KORENZECHER Fortsetzung auf Seite 2 Österreich 3,70 € Schweiz 4,60 CHF 05 4 198807 003709 PEDRO UGARTE, AFP Liebe Leserinnen und liebe Leser, wir danken Ihnen für die große positive Resonanz, mit der Sie unsere PessachAusgabe und unsere Beiträge über die Gedenktage zum jüdischen Widerstand und zur Befreiung aus dem Schrecken der nationalsozialistischen Vernichtungslager begleitet haben. Allem Vernichtungswillen der Nazis und der heutigen Feinde Israels zum Trotz konnte das jüdische Volk mit Stolz in Sicherheit, Würde und Wohlstand gerade eben den 67. Jahrestag der Wiedergeburt seiner staatlichen Identität, des demokratischen Staates Israel feiern. Auch im Monat Mai hatten wichtige historische Ereignisse und Entwicklungen des letzten Jahrhunderts erheblichen Einfluss auf das heutige Weltgeschehen und vor allem auf das jüdische Leben in Israel und in der Diaspora genommen. Vor 70 Jahren am 9. Mai 1945 um 00.16 Uhr – und damit 75 Minuten später als in der Urkunde notiert – wurde der Zweite Weltkrieg beendet und die bedingungslose Kapitulation Deutschlands durch den Nazi-Feldmarschall Wilhelm Keitel in Berlin-Karlshorst unterzeichnet. Mit den Worten der KapitulationsUrkunde – „Wir Endesunterzeichneten, die wir im Namen des deutschen Oberkommandos handeln, erklären die bedingungslose Kapitulation aller unserer Streitkräfte zu Lande, zu Wasser und in der Luft sowie aller übrigen Streitkräfte, die zur Zeit unter deutschem Befehl stehen vor dem Oberkommando der Roten Armee und gleichzeitig vor dem Oberkommando der alliierten Expeditionsstreitkräfte.“ – endete nach 6 Millionen ermordeten jüdischen Opfern vor allem für die allzu wenigen überlebenden Juden Europas das schrecklichste Kapitel jüdischer Geschichte. Immerhin mussten noch weitere 20 Jahre vergehen – und es war vor allem der Versöhnungsbereitschaft des jüdischen Volkes zu verdanken – damit vor 50 Jahren am 12. Mai 1965 wieder offizielle diplomatische Beziehungen und ein BotschafterAustausch zwischen dem Staat Israel und der Bundesrepublik Deutschland, der Rechtsnachfolgerin des Nazi-Reichs, möglich wurden. Heike Linde-Lembke 12. Mai 1965. Nach Demütigung, Entwürdigung und Verfolgung, nach dem Völkermord von NS-Deutschland an sechs Millionen Juden, nach diesem Kulturbruch, den ein Deutschland unter seinem Diktator Adolf Hitler und seiner Schergen begangen hat, nahm Israel, gerade einmal 17 Jahre alt, diplomatische Beziehung zu der damaligen Bundesrepublik Deutschland auf. Das Verhältnis war kühl, die Aufnahme dieser Beziehungen war vor allem aus wirtschaftlichen Gründen rein pragmatisch. Und trotz dieses Pragmatismus schrieben der junge Staat Israel und der neugegründete Staat Deutschland am 12. Mai 1965 Geschichte. Denn die Beziehungen entwickelten sich aus den rein wirtschaftlichen, juristischen – Prozess des NS-Mörders Eichmann 1961 – und humanen – Einwanderung der Schoah-Überlebenden nach Israel – sukzessive zu einer freundschaftlichen Beziehung auf immer mehr Ebenen, von Jugendaustausch, gemeinsamen Kultur-Veranstaltungen und Forschungsprojekten, Sport-Begegnungen bis zu Städtepartnerschaften und dem Friedensdienst Aktion Sühnezeichen. Zudem entschuldigte sich die Bundesrepublik unter anderem bei den SchoahÜberlebenden mit der Finanzierung einer Erholungszeit im eigenen Land, beispielsweise in dem Kibbuz-Hotel Ma'ale Hachamisha, zehn Kilometer vor Jerusalem gelegen. Wegbereiter waren das Luxemburger Abkommen von 1952, in dem die Bundesrepublik die volle Verantwortung für die Folgen des Holocaust übernahm, das Treffen zwischen Israels erstem Premierminister David Ben-Gurion und dem ersten deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer im März 1960. Beide Staaten arbeiteten mit Hochdruck daran, ein gegenseitiges Vertrauen aufzubauen und zu pflegen. Gegen viele Widerstände, denn der ersten Generation der Opfer, der Überlebenden der Schoah, standen die Täter gegenüber, ein für viele Opfer in Israel unerträglicher Zustand. Opfer wie Täter sprachen nicht über den deutschen Kulturbruch, den Holocaust. Und bauten damit für die zweite Generation eine oftmals unerträgliche Qual auf. Das Schweigen wurde zum Trauma der nachfolgenden Generation. Erst der dritten Generation gelang es, dieses Schweigen zu ignorieren, zu brechen und mit ihrer Großeltern-Generation über das einst Unsagbare zu sprechen. 1969 begrüßte der deutsche Bundestag zum ersten Mal eine Abordnung israelischer Parlamentarier, 1971 erfolgte der Gegenbesuch deutscher Abgeordneter in der Knesset, 1975 reiste Ministerpräsident Itzhak Rabin als erster israelischer Regierungschef nach Deutschland, 1985 folgte der Gegenbesuch des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker in Israel, 1987 reiste Präsident Chaim Herzog in die Bundesrepublik. (Kuriose Randnotiz: Bis 1993 hatte Israel einen Präsidenten namens Herzog, ab 1994 hatte Deutschland ebenfalls einen Präsidenten Herzog.) Zur Deutschen „Demokratischen“ Republik, DDR, indes gestalteten sich etwaige Beziehungen extrem schwierig. Zu Beginn der 1950er Jahre war die Politik der DDR durchaus antisemitisch, gleichwohl die Sowjetunion 1947 bei der UNO-Debatte die Gründung Israels be- fürwortete, weil es sich von der Linksausrichtung der Kibbuzim seinerseits eine Verbreitung des Sozialismus versprach. Doch trotz prominenter jüdischer Mitstreiter wie Ernst Bloch, Hanns und Gerhart Eisler, Stefan Heym, Helene Weigel und Arnold Zweig blieb die Haltung der DDR Juden gegenüber abweisend. Den Antrag der Israelis auf Wiedergutmachung wies das DDR-Regime empört zurück, Israel wurde als Vorposten des „amerikanischen Imperialismus“ verurteilt. Die Bundesrepublik lehnte Beziehungen zu Staaten, die die DDR anerkannten, strikt ab, und Israel entschied sich für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Bundesrepublik. Vor sieben Jahren gelang der Durchbruch der Beziehungen auf Regierungsebene, als Bundeskanzlerin Angela Merkel und Israels damaliger Ministerpräsident Ehud Olmert die deutsch-israelischen Regierungs-Konsultationen zum 60. Jahrestag Israels gründeten. Ein Novum, denn für Israel war Deutschland der erste Partner, mit dem ein solcher Austausch vereinbart wurde, und für Deutschland ist Israel das erste außereuropäische Land für regelmäßige Regierungs-Konsultationen. Zum 50. Jahrestag der deutsch-israelischen diplomatischen Beziehungen ist der Austausch zwischen beiden Staaten auf allen Ebenen selbstverständlich und freundschaftlich, und dem Kulturbruch des NS-Terrors folgen wundersamerweise wahre Freundschaften. Am 7. Mai geben die Post-Ministerien beider Nationen eine gemeinsame Briefmarke zum Jubiläum heraus. Fortsetzung auf Seite 2
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