PDF - Katholische Kirche beim hr

„Sonntagsgedanken“ in hr 1
14. Juni 2015
Winfried Engel, Fulda
Kath. Kirche
„Reich Gottes“ – eine echte Perspektive !?
Eher durch einen Zufall bin ich darauf gestoßen, auf das Königreich Romkerhall, „das
kleinste Königreich der Welt“, wie es sich selbst nennt. Es ist ein kleines Gebiet in
Deutschland, genauer in Niedersachsen, das auf Grund historischer Entwicklungen
bis heute gemeindefrei geblieben ist. Deshalb kann es sich „Königreich“ nennen. Im
Internet kann man etwas über seine Geschichte und die heutigen Aktivitäten
erfahren. Die sind auf den Erhalt, die Pflege und Modernisierung eines
Jagdschlosses ausgerichtet, das den Mittelpunkt des kleinen Königreiches bildet.
Wer diese Zwecke unterstützt, kann Förderritter und Mitglied der Hofgesellschaft
werden. Eine Königin gab es auch, sie ist im Februar 2010 verstorben. Eine
Nachfolgerin oder einen Nachfolger hat sie noch nicht, eine Fürstin steht bis dahin an
der Spitze des kleinen Reiches. - Königreich, Schloss, Königin, Hofgesellschaft,
solche Begriffe üben bis heute einen gewissen Reiz aus. Sie haben selbst mich
neugierig gemacht, der ich mich eigentlich für den Adel und die Herrschaftshäuser
dieser Welt wenig interessiere. Dennoch bin ich diesem Stichwort im Internet
nachgegangen. Dass viele meiner Mitmenschen an solchen Themen großes
Interesse haben, zeigen die Auflagen der so genannten „Regenbogenpresse“. Damit
bezeichnet man allgemein illustrierte Wochenzeitschriften, die sich inhaltlich mit den
Großen unserer Zeit, insbesondere aus dem Hochadel und aus dem Showbusiness,
beschäftigen. Ihre Auflagen gehen in die Millionen. Fachleute sagen, dass diese
Zeitschriften entgegen dem allgemeinen Trend bei Printmedien auch keine
nennenswerten Auflagenverluste haben. - Was ist es, das die Leserinnen und Leser
solcher Blätter interessiert oder gar fasziniert? Ich glaube, dass die Antwort etwas mit
Märchen zu tun hat. Mit der Vorstellung, selbst einmal, und wenn auch nur ganz
kurz, in eine Welt einzutauchen, die mit dem eigenen Alltag nichts gemein hat, von
der man nur träumen kann. Eine Welt voller Pracht und Wohlstand, Ansehen und
Wertschätzung und was man sich sonst noch vorstellen mag. Ein Merkmal von
Märchen ist ja, dass eine solche Welt sich jedem eröffnen kann, meist sogar denen,
die eher schlecht dran sind. Gutes wird belohnt, das Böse abgestraft. Am Ende
herrscht allgemein Freude und Zufriedenheit. Eine solche Welt vermutet man gerade
bei denen, die in unserer Gesellschaft ganz oben zu sein scheinen. Wie könnte das
auch anders sein, bei den Bedingungen, in denen sie leben dürfen. Dass es auch da
Scheitern und Leid gibt, wird dann ebenso aufmerksam zur Kenntnis genommen,
vielleicht sogar als Trost, dass es einem selbst ja auch nicht besser geht.
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Reiche, Herrscher, Königshäuser, wenn man diese Begriffe außerhalb von Märchen
hört, lösen sie bei vielen auch negative Gedanken oder gar Reaktionen aus. Nicht
selten entsteht sogar eine eigenartige Spannung zwischen Faszination und
Ablehnung. Faszinierend ist zweifellos die Welt, die damit verbunden wird. Abgelehnt
werden Vorstellungen wie Herrschaft, Untertanen, bedingungsloser Gehorsam, die
mit solchen Begriffen verbunden sind. Dass solche Vorstellungen auch heute nicht
aus der Luft gegriffen sind, kann man an real existierenden Beispielen in unserer
Welt belegen. Herrschaftsformen, in denen Menschen unterdrückt werden, finden
sich immer wieder. Unter einer Herrschaft leben, beherrscht werden, Untertan sein,
das möchte niemand. Weil das aber in früheren Zeiten fast immer mit
Königsherrschaft oder Adelsherrschaft verbunden war, liegt hier wohl der Grund,
weshalb Begriffe wie Reich, Königreich oder Herrschaft eher negative Reaktionen
hervorrufen.
Wer heute einen katholischen Gottesdienst besucht, der wird auch von einem Reich
hören. Vom Reich Gottes ist da nämlich die Rede. Doch zumindest in der da zu
hörenden Bibelstelle fehlen all die Dinge, die sich landläufig mit einem Reich
verbinden. Es ist lediglich vom Wachsen dieses Reiches die Rede. Unmerklich, aber
auch unaufhaltsam, wie das Wachsen von Samenkörnern, soll es kommen. Und
dass es sich aus kleinsten Anfängen zu riesiger Größe entwickeln wird, das wird
auch noch gesagt. Am Bild des Senfkorns wird dies verdeutlicht: „Es ist das kleinste
von allen Samenkörnern, die man in die Erde sät. Ist es aber gesät, dann geht es auf
und wird größer als alle anderen Gewächse und treibt große Zweige, so dass in
seinem Schatten die Vögel des Himmels nisten können“ (Mk 4,31f.), so heißt es in
dem Text aus der Bibel. Reich Gottes, Herrschaft Gottes – wie kommen solche
Begriffe bei Menschen heute an? Ich sehe die Gefahr, dass sie gleich in den von mir
beschriebenen negativen Kontext gestellt werden und damit kaum eine Chance
haben, richtig wahrgenommen zu werden. Dabei geht es bei diesem Reich und
dieser Herrschaft um
ganz anderes, als das, was sich landläufig mit solchen
Begriffen verbindet. Im Reich Gottes gibt es kein oben und unten, keine
Herrschenden und Untertanen. Im Reich Gottes wird es allen gut gehen. Krankheit
und Leid werden überwunden sein, Herrschaftsstrukturen haben keine Geltung mehr,
alles wird gut sein. Der einzige Nachteil, so könnte man sagen, ist: Dieses Reich gibt
es noch nicht, es liegt in der Zukunft. Ja, da haben wir`s doch, höre ich sagen, was
soll dann das Reden von diesem Reich? Worin unterscheiden sich die Geschichten
darüber dann von Märchen, die nie wahr werden?
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Das Reich Gottes liegt in der Zukunft, das ist richtig. Es wird kommen und erst dann
seine volle Größe erreichen, wenn die Welt am Ende ist und nur noch Gottes
Gegenwart alles bestimmt. Aber, und das unterscheidet das Reden von diesem
Reich von Märchen, es ist schon angebrochen! Mit Gottes Menschwerdung in dieser
Welt hat es angefangen. Es gibt hier und heute deutliche Zeichen für seine Existenz.
Schon sichtbar ist es überall da, wo Menschen Gutes erfahren, wo die einen für die
anderen eintreten, wo Hass und Neid überwunden werden, wo Gräben zugeschüttet
werden und neue Kontakte entstehen, und, und, und … Wie das Bild vom Senfkorn
sagt, wächst das Reich Gottes aus kleinen Anfängen. Und es ist nicht aufzuhalten,
es wird eine gewaltige Größe erreichen. Zugegeben, hier kommt das Vertrauen ins
Spiel, dass dies auch wirklich so sein wird, dass die beschriebenen Zeichen auch
tatsächlich für das Reich Gottes stehen. Könnte auch Zufall sein, höre ich sagen. Ja,
möglich, muss ich wohl einräumen. Aber für den glaubenden Menschen ist es das
nicht. Er vertraut auf die Zusage Gottes, die zentraler Kern der Botschaft ist, die
Jesus Christus verkündet hat: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt
um und glaubt an das Evangelium!“ In diesem programmatischen Satz fasst der
Evangelist Markus den Inhalt der Botschaft Jesu zusammen. Und wer diese
Botschaft annimmt, der bekommt zugleich den Auftrag, etwas von dieser Botschaft in
seinem Leben sichtbar werden zu lassen. Was das konkret heißt, zeigen die vielen
Beispiele, die aus dem Wirken Jesu berichtet werden. Er tritt für die am Rande
Stehenden oder Ausgegrenzten ein; er hilft Menschen, die von Krankheit geplagt
sind, und heilt sie; er gibt Menschen zu essen, die Hunger haben; er gibt sogar
solchen, die bereits gestorben sind, das Leben zurück. Überall dort, wo er auftritt,
wird die Welt ein Stückchen heiler, weichen Missstände und Leid. Und wenn ich mich
in dieser Welt umschaue, dann sehe ich neben oder sogar in den vielen Situationen,
die diese Welt belasten, Zeichen solcher Hilfe, sehe ich Menschen, die gerade dort
für andere eintreten, die helfen, wo es notwendig ist, die für die Rechte anderer
einstehen und sogar ihr Leben dafür geben. Ja, ich glaube fest daran, dass all dies
Zeichen für das angebrochene Gottesreich sind. Wo Menschen sich in diesem Sinne
einsetzen, da wächst das Reich Gottes. Nicht die Christen allein bauen an diesem
Reich, sondern alle Menschen guten Willens. Vielleicht müsste das dort, wo viele
Christen leben, noch deutlicher erkennbar sein, als es schon ist. Aber Gott sei Dank
hängt das Kommen von Gottes Reich nicht von den Anstrengungen der Menschen
ab. Sie geben ihm schon jetzt Raum im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Sie können
aber gewiss sein: Es kommt, auch wenn menschliche Kräfte versagen!
Zum Nachhören als Podcast
http://www.hr-online.de/website/radio/hr1/index.jsp?rubrik=23808