Somatoforme Schmerzstörungen: Die Rolle des Allgemeinarztes in Abklärung, Differentialdiagnostik, Therapie/Begleitung der Patienten; ein praxisrelevanter Update. Eine Annäherung an „schwierige Patienten“ und an eine beliebte? Diagnose Bio-Psycho-Soziale Diagnostik Aufbau des „Funkkontakts“, Begleitung und Einleitung therapeutischer Möglichkeiten in der AM 1 :: Leben und Gesundheit in guten Händen :: [email protected] 22.04.2012 Epidemiologie der Somatisierungsstörung • Häufigkeit 11-15%, somatoforme Schmerzstörung gefolgt von Somatisierungstörung u. Hypochondrie • Mainzer Studie aus Allgemeinpraxen: 20% der Patienten litten unter einer somatoformen Störung • In Allgemeinkrankenhäusern wird mit einem Anteil von 17-30% gerechnet, in neurolog. Kliniken über 30% • Erhöhtes Erkrankungsrisiko bei Frauen (Verhältnis 5:1), bei der Hypochondrie Männer=Frauen • Gehäuftes Auftreten in unteren sozialen Schichten, nach Trennung oder Scheidung, nach Migration; biographisch gehäuft Verlustereignisse in der Kindheit, körperliche Misshandlung, sexueller Missbrauch • Hohe Krankheitskosten, hohes Berentungsrisiko Das Bundesgesundheitssurvey (GHS-MHS) 12- Monatsprävalenz nach Diagnose (Wittchen et al. 2001) DSM-IV Diagnosen Mill. Erwachsene Phobien 8,5 12,6 11 Somatoforme 7,4 8,3 Depression 5,6 4,5 Dysthymie 3,0 3,7 Alkohol Psychotische Gen. Angstst. 2,6 2,5 1,7 2,5 1,6 2,3 Panikstörungen 1,5 1,3 Bipolare 0,8 0,7 Zwangsstörungen 0,5 0,6 Drogen 1,6 0,2 0,3 Essstörungen 0 2 4 6 8 10 12 14 Prävalenz (%) Epidemiologie chronischer Schmerzerkrankungen • 8-10% der österreichischen Bevölkerung leiden unter behandlungsbedürftigen Schmerzen • Ca. 10% dieser Patienten kann mit herkömmlichen Methoden nicht ausreichend geholfen werden • Damit finden ca. 65000-80000 der Österreicher wegen ihrer Schmerzerkrankung keine ausreichende Hilfe • Woran liegt das? :: Leben und Gesundheit in guten Händen :: Epidemiologie chronischer Schmerzerkrankungen • Die häufigsten chronischen Schmerzsyndrome sind: Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Schulter-ArmSyndrom, Gesichtschmerzen, Fibromyalgie, rheumatische Schmerzen • Bei wie vielen dieser Patienten wird eine somatoforme Schmerzstörungen, eine „psychische Überlagerung“ oder eine psychiatrische Komorbidität diagnostiziert? :: Leben und Gesundheit in guten Händen :: Geschichte einer Krankheit (eines Betriebsschadens?): • 47-jährige Lehrerin, seit 7 Monaten krankgeschrieben wegen häufigen Migräneattacken, Dauerkopfschmerz, Rückenschmerzen, allgemeinem körperlichen Unwohlsein (Erschöpfungsgefühl) • Untersuchungsbefund: Hypertonus (Bluthochdruck), Adipositas (BMI 30,4; 170cm, 87,8kg), Mischkopfschmerz, Schmerzmittelmissbrauch, keine neurologischen Auffälligkeiten, BS-Protrusionen der LWS, ausgeprägte degen. Veränderungen LWS, HWS, keine Nervenwurzelbedrängung, EKG/Labor o.k. • Sie habe in den letzten Monaten 5 verschiedene Ärzte aufgesucht, nehme seit Jahren unterschiedliche Schmerzmittel, starke Beeinträchtigung im Alltag und sozialen Kontakten, Wunsch nach invasiver Therapie wurde nicht entsprochen • In den letzten Wochen viermal im KH wegen Atemnot, Schmerzen in der linken Brust, Schwitzen, Übelkeit, Todesangst. Jeweils ohne path. Befund entlassen. Empfehlung zur stationären Aufnahme bei uns. Problemverhalten bei Somatisierungsstörungen • Intensive Nutzung des Gesundheitssystems • Häufige Arztwechsel • Wiederholte Diagnosebemühungen • Häufige, oft ungeregelte Medikamenteneinnahme • Schon- und Rückzugsverhalten (häufig Frühberentung) • Auswirkungen auf non-verbalen und verbalen Ausdruck • Nicht selten passive, resignative, fordernde Grundhaltung, Arzt-Patient-Interaktion damit häufig erschwert Geschichte einer Beziehungsaufnahme (Arzt-Patientin) • Pat. erscheint sehr aufgeregt, spricht sehr schnell mit etwas zu lauter, etwas zu schriller Stimme. Der Ton ist immer wieder vorwurfsvoll • Sie ist pragmatisch, fast nachlässig gekleidet, eher vernachlässigtes Äußeres. Dieser Eindruck wird durch starkes Schwitzen verstärkt • Sie berichtet ärgerlich und vorwurfsvoll über die „Unfähigkeit“ der bisherigen Behandler, eigentlich gehöre sie nicht in eine psychosomatische Klinik. Sie habe jedoch gehört, dass wir „gut seien in der Behandlung von Schmerzen, hoffe auf physikalische Anwendungen“ • Sie wird nach der Anamneseerhebung aufgeklärt, dass viele ihrer Symptome typisch für Panikstörungen und Depressionen seien und dass dadurch eine Schmerzsymptomatik verstärkt werden könnte. • Darauf reagiert sie sehr ärgerlich und aufgebracht (Sie sei noch nie einem derartig arroganten und präpotenten Arzt begegnet. Dass jemand so voreilige Diagnosen stellt und diese auf solch unsensible Art und Weise kommuniziere sei ihr noch nie untergekommen.) In der Routinediagnostik stehen objektivierbare und verlässliche Verfahren zur Schmerzerkennung nicht zur Verfügung. Diagnostik und Messung des Schmerzes ist daher auschliesslich über das Erleben des Patienten, d.h. Anamneseerhebung und Verhalten möglich (Kröner-Herwig 2007). Aus der Stressforschung ist bekannt, dass Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit die psychische Belastungsreaktion mildert. Das Ertragen auch intensiver Schmerzen wird somit erleichtert. Die ärztliche Reaktion hat natürlich wiederum Einfluss auf das Patientenverhalten. Fast immer wird die Vermutung, der Schmerz sei psychisch verursacht , als eine Bedrohung der eigenen Integrität wahrgenommen (De Good 1983). Anhaltende somatoforme Schmerzstörung (F45.4) • Vorherrschende Beschwerde ist ein andauernder und quälender Schmerz, der durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche Störung nicht vollständig erklärt werden kann • Er tritt in Verbindung mit emotionalen Konflikten auf, die schwerwiegend genug sein sollten, um als entscheidende Einflüsse zu gelten • Folge ist gewöhnlich eine beträchtliche persönliche oder medizinische Betreuung oder Zuwendung :: Leben und Gesundheit in guten Händen :: Geschichte einer Patientin: • Als dritte von 4 Kindern (die älteren Geschwister waren ebenfalls Mädchen) habe sie immer das Gefühl gehabt unerwünscht zu sein, über Leistung habe sie (vergeblich) versucht Anerkennung zu bekommen • Sie habe trotz dreier Kinder ihren Beruf als Lehrerin bis vor 7 Monaten ausgeübt, das elterliche Anwesen übernommen und in Stand gehalten, die Mutter gepflegt, versucht ihren Kindern eine gute Mutter zu sein • Ihr jüngster Sohn habe vor 3 Jahren einen Diabetes entwickelt (auch der Ehemann sei Diabetiker), die ständigen Arztbesuche, die notwendigen Veränderungen beim Einkaufen und Kochen und die nicht immer optimalen BZ-Werte hätten sie teilweise zur Verzweiflung gebracht • Krankheitsbedingt habe sie sich jetzt zurückgenommen, müsse jedoch möglichst schnell wieder funktionieren, daher sei sie auch von den bisherigen ärztlichen Behandlungsversuchen so enttäuscht • „ich habe immer versucht mein Bestes zu geben, jetzt erwarte ich auch, dass sich andere um mich bemühen“ „Man muss schon „einen ganz schönen Sprung in der Schüssel“ “ oder eine katastrophale Biografie haben, um eine Depression, Angststörung, psychosomatische Störung zu entwickeln“? …oder: „jeder kann ein erfolgreicher Psychosomatiker werden, man muss nur bestimmte Verhaltensregeln konsequent einhalten!“ u.förstner Wie kann man die Arbeit eines erfolgreichen Chirurgen stören? Wie kann man sein Seelenleben aus der Balance bringen? „...Depressionen werden häufig überbewertet, aus meiner Erfahrung sind das oft Einbildungen unausgelasteter Hausfrauen. Diese Patienten blockieren unsere Arbeit, häufig sind wir mit der Untersuchung eingebildeter Wehwehchen derart beschäftigt, dass wir wirklich kranke Patienten nicht behandeln können…“ u.foerstner Kopfschmerzen (Kopfdruck, Helmgefühl, Druck über den Augen, Nacken- und Hinterkopfschmerzen Schwindelerscheinungen) Rückenschmerzen Atembeschwerden (Zervikal-Schulter-Syndrom, Kreuzschmerzen, vorwiegend bei Frauen) (Atemkorsett, Lufthunger, Engegefühl Globusgefühl) Herzbeschwerden Somatische Symptome bei Depression (Druck und Stechen in der Herzgegend, Herzjagen, Herzstolpern Gefühl des Zugeschnürtseins in der Brust) Magen- Darm- Beschwerden Unterleibsbeschwerden (Zyklusstörungen, Krampfund Druckschmerzen im kleinen Becken, Bauchschmerzen, Reizblasen) (Appetitmangel, Übelkeit, Würge- und Trockenheitsgefühl im Hals, Sodbrennen, krampf- und druckartige Schmerzen, Verstopfung, Durchfall, Vollegefühl) Medizin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Das Modell der Maschine) 1870:“Die Medizin ist thatsächlich, objectiv geworden. Es ist gleichgiltig, wer am Bett steht, aber er muß verstehen zu untersuchen und zu erkennen. Er tritt vor ein Objekt, welches er ausforscht, ausklopft, aushorcht, ausspäht, und die rechts und links liegenden Familienverhältnisse ändern daran gar nichts: Der Kranke wird zum Gegenstand“ Siegmund Freud (1856 - 1939): Begründer der Psychoanalyse • Opponent des naturwissenschaftlichen Paradigmas • Psychische Erkrankungen werden psychogen verursacht, einige körperliche Erkrankungen werden psychogen verursacht • Kausalmodell: ungelöste Konflikte in den jeweiligen Entwicklungsphasen (oral, anal, ödipal) führen zu psychischen oder körperlichen Erkrankungen • Dem biomechanischen Modell wird ein psychoanalytisches Modell zur Erklärung bestimmter Erkrankungen hinzugefügt :: Leben und Gesundheit in guten Händen :: Reiz-Reaktions-Konzept • Sensorischer Reiz führt zur Schmerzempfindung • Intensität des Reizes korreliert mit Ausmaß der Gewebsschädigung • Umkehrschluss: Gewebsschädigung ist nicht vorhanden oder gering oder hat sich bereits zurückgebildet.- Pat. muss sich die Schmerzen einbilden • Konsequenz: Es wird so lange gesucht bis etwas gefunden wird (Gefahr der iatrogenen Schädigung). Wenn nichts gefunden wird, wird dem Patient mitgeteilt „sie haben nichts“, „ihr Schmerz ist psychisch“ (Wie hoch ist die Begeisterung, wenn Ihnen auf diese Art Bad Aussee empfohlen wird?) Problemverhalten Arzt? „…..kein Patient muss in Zeiten der modernen Medizin mehr unter Schmerzen leiden. Mich wundert, dass diese und jene Untersuchung nicht gemacht wurde“…. (bzw. es wundert mich nicht, dass Kollege XY Ihnen hier nicht helfen konnte) „…..jetzt haben Sie dem Patienten auch noch eine Depression angehängt…..“ „…..ein Wunder, dass sie mit der WS noch nicht im Rollstuhl sitzen…“ „….Sie haben nichts, ihre Probleme müssen psychisch sein…“ oder: Intensivierung invasiver Diagnostik, Pseudodiagnosen (Fibromyalgie, Colon irritabile, abakterielle Prostatitis, Histaminunverträglichkeit etc.) „…. jetzt kommt da schon wieder die M. in die Ordination, ich mag die heute nicht schon wieder sehen, geben Sie Ihr doch dieses Rezept…“ u.förstner Polypragmatische medikamentöse Einstellung • Temesta, Xanor, Xanef • Mirtabene, Efectin, Saroten • Haldol, Risperdal, Seroquel • Neurontin • Diclofenac (600-800mg/d) • Transtec-Pflaster :: Leben und Gesundheit in guten Händen :: Fazit: • Eindimensionales Reiz-Reaktions-Konzept ist beim chronischen Schmerz häufig nicht hilfreich. Duale Ansätze (Auftrennung in Medizin/Psychologie) können den Aufbau des Funkkontaktes erschweren • Kausalattribution (psychogen o. somatisch bedingtes Schmerzsyndrom) ist überholt, bei der Chronifizierung/ Aufrechterhaltung des Schmerzes spielen psychische Faktoren häufig eine wesentliche Rolle • Psychische Störungen werden weiterhin stigmatisiert • Frühzeitige Diagnostik psychosozialer Faktoren in der Anamnese eines chronischen Schmerzsyndroms ist selten (Psychoedukation?) • Es gibt auch ärztliches Problemverhalten Schmerzdefinition der IASP: „Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- oder Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potentieller Gewebsschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird.“ Schmerz hat eine sensorische und emotionale Qualität Schmerz ist ein körperlich wahrgenommenes Phänomen Schmerz kann ohne Gewebsschädigung auftreten Was fehlt?: Unterscheidung von akutem und chronischem Schmerz Schmerz wird einseitig als Erleben gekennzeichnet, das Schmerzverhalten wird außer Acht gelassen :: Leben und Gesundheit in guten Händen :: Unterscheidungsmerkmale akuter und chronischer Schmerzen • Akut • Chronisch • Unbekannte oder vielschichtige (chron. • Bekannte ggf. therapierbare Ursache (Verletzung, Entzündung) Rückenschmerz) bzw. nicht therapierbare Ursache (Aufrechterhaltung?) • Keine Warnfunktion • Warnfunktion • Abbau schmerzunterstützender Faktoren • Intervention: Schonung, (z.B. Auslöserkontrolle), Veränderung Behandlung der Ursachen, der katastrophisierenden Verarbeitung, analgetische Behandlung Abbau von Bewegungsangst • Schmerzlinderung, veränderter Umgang • Behandlungsziel: Schmerzfreiheit mit Schmerz, Minderung der Beeinträchtigung • Psychologische Komponente: • Resignation, Hoffnungslosigkeit, Hoffnung auf Erfolg der Beh. Hilflosigkeit Kontrollüberzeugung Themenschwerpunkte der Anamnese • Aktuelle Beschwerden • Beginn und zeitlicher Verlauf der Beschwerden • Entwicklung und Ausmaß der Chronifizierung • Einflussfaktoren und Bedingungen • Sonstige Beschwerden und psychische Symptome • Aktuelle Lebenssituation und Familienanamnese • Beeinträchtigungen (Alltag, Arbeit, soziale Kontakte) Erfassung aktueller Beschwerden (DGSS-Fragebogen) • Schmerzlokalisation: aktuelle Beschwerden, Hauptbeschwerden, Schmerzareale, „Schmerzmännchen“ • Schmerzqualität: Unterscheidung der sensorischen (stechend, pochend, brennend), affektiv/emotionalen (grausam, bestrafend, brutal, zermürbend), evaluativen (unerträglich, stark) Dimension (Melzack 1975) • Schmerzintensität, -häufigkeit, -dauer: Schmerztagebuch, Schmerzempfindungsskala, visuelle Analogskala (VAS), numerische Ratingsskala (NRS), Generalisierung? Entwicklung und Grad der Chronifizierung (DGSS/Mainzer Stadieneinteilung der Chronifizierung Frettlöh et al 2003) • Beginn • Erstmalige ärztliche Behandlung • Zunahme der Schmerzsymptomatik, Intensivierung ärztlicher Behandlung • Operationen (durch wen veranlasst, mit welchem Erfolg?) • Arztwechsel (auf wessen Initiative?) • Medikamentenanamnese (Einstellung, Einnahmepraxis?) • Arbeitsunfähigkeitszeiten, Sozialmedizinische Verfahren (auf wessen Initiative, Resultat, Auswirkungen auf die Lebenssituation?) • Psychische Beeinträchtigungen • Ursachenzuschreibungen Einflussfaktoren (Schmerztagebuch, Aktivitätenliste) • Verstärkungs- und Linderungsfaktoren (Exploration von Leistungs- und Stressverhalten) • Einfluss von Ablenkung, Urlaub, Ortswechsel etc. • Schmerzverhalten („Ignorierer und Durchhalter“ oder „Vermeider“?) evtl. zirkuläres Fragen z.B. „Wenn ich Ihren Mann fragen würde, woran würde er sehen, dass sie gerade starke Schmerzen haben, was würde er Ihnen raten?“ • Reaktion von Angehörigen Veränderung der Aufgabenzuteilung, Auswirkungen auf Selbstwertgefühl oder Tagesstruktur, Möglichkeiten um Hilfe zu bitten, „sekundärer Krankheitsgewinn“? • Medikamente • Beeinträchtigungen (Alltag, Beruf, soziale Kontakte) Weitere Beschwerden, Psychische Symptome • Aktuelle oder frühere körperliche Beschwerden (z.B. Herzbeschwerden, Magenbeschwerden, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse und deren Präsentation) • Operationen (Indikation, Häufigkeit, emotionale Verarbeitung der Beschwerden und Operationen) • Ableitung von Risikofaktoren (erhöhte Selbstbeobachtung/ängstliche Vermeidung, Schonung oder Nichtbeachtung von Stressreaktionen: „hart gegen sich selbst sein, keine Schwächen zeigen“) • Psychische Symptome/ Reaktionen (Schlafstörungen, Nervosität, Antriebslosigkeit, Anhedonie, Angstsymptome, Intrusionen/ Alpträume/ massive vegetative Symptome als Hinweis für PTBS) • Schmerzverarbeitung/Schmerzbewältigung (Hilflosigkeit/Angst/ Depression, internale/externale/katastrophisierende Bewältigung) Auch gut gemeinte Hausrezepte helfen nicht in jeder Lebenssituation „ Wenn ich mich schlecht fühle, putze ich die Fenster oder wische den Boden – das hat mir schon meine Großmutter geraten“ - Sophia Loren (geb. 20.9.1934), - Hamburger Abendblatt 1989 Bio-Psycho-Soziales Modell • Kenntnisse über Entstehung, Verlauf und Behandlung von Migräne • Abgrenzung zum Spannungs-/medik. induzierten Kopfschmerz • Kenntnisse über Entstehung, Chronifizierung und Behandlung von Rückenschmerzen, Bewertung bildgebender Befunde, Bewertung der bisherigen Behandlungsversuche • Neurobiologischen Faktoren in der Chronifizierung von Schmerzen: Abgrenzung nozizeptiver/neuropathischer Schmerz – Intensität des Schmerzes hängt von Ausmaß der Schädigung, aber auch anderen Faktoren (Destabilisierung afferenter Bahnen, Schmerzgedächtnis, Einfluss hemmender Nervenbahnen, zentraler Verarbeitung) ab • (sehr gute Erklärungen über die Chronifizierungsvorgänge beim Schmerz und daraus resultierende Behandlungsmöglichkeiten im Film von B. Kröner-Herwig, www.medien.uni-goettingen.de „Chron. Schmerz, die Chancen psychologischer Therapie“) Psychosoziale Einflussfaktoren • Vernachlässigung, Misshandlung, sexueller Missbrauch • Familiäre Modelle • Interpersonale Auswirkungen, iatrogene Einflussfaktoren • Kulturelle Faktoren, Migration • Geschlecht, Arbeitsbedingungen, Arbeitszufriedenheit • Finanzielle Sicherheit, Arbeitsplatzsicherheit Psychosoziale Einflussfaktoren • Aufmerksamkeit vs. Ablenkung • Angst/ Depression • Sekundärer Gewinn, Verstärkung von Verhaltensweisen • Subj. Krankheitsmodell, Bewältigungsmechanismen (internal, external-personenbezogen, ext.-fatalistisch) • Kognitiv- Emotionale Prozesse psychologische Faktoren bei Migräne • Migränepersönlichkeit? • Komorbiditäten (Angststörungen, Depressionen) • Diathese-Stress-Modell (kognitiver Umgang mit Stress) • Modell der Reizverarbeitungsstörung z.B. Analog zu Verhaltensauffälligkeiten von Kindern mit Migräne (Schlafstörungen, Hyperaktivität, Nervosität, Angst vor Versagen, Frustrationsintoleranz, Anfälligkeit für Stress) • Biographisch gewachsenes Wertesystem mit Überbetonung von maximaler Leistung, hoher Verantwortlichkeit, Altruismus, Allen gerecht werden • Psychologische Folgen der Störung (Unvorhersehbarkeit der Attacken und Einschränkung von Aktivitäten) Psychologische Migränetherapie • Entspannungsverfahren (PMR, Imaginative Verfahren, hypnotherapeutische Ansätze) • Biofeedback (z.B. Vasokonstriktionstraining) • Verbesserung der Stressbewältigung • Beeinflussung der ungünstigen Reizverarbeitung • Beispiel für psychologisches Stufenmodell: • Stufe 1: Sport und Entspannung • Stufe 2: Analyse der Auslöser, Harmonisierung des Alltags • Stufe 3: Ausgewogene Kräfteökonomie • Stufe 4: Modifikation des Wertesystems :: Leben und Gesundheit in guten Händen :: Layard: Die glückliche Gesellschaft, 2005 Medikamentöse Migränebehandlung • ASS, Paracetamol, Ibuprofen gelten als nichtopioide Schmerzmittel erster Wahl bei der Migräne (alternativ Diclofenac, Metamizol). Bei gutem Erfolg sind diese Medikamente den Triptanen vorzuziehen • Triptane gelten als Substanzen mit bester Wirksamkeit bei Migräne, sie wirken über den Serotoninstoffwechsel • Bei Akutmedikation sind häufig Antiemetika notwendig • Maximale Einnahme an 10 (-12) Tagen monatlich • Prophylaxe mit Betablockern, Kalziumantagonisten (1. Wahl) oder Antiepileptika (Valproat, Topiramat) sowie anderen Medikamenten (2. Wahl) :: Leben und Gesundheit in guten Händen :: Grundprinzipien bei pharmakologischer Therapie • Transparenz über Stellenwert dieser Medikation im Gesamtbehandlungsplan, zu erwartende Wirkung und Nebenwirkungen • Klare Zieldefinition, zeitliche Festlegung der Erfolgskontrolle • Einsatz im Rahmen einer stabilen Arzt-Patienten-Beziehung mit Kenntnis der Einstellung des Pat. bzgl. medikamentöser Behandlung, etwaiger Missbrauchstendenzen, zu erwartender Compliance • Durchführung der medikamtösen Behandlung sollte in den Händen eines Arztes liegen, polypragmatische Behandlungsansätze nach Möglichkeit vermeiden • Bei bestehender Psychotherapie Information des Psychotherapeuten über Ziele, etwaige Nebenwirkungen und Durchführung der Pharmakotherapie • „Chronic-pain patients must cope with chronic lack of physican understanding“ (Goldman 1991) Patienten mit chronischen Schmerzen müssen chronisches Unverständnis der Ärzte bewältigen • Schulung der Hausärzte (z.B. psychosomatische Grundversorgung) führte zu einer Reduktion der Inanspruchnahme, einer Reduktion der subjektiven Belastung der Ärzte durch Patienten mit somatoformen Schmerzstörungen, nicht jedoch zu einer Verbesserung des subjektiven Zustands der Pat. • „Somatische Fixierung“ entsteht häufig aus missverständlichen, falschen oder fehlenden Informationen, Diagnosen oder Empfehlungen • Viele der ausgesprochenen Empfehlungen (Anamnese, Therapie) können in einer interdisziplinären Schmerzambulanz leichter eingesetzt werden, als in der hausärztlichen Praxis. Trotzdem kann die Berücksichtigung einiger basics im Umgang mit chronischen Schmerzpat. die Interaktion erleichtern, die Motivation für verhaltensmedizinische oder psychotherapeutische Ansätze verbessern Nicht alle Patienten reagieren gleichermaßen auf ärztliche, psychologische oder psychotherapeutische Interventionen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Ulrich Förstner Was erwartet unsere Patienten? • Einzeltherapie in deutscher, serbokroatischer Sprache (2 Stunden/ Woche) • Gesprächsgruppe (4 Stunden/ Woche) • Kreativtherapien z. B. Gestaltungstherapie, Musiktherapie, Atemtherapie, Tanztherapie (4 Stunden/ Woche) • Rückenschulung, Physiotherapie, physikalische Therapie, Sport- u. Bewegungsgruppen (könnte bei besserem Budget mehr sein!) • Symptommanagement, Aktivitätenaufbau, Tagesstrukturierung (PP) • Störungsspezifische Projektgruppen (z.B. Angstbewältigung, Probleme bei Migration, soziale Kompetenz, Emotionswahrnehmung und –steuerung, Achtsamkeit, Psychoedukation Depression, Schmerzbewältigung, spezielle Gruppen für Pat. mit Essstörungen) • Therapeutisches Milieu zur Aktivierung interpersoneller Kontakte und Ressourcen • Es gibt bessere Kurkliniken! (Wellness, Massagen, Schwimmbäder und Einzelphysiotherapie) Schwerpunkt liegt auf psychologischer Behandlung und Hilfe zur Akzeptanz und Selbsthilfe Kleine Geschichte der Migräne • Seit über 5000 Jahren bekannt • Kopfaufbohren, Aderlass, Blutegel, Stromschl. des Zitterrochens, Cocasaft u.a. Therapien • Griechen sahen Migräne als psychosomatische Erkrankung und schickten Pat. an die See • Bild: „Dame nimmt sich ihre Migräne“ (19.Jhdt.) • 20er Jahre mit Ergotamin erstes wirkames Med. • Migräne als sicher psychosom.Erkrankung („typ. Migränicus“ mit unterdrückter Feindseligkeit) • Seit 90er Jahre mit Triptanen erste Med.- klasse die direkt in Schmerzmechanismus eingreift • Trotz Leitlinien fehlt einheitliches. :: Leben und Gesundheit in guten Händen ::Beh.-konzept Pathomechanismus der Migräne • trotz vieler Einzelbefunde in seiner Komplexität nicht verstanden (multifaktorielles Geschehen?) • Schmerzphase: vasodilatative Reaktion mit schmerzhaften Gewebeveränderungen und – entzündungen • Genetische Fakt.(Ionenkanäle, Serotoninfreisetzung im Hirnstamm, neurogene Entzündung) • Migränegenerator bewirkt Erniedrigung der Schmerzschwelle u. Änderung im kortikalen Blutfluss • Modell der cortical spreading depression • Modell der kortikalen Hyperaktivität :: Leben und Gesundheit in guten Händen ::
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