POWERFRAUEN lia M aiello Metropole mit Gemütsschwankungen NEW YORK. Viele der achteinhalb Millionen Einwohner New Yorks entwickeln, je nach Anzahl der dort verbrachten Lebensjahre, eine Hassliebe zur unsteten Metropole. Mal aufgedonnerte, kapriziöse Geliebte, mal Herr im Nadelstreifenanzug, mal brütende Hitze, mal orkanartiger Wirbelsturm, heiß und kalt, schwarz und weiß, mit sehr wenigen Grautönen. Das ist New York. Keine andere - westliche - Metropole vermittelt eine derartige Lust am Leben, bei gleichzeitigem Risiko. Ein Risiko, das jeder selbst auf sich nimmt und mit sich selbst verhandeln muss, immer aufs Neue, denn Sicherheiten oder Konstanten gibt es wenige. Eine Stadt der Spieler, der Risikobesessenen, der Sich-stetig-Verändernden, der globalen Trendsetter und derjenigen, die glauben, dass „Bigger“ auch „Better“ ist. Und immer häufiger auch der Milliardäre, denn die Lebenshaltungskosten in New York City steigen stetig und locken heimisches aber auch internationales, oftmals entbehrliches, Kapital. Im Augenblick leben 53 der reichsten US-Amerikaner in New York City, mit einem durchschnittlichen Reinvermögen von 5,27 Milliarden Euro. Prominente Namen wie der ehemalige Bürgermeister Michael Bloomberg, Medien Mogul Rupert Murdoch und Hotelier Donald Trump zählen zur Gruppe der reich begüterten New Yorker. Während seiner Amtszeit implementierte Bloomberg eine Reihe von Gesetzen, die es der internationalen Klientel der Superreichen erleichterte, in New York City´s heiß umkämpftem und selbstredend prestigeträchtigen Immobilienmarkt Fuß zu fassen. Wie kein Zweiter repräsentiert er die „Hypergentrifizierung“, die New York City in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren heimgesucht hat. Mittels strategisch geplanter Bauordnungsbestimmungsänderungen en masse, Enteignungen, und Milliarden in Steuervergünstigungen für heimische und internationale Großkonzerne kreierte er eine Spielwiese für globale Finanzinteressen, die New York City an die Spitze der Weltmetropolen torpedieren soll. Auf vielen Ebenen. Bloomberg träumte von einer sicheren, wohlhabenden und gebildeten Metropole, führend in Immobilienpreisen, Mode, Investionen, Wissenschaft und Gesundheit. Und das, was sich der gute Mann so unter Kultur vorstellt. Und das ist leider nicht viel mehr als die mittlerweile recht kostspieligen und massenkompatiblen Broadway Musical, die pres- tigeträchtige und ebenfalls kostspielige Metropolitan Opera, Taylor Swift im Madison Square Garden und eine Reihe von exklusiven Kunstgalerien, in denen ein Damien Hirst für viele eine weitere Investitionsmöglichkeit darstellt, nicht aber künstlerische Inspiration verspricht. 1998 beispielsweise sah ich das Rockmusical „Hedwig and The Angry Inch“, für 15 Euro in einem der vielen Off-Off-Broadway Theater. Diese berühmten, kleinen, meistens etwas muffig riechenden Theater, waren weit entfernt vom kommerziellen Browadway und stolz darauf der künstlerischen Freiheit keine Grenzen zu setzen. Im Augenblick feiert Hedwig am Broadway Erfolge und eine Eintrittskarte, die dem Zuschauer eine ausreichend gute Sicht ermöglicht, kostet ungefähr 280 Euro. Wie alles im Leben, so haben auch diese neuen Entwicklungen New Yorks ihre zwei Seiten und wie sich New Yorker dabei fühlen, hängt überwiegend davon ab, wo sie sich auf der Karriere-, Einkommens-, und damit Sozialleiter befinden. Am Ende des Zweiten Weltkrieges stellten Handwerker, Arbeiter und Meister ungefähr 41 Prozent der New Yorker Erwerbsbevölkerung. Heute können sich die sogenannten „Blue Collar“ (Blaue Krägen), oftmals Einwanderer sowohl legal als auch illegal, die Mieten in Manhattan schon lange nicht mehr leisten. Sie ziehen vermehrt in die entlegeneren Stadtteile wie Queens, Brooklyn oder sogar in den Nachbarbundesstaat New Jersey. POWERFRAUEN FOTOGRAFIN DES MONATS Man nennt sie die „Schlafzimmer-Gemeinden“, da die Anfahrtswege nach Manhattan meistens so lang sind, dass sich ihre Einwohner nach langen Arbeitstagen in ihren Stadtteilen lediglich zum Schlafen legen, am Leben im Kiez aber nicht unbedingt teilnehmen können. Eine vierköpfige Familie kommt in Manhattan mit einem Jahreseinkommen von ungefähr 90.000 Euro so gerade über die Runden und den Großteil dieser Summe wird diese Familie in die Miete investieren müssen. Die Durchschnittsmiete für eine Zweizimmerwohnung in Manhattan betrug im November 2014, 5300 Euro im Monat. Demgemäß hat sich auch die Sozialstruktur der Einwohnerschaft in Manhattan dramatisch verändert. Statt Blue Collar nunmehr White Collar. Die Anwälte, Investmentbanker oder Erben können die Kosten tragen und nicht nur das, sie sind auf die Blue Collars angewiesen, denn die sind hauptsächlich in der Serviceindustrie beschäftigt. Um das noch einmal in Relation zu setzen: Ein Investmentbanker in Manhattan verdiente 2006 ungefähr 700.000 Euro im Jahr. Diese Zahlen dürfte sich mittlerweile, trotz Finanzkrise und daraus resultierender, kurzzeitiger moralischer Bedenken an der Wall Street nach oben hin korrigiert haben. Sichtbar sind diese dramatischen Veränderungen natürlich auch. Einst eine Oase der Familienunternehmen, Tante-Emma-Läden und Nachbarschaftskneipen sind diese mittlerweile weitestegehend amerikanischen und internationalen Ketten gewichen. Allerorts entstehen gigantische Wohntürme mit selbstredend gigantischen Mietpreisen. Mit dem Verschwinden dieser organisch gewachsenen und oftmals auch durch die verschiedenen Einwanderergruppen stark kulturell geprägten Stadtteile geht nicht nur das Lokalkolorit, sondern auch das authentische und weltweit beliebte New York Flair des Gesamtbildes der Stadt verloren. Es weicht einer austauschbaren, faden Globalästhetik, die schon bald sowohl in New York als auch in London oder Dubai zu finden sein wird. Natürlich wäre es vollkommen untypisch für einen New Yorker, einen Artikel wie diesen mit einer derart betrüblichen Sicht auf die Dinge zu beschließen. Denn wie eingangs bereits erwähnt, die Stadt J acqueline der Sich-stetig-Verändernden hält, trotz massiver Anforderungen finanzieller und mentaler Natur, auch immer gleichzeitig neue Möglichkeiten und Lösungen für diejenigen bereit, die verrückt genug sind zu bleiben und auszuprobieren. Unsere Autorin Lia Petridis Maiello lebt seit nunmehr zehn Jahren im Großraum New York, denn auch die meisten Journalisten können sich Manhattan nicht mehr unbedingt leisten, und arbeitet im Augenblick als freie Journalistin und TV Produzentin. K irsch „Neues altes Fotogefühl“ LAUPHEIM. Fotografie ist Kunst. Sicher, einfach auf den Auslöser drücken, das kann jeder. Doch ein gewisses Gespür für das richtige Motiv muss man schon mitbringen. Unsere Fotografin des Monats, Petra Gertitschke aus Laupheim, hat zweifelsohne ein Gespür für das Schöne und Besondere. Gepackt hat sie das Foto-Fieber bereits im Jahr 2002, mit dem Kauf einer digitalen Kompaktkamera. Schnell wurde diese durch eine Spiegelreflexkamera ersetzt, mit der die Hobbyfotografin die unterschiedlichsten Motive einfängt und diese auch gerne am Rechner bearbeitet. Dabei legt sie sich ungern fest, was sie am liebsten vor der Linse hat, besonders gern geht sie jedoch mit ihrem Makroobjektiv oder mit sogenannten „Altgläsern“ auf Fotopirsch. Altgläser sind alte Objektive aus frühen analogen Zeiten, die mittels Adapter an einer modernen DSLR-Kamera benutzt werden können. „Diese alten Objektive vermitteln ein ‚neues altes‘ Fotogefühl und produzieren Bilder mit besonderem Reiz“, so die gebürtige Niedersachsenerin. Ein gutes Foto sollte ihrer Meinung nach eine Emotion auslösen, zum Beispiel Freude, Nachdenklichkeit oder Fernweh. In Laupheim ist sie seit vielen Jahren wohnhaft und auch aktives Mitglied im Fotokreis ( www.laupheimer-fotokreis.de). Für Petra Gertitschke steht immer das Vergnügen beziehungsweise der entspannte Umgang mit der Kamera im Vordergrund. „Und wenn gelegentlich mal ein richtig gutes Foto dabei ist, freut’s mich um so mehr“, so die Powerfrau am Auslöser. Petra Gertitschkes eindrucksvolle Bilder finden Sie in unserer Online-Galerie auf www.blix.info. 67 POWERFRAUEN BERLINALE adrian kutter Berlinale der starken Frauen BERLIN. Ungewöhnlich viele Filme mit Frauen vor oder hinter der Kamera zeichneten die diesjährigen 65. Internationalen Berliner Filmfestspiele (5. bis 15. Februar 2015) aus. Um es zahlenmäßig genau zu sagen: Bei 19 Filmen in Konkurrenz des Wettbewerbes führten vier Frauen Regie und in acht Filmen waren außergewöhnliche Frauengestalten im Mittelpunkt des Geschehens. Das gab es noch nie, wenn ich auf meine Berlinale-Besuche bis in die 1970er Jahre zurückblicke. Der Wettbewerb der Berliner Filmfestspiele wurde am 5. Februar mit der spanisch/französischen Co-Produktion „Nobody wants the night“ eröffnet. Regie führt die Spaniern Isabel Coixet, keine Unbekannte in Berlin, zumal sie schon mit mehreren Filmen hier vertreten war und 2009 sogar Mitglied der Bären-Jury sein durfte. Man schreibt das Jahr 1908. Josephine, die selbstbewusste, etwas naive Ehefrau des berühmten Arktis-Forschers Peary, startet gegen alle Warnungen eine gefährliche Expedition. Sie will der Polarlandschaft und die Polarstürme wirken gewaltig, aber alles lässt den Beschauer doch im wahrsten Sinne des Wortes kalt. Meiner Meinung nach versagte hier ein wenig glaubhaftes Drehbuch und Juliette Binoche war für diese Rolle mehr eine Fehlbesetzung. „45 Jahre“ ist der Titel eines britischen Films von Regisseur Andrew Haigh mit Charlotte Rampling und Tom Courtenay in den Hauptrollen als Ehepaar. Kate steckt in den Vorbereitungen zu Nadie quiere la noche/Nobody Wants the Night, mit Juliette Binoche, © Leandro Betancor ihren Mann treffen, der eine Route zum Nordpol sucht. Unter großen menschlichen Verlusten gelingt es ihrer Expedition bis zu Pearys Basislager vorzudringen, wo sie zur Überwinterung gezwungen wird. Das hört sich sehr spannend an und mit einer Hauptdarstellerin wie Juliette Binoche sollte man meinen, dass dies zu einem Frauenfilm der besonderen Güte gereicht hätte. Aber auf seltsame Weise nimmt man „La Binoche“ die Verkörperung dieser Frau nicht ab. Weder die Strapazen zeichnen sich glaubhaft auf ihrem Gesicht ab, noch versteht man ihren Zwang, „nur aus Liebe“ zu ihrem Mann alle Opfer auf sich zu nehmen. Einen Mann, den sie in den Jahren ihrer Ehe nur wenige Male zu sehen bekam, da er immer auf Reisen unterwegs war. Die Kamera zauberte zwar grandiose Bilder 70 ihrem 45. Hochzeitstag, der mit vielen Freunden im Gemeindesaal gefeiert werden soll. Gleichzeitig wird ihr Mann Geoff mit einer überraschenden Nachricht in seine Jugend zurück versetzt. Vor 50 Jahren verunglückte seine damalige Freundin bei einer gemeinsamen Wanderung in den Schweizer Alpen tödlich. Jetzt erst ist ihr Leichnam gefunden worden, eingefroren im Eis. Kate und Geoff scheinen geschockt. Er zieht sich immer mehr in seine Vergangenheit zurück, während Kate ihre aufkommende Angst und Eifersucht zu unterdrücken versucht. Auf ihre Fragen, warum er über dieses Ereignis mit ihr nie gesprochen hat, weicht er aus. Dann findet sie Bilder und Briefe in seinen Unterlagen. Sicher, das war vor ihrer Zeit, aber war sie vielleicht doch nur der Ersatz für seine verlorene große Jugendliebe gewesen? Das mit hervorragenden Dialogen ausgestattete Drehbuch schildert den Film weitgehend aus der Wahrnehmungsperspektive von Kate. Charlotte Rampling und Tom Courtenay erhielten beide verdientermaßen „Silberne Bären“ als beste Darsteller dieser Berlinale. Doch muss man uneingeschränkt zugeben, dass Charlotte Rampling in erster Linie diesen sensiblen Frauenfilm trägt. „Journal d’une femme de chambre“. Octave Mirbeaus Roman-Klassiker „Tagebuch einer Kammerzofe” jetzt in seiner dritten Verfilmung. Der große französische Regisseur Jean Renoir wagte sich 1946 erstmals an den Stoff, dem der nicht weniger berühmte Luis Bunuel 1964 folgen sollte. Da muss man sich schon die Frage stellen, warum nach zwei nachweislich in die Filmgeschichte eingegangenen Verfilmungen der Franzose Benoit Jacquot noch eine dritte draufsetzen musste. Inhaltlich bleibt der spöttische Blick auf die dekadente Bourgeoisie und die Reflexion der Macht der scheinbar Machtlosen und die Ohnmacht der vermeintlich Mächtigen. In der Besetzung der Hauptrolle durch die Französin Léa Seydoux setzt Jacquot aber einen wichtigen neuen Akzent: Die Kammerzofe Celestine ist sich sehr wohl bewusst, dass sie nicht nur als Servicekraft zur Welt gekommen ist. Sie weiß zu jeder Zeit ihre Beschäftigungsverhältnisse zu ihrer Bedingung auszuschöpfen und auch zu beenden. Léa Seydoux Gesicht strahlt dieses Selbstbewusstsein auf überzeugende Weise aus. „Body“. Malgorzata Szumowska wurde 1973 in Krakau geboren und ist Absolventin der legendären polnischen Filmhochschule in Lodz. Ihre außergewöhnlichen Filme brachten ihr Einladungen auf internationale Filmfestivals. Mit „Body“ legt sie nun ein Werk vor, das in seinem künstlerischen Reichtum und seiner Experimentierfreudigkeit der großen Tradition des polnischen Kinos gerecht wird. Die Protagonistin der Geschichte ist die magersüchtige Olga, die noch immer ihrer verstorbenen Mutter nachtrauert. Damit ist der Untersuchungsrichter Janusz, den so leicht nichts erschüttern kann, hilflos überfordert. Aus Sorge, seine Tochter könne sich umbringen, lässt er sie in eine Klinik einweisen, in der die Psychologin Anna ihren Dienst versieht. Diese hat vor Jahren ihr Baby durch plötzlichen Kindstod verloren und beschwört Geister, die aus dem Jenseits zu den Lebenden sprechen… Mit Elementen der schwarzen Komödie erzählt Szumowskas Film von den Schwierigkeiten, den Verlust geliebter Menschen zu verarbeiten. Die beiden Frauen in den tragenden Rollen sind fesselnd überzeugend in ihrer Darstellungskunst. „Ixcanul“. Der Debütfilm von Regisseur Jayro Bustamente ist der erste Film überhaupt, welcher in Guatemala gedreht wurde. Bustamente wuchs in Guatemala auf und kehrte nach Fortsetzung auf Seite 72 POWERFRAUEN BERLINALE B ü R G E R S T ü B L E R E I C H E N B AC H Mit Leidenschaft und Freude REICHENBACH. Das Bürgerstüble in Reichenbach wächst und gedeiht seit Jahren mit Frauenpower! Die Wirtin Sabine Rapp und ihr Mann Thomas haben im Sommer 2012 als langjährige Mitarbeiter von Caroline Egersdörfer das Bürgerstüble übernommen. Sabine Rapp (Foto) hat vor 28 Jahren im Schwarzwald eine Ausbildung zur Hotelfachfrau absolviert. Seit dieser Zeit war für sie klar, dass der Schwerpunkt der Gastronomie für sie im Service liegt. Deshalb nutzt sie beim Umgang mit ihren Gästen all ihre Erfahrung und Freundlichkeit. Aber was wäre eine Powerfrau ohne einen „Powerpartner“? Ihr Mann Thomas, gelernter Koch und Chef für‘s gute Essen, leitet schon seit über zehn Jahren die Küche im Bürgerstüble und verleiht seither der gemütlichen Gaststätte ihren kulinarischen Ruf. www.bürgerstüble-reichenbach.de 71 POWERFRAUEN BERLINALE seiner filmischen Ausbildung dorthin zurück. Er veranstaltete Workshops, ließ sich Geschichten aus ihrem Leben erzählen und schaute sich die heutigen Lebensbedingungen der Maya aus nächster Nähe an. Dabei lernte er auch den besonderen Umgang der Frauen mit den Ritualen ihrer Mütter kennen, verwurzelt in den uralten Traditionen der Mayas. So wirkt der daraus entstandene Spielfilm, ausschließlich mit Laien besetzt, nahezu dokumentarisch echt. Maria, eine 17-jährige Maya-Frau, lebt mit ihren Eltern auf einer Kaffeeplantage am Fuße eines Vulkans. Sie soll mit dem Vorarbeiter der Farm verheiratet werden. Doch das Mädchen sehnt sich danach, die Welt jenseits des Vulkan-Berges kennenzulernen, von der sie keine Vorstellung hat. Deshalb verführt sie einen Kaffeepflücker, der in die USA fliehen möchte. Dieser lässt sie schwanger zurück und Maria wird ihre eigene Welt und vor allem die Kultur der Mayas noch einmal neu entdecken müssen. Als Maria zu einer Notgeburt in die Klinik kommt, wird ihr Kind für tot erklärt. In Wirklichkeit unterzeichnet die Mutter, wie auch Maria nur der Mayaund nicht der spanischen Sprache mächtig, unwissentlich ein Dokument zur Freigabe des Kindes zur Adoption. Eine berührende Geschichte, von zwei starken Frauen ohne Schauspielausbildung glaubhaft in Szene gebracht. Der verdiente Lohn waren stehende Ovationen des Publikums, als die beiden nach der Vorführung des Films auf der Bühne standen. „Queen of the Desert“. Dies ist die wahre Geschichte der 1868 geborenen Engländerin Gertrude Bell, die als Historikerin, Schriftstellerin und Angehörige des britischen Geheimdienstes entscheidend an der Weichenstellung für die politische Neuordnung des Nahen Ostens um 1920 beteiligt war. Als gebildete junge Frau unternimmt sie eine Reise nach Teheran. Nach einer tragischen Liebe zum Diplomaten Henry Cadogan an der dortigen britischen Botschaft, entschließt sie sich als Forschungsreisende die Region zu erkunden, gegen die Ratschläge englischer Diplomaten und Militärs und den Hinweisen, dass diese Expeditionen selbst Männer nicht wagen würden. Vor dem Hintergrund des zusammenbrechenden Osmanischen Reiches lernt sie die verschiedenen Sprachen, begegnet muslimischen Würdenträgern und gewinnt mit Mut und Respekt deren Vertrauen. Prädestiniert als Vermittlerin zwischen dem Orient und dem British Empire aufzutreten, ist sie nach dem ersten Weltkrieg an den Grenzverhandlungen in der Region beteiligt. Es war die große Überraschung der diesjährigen Berlinale: Werner Herzog, einer der berühmtesten Autorenfilmer der deutschen Kinogeschichte der 1970er und 1980er Jahre und manifestierter Autor von Männergeschichten, verfilmt die Geschichte einer berühmten Frau der Weltgeschichte. Und dann auch noch eine tragische Liebesgeschichte. Schon war sich die Presse einig: Schmonzette war ein liebevolles Attribut in den Filmkritiken. Aber: Nicole Kidman ist eine hinreißende Besetzung der Gertrude Bell, deren Auftritt in der Männerwelt sie bravourös schauspielerisch umzusetzen vermag. Dazu grandiose Bilder des Orients und der Wüsten und ein sehr eingängiger Music-Score. 72 gezeigt bekommen“, war die Devise von Regisseur Sebastian Schipper und „eine Geschichte verfilmen, die vollkommen autark ist, ob ich zugucke oder nicht“. Als Erzählmittel hat er den sagenumwobenen „One Take“ gewählt, den in einer Einstellung gedrehten Film. Dies erforderte die präzise Vorbereitung der einzelnen Szenen und ihrer Handlungsorte, das nahezu freie Spiel auch der Dialoge durch die Schauspieler bei vorgegebenem Drehbuch und vor allem eine gigantische sportive Leistung des Kameramannes, der ohne Pause und ohne „Cut“ den 140 Minuten langen Film teilweise im Sprint drehen musste. Die Leistung von Kameramann Sturla Brandth Grovlen wurde mit dem „Silbernen Bären“ belohnt und Sebastian Schipper erhielt für seinen einzigartigen filmischen Kraftakt den Preis der Leserjury der Berliner Morgenpost und den Preis der Jury der „Gilde deutscher Filmkunsttheater“ für den besten Film im Wettbewerb. Queen of the Desert, USA 2015, Regie: Werner Herzog, mit Nicole Kidman, © 2013 QOTD Film Investment Ltd. All Rights Reserved „Virgine Giurata“. Auch die 37-jährige Italienerin Laura Bispuri schaffte es mit ihrem Debütspielfilm in den Wettbewerb der Berlinale. Das Waisenmädchen Hana wächst bei bettelarmen Menschen in den nordalbanischen Bergen auf, in einer unwirklichen, verschneiten Gegend, in der noch der Kamun gilt, ein uraltes patriarchalisches Rechtssystem. Die Frau ist ein Sack, der zum Tragen bestimmt ist, heißt es darin. In der Tat schleppen die Frauen aus dem Dorf schwere Lasten und Hana wird beinahe gelyncht, als sie Männerdinge tut. Bis sie selber zum Mann wird, im Kreis der Männer ewige Jungfrauenschaft schwört und sich das Haar abschneiden lässt. Das immerhin erlaubt der Kanun. Hana heißt jetzt Mark. Zehn Jahre später und nach dem Tod der Eltern verlässt er/sie das Dorf und reist zur Schwester Lila, die sich dem Kanun ebenfalls nicht gebeugt hat und mit Mann und Tochter in Mailand lebt. Hana entdeckt nun ihre Geschlechtlichkeit neu und muss mit der schonungslosen Offenheit einer modernen Konsumwelt fertig werden. Großartig in Mimik und sparsamer Sprache ist Alba Rohrwacher als Hana in diesem spannenden Film, der den Zuschauer auch in ein Wechselbad der Gefühle führt. „Victoria“. Seit drei Monaten ist die junge Spanierin Victoria aus Madrid in Berlin und jobbt dort in einem Café. Nach selbstverlorenem Abtanzen in einem Szene-Lokal trifft sie die vier Berliner Jungs mit den Kumpel-Namen Boxer, Blinker, Sonne und Fuß. Man kommt ins Gespräch, Sonne und Victoria interessieren sich füreinander und wollen sich von der Gruppe absetzen. Ihr Flirt wird jedoch von den anderen unterbrochen, denn für die Kumpels ist die Nacht noch nicht zu Ende. Um eine alte Schuld zu begleichen, müssen sie ein krummes Ding durchziehen und ausgerechnet Victoria soll die Rolle der Fahrerin spielen. Doch aus dem scheinbaren Spiel wird tödlicher Ernst und Victoria kann sich glücklich schätzen, unerkannt in den Berliner Morgennebel zu tauchen. „Wahr, wirklich, hautnah miterleben, nicht nur Mein Streifzug durch die acht Filme von und mit starken Frauen im Wettbewerb der Berliner Filmfestspiele 2015 soll noch mit einer kurzen Reminiszenz auf einen Film „außer Konkurrenz“ im Wettbewerb enden. Kenneth Branagh, als Darsteller der „Royal Shakespeare Company“, und Regisseur großer Shakespeare-Verfilmungen, hat sich mit der Märchenverfilmung von „Cinderella“ selbst übertroffen. Im 2000-PlatzBerlinale-Palast gab es stehende Ovationen für diesen wunderschönen Film, der dem legendären Disney-Zeichentrickfilm an Spiel, Ausstattung, Wortwitz und Einfallsreichtum in jeder Weise, aber auf neue Art, ebenbürtig ist. Dies vor allem auch dank zweier „starker Frauen“ und großer Darstellerinnen: Cate Blanchett als böse Stiefmutter und Lily James als „Cinderella“ mit dem guten Herzen und dem Lebensmotto „sei immer mutig und aufrichtig“. Cinderella, USA/GBR 2014, Regie: Kenneth Branagh; mit Lily James; Jonathan Olley © Disney Enterprises POWERFRAUEN R oland R eck „Niemals geht man so ganz“ Es war ein „volles Leben“. So voll, wie ein Leben mit 20 Jahren sein kann. Unvollendet bleibt es für die Familie und Freunde. Denn wie Simone selbst freuten sie sich auf das Leben, das noch kommt, gemeinsam mit Simone. Diese Freude starb am 25. Dezember 2014. Simone ist tot. Eine Erinnerung. Auf dich wartet das „volle Leben“, machte Schwester Marilen der 19-Jährigen Mut. Die Franziskanerin im Kloster Sießen begleitete Simone bei ihren Vorbereitungen, als „Missionarin auf Zeit“ nach Brasilien zu gehen. Ein Jahr lang wollte die junge Frau auf einer „Fazenda da Esperanca“ (Hof der Hoffnung) mit drogenabhän- und die krasse soziale Ungerechtigkeit zwischen reich und arm in Brasilien erlebt. Simone Siewert kommt aus Herbertingen und ist Fachangestellte für Bäderbetriebe, doch statt Badeaufsicht und Saunabetreuung will sie die Welt entdecken. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, dass sie nach Ende der Ausbildung ihren „Traum vom Ausland“ Simone Siewert auf Reisen in Brasilien. Sie sparte bereits auf ihre nächste. gigen Frauen leben. Sie sollte den aus dem Leben gefallenen Frauen durch ihr Mitleben, Mitarbeiten und Mitbeten ein Stück Hoffnung auf ein normales Leben ohne Drogen, Prostitution und Gewalt geben. Dazu wohnte sie mit mehreren Frauen in einem Zimmer und teilte sich das Bad und die Toilette mit ihnen. Es war ein Leben ohne Privatsphäre, ohne Internet und Facebook und Fernsehen nur am Wochenende. Ein „kalter Entzug“, eine große Aufgabe für eine Neunzehnjährige. Deshalb berichtete BLIX im April 2013 über Simones Pläne, ihre Mission auf Zeit und setzte dies im Juni letzten Jahres mit einem Bericht über ihr Leben in Brasilien fort. „Wo ist Gott?“, war der Artikel überschrieben. Diese Frage drängt sich Simone auf, nachdem sie von den Schicksalen der Frauen erfahren hat 88 verwirklicht. Nicht einfach so, sondern mit einer sinnvollen Aufgabe. Dazu lernte sie Portugiesisch und verabschiedete sich von ihrer Familie und Freunden. Simone war eine Suchende. „Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie mich führen zu deinem heiligen Berg und zu deiner heiligen Wohnung.“ (Psalm 43:3) Simone hatte das strikte elterliche Verbot, bis sie achtzehn ist: keine Tattoos und kein Piercing! Sie hielt sich daran bis zu ihrem 18. Geburtstag, dann ließ sie sich piercen und vor ihrer Ausreise nach Brasilien, ließ sie sich den Psalm 43:3 in portugiesischer Sprache über der Hüfte eintätowieren. Simone sagte von sich, dass sie nicht im strengen Sinne religiös sei und ganz sicher war sie sich, dass sie trotz der „Missionarin auf Zeit“ nicht Nonne werden wolle. Sie war Suchende und die Franziskanerinnen wollten nicht mehr „als eine Tür aufmachen“, wie Schwester Marilen sagte. „Mein Jahr in Brasilien war die beste Entscheidung, die ich jemals getroffen habe“, schreibt sie nach ihrer Rückkehr in ihrem Abschlussbericht. Nicht, weil alles gut war, sondern weil sie viele Schwierigkeiten überwinden musste. „Ich musste viel lernen und jeden Tag über meinen Schatten springen, was mir unglaublich viel für mein jetziges Leben gebracht hat“, heißt es darin weiter. Ihre Eltern haben im Sommer letzten Jahres eine gereifte und fröhliche Tochter in die Arme geschlossen. Überglücklich, dass sie heil nach Hause kam. Denn zu den Schwierigkeiten in Brasilien gehörte nicht nur das Zusammenleben auf engstem Raum mit den drogensüchtigen Frauen, sondern auch eine verschleppte Blinddarmentzündung mit einer Notoperation. Es ist der 23. Dezember früh morgens. Simone wohnt seit ihrer Rückkehr wieder bei ihren Eltern und Geschwistern. Sie hat einen älteren Bruder und eine jüngere Schwester. Ihre Mutter richtet das Frühstück, Simone ist im Bad. Sie brauchte nach ihrer Rückkehr nicht lange zu suchen, sondern hatte gleich eine Stelle im Jordanbad. Das Telefon klingelt, Simone wird gebeten, früher zur Arbeit zu kommen. Kein Problem, Simone, der Wirbelwind, klagt nicht, sondern setzt sich ins Auto und macht sich auf den Weg nach Biberach. Simone ist beschwingt, sie ist frisch verliebt. Zwei Stunden später erhält Claudia Siewert, die Mutter, einen Anruf aus dem Jordanbad, man warte auf Simone. Claudia Siewert weiß: Es muss was passiert sein und erhält Gewissheit als zwei Polizisten vor der Tür stehen und ihr mitteilen, dass ihre Tochter einen schweren Autounfall hatte und mit dem Rettungshubschrauber nach Ravensburg gebracht worden ist. Es ist sowohl Schock als auch Hoffnung, was die Eltern das Nötige tun lässt. „Mechanisch“ erledige man die Dinge, „der Kopf arbeitet langsamer“, versucht Claudia Siewert das Unfassbare zu beschreiben. Simone liegt auf der Intensivstation, macht auf die Eltern einen fast unverletzten Eindruck, „fast so als ob sie nur schlafe“, erzählt die Mutter. Der Schein trügt. Simones Gehirn ist so stark geschädigt, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Aber „ein Wunder“ vielleicht, klammern sich die Eltern an den letzten Strohhalm. Am Heiligen Abend weiß die Familie, „dass es nie mehr so sein wird“, die Geschenke für Simone bleiben unausgepackt. Am nächsten Tag stellen die Ärzte den Gehirntod bei Simone fest. Simone ist tot. Doch bereits bei ihrer ersten Blutspende mit 18 Jahren hatte Simone einen Organspendepass ausgefüllt. Die Eltern wussten davon, sie haben beide selbst einen solchen. Sie brachten Simones Einwilligungserklärung mit ins Krankenhaus. Die Ärzte hätten sich erleichtert gezeigt, niemand habe sie bedrängt, sie hätten in Ruhe von ihrer POWERFRAUEN Tochter Abschied nehmen können und nun seien sie in ihrem Unglück froh, „dass durch die Organspende von Simone fünf Menschen geholfen werden konnte“, wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation ihnen inzwischen mitgeteilt habe. „Für uns fühlt es sich richtig an“, erklärt das Ehepaar, „dass diese Menschen eine gute Chance auf ein beschwerdefreies Leben haben“. Trotzdem: Wie hält man einen solchen Schmerz aus? „Wir haben uns vorgenommen: Wir fragen nicht nach dem Warum“, sagt Claudia Siewert. Simone hatte keine Schuld an ihrem tödlichen Unfall, der Verursacher wurde nur leicht verletzt, aber leidet psychisch schwer, wie das Ehepaar weiß. „Es gibt eine höhere Macht. Ob es Gott gibt, weiß ich nicht – der so viel Leid zulässt.“ Halt und Trost hätten sie vor allem von den Schwestern im Kloster Sießen erfahren, wo sie sich in ihrer Trauer „behütet“ fühlen. Dabei gehe es nicht um Gott, sondern um Simone, „deren positive Energie, die sie aus Brasilien mitbrachte, haben wir in uns.“ Wolfgang Siewert, der Vater, öffnete nach dem Unfall Simones Laptop, wo ihn ein geöffnetes Dokument empfängt. Es ist Simones kurzer Abschlussbericht als „Missionarin auf Zeit“, er endet mit einer Strophe aus Trude Herrs (1927-1991) Chanson: „Niemals geht man so ganz irgendwas von mir bleibt hier es hat seinen Platz immer bei dir.“ Die Eltern Wolfgang und Claudia Siewert an der Grabstelle ihrer Tochter. Simone liebte die Freiheit und mochte Friedhöfe nicht, weshalb die Eltern sich entschlossen, die Urne ihrer Tochter im Friedwald in Meßkirch bestatten zu lassen am Fuße einer „unruhigen Buche“. Wohl behütet und begleitet fühlen sich die Eltern in ihrer Trauer von den Schwestern des Franziskaner Klosters Sießen, die auch die Beerdigung durchführten. B ürger G enossenschaft „Hilfe auf Gegenseitigkeit“ BIBERACH. Die Gründungsvorbereitungen für die Bürger Genossenschaft Biberach, einer neuen, gemeinnützigen Sozialgenossenschaft, sind weitgehend abgeschlossen. Bevor es in Kürze zu der eigentlichen Gründung kommt, laden die Initiatoren alle interessierten Bürger aus der Stadt Biberach und dem nahen Umland zu zwei Informationsveranstaltung ein: Dienstag, 17. März, und am Mittwoch, 25. März, jeweils um 19 Uhr im Foyer des Biberacher Rathauses. Die geplante Bürger Genossenschaft Biberach will als gemeinnützige, soziale Einrichtung möglichst viele Menschen aus der Stadt Biberach und dem nahen Umland nach dem Prinzip der „Hilfe auf Gegenseitigkeit“ zusammenführen. Gesunde und Kranke, Starke und Schwache, Junge und Alte sollen sich zusammenschließen und sich gegenseitig umeinander kümmern und sich solidarisch unterstützen. Es geht dabei in erster Linie um die Bewältigung alltäglicher Arbeiten, Probleme und Sorgen, die Hilfesuchende ohne fremde Unterstützung und Begleitung allein nicht mehr regeln können; die Angebote richten sich dabei auch an Menschen mit Behinderung und schließen ausdrücklich Demenzerkrankte mit ein. Die Zahl dieser Menschen wird mit zunehmender Lebenserwartung und zunehmendem Lebensalter immer größer. Die Bürger Genossenschaft will dafür sorgen, dass die Betroffenen länger in ihrem vertrauten Haus und ihrer gewohnten Umgebung leben können, auch wenn ihnen die Arbeit im Haus und im Garten nicht mehr so leicht von der Hand geht. Sie sorgt auch dafür, dass die Menschen nicht vereinsamen und mit Begleitung noch am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Sie hilft auch jungen Familien, Beruf und Familie zu vereinen. Darüber hinaus denkt sie an all jene Menschen, die auf Unterstützung bei der Pflege von Behinderten einschließlich Demenzerkrankter angewiesen sind. Nicht zuletzt sieht sie die Alleinerziehenden, die die Doppelbelastung von Beruf und Kindererziehung schultern müssen, ohne dass eine Großfamilie ihnen zur Seite steht. Mit Hilfe der Bürger Genossenschaft werden die Betroffenen ihr Leben wieder ein Stück selber in die Hand nehmen und viele Dinge wieder selber gestalten können. Dazu braucht die Bürger Genossenschaft allerdings eine Vielzahl von ehrenamtlichen Helfern, die bereit sind, ihre freie Zeit für ihre bedürftigen Mitmenschen einzubringen. Die Bürgergenossenschaft glaubt fest daran, dass sich genügend sozialverantwortliche Menschen motivieren lassen, in den von ihnen geschaffenen Strukturen mitzuwirken. Dabei ist ihr bewusst, dass sie verlässliches, qualifiziertes und nachhaltiges Engagement nicht ausschließlich ehrenamtlich, also ohne Gegenleistung, erwartet kann. Die Bürger Genossenschaft bietet deshalb die Möglichkeit, die eingesetzte Zeit auf Zeitkonten gutzuschreiben und die Genossenschaft sorgt dafür, dass die Berechtigten diese Guthaben auch noch nach Jahren abrufen können, um dann selber einmal die Hilfe anderer Genossenschaftsmitglieder in Anspruch zu nehmen können, wenn sie selber auf Hilfe angewiesen sind. Auf Wunsch können sich die Helfer allerdings als Zeichen der Anerkennung ihre eingesetzte Zeit auch in Geld entlohnen lassen. Die Bürger Genossenschaft glaubt, dass sie damit allen Helfern zusätzlich eine interessante Form der Altersvorsorge anbietet, die ihresgleichen sucht und mit der man in Einzelfällen eine mögliche Altersarmut abmildern kann. Die genossenschaftliche Gemeinschaft wirkt dabei wie eine große Familie, in der man sich gegenseitig unterstützt. Wenn man zu der Familie gehören will, muss man Mitglied dieser Familie, der Genossenschaft, werden. Im Klartext heißt das, dass man sich mit einem Geschäftsanteil von 100 Euro an der Genossenschaft beteiligen muss. Dieses Geschäftsguthaben, das man auch anteilig über mehrere Jahre aufbauen kann, bleibt dem Mitglied erhalten. In Höhe des Geschäftsanteils ist man Miteigentümer an der Genossenschaft mit allen satzungsmäßigen Rechten, wie zum Beispiel dem Stimmrecht in der Mitgliederversammlung oder dem Recht auf Inanspruchnahme aller angebotenen Dienstleistungen. Darüber hinaus wird üblicherweise noch ein Beitrag zur Deckung laufender Kosten erhoben, der zur Zeit je nach Mitgliederstatus zwischen drei und vier Euro im Monat liegt. Dafür verfolgt die Bürger Genossenschaft, so die Aussage der Initiatoren, konsequent das Ziel - auch in Zeiten steigender Kosten und Preise - immer bezahlbare Leistungen anzubieten. 89 POWERFRAUEN S ascha M üller „In andere Dimensionen“ ULM. Fliegen ist schön. Tanzen aber auch. Und wenn die Compagnie Horizon durch die Lüfte tanzt, kann man als Zuschauer vor lauter staunen auch mal neidisch werden . Die Vertical Dance Group feiert mit ihrem neuen Projekt im Roxy Ulm Premiere. BLIX durfte vorab bei einer Probe dabei sein. Und hing dann prompt selbst in den Seilen. „Escape from Flatland“, die Flucht aus dem Flächenland. Das ist der Titel des neuen Projektes der Compagnie Horizon. Das Frauenpowertrio Yvonne Graf, Kate und Marion Glöggler hat sich diesmal mit Tänzer Zyia Aktas auch männliche Verstärkung ins Boot geholt. Inspiriert von Edwin Abbotts Buch „Flatland“ wagt die Gruppe den Absprung vom Boden als zweidimensionale Fläche hinein in die dritte Dimension. Sonst an Gebäudefassaden zuhause, treten die Höhenflieger der Compagnie nun im Roxy das erste mal in vier Wänden auf. Die Tanzpädagoginnen und Körpertherapeutinnen aus Neu Ulm und Berlin tanzten schon an den Glasfronten des Parkhauses Deutschhaus und am 36 Meter Foto links: Dem Sog der wirbelnden Körper kann sich kein Blick entziehen. Foto oben: Der Kern der Compagnie: Die Tänzerinnen Kate Glöggler (l.), Marion Glöggler (m.) und Yvonne Graf (r.) Fotos: Kirsch hohen Metzgerturm in Ulm entlang. Mit dem Wechsel ins ROXY stellt sich die Gruppe der Herausforderung eines rundum begrenzten Raumes. Denn je Höher das Gerüst, umso mehr Möglichkeiten haben die Tänzer für gewöhnlich. In der 4,5 Meter hohen Halle entwickelten die Vier eine einzigartige Choreografie, die räumlichen Verhältnisse dabei stets im Blick. Vom Contemporary Dance und Hip Hop bis zum Urban Dance und Ballet verbindet die Gruppe ihre persönlichen Stile mit den Möglichkeiten des Vertical Dance. Mal springen sie, mal hängen sie, mal schweben sie. Ob schnell wirbelnd oder langsam drehend, aufrecht oder über Kopf , am Boden oder in der Luft, die Compagnie Horizon spielt mit Raum und Technik. Mittels Seilkonstruktionen aus der Film- und Stunttechnik zeigt die Tanzgruppe Bewegungen und Formen einer anderen Dimension. Die gut abgestimmte Musik, mal sanft, mal temporeicher, ist eigens für das Projekt zusammengestellt. Zusammen mit der Licht- und Projektionstechnik wird eine illusorische Atmosphäre geschaffen, die einen nicht mehr los lässt. Am liebsten würde man selber mal ans Seil. Gesagt, getan. Unsere Mediendesignerin Jacqueline Kirsch ließ es sich bei der Gelegenheit nicht nehmen, nach der Probe selbst einmal abzuheben. Welche Kräfte dabei wirken und wie eingeschränkt die Bewegungsmöglichkeiten sind, konnte sie am eigenen Leib spüren. Die so leicht anmutenden Bewegungen erwiesen sich dabei als wesentlich kraftraubender als zuvor erwartet. „Wir kommen nicht aus der Artistik, wir haben als Künstler kein Vorwissen auf dem Gebiet. Wir experimentieren und setzen uns intensiv mit der Technik auseinander.“, erklärt Marion Glögger während sie Jacqueline Kirsch bei ihren Flugversuchen unterstützt. Der Respekt vor der Höhe geht trotz all dem Spaß nie ganz verloren. Beim Wechsel von Seil zu Seil,verrät Glögger, hängt sie ihre Karabiner stets in der gleichen Reihenfolge ein. Eine Routine, die sich in all den Trainingseinheiten gebildet hat. Jede freie Minute nutzten die vier für Proben und opferten Wochenende um Wochenende zum üben und experimentieren. Jede Probe wurde dabei aufgenommen, um selbst zu sehen wie einzelne Bewegungen am Seil auf den Zuschauer wirken. Was dabei herausgekommen ist, kann sich sehen lassen. 106
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