Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichtsentscheidungen nach autonomem deutschem Recht Prof. Dr. Burkhard Breig, FB Rechtswissenschaft Diskussionsveranstaltung der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer Moskau, 16. April 2015 Gliederung 1. Urteilsanerkennung – völkerrechtliche Sicht 2. Was ist „Anerkennung“? 3. Rechtsgrundlagen 4. Anerkennungsvoraussetzungen 5. Verfahren 6. Praxis in Deutschland 7. Perspektive FB Rechtswissenschaft, 16. April 2015 2 Urteilsanerkennung – völkerrechtliche Sicht Räumlicher Geltungsbereich von Gerichtsentscheidungen: Territorialprinzip (seit Bildung von Territorialstaaten) „Bündel“ gleichgelagerter Verfahren in allen Staaten, in denen vollstreckt werden soll Seit 19. Jahrhundert Staatsverträge zur Anerkennung ausländischer Urteile Verhandlung auf Grundlage der Gegenseitigkeit Ziel: Schwelle der Anerkennung absenken ausgehend von „révision au fonds“ bis zur vollen „Verkehrsfähigkeit“ von Urteilen Befund heute: Das autonome Recht zur Anerkennung ausländischer Urteile ist „gefärbt“ von der völkerrechtlichen Provenienz des Instituts FB Rechtswissenschaft, 16. April 2015 3 Was ist „Anerkennung“ von Urteilen? Ausgangspunkt ist sog. Wirkungserstreckung: „Die Anerkennung hat zur Folge, dass den Entscheidungen die Wirkung beigelegt wird, die ihnen in dem Staat, in dessen Hoheitsgebiet sie ergangen sind, zukommt.“ (Deutsch-belgisches Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen vom 30. Juni 1958) Urteilswirkungen sind z.B. - Materielle Rechtskraft Achtung: Unterschiede zwischen russischem und deutschem Recht! - Vollstreckbarkeit In Deutschland: Exequaturverfahren nach §§ 722 f. ZPO - Gestaltungswirkung Bsp. Auflösung einer OHG durch Urteil nach § 133 HGB - Sog. Tatbestandsfunktion des Urteils ist eine Frage des materiellen Rechts (z.B. Verjährungsunterbrechung durch Klage; verlängerte Verjährungsfrist bei rechtskräftig festgestelltem Anspruch) FB Rechtswissenschaft, 16. April 2015 4 Was ist „Anerkennung“ von Urteilen? Modifikation der Wirkungserstreckung 1. Fall: Ausländisches Urteil wirkt weniger als deutsches Urteil Ausländisches Urteil soll in Deutschland keine Wirkungen entfalten, die ihm nach dem „eigenen“ Recht nicht zukommen. (arg. rechtliches Gehör; bewusst eingegangenes Prozessrisiko) 2. Fall: Ausländisches Urteil wirkt mehr als deutsches Urteil Ausländisches Urteil soll in Deutschland grundsätzlich „höchstens“ so wirken, wie ein entsprechendes deutsches Urteil (str.) Bsp.: Bindungswirkung präjudizieller Feststellungen in den Urteilsgründen im Verhältnis zwischen den Parteien – hier unterscheiden sich russisches und deutsches Recht. FB Rechtswissenschaft, 16. April 2015 5 Rechtsgrundlagen Anerkennung: § 328 ZPO Vollstreckung: §§ 722 f. iVm § 328 ZPO Wichtig auch: bilaterale Rechtshilfeabkommen; in der EU / EWR: EuGVO Im Verhältnis zu Russland gibt es – abgesehen von Spezialfällen – keine solchen Abkommen Nach deutscher Auffassung auch nicht EMRK FB Rechtswissenschaft, 16. April 2015 6 Bestimmung der Anerkennungsvoraussetzungen 1. Anerkennungsfähige Entscheidungen 2. Anerkennungszuständigkeit 3. Rechtliches Gehör 4. Vermeidung unvereinbarer Entscheidungen 5. Wahrung des Ordre public 6. Verbürgung der Gegenseitigkeit FB Rechtswissenschaft, 16. April 2015 7 Bestimmung der Anerkennungsvoraussetzungen Das Kriterium der verbürgten Gegenseitigkeit im deutschen Anerkennungsrecht - Rechtfertigung des Merkmals Auslegung durch die deutschen Gerichte Problem des „ersten Schritts“ Vergleichbarer Umfang partielle Gegenseitigkeit wird als ausreichend angesehen. - „Im Wesentlichen gleichwertig“ - Wie wird festgestellt, ob die Gegenseitigkeit „verbürgt“ ist? - Reicht die Gesetzeslage aus? Was ist bei Verweigerung contra legem? - Reicht eine stabile Anerkennungspraxis? - Was tut man, wenn keine relevante Praxis feststellbar ist? FB Rechtswissenschaft, 16. April 2015 8 Verfahren 1. Anerkennung Anerkennung grs. automatisch, sofern kein Ablehnungsgrund vorliegt (Problem: Was ist, wenn sich Anerkennungsvoraussetzungen im Laufe der Zeit ändern?) Möglichkeit einer Feststellungsklage zur Erlangung von Rechtssicherheit 2. Vollstreckung Vollstreckung grundsätzlich erst aufgrund Exequaturverfahrens Gegenstand: vollstreckbare Leistungsurteile Verfahren: (beschränktes) Erkenntnisverfahren Vollstreckungstitel: das deutsche Exequatururteil FB Rechtswissenschaft, 16. April 2015 9 Praxis in Deutschland Bisherige Praxis aus Russland in deutscher Rezeption: - CMR - Anerkennung eines Insolvenzverfahrens Vorher: Verfahren vor den Arbitragegerichten seit 2003 führen dazu, dass in der Literatur sich die Stimmen mehren, dass die Gegenseitigkeit nach und nach sich verfestige. Allerdings nach wie vor skeptische / abwartende Stimmen in der Literatur FB Rechtswissenschaft, 16. April 2015 10 Praxis in Deutschland Immer wieder Versuche, vor deutschen Gerichten russische Entscheidungen auch außerhalb der völkervertraglich erfassten Fälle für vollstreckbar erklären zu lassen. Bisher allerdings ohne Erfolg. Ein weiteres anhängiges Verfahren jetzt vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg – auch dort scheint die Vollstreckbarerklärung aber kein Selbstläufer zu sein (s. die Beurteilung zur deutschen Perzeption hinsichtlich der russischen Bereitschaft, deutsche Urteile anzuerkennen und zu vollstrecken). FB Rechtswissenschaft, 16. April 2015 11 Perspektive Gesetzesänderung in Deutschland ist wenig wahrscheinlich, obwohl sie in der Literatur vielfach gefordert wird. Es kommt also nach gegenwärtiger Lage auf die Entwicklung in Russland an. Anerkennung wird in der Qualität wohl grundsätzlich für vergleichbar gehalten. Allerdings steht bisher noch die Beurteilung der russischen Praxis als zögerlich entgegen. FB Rechtswissenschaft, 16. April 2015 12 Kontakt: Prof. Dr. Burkhard Breig FB Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin [email protected] FB Rechtswissenschaft, 16. April 2015 13 VIELEN DANK FB Rechtswissenschaft, 16. April 2015 14
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